Bundesgerichtshof Beschluss, 06. Aug. 2009 - 3 StR 547/08
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe:
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- Das Landgericht hat den Angeklagten wegen "Beihilfe zu fünf Fällen des bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in jeweils nicht geringer Menge" zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die hiergegen gerichtete Revision hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg.
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- Das Urteil muss aufgehoben werden, weil das Landgericht den Angeklagten in rechtsfehlerhafter Weise während einzelner Teile der Verhandlung beurlaubt hat (§ 230 Abs. 1, §§ 231 c, 338 Nr. 5 StPO).
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- 1. Nach den Feststellungen des Landgerichts bildete sich vor Juni 2004 eine Bande, die sich damit befasste, in Deutschland mehrere Plantagen zum Zweck der industriellen Aufzucht von Cannabis zu errichten sowie die gewonnenen Betäubungsmittel zu verwerten. Der Bande gehörten neben drei in Holland ansässigen Personen auch die gesondert verfolgten Brüder Klaus und Manfred F. an, die als Stellvertreter der niederländischen Hintermänner fungierten und die Plantagen leiteten. Klaus F. verrichtete zudem in zwei der Plantagen die erforderlichen Elektroinstallationsarbeiten. Im Juni / Juli 2004 vermietete der Angeklagte an Bandenmitglieder Räumlichkeiten auf seinem Hof in W. . Er war sich dabei bewusst, dass auf der ca. 500 qm großen Fläche eine industriell betriebene Aufzuchtanlage errichtet werden sollte. Er willigte wegen des in Aussicht gestellten Gewinns ein und schloss sich der Bande an. An den Ausbauarbeiten beteiligte er sich, abgesehen vom Transport eines Stromaggregats mit seinem Gabelstapler, nicht. In der Folgezeit wurden in der Plantage fünf Ernten erzielt und verwertet. Danach wurde die Aufzuchtanlage stillgelegt. Der Angeklagte erhielt insgesamt 20.000 €.
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- 2. Der Verfahrensrüge liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
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- Das Landgericht hat den Angeklagten auf seinen Antrag für den Sitzungstag des 29. August 2007 beurlaubt, "da an diesem Sitzungstag nur Verhandlungsteile Gegenstand der Sitzung sind, von denen der Angeklagte nicht betroffen ist, nämlich die Vernehmung des Zeugen Thomas F. ". An diesem Tag ist in Abwesenheit des Angeklagten und seines Verteidigers zuerst der Zeuge Thomas F. hervorgerufen und, nachdem er von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch gemacht hatte, alsbald wieder entlassen worden. Sodann hat der Verteidiger des Mitangeklagten Manfred F. , Rechtsanwalt G. , einen Beweisantrag auf Vernehmung der in Polen wohnenden früheren Lebensgefährtin dieses Angeklagten verlesen. Nach einer Sitzungspause hat der Vorsitzende mitgeteilt, dass die Zeugin, wie eine telefonische Nachfrage ergeben habe, nicht bereit sei, sich in der Hauptverhandlung vernehmen zu lassen.
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- Durch einen weiteren Beschluss ist der Angeklagte auf seinen Antrag für den Sitzungstag am 17. Oktober 2007 beurlaubt worden, "da Verhandlungsteile (Vernehmung der Zeugin Gh. und weitere Anträge von Rechtsanwalt G. ) stattfinden, von denen sie [= der Angeklagte sowie der ebenfalls beurlaubte Mitangeklagte H. ] nicht betroffen sein werden". An diesem Tag ist in Abwesenheit des Angeklagten die Zeugin Gh. vernommen worden. Sodann hat der Verteidiger des Mitangeklagten Manfred F. einen Beweisantrag auf Vernehmung der Tochter dieser Zeugin verlesen. Daraufhin hat der Angeklagte per Telefax beantragt, "für den heutigen Hauptverhandlungstag" beurlaubt zu werden. Diesem Antrag hat die Strafkammer stattgegeben , da der Angeklagte "von den vorgesehenen Teilen der Verhandlung nicht betroffen" ist. In Abwesenheit des Angeklagten hat das Landgericht an diesem Verhandlungstag sodann noch vier weitere Zeugen gehört, Lichtbilder in Augenschein genommen und die Zeugin Gh. erneut vernommen.
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- Zuletzt ist der Angeklagte auf seinen Antrag für den Sitzungstag am 15. November 2007 beurlaubt worden, "soweit der Zeuge S. vernommen werden soll und soweit Rechtsanwalt G. weitere Anträge stellt in Bezug auf seinen Mandanten." In Abwesenheit des Angeklagten ist der Zeuge KHK S. vernommen worden. Zudem sind Lichtbilder in Augenschein genommen worden. Sodann hat Rechtsanwalt G. einen Antrag auf Verlesung von Urkunden gestellt. Diesem Antrag ist die Strafkammer nachgekommen und hat 24 Urkunden (Rechnungen des Mitangeklagten Manfred F. , gestellt gegenüber dem Zeugen Thomas F. über Küchenmontagen) verlesen.
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- 3. Die Verfahrensweise der Kammer hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
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- a) Das Gericht kann, wenn die Hauptverhandlung gegen mehrere Angeklagte stattfindet, einem Angeklagten, ggf. auch seinem Verteidiger, auf Antrag gestatten, sich während einzelner Verhandlungsteile zu entfernen, wenn er von diesen nicht betroffen ist. In dem Beschluss sind die Verhandlungsteile zu bezeichnen , für die die Erlaubnis gilt (§ 231 c Satz 1 und 2 StPO).
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- b) Danach ist bereits dann rechtsfehlerhaft in Abwesenheit des Angeklagten verhandelt worden (§ 338 Nr. 5 StPO), wenn die in dem Beschluss über die Befreiung festgelegte inhaltliche Begrenzung des Verhandlungsgegenstandes nicht eingehalten worden ist. So liegt es hier bezüglich der Sitzung vom 29. August 2007, in der über den im Beschluss bezeichneten Umfang hinaus ein Beweisantrag entgegengenommen worden und über diesen - in Form der Mitteilung der von der Kammer ermittelten Umstände - verhandelt worden ist. Gleiches gilt für die Sitzung vom 15. November 2007, in der eine Augenscheinseinnahme stattgefunden hat und zahlreiche Urkunden verlesen worden sind, obwohl sie in dem Beurlaubungsbeschluss keine Erwähnung gefunden haben.
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- c) Zudem ist nicht mit Sicherheit auszuschließen, dass der Angeklagte von den Verhandlungsteilen, die in seiner Abwesenheit stattgefunden haben, betroffen war. Nicht betroffen wäre er nur gewesen, wenn ausgeschlossen werden könnte, dass die während seiner Abwesenheit behandelten Umstände auch nur mittelbar die gegen ihn erhobenen Vorwürfe berühren (BGH NStZ 2009, 400). Dies ist nicht möglich. Sämtliche Beweisanträge dienten dem Ziel, die Verteidigung des die Tatvorwürfe bestreitenden Mitangeklagten Manfred F. zu stützen und zur Entlastung dieses Angeklagten beizutragen. Die Beweiserhebungen dienten demzufolge dem Zweck, den entlastenden Behauptungen nachzugehen. Manfred F. war des Bandenhandels mit Betäu- bungsmitteln angeklagt. Die Art und das Ergebnis seiner Verteidigungsbemühungen konnten durchaus Bedeutung für den Angeklagten gewinnen, der sich zum Zeitpunkt der Beurlaubung ebenfalls bestreitend gegen den Vorwurf der Zugehörigkeit zu eben derselben Bande sowie der Beihilfe zum Bandenhandel mit Betäubungsmittel verteidigt hat.
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- d) Der Bundesgerichtshof hat wiederholt darauf hingewiesen, dass von der Möglichkeit der Beurlaubung nach § 231 c StPO nur äußerst vorsichtig Gebrauch gemacht werden sollte, weil diese Verfahrensmaßnahme leicht einen absoluten Revisionsgrund schaffen kann (BGH bei Holtz MDR 1979, 807; bei Miebach NStZ 1989, 219; BGHR StPO § 231 c Betroffensein 1; BGH NStZ 1981, 111). Dem Senat erscheint es ausgeschlossen, von § 231 c StPO im Rahmen eines Strafverfahrens Gebrauch zu machen, das sich gegen mehrere Angeklagte wegen bandenmäßiger Begehung von Straftaten richtet.
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- 4. Der Senat bemerkt ergänzend: Der Verfahrensrüge steht nicht entgegen , dass der Angeklagte jeweils selbst seine Beurlaubung beantragt hat. Dieser kann zwar einen Antrag auf Beurlaubung stellen, darüber hinaus aber über seine Anwesenheitspflicht nicht disponieren. Ob die Voraussetzungen des § 231 c Satz 1 StPO vorliegen, hat das Gericht jeweils eigenverantwortlich zu prüfen.
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- Die Rüge scheitert zuletzt auch nicht daran, dass der Angeklagte am 42. Hauptverhandlungstag im Anschluss an eine Höchststrafenzusage der Strafkammer den Tatvorwurf eingeräumt hat. Die Befugnis zur Einlegung eines Rechtsmittels und zur Erhebung von Verfahrensrügen bleibt dem Angeklagten uneingeschränkt erhalten, auch wenn dem Urteil eine Verständigung vorausgegangen ist. Dies folgt aus dem Gesetz zur Regelung der Verständigung im Strafverfahren vom 29. Juli 2009 (BGBl I 2353), das - entgegen früheren Überlegungen im Gesetzgebungsverfahren (vgl. § 337 Abs. 3 StPODiskussionsentwurf BMJ, Stand: 22. März 2006; ebenso Gesetzesantrag Niedersachsen BR Drucks. 235/06) - nach einer solchen Verfahrensbeendigung keine Einschränkungen hinsichtlich der Rechtsmittelbefugnis vorsieht.
Annotations
Ein Urteil ist stets als auf einer Verletzung des Gesetzes beruhend anzusehen,
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wenn das erkennende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war; war nach § 222a die Mitteilung der Besetzung vorgeschrieben, so kann die Revision auf die vorschriftswidrige Besetzung nur gestützt werden, wenn - a)
das Gericht in einer Besetzung entschieden hat, deren Vorschriftswidrigkeit nach § 222b Absatz 2 Satz 2 oder Absatz 3 Satz 4 festgestellt worden ist, oder - b)
das Rechtsmittelgericht nicht nach § 222b Absatz 3 entschieden hat und - aa)
die Vorschriften über die Mitteilung verletzt worden sind, - bb)
der rechtzeitig und in der vorgeschriebenen Form geltend gemachte Einwand der vorschriftswidrigen Besetzung übergangen oder zurückgewiesen worden ist oder - cc)
die Besetzung nach § 222b Absatz 1 Satz 1 nicht mindestens eine Woche geprüft werden konnte, obwohl ein Antrag nach § 222a Absatz 2 gestellt wurde;
- 2.
wenn bei dem Urteil ein Richter oder Schöffe mitgewirkt hat, der von der Ausübung des Richteramtes kraft Gesetzes ausgeschlossen war; - 3.
wenn bei dem Urteil ein Richter oder Schöffe mitgewirkt hat, nachdem er wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt war und das Ablehnungsgesuch entweder für begründet erklärt war oder mit Unrecht verworfen worden ist; - 4.
wenn das Gericht seine Zuständigkeit mit Unrecht angenommen hat; - 5.
wenn die Hauptverhandlung in Abwesenheit der Staatsanwaltschaft oder einer Person, deren Anwesenheit das Gesetz vorschreibt, stattgefunden hat; - 6.
wenn das Urteil auf Grund einer mündlichen Verhandlung ergangen ist, bei der die Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens verletzt sind; - 7.
wenn das Urteil keine Entscheidungsgründe enthält oder diese nicht innerhalb des sich aus § 275 Abs. 1 Satz 2 und 4 ergebenden Zeitraums zu den Akten gebracht worden sind; - 8.
wenn die Verteidigung in einem für die Entscheidung wesentlichen Punkt durch einen Beschluß des Gerichts unzulässig beschränkt worden ist.
(1) Der erschienene Angeklagte darf sich aus der Verhandlung nicht entfernen. Der Vorsitzende kann die geeigneten Maßregeln treffen, um die Entfernung zu verhindern; auch kann er den Angeklagten während einer Unterbrechung der Verhandlung in Gewahrsam halten lassen.
(2) Entfernt der Angeklagte sich dennoch oder bleibt er bei der Fortsetzung einer unterbrochenen Hauptverhandlung aus, so kann diese in seiner Abwesenheit zu Ende geführt werden, wenn er über die Anklage schon vernommen war, das Gericht seine fernere Anwesenheit nicht für erforderlich erachtet und er in der Ladung darauf hingewiesen worden ist, dass die Verhandlung in diesen Fällen in seiner Abwesenheit zu Ende geführt werden kann.