Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 49/12
vom
27. März 2012
in der Strafsache
gegen
wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers
und des Generalbundesanwalts am 27. März 2012 gemäß § 349 Abs. 4
StPO einstimmig beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Düsseldorf vom 10. Oktober 2011 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten - unter Freispruch im Übrigen - wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in drei Fällen zu der Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verur- teilt und zu seinen Lasten 7.500 € für verfallen erklärt. Die Revision des Ange- klagten rügt die Verletzung materiellen Rechts und beanstandet das Verfahren. Mit der auf § 261 StPO gestützten Rüge, das Landgericht habe sich bei der Würdigung der Beweise nicht vollständig mit dem in die Hauptverhandlung eingeführten Beweisstoff auseinandergesetzt, hat das Rechtsmittel Erfolg; auf die weiteren Rügen kommt es deshalb nicht mehr an.
2
1. Das Landgericht hat im Wesentlichen die folgenden Feststellungen und Wertungen getroffen:
3
Der Zeuge L. hatte es übernommen, für die Zeugen R. und T. Einkaufsmöglichkeiten für Kokain zu vermitteln. Er wandte sich deshalb an den als "M. " auftretenden Angeklagten sowie an eine weitere Person marokkanischer Herkunft namens H. , die sich unabhängig voneinander einverstanden erklärten, R. und T. zu beliefern. Abgewickelt wurden die Geschäfte jeweils dergestalt, dass L. die von den Abnehmern gewünschte Menge fernmündlich entweder beim Angeklagten oder bei H. vorbestellte und dabei ein Treffen mit ihm, R. und T. vereinbarte, bei dem der jeweils gewählte Lieferant das Kokain gegen Bezahlung übergab. Insgesamt kam es zu mindestens sechs solcher Einkäufe. In drei der Fälle war der Angeklagte der Lieferant. So übergab er an R. und T. Anfang Oktober 2007 in der Wohnung des P. , eines Bekannten von L. , 40 g Kokain für 1.200 €, gegen Ende November 2007 auf einem Park- platz in der Nähe der Wohnung von L. 70 g Kokain für 2.300 € und schließlich am 10. Januar 2008 in der Wohnung des L. 103 g Kokain für 4.000 €. Mit der letzten Lieferung gerieten R. und T. bei der Rückrei- se an ihren Wohnort in eine Polizeikontrolle.
4
Der Angeklagte hat keine Angaben zur Sache gemacht. Die Zeugen R. und T. waren nicht in der Lage, ihn als einen ihrer Lieferanten zu identifizieren. Auf die festgestellte Geschäftsverbindung zwischen den Beteiligten schließt das Landgericht zunächst daraus, dass auf dem Mobiltelefon der Zeugin T. am 15. Januar 2008 vom Anschluss des Angeklagten eine SMS folgenden Inhalts einging: "Ich bins M. Freund von S. ". Hin- sichtlich der Verkäufe des Angeklagten im Einzelnen stützt es sich im Wesentlichen auf den Zeugen L. , der bekundet habe, es seien insgesamt sechs Kontakte zwischen ihm, R. , T. und den Marokkanern zustande gekommen , in drei Fällen mit "M. " und in den drei weiteren mit dem anderen Marokkaner. Die drei Geschäfte, an denen "M. ", identifiziert als der Angeklagte , beteiligt gewesen sei, habe der Zeuge detailreich so geschildert wie festgestellt. Er habe keine Belastungstendenz zum Nachteil des Angeklagten gezeigt, vielmehr habe er "ausdrücklich betont", dass der Angeklagte über diese drei Taten hinaus nicht der Lieferant gewesen sei, jedenfalls könne er sich nicht daran erinnern. Insoweit beeinträchtige es die Glaubwürdigkeit des Zeugen auch nicht, dass er ebenso wie im Verfahren gegen H. wahrheitswidrig behauptet habe, bei diesem handle es sich nicht um den anderen der beiden Marokkaner.
5
2. Danach rügt der Beschwerdeführer zu Recht, dass das Landgericht bei der Überprüfung der Glaubwürdigkeit des Zeugen L. wesentlichen in die Hauptverhandlung eingeführten Beweisstoff übergangen hat.
6
a) Der Rüge liegt zugrunde:
7
In der Hauptverhandlung am 30. Juni 2011 wurde auszugsweise das gegen den Zeugen L. ergangene rechtskräftige Urteil des Landgerichts Düsseldorf vom 22. September 2008 verlesen. Nach den dort getroffenen Feststellungen vermittelte der Zeuge in insgesamt fünf Fällen Kokaingeschäfte des "M. " mit R. , nämlich Anfang Oktober 2007, Anfang November 2007, zwischen dem 2. und dem 4. Dezember 2007, am 26. Dezember 2007 sowie am 10. Januar 2008. Weiter vermittelte er zwischen dem 16. und dem 20. November 2007 sowie zwischen dem 27. November und dem 5. Dezember je ein Kokaingeschäft des R. mit einer Person, zu deren Identität er sich nicht äußern wollte. Wie in dem Urteil weiter ausgeführt ist, hatte L. diese Vorwürfe "im Sinne der getroffenen Feststellungen eingeräumt."
8
Weiter wurden in der Hauptverhandlung am 10. August 2011 im Reisepass des Angeklagten enthaltene Sichtvermerke verlesen, wonach der Angeklagte am 17. Dezember 2007 nach Marokko eingereist und am 2. Januar 2007 von dort wieder ausgereist war.
9
In der Hauptverhandlung am 5. Oktober 2011 stellte das Landgericht das Verfahren schließlich nach § 154 Abs. 2 StPO ein, soweit dem Angeklagten zwei weitere vom Zeugen L. vermittelte Verkäufe an R. und T. - jeweils 50 g Anfang November 2007 in der Wohnung des P. und am 26. Dezember 2007 in der Wohnung des L. - vorgeworfen worden waren.
10
b) Danach wäre das Landgericht gehalten gewesen, sich bei der Überprüfung der Glaubwürdigkeit des Zeugen L. auch damit auseinanderzusetzen , dass dieser im Vergleich mit seiner Einlassung in dem gegen ihn selbst gerichteten Verfahren den Umfang der Tatbeteiligung des Angeklagten nun deutlich geringer eingeschätzt und erklärt hat, sich an mehr als die drei in der Hauptverhandlung geschilderten Fälle jedenfalls nicht erinnern zu können. Ebenso hätte sich das Landgericht damit auseinandersetzen müssen, dass sich der Angeklagte zum Zeitpunkt der ihm - im Einklang mit der früheren Einlassung des Zeugen - zunächst ebenfalls vorgeworfenen Tat am 26. Dezember 2007 möglicherweise in Marokko befand (vgl. BGH, Urteil vom 29. Juli 1998 - 1 StR 94/98, BGHSt 44, 153, 160; Beschlüsse vom 30. Mai 2000 - 1 StR 183/00, BGHR StPO § 154 Abs. 2 Teileinstellung 1; vom 9. Dezember 2008 - 5 StR 511/08, NStZ 2009, 228; vom 24. Januar 2008 - 5 StR 585/07, NStZ- RR 2008, 254, 255). Auf diesen Erörterungsmängeln beruht das Urteil, denn es ist nicht auszuschließen, dass das Landgericht zu einer anderen Beurteilung der Glaubwürdigkeit des Zeugen gelangt wäre, hätte es die genannten Umstände erwogen.
Becker Pfister von Lienen Hubert Mayer

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Strafprozeßordnung - StPO | § 154 Teileinstellung bei mehreren Taten


(1) Die Staatsanwaltschaft kann von der Verfolgung einer Tat absehen, 1. wenn die Strafe oder die Maßregel der Besserung und Sicherung, zu der die Verfolgung führen kann, neben einer Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung, die gegen den Bes

Strafprozeßordnung - StPO | § 261 Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung


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Bundesgerichtshof Beschluss, 24. Jan. 2008 - 5 StR 585/07

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Bundesgerichtshof Beschluss, 03. Juni 2014 - 5 StR 199/14

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Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung.

(1) Die Staatsanwaltschaft kann von der Verfolgung einer Tat absehen,

1.
wenn die Strafe oder die Maßregel der Besserung und Sicherung, zu der die Verfolgung führen kann, neben einer Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung, die gegen den Beschuldigten wegen einer anderen Tat rechtskräftig verhängt worden ist oder die er wegen einer anderen Tat zu erwarten hat, nicht beträchtlich ins Gewicht fällt oder
2.
darüber hinaus, wenn ein Urteil wegen dieser Tat in angemessener Frist nicht zu erwarten ist und wenn eine Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung, die gegen den Beschuldigten rechtskräftig verhängt worden ist oder die er wegen einer anderen Tat zu erwarten hat, zur Einwirkung auf den Täter und zur Verteidigung der Rechtsordnung ausreichend erscheint.

(2) Ist die öffentliche Klage bereits erhoben, so kann das Gericht auf Antrag der Staatsanwaltschaft das Verfahren in jeder Lage vorläufig einstellen.

(3) Ist das Verfahren mit Rücksicht auf eine wegen einer anderen Tat bereits rechtskräftig erkannten Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung vorläufig eingestellt worden, so kann es, falls nicht inzwischen Verjährung eingetreten ist, wieder aufgenommen werden, wenn die rechtskräftig erkannte Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung nachträglich wegfällt.

(4) Ist das Verfahren mit Rücksicht auf eine wegen einer anderen Tat zu erwartende Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung vorläufig eingestellt worden, so kann es, falls nicht inzwischen Verjährung eingetreten ist, binnen drei Monaten nach Rechtskraft des wegen der anderen Tat ergehenden Urteils wieder aufgenommen werden.

(5) Hat das Gericht das Verfahren vorläufig eingestellt, so bedarf es zur Wiederaufnahme eines Gerichtsbeschlusses.

5 StR 585/07

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 24. Januar 2008
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes u. a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 24. Januar 2008

beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 16. Juli 2007 gemäß § 349 Abs. 4 StPO mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e
1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in vier Fällen sowie wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt. Die mit Verfahrensrügen und der Sachrüge geführte Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg.
2
Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen :
3
1. Der 43-jährige Angeklagte ist Vater des 11-jährigen T. , der sich im Sommer 2003 mit dem seinerzeit 10-jährigen Zeugen V. C. anfreundete. Bald besuchte V. , der mit seiner Mutter und fünf Geschwistern in äußerst bescheidenen und beengten Verhältnissen lebte, T. häufig zu Hause, um mit ihm dort am Computer oder mit der Playstation zu spielen; diese Möglichkeiten hatte er daheim nicht. Nach kurzer Zeit durfte der Zeuge auch gelegentlich bei T. übernachten. Da der Angeklagte damals arbeitslos war und tagsüber seine Kinder T. und die 4-jährige J. beaufsichtigte, kam es häufig vor, dass V. den Angeklagten allein in der Wohnung antraf, wenn T. noch in der Schule und das kleine Mädchen im Kindergarten war. Nachdem der Zeuge bereits mehrere Monate bei der Familie des Angeklagten ein- und ausgegangen war, kam es im Frühjahr 2004 erstmals und danach bis spätestens zum 28. März 2005 in fünf Fällen zu sexuellen Handlungen zwischen dem Angeklagten und V. .
4
In vier Fällen entblößte der Angeklagte seinen Penis vor dem Zeugen, führte alsdann dessen Hand an sein Glied, hielt die Hand fest und nahm onanierende Bewegungen bis zum Samenerguss vor. Obwohl der Junge sich ekelte, leistete er in keinem der Fälle Widerstand. Er ging jeweils davon aus, dass er keine andere Wahl habe und – sollte er versuchen wegzurennen – die Wohnungstür verschlossen sein könnte oder der Angeklagte vor ihm an der Wohnungstür sein würde. Zudem erhielt er anschließend Belohnungen in Form von Süßigkeiten, Eis oder selbstgebrannten CDs mit PC-Spielen oder Musik.
5
dem In genannten Tatzeitraum kam es schließlich auch zu einem wechselseitigen Oralverkehr. Während die Kinder des Angeklagten – im Wohnzimmer vor dem Sofa sitzend – eine Fernsehsendung verfolgten, saß der Angeklagte hinter dem Sofa auf einem Computerhocker. Er entblößte seinen Penis, bedeutete V. , sich hinzuknien und führte den Kopf des Jungen an sein Glied. Dieser führte den Oralverkehr an dem Angeklagten aus, ohne dass dieser jedoch zum Samenerguss gelangte. Anschließend zog er dem Jungen die Hose herunter und nahm dessen Glied für kurze Zeit in den Mund. Hierfür erhielt V. keine Gegenleistung, der Angeklagte versprach aber, ihm eine Musik-CD zu brennen. Der Geschädigte brachte dieses Versprechen mit dem Oralverkehr in Zusammenhang und sah sich deswegen berechtigt, die Einlösung des Versprechens zu erwarten.
6
In der Folgezeit ließ der Kontakt zwischen T. und dem Zeugen nach. T. und seine Schwester wollten nicht mehr mit ihm spielen, weil V. sehr bestimmend war. Der Angeklagte musste ihn auch mehrfach ermahnen, sich an die Regeln zu halten und untersagte ihm darüber hinaus, sexistisch gefärbte Schimpfworte zu benutzen. Möglicherweise war V. letztmalig zu Silvester 2004/2005 in der Wohnung des Angeklagten, weil er mit T. feiern wollte. Als der Angeklagte ihm mitteilte, dass T. mit einem anderen Jungen verabredet sei, reagierte der Zeuge wohl aus Eifersucht überaus aufgebracht, so dass der Angeklagte ihn der Wohnung verwies.
7
Im April 2005 sah der Zeuge eine Nachmittags-Show, in der allgemein über Sex gesprochen wurde. Hierdurch fühlte er sich an die sexuellen Handlungen mit dem Angeklagten erinnert und fing an zu weinen. Zudem war er enttäuscht, weil er die ihm einige Zeit zuvor versprochene CD nicht erhalten hatte, die er sich seiner Meinung nach durch die letzten sexuellen Handlungen „verdient“ hatte. Als seine Mutter ihn nach dem Grund der Tränen fragte, berichtete V. von den Vorfällen mit dem Angeklagten.
8
Die 2. Beweiswürdigung des angefochtenen Urteils hält rechtlicher Prüfung nicht stand.
9
Angeklagte Der bestreitet die gegen ihn erhobenen Vorwürfe. Die Strafkammer stützt die Verurteilung im Wesentlichen auf die Angaben des zur Tatzeit 10-jährigen und im Zeitpunkt der Hauptverhandlung 13 Jahre alten Zeugen, deren Glaubhaftigkeit eine Sachverständige bestätigt hat. In einem Fall, in dem Aussage gegen Aussage steht und die Entscheidung allein davon abhängt, welchen Angaben das Gericht folgt, müssen die Urteilsgründe erkennen lassen, dass der Tatrichter alle Umstände, welche die Entscheidung beeinflussen können, erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat (st. Rspr. vgl. nur BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 1, 13 und 14). Dies gilt insbesondere dann, wenn der einzige Belastungszeuge in der Hauptverhandlung seine Vorwürfe ganz oder teilweise nicht mehr aufrechter- hält oder wenn der anfänglichen Schilderung weiterer Taten nicht gefolgt wird (vgl. BGHSt 44, 153, 159).
10
a) Ins Gewicht fällt hier zunächst, dass V. hinsichtlich einzelner Tatmodalitäten seine früheren Tatschilderungen in der Hauptverhandlung ganz erheblich abgeschwächt hat. So hat er im Ermittlungsverfahren angegeben , der Angeklagte habe ihm Schläge angedroht, wenn er die sexuellen Handlungen nicht dulde. In der Hauptverhandlung hat er konkrete Drohungen nicht mehr bekundet, sondern „ist darauf ausgewichen“, dass er „glaube“, dass der Angeklagte „irgendwas“ angedroht habe (UA S. 19). In ähnlicher Weise verhält es sich auch mit der Anzahl der sexuellen Übergriffe. Bei seiner polizeilichen Vernehmung hat er nach Aussage der Vernehmungsbeamtin von zwei Fällen des Oralverkehrs gesprochen, während er in der Hauptverhandlung erklärt hat, dass dies nur einmal vorgekommen sei. Auch im Hinblick auf seine Fluchtmöglichkeiten ist der Zeuge von seiner ursprünglichen Aussage im Ermittlungsverfahren, wonach die Wohnungstür immer abgeschlossen gewesen sei, abgewichen. In der Hauptverhandlung hat er hierzu bekundet, dass die Wohnungstür eigentlich nur nachts, wenn er dort übernachtet habe, abgeschlossen worden sei (UA S. 17).
11
Die dargelegten, möglicherweise auf das Alter des Zeugen zurückzuführenden Aussagedefizite stehen einer Wertung seiner Bekundungen als glaubhaft zwar nicht notwendig entgegen; sie bedingen jedoch eine sorgfältige Darlegung und Abgleichung dessen, was er bei seiner polizeilichen Vernehmung zu diesen Punkten im Einzelnen mitgeteilt hat. Dies gilt namentlich vor dem Hintergrund, dass das Landgericht das Verfahren wegen zehn weiterer Taten gemäß § 154 Abs. 2 StPO eingestellt hat. Den Grund für diese Teileinstellung teilt die Strafkammer nicht mit. Insoweit ist dem Urteil an anderer Stelle lediglich zu entnehmen, dass der Zeuge sich sicher nur an die festgestellten Fälle erinnere (UA S. 16). Gleichwohl könnten auch andere Gründe für die Einstellung eine Rolle gespielt haben, denen für die Frage der Glaubwürdigkeit des einzigen Belastungszeugen Bedeutung zukommen kann (vgl. BGHSt 44, 153, 160).
12
b) Des Weiteren verhält sich das Urteil nicht dazu, wann die letzte gravierende Tat stattgefunden hat. Nach der unwiderlegten Einlassung des Angeklagten hat er V. zuletzt Silvester 2004/2005 gesehen. Der Zeuge wiederum spricht von einem Tatzeitraum von Sommer 2004 bis Herbst 2004, „vielleicht auch später“. Das Landgericht legt den Feststellungen offensichtlich zugrunde, dass die letzte Tat am 28. März 2005 geschehen sein könnte. Eine genauere zeitliche Bestimmung, die ebenfalls durch einen Abgleich mit den polizeilichen Aussagen des Kindes und durch eine entsprechende Befragung von Zeugen, denen V. von den Vorfällen berichtet hatte, hätte erfolgen können, wäre für die Würdigung der Aussagegenese und -entwicklung von Bedeutung gewesen. Denn es kann einen Unterschied machen , ob sich der Zeuge nur wenige Tage nach der letzten Tat oder erst Monate später gegenüber seiner Mutter offenbart hat.
13
Das Gleiche gilt für die Frage, ob der Zeuge den Angeklagten zu Unrecht belastet haben könnte. Die Strafkammer geht davon aus, dass V. kein Motiv – insbesondere kein Rachemotiv – für eine Falschbelastung gehabt habe. Aus dem „Rausschmiss“ am Silvesterabend 2004/2005 könne ein solches Motiv nicht hergeleitet werden, weil der Angeklagte keine Reaktion auf diesen Vorfall beschrieben habe. Dies trifft so nicht zu. Der Junge hat nach der auch insoweit unwiderlegten Einlassung des Angeklagten wohl aus Eifersucht auf den neuen Freund von T. überaus aufgebracht reagiert. In diesem Zusammenhang hätte deshalb auch die Möglichkeit erörtert werden müssen, ob sich der Zeuge durch die insbesondere auch für die Kinder des Angeklagten äußerst belastenden und familiär einschneidenden Schuldvorwürfe gegen ihren Vater an T. wegen dessen „Treulosigkeit“ rächen wollte.
14
c) Schließlich hätte sich das Gericht, was den sachlichen Inhalt der Bekundungen des Zeugen betrifft, eingehender mit den äußeren Umständen des von V. geschilderten Oralverkehrs auseinandersetzen müssen. Es ist schon im Hinblick auf das hohe Entdeckungsrisiko schwer vorstellbar, dass der Angeklagte im Beisein seiner Kinder eine derartige Handlung begangen hat. Auch ist nicht ohne Weiteres nachvollziehbar, weshalb sich V. in diesem Fall der Tat nicht entzogen hat, was möglich gewesen wäre. Ob diese Umstände bei der Vernehmung des V. oder des ebenfalls als Zeugen vernommenen Sohnes des Angeklagten problematisiert worden sind, lässt sich den Urteilsgründen nicht entnehmen.
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