Bundesgerichtshof Beschluss, 12. Okt. 2010 - 3 StR 289/10

bei uns veröffentlicht am12.10.2010

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 289/10
vom
12. Oktober 2010
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung u.a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers
und des Generalbundesanwalts - zu 1. a) und 2. auf dessen Antrag - am

beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Osnabrück vom 13. April 2010 wird
a) das Verfahren eingestellt, soweit der Angeklagte im Fall II. 1. der Urteilsgründe wegen Erpressung verurteilt worden ist; im Umfang der Einstellung fallen die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten der Staatskasse zur Last;
b) das vorbezeichnete Urteil aa) im Fall II. 6. der Urteilsgründe im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte der Bedrohung schuldig ist und bb) mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben im Ausspruch über die Einzelstrafe im Fall II. 6. der Urteilsgründe sowie über die Gesamtfreiheitsstrafe und soweit die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt abgelehnt worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die verbleibenden Kosten des Rechtsmittels und die der Nebenklägerin dadurch entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Erpressung, gefährlicher Körperverletzung, Betruges in zwei Fällen, Bedrohung in zwei Fällen, in einem Fall in Tateinheit mit Nachstellung, Diebstahl in zwei Fällen, versuchten Diebstahls und versuchter Nötigung zur Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Hiergegen richtet sich die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt. Die nicht ausgeführte Formalrüge ist unzulässig (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO). Auf die Sachrüge hat das Rechtsmittel den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Der Senat hat das Verfahren im Fall II. 1. der Urteilsgründe auf Antrag des Generalbundesanwaltes gemäß § 154 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 StPO eingestellt.
3
2. Im Fall II. 6. der Urteilsgründe führt die Revision des Angeklagten auf die Sachrüge zur Änderung des Schuldspruchs. Das Landgericht hat den Angeklagten insoweit wegen Nachstellung in Tateinheit mit Bedrohung verurteilt.
Die Feststellungen belegen zwar das Vergehen der Bedrohung gemäß § 241 Abs. 1 StGB, nicht hingegen das der Nachstellung gemäß § 238 Abs. 1 StGB. Dabei kann offen bleiben, ob der Angeklagte seiner Freundin beharrlich im Sinne dieser Strafvorschrift nachgestellt hat. Jedenfalls führten die entsprechenden Handlungen des Angeklagten bei dem Opfer nicht zu einer schwerwiegenden Beeinträchtigung der Lebensgestaltung (BGH, Beschluss vom 19. November 2009 - 3 StR 244/09, BGHSt 54, 189). Das nachstellende Verhalten des Angeklagten hatte lediglich zur Folge, dass die Geschädigte auf die Telefonanrufe des Angeklagten teilweise zurückrief, um ihn zu beruhigen, ihm nach Aufforderung einmal in den frühen Morgenstunden Zigaretten vorbei brachte und sich anschließend selbst keine neuen Zigaretten besorgte, als sie den Angeklagten, der sie nach Verlassen des Hauses verfolgt hatte, in ihrer Nähe stehen sah. Danach ist insoweit schon der objektive Tatbestand der Nachstellung nicht erfüllt. Da weitergehende Feststellungen unter diesem Gesichtspunkt nicht zu erwarten sind, hat der Senat den Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte in diesem Fall (allein) der Bedrohung schuldig ist. Dies bedingt die Aufhebung der zugehörigen Einzelfreiheitsstrafe von sechs Monaten, da der Senat nicht ausschließen kann, dass das Landgericht bei zutreffender rechtlicher Würdigung aus dem milderen Strafrahmen des § 241 Abs. 1 StGB eine niedrigere Strafe festgesetzt hätte.
4
Der mit der Teileinstellung des Verfahrens im Fall II. 1. verbundene Wegfall der zugehörigen Einzelstrafe von sechs Monaten Freiheitsstrafe und die Aufhebung der Einzelstrafe im Fall II. 6. der Urteilsgründe hat die Aufhebung der Gesamtfreiheitsstrafe zur Folge.
5
3. Auch die Ablehnung der Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
6
Nach Ansicht des Landgerichts kam die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten nicht in Betracht, weil dieser die festgestellten Taten nicht aufgrund seiner Polytoxikomanie begangen habe, sondern bei ihm - nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen - die diagnostizierte Persönlichkeitsstörung als Ursache für die von ihm begangenen Straftaten anzusehen sei, so dass einer Unterbringung einerseits keinerlei Aussicht auf Erfolg habe und andererseits nicht geeignet sei, weitere Straftaten des Angeklagten zu verhindern.
7
Die Annahme des Landgerichts, die Straftaten des Angeklagten seien (allein) auf dessen dissoziale Persönlichkeit zurückzuführen, lässt einen wesentlichen Teil der getroffenen Feststellungen außer Betracht. Danach verwendete der Angeklagte das von ihm durch seine Vermögensstraftaten erlangte Geld auch zum Erwerb von Kokain. Schon dies erfordert eine nähere Prüfung, ob es sich bei den fraglichen Taten um Beschaffungskriminalität handelt, die auf die Polytoxikomanie des Angeklagten zurückzuführen ist und daher auf dessen Hang zu übermäßigem Drogenkonsum beruht (vgl. Fischer, StGB, 57. Aufl., § 64 Rn. 13 mwN). Entgegen der Ansicht des Landgerichts setzt der insoweit erforderliche symptomatische Zusammenhang zwischen den Straftaten des Angeklagten und seinem Hang zum übermäßigen Konsum von Drogen nicht voraus, dass der Angeklagte bei Begehung der Vermögensdelikte bereits unter Entzugserscheinungen litt und daher dringend auf Geld zur Beschaffung von Betäubungsmitteln angewiesen war. Ebenso wenig schließt es den symptomatischen Zusammenhang ohne weiteres aus, dass der Angeklagte auf Kokain verzichten konnte, wenn es ihm nicht gelang, sich das erforderliche Geld zu beschaffen.
8
Die Urteilsgründe lassen darüber hinaus besorgen, das Landgericht könnte verkannt haben, dass die Voraussetzungen des § 64 StGB nicht schon deshalb verneint werden können, weil außer dem Rauschmittelmissbrauch noch weitere Störungen eine Disposition für die Begehung von Straftaten begründen. Namentlich steht ein Zusammentreffen von Rauschmittelabhängigkeit mit Persönlichkeitsstörungen der Anordnung nach § 64 StGB nicht von vornherein entgegen (vgl. Fischer, aaO, Rn. 12 mwN). Danach besteht auch für die Verneinung der Erfolgsaussicht einer Entziehungsunterbringung und die durch das Landgericht getroffene negative Gefahrprognose keine ausreichend tragfähige Grundlage.
Becker Pfister Hubert Schäfer Mayer

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(1) Die Staatsanwaltschaft kann von der Verfolgung einer Tat absehen, 1. wenn die Strafe oder die Maßregel der Besserung und Sicherung, zu der die Verfolgung führen kann, neben einer Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung, die gegen den Bes

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Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb

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(1) Wer einen Menschen mit der Begehung einer gegen ihn oder eine ihm nahestehende Person gerichteten rechtswidrigen Tat gegen die sexuelle Selbstbestimmung, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder gegen eine Sache von bedeutend

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(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer einer anderen Person in einer Weise unbefugt nachstellt, die geeignet ist, deren Lebensgestaltung nicht unerheblich zu beeinträchtigen, indem er wiederholt 1. die räuml

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Bundesgerichtshof Beschluss, 19. Nov. 2009 - 3 StR 244/09

bei uns veröffentlicht am 19.11.2009

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 3 StR 244/09 vom 19. November 2009 Nachschlagewerk: ja BGHSt: ja Veröffentlichung: ja ___________________________________ StGB § 238 Abs. 1 1. Beharrliches Handeln im Sinne des § 238 setzt wiederholtes Tätigwerden v

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(1) Die Staatsanwaltschaft kann von der Verfolgung einer Tat absehen,

1.
wenn die Strafe oder die Maßregel der Besserung und Sicherung, zu der die Verfolgung führen kann, neben einer Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung, die gegen den Beschuldigten wegen einer anderen Tat rechtskräftig verhängt worden ist oder die er wegen einer anderen Tat zu erwarten hat, nicht beträchtlich ins Gewicht fällt oder
2.
darüber hinaus, wenn ein Urteil wegen dieser Tat in angemessener Frist nicht zu erwarten ist und wenn eine Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung, die gegen den Beschuldigten rechtskräftig verhängt worden ist oder die er wegen einer anderen Tat zu erwarten hat, zur Einwirkung auf den Täter und zur Verteidigung der Rechtsordnung ausreichend erscheint.

(2) Ist die öffentliche Klage bereits erhoben, so kann das Gericht auf Antrag der Staatsanwaltschaft das Verfahren in jeder Lage vorläufig einstellen.

(3) Ist das Verfahren mit Rücksicht auf eine wegen einer anderen Tat bereits rechtskräftig erkannten Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung vorläufig eingestellt worden, so kann es, falls nicht inzwischen Verjährung eingetreten ist, wieder aufgenommen werden, wenn die rechtskräftig erkannte Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung nachträglich wegfällt.

(4) Ist das Verfahren mit Rücksicht auf eine wegen einer anderen Tat zu erwartende Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung vorläufig eingestellt worden, so kann es, falls nicht inzwischen Verjährung eingetreten ist, binnen drei Monaten nach Rechtskraft des wegen der anderen Tat ergehenden Urteils wieder aufgenommen werden.

(5) Hat das Gericht das Verfahren vorläufig eingestellt, so bedarf es zur Wiederaufnahme eines Gerichtsbeschlusses.

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

(1) Der Beschwerdeführer hat die Erklärung abzugeben, inwieweit er das Urteil anfechte und dessen Aufhebung beantrage (Revisionsanträge), und die Anträge zu begründen.

(2) Aus der Begründung muß hervorgehen, ob das Urteil wegen Verletzung einer Rechtsnorm über das Verfahren oder wegen Verletzung einer anderen Rechtsnorm angefochten wird. Ersterenfalls müssen die den Mangel enthaltenden Tatsachen angegeben werden.

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

(1) Die Staatsanwaltschaft kann von der Verfolgung einer Tat absehen,

1.
wenn die Strafe oder die Maßregel der Besserung und Sicherung, zu der die Verfolgung führen kann, neben einer Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung, die gegen den Beschuldigten wegen einer anderen Tat rechtskräftig verhängt worden ist oder die er wegen einer anderen Tat zu erwarten hat, nicht beträchtlich ins Gewicht fällt oder
2.
darüber hinaus, wenn ein Urteil wegen dieser Tat in angemessener Frist nicht zu erwarten ist und wenn eine Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung, die gegen den Beschuldigten rechtskräftig verhängt worden ist oder die er wegen einer anderen Tat zu erwarten hat, zur Einwirkung auf den Täter und zur Verteidigung der Rechtsordnung ausreichend erscheint.

(2) Ist die öffentliche Klage bereits erhoben, so kann das Gericht auf Antrag der Staatsanwaltschaft das Verfahren in jeder Lage vorläufig einstellen.

(3) Ist das Verfahren mit Rücksicht auf eine wegen einer anderen Tat bereits rechtskräftig erkannten Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung vorläufig eingestellt worden, so kann es, falls nicht inzwischen Verjährung eingetreten ist, wieder aufgenommen werden, wenn die rechtskräftig erkannte Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung nachträglich wegfällt.

(4) Ist das Verfahren mit Rücksicht auf eine wegen einer anderen Tat zu erwartende Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung vorläufig eingestellt worden, so kann es, falls nicht inzwischen Verjährung eingetreten ist, binnen drei Monaten nach Rechtskraft des wegen der anderen Tat ergehenden Urteils wieder aufgenommen werden.

(5) Hat das Gericht das Verfahren vorläufig eingestellt, so bedarf es zur Wiederaufnahme eines Gerichtsbeschlusses.

(1) Wer einen Menschen mit der Begehung einer gegen ihn oder eine ihm nahestehende Person gerichteten rechtswidrigen Tat gegen die sexuelle Selbstbestimmung, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder gegen eine Sache von bedeutendem Wert bedroht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Wer einen Menschen mit der Begehung eines gegen ihn oder eine ihm nahestehende Person gerichteten Verbrechens bedroht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(3) Ebenso wird bestraft, wer wider besseres Wissen einem Menschen vortäuscht, daß die Verwirklichung eines gegen ihn oder eine ihm nahestehende Person gerichteten Verbrechens bevorstehe.

(4) Wird die Tat öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten eines Inhalts (§ 11 Absatz 3) begangen, ist in den Fällen des Absatzes 1 auf Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder auf Geldstrafe und in den Fällen der Absätze 2 und 3 auf Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder auf Geldstrafe zu erkennen.

(5) Die für die angedrohte Tat geltenden Vorschriften über den Strafantrag sind entsprechend anzuwenden.

(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer einer anderen Person in einer Weise unbefugt nachstellt, die geeignet ist, deren Lebensgestaltung nicht unerheblich zu beeinträchtigen, indem er wiederholt

1.
die räumliche Nähe dieser Person aufsucht,
2.
unter Verwendung von Telekommunikationsmitteln oder sonstigen Mitteln der Kommunikation oder über Dritte Kontakt zu dieser Person herzustellen versucht,
3.
unter missbräuchlicher Verwendung von personenbezogenen Daten dieser Person
a)
Bestellungen von Waren oder Dienstleistungen für sie aufgibt oder
b)
Dritte veranlasst, Kontakt mit ihr aufzunehmen,
4.
diese Person mit der Verletzung von Leben, körperlicher Unversehrtheit, Gesundheit oder Freiheit ihrer selbst, eines ihrer Angehörigen oder einer anderen ihr nahestehenden Person bedroht,
5.
zulasten dieser Person, eines ihrer Angehörigen oder einer anderen ihr nahestehenden Person eine Tat nach § 202a, § 202b oder § 202c begeht,
6.
eine Abbildung dieser Person, eines ihrer Angehörigen oder einer anderen ihr nahestehenden Person verbreitet oder der Öffentlichkeit zugänglich macht,
7.
einen Inhalt (§ 11 Absatz 3), der geeignet ist, diese Person verächtlich zu machen oder in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen, unter Vortäuschung der Urheberschaft der Person verbreitet oder der Öffentlichkeit zugänglich macht oder
8.
eine mit den Nummern 1 bis 7 vergleichbare Handlung vornimmt.

(2) In besonders schweren Fällen des Absatzes 1 Nummer 1 bis 7 wird die Nachstellung mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter

1.
durch die Tat eine Gesundheitsschädigung des Opfers, eines Angehörigen des Opfers oder einer anderen dem Opfer nahestehenden Person verursacht,
2.
das Opfer, einen Angehörigen des Opfers oder eine andere dem Opfer nahestehende Person durch die Tat in die Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung bringt,
3.
dem Opfer durch eine Vielzahl von Tathandlungen über einen Zeitraum von mindestens sechs Monaten nachstellt,
4.
bei einer Tathandlung nach Absatz 1 Nummer 5 ein Computerprogramm einsetzt, dessen Zweck das digitale Ausspähen anderer Personen ist,
5.
eine durch eine Tathandlung nach Absatz 1 Nummer 5 erlangte Abbildung bei einer Tathandlung nach Absatz 1 Nummer 6 verwendet,
6.
einen durch eine Tathandlung nach Absatz 1 Nummer 5 erlangten Inhalt (§ 11 Absatz 3) bei einer Tathandlung nach Absatz 1 Nummer 7 verwendet oder
7.
über einundzwanzig Jahre ist und das Opfer unter sechzehn Jahre ist.

(3) Verursacht der Täter durch die Tat den Tod des Opfers, eines Angehörigen des Opfers oder einer anderen dem Opfer nahestehenden Person, so ist die Strafe Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 244/09
vom
19. November 2009
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja
Veröffentlichung: ja
___________________________________
1. Beharrliches Handeln im Sinne des § 238 setzt wiederholtes Tätigwerden
voraus. Darüber hinaus ist erforderlich, dass der Täter aus Missachtung
des entgegenstehenden Willens oder aus Gleichgültigkeit gegenüber den
Wünschen des Opfers in der Absicht handelt, sich auch in Zukunft entsprechend
zu verhalten. Eine in jedem Einzelfall Gültigkeit beanspruchende
, zur Begründung der Beharrlichkeit erforderliche
(Mindest-) Anzahl von Angriffen des Täters kann nicht festgelegt werden.
2. Die Lebensgestaltung des Opfers wird schwerwiegend beeinträchtigt,
wenn es zu einem Verhalten veranlasst wird, das es ohne Zutun des Täters
nicht gezeigt hätte und das zu gravierenden, ernst zu nehmenden
Folgen führt, die über durchschnittliche, regelmäßig hinzunehmende Beeinträchtigungen
der Lebensgestaltung erheblich und objektivierbar hinausgehen.
3. § 238 StGB ist kein Dauerdelikt. Einzelne Handlungen des Täters, die
erst in ihrer Gesamtheit zu der erforderlichen Beeinträchtigung des Opfers
führen, werden jedoch zu einer tatbestandlichen Handlungseinheit
zusammengefasst, wenn sie einen ausreichenden räumlichen und zeitlichen
Zusammenhang aufweisen und von einem fortbestehenden einheitlichen
Willen des Täters getragen sind.
BGH, Beschluss vom 19. November 2009 - 3 StR 244/09 - LG Lüneburg
in der Strafsache
gegen
wegen schweren Raubes u. a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers
und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf dessen Antrag - am 19. November
2009 gemäß § 349 Abs. 2 und 4, § 354 Abs. 1 StPO einstimmig beschlossen
:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Lüneburg vom 16. Februar 2009 im Schuldspruch dahin
geändert, dass der Angeklagte des schweren Raubes in Tateinheit
mit gefährlicher Körperverletzung, der gefährlichen Körperverletzung
, der Nötigung, des Raubes in Tateinheit mit räuberischer
Erpressung und sexueller Nötigung, des Widerstands
gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit Beleidigung in
zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Bedrohung,
der Sachbeschädigung in vier rechtlich zusammentreffenden
Fällen sowie der Nachstellung in Tateinheit mit Bedrohung in
fünf und Beleidigung in zwei jeweils rechtlich zusammentreffenden
Fällen schuldig ist.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
3. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, wegen gefährlicher Körperverletzung, wegen Nötigung, wegen Raubes in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung , räuberischer Erpressung und sexueller Nötigung, wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit Beleidigung in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Bedrohung, wegen Sachbeschädigung in vier rechtlich zusammentreffenden Fällen und wegen Nachstellung in Tateinheit mit Bedrohung in fünf Fällen, davon in zwei Fällen in Tateinheit mit Beleidigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Mit seiner hiergegen gerichteten Revision beanstandet der Angeklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das Rechtsmittel führt auf die Sachrüge zu der aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Änderung des Schuldspruchs ; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
Der Erörterung bedarf lediglich Folgendes:
3
I. Im Fall II. 1. der Urteilsgründe ist der Angeklagte nur des Raubes in Tateinheit mit räuberischer Erpressung und sexueller Nötigung schuldig. Die Verurteilung wegen tateinheitlich begangener vorsätzlicher Körperverletzung muss entfallen, weil insoweit Strafverfolgungsverjährung eingetreten ist. Die Verjährungsfrist für Straftaten nach § 223 Abs. 1 StGB beträgt fünf Jahre (§ 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB). Die Tat wurde am 29. September 2002 begangen. Die Verjährung wurde unterbrochen durch die erste Vernehmung des Angeklagten am 31. März 2003 (§ 78 c Abs. 1 Nr. 1 StGB). Die nächste, zur Unterbrechung der Verjährung geeignete Handlung war die Erhebung der öffentlichen Klage (§ 78 c Abs. 1 Nr. 6 StGB) am 18. November 2008. Zu diesem Zeitpunkt war die Verjährungsfrist aber bereits abgelaufen. Dass der Vorwurf der vorsätzli- chen Körperverletzung mit weiteren Delikten in Tateinheit steht, ist ohne Bedeutung ; denn die Verjährung bestimmt sich bei tateinheitlichem Zusammentreffen für jede Gesetzesverletzung gesondert (Fischer, StGB 56. Aufl. § 78 a Rdn. 5 m. w. N.).
4
II. Die Wertung des Landgerichts, der Angeklagte habe in den Fällen II. ., 3., 7., 8. und 9. der Urteilsgründe fünf materiellrechtlich selbstständige, zueinander im Verhältnis der Tatmehrheit stehende Nachstellungen begangen und sich deshalb wegen Nachstellung in Tateinheit mit Bedrohung in fünf Fällen, davon in zwei Fällen in Tateinheit mit Beleidigung (§ 238 Abs. 1, § 241 Abs. 1, § 185 Abs. 1, §§ 52, 53 StGB) strafbar gemacht, hält sachlichrechtlicher Nachprüfung nicht stand. Der Angeklagte ist vielmehr insoweit auf der Grundlage der rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen der Nachstellung in Tateinheit mit Bedrohung in fünf und Beleidigung in zwei jeweils rechtlich zusammentreffenden Fällen schuldig.
5
1. Die Strafkammer hat Folgendes festgestellt:
6
Der Angeklagte lernte im April 2006 die Zeugin L. kennen und führte mit dieser bis Ende 2007 eine Beziehung. Nach der Trennung kam es wiederholt zu Auseinandersetzungen, da der Angeklagte die Trennung nicht akzeptieren wollte. Die Zeugin L. erwirkte am 7. Januar 2008 eine einstweilige Verfügung nach dem Gewaltschutzgesetz gegen den Angeklagten; danach wurde diesem untersagt, Kontakt zu der Zeugin aufzunehmen und sich ihr in einem Umkreis von 100 Metern zu nähern. Am 16. Juli 2008 fand eine mündliche Verhandlung vor dem Amtsgericht über einen Antrag der Zeugin auf Verhängung von Ordnungsmitteln gegen den Angeklagten statt; bei dieser Gelegenheit schlossen der Angeklagte und die Zeugin einen Vergleich, der inhaltlich der einstweiligen Verfügung entsprach. Zuvor belästigte der Angeklagte die Zeugin in Kenntnis der einstweiligen Verfügung und ihres Willens, keinen Kontakt mehr zu ihm zu halten, wobei es zu folgenden einzelnen Vorfällen kam:
7
Am 29. März 2008 klingelte er an der Tür des Mehrfamilienhauses, in dem sich die Wohnung der Zeugin befand. Die Zeugin öffnete das Badezimmerfenster und forderte den Angeklagten auf zu verschwinden. Dieser kündigte jedoch an, bis zum nächsten Morgen zu warten, um zu sehen, wer aus dem Haus komme; außerdem bedrohte er die Zeugin mit dem Tode und beschimpfte sie als "Nutte" und "Hure".
8
Am Mittag des 24. April 2008 rief der Angeklagte die Zeugin mehrfach an und erklärte, er werde sie nicht in Ruhe lassen. Am Nachmittag desselben Tages fing er sie auf dem Rückweg von ihrer Arbeit ab, beobachtete in der Folgezeit ihre Wohnung mit einem Fernglas und drohte der Zeugin telefonisch und durch lautes Rufen, er werde ihr ein Messer in den Hals stecken, sie abstechen und umbringen; außerdem bezeichnete er sie als Schlampe.
9
Am 13. Mai 2008 rief der Angeklagte die Zeugin erneut mehrfach an, klingelte an ihrer Haustür und rief, er wolle wissen, was in der Wohnung vor sich gehe. Nachdem die Zeugin ihn aufgefordert hatte zu gehen, drohte er, er könne die Wohnungstür schneller einschlagen und die Zeugin abstechen, als die Polizei erscheinen werde.
10
Am 20. Mai 2008 rief der Angeklagte die Zeugin an und sagte, er werde an diesem Tage ihre Wohnungstür einschlagen und sie umbringen; wenn er sie auf der Straße sehen sollte, haue er ihr "die Backen blau".
11
Am 3. Juli 2008 gegen 4.00 Uhr morgens erhielt die Zeugin einen Anruf von dem Angeklagten, in dem dieser ihr mitteilte, dass der Gerichtstermin am 16. Juli 2008 kein schöner Tag für sie werde; alle wüssten, dass er sie kaputtschlagen und umbringen werde.
12
Die Zeugin nahm die Drohungen des Angeklagten ernst und hatte Angst um ihr Leben. Aufgrund des Verhaltens des Angeklagten gab sie erhebliche Teile ihrer Freizeitaktivitäten auf. So verließ sie etwa aus Angst vor diesem abends wenn möglich nicht mehr ihre Wohnung und öffnete aus Furcht die Haustür nicht mehr. In der Wohnung schaltete sie abends kein Licht mehr an, um dem Angeklagten vorzutäuschen, nicht zu Hause zu sein. Sie verließ auch tagsüber ihre Wohnung und ihre Arbeitsstätte nur nach besonderen Sicherheitsvorkehrungen und bemühte sich, sich nicht allein auf der Straße aufzuhalten. Aufgrund ihrer Angst und der damit verbundenen Einschränkungen verlor sie erheblich an Gewicht.
13
2. Diese Feststellungen belegen nur eine Nachstellung nach § 238 Abs. 1 StGB. Dieses Delikt verklammert die an sich rechtlich selbstständigen Delikte der Bedrohung und Beleidigung zu einer insgesamt einheitlichen Tat im materiellrechtlichen Sinn. Im Einzelnen:
14
a) § 238 StGB ist durch das 40. Strafrechtsänderungsgesetz vom 22. März 2007 (BGBl I 354) in das Strafgesetzbuch eingefügt worden. Nach dem Willen des Gesetzgebers sollten mit der Norm beharrliche Nachstellungen, die einschneidend in das Leben des Opfers eingreifen und unter dem englischen Begriff "Stalking" diskutiert werden, über die bereits bestehenden und in Betracht kommenden Straftatbestände - wie etwa der Nötigung (§ 240 StGB), Bedrohung (§ 241 StGB), Beleidigung (§ 185 StGB) oder des Zuwiderhandelns gegen eine Anordnung nach dem Gewaltschutzgesetz (§ 4 GewSchG) - hinaus mittels eines weiteren Straftatbestandes verfolgt werden können, um auf diese Weise einen besseren Opferschutz zu erreichen und Strafbarkeitslücken zu schließen (BTDrucks. 16/575 S. 1; Buettner ZRP 2008, 124; zur vorherigen Rechtslage vgl. Valerius JuS 2007, 319, 320; s. auch Kinzig ZRP 2006, 255, 256 mit Ausführungen zu Regelungen in den USA, den Niederlanden und Österreich). Der neue Straftatbestand dient damit dem Schutz der eigenen Lebensführung vor gezielten, hartnäckigen und schwerwiegenden Belästigungen der Lebensgestaltung (Mosbacher NStZ 2007, 665).
15
b) Tathandlung des § 238 Abs. 1 StGB ist das unbefugte Nachstellen durch beharrliche unmittelbare und mittelbare Annäherungshandlungen an das Opfer und näher bestimmte Drohungen im Sinne des § 238 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 StGB.
16
aa) Der u. a. in § 292 Abs. 1 Nr. 1, § 329 Abs. 3 Nr. 6 StGB verwendete Begriff des Nachstellens erfasst das Anschleichen, Heranpirschen, Auflauern, Aufsuchen, Verfolgen, Anlocken, Fallen stellen und das Treibenlassen durch Dritte (Kinzig/Zander JA 2007, 481, 483; Valerius aaO S. 321). Im Kontext des § 238 StGB umschreibt der Begriff im Grundsatz damit zwar alle Handlungen, die darauf ausgerichtet sind, durch unmittelbare oder mittelbare Annäherungen an das Opfer in dessen persönlichen Lebensbereich einzugreifen und dadurch seine Handlungs- und Entschließungsfreiheit zu beeinträchtigen (BTDrucks. 16/575 S. 7; Wolters in SK-StGB § 238 Rdn. 7). Jedoch sind in § 238 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 StGB die Handlungsformen abschließend beschrieben, auf die sich die Pönalisierung erstreckt. Während allerdings § 238 Abs. 1 StGB in seinen Nr. 1 bis 4 näher konkretisierte Tatvarianten umschreibt, öffnet § 238 Abs. 1 Nr. 5 StGB das Spektrum möglicher Tathandlungen in kaum überschaubarer Weise, indem er ohne nähere Eingrenzungen jegliches Tätigwerden in die Strafbarkeit einbezieht, das den von § 238 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 StGB erfassten Handlungen "vergleichbar" ist. Ob Letzteres im Hinblick auf das verfassungsrechtliche Be- stimmtheitsgebot Bedenken begegnen könnte, bedarf hier indes keiner näheren Betrachtung.
17
§ 238 Abs. 1 Nr. 1 StGB soll physische Annäherungen an das Opfer wie das Auflauern, Verfolgen, Vor-dem-Haus-Stehen und sonstige häufige Präsenz in der Nähe der Wohnung oder Arbeitsstelle des Opfers erfassen. Erforderlich ist ein gezieltes Aufsuchen der räumlichen Nähe zum Opfer (BTDrucks. 16/575 S. 7; Lackner/Kühl, StGB 26. Aufl. § 238 Rdn. 4; Wolters aaO Rdn. 10; Mitsch NJW 2007, 1237, 1238; Valerius aaO S. 321). § 238 Abs. 1 Nr. 2 StGB erfasst Nachstellungen durch unerwünschte Anrufe, E-Mails, SMS, Briefe, schriftliche Botschaften an der Windschutzscheibe oder Ähnliches und mittelbare Kontaktaufnahmen über Dritte (BTDrucks. 16/575 S. 7; Wolters aaO Rdn. 11; Mitsch aaO S. 1239).
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Danach erfüllen die Handlungen des Angeklagten die Voraussetzungen des Nachstellens in den Tatvarianten des § 238 Abs. 1 Nr. 1 und 2 StGB. Bei dem Vorfall am 29. März 2008 suchte der Angeklagte die räumliche Nähe der Zeugin auf, indem er an ihrer Wohnung klingelte und mit der Zeugin durch ein geöffnetes Fenster kommunizierte; somit liegen die Voraussetzungen des § 238 Abs. 1 Nr. 1 StGB vor. Das Vorgehen des Angeklagten am 24. April und 13. Mai 2008 erfüllt jeweils die Voraussetzungen des § 238 Abs. 1 Nr. 1 und 2 StGB, da der Angeklagte sowohl die räumliche Nähe der Zeugin aufsuchte als auch unter Verwendung von Telekommunikationsmitteln Kontakt zu dieser herstellte. § 238 Abs. 1 Nr. 2 StGB erfasst trotz seines insoweit missverständlichen Wortlauts neben dem bloßen Versuch auch das erfolgreiche Herstellen einer kommunikativen Verbindung zwischen Täter und Opfer (Fischer aaO § 238 Rdn. 14). Durch die Handlungen des Angeklagten am 20. Mai und 3. Juli 2008 sind schließlich ebenfalls die Voraussetzungen des § 238 Abs. 1 Nr. 2 StGB gegeben.
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bb) Auch das tatbestandlich vorausgesetzte beharrliche Handeln des Täters ist hier gegeben.
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Der Begriff "beharrlich" wird auch an anderer Stelle im StGB verwendet (§ 56 f Abs. 1 Nr. 2 und 3, § 67 g Abs. 1 Nr. 2 und 3, § 70 b Abs. 1 Nr. 2 und 3, § 184 e StGB) und dort regelmäßig als wiederholtes Handeln oder andauerndes Verhalten interpretiert, das eine Missachtung des Verbots oder Gleichgültigkeit des Täters erkennen lässt (Fischer aaO § 184 e Rdn. 5; Valerius aaO S. 322; vgl. auch BGHSt 23, 167, 172 f.). In § 238 Abs. 1 StGB dient das Merkmal einerseits dazu, den Tatbestand einzuschränken; andererseits soll es die Deliktstypik des "Stalking" zum Ausdruck bringen und einzelne, für sich genommen vom Gesetzgeber als sozialadäquat angesehene Handlungen (BTDrucks. 16/575 S. 7) von unerwünschtem "Stalking" abgrenzen (Kinzig/Zander aaO S. 484; insoweit kritisch Mitsch aaO S. 1240). Dem Begriff der Beharrlichkeit im Sinne des § 238 StGB wohnen objektive Momente der Zeit sowie subjektive und normative Elemente der Uneinsichtigkeit und Rechtsfeindlichkeit inne (Fischer aaO § 238 Rdn. 19; Wolters aaO Rdn. 15); er ist nicht bereits bei bloßer Wiederholung erfüllt. Vielmehr bezeichnet das Tatbestandsmerkmal eine in der Tatbegehung zum Ausdruck kommende besondere Hartnäckigkeit und eine gesteigerte Gleichgültigkeit des Täters gegenüber dem gesetzlichen Verbot, die zugleich die Gefahr weiterer Begehung indiziert. Eine wiederholte Begehung ist danach zwar immer Voraussetzung, genügt aber für sich allein nicht (Lackner/Kühl aaO Rdn. 3; Gazeas JR 2007, 497, 502). Erforderlich ist vielmehr , dass aus Missachtung des entgegenstehenden Willens oder aus Gleichgültigkeit gegenüber den Wünschen des Opfers mit der Absicht gehandelt wird, sich auch in Zukunft immer wieder entsprechend zu verhalten. Der Beharrlichkeit ist immanent, dass der Täter uneinsichtig auf seinem Standpunkt besteht und zäh an seinem Entschluss festhält, obwohl ihm die entge- genstehenden Interessen des Opfers bekannt sind. Die erforderliche ablehnende Haltung und gesteigerte Gleichgültigkeit gegenüber dem gesetzlichen Verbot manifestieren sich darin, dass der Täter den vom Opfer ausdrücklich oder schlüssig geäußerten entgegenstehenden Willen bewusst übergeht (vgl. Wolters aaO). Die Beharrlichkeit ergibt sich aus einer Gesamtwürdigung der verschiedenen Handlungen, bei der insbesonder e auch der zeitliche Abstand zwischen den Angriffen und deren innerer Zusammenhang von Bedeutung sind (BTDrucks. 16/575 S. 7; Valerius aaO S. 322; kritisch Mosbacher aaO S. 666; Neubacher/Seher JZ 2007, 1029, 1032).
21
Die danach erforderliche Gesamtwürdigung des Verhaltens des Angeklagten ergibt, dass dieser in dem dargelegten Sinne beharrlich handelte. Das Landgericht hat Vorfälle an insgesamt fünf Tagen festgestellt, wobei es an einzelnen Tagen zu mehreren gesonderten Nachstellungshandlungen des Angeklagten kam. Zwar liegen zwischen einzelnen Übergriffen des Angeklagten teilweise auch größere zeitliche Abstände von bis zu etwa sechs Wochen. Jedoch belästigte der Angeklagte die Zeugin über einen langen Zeitraum von insgesamt mehr als drei Monaten und an manchen Tagen mit besonderer Nachdrücklichkeit. Dabei war ihm jederzeit bewusst, dass die Zeugin, die u. a. eine einstweilige Verfügung gegen ihn erwirkt hatte, keinen Kontakt mehr zu ihm wünschte. Sein Verhalten war gleichwohl von dem fortwährenden, hartnäckigen Bestreben gekennzeichnet, die Zeugin zu drangsalieren. Auch die Intensität der Beeinträchtigungen der Zeugin durch das Vorgehen des Angeklagten ist als erheblich anzusehen; so belästigte der Angeklagte etwa sein Opfer auch während der Nacht und verwirklichte durch die ausgesprochenen massiven Drohungen und Beleidigungen jeweils mindestens einen weiteren Straftatbestand. Unerheblich ist, dass die Handlungen des Angeklagten zwar im Wesentlichen gleichartig abliefen, sich jedoch im Detail unterschieden und verschiedene Alternativen des § 238 Abs. 1 StGB erfüllten. Denn die potentiell bedrohlichen Handlungen sind in ihrer Gesamtheit zu berücksichtigen, ohne dass es erforderlich ist, dass dieselbe Handlung wiederholt vorgenommen wird (Fischer aaO Rdn. 20; Kinzig /Zander aaO S. 484; Valerius aaO S. 322).
22
c) Der Tatbestand ist vom Gesetzgeber als Erfolgsdelikt ausgestaltet worden (vgl. BTDrucks. 16/3641 S. 14; Wolters aaO Rdn. 2; Mosbacher aaO S. 667; Neubacher/Seher aaO S. 1030); die Tathandlung muss zu einer schwerwiegenden Beeinträchtigung der Lebensgestaltung des Opfers führen. Der Begriff der Lebensgestaltung umfasst ganz allgemein die Freiheit der menschlichen Entschlüsse und Handlungen (BTDrucks. 16/575 S. 7; Wolters aaO Rdn. 4). Sie wird beeinträchtigt, wenn das Opfer durch die Handlung des Täters veranlasst wird, ein Verhalten an den Tag zu legen, das es ohne Zutun des Täters nicht gezeigt hätte; stets festzustellen ist demnach eine erzwungene Veränderung der Lebensumstände (BTDrucks. 16/575 S. 8; Wolters aaO Rdn. 5). Dieses weite Tatbestandsmerkmal erfährt nach dem Wortlaut des Gesetzes eine Einschränkung dahin, dass die Beeinträchtigung schwerwiegend sein muss. Erfasst werden damit im konkreten Kontext ins Gewicht fallende, gravierende und ernst zu nehmende Folgen, die über durchschnittliche, regelmäßig hinzunehmende und zumutbare Modifikationen der Lebensgestaltung erheblich und objektivierbar hinausgehen (BTDrucks. 16/3641 S. 14; OLG Hamm NStZ-RR 2009, 175; Wolters aaO Rdn. 3; Mosbacher aaO; kritisch Mitsch aaO S. 1240). Nicht ausreichend sind daher weniger gewichtige Maßnahmen der Eigenvorsorge, wie beispielsweise die Benutzung eines Anrufbeantworters und die Einrichtung einer so genannten Fangschaltung zum Zwecke der Beweissicherung. Weitergehende Schutzvorkehrungen des Opfers, wie etwa das Verlassen der Wohnung nur noch in Begleitung Dritter, ein Wechsel des Arbeitsplatzes oder der Wohnung und das Verdunkeln der Fenster der Woh- nung sind dagegen als schwerwiegend anzusehen (BTDrucks. 16/575 S. 8; OLG Hamm aaO; Lackner/Kühl aaO Rdn. 2; Wolters aaO Rdn. 6). Danach schützt der Tatbestand weder Überängstliche noch besonders Hartgesottene, die sich durch das Nachstellen nicht beeindrucken lassen (vgl. Wolters aaO Rdn. 2; Mitsch aaO; Mosbacher aaO).
23
Nach diesen Maßstäben ist mit Blick auf die festgestellten objektivierbaren Einschränkungen der Lebensführung, welche die Belästigungen des Angeklagten bei der Zeugin hervorriefen, der erforderliche Taterfolg gegeben. Den Feststellungen lässt sich allerdings nicht entnehmen, dass dieser Erfolg bereits durch einzelne Handlungen des Angeklagten verursacht wurde; vielmehr führte erst das Zusammenwirken aller Angriffe zu den Beeinträchtigungen der Lebensgestaltung der Zeugin.
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d) Vor diesem Hintergrund ist das Verhalten des Angeklagten als einheitliche Nachstellung zu bewerten. § 238 Abs. 1 StGB stellt zwar kein Dauerdelikt dar; die verschiedenen Angriffe des Angeklagten, mit denen der zur Vollendung des Delikts erforderliche Erfolg nur einmal herbeigeführt wurde, bilden jedoch eine tatbestandliche Handlungseinheit (im Ergebnis für das Vorliegen nur einer Tat auch Lackner/Kühl aaO Rdn. 12; Wolters aaO Rdn. 24; Mosbacher aaO S. 669; Valerius aaO S. 323).
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aa) Bereits der Umstand, dass die Tathandlung des § 238 Abs. 1 StGB ein beharrliches Nachstellen voraussetzt, spricht dagegen, die einzelnen Angriffe des Angeklagten als materiellrechtlich selbstständige Taten im Sinne des § 53 StGB zu werten; denn dem Begriff des Nachstellens ist ein gewisses Maß an Dauerhaftigkeit immanent (Fischer aaO Rdn. 9). Mit dem zusätzlichen Erfordernis der Beharrlichkeit wollte der Gesetzgeber den spezifischen Unrechtsgehalt der fortwährend stattfindenden Verfolgung erfassen, deren Strafbarkeit das Regelungsziel des § 238 StGB war (BTDrucks.16/575 S. 6). Wenn damit auch eine Anknüpfung an eine bloße Wiederholung der das Opfer beeinträchtigenden Handlung nicht beabsichtigt war, so vermag doch ein einmaliger Angriff des Täters das Merkmal der Beharrlichkeit von vorneherein nicht zu erfüllen. Objektive Voraussetzung ist vielmehr ein wiederholtes, d. h. mindestens zweifaches Nachstellen im Sinne des § 238 Abs. 1 StGB, das indes gemäß den obigen Darlegungen zusätzlich subjektive und normative Kriterien aufweisen muss. Diese komplexe Struktur des Tatbestandsmerkmals bringt es mit sich, dass eine in jedem Einzelfall Gültigkeit beanspruchende, absolute (Mindest-)Anzahl von notwendigen Angriffen des Täters nicht festgelegt werden kann; denn die Beurteilung der Beharrlichkeit eines Verhaltens kann nur auf der Grundlage einer Gesamtwürdigung aller Elemente des Tatbestandsmerkmals erfolgen. Diese stehen nicht isoliert nebeneinander; vielmehr bestehen Wechselwirkungen, die jeweils Rückschlüsse auf das Vorliegen der anderen Kriterien erlauben. So hängt etwa die erforderliche Anzahl der notwendigen Angriffe u. a. von dem konkreten Gewicht der sonstigen Elemente ab. Greift der Täter mit seinen Handlungen besonders intensiv in die Rechte des Opfers ein, so mögen grundsätzlich bereits wenige Vorfälle, unter Umständen auch eine einzige Wiederholung , das erforderliche Maß an rechtsfeindlicher Gesinnung und Hartnäckigkeit zu belegen. Die in dem Gesetzentwurf des Bundesrats enthaltene Regelvorgabe von mindestens fünf Handlungen (BTDrucks. 16/1030 S. 7) erweist sich somit als für die Anwendungspraxis wenig hilfreich (für ein notwendiges Minimum von fünf Handlungen auch Kinzig/Zander aaO S. 484; gegen die pauschale Festlegung einer Mindestzahl Gazeas aaO S. 502; vgl. auch Wolters aaO Rdn. 15; Mitsch aaO S. 1240).
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bb) Im vorliegenden Fall kommt hinzu, dass der Taterfolg nicht durch eine isolierte einzelne Handlung des Angeklagten sondern durch die insgesamt fünf Angriffe herbeigeführt wurde.
27
(1) Das aus diesem Umstand ersichtlich werdende - geradezu typische - Verhältnis zwischen Tathandlung und Taterfolg im Rahmen des § 238 Abs. 1 StGB belegt zunächst, dass die mehreren Angriffe des Angeklagten nicht deshalb zur Tateinheit im materiellrechtlichen Sinn zusammengefasst werden können , weil sie Teile einer Dauerstraftat sind; denn § 238 Abs. 1 StGB stellt trotz insoweit mehrdeutiger Passagen in den Gesetzesmaterialien kein Dauerdelikt im rechtstechnischen Sinne dar (Gazeas aaO S. 503 f.; ders. KritJ 2006, 247, 261 ff.; Valerius aaO S. 323).
28
Der Gesetzentwurf der Bundesregierung beschreibt einleitend das "Stalking" als Verhaltensweise, die dadurch gekennzeichnet ist, dass einer anderen Person fortwährend nachgestellt, aufgelauert oder auf andere Weise mit hoher Intensität Kontakt zu ihr gesucht bzw. in ihren individuellen Lebensbereich eingegriffen wird (BTDrucks. 16/575 S. 1). In dem vom Bundestag vorgeschlagenen Gesetzestext sowie der Begründung findet sich jedoch kein weitergehender Hinweis darauf, dass der Tatbestand als Dauerdelikt im rechtstechnischen Sinne ausgestaltet sein sollte. Nach dem Gesetzentwurf des Bundesrats sollte demgegenüber nur ein "fortgesetztes" Handeln des Täters tatbestandsmäßig sein; nach der dortigen Begründung sollte damit der "Typik des 'Stalking' Rechnung getragen und der Charakter der Vorschrift als Dauerdelikt zum Ausdruck gebracht" werden (BTDrucks. 16/1030 S. 7). Die beide Gesetzentwürfe zusammenführende Beschlussempfehlung und der Bericht des Rechtsausschusses , die Grundlage der später verabschiedeten Gesetzesfassung sind, verhalten sich nicht ausdrücklich zu dem Charakter der Vorschrift. Indes wurde der Gesetzentwurf des Bundesrats formal einstimmig abgelehnt und derjenige des Bundestags mit Modifizierungen an anderen Stellen angenommen; das im Entwurf des Bundesrats enthaltene Merkmal eines "fortgesetzten" Handelns des Täters wurde nicht in den endgültigen Gesetzestext aufgenommen. Diese Umstände weisen immerhin darauf hin, dass der Gesetzgeber im Ergebnis den Tatbestand nicht als Dauerdelikt ausgestalten wollte.
29
Gegen die Annahme einer Dauerstraftat sprechen in der Sache der typische Charakter von "Stalking"-Angriffen sowie die Struktur des Tatbestands. Als Dauerdelikt sind nur solche Straftaten anzusehen, bei denen der Täter den von ihm in deliktischer Weise geschaffenen rechtswidrigen Zustand willentlich aufrecht erhält oder die deliktische Tätigkeit ununterbrochen fortsetzt, so dass sich der strafrechtliche Vorwurf sowohl auf die Herbeiführung als auch auf die Aufrechterhaltung des rechtswidrigen Zustands bezieht (BGHSt 42, 215, 216; Fischer aaO Vor § 52 Rdn. 58). "Stalking"-Angriffe zeichnen sich demgegenüber durch zeitlich getrennte, wiederholende Handlungen aus, die nicht zu einem gleichbleibenden und überbrückenden deliktischen Zustand führen (Gazeas JR 2007, 497, 504). Die Beeinträchtigung der persönlichen Lebensgestaltung des Opfers wird durch jede einzelne Handlung des Nachstellens erneuert und intensiviert (Valerius aaO S. 324). § 238 Abs. 1 StGB ist zudem als Erfolgsdelikt ausgestaltet, wobei die insoweit erforderliche schwerwiegende Beeinträchtigung der Lebensgestaltung des Opfers in der Regel nicht bereits durch den ersten Angriff des Täters, sondern erst durch sein beharrliches Handeln herbeigeführt wird. Solange der Tatbestand indes noch nicht vollständig verwirklicht worden ist, liegt noch kein in deliktischer Weise geschaffener rechtswidriger Zustand vor, den der Täter im Sinne der Begehung eines Dauerdelikts willentlich aufrechterhalten kann.
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(2) Die Tatbestandsstruktur des § 238 Abs. 1 StGB weist jedoch Elemente auf, die denen eines Dauerdelikts durchaus ähnlich sind. Die Vorschrift umfasst objektiv nach ihrem Wortlaut und ihrem durch Auslegung zu ermittelnden Sinn typischerweise ein über den Einzelfall hinausreichendes, auf gleichartige Wiederholung gerichtetes Verhalten und soll somit typischerweise ganze Handlungskomplexe treffen (BGHSt 43, 1, 4 zu § 99 StGB). Es liegt deshalb auf der Hand, in Fallgestaltungen wie der vorliegenden von einer sukzessiven Tatbegehung auszugehen (Gazeas KritJ 2006, 247, 262; ders. JR 2007, 504: iterative, d. h. wiederholte Tatbestandsverwirklichung), die eine ununterbrochene deliktische Tätigkeit oder einen in deliktischer Weise geschaffenen Zustand nicht voraussetzt (Rissing-van Saan in LK 12. Aufl. Vor § 52 Rdn. 24). Die sukzessive Tatbegehung ist vielmehr dadurch gekennzeichnet, dass sich der Täter dem tatbestandlichen Erfolg nach und nach nähert; dabei werden diejenigen einzelnen Handlungen des Täters, die erst in ihrer Gesamtheit zu der erforderlichen Beeinträchtigung des Opfers führen, unter rechtlichen Gesichtspunkten im Wege einer tatbestandlichen Handlungseinheit zu einer Tat im materiellen Sinne zusammengefasst, wenn sie einen ausreichenden räumlichen und zeitlichen Zusammenhang aufweisen und von einem fortbestehenden einheitlichen Willen des Täters getragen sind (Rissing-van Saan aaO Rdn. 36). Anders als bei der natürlichen Handlungseinheit ist dabei indes kein enger zeitlicher und räumlicher Zusammenhang des strafbaren Verhaltens zu fordern. Vielmehr können zwischen den einzelnen tatbestandsausfüllenden Teilakten erhebliche Zeiträume liegen (BGHSt 43, 1, 3 zu § 99 StGB).
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cc) Danach liegt hier nur eine Handlung im Rechtssinne vor. Die Angriffe des Angeklagten bewirkten erst in ihrer Gesamtheit den tatbestandlichen Erfolg im Sinne einer schwerwiegenden Beeinträchtigung der Lebensgestaltung des Opfers. Sie waren von einer durchgehenden, einheitlichen Motivationslage des Angeklagten bestimmt und wiesen trotz der teilweise mehrwöchigen Unterbrechungen eine genügende räumliche und zeitliche Nähe auf.
32
e) Die Nachstellung nach § 238 Abs. 1 StGB verklammert die von dem Angeklagten ebenfalls verwirklichten Delikte der Bedrohung und Beleidigung, so dass insgesamt Tateinheit gegeben ist (aA Valerius aaO S. 324). Zwischen an sich selbstständigen Delikten kann durch ein weiteres Delikt - auch einer anderen Handlungseinheit (Rissing-van Saan aaO § 52 Rdn. 28) - Tateinheit hergestellt werden, wenn dieses weitere Delikt - bzw. die Handlungseinheit - mit den anderen Straftatbeständen jeweils ideell konkurriert und zumindest mit einem der verbundenen Delikte eine annähernde Wertgleichheit besteht oder die verklammernde Tat die schwerste ist (Fischer aaO Vor § 52 Rdn. 30; Rissing-van Saan aaO Rdn. 30). Dies ist hier der Fall. Die Ausführungshandlungen der an sich getrennt verwirklichten Bedrohungen bzw. Beleidigungen sind zwar nicht miteinander, wohl aber mit den Ausführungshandlungen der Nachstellung (teil )identisch; die zu einer tatbestandlichen Handlungseinheit verbundenen einzelnen Teilakte der Nachstellung bilden deshalb jeweils mit den daneben verwirklichten Tatbeständen der Bedrohung und Beleidigung eine Tat im materiellrechtlichen Sinn. Die Nachstellung ist nach § 238 Abs. 1 StGB mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe und damit mit höherer Strafe als die Bedrohung und die Beleidigung bedroht, deren Strafrahmen jeweils von Geldstrafe bis zu einem Jahr Freiheitsstrafe reicht. Sie stellt daher das schwerste der verwirklichten Delikte dar.
33
III. Der Senat kann in entsprechender Anwendung von § 354 Abs. 1 StPO den Schuldspruch sowohl im Fall II. 1. als auch in den Fällen II. 2., 3., 7., 8. und 9. der Urteilsgründe selbst ändern. Für den Tatkomplex der Nachstellung ist auszuschließen, dass ein neues Tatgericht Feststellungen treffen könnte, die eine Verurteilung wegen mehrerer im Verhältnis der Tatmehrheit stehender Taten tragen. § 265 StPO steht der Schuldspruchänderung nicht entgegen; denn der Angeklagte hätte sich gegen den lediglich konkurrenzrechtlich geänderten Tatvorwurf nicht anders als geschehen verteidigen können.
34
IV. Für den Strafausspruch folgt hieraus:
35
1. Im Fall II. 1. der Urteilsgründe kann die vom Landgericht verhängte Einzelfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten bestehen bleiben. Der Senat vermag mit Blick auf die übrigen verwirklichten Delikte (Raub in Tateinheit mit räuberischer Erpressung und sexueller Nötigung) auszuschließen, dass die Strafkammer bei zutreffender rechtlicher Würdigung der Verfolgungsverjährung eine geringere Einzelstrafe verhängt hätte und der Strafausspruch deshalb auf der rechtsfehlerhaften Verurteilung wegen tateinheitlich begangener vorsätzlicher Körperverletzung beruht. Im Übrigen ist es zulässig, auch verjährte Straftaten bei der Strafzumessung zum Nachteil des Täters zu berücksichtigen, wenn auch mit geringerem Gewicht wie nicht verjährte Delikte (st. Rspr.; s. etwa BGHR StGB § 46 Abs. 2 Vorleben 20).
36
2. Die Umstellung des Schuldspruchs bedingt in den Fällen II. 2., 3., 7., 8. und 9. der Urteilsgründe den Wegfall der dort verhängten Einzelgeldstrafen von jeweils 30 Tagessätzen zu je 10 €. Der Senat setzt insbesondere mit Blick auf einen zügigen Abschluss des Verfahrens gegen den in Untersuchungshaft befindlichen Angeklagten selbst in entsprechender Anwendung von § 354 Abs. 1 StPO die neu zu bildende Einzelstrafe auf eine Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 10 € fest. Hierdurch wird der Angeklagte nicht beschwert; denn es ist auszuschließen, dass das Landgericht für den gesamten Handlungskomplex eine geringere Einzelstrafe verhängt hätte als diejenige, die es für die einzelnen Handlungen des Angeklagten als angemessen erachtet hat.
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3. Der Wegfall von vier Einzelgeldstrafen von jeweils 30 Tagessätzen zu je 10 € lässt die Gesamtstrafe von vier Jahren und sechs Monaten unberührt. Der Senat schließt im Hinblick auf die Höhe der Einsatzstrafe (Freiheitsstrafe von drei Jahren) und der übrigen Einzelstrafen (Freiheitsstrafen von einem Jahr und sechs Monaten, acht Monaten sowie sechs Monaten und mehrere Geldstrafen ) aus, dass die Gesamtfreiheitsstrafe geringer ausgefallen wäre, wenn das Landgericht vier Einzelgeldstrafen in Höhe von jeweils 30 Tagessätzen nicht einbezogen hätte.
Becker RiBGH von Lienen befindet Sost-Scheible sich im Urlaub und ist daher gehindert zu unterschreiben. Becker Schäfer Mayer

(1) Wer einen Menschen mit der Begehung einer gegen ihn oder eine ihm nahestehende Person gerichteten rechtswidrigen Tat gegen die sexuelle Selbstbestimmung, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder gegen eine Sache von bedeutendem Wert bedroht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Wer einen Menschen mit der Begehung eines gegen ihn oder eine ihm nahestehende Person gerichteten Verbrechens bedroht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(3) Ebenso wird bestraft, wer wider besseres Wissen einem Menschen vortäuscht, daß die Verwirklichung eines gegen ihn oder eine ihm nahestehende Person gerichteten Verbrechens bevorstehe.

(4) Wird die Tat öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten eines Inhalts (§ 11 Absatz 3) begangen, ist in den Fällen des Absatzes 1 auf Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder auf Geldstrafe und in den Fällen der Absätze 2 und 3 auf Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder auf Geldstrafe zu erkennen.

(5) Die für die angedrohte Tat geltenden Vorschriften über den Strafantrag sind entsprechend anzuwenden.

Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.