Bundesgerichtshof Beschluss, 02. Aug. 2011 - 3 StR 230/11

bei uns veröffentlicht am02.08.2011

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 230/11
vom
2. August 2011
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes u.a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts
und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 2. August 2011 gemäß
§ 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hildesheim vom 5. April 2011 - unter Aufrechterhaltung der Feststellungen zum Tatgeschehen - aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes in zwei Fällen und wegen sexuellen Missbrauchs von Jugendlichen in sieben Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er das Verfahren beanstandet und die Verletzung sachlichen Rechts rügt. Das Rechtsmittel führt mit der allgemeinen Sachrüge zur Aufhebung des Urteils in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang.
2
Hierzu hat der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift ausgeführt: "Die Kammer hat festgestellt, dass der 76-jährige Angeklagte an einer hirnorganischen Störung auf Grund dementiellen Abbaus und alkoholtoxischer Schädigung leidet, die mit einer fixierten Pädophilie zusammentrifft (UA S. 12, 18 - 20, 24). In Übereinstimmung mit dem psychiatrischen Sachverständigen, dessen Bewertung sie sich angeschlossen hat, ist die Kammer davon ausgegangen, dass der Angeklagte auch bei Aufbietung aller ihm eigenen Willenskräfte dem Trieb nicht ausreichend zu widerstehen vermöge, die zur Bekämpfung seines Triebs erforderlichen Hemmungen könne er nicht mehr aufbringen (UA S. 19, 24 f.). Eine Aufhebung der Steuerungsfähigkeit sei demgegenüber nicht festzustellen, so dass die Kammer nicht § 20 StGB, sondern § 21 StGB zur Anwendung gebracht hat (UA S. 18, 20). Das Urteil ist mithin hinsichtlich der Auswirkung der krankhaften seelischen Störung auf die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten in sich widersprüchlich. Die von der Strafkammer angenommene Unfähigkeit, einem Trieb widerstehen zu können, kennzeichnet eine vollständige Aufhebung der Steuerungsfähigkeit i.S.d. § 20 StGB (vgl. Fischer StGB 58. Aufl. § 20 Rdnrn. 3 f., § 21 Rdnr. 5 m.w.N.), den die Kammer nicht angewandt hat. Der von ihr bejahte § 21 StGB setzt demgegenüber voraus, dass das Hemmungsvermögen des Täters zwar nur unterdurchschnittlich ausgeprägt, bei Aufbietung aller Willenskräfte aber noch ausreichend vorhanden ist (vgl. Fischer aaO Rdnrn. 6 - 8 m.w.N.). Dieser Widerspruch lässt sich anhand der Urteilsgründe nicht auflösen. Die Darstellung des Gutachtens zu der krankhaften Persönlichkeitsstörung (UA S. 18), verbleibt vielmehr im Abstrakten, die 'auffällige Veränderung des gewohnten Verhaltensmusters', die 'beschriebene Einengung der Lebensführung bzw. Stereotypisierung des Verhaltens mit durchgängigen massiven Beeinträchtigungen der Beziehungsgestaltung und der psychosozialen Leistungsfähigkeit durch affektive Auffälligkeiten und psychosexuelle Verhaltensprobleme' (UA S. 18) wird im Urteil gerade nicht beschrieben. Mangels ausreichender, in sich widerspruchsfreier Ausführungen zur Schuldfähigkeit des Angeklagten kann der Schuldspruch nicht bestehen bleiben. Die genannten Mängel betreffen die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zum Tatgeschehen nicht, die deshalb aufrecht erhalten bleiben können. Es liegt zwar nahe, dass auch nach Aufhebung und Zurückverweisung der Sache die Voraussetzungen einer Anordnung der Maßregel gemäß § 63 StGB - entweder wegen sicher feststehender eingeschränkter oder wegen ausgeschlossener Schuldfähigkeit - anzunehmen sein werden. Da aber die lückenhaften und in sich widersprüchlichen Feststellungen zur Schuldfähigkeit insgesamt aufzuheben sind, kann die Anordnung im Revisionsverfahren nicht aufrecht erhalten werden."
3
Dem schließt sich der Senat an.
Becker Pfister von Lienen Schäfer Menges

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Referenzen - Gesetze

Bundesgerichtshof Beschluss, 02. Aug. 2011 - 3 StR 230/11 zitiert 5 §§.

Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafgesetzbuch - StGB | § 21 Verminderte Schuldfähigkeit


Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

Strafgesetzbuch - StGB | § 20 Schuldunfähigkeit wegen seelischer Störungen


Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der

Strafgesetzbuch - StGB | § 63 Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus


Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und

Referenzen

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.