Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 479/18
vom
16. Januar 2019
in der Strafsache
gegen
wegen Beihilfe zur gefährlichen Körperverletzung
ECLI:DE:BGH:2019:160119B2STR479.18.0

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 16. Januar 2019 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Kassel vom 27. Juni 2018 im Maßregelausspruch mit den Feststellungen aufgehoben. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten in einer ersten Entscheidung vom 16. Oktober 2014 wegen Beihilfe zum Totschlag zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt und unter Anordnung eines Vorwegvollzugs der Freiheitsstrafe die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Auf die Revision des Angeklagten hatte der Senat mit Beschluss vom 31. März 2016 die landgerichtliche Entscheidung unter Aufrechterhaltung der Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen aufgehoben. Nunmehr hat das Landgericht den Angeklagten wegen Beihilfe zur gefährlichen Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten verurteilt, die durch die erlittene Untersuchungshaft abgegolten ist. Außerdem hat es erneut die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Die auf die allgemeine Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten führt zur Aufhebung des Maßregelausspruchs; im Übrigen ist sie offensichtlich unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
2
1. Die Überprüfung des Schuld- und Strafausspruchs hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO).
3
2. Hingegen hält der Maßregelausspruch rechtlicher Nachprüfung nicht stand, weil die Strafkammer die Annahme eines Hanges nicht tragfähig begründet hat.
4
Das Landgericht ist – sachverständig beraten – davon ausgegangen, dass beim Angeklagten eine zumindest seit 2008 diagnostizierte Alkoholabhängigkeit und damit ein Hang bestehe, alkoholische Getränke im Übermaß zu sich zu nehmen. Diese Einschätzung hat die Strafkammer vor allem auf das Konsumverhalten des Angeklagten, wie es sich insbesondere aus den biographischen Feststellungen zur Zeit zwischen 2008 und der Tatbegehung ergebe, gestützt. Diese Abhängigkeit ist nach Auffassung der Strafkammer auch trotz des reduzierten Konsums des Angeklagten in den Jahren danach noch nicht überwunden. Dass nämlich der Angeklagte im Hinblick auf den Umgang mit seiner Alkoholabhängigkeit immer noch wenig Offenheit zeige und dazu neige, die Situation zu beschönigen, sei der Strafkammer deutlich geworden, als der Angeklagte zu seinem aktuellen Umgang mit Alkohol befragt worden sei. Die Gefahr des Rückfalls in den erhöhten Konsum bestehe deshalb weiterhin.
5
Damit ist das Vorliegen eines Hanges nicht hinreichend belegt. Ein Hang im Sinne von § 64 StGB liegt vor bei einer chronischen, auf körperlicher Sucht beruhenden Abhängigkeit oder aufgrund einer eingewurzelten, auf psychischer Disposition beruhenden oder durch Übung erworbenen intensiven Neigung, immer wieder Rauschmittel im Übermaß zu sich zu nehmen (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschluss vom 10. Januar 2018 – 3 StR 563/17). Ein solcher Hang muss sicher festgestellt sein, nicht ausreichend ist, dass sein Vorliegen möglich oder nur nicht auszuschließen ist (vgl. BGH, Beschluss vom 6. November 2002 – 1 StR 382/02, NStZ-RR 2003, 106, 107).
6
Angesichts der vom Landgericht getroffenen Feststellungen, dass der Angeklagte in der seit dem 9. August 2013 vollzogenen Untersuchungshaft abstinent gelebt habe und seit seiner Entlassung im Juli 2016 Alkohol nur noch in kontrollierten Maße trinke, sich im Übrigen seitens seiner ihn im Rahmen der Betreuung unterstützenden Zeugin S. keine Hinweise auf größeren Alkoholkonsum ergeben hätten, tragen die Ausführungen des Landgerichts zum vormaligen Konsumverhalten des Angeklagten bis zur Tat im Jahre 2013 die Annahme des Hangs zum Zeitpunkt der landgerichtlichen Entscheidung nicht. Eine vom Sachverständigen angenommene weiter bestehende Alkoholabhängigkeit , die sich nicht auch darin zeigt, dass der Abhängige auch Rauschmittel im Überfluss zu sich nimmt, erfüllt nicht die Voraussetzungen eines Hangs im Sinne des § 64 StGB. Zwar stehen Intervalle der Abstinenz der Annahme eines Hanges nicht grundsätzlich entgegen (vgl. BGH NStZ-RR 2010, 216), doch kann angesichts eines Zeitablaufs von fünf Jahren seit der Tat, währenddessen der Angeklagte nach den Urteilsfeststellungen zunächst ohne Alkohol ausgekommen ist und jetzt nur noch kontrolliert trinkt, nicht lediglich von einem bloßen „Intervall“ gesprochen werden, in dem der Angeklagte abstinentgeblie- ben ist.
7
Auch der Sachverständige ist nicht davon ausgegangen, dass die von ihm diagnostizierte Alkoholabhängigkeit zurzeit zu einem Konsum von Alkohol im Übermaß führt oder in der Zukunft tatsächlich führen wird. Er spricht lediglich davon, dass „nach einem langjährigen und erheblichen Alkoholkonsum, wie er beim Angeklagten zu beobachten sei, die Suchtstrukturen und vor allem auch das so genannte Suchtgedächtnis sehr gut ausgeprägt seien, was noch über einen langen Zeitraum in untherapiertem Zustand die Rückkehr zu deutlich stärkerem Konsum begünstigen könne“ (UA S. 31). Die damit abstrakt ange- sprochene Gefahr des Rückfalls in erhöhten Konsum (vgl. UA S. 33) rechtfertigt bei dieser Sachlage die Annahme eines Hanges im Sinne von § 64 StGB nicht.
8
Die Sache bedarf deshalb im Maßregelausspruch neuer Verhandlung und Entscheidung, zweckmäßigerweise unter Heranziehung eines anderen Sachverständigen.
Franke Krehl Zeng Grube Schmidt

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Bundesgerichtshof Beschluss, 16. Jan. 2019 - 2 StR 479/18 zitiert 2 §§.

Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafgesetzbuch - StGB | § 64 Unterbringung in einer Entziehungsanstalt


Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb

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Bundesgerichtshof Beschluss, 10. Jan. 2018 - 3 StR 563/17

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Bundesgerichtshof Beschluss, 06. Nov. 2002 - 1 StR 382/02

bei uns veröffentlicht am 06.11.2002

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 1 StR 382/02 vom 6. November 2002 in der Strafsache gegen wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 6. November 2002 beschlossen : Di

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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 563/17
vom
10. Januar 2018
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge u.a.
ECLI:DE:BGH:2018:100118B3STR563.17.0

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung der Beschwerdeführer und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf dessen Antrag - am 10. Januar 2018 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Trier vom 25. Juli 2017 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit ihre Unterbringung in einer Entziehungsanstalt unterblieben ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehenden Revisionen werden verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat die Angeklagten wie folgt verurteilt: den Angeklagten S. wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in 46 Fällen sowie wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 13 Fällen und den Angeklagten L. wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in 55 Fällen, davon in 54 Fällen in Tateinheit mit Erwerb von Betäubungsmitteln , wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in drei Fällen und wegen Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Handeltreiben mit Betäubungsmitteln jeweils zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten. Weiter hat es Entscheidungen über die Einziehung des Tatertrages getroffen und von der Anordnung der Unterbringung der Angeklagten in einer Entziehungsanstalt abgesehen. Dagegen wenden sich die Beschwerdeführer mit ihren jeweils auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revisionen, die sie in allgemeiner Form erhoben haben. Der Angeklagte L. hat weiter - ebenfalls nur in allgemeiner Form - die Verletzung formellen Rechts beanstandet. Die Rechtsmittel haben auf die Sachrüge den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Erfolg; im Übrigen erweisen sie sich als unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Die von dem Angeklagten L. erhobene Formalrüge ist nicht ausgeführt und deshalb unzulässig (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO).
3
2. Die auf die Sachrügen veranlasste umfassende Überprüfung des Urteils hat zu den jeweiligen Schuld- und Strafaussprüchen sowie zu den Einziehungsentscheidungen keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben. Soweit das Landgericht indes die Unterbringung der Angeklagten in einer Entziehungsanstalt abgelehnt hat, hält das Urteil revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand.
4
a) Nach den Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen der Angeklagten konsumierte der Angeklagte S. ab Anfang des Jahres 2016 regelmäßig auch unter der Woche Amphetamin und "THC", in den letzten drei Monaten vor seiner Inhaftierung täglich ein halbes bis ein Gramm Amphetamin und ein Gramm "THC". Der Angeklagte L. konsumierte ab dem Jahr 2015 etwa zwei Gramm Amphetamin pro Tag und litt zu Beginn der Untersuchungshaft im vorliegenden Verfahren unter Entzugserscheinungen.
5
Die Strafkammer hat - sachverständig beraten - zur Frage der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt ausgeführt, die Angeklagten hätten keine intensive Neigung, Betäubungsmittel zu konsumieren und mithin keinen Hang im Sinne von § 64 StGB. Dagegen spreche, dass die bei beiden vorliegende mittelgradige Abhängigkeit bislang nicht zu einer Depravation ihrer Persönlichkeit und ihres sozialen Gefüges geführt habe. Der Betäubungsmittelkonsum sei nicht der ausschließlich determinierende Faktor in ihrem Leben gewesen, weshalb die Voraussetzungen einer Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nicht vorlägen.
6
b) Das Landgericht hat damit für die Annahme eines Hangs im Sinne von § 64 StGB einen unzutreffenden Maßstab angelegt. Hierzu gilt:
7
Ein Hang im Sinne von § 64 StGB liegt vor bei einer chronischen, auf körperlicher Sucht beruhenden Abhängigkeit oder zumindest bei einer eingewurzelten , auf psychischer Disposition beruhenden oder durch Übung erworbenen intensiven Neigung, immer wieder Rauschmittel im Übermaß zu sich zu nehmen. Ausreichend ist, dass der Betroffene aufgrund seiner Konsumgewohnheiten sozial gefährdet oder gefährlich erscheint. Dem Umstand, dass durch den Rauschmittelgenuss die Gesundheit, Arbeits- und/oder Leistungsfähigkeit erheblich beeinträchtigt ist, kann insoweit zwar indizielle Bedeutung für das Vorliegen eines Hangs zukommen; das Fehlen solcher Beeinträchtigungen schließt die Bejahung eines Hangs aber nicht aus. Insbesondere bei Beschaffungskriminalität kommt die Annahme eines solchen in Betracht (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschluss vom 9. August 2016 - 3 StR 287/16, juris Rn. 3 mwN).
8
Angesichts des festgestellten Konsumverhaltens der Angeklagten lag die Bejahung eines Hangs nicht fern. Ausweislich der Ausführungen zur Strafzu- messung hat das Landgericht zudem zu Gunsten beider Angeklagten berücksichtigt , dass sie selbst Betäubungsmittelkonsumenten waren und die Taten - bei dem Angeklagten S. zumindest auch - der Finanzierung ihres eigenen Rauschmittelkonsums dienten; angesichts dessen kann auch das Vorliegen eines symptomatischen Zusammenhangs zwischen dem Hang und der Begehung der Straftaten nicht ausgeschlossen werden.
9
Zu den weiteren Anordnungsvoraussetzungen oder Ausschlussgründen verhält sich das landgerichtliche Urteil nicht. Über die Frage der Anordnung der Unterbringung der Angeklagten in einer Entziehungsanstalt muss deshalb neu verhandelt und entschieden werden. Dass nur die Angeklagten Revision eingelegt haben, hindert die etwaige Nachholung einer Unterbringungsanordnung nicht (§ 358 Abs. 2 Satz 3 StPO, vgl. BGH, Urteil vom 10. April 1990 - 1 StR 9/90, BGHSt 37, 5); sie haben die Nichtanwendung des § 64 StGB durch das Tatgericht auch nicht von ihrem Rechtsmittelangriff ausgenommen (vgl. BGH, Urteil vom 7. Oktober 1992 - 2 StR 374/92, BGHSt 38, 362).
10
3. Der Senat schließt aus, dass die rechtsfehlerhafte Nichtanordnung der Maßregel nach § 64 StGB Einfluss auf die jeweiligen Strafaussprüche gehabt hat. Diese können daher - wie die davon ohnehin nicht berührten Einziehungsentscheidungen - bestehen bleiben.
Becker Gericke Spaniol
Tiemann Berg

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 382/02
vom
6. November 2002
in der Strafsache
gegen
wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht
geringer Menge
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 6. November 2002 beschlossen
:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
Bamberg vom 28. Mai 2002 wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:


I.

Der Angeklagte wurde wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und weiterer Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Er hat einmal 5 g und einmal 170 g Heroin erworben, das er vorgefaßter Absicht gemäß zum Teil in kleinen Portionen gewinnbringend weiterverkauft und zum Teil zum Eigenbedarf verwendet hat. Ein nicht unerheblicher Teil der 170 g Heroin konnte sichergestellt werden. Die Revision des Angeklagten bleibt erfolglos (§ 349 Abs. 2 StPO).
Hinsichtlich des Schuldspruchs und des Strafausspruchs nimmt der Se- nat auf die Ausführungen im Antrag des Generalbundesanwalts vom 19. September 2002 Bezug, die auch durch die Erwiderung der Revision (§ 349 Abs. 3 Satz 2 StPO) vom 18. Oktober 2002 nicht entkräftet werden.

II.

Der Generalbundesanwalt hat beantragt, das Urteil aufzuheben, soweit eine Entscheidung über die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) unterblieben ist. Der Senat vermag diesem Antrag nicht zu entsprechen. 1. Die Revision erwähnt § 64 StGB nicht. Ob dies in einer Gesamtschau mit ihrem übrigen Vorbringen ergibt, daß die Nichtanwendung von § 64 StGB wirksam vom Rechtsmittelangriff ausgenommen ist (vgl. BGHR StGB § 64 Ablehnung 10 m.w.N.; die im übrigen uneingeschränkte Anfechtung des Urteils stünde dem nicht entgegen, vgl. BGH, Beschluß vom 27. März 2000 - 1 StR 87/00; Beschluß vom 6. Mai 1998 - 5 StR 53/98 m.w.N.), kann aber offen bleiben. Unabhängig davon kann der Senat den Urteilsgründen nämlich nicht entnehmen , daß eine neue Verhandlung mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einer Unterbringungsanordnung führen wird (vgl. BGHSt 37, 5, 9): 2. Der Angeklagte, der im Jahre 2000 mit dem Heroinkonsum begann, hat keine "offenen Angaben" zum Umfang seines Drogenkonsums gemacht, an anderer Stelle bezeichnet die Kammer seine Angaben hierzu sogar als nicht nachvollziehbar. Er hat "mehrfach angegeben, daß er nicht sagen könne, wieviel er genommen habe"; erst auf "mehrmaliges Nachfragen ... hat er schließ-
lich gemeint", er habe zwar nicht jeden Tag Heroin konsumiert, aber "an manchen Tagen bis zu drei Gramm gespritzt". Dabei hat er "keine typischen Suchtsymptome geschildert". Zu den Wirkungen des Rauschgiftkonsums beim Angeklagten hat die Strafkammer festgestellt, daß er seine Arbeitsleistung - er war bei einer Straßenbaufirma für einen Nettomonatslohn von 3.000 DM beschäftigt - "durchgehend zur vollen Zufriedenheit seines Arbeitgebers erbracht hat". Ebenso ist er "seiner Rolle als Familienvater uneingeschränkt nachgekommen". Insgesamt hat er "sein Leben ohne jegliche Einschränkung im Alltag" geführt. Nach seiner Festnahme sind beim Angeklagten Entzugserscheinungen aufgetreten, wobei der Angeklagte hierzu zunächst nur angegeben hat, er sei "krank" gewesen. Erst auf "mehrfache Nachfrage" hat er die Symptomatik dahin konkretisiert, daß er "Knochenschmerzen und Schlafstörungen" gehabt habe, die aber aufgrund dreiwöchiger ärztlicher Behandlung nach sechs Wochen verschwunden seien. Außerdem hat der Angeklagte infolge seines Drogenkonsums noch einen Leberschaden. Worauf sich diese Annahme stützt, ist unklar, aus den Angaben des Angeklagten ergibt sich dies nicht, andere Erkenntnisquellen sind nicht mitgeteilt. Ebensowenig wird die Schwere dieser Erkrankung deutlich, jedoch spricht der Hinweis, daß "sonst keine gesundheitlichen Beeinträchtigungen bestehen" nicht für eine sehr schwerwiegende Erkrankung. 3. Voraussetzung für eine Unterbringung gemäß § 64 ist (unter anderem ) ein Hang, berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen. Von einem Hang ist auszugehen, wenn eine eingewurzelte, auf psychische Disposition zurückgehende oder durch Übung erworbene intensive Neigung besteht, immer wieder Rauschmittel zu konsumieren, wobei diese Neigung noch nicht den Grad physischer Abhängigkeit erreicht haben muß (vgl. nur BGHSt StGB §
64 Abs. 1 Hang 5; Körner BtMG 5. Aufl. § 35 Rdn. 297; Hanack in LK 11. Aufl. § 64 Rdn. 40 jew. m.w.N.). "Im Übermaß" bedeutet, daß der Täter berauschende Mittel in einem solchen Umfang zu sich nimmt, daß seine Gesundheit, Arbeits - und Leistungsfähigkeit dadurch erheblich beeinträchtigt wird (Körner aaO; Hanack aaO Rdn. 44 m.w.N. in Fußn. 12). Dementsprechend hat der Bundesgerichtshof auch die unterbliebene Erörterung einer Unterbringung bei einem Täter gebilligt, bei dem zwar "eine Tendenz zum Betäubungsmittelmißbrauch ... jedoch keine Depravation und erhebliche Persönlichkeitsstörung" vorlag (BGHR StGB § 64 Nichtanordnung 1). Angesichts der genannten Feststellungen zu den Auswirkungen des Rauschgiftkonsums auf Sozialverhalten und Gesundheit des Angeklagten liegt nach alledem die Annahme eines Hangs i.S.d. § 64 StGB beim Angeklagten nicht nahe. 4. Allerdings ist die Strafkammer, im wesentlichen gestützt auf die genannten Angaben des Angeklagten, letztlich davon ausgegangen, daß der Weiterverkauf "auch der Finanzierung der eigenen Sucht dienen sollte" und hat dies dem Angeklagten strafmildernd angerechnet. Unter den hier gegebenen Umständen beruht diese Annahme (allenfalls) auf der Grundlage des Zweifelssatzes. Hierfür spricht schon die Bewertung der letztlich doch den Feststellungen zugrundegelegten Angaben als "nicht offen". Erhärtet wird diese Annahme dadurch, daß auch die Feststellungen der Strafkammer dazu, in welchem Umfang der Angeklagte das von ihm erworbene Heroin (nicht weiterverkauft sondern) selbst verbraucht hat, ausdrücklich auf der Anwendung des Zweifelssatzes beruhen.
Eine Unterbringungsanordnung gemäß § 64 StGB kommt jedoch nur in Betracht, wenn das Vorliegen eins Hangs sicher ("positiv") festgestellt ist. Kommt das Gericht jedoch, wie erkennbar hier, lediglich zu dem Ergebnis, ein Hang sei als Grundlage der Tat nicht auszuschließen, so ist für eine Unterbringung kein Raum (BGH, Beschluß vom 6. Juli 1983 - 2 StR 334/83; Körner aaO). 5. Der Senat ist nicht gehindert, gemäß § 349 Abs. 2 StPO zu entscheiden. Der Aufhebungsantrag hinsichtlich der Entscheidung über eine Maßregelanordnung nach § 64 StGB wirkt zu Lasten und nicht zu Gunsten des Angeklagten im Sinne des § 349 Abs. 4 StPO (BGHR StPO § 349 Abs. 2 Verwerfung 3; BGH NStZ-RR 1998, 142; BGH, Beschluß vom 4. April 2000 - 5 StR 94/00). Nack Wahl Schluckebier Kolz Elf

Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.