Bundesgerichtshof Beschluss, 16. Nov. 2017 - 2 StR 434/17
Bundesgerichtshof
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 16. November 2017 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
Gründe:
- 1
- Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und Bedrohung in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und zwei Monaten verurteilt, die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet und einen Vorwegvollzug von sechs Monaten der erkannten Freiheitsstrafe angeordnet. Die auf die allgemeine Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten führt zur Aufhebung der Entscheidung über den Vorwegvollzug der Strafe, im Übrigen ist sie offensichtlich unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
- 2
- 1. Die Überprüfung der angefochtenen Entscheidung hat weder im Schuldspruch noch im Strafausspruch und in der Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
- 3
- 2. Hingegen begegnet der Ausspruch über den Vorwegvollzug der Freiheitsstrafe durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Insoweit hat der Generalbundesanwalt zutreffend ausgeführt: „Jedoch kann der Ausspruch über den Vorwegvollzug keinen Bestand haben. Der vorweg zu vollziehende Teil der Strafe ist zwingend so zu bemessen, dass nach seiner Vollstreckung und einer anschließenden Unterbringung eine Halbstrafenentlassung möglich ist; ein Beurteilungsspielraum steht dem Tatrichter insoweit nicht zu. Es genügt nicht, dass der Tatrichter – wie hier (UA S. 45) – hinsichtlich der voraussichtlich notwendigen Dauer des Maßregelvollzugs nur eine Mindest- und Höchstdauer prognostiziert ; vielmehr ist eine präzise Prognose darüber erforderlich, wie lange genau die Unterbringung voraussichtlich sein wird, weil nur auf der Grundlage einer solchen Prognose die Dauer des Vorwegvollzugs bestimmt werden kann (vgl. BGH, Beschluss vom 24. September 2008 – 1 StR 478/08, NStZ 2009, 87, 88). Damit fehlt die für die Berechnung des Vorwegvollzugs erforderliche Grundlage (vgl. Senat, Beschluss vom 2. Februar 2011 – 2 StR 622/10). Angesichts der bisherigen Dauer der Untersuchungshaft lässt sich auch nicht sicher sagen, dass für einen Ausspruch über den Vorwegvollzug kein Raum mehr wäre, weil er sich jedenfalls durch die nach § 51 StGB von Amts wegen vorzunehmende Anrechnung erledigt hätte (vgl. etwa Senat, Beschluss vom 12. Dezember 2008 – 2 StR 518/08).“ Appl Krehl Eschelbach Bartel Schmidt
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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.
(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.
(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.
(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.
(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.
BUNDESGERICHTSHOF
Gründe:
- 1
- Der betäubungsmittelabhängige und alkoholkranke Angeklagte wurde wegen gefährlicher Körperverletzung zu vier Jahren und sechs Monaten Freiheitsstrafe verurteilt. Außerdem wurde er in einer Entziehungsanstalt untergebracht; zugleich ordnete die Strafkammer mit eingehender Begründung an, dass (einschließlich der bisher verbüßten Untersuchungshaft) zwei Jahre und drei Monate Freiheitsstrafe vorweg zu vollziehen sind. Hinsichtlich der nachfolgenden Unterbringung sei mit einer Dauer von einem bis zwei Jahren zu rechnen.
- 2
- 1. Die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten bleibt hinsichtlich des Schuldspruchs und des Strafausspruchs aus den vom Generalbundesanwalt zutreffend dargelegten Gründen erfolglos (§ 349 Abs. 2 StPO).
- 3
- 2. Keinen Bestand hat die Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (§ 349 Abs. 4 StPO). Der Generalbundesanwalt hat hierzu unter anderem ausgeführt: „Nicht widerspruchsfrei sind … die Ausführungen zur hinreichend konkreten Aussicht auf eine erfolgreiche Behandlung (§ 64 Satz 2 StGB). Dazu stellt das Landgericht … einerseits fest, dass … nach einer Haftentlassung alsbald mit einem Rückfall … zu rechnen wäre, … . Andererseits habe die länger andauernde Haft zu einer kritischen Auseinandersetzung des Angeklagten mit sich selbst geführt und Maßnahmen von vergleichbarer Zeitdauer unter Aufrechterhaltung eines äußeren Drucks durch die alternativ erfolgende Inhaftierung seien bisher nicht durchgeführt worden. Nach Einschätzung des Sachverständigen sei nicht davon auszugehen, dass auch weitere Behandlungen 'von vorneherein erfolglos verlaufen könnten'. Die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt 'könnte … geeignet sein', den Prozess der Auseinandersetzung mit sich selbst zu fördern und dem Angeklagten hierdurch eine neue Perspektive zu eröffnen. Im Zusammenhang mit den Ausführungen zum vorweg zu vollziehenden Teil der Strafe betont das Landgericht dagegen wiederum die bislang erfolglosen Therapiebemühungen und die nur bedingte Aussicht auf einen Therapieerfolg. Aus der Gesamtheit der Urteilsgründe ergibt sich danach nur, dass das Landgericht eine Behandlung nicht für 'offensichtlich aussichtslos' hält (vgl. Fischer StGB, 55. Aufl. 2008, § 64 Rn. 19).“
- 4
- Dem verschließt sich der Senat nicht.
- 5
- 3. Sollte die neu zur Entscheidung berufene Strafkammer wiederum die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt anordnen, wird sie auch über einen etwaigen Vorwegvollzug von Strafe zu befinden haben. Der Ge- neralbundesanwalt weist daher zu Recht darauf hin, dass die hier getroffene Entscheidung über diese Frage im Hinblick auf die Neufassung von § 67 StGB (Gesetz vom 16. Juli 2007, BGBl I S. 1327) auch dann keinen Bestand haben könnte , wenn die Unterbringungsanordnung als solche rechtsfehlerfrei wäre:
- 6
- Stehen bei einer Strafe von mehr als drei Jahren nicht Gründe des Einzelfalls dem Vorwegvollzug eines Teils der Strafe überhaupt entgegen, so ist gemäß § 67 Abs. 2 Sätze 2 und 3 StGB in Verbindung mit § 67 Abs. 5 Satz 1 StGB der vorweg zu vollziehende Teil der Strafe so zu bemessen, dass nach seiner Vollstreckung und einer anschließenden Unterbringung eine Halbstrafenentlassung möglich ist. Ein Beurteilungsspielraum steht dem Tatrichter insoweit nicht zu (vgl. BGH NStZ-RR 2008, 142, 182 jew. m.w.N., auch aus den Gesetzesmaterialien). Für die Erwägungen der Strafkammer, warum es hier angemessen sei, dass der Angeklagte wegen des angeordneten Vorwegvollzuges von zwei Jahren und drei Monaten und der voraussichtlichen Unterbringungsdauer von ein bis zwei Jahren nicht einmal zum Zwei-Drittel-Zeitpunkt entlassen werden könne, ist daher kein Raum.
- 7
- Im Übrigen genügt es aber auch nicht, dass der Tatrichter hinsichtlich der voraussichtlich notwendigen Dauer des Maßregelvollzuges nur eine Mindest- und eine Höchstdauer - also einen Zeitraum - prognostiziert. Erforderlich ist vielmehr eine präzise Prognose darüber, wie lange genau die Unterbringung voraussichtlich erforderlich sein wird. Nur auf der Grundlage einer solchen Prognose kann - letztlich ohne weitere Abwägung, sondern mittels eines Rechenvorgangs (vgl. BGH NStZ 2008, 213) - bestimmt werden, wie viel Strafe (einschließ- lich der anzurechnenden Untersuchungshaft) vorab zu vollziehen ist, bis exakt der Zeitpunkt erreicht sein wird, zu dem eine Halbstrafenentlassung möglich ist (BGH, Beschl. vom 20. Mai 2008 - 1 StR 233/08 m.w.N.). RiBGH Hebenstreitbefindet sich in Urlaub undist deshalb an der Unterschrift verhindert Nack Wahl Nack Jäger Sander
BUNDESGERICHTSHOF
Gründe:
- 1
- Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren Raubes zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt, seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet und den Vorwegvollzug der Frei- heitsstrafe vor der Maßregel in Höhe von einem Jahr und drei Monaten angeordnet. Seine Revision, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt, hat mit der Sachrüge den aus dem Beschlusstenor ersichtlichen Erfolg; im Übrigen ist sie aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
- 2
- Der Schuldspruch ist dahingehend neu zu fassen, dass der Angeklagte wegen besonders schweren Raubes verurteilt ist. Das Landgericht hat wegen des lebensgefährlichen Stichs in den Bauch des Geschädigten zutreffend die Qualifikationstatbestände des § 250 Abs. 2 Nr. 1, Nr. 3a und Nr. 3b StGB als verwirklicht angesehen. Diese Qualifikationen müssen in der nach § 260 Abs. 4 Satz 1 StPO erforderlichen rechtlichen Bezeichnung der Straftat im Urteilstenor zum Ausdruck kommen (BGH NStZ 2010, 101). Der Senat kann den Schuldspruch selbst ändern. § 265 StPO steht dem nicht entgegen, da der Angeklagte sich nicht anders als geschehen hätte verteidigen können.
- 3
- Die Entscheidung über die Dauer des Vorwegvollzuges kann keinen Bestand haben. Die Kammer hat es versäumt, die voraussichtliche Dauer der Suchtbehandlung bis zur Erzielung eines Behandlungserfolges anzugeben und individuell zu bestimmen (BGH NStZ-RR 2009, 172; Fischer StGB 58. Aufl. § 67 Rn. 11b mwN). Damit fehlt die für die Berechnung des Vorwegvollzuges erforderliche Grundlage. Fischer Appl Schmitt Krehl Ott
(1) Hat der Verurteilte aus Anlaß einer Tat, die Gegenstand des Verfahrens ist oder gewesen ist, Untersuchungshaft oder eine andere Freiheitsentziehung erlitten, so wird sie auf zeitige Freiheitsstrafe und auf Geldstrafe angerechnet. Das Gericht kann jedoch anordnen, daß die Anrechnung ganz oder zum Teil unterbleibt, wenn sie im Hinblick auf das Verhalten des Verurteilten nach der Tat nicht gerechtfertigt ist.
(2) Wird eine rechtskräftig verhängte Strafe in einem späteren Verfahren durch eine andere Strafe ersetzt, so wird auf diese die frühere Strafe angerechnet, soweit sie vollstreckt oder durch Anrechnung erledigt ist.
(3) Ist der Verurteilte wegen derselben Tat im Ausland bestraft worden, so wird auf die neue Strafe die ausländische angerechnet, soweit sie vollstreckt ist. Für eine andere im Ausland erlittene Freiheitsentziehung gilt Absatz 1 entsprechend.
(4) Bei der Anrechnung von Geldstrafe oder auf Geldstrafe entspricht ein Tag Freiheitsentziehung einem Tagessatz. Wird eine ausländische Strafe oder Freiheitsentziehung angerechnet, so bestimmt das Gericht den Maßstab nach seinem Ermessen.
(5) Für die Anrechnung der Dauer einer vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 111a der Strafprozeßordnung) auf das Fahrverbot nach § 44 gilt Absatz 1 entsprechend. In diesem Sinne steht der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis die Verwahrung, Sicherstellung oder Beschlagnahme des Führerscheins (§ 94 der Strafprozeßordnung) gleich.