Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 278/00
vom
26. Juli 2000
in der Strafsache
gegen
wegen sexuellen Mißbrauchs von Kindern
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts
und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 26. Juli 2000 gemäß
§ 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Mühlhausen vom 27. März 2000 im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Mißbrauchs von Kindern in 11 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet.
Der Angeklagte rügt mit seiner auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkten Revision die Verletzung sachlichen Rechts.
Das Rechtsmittel hat Erfolg.
1. Die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus hat keinen Bestand.
Das sachverständig beratene Landgericht hat angenommen, der Angeklagte habe alle Taten im Zustand erheblich verminderter Schuldfähigkeit begangen , da er an einer Persönlichkeitsstörung, die die Kriterien einer schweren anderen seelischen Abartigkeit im Sinne der §§ 20, 21 StGB erfülle, leide. Diese Bewertung leitet es aus folgenden Merkmalen und Wesenszügen des Angeklagten her:
Es handele sich um eine Person mit einem niedrigen Selbstwertgefühl, mit einer stark ausgeprägten Angst vor einem Versagen im Berufs- und Familienleben (die bereits im Grenzbereich einer neurotischen Störung anzusiedeln sei), mit einem permanenten Gefühl der Überforderung und mit einer stark ausgeprägten inneren Verletzlichkeit. Hinzu komme eine psychosexuelle Retardierung mit einer deutlichen Neigung zu sexuellen Handlungen an Kindern unter 14 Jahren, wie sie sich bereits in Straftaten in den Jahren 1975 und 1984/1985 gezeigt habe, es handele sich aber nicht um eine Pädophilie im engeren Sinne. Sein äußerst geringes Selbstwertgefühl versuche er kurzfristig durch den sexuellen Verkehr mit schwächeren Personen, nämlich Kindern, zu kompensieren. In der Gesamtschau ergäben die festgestellten Faktoren eine Persönlichkeitsstörung, die, obwohl sie sich einer klaren Einordnung etwa in das Schema des DSM IV entziehe, trotzdem die Voraussetzungen einer erheblich verminderten Schuldfähigkeit (§ 21 StGB) erfülle.
Diese Begründung hält rechtlicher Prüfung nicht stand.
Die Diagnose ”Persönlichkeitsstörung” läßt für sich genommen eine Aussage über die Frage der Schuldfähigkeit des Täters nicht zu. Es bedarf einer Gesamtschau, ob die Störungen beim Täter in ihrer Gesamtheit sein Leben
vergleichbar schwer und mit ähnlichen Folgen stören, belasten oder einengen wie krankhafte seelische Störungen. Art und Schweregrad der Störung müssen auf der Grundlage einer Gesamtbetrachtung der Persönlichkeit des Angeklagten und dessen Entwicklung bewertet werden, wobei auch Vorgeschichte, unmittelbarer Anlaß und Ausführung der Tat sowie das Verhalten nach der Tat von Bedeutung sind (st. Rspr. vgl. BGHSt 37, 397, 401; BGH NStZ 1997, 485; BGH, Beschl. v. 18. Januar 2000 – 4 StR 583/99, v. 3. Mai 2000 – 2 StR 629/99 und v. 9. Mai 2000 - 4 StR 59/00). In Betracht zu ziehen ist auch, ob es sich bei der "Persönlichkeitsstörung" letztlich nicht nur um Eigenschaften und Verhaltensweisen handelt, die sich innerhalb der Bandbreite voll schuldfähiger Menschen bewegen und übliche Ursachen für strafbares Verhalten sind (vgl. BGHSt 42, 385, 388).
Die Persönlichkeit des Angeklagten weist zwar psychische Auffälligkeiten auf, die sich auch in seinen Straftaten widerspiegeln. Der Sachverständige vermochte diese Auffälligkeiten aber nicht einmal in das Schema DSM IV einzuordnen. Störungen, deren Wertung als "schwer" i.S. der §§ 20, 21 StGB auf der Hand liegt, sind bei dem Angeklagten daher offensichtlich nicht gegeben. Der Sachverständige meint deshalb auch, eine solche Würdigung folge aus einer Gesamtbetrachtung des Zustandes des Angeklagten. Das ist indessen nicht mit Tatsachen belegt. Wenn aus psychiatrischer Sicht lediglich ein diffuses , nicht näher bestimmbares Beschwerdebild vorliegt, bedarf es zur Würdigung des Gewichts solcher Auffälligkeiten in besonderem Maße der Feststellung ihrer Auswirkungen auf das Leben des Täters und auf die Tat; diese Feststellungen sind im Urteil mitzuteilen. Dieses teilt hierzu neben finanziellen und ehelichen Alltagsproblemen des Angeklagten aber lediglich die - teilweise lange zurückliegenden - einschlägigen Straftaten mit, die es nicht als Ausdruck
einer sexuellen Deviation betrachtet. Damit verbleibt aber im wesentlichen nur der Umstand, daß der Angeklagte rückfällig geworden ist. Das ist, für sich genommen , nicht geeignet, eine schwere seelische Abartigkeit darzutun.
2. Da die Voraussetzungen einer erheblich verminderten Schuldfähigkeit nicht ausreichend festgestellt sind, kann die Unterbringungsanordnung keinen Bestand haben. Dieser Rechtsfehler führt hier auch zur Aufhebung des gesamten Strafausspruchs. Die rechtsfehlerhafte Annahme von § 21 StGB beschwert zwar im Bereich der eigentlichen Strafzumessung einen Angeklagten grundsätzlich nicht (vgl. Beschluß des Senats vom 10. Juni 1998 – 2 StR 215/98; BGH, Urt. v. 6. Januar 1998 – 5 StR 446/97, insoweit in BGHR StGB § 21 seelische Abartigkeit 32 - Triebstörung nicht abgedruckt).
Die zu den Voraussetzungen des § 21 StGB neu zu treffenden Feststellungen betreffen hier aber sowohl den Straf- wie auch den weiteren Rechtsfolgenausspruch. Der Senat hielt deshalb die Aufhebung der - sehr milden - Einzelstrafen und der an sich in ihrer Höhe dem Gesamtgeschehen gerecht wer-
denden Gesamtfreiheitsstrafe mit den zugehörigen Feststellungen für angebracht. Der neue Tatrichter hat damit die Möglichkeit, die zu verhängenden Einzelstrafen und die Gesamtfreiheitsstrafe umfassend aufeinander abzustimmen.
Jähnke Detter Bode RiBGH Rothfuß ist infolge Urlaubs verhindert , seine Unterschrift beizufügen. Jähnke Hebenstreit

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Bundesgerichtshof Beschluss, 26. Juli 2000 - 2 StR 278/00 zitiert 4 §§.

Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafgesetzbuch - StGB | § 21 Verminderte Schuldfähigkeit


Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

Strafgesetzbuch - StGB | § 20 Schuldunfähigkeit wegen seelischer Störungen


Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der

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BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 2 StR 219/00 vom 16. August 2000 in der Strafsache gegen wegen sexuellen Mißbrauchs von Kindern u.a. Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 16.

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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 583/99
vom
18. Januar 2000
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Totschlags u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 18. Januar 2000 gemäß
§ 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 22. Juni 1999 mit den Feststellungen aufgehoben; von der Aufhebung ausgenommen sind die Feststellungen zum äußeren Sachverhalt, die bestehen bleiben. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:


Das Landgericht hat den Angeklagten – nach Überleitung des Sicherungsverfahrens in das Strafverfahren (§ 416 StPO) - wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit Trunkenheit im Verkehr sowie wegen schwerer Brandstiftung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Jahren und ferner wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu je 10 DM, "die neben der Freiheitsstrafe bestehen bleibt", verurteilt. Ferner hat es dem Angeklagten die Fahrerlaubnis entzogen, den Führerschein eingezogen und bestimmt, daß dem Angeklagten "auf Lebenszeit" keine neue Fahrerlaubnis erteilt werden darf. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit
der er das Verfahren beanstandet und die Verletzung sachlichen Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge insoweit Erfolg, als die Schuldfähigkeitsbeurteilung des Angeklagten durch das Schwurgericht durchgreifenden rechtlichen Bedenken begegnet.
1. Das - sachverständig beratene - Landgericht hat bei allen drei Taten eine alkoholbedingt erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit des Angeklagten (§ 21 StGB) angenommen, jedoch eine Aufhebung der Schuldfähigkeit (§ 20 StGB) ausgeschlossen. Diese Bewertung hält rechtlicher Prüfung schon deshalb nicht stand, weil sich das Landgericht nur unzureichend mit den Auffälligkeiten in der Persönlichkeit des Angeklagten auseinandergesetzt und deshalb auch den zusammenwirkenden Einfluß von erheblicher Alkoholisierung (Tatzeit-Blutalkoholkonzentrationen von 3,08 %o bei dem Brandstiftungsdelikt und von 2,74 %o bei dem versuchten Tötungsdelikt, jeweils festgestellt auf Grund tatzeitnah entnommener Blutprobe), affektiver Belastung und der bei dem Angeklagten festgestellten Persönlichkeitsstörung auf dessen Zustand bei der Tatausführung nicht umfassend geprüft hat.
Nach Einschätzung der Sachverständigen, der das Landgericht folgt, besteht bei dem Angeklagten "aus psycho-dynamischer Sicht ... eine narzißtische Persönlichkeitsentwicklung mit zwanghaften Zügen ... Bei emotionalen Belastungen und Kränkungen kann es bei ihm zu krisenhaften Affektdurchbrüchen kommen". Weiter heißt es im Urteil: "Differentialdiagnostisch könnte auch ein Borderline-Syndrom mit hysteriformen Zügen vorliegen, d.h. eine IchSchwäche mit der Unfähigkeit, Triebspannungen, Affektdruck und äußere Belastungen auszuhalten, wobei es zu Impuls- und Affektdurchbrüchen, Realitätsverkennung und Selbstbeschädigung kommen kann". Sowohl die "narzißti-
sche Persönlichkeitsentwicklung und Störung der Impulskontrolle als auch ein möglicherweise vorliegendes Borderline-Syndrom (seien) aber nicht so ausgeprägt , daß sie Krankheitswert haben oder einem solchen nahekommen" (UA 100/101).
Insoweit begegnet es schon methodischen Bedenken, daß das Landgericht sich die Beurteilung der Sachverständigen zu eigen macht und das Vorliegen einer schweren seelischen Abartigkeit aufgrund lediglich hypothetischer Erwägungen zur Borderline-Störung ("könnte", "möglicherweise") ausgeschlossen hat, obwohl die Sachverständige ersichtlich selbst die Auffassung vertreten hat, "eine endgültige Einordnung dieser Diagnosen (sei) erst nach längerer Verlaufsbeobachtung möglich" (UA 101). Letzteres entspricht zwar dem Meinungsstand in der Psychiatrie (vgl. Kröber NStZ 1998, 80; ders. Nervenarzt 1995, 532, 539). Ohne eine abschließende Klärung der Art der bei dem Angeklagten festgestellten Persönlichkeitsstörung läßt sich aber grundsätzlich auch eine sichere Aussage darüber, ob diese als schwere seelische Abartigkeit im Sinne der §§ 20, 21 StGB zu qualifizieren ist, nicht treffen (vgl. zu den Schwierigkeiten dieser Einordnung aus psychiatrischer Sicht: Foerster NStZ 1988, 444 ff.; Winckler/Foerster NStZ 1997, 334 f.). Das gleiche gilt, soweit das Landgericht meint, die Persönlichkeitsauffälligkeiten lägen "im Normbereich menschlichen Verhaltens" (UA 101). Welchen Maßstab das Landgericht dieser - pauschalen - Bewertung zugrundegelegt hat, ist dem Urteil nicht zu entnehmen. Das Landgericht durfte sich hierbei auch nicht einfach der Bewertung der Sachverständigen anschließen, ohne sie kritisch zu hinterfragen (BGHSt 42, 385, 388 f.; BGHR StPO § 261 Überzeugungsbildung 17; zu der Aufgabe des Sachverständigen, dem Gericht seine Bewertung “verständlich, übersetzbar und plausibel” zu machen, Mauthe DRiZ 1999, 262, 268 f.). Hierzu bestand
umso mehr Anlaß, da die Bewertung in auffälligem Gegensatz zu dem abgeurteilten Tatgeschehen und dem weiteren festgestellten Verhalten des Angeklagten steht. Im übrigen ist die für möglich gehaltene BorderlinePersönlichkeitsstörung nach Art, Entstehung, Ausmaß und Wirkungen im Urteil auch nicht hinreichend konkretisiert, um ihren möglichen Einfluß auf die Schuldfähigkeit des Angeklagten beurteilen zu können und dem Revisionsgericht unter diesem Gesichtspunkt die rechtliche Prüfung zu ermöglichen (BGH NStZ 1999, 508 f. m.w.N.). Im Zusammenhang mit der gebotenen Gesamtschau der Täterpersönlichkeit und ihrer Entwicklung (vgl. BGHSt 37, 397, 401; BGH, Beschluß vom 14. Juli 1999 – 3 StR 160/99 – m.w.N.) hätten zudem die Gründe näherer Erörterung bedurft, die dazu geführt haben, daß der Angeklagte zwischen Oktober 1985 und April 1998 insgesamt siebenmal stationär psychiatrisch behandelt werden mußte.
Schon dieser Mangel der Grundlagen für die Beurteilung der Schuldfähigkeit nötigt zur Aufhebung des Urteils; denn der Senat kann nicht ausschließen , daß eine abschließende psychiatrische Diagnose die Annahme des Vorliegens einer schweren seelischen Abartigkeit begründet, aufgrund derer zumindest im Zusammenwirken mit der erheblichen Alkoholisierung auch eine vollständige Aufhebung der Schuldfähigkeit in Betracht kommt. Dies gilt hier schon deshalb, weil die Alkoholisierung jeweils dem Grad nahekommt bzw. ihn erreicht hat, der nach der Rechtsprechung schon für sich genommen Anlaß gibt, eine vollständige Aufhebung der Schuldfähigkeit in Erwägung zu ziehen (BGHSt 34, 29, 31; Senatsbeschluß vom 9. November 1999 - 4 StR 521/99). Hinzu kommt, daß das Urteil nicht hinreichend erkennen läßt, ob das Landgericht bei der Beurteilung der psycho-diagnostischen Kriterien genügend bedacht hat, daß "eingeschliffenes" Verhalten und "schlichte Handlungsmuster"
jedenfalls nicht ohne weiteres geeignet sind, die Indizwirkung einer hohen Blutalkoholkonzentration zu entkräften (BGHSt 43, 66, 70; BGH NStZ 1996, 227 = StV 1996, 224; BGH BA 1999, 179, 180). Soweit das Landgericht dabei auf das "situationsangepaßte" Verhalten abhebt, und dabei in bezug auf das Brandstiftungsdelikt insbesondere auch das Verhalten nach der Tat heranzieht, ist die Aussagekraft schon deshalb von geringerem Gewicht, weil es nach §§ 20, 21 StGB auf die Befindlichkeit des Täters "bei Begehung der Tat" ankommt (vgl. BGH NStZ 1999, 508 f.). Zudem hätte das Landgericht in diesem Zusammenhang auch berücksichtigen müssen, daß der Angeklagte in der psychosozialen Kriseneneinrichtung zwar sogleich auf das Feuer in seiner Wohnung hingewiesen hatte, aber unmittelbar danach - "aggressiv und aufgebracht darüber, daß er ... nicht aufgenommen wurde" – androhte, alles anzuzünden, und "demonstrativ ... ein brennendes Feuerzeug an einen dort befindlichen Stoffsessel" hielt (UA 23 f.), was eher gegen die Fähigkeit spricht, sich noch kontrollieren zu können. Ebenso durfte das Landgericht in bezug auf das Tatgeschehen im Zusammenhang mit dem Führen des Taxis zwar die "motorische" Fähigkeit zum Lenken des Fahrzeugs über eine Strecke von 800 m berücksichtigen (UA 110). Doch verliert dieser Umstand dadurch an Gewicht, daß der Angeklagte mit dem Fahrzeug schließlich - und zwar nicht etwa absichtlich (UA 89) - gegen einen Baum prallte. Daß schließlich auch der Bewertung der Zeugen, die den Zustand des Angeklagten jeweils als “nicht volltrunken” bezeichnet haben, allenfalls eine geringe Beweisbedeutung für die Schuldfähigkeitsbeurteilung zukommt, bedarf keiner näheren Darlegung.
2. Der zur Aufhebung des Urteils führende Rechtsfehler entzieht auch der Entscheidung die Grundlage, soweit das Schwurgericht davon abgesehen
hat, die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus und in einer Entziehungsanstalt anzuordnen.

a) Hinsichtlich der Unterbringungsentscheidung nach § 63 StGB hat das Landgericht infolge der unzureichenden Schuldfähigkeitsbeurteilung den rechtlich bedeutsamen Zusammenhang von Alkoholisierung des Angeklagten und der bei ihm festgestellten Persönlichkeitsstörung außer Betracht gelassen.
Auch wenn mit der gehörten Sachverständigen davon auszugehen ist, daß die Persönlichkeitsstörung des Angeklagten noch nicht so stark ist, daß sie bereits für sich genommen zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit geführt hat, die festgestellte Verminderung der Schuldfähigkeit letztlich vielmehr erst durch die aktuelle Alkoholintoxikation herbeigeführt worden ist, schließt dies nicht von vornherein das Vorliegen der Voraussetzungen eines Zustands beim Angeklagten aus, der die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB rechtfertigen kann. Allerdings war in diesen Fällen für die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach früherer Rechtsprechung nur dann Raum, wenn der Täter an einer krankhaften Alkoholsucht leidet oder in krankhafter Weise alkoholüberempfindlich ist (st. Rspr.; vgl. u.a. BGHSt 34, 313 ff.; dazu neuerdings BGHSt 44, 338). In neuerer Rechtsprechung hat der Bundesgerichtshof diese Voraussetzungen aber dahin präzisiert, daß auch dann ein die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus rechtfertigender Zustand anzunehmen sein kann, wenn zwar erst die aktuelle Alkoholintoxikation den Ausschluß der Schuldfähigkeit oder deren erhebliche Verminderung bewirkt hat, der Täter aber an einer länger dauernden krankhaften geistig-seelischen Störung leidet und als Auslösungsfaktor für den Zustand im Sinne der §§ 20, 21 StGB alltägli-
che Ereignisse in Betracht kommen (BGH StV 1999, 486 = NJW 1999, 3422). So kann es sich hier verhalten.
Das Landgericht stellt ausdrücklich fest, der Angeklagte neige dazu, "in Konfliktsituationen Alkohol in größeren Mengen zu sich zu nehmen"; das Trinken von Alkohol stelle bei ihm "ein Verhaltensmuster zur Lebensbewältigung dar, wobei er sich in Belastungs- und Krisensituationen, um sich zu betäuben, in den Alkohol flüchtet" (UA 7, 102). Insoweit besteht aber ein unmittelbarer Bezug zu seiner Persönlichkeitsstörung, denn seine "Ich-Schwäche mit der Unfähigkeit, Triebspannungen, Affektdruck und äußere Belastungen auszuhalten" , äußert sich in "krisenhaften Affektdurchbrüchen" ebenfalls "bei emotionalen Belastungen und Kränkungen" (UA 100); sie bildet deshalb psychodynamisch dieselbe Ursache, die auch seine “Flucht in den Alkohol” begründet. Auch das Landgericht geht mit der Sachverständigen davon aus, daß "der Alkohol als Katalysator diente und aggressiven Tendenzen zum Durchbruch verhalf" (UA 105). Zumal angesichts des erheblichen Gewichts der dem Angeklagten angelasteten Taten einerseits und der geringfügigen, eher "alltäglichen" tatauslösenden Umstände andererseits kann dies in Anbetracht der - wie auch die bereits frühzeitige und wiederholte stationäre psychiatrische Behandlung des Angeklagten zeigt - dauerhaften und behandlungsbedürftigen Persönlichkeitsstörung als Anordnungsgrundlage für § 63 StGB ausreichen (vgl. BGH, Beschluß vom 14. April 1999 - 3 StR 36/99). Daß von dem Angeklagten auch die bestimmte Gefahr weiterer erheblicher rechtswidriger Taten ausgeht, hat das Landgericht selbst angenommen; denn im Rahmen der Entscheidung über die Dauer der Sperrfrist nach § 69 a StGB ist es - überzeugend – davon ausgegangen , daß die "Wiederholungsgefahr groß" sei (UA 123).

b) Auch die Frage der Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB (zur gleichzeitigen Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und in einer Entziehungsanstalt vgl. BGHR StGB § 72 Sicherungszweck 3) bedarf neuer Entscheidung. Zwar setzt die Anordnung der Maßregel nach § 64 StGB von Verfassungs wegen die hinreichend konkrete Aussicht eines Behandlungserfolges voraus (BVerfGE 91, 1 = NStZ 1994, 578). Doch genügt entgegen der Aufassung des Landgerichts für die Annahme der Aussichtslosigkeit noch nicht, daß der Angeklagte "keine Einsicht in seine Mißbrauchsproblematik" hat (UA 122). Eine solche mangelnde Einsicht kann ebenso wie mangelnde Therapiemotivation zwar ein Indiz dafür sein, daß eine Entwöhnungsbehandlung keine Erfolgschancen hat. Andererseits bedarf es in solchen Fällen der Prüfung und Darlegung , daß auch mit therapeutischen Bemühungen eine positive Beeinflussung des Angeklagten nicht zu erreichen wäre (BGHR StGB § 64 Abs. 1 Erfolgsaussicht 7; BGH, Beschluß vom 25. Oktober 1995 - 2 StR 535/95).
3. Die Feststellungen zum äußeren Sachverhalt sind von den beanstandeten Rechtsfehlern nicht betroffen. Sie können deshalb bestehen bleiben. Auf die Aufklärungsrüge, die allein die Ursache des Fahrens in Schlangenlinien betrifft, nicht hingegen das Fahren in Schlangenlinien als solches, kommt es deshalb nicht an. Im übrigen hätte die Aufklärungsrüge, wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift vom 30. November 1999 näher ausgeführt hat, auch in der Sache keinen Erfolg (§ 349 Abs. 2 StPO).
4. Für das weitere Verfahren wird es sich empfehlen, zur Schuldfähigkeitsprüfung einen weiteren Sachverständigen hinzuzuziehen.
Sollte der neue Tatrichter wiederum zur Annahme - wenn auch erheblich verminderter - Schuldfähigkeit des Angeklagten gelangen, wird bei einem Schuldspruch wegen des Brandstiftungsdelikts nach § 306 a StGB insbesondere die Strafrahmenwahl mit Blick auf die Vielzahl gewichtiger Strafmilderungsgründe eingehenderer Prüfung als bisher bedürfen. Schließlich hat der Senat auch Bedenken, ob das Landgericht von dem ihm in § 53 Abs. 2 Satz 2 StGB eingeräumten Ermessen rechtsfehlerfrei Gebrauch gemacht hat, wenn es die Entscheidung , die wegen der Beleidigung verhängte Geldstrafe neben der Gesamtfreiheitsstrafe bestehen zu lassen, allein auf "erzieherische Gründe" gestützt hat (UA 121), ohne darzulegen, worin die erzieherische Einwirkung bestehen soll, den - ersichtlich “verarmt(en)” (vgl. UA 6 und 7) - Angeklagten neben der hohen Gesamtfreiheitsstrafe noch zusätzlich am Vermögen zu bestrafen.
Meyer-Goßner Maatz Kuckein Athing Ernemann

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 629/99
vom
3. Mai 2000
in der Strafsache
gegen
wegen Betruges u.a.
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 3. Mai 2000 gemäß § 349 Abs. 2
und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Gera vom 3. September 1999 im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

I.

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Betrugs in zwei Fällen, versuchten Betrugs in einem Fall, Untreue in 35 Fällen und Unterschlagung in einem Fall zu der Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und s echs Monaten verurteilt sowie seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Der Angeklagte rügt mit seiner Revision die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Die Sachrüge führt zur Aufhebung des Rechtsfolgenausspruchs ; im übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

II.

Die Maßregelanordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus hält der rechtlichen Prüfung nicht stand. Die bisherige Begründung des Landgerichts belegt weder, daß bei dem Angeklagten eine s c h w e r e andere seelische Abartigkeit besteht, noch, daß in deren Folge die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten bei der Begehung der Untreue in den Fällen 3 - 37 e r h e b l i c h vermindert war. Das sachverständig beratene Landgericht hat angenommen, der Angeklagte leide an einer "histrionisch (hysterisch)-narzißtischen Persönlichkeitsstörung im Sinne des ICD 9 Nr. 301/8." Diese Bewertung leitet es aus folgenden Merkmalen und Wesenszügen des Angeklagten her: 1. Er sei übertrieben besorgt um die Wirkung seines Ä ußeren, wobei auch eine Vernachlässigung seines Aussehens und seiner Körperpflege während der gesamten Hauptverhandlung eingeschlossen sei. Seine Haare seien fettig und strähnig gewesen, sein Zahnstatus ersichtlich desolat. 2. Er fühle sich unwohl in Situationen, in denen er nicht im Mittelpunkt stehe. 3. Er zeige rasch wechselnde und oberflächliche Emotionen auf Beziehungen. 4. Er sei stark egozentrisch, sein Handeln sei auf unmittelbare Befriedigung ausgerichtet; Frustrationen durch Belohnungsaufschub ertrage er schwer, sie führten unter Umständen zu rastlosen Aktivitäten, um rasch zu mehr Geld zu kommen. 5. Er betreibe eine Dramatisierung bezüglich der eigenen Person sowie theatralisches Verhalten. 6. Er sei erhöht kränkbar. 7. Ihm fehle Einfühlungsvermögen und Bezugnahme auf andere.
8. Er nutze zwischenmenschliche Beziehungen aus, um mit fremder Hilfe eigene Ziele zu erreichen. Dabei gebe es Überschneidungen zur narzißtischen Persönlichkeitsstörung. Dieses "Krankheitsbild" sei durch anlagebedingte und sonstige Faktoren entstanden. Der Angeklagte habe eine normale Intelligenz, eine gute Auffassungsgabe , eine besondere Antriebslage und hohe Wahrnehmungsfähigkeit. Er komme gut allein zurecht und setze sich hohe Ziele. Erreiche er diese Ziele nicht, führe das zu Frustrationen und einem pathologischen Narzißmus. Auf solche Situationen reagiere er seit seiner Jugend mit Lügengeschichten, um sein Selbstwertgefühl zu stabilisieren. Diese "psychischen Abnormitäten" wirkten sich auch organisch aus. In Belastungssituationen sei es seit 1983 wiederholt zu psychischen Dekompensationen gekommen, die im Sinne einer Konversion zu einer schlaffen Beinlähmung ohne organische Grundlage führe, so daß er bei deren Auftreten auf den Rollstuhl angewiesen sei. Dieses Phänomen stelle er unbewußt in seinen Dienst. Das Zusammenwirken dieser Symptome wertet das Landgericht als s c h w e r e andere seelische Abartigkeit. Dieser rechtlichen Wertung kann der Senat jedoch nicht folgen. Der Angeklagte weist zwar gewisse psychische Auffälligkeiten auf. Diese rechtfertigen jedoch weder einzeln noch in ihrer Gesamtheit die Bewertung als s c h w e r e andere seelische Abartigkeit. Eine Relevanz der in Ziffern 1 und 2 mitgeteilten Befunde für die Annahme einer schweren anderen seelischen Abartigkeit ist nicht zu erkennen. Im übrigen handelt es sich überwiegend um Eigenheiten oder Verhaltensweisen, die sich Täter eines Betrugs oder einer Untreue üblicherweise zunutze machen, um leichtgläubige Tatopfer zum eigenen Vorteil zu
schädigen. Von Gewicht könnte allenfalls die als Konversionserscheinung gedeutete Beinlähmung sein, die indessen im Zusammenhang mit den hier zu beurteilenden Taten nicht festgestellt wurde. Vielmehr entfaltete der Angeklagte zu deren Begehung eine rege europaweite Reisetätigkeit. Die vom Landgericht beschriebene Persönlichkeitsstörung hat auch keine e r h e b l i c h e Verminderung der Steuerungsfähigkeit des Angeklagten zur Folge. Für die Fälle 1, 2, 38 und 39 hat das Landgericht dies selbst nicht angenommen, weil es sich bei diesen Taten um mehrstufige und mehraktige Geschehensabläufe gehandelt habe, bei denen dem Angeklagten noch genügend Möglichkeiten zum Gegensteuern verblieben seien. Für die Bankverfügungen in den Fällen 3 bis 37 gilt aber im Ergebnis nichts anderes. Selbst wenn man die vom Landgericht beschriebenen psychischen Auffälligkeiten zugrundelegt , rechtfertigt dies nicht die Annahme, die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten sei jedenfalls bei den technisch gesehen einfach zu verwirklichenden Bankverfügungen wegen eines "starken inneren Zwangs" erheblich vermindert gewesen. Dies gilt um so mehr, als ein Zusammenhang zwischen der als Konversionserscheinung gewerteten Beinlähmung und der Steuerungsfähigkeit des Angeklagten bei Begehung der zu beurteilenden Taten bisher nicht nachvollziehbar festgestellt ist. Die Klassifizierung der Persönlichkeitsstörung unter ICD 9 Nr. 301/8 (= ICD 10 F 60.4) rechtfertigt keine andere Beurteilung, weil sich allein hieraus weder das Gewicht der Störung ergibt, noch deren Auswirkungen auf die Steuerungsfähigkeit. Bei der Prüfung, ob bei dem Angeklagten eines der Eingangsmerkmale des § 20 StGB als Grundlage für eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit vorhanden ist, hätte das Landgericht schließlich auch mitteilen
müssen, welche Diagnosen bereits früher wiederholt zu langen Aufenthalten des Angeklagten in geschlossenen Abteilungen psychiatrischer Krankenhäuser führten, so von Februar 1972 bis Dezember 1976 in Lüneburg und von Mitte 1979 bis Mitte 1980 im Bezirkskrankenhaus Haar. Es ist nicht ausgeschlossen, daß der neue Tatrichter weitere Umstände feststellen kann, die bei der gebotenen Gesamtwürdigung die Annahme rechtfertigen , die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten sei bei der Tatbegehung im Sinne des § 21 StGB erheblich vermindert gewesen. Hierüber muß daher neu verhandelt und entschieden werden.

III.

Da sich die fehlerhafte Annahme einer erheblichen Verminderung der Schuldfähigkeit auch auf die Strafzumessung auswirkt (§§ 21, 49 Abs. 1 StGB), kann der Strafausspruch insgesamt nicht bestehen bleiben. Er muß daher mit den zugehörigen Feststellungen ebenfalls aufgehoben werden, damit der neue
Tatrichter die zu verhängenden Einzelstrafen und die Gesamtfreiheitsstrafe umfassend aufeinander abstimmen kann. Jähnke Detter Bode Otten Rothfuß

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 59/00
vom
9. Mai 2000
in der Strafsache
gegen
wegen Betruges u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 9. Mai 2000 gemäß § 349
Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil der Jugendkammer des Landgerichts Münster beim Amtsgericht Bocholt vom 7. Oktober 1999 im Rechtsfolgenausspruch mit den Feststellungen aufgehoben; jedoch bleibt die Anordnung einer Sperre für die Erteilung einer Fahrerlaubnis aufrechterhalten. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:


Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Betruges in 49 Fällen, Fahrens ohne Fahrerlaubnis in vier Fällen und Vortäuschens einer Straftat zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten verurteilt, seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet und eine Sperre für die Erteilung einer Fahrerlaubnis verhängt. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat zum Rechtsfolgenausspruch im wesentlichen Erfolg ; im übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
1. Der Strafausspruch kann nicht bestehen bleiben. Wird aus Anlaß der Straftat eines Jugendlichen oder eines nach Jugendstrafrecht zu beurteilenden Heranwachsenden dessen Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet, so wird gemäß § 5 Abs. 3 JGG von Jugendstrafe abgesehen, wenn die Maßregelanordnung die Ahndung durch Jugendstrafe entbehrlich macht. Eine entsprechende Prüfung und Entscheidung ist dem angefochtenen Urteil - auch dessen Gesamtzusammenhang - nicht zu entnehmen. Dies ist rechtsfehlerhaft und führt zur Aufhebung des Ausspruchs über die Jugendstrafe (BGHR JGG § 5 Abs. 3 Absehen 1 und 2). Im übrigen kann sich zum Nachteil des Angeklagten auch ausgewirkt haben, daß das Landgericht ihn für den gesamten Tatzeitraum als Heranwachsenden angesehen hat (UA 38), wohingegen er in den Fällen II 1 bis 3 noch Jugendlicher war.
2. Der Senat hebt auch die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus auf. Dazu nötigt hier schon, daß der unmittelbar die Verhängung der Jugendstrafe betreffende Rechtsfehler eng mit dem Verhältnis zwischen Jugendstrafe und Unterbringung zusammenhängt, die Unterbringung eines jugendlichen oder eines nach Jugendrecht beurteilten heranwachsenden Täters in einem psychiatrischen Krankenhaus nur in Ausnahmefällen in Betracht kommt (vgl. BGHSt 37, 373, 374) und deshalb ohnehin neue Erwägungen über die angemessenen Rechtsfolgen geboten sind (vgl. BGH NStZ 1998, 86, 87; BGHR JGG § 5 Abs. 3 Absehen 1).
Überdies begegnet dieser Maßregelausspruch auch für sich selbst genommen rechtlichen Bedenken, weil dem Urteil nicht ausreichend zu entnehmen ist, ob die Kammer von zutreffenden Voraussetzungen für die Anordnung einer Unterbringung nach § 63 StGB ausgegangen ist:
Nach den im Urteil dargelegten Ausführungen der psychiatrischen Sachverständigen "leidet der Angeklagte an einer narzißtischen Persönlichkeitsstörung mit daraus resultierenden eigenen Wert- und Normenvorstellungen, die zu einer erheblichen Einschränkung seiner Fähigkeit zu Eigensteuerung, sowie zu Realitätsprüfung führen”. Das Landgericht hat sich der Bewertung der Sachverständigen angeschlossen, die in der ”relativen Bedenkenlosigkeit, mit der der Angeklagte vorging,” den ”Ausdruck einer Persönlichkeitsstörung in Form einer sogenannten schweren anderen seelischen Abartigkeit” sieht (UA 39). Das begegnet schon deshalb Bedenken, weil es eine nicht vom Gutachter, sondern – auf der Grundlage der Anknüpfungs- und Befundtatsachen – vom Tatrichter zu beantwortende Rechtsfrage ist, ob eine schwere andere seelische Abartigkeit im Sinne der §§ 20, 21 StGB vorliegt, die zu einer ”erheblichen” Verminderung der Steuerungsfähigkeit geführt hat (std. Rspr.; BGH NStZ 2000, 24; BGH, Urteil vom 13. August 1997 – 3 StR 189/97; im Zusammenhang mit narzißtischer Persönlichkeitsstörung auch Urteil vom 26. August 1997 – 1 StR 383/97).
Im übrigen ist die Umschreibung der Persönlichkeitsstörung so knapp und allgemein gehalten, daß sich nicht zuverlässig beurteilen läßt, ob bei dem Angeklagten ein mit der Tatbegehung in symptomatischem Zusammenhang stehender, länger andauernder Defekt, der zumindest eine erhebliche Einschränkung der Schuldfähigkeit im Sinne des § 21 StGB begründet, positiv feststeht, wie dies die Anordnung der Unterbringung gemäß § 63 StGB voraussetzt (BGHSt 34, 22, 26 f.; 42, 385, 386; BGH NStZ 1999, 612 f. m.w.N.). Zwar können ausnahmsweise auch nicht pathologisch bedingte Störungen Anlaß für eine Unterbringung nach § 63 StGB sein; erforderlich ist aber, daß sie in ihrem Gewicht den krankhaften seelischen Störungen entsprechen (BGHSt 34, 22,
28; BGH NStZ 1998, 86). Die Diagnose einer wie auch immer gearteten Persönlichkeitsstörung läßt für sich genommen eine Aussage über die Frage der Schuldfähigkeit des Täters nicht zu (BGHSt 42, 385, 388; BGHR StGB § 21 seelische Abartigkeit 13). Das Landgericht hätte sich insbesondere der Frage zuwenden müssen, ob es sich bei der von ihm beschriebenen ”Persönlichkeitsstörung” letztlich um Eigenschaften und Verhaltensweisen handelt, die sich innerhalb der Bandbreite voll schuldfähiger Menschen bewegen und übliche Ursachen für strafbares Verhalten sind (vgl. BGH NStZ 1997, 383; BGHR StGB § 63 Zustand 24, 26). Hierbei konnte auch von Bedeutung sein, ob überhaupt und ggf. in welcher Weise therapeutisch auf die Persönlichkeit des Angeklagten Einfluß genommen werden kann (vgl. dazu BGH NStZ 1998, 86, 87). Dazu verhält sich das Urteil nicht. Davon abgesehen kann unter Umständen auch dann, wenn die ”Schwere” der seelischen Abartigkeit bejaht wird, dennoch die ”Erheblichkeit” ihrer schuldmindernden Wirkung zu verneinen sein (BGH NStZ 1996, 380 m.Anm. Winckler/Foerster NStZ 1997, 334). Der Zweifelsgrundsatz findet bei der Prüfung der Voraussetzungen des § 63 StGB keine Anwendung (BGHSt 42, 385, 388). Ob Persönlichkeitsstörungen
beim Täter in ihrer Gesamtheit sein Leben vergleichbar schwer und mit ähnlichen Folgen beeinträchtigen oder einengen wie krankhafte seelische Störungen (BGHSt 37, 397, 401), läßt sich erst auf Grund einer Gesamtschau beurteilen , die eine Gesamtwürdigung der Persönlichkeit des Angeklagten und ihrer Entwicklung, des Gewichts der Persönlichkeitsstörung und deren Zusammenhang mit den konkreten Taten enthalten muß.
Meyer-Goßner Maatz Kuckein Athing Ernemann

Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.