Bundesgerichtshof Beschluss, 29. Jan. 2019 - 2 StR 274/18

bei uns veröffentlicht am29.01.2019

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 274/18
vom
29. Januar 2019
in der Strafsache
gegen
1.
2.
3.
4.
5.
wegen schweren Bandendiebstahls u.a.
ECLI:DE:BGH:2019:290119B2STR274.18.1

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung der Beschwerdeführer und des Generalbundesanwalts – zu Ziffer 3. auf dessen Antrag – am 29. Januar 2019 gemäß § 349 Abs. 2 und 4, § 354 Abs. 1 (analog), § 357 StPO
beschlossen:
1. Auf die Revisionen der Angeklagten M. , F. , S. und Sa. wird das Urteil des Landgerichts Bonn vom 19. Januar 2018 – auch bezüglich des Angeklagten L. –
a) in sämtlichen Einzel- und Gesamtstrafenaussprüchen und,
b) soweit es die Angeklagten M. und L. betrifft, im Ausspruch über die Dauer des Vorwegvollzugs aufgehoben ,
c) soweit es die Angeklagten M. , F. , S. und L. betrifft, im Ausspruch über die Einziehung dahin klargestellt, dass der im landgerichtlichen Urteilstenor unter Ziffer 8. Buchstabe e) angegebene Betrag 6.100 Euro beträgt. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weiter gehenden Revisionen der Angeklagten werden verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten M. unter Freispruch im Übrigen wegen schweren Bandendiebstahls in zehn Fällen, versuchten schweren Ban- dendiebstahls in drei Fällen, Diebstahls „im besonders schweren Fall“ in sieben Fällen und wegen Brandstiftung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und zehn Monaten verurteilt und unter Anordnung eines Vorwegvollzugs der Freiheitsstrafe die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet; den Angeklagten F. hat es unter Freispruch im Übrigen wegen schweren Bandendiebstahls in sieben Fällen, versuchten schweren Bandendiebstahls in drei Fällen, Diebstahls „im besonders schweren Fall“ in vier Fällen, davon in einem Fall versucht, wegen Diebstahls und wegen Begünstigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und acht Monaten verurteilt. Den Angeklagten S. hat das Landgericht unter Freispruch im Übrigen wegen schweren Bandendiebstahls in neun Fällen, versuchten schweren Bandendiebstahls in zwei Fällen, Diebstahls „im besonders schweren Fall“ in zwei Fällen und wegen Brandstiftung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und vier Monaten und den Angeklagten Sa. unter Freispruch im Übrigen wegen Diebstahls „im besonders schweren Fall“ in fünf Fällen, davon in einem Fall versucht und wegen Beihilfe zum Diebstahl unter Einbeziehung zweier Strafen aus einer weiteren Verurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren, unter Aussetzung der Vollstreckung zur Bewährung, verurteilt. Darüber hinaus hat es gegenüber allen Angeklagten Einziehungsentscheidungen getroffen.
2
Gegen dieses Urteil richten sich die Revisionen der Angeklagten M. , F. , S. und Sa. , die jeweils auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützt sind; der Angeklagte M. rügt darüber hinaus die Verlet- zung formellen Rechts. Die Revisionen haben in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen sind sie unbegründet. Die Entscheidung ist auf den Mitangeklagten L. zu erstrecken (§ 357 StPO).
3
1. Die vom Angeklagten M. erhobene, nicht näher ausgeführte Verfahrensrüge , ist unzulässig (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO).
4
2. Die Nachprüfung des Urteils hat hinsichtlich der jeweiligen Schuldsprüche keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben.
5
3. Sämtliche Strafaussprüche halten der rechtlichen Prüfung nicht stand.
6
a) Wie der Generalbundesanwalt in seinen Zuschriften vom 6. August 2018 ausgeführt hat, ist das Landgericht im Fall II. 10 der Urteilsgründe – betreffend die Angeklagten M. , F. , S. und den nicht (mehr) revidierenden Mitangeklagten L. – rechtsfehlerhaft von einer Strafuntergrenze von sechs Monaten statt richtigerweise von drei Monaten ausgegangen und hat Einzelstrafen verhängt, die dieser fehlerhaften Mindeststrafe entsprechen bzw. die nur geringfügig über dieser Mindeststrafe liegen.
7
b) In den Fällen II. 1, 16, 19, 21, 22, 25, 26, 27 und 28 der Urteilsgründe hat die Strafkammer wegen (vollendeten) „Diebstahls im besonders schweren Fall“ verurteilt und ihren konkreten Zumessungserwägungen jeweilsrechtsfehlerhaft einen Strafrahmen „zwischen sechs Monaten und 10 Jahren“ statt zutref- fend von drei Monaten bis zu zehn Jahren zugrunde gelegt. Der Senat schließt mit dem Generalbundesanwalt aus, dass es sich dabei jeweils um ein bloßes Schreibversehen handelt. Der Senat kann in allen diesen Fällen indes letztlich nicht ausschließen, dass die Angeklagten durch die Festsetzungen der jeweiligen Einzelstrafen aufgrund des systematisch fehlerhaft angewendeten Strafrahmens beschwert sind.
8
c) Das Landgericht hat überdies eine mögliche Strafmilderung nach § 46b StGB hinsichtlich des Angeklagten M. in den Fällen II. 1, 6, 7, 10,11, 17, 22, 24, 25 und 28 der Urteilsgründe, hinsichtlich des Angeklagten F. in den Fällen II. 11, 12, 18 und 20 der Urteilsgründe und hinsichtlich des Angeklagten S. in den Fällen II. 7, 8, 14, 18, 19, 20, 26 und 30 der Urteilsgründe nicht erörtert, obwohl nach den Urteilsfeststellungen dazu Anlass bestand.
9
Die Strafkammer hat zwar festgestellt, dass die Angeklagten M. , F. und S. „in einem beträchtlichen Umfang Aufklärungshilfe geleistet“ hätten; indessen käme ein „Absehen von Strafe gemäß § 46 Abs. 1 a.E. StGB […] angesichts der Vorstrafen nicht in Betracht. Vielmehr hat die Kammer – im Einzelfall unter Absenkung des Regelstrafrahmens – die an sich schuldangemessene Freiheitsstrafe herabgesetzt“.
10
Die Aufklärungshilfe der Angeklagten hat das Landgericht folglich nur als allgemeinen Strafzumessungsumstand berücksichtigt. Es hätte jedoch aufgrund seiner Feststellungen nicht nur prüfen dürfen, ob gemäß „§ 46 Abs. 1 a.E. StGB“ [gemeint: § 46b Abs. 1 Satz 4 StGB] von Strafe abgesehen werden kann, sondern bereits bei der Bestimmung des jeweiligen Strafrahmens erörtern müssen , ob die Aufklärungshilfe der Angeklagten eine im Ermessen des Tatgerichts stehende Strafrahmenverschiebung nach § 46b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB i.V.m. § 100a Abs. 2 Nr. 1 Buchst. j StPO als vertyptem Strafmilderungsgrund ermöglicht.
11
d) Der Senat hebt darüber hinaus auch die Einzelstrafen auf, die von den Rechtsfehlern nicht betroffen sind, um dem neuen Tatgericht eine insgesamt einheitliche Strafzumessung zu ermöglichen. Der Wegfall der Einzelstrafen entzieht den jeweiligen Gesamtstrafen die Grundlage. Damit unterliegt auch die Dauer des Vorwegvollzugs eines Teils der verhängten Freiheitsstrafe der Aufhebung. Die Feststellungen sind von den Rechtsfehlern nicht betroffen. Sie bleiben daher aufrecht erhalten (§ 353 Abs. 2 StPO). Der neue Tatrichter kann ergänzende Feststellungen treffen, soweit diese nicht mit den bisherigen in Widerspruch stehen.
12
Da die Gesetzesverletzungen in gleicher Weise den Mitangeklagten L. betreffen, der sein Rechtsmittel zurückgenommen hat, ist die Urteilsaufhebung insoweit auf ihn zu erstrecken (§ 357 StPO). Wegen der Aufhebung des Strafausspruchs ist auch die Grundlage für den Ausspruch über den Vorwegvollzug entfallen.
13
4. Im Hinblick auf die Einziehungsanordnung weist das Urteil einen die Angeklagten M. , F. und S. beschwerenden Rechtsfehler auf, der auch den Mitangeklagten L. betrifft. Ausgehend von den Wertangaben zu den erbeuteten Gegenständen ergibt sich im Fall II. 12 der Urteilsgründe unter Berücksichtigung der Zurückerlangung von zwei Rennrädern und des Musikinstruments ein verbleibender Wert des Erlangten von 6.100 Euro statt 6.900 Euro. Insoweit ist die Einziehungsentscheidung des landgerichtlichen Urteilstenors unter Ziffer 8. Buchstabe e) klarzustellen und auf den Mitangeklagten L. zu erstrecken. Soweit sich das Landgericht zugunsten der Angeklagten M. , F. , S. und Sa. in den Fällen II. 18, 19 und 27 der Urteilsgründe zum Wert des Erlangten geringfügig verrechnet hat, sind die Angeklagten nicht beschwert.
Franke Appl Zeng
RiBGH Schmidt ist wegen Urlaubs an der Unterschrift gehindert. Grube Franke

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Strafprozeßordnung - StPO | § 344 Revisionsbegründung


(1) Der Beschwerdeführer hat die Erklärung abzugeben, inwieweit er das Urteil anfechte und dessen Aufhebung beantrage (Revisionsanträge), und die Anträge zu begründen. (2) Aus der Begründung muß hervorgehen, ob das Urteil wegen Verletzung einer R

Strafprozeßordnung - StPO | § 353 Aufhebung des Urteils und der Feststellungen


(1) Soweit die Revision für begründet erachtet wird, ist das angefochtene Urteil aufzuheben. (2) Gleichzeitig sind die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben, sofern sie durch die Gesetzesverletzung betroffen werden, wegen deren

Strafprozeßordnung - StPO | § 357 Revisionserstreckung auf Mitverurteilte


Erfolgt zugunsten eines Angeklagten die Aufhebung des Urteils wegen Gesetzesverletzung bei Anwendung des Strafgesetzes und erstreckt sich das Urteil, soweit es aufgehoben wird, noch auf andere Angeklagte, die nicht Revision eingelegt haben, so ist zu

Strafgesetzbuch - StGB | § 46b Hilfe zur Aufklärung oder Verhinderung von schweren Straftaten


(1) Wenn der Täter einer Straftat, die mit einer im Mindestmaß erhöhten Freiheitsstrafe oder mit lebenslanger Freiheitsstrafe bedroht ist, 1. durch freiwilliges Offenbaren seines Wissens wesentlich dazu beigetragen hat, dass eine Tat nach § 100a Abs.

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Erfolgt zugunsten eines Angeklagten die Aufhebung des Urteils wegen Gesetzesverletzung bei Anwendung des Strafgesetzes und erstreckt sich das Urteil, soweit es aufgehoben wird, noch auf andere Angeklagte, die nicht Revision eingelegt haben, so ist zu erkennen, als ob sie gleichfalls Revision eingelegt hätten. § 47 Abs. 3 gilt entsprechend.

(1) Der Beschwerdeführer hat die Erklärung abzugeben, inwieweit er das Urteil anfechte und dessen Aufhebung beantrage (Revisionsanträge), und die Anträge zu begründen.

(2) Aus der Begründung muß hervorgehen, ob das Urteil wegen Verletzung einer Rechtsnorm über das Verfahren oder wegen Verletzung einer anderen Rechtsnorm angefochten wird. Ersterenfalls müssen die den Mangel enthaltenden Tatsachen angegeben werden.

(1) Wenn der Täter einer Straftat, die mit einer im Mindestmaß erhöhten Freiheitsstrafe oder mit lebenslanger Freiheitsstrafe bedroht ist,

1.
durch freiwilliges Offenbaren seines Wissens wesentlich dazu beigetragen hat, dass eine Tat nach § 100a Abs. 2 der Strafprozessordnung, die mit seiner Tat im Zusammenhang steht, aufgedeckt werden konnte, oder
2.
freiwillig sein Wissen so rechtzeitig einer Dienststelle offenbart, dass eine Tat nach § 100a Abs. 2 der Strafprozessordnung, die mit seiner Tat im Zusammenhang steht und von deren Planung er weiß, noch verhindert werden kann,
kann das Gericht die Strafe nach § 49 Abs. 1 mildern, wobei an die Stelle ausschließlich angedrohter lebenslanger Freiheitsstrafe eine Freiheitsstrafe nicht unter zehn Jahren tritt. Für die Einordnung als Straftat, die mit einer im Mindestmaß erhöhten Freiheitsstrafe bedroht ist, werden nur Schärfungen für besonders schwere Fälle und keine Milderungen berücksichtigt. War der Täter an der Tat beteiligt, muss sich sein Beitrag zur Aufklärung nach Satz 1 Nr. 1 über den eigenen Tatbeitrag hinaus erstrecken. Anstelle einer Milderung kann das Gericht von Strafe absehen, wenn die Straftat ausschließlich mit zeitiger Freiheitsstrafe bedroht ist und der Täter keine Freiheitsstrafe von mehr als drei Jahren verwirkt hat.

(2) Bei der Entscheidung nach Absatz 1 hat das Gericht insbesondere zu berücksichtigen:

1.
die Art und den Umfang der offenbarten Tatsachen und deren Bedeutung für die Aufklärung oder Verhinderung der Tat, den Zeitpunkt der Offenbarung, das Ausmaß der Unterstützung der Strafverfolgungsbehörden durch den Täter und die Schwere der Tat, auf die sich seine Angaben beziehen, sowie
2.
das Verhältnis der in Nummer 1 genannten Umstände zur Schwere der Straftat und Schuld des Täters.

(3) Eine Milderung sowie das Absehen von Strafe nach Absatz 1 sind ausgeschlossen, wenn der Täter sein Wissen erst offenbart, nachdem die Eröffnung des Hauptverfahrens (§ 207 der Strafprozessordnung) gegen ihn beschlossen worden ist.

(1) Soweit die Revision für begründet erachtet wird, ist das angefochtene Urteil aufzuheben.

(2) Gleichzeitig sind die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben, sofern sie durch die Gesetzesverletzung betroffen werden, wegen deren das Urteil aufgehoben wird.

Erfolgt zugunsten eines Angeklagten die Aufhebung des Urteils wegen Gesetzesverletzung bei Anwendung des Strafgesetzes und erstreckt sich das Urteil, soweit es aufgehoben wird, noch auf andere Angeklagte, die nicht Revision eingelegt haben, so ist zu erkennen, als ob sie gleichfalls Revision eingelegt hätten. § 47 Abs. 3 gilt entsprechend.