Bundesgerichtshof Beschluss, 21. Dez. 2016 - 2 ARs 132/16

bei uns veröffentlicht am21.12.2016

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 ARs 132/16
2 AR 69/16
vom
21. Dezember 2016
in der Jugendstrafsache
gegen
wegen Körperverletzung u.a.
Az.: 2 Ds 2060 Js 15374/15 jug Amtsgericht Betzdorf
Az.: 410 Ds-26 Js 997/15-174/15 Amtsgericht Siegen
ECLI:DE:BGH:2016:211216B2ARS132.16.0

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts am 21. Dezember 2016 gemäß § 42 Abs. 3 Satz 2 JGG beschlossen :
1. Der Abgabebeschluss des Amtsgerichts Siegen vom 7. Januar 2016 - 410 Ds 26 Js 997/15-174/15 - wird aufgehoben. 2. Für die Untersuchung und Entscheidung der Sache ist das Amtsgericht - Jugendrichter - Siegen zuständig.

Gründe:

I.

1
Die Staatsanwaltschaft Koblenz hat gegen die 16 Jahre alte Angeklagte vor dem Amtsgericht - Jugendrichter - Betzdorf am 4. April 2015, am 20. Juni 2015 und am 14. Juli 2015 drei Anklagen unter anderem wegen Körperverletzung , gefährlicher Körperverletzung sowie Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte erhoben; die Taten wurden in Wissen und in Betzdorf begangen; die Beschuldigte war im Bezirk des Amtsgerichts Betzdorf wohnhaft.
2
Das Amtsgericht Betzdorf hat alle drei Anklageschriften zur Hauptverhandlung zugelassen, das Hauptverfahren eröffnet und die drei Verfahren zu gemeinsamer Verhandlung und Entscheidung verbunden. Nach einer am 25. Juli 2015 erfolgten Ummeldung der Angeklagten zu ihrem in Burbach im Amtsgerichtsbezirk Siegen lebenden Vater, dem mit Beschluss vom 29. Oktober 2015 auch die elterliche Sorge übertragen worden ist, hat das Amtsgericht Betzdorf das Verfahren durch Beschluss vom 2. Oktober 2015 mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft Koblenz gemäß § 42 Abs. 3 JGG an das Amtsgericht - Jugendrichter - Siegen abgegeben. Dort wurde das Verfahren übernommen und Termin zur Hauptverhandlung auf den 21. Januar 2016 bestimmt. Nachdem bekannt geworden war, dass die Angeklagte seit dem 5. November 2015 wieder bei ihrer Mutter in Betzdorf lebe und dort auch amtlich gemeldet sei, wurde das Verfahren mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft Siegen an das Amtsgericht Betzdorf abgegeben. Das Amtsgericht Betzdorf lehnte - einer Anregung der Staatsanwaltschaft folgend - eine neuerliche Übernahme des Verfahrens durch Beschluss vom 4. Februar 2016 unter Hinweis darauf ab, dass aufgrund der innerfamiliären Konflikte mit weiteren Wechseln des Aufenthaltsorts der Angeklagten zwischen Burbach und Betzdorf zu rechnen sei. Die hiergegen gerichteten Einwände der Jugendrichterin des Amtsgerichts Siegen hat das Amtsgericht Betzdorf zurückgewiesen und dabei auch ausgeführt, dass die Angeklagte sich regelmäßig bei ihrem Vater in Burbach aufhalte und dort erneut straffällig geworden sei. Die Jugendrichterin des Amtsgerichts Betzdorf hat die Sache daraufhin mit Verfügung vom 31. März 2016 gemäß § 42 Abs. 3 Satz 2 JGG dem Bundesgerichtshof zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vorgelegt.

II.


3
Der Bundesgerichtshof ist als gemeinsames oberes Gericht des zum Bezirk des Oberlandesgerichts Koblenz gehörenden Amtsgerichts Betzdorf und dem zum Oberlandesgerichtsbezirk Hamm gehörenden Amtsgerichts Siegen gemäß § 42 Abs. 3 Satz 2 JGG zur Entscheidung des Zuständigkeitsstreits berufen.
4
Für die Entscheidung der Sache ist das Amtsgericht - Jugendrichter - Siegen zuständig.
5
Zwar liegen die Voraussetzungen für eine Abgabe vor, nachdem die Angeklagte - zum wiederholten Male - ihren tatsächlichen Aufenthaltsort nach Anklageerhebung gewechselt hat (vgl. BGHSt 31, 209, 217; Senat, Beschluss vom 18. März 2014 – 2 ARs 7/14, juris).
6
Die im richterlichen Ermessen stehende Abgabe erweist sich jedoch vorliegend als unzweckmäßig. Die Angeklagte hat ihren Aufenthaltsort seit Einleitung des Strafverfahrens gegen sie mehrfach gewechselt. Angesichts ihrer familiären Situation sind auch künftige Wechsel ihres Aufenthaltsorts zwischen Betzdorf und Burbach zu erwarten. Da die Fahrtstrecke zwischen Betzdorf und Siegen lediglich 21 Kilometer beträgt, wird der Reiseaufwand für die Angeklagte und die in den Anklageschriften benannten Zeugen im Falle einer Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht Siegen nicht in unzumutbarer Weise erhöht. Zudem sind bei der Staatsanwaltschaft Siegen weitere Verfahren gegen die Angeklagte wegen in Burbach begangener Straftaten anhängig, so dass mit weiteren Anklagen vor dem Amtsgericht Siegen zu rechnen ist.
7
In Anbetracht dieser Umstände erscheint es sachgerecht, das Hauptverfahren vor dem gemäß § 42 Abs. 1 Nr. 1 JGG zuständigen Amtsgericht – Jugendrichter – Siegen durchzuführen. Fischer Appl Zeng Bartel Grube

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Jugendgerichtsgesetz - JGG | § 42 Örtliche Zuständigkeit


(1) Neben dem Richter, der nach dem allgemeinen Verfahrensrecht oder nach besonderen Vorschriften zuständig ist, sind zuständig 1. der Richter, dem die familiengerichtlichen Erziehungsaufgaben für den Beschuldigten obliegen,2. der Richter, in dessen

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Bundesgerichtshof Beschluss, 18. März 2014 - 2 ARs 7/14

bei uns veröffentlicht am 18.03.2014

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 2 A R s 7 / 1 4 2 A R 5 / 1 4 vom 18. März 2014 in der Jugendstrafsache gegen wegen Nötigung u.a. Az.: 319 AR 19/13 Amtsgericht Hannover Az.: 12 Ds-90 Js 6523/11-429/13 Amtsgericht Neuss Der 2. Strafsenat des Bundesger

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(1) Neben dem Richter, der nach dem allgemeinen Verfahrensrecht oder nach besonderen Vorschriften zuständig ist, sind zuständig

1.
der Richter, dem die familiengerichtlichen Erziehungsaufgaben für den Beschuldigten obliegen,
2.
der Richter, in dessen Bezirk sich der auf freiem Fuß befindliche Beschuldigte zur Zeit der Erhebung der Anklage aufhält,
3.
solange der Beschuldigte eine Jugendstrafe noch nicht vollständig verbüßt hat, der Richter, dem die Aufgaben des Vollstreckungsleiters obliegen.

(2) Der Staatsanwalt soll die Anklage nach Möglichkeit vor dem Richter erheben, dem die familiengerichtlichen Erziehungsaufgaben obliegen, solange aber der Beschuldigte eine Jugendstrafe noch nicht vollständig verbüßt hat, vor dem Richter, dem die Aufgaben des Vollstreckungsleiters obliegen.

(3) Wechselt der Angeklagte seinen Aufenthalt, so kann der Richter das Verfahren mit Zustimmung des Staatsanwalts an den Richter abgeben, in dessen Bezirk sich der Angeklagte aufhält. Hat der Richter, an den das Verfahren abgegeben worden ist, gegen die Übernahme Bedenken, so entscheidet das gemeinschaftliche obere Gericht.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 A R s 7 / 1 4
2 A R 5 / 1 4
vom
18. März 2014
in der Jugendstrafsache
gegen
wegen Nötigung u.a.
Az.: 319 AR 19/13 Amtsgericht Hannover
Az.: 12 Ds-90 Js 6523/11-429/13 Amtsgericht Neuss
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
am 18. März 2014 beschlossen:
1. Der Abgabebeschluss des Amtsgerichts - Jugendrichter - Neuss vom 30. Oktober 2013 wird aufgehoben. 2. Zuständig für die Verhandlung und Entscheidung der Sache ist das Amtsgericht Neuss - Jugendrichter -.

Gründe:

1
Der Generalbundesanwalt hat in seiner Zuschrift ausgeführt: "Die Jugendgerichte der Amtsgerichte Neuss (OLG-Bezirk Düsseldorf) und Hannover (OLG-Bezirk Celle) streiten um die Zuständigkeit in einer Jugendstrafsache. Als gemeinsames oberes Gericht nach § 42 Abs. 3 Satz 2 JGG ist der Bundesgerichtshof zur Entscheidung des Zuständigkeitsstreits berufen. Die Voraussetzungen der Abgabe gemäß § 42 Abs. 3 JGG sind nicht gegeben, denn diese setzt voraus, dass der Angeklagte seinen Aufenthaltsort nach Erhebung der Anklage gewechselt hat (st. Rspr., vgl. BGHSt 13, 209, 218; BGHR JGG § 42 Abs. 3 Abgabe 2; Senat, Beschlüsse vom 11. Mai 2011 - 2 ARs 117/11 und vom 3. Juli 2013 - 2 ARs 244/13). Das ist vorliegend nicht der Fall; die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Düsseldorf vom 24. Januar 2012 ging am 1. Februar 2012 bei dem Amtsgericht Neuss - Strafrichter - ein (Bl. 38 d.A.), der das Verfahren mit Beschluss vom 21. Mai 2012 an das Amtsgericht Hannover - Jugendgericht - abgab. Ihren Wohnsitz und tatsächlichen Aufenthalt hatte die Angeklagte indessen ausweislich des Vermerks des Polizeikommissariats Hannover-Südstadt vom 4. Januar 2012 (Bl. 26 d.A.) be- reits seit dem 23. Dezember 2011 in Hannover. Eine Änderung dieser Verhältnisse ist nicht eingetreten. Ein Aufenthaltswechsel nach Erhebung der Anklage liegt unter diesen Umständen nicht vor."
2
Dem schließt sich der Senat an.
Fischer Appl Eschelbach Ott Zeng

(1) Neben dem Richter, der nach dem allgemeinen Verfahrensrecht oder nach besonderen Vorschriften zuständig ist, sind zuständig

1.
der Richter, dem die familiengerichtlichen Erziehungsaufgaben für den Beschuldigten obliegen,
2.
der Richter, in dessen Bezirk sich der auf freiem Fuß befindliche Beschuldigte zur Zeit der Erhebung der Anklage aufhält,
3.
solange der Beschuldigte eine Jugendstrafe noch nicht vollständig verbüßt hat, der Richter, dem die Aufgaben des Vollstreckungsleiters obliegen.

(2) Der Staatsanwalt soll die Anklage nach Möglichkeit vor dem Richter erheben, dem die familiengerichtlichen Erziehungsaufgaben obliegen, solange aber der Beschuldigte eine Jugendstrafe noch nicht vollständig verbüßt hat, vor dem Richter, dem die Aufgaben des Vollstreckungsleiters obliegen.

(3) Wechselt der Angeklagte seinen Aufenthalt, so kann der Richter das Verfahren mit Zustimmung des Staatsanwalts an den Richter abgeben, in dessen Bezirk sich der Angeklagte aufhält. Hat der Richter, an den das Verfahren abgegeben worden ist, gegen die Übernahme Bedenken, so entscheidet das gemeinschaftliche obere Gericht.