Bundesgerichtshof Beschluss, 11. Mai 2004 - 1 StR 86/04

bei uns veröffentlicht am11.05.2004

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 86/04
vom
11. Mai 2004
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen Freiheitsberaubung u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 11. Mai 2004 gemäß § 349
Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 21. Oktober 2003
a) in den Schuldsprüchen dahin geändert, daß der Angeklagte S. - jeweils tateinheitlich zusammentreffend - wegen Freiheitsberaubung in drei Fällen , versuchter Freiheitsberaubung in einem Fall, falscher Verdächtigung in vier Fällen, falscher uneidlicher Aussage , Anstiftung zur falschen Verdächtigung in drei Fällen und zu falscher uneidlicher Aussage sowie - tatmehrheitlich begangen - wegen Betruges, der Angeklagte A. - jeweils tateinheitlich zusammentreffend - wegen falscher uneidlicher Aussage, falscher Verdächtigung in drei Fällen, Beihilfe zur Freiheitsberaubung in zwei Fällen und versuchter Freiheitsberaubung schuldig sind,
b) in den Strafaussprüchen gegen beide Angeklagte mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weitergehenden Revisionen der Angeklagten werden verworfen.

Gründe:


Das Landgericht hat den Angeklagten S. wegen falscher Verdächtigung in drei Fällen in Tateinheit mit Freiheitsberaubung in zwei Fällen und versuchter Freiheitsberaubung, wegen falscher Verdächtigung in Tateinheit mit Freiheitsberaubung, Anstiftung zur falschen uneidlichen Aussage, falscher uneidlicher Aussage sowie wegen Betruges und wegen Anstiftung zur falschen Verdächtigung in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Den Angeklagten A. hat es wegen falscher Verdächtigung in drei Fällen in Tateinheit mit Beihilfe zur Freiheitsberaubung in zwei Fällen und mit versuchter Freiheitsberaubung sowie wegen falscher uneidlicher Aussage zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Die auf die Sachrüge gestützten Revisionen der Angeklagten haben in dem aus der Beschlußformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im übrigen erweisen sie sich als unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
1. Wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift zutreffend ausgeführt hat, halten bei beiden Angeklagten die vom Landgericht getroffenen Entscheidungen zu den Konkurrenzen nicht in jeder Hinsicht rechtlicher Nachprüfung stand. Bis auf den Betrug gehen sämtliche Tathandlungen des Angeklagten S. auf denselben Tatentschluß zurück und fallen bei den wiederholten Verwirklichungen dieser Straftatbestände mit den vier tateinheitlichen Dauerdelikten der Freiheitsberaubung und der versuchten Freiheitsberaubung zusammen. Dies gilt auch für die falsche uneidliche Aussage des Angeklagten in der Hauptverhandlung gegen Z. M. und die beiden Anstiftungen des Angeklagten A. zur falschen Verdächtigung und zur falschen uneidlichen Aussage. Lediglich der Betrug steht dazu in Tatmehrheit. Hier decken sich weder die Ausführungshandlungen der Freiheitsberaubung mit der des Betrugs noch dient der Betrug dazu, einen rechtswidrigen Dauerzustand herbeizuführen oder dessen Beendigung zu vereiteln.
Entsprechendes gilt hinsichtlich der Tathandlungen des Angeklagten A. . Er hielt die falschen Verdächtigungen aufrecht, als Z. M. und T. M. festgenommen wurden und gegen Ma. Haftbefehl erlassen worden ist.
Ergänzend weist der Senat auf folgendes hin: Das Landgericht hat zwar den Tatbestand der Freiheitsberaubung und der versuchten Freiheitsberaubung in der alten Fassung zum Nachteil von Z. und T. M. und Ma. angewandt. Die Freiheitsberaubung zum Nachteil von Z. und T. M. und die versuchte Freiheitsberaubung zum Nachteil des Ma. waren jedoch erst nach dem 31. März 1998 vollendet, zu einem Zeitpunkt also, als die
neue Fassung des § 239 StGB bereits in Kraft getreten war. Dies beschwert die Angeklagten jedoch nicht, weil die im konkreten Fall anzuwendende Strafvorschrift denselben Wortlaut und insbesondere denselben Strafrahmen enthält.
2. Der Senat kann den Schuldspruch, der im übrigen keinen Rechtsfehler aufweist, selbst ändern. § 265 StPO steht nicht entgegen, weil sich die Angeklagten gegen die Annahme von Tateinheit statt Tatmehrheit nicht anders hätten verteidigen können. Die Änderung des Schuldspruchs führt zur Aufhebung der Strafaussprüche. Der Senat hat auch die beim Angeklagten S. für den Betrug erkannte Einzelstrafe aufgehoben, weil diese Tat in einem inneren Zusammenhang mit den übrigen tateinheitlich verwirklichten Delikten steht.
Zwar erscheint dem Senat aufgrund der bisher getroffenen Feststellungen die Höhe der festgesetzten Gesamtfreiheitsstrafen angesichts der erheblichen Folgen der Straftaten, insbesondere der langen Dauer der Freiheitsentziehungen , nicht unangemessen. Vorsorglich weist er aber für die neue Strafzumessung darauf hin, daß bei der Festsetzung der neuen Gesamtstrafe möglicherweise ein Härteausgleich im Hinblick auf die bei beiden Angeklagten in den Urteilen vom 14. Mai 1999 und 1. Juni 1999 verhängten Gesamtgeldstrafen vorzunehmen ist.
Nack Wahl Boetticher Schluckebier Kolz

ra.de-Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Beschluss, 11. Mai 2004 - 1 StR 86/04

Urteilsbesprechung schreiben

0 Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Beschluss, 11. Mai 2004 - 1 StR 86/04

Referenzen - Gesetze

Bundesgerichtshof Beschluss, 11. Mai 2004 - 1 StR 86/04 zitiert 4 §§.

Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafprozeßordnung - StPO | § 265 Veränderung des rechtlichen Gesichtspunktes oder der Sachlage


(1) Der Angeklagte darf nicht auf Grund eines anderen als des in der gerichtlich zugelassenen Anklage angeführten Strafgesetzes verurteilt werden, ohne daß er zuvor auf die Veränderung des rechtlichen Gesichtspunktes besonders hingewiesen und ihm Gel

Strafgesetzbuch - StGB | § 239 Freiheitsberaubung


(1) Wer einen Menschen einsperrt oder auf andere Weise der Freiheit beraubt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Der Versuch ist strafbar. (3) Auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren ist

Referenzen

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

(1) Wer einen Menschen einsperrt oder auf andere Weise der Freiheit beraubt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.

(3) Auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter

1.
das Opfer länger als eine Woche der Freiheit beraubt oder
2.
durch die Tat oder eine während der Tat begangene Handlung eine schwere Gesundheitsschädigung des Opfers verursacht.

(4) Verursacht der Täter durch die Tat oder eine während der Tat begangene Handlung den Tod des Opfers, so ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren.

(5) In minder schweren Fällen des Absatzes 3 ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren, in minder schweren Fällen des Absatzes 4 auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen.

(1) Der Angeklagte darf nicht auf Grund eines anderen als des in der gerichtlich zugelassenen Anklage angeführten Strafgesetzes verurteilt werden, ohne daß er zuvor auf die Veränderung des rechtlichen Gesichtspunktes besonders hingewiesen und ihm Gelegenheit zur Verteidigung gegeben worden ist.

(2) Ebenso ist zu verfahren, wenn

1.
sich erst in der Verhandlung vom Strafgesetz besonders vorgesehene Umstände ergeben, welche die Strafbarkeit erhöhen oder die Anordnung einer Maßnahme oder die Verhängung einer Nebenstrafe oder Nebenfolge rechtfertigen,
2.
das Gericht von einer in der Verhandlung mitgeteilten vorläufigen Bewertung der Sach- oder Rechtslage abweichen will oder
3.
der Hinweis auf eine veränderte Sachlage zur genügenden Verteidigung des Angeklagten erforderlich ist.

(3) Bestreitet der Angeklagte unter der Behauptung, auf die Verteidigung nicht genügend vorbereitet zu sein, neu hervorgetretene Umstände, welche die Anwendung eines schwereren Strafgesetzes gegen den Angeklagten zulassen als des in der gerichtlich zugelassenen Anklage angeführten oder die zu den in Absatz 2 Nummer 1 bezeichneten gehören, so ist auf seinen Antrag die Hauptverhandlung auszusetzen.

(4) Auch sonst hat das Gericht auf Antrag oder von Amts wegen die Hauptverhandlung auszusetzen, falls dies infolge der veränderten Sachlage zur genügenden Vorbereitung der Anklage oder der Verteidigung angemessen erscheint.