Bundesgerichtshof Beschluss, 22. Jan. 2013 - 1 StR 619/12
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
a) im Schuldspruch dahin geändert, dass die Angeklagten in vier Fällen des Komplexes B.I. (je 200 Gramm Haschisch) sowie in den Fällen B.III. (350 Gramm Amphetaminderivat) und B.IV. (15 Gramm Kokain) des unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln schuldig sind,
b) in den Aussprüchen über die in vier Fällen des Komplexes B.I. (je 200 Gramm Haschisch) sowie den Fällen B.III. (350 Gramm Amphetaminderivat) und B.IV. (15 Gramm Kokain) verhängten Einzelstrafen und über die Gesamtstrafe aufgehoben. 2. Die weitergehenden Revisionen werden verworfen. 3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe:
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- Das Landgericht hat die Angeklagten des vorsätzlichen unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln in Tateinheit mit vorsätzlichem unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 15 tatmehrheitlichen Fällen - davon hinsichtlich des Angeklagten L. in 14 Fällen mit Waffen - sachlich zusammentreffend mit fünf tatmehrheitlichen Fällen des vorsätzlichen unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln in Tateinheit mit vorsätzlichem unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln schuldig gesprochen. Es hat den Angeklagten L. zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten und die Angeklagte S. zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt.
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- Gegen dieses Urteil wenden sich die Angeklagten mit ihren auf die Verletzung materiellen Rechts gestützten Revisionen. Die Rechtsmittel erzielen den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg. Im Übrigen sind sie unbegründet i.S.v. § 349 Abs. 2 StPO.
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- 1. Nach den landgerichtlichen Feststellungen betrieben die Angeklagten im Zeitraum Ende 2009 bis Dezember 2011 zur Finanzierung ihres Lebensunterhalts und ihres eigenen Betäubungsmittelkonsums in bewusstem und gewolltem Zusammenwirken unerlaubt Handel mit Betäubungsmitteln. Im Tatzeitraum erwarben die Angeklagten u.a. in vier Fällen je 200 Gramm Haschisch mit einem Wirkstoffgehalt von je 11 Gramm THC (Teile des Komplexes B.I.), 350 Gramm eines Amphetaminderivats mit einem Wirkstoffgehalt von 35 Gramm Base (Fall B.III.) sowie 15 Gramm Kokain mit einem Wirkstoffgehalt von 8,55 Gramm Kokainhydrochlorid (Fall B.IV.). Von den erworbenen Betäubungsmit- teln war ein „geringer Teil“ für den Eigenkonsum der Angeklagten, der „überwiegende Anteil“ jedoch zum gewinnbringenden Weiterverkauf bestimmt. Die Betäubungsmittel wurden bis zum Weiterverkauf bzw. zum Eigenkonsum in von dem Angeklagten L. angemieteten Räumlichkeiten in einer Kommode aufbewahrt , in der durch den Angeklagten L. - ohne Wissen der Angeklagten S. - griffbereit ein Bowie-Messer mit beidseits geschliffener Klinge von 40 cm Länge aufbewahrt wurde.
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- 2. Diese Feststellungen tragen hinsichtlich vier Taten des Komplexes B.I. (je 200 Gramm Haschisch) sowie der Fälle B.III. (350 Gramm Amphetaminderivat ) und B.IV. (15 Gramm Kokain) nicht den Schuldspruch wegen vorsätzlichen unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln in Tateinheit mit vorsätzlichem unerlaubten - hinsichtlich des Angeklagten L. bewaffneten - Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge.
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- Das Landgericht hätte nicht offen lassen dürfen, welcher Teil der von den Angeklagten erworbenen Betäubungsmittel zum gewinnbringenden Weiterverkauf und welcher zum Eigenverbrauch bestimmt war. Denn die rechtliche Einordnung und die Gewichtung der Erwerbstaten im Rahmen der Strafzumessung richten sich nach den jeweiligen Teilmengen und ihren Wirkstoffgehalten. Sie sind daher - notfalls unter Beachtung des Zweifelssatzes im Wege der Schätzung - festzustellen (BGH, Beschlüsse vom 21. April 2005 - 3 StR 112/05, NStZ 2006, 173; vom 27. April 2004 - 3 StR 116/04, StV 2004, 602; vom 19. September 2001 - 3 StR 268/01, StV 2002, 255).
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- Einer Zurückverweisung zur erneuten tatrichterlichen Entscheidung bedarf es jedoch insoweit nicht. In einer neuen Hauptverhandlung sind keine weiteren Feststellungen zum Verhältnis der zum gewinnbringenden Weiterverkauf bzw. zum Eigenverbrauch bestimmten Teilmengen zu erwarten. Zugunsten der Angeklagten ist der Senat daher davon ausgegangen, dass weder die zum gewinnbringenden Weiterverkauf noch die zum Eigenverbrauch bestimmten Teil- mengen den jeweiligen Grenzwert der nicht geringen Menge erreicht haben. Entsprechend war der Schuldspruch dahingehend zu ändern, dass die Angeklagten in den vier Fällen des Komplexes B.I. (je 200 Gramm Haschisch) sowie in den Fällen B.III. (350 Gramm Amphetaminderivat) und B.IV. (15 Gramm Kokain ) des unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge gemäß § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG (hinsichtlich der gesamten Erwerbsmenge) in Tateinheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1 BtMG (hinsichtlich der Handelsmenge) schuldig sind. Der unerlaubte Erwerb von Betäubungsmitteln gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1 BtMG (hinsichtlich der Eigenverbrauchsmenge) wird durch den Tatbestand des unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge gemäß § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG verdrängt (BGH, Beschluss vom 19. September 2001 - 3 StR 268/01, StV 2002, 255).
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- Der Änderung des Schuldspruchs steht § 265 StPO nicht entgegen. Die hinsichtlich der betreffenden Fälle geständigen Angeklagten hätten sich nicht anders als geschehen verteidigen können.
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- Der Schuldspruch wegen vorsätzlichen unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln in Tateinheit mit vorsätzlichem unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in weiteren neun Fällen - davon hinsichtlich des Angeklagten L. in acht Fällen mit Waffen - erweist sich dagegen als rechtsfehlerfrei. Angesichts der Gesamtmengen und der festgestellten Wirkstoffgehalte kann der Senat ausschließen, dass die „überwiegend“ und damit jedenfalls zu mehr als der Hälfte zum Handeltreiben bestimmten Teilmengen die Grenzwerte der nicht geringen Mengen nicht erreicht haben (vgl. BGH, Beschluss vom 21. April 2005 - 3 StR 112/05, NStZ 2006, 173).
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- 3. Die Änderung des Schuldspruchs zieht die Aufhebung der in den vier Fällen des Komplexes B.I. (je 200 Gramm Haschisch) und den Fällen B.III. (350 Gramm Amphetaminderivat) und B.IV. (15 Gramm Kokain) verhängten Einzelstrafen sowie der Gesamtstrafen nach sich. Einer Aufhebung der zugehörigen Feststellungen bedarf es dagegen nicht. Das neue Tatgericht ist nicht gehindert , ergänzende Feststellungen zu treffen, soweit sie den bisherigen nicht widersprechen.
Annotations
(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.
(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.
(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.
(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.
(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.
(1) Mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr wird bestraft, wer
- 1.
als Person über 21 Jahre Betäubungsmittel unerlaubt an eine Person unter 18 Jahren abgibt oder sie ihr entgegen § 13 Abs. 1 verabreicht oder zum unmittelbaren Verbrauch überläßt oder - 2.
mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge unerlaubt Handel treibt, sie in nicht geringer Menge herstellt oder abgibt oder sie besitzt, ohne sie auf Grund einer Erlaubnis nach § 3 Abs. 1 erlangt zu haben.
(2) In minder schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren.
(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer
- 1.
Betäubungsmittel unerlaubt anbaut, herstellt, mit ihnen Handel treibt, sie, ohne Handel zu treiben, einführt, ausführt, veräußert, abgibt, sonst in den Verkehr bringt, erwirbt oder sich in sonstiger Weise verschafft, - 2.
eine ausgenommene Zubereitung (§ 2 Abs. 1 Nr. 3) ohne Erlaubnis nach § 3 Abs. 1 Nr. 2 herstellt, - 3.
Betäubungsmittel besitzt, ohne zugleich im Besitz einer schriftlichen Erlaubnis für den Erwerb zu sein, - 4.
(weggefallen) - 5.
entgegen § 11 Abs. 1 Satz 2 Betäubungsmittel durchführt, - 6.
entgegen § 13 Abs. 1 Betäubungsmittel - a)
verschreibt, - b)
verabreicht oder zum unmittelbaren Verbrauch überläßt,
- 6a.
entgegen § 13 Absatz 1a Satz 1 und 2 ein dort genanntes Betäubungsmittel überlässt, - 6b.
entgegen § 13 Absatz 1b Satz 1 Betäubungsmittel verabreicht, - 7.
entgegen § 13 Absatz 2 - a)
Betäubungsmittel in einer Apotheke oder tierärztlichen Hausapotheke, - b)
Diamorphin als pharmazeutischer Unternehmer
- 8.
entgegen § 14 Abs. 5 für Betäubungsmittel wirbt, - 9.
unrichtige oder unvollständige Angaben macht, um für sich oder einen anderen oder für ein Tier die Verschreibung eines Betäubungsmittels zu erlangen, - 10.
einem anderen eine Gelegenheit zum unbefugten Erwerb oder zur unbefugten Abgabe von Betäubungsmitteln verschafft oder gewährt, eine solche Gelegenheit öffentlich oder eigennützig mitteilt oder einen anderen zum unbefugten Verbrauch von Betäubungsmitteln verleitet, - 11.
ohne Erlaubnis nach § 10a einem anderen eine Gelegenheit zum unbefugten Verbrauch von Betäubungsmitteln verschafft oder gewährt, oder wer eine außerhalb einer Einrichtung nach § 10a bestehende Gelegenheit zu einem solchen Verbrauch eigennützig oder öffentlich mitteilt, - 12.
öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten eines Inhalts (§ 11 Absatz 3 des Strafgesetzbuches) dazu auffordert, Betäubungsmittel zu verbrauchen, die nicht zulässigerweise verschrieben worden sind, - 13.
Geldmittel oder andere Vermögensgegenstände einem anderen für eine rechtswidrige Tat nach Nummern 1, 5, 6, 7, 10, 11 oder 12 bereitstellt, - 14.
einer Rechtsverordnung nach § 11 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 oder § 13 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1, 2a oder 5 zuwiderhandelt, soweit sie für einen bestimmten Tatbestand auf diese Strafvorschrift verweist.
(2) In den Fällen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 1, 2, 5 oder 6 Buchstabe b ist der Versuch strafbar.
(3) In besonders schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter
- 1.
in den Fällen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 1, 5, 6, 10, 11 oder 13 gewerbsmäßig handelt, - 2.
durch eine der in Absatz 1 Satz 1 Nr. 1, 6 oder 7 bezeichneten Handlungen die Gesundheit mehrerer Menschen gefährdet.
(4) Handelt der Täter in den Fällen des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 1, 2, 5, 6 Buchstabe b, Nummer 6b, 10 oder 11 fahrlässig, so ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe.
(5) Das Gericht kann von einer Bestrafung nach den Absätzen 1, 2 und 4 absehen, wenn der Täter die Betäubungsmittel lediglich zum Eigenverbrauch in geringer Menge anbaut, herstellt, einführt, ausführt, durchführt, erwirbt, sich in sonstiger Weise verschafft oder besitzt.
(6) Die Vorschriften des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 1 sind, soweit sie das Handeltreiben, Abgeben oder Veräußern betreffen, auch anzuwenden, wenn sich die Handlung auf Stoffe oder Zubereitungen bezieht, die nicht Betäubungsmittel sind, aber als solche ausgegeben werden.
(1) Mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr wird bestraft, wer
- 1.
als Person über 21 Jahre Betäubungsmittel unerlaubt an eine Person unter 18 Jahren abgibt oder sie ihr entgegen § 13 Abs. 1 verabreicht oder zum unmittelbaren Verbrauch überläßt oder - 2.
mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge unerlaubt Handel treibt, sie in nicht geringer Menge herstellt oder abgibt oder sie besitzt, ohne sie auf Grund einer Erlaubnis nach § 3 Abs. 1 erlangt zu haben.
(2) In minder schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren.
(1) Der Angeklagte darf nicht auf Grund eines anderen als des in der gerichtlich zugelassenen Anklage angeführten Strafgesetzes verurteilt werden, ohne daß er zuvor auf die Veränderung des rechtlichen Gesichtspunktes besonders hingewiesen und ihm Gelegenheit zur Verteidigung gegeben worden ist.
(2) Ebenso ist zu verfahren, wenn
- 1.
sich erst in der Verhandlung vom Strafgesetz besonders vorgesehene Umstände ergeben, welche die Strafbarkeit erhöhen oder die Anordnung einer Maßnahme oder die Verhängung einer Nebenstrafe oder Nebenfolge rechtfertigen, - 2.
das Gericht von einer in der Verhandlung mitgeteilten vorläufigen Bewertung der Sach- oder Rechtslage abweichen will oder - 3.
der Hinweis auf eine veränderte Sachlage zur genügenden Verteidigung des Angeklagten erforderlich ist.
(3) Bestreitet der Angeklagte unter der Behauptung, auf die Verteidigung nicht genügend vorbereitet zu sein, neu hervorgetretene Umstände, welche die Anwendung eines schwereren Strafgesetzes gegen den Angeklagten zulassen als des in der gerichtlich zugelassenen Anklage angeführten oder die zu den in Absatz 2 Nummer 1 bezeichneten gehören, so ist auf seinen Antrag die Hauptverhandlung auszusetzen.
(4) Auch sonst hat das Gericht auf Antrag oder von Amts wegen die Hauptverhandlung auszusetzen, falls dies infolge der veränderten Sachlage zur genügenden Vorbereitung der Anklage oder der Verteidigung angemessen erscheint.