Bundesgerichtshof Beschluss, 20. Dez. 2006 - 1 StR 576/06

bei uns veröffentlicht am20.12.2006

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 576/06
vom
20. Dezember 2006
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 20. Dezember 2006 beschlossen
:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Ingolstadt
vom 26. Juli 2006 wird als unbegründet verworfen, da die
Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung keinen
Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349
Abs. 2 StPO).
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
Ergänzend zu den zutreffenden Ausführungen des Generalbundes
anwalts in der Antragsschrift vom 17. November 2006 bemerkt der
Senat:
Aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden ist die Beurteilung der
Handlungen des Angeklagten als zwei tatmehrheitliche Handlungen
der Körperverletzung, indem der Angeklagte nach Beendigung der
gemeinsamen Angriffe auf den Geschädigten und dem Verlassen
von dessen Wohnung offenbar einen neuen Entschluss fasste, alleine
zurückkehrte und dann einen Schrank so umstieß, dass er auf
den noch am Boden befindlichen Geschädigten fiel und dieser in der
Folge nur mühsam unter dem Schrank hervorkriechen konnte. Dass
das Umstürzen eines Schrankes auf eine am Boden liegende oder
gerade im Aufstehen befindliche Person geeignet ist, erhebliche Körperverletzungen
zuzufügen, hat die Kammer nachvollziehbar dargelegt
, sodass die Strafkammer zu Recht von einer gefährlichen Körperverletzung
gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB ausgegangen ist.
Darüber hinaus gibt die Beurteilung des Alkoholkonsums der Angeklagten
sowie ihres Trunkenheitsgrades zur Tatzeit im angefochtenen
Urteil Anlass zu folgender Bemerkung:
Der Tatrichter muss die Einlassung eines Angeklagten zu seinem Alkoholgenuss
vor der Tat, für deren Richtigkeit oder Unrichtigkeit es
keine unmittelbaren Beweise gibt, nicht ohne weiteres als unwiderlegt
hinnehmen. Vielmehr hat er sich im Rahmen freier Beweiswürdigung
(§ 261 StPO) und ohne Bindung an Beweisregeln aufgrund der
im konkreten Fall gegebenen Erkenntnismöglichkeit eine Überzeugung
davon zu verschaffen, ob der Angeklagte überhaupt in solchem
Umfang Alkohol zu sich genommen hat und ob darüber hinaus eine
erhebliche Verminderung oder Aufhebung seiner Einsichts- oder
Steuerungsfähigkeit in Betracht kommt. Dabei ist es ihm unbenommen
, Trinkmengenangaben des Angeklagten als unglaubhaft einzustufen
, wenn er dafür durch die Beweisaufnahme gewonnene Gründe
hat, welche seine Auffassung argumentativ tragen (BGH, Beschl.
vom 8. Februar 2005 - 3 StR 500/04). Keinesfalls muss er ohne weiteres
zugunsten eines Angeklagten als wahr unterstellen, dass er
und sein Mittäter über den Tag zwei Flaschen Wodka und zusätzlich
einige Biere getrunken hätten, wenn es außer dieser nicht bestätigten
Behauptung dafür keine weiteren Anhaltspunkte gibt.
Nack Boetticher Hebenstreit
Elf Graf

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Strafprozeßordnung - StPO | § 261 Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung


Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung.

Strafgesetzbuch - StGB | § 224 Gefährliche Körperverletzung


(1) Wer die Körperverletzung 1. durch Beibringung von Gift oder anderen gesundheitsschädlichen Stoffen,2. mittels einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs,3. mittels eines hinterlistigen Überfalls,4. mit einem anderen Beteiligten gemeins

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Bundesgerichtshof Beschluss, 20. Dez. 2006 - 1 StR 576/06

bei uns veröffentlicht am 20.12.2006

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 1 StR 576/06 vom 20. Dezember 2006 in der Strafsache gegen wegen gefährlicher Körperverletzung Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 20. Dezember 2006 beschlossen : Die Revision des Angeklagten gegen das Urte

Bundesgerichtshof Beschluss, 08. Feb. 2005 - 3 StR 500/04

bei uns veröffentlicht am 08.02.2005

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 3 StR 500/04 vom 8. Februar 2005 in der Strafsache gegen wegen Vergewaltigung u. a. Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 8. Februar 2005 gemäß
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Bundesgerichtshof Beschluss, 20. Dez. 2006 - 1 StR 576/06

bei uns veröffentlicht am 20.12.2006

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 1 StR 576/06 vom 20. Dezember 2006 in der Strafsache gegen wegen gefährlicher Körperverletzung Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 20. Dezember 2006 beschlossen : Die Revision des Angeklagten gegen das Urte

Referenzen

(1) Wer die Körperverletzung

1.
durch Beibringung von Gift oder anderen gesundheitsschädlichen Stoffen,
2.
mittels einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs,
3.
mittels eines hinterlistigen Überfalls,
4.
mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich oder
5.
mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung
begeht, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.

Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 500/04
vom
8. Februar 2005
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung u. a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 8. Februar 2005 gemäß § 349
Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hannover vom 9. September 2004 im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die der Nebenklägerin dadurch entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:


Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von neun Jahren verurteilt. Die Revision des Angeklagten wendet sich mit Einzelbeanstandungen allein gegen den Rechtsfolgenausspruch. Das Rechtsmittel hat Erfolg.
1. Die Höhe der verhängten, für eine Tat dieser Art bemerkenswert hohen Freiheitsstrafe ist nicht tragfähig begründet. Je mehr sich die im Einzelfall verhängte Strafe dem unteren oder oberen Rand des zur Verfügung stehenden tatrichterlichen Spielraums nähert, um so höher sind die Anforderungen, die an eine umfassende Abwägung und eine erschöpfende Würdigung der maßgeblichen straferschwerenden und strafmildernden Umstände zu stellen sind (vgl. BGHR StGB § 46 Abs. 1 Begründung 15, Beurteilungsrahmen 7). Dem werden die Urteilsgründe nicht gerecht.
Das Landgericht hat dem Angeklagten "ganz erheblich" das heutige Erscheinungsbild der Nebenklägerin als Tatfolge angelastet. Dabei hat es die Frau, die seit der Tat eine "permanente innere Unruhe verspürt" und während der Hauptverhandlung an Armen und Beinen stark gezittert hat, als "körperli- ches Wrack" bezeichnet, ohne zu erörtern, ob hierfür auch andere Ursachen in Betracht kommen könnten. Hierzu bestand angesichts der festgestellten Tatvorgeschichte aber Anlaß. Danach hatte die Nebenklägerin am Tatabend am Leineufer mit einer Freundin Kokain konsumiert und war sodann - "wie sie dies immer tat, wenn sie 'Koks' zu sich genommen hatte" (UA S. 6) - umhergelaufen. Dabei hatte sie den Angeklagten angesprochen und sich von diesem eine Zigarette geben lassen.
Auch die Wirkungen, die von der Strafe für das zukünftige Leben des Täters zu erwarten sind, hätten erörtert werden müssen, nachdem der zur Tatzeit 21 Jahre alte Angeklagte vor der Tat erkennbar noch keinen Strafvollzug erfahren hat.
Gleiches gilt für die alkoholische Beeinflussung des Angeklagten bei der Tat, derentwegen die Strafkammer eine erhebliche Einschränkung der Steuerungsfähigkeit nicht ausschließen konnte. Daß das Landgericht eine Strafrahmenverschiebung nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB abgelehnt hat, nachdem der Angeklagte bereits zuvor Straftaten - darunter auch eine Bedrohung, eine Nötigung und eine gefährliche Körperverletzung - unter Alkoholeinfluß begangen hatte, machte eine Erörterung bei der konkreten Strafzumessung hier nicht entbehrlich.
2. Die Beurteilung des Alkoholkonsums des Angeklagten sowie seines Trunkenheitsgrades zur Tatzeit im angefochtenen Urteil gibt darüber hinaus Anlaß zu folgender Bemerkung:
Der Tatrichter muß die Einlassung des Angeklagten zu seinem Alkoholgenuß vor der Tat, für deren Richtigkeit oder Unrichtigkeit es keine unmittelbaren Beweise gibt, nicht ohne weiteres als unwiderlegt hinnehmen. Vielmehr hat er sich im Rahmen freier Beweiswürdigung (§ 261 StPO) und ohne Bindung an Beweisregeln aufgrund der im konkreten Fall gegebenen Erkenntnismöglichkeiten eine Überzeugung davon zu verschaffen, ob der Angeklagte in solchem Umfang Alkohol zu sich genommen hat, daß eine erhebliche Verminderung oder Aufhebung seiner Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit in Betracht kommt. Dabei ist es ihm unbenommen, Trinkmengenangaben des Angeklagten als unglaubhaft einzustufen, wenn er dafür durch die Beweisaufnahme gewonnene Gründe hat, welche seine Auffassung argumentativ tragen (vgl. BGHSt 34, 29, 34; BGHR StGB § 20 Blutalkoholkonzentration 12 sowie § 21 Blutalkoholkonzentration 13 und 22).
Wird die Tatzeitalkoholisierung aufgrund von Trinkmengenangaben bestimmt , so ist, wenn es um die Frage der Schuldfähigkeit geht, als Abbauwert der (dem Täter günstigste) minimale Rückrechnungswert von stündlich 0,1 ‰ zugrunde zu legen (vgl. Tröndle/Fischer, StGB 52. Aufl. § 20 Rdn. 14 m. w. N.). Ein Sicherheitszuschlag kommt nicht in Betracht.
Nach den bisherigen Feststellungen hatte der Angeklagte vor der Tat fünfeinhalb Liter Bier zu sich genommen. Er hatte sich zudem den Hooligans eines Fußballvereins sowie der rechten Szene der NPD nur deshalb angeschlossen , weil er dort "exzessiv Alkohol trinken und sich prügeln konnte". Angesichts dieser Umstände wäre zu erörtern gewesen, ob bei dem Angeklagten ein Hang besteht, alkoholische Getränke im Übermaß zu sich zu nehmen, und ob er deshalb gefährlich ist (§ 64 StGB).
VRiBGH Prof. Dr. Tolksdorf ist urlaubsbedingt ortsabwesend und deshalb an der Unterschriftsleistung gehindert. Miebach Miebach Pfister Becker Hubert