Bundesgerichtshof Beschluss, 23. Aug. 2012 - 1 StR 389/12

bei uns veröffentlicht am23.08.2012

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 389/12
vom
23. August 2012
in der Strafsache
gegen
wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer
Menge u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 23. August 2012 beschlossen
:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
Ravensburg vom 19. März 2012 wird als unbegründet verworfen,
da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung
keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die
der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen
Auslagen zu tragen.

Gründe:

1
Die Strafkammer hat festgestellt, dass der an einer paranoiden Schizophrenie leidende Angeklagte dreimal mit Betäubungsmitteln Handel getrieben und einmal seine Freundin massiv misshandelt und dabei lebensgefährlich verletzt hat, weil sie - statt ihn nach Hause zu fahren - ihren minderjährigen Sohn am Bahnhof abholen wollte. Deshalb wurde er zu einer Gesamtstrafe von fünf Jahren Freiheitsstrafe verurteilt (Einsatzstrafe: drei Jahre und sechs Monate wegen gefährlicher Körperverletzung) und es wurde seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Außerdem muss er der Geschädigten 10.000 € Schmerzensgeld zahlen und ihre künftigen Schäden ersetzen.
2
Die Kammer folgt dem Sachverständigen in seinem Befund, soweit er eine paranoide Schizophrenie und die sich daraus ergebende Beeinträchtigung des Angeklagten diagnostiziert hat. Sie referiert darüber hinaus die Bewertung des Sachverständigen, dass die Einsichtsfähigkeit des Angeklagten bei den Taten nicht beeinträchtigt gewesen sei. Die psychische Erkrankung wirke sich jedoch auf die Steuerungsfähigkeit aus und beeinträchtige die Impulskontrolle; die Reizschwelle des Angeklagten sei herabgesetzt; das Maß der Gewalt und die Brutalität der Handlungen seien aber nicht einzig auf die psychiatrische Erkrankung des Angeklagten zurückzuführen. Die Kammer folgt dem Sachverständigen auch insoweit, als dieser auch beim Körperverletzungsdelikt kein akutes psychotisches Erleben festgestellt hat. Aufgrund dessen steht zur Überzeugung der Kammer fest, dass die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten bei der Körperverletzungshandlung zwar erheblich eingeschränkt, aber nicht aufgehoben war.
3
Seine Revision ist auf die Sachrüge und Verfahrensrügen gestützt. Die diesbezüglichen Ausführungen betreffen die Strafe wegen gefährlicher Körperverletzung und - im Blick auf § 827 BGB - die Adhäsionsentscheidung. Er sei bei der Tat schuldunfähig gewesen. Dies habe der Sachverständige auch in der Hauptverhandlung vertreten, wie bereits schon in seinem schriftlichen Gutachten. Daher habe auch die Staatsanwaltschaft in diesem Punkt Freispruch wegen Schuldunfähigkeit beantragt. Soweit das Urteil sich zur Begründung der Annahme (nur) erheblich verminderter Schuldfähigkeit auf die Ausführungen des Sachverständigen berufe, gebe es diese falsch wieder. Daher sei es rechtsfehlerhaft , dass nicht die Schuldunfähigkeit des Angeklagten festgestellt worden sei.
4
Selbst wenn die Strafkammer aber den Sachverständigen so wie im Urteil dargelegt verstanden habe, hätte sie auf die dadurch entstehende Abwei- chung vom schriftlichen Gutachten hinweisen, einen weiteren Gutachter hinzuziehen und/oder die für die Änderung des schriftlichen Gutachtens maßgeblichen Gründe im Urteil behandeln müssen.
5
In der Revisionsgegenerklärung der Staatsanwaltschaft heißt es, die Verfahrensabläufe seien richtig und vollständig wiedergegeben.
6
Die Revision bleibt erfolglos (§ 349 Abs. 2 StPO).

I.

7
Soweit es die sachlich-rechtliche Überprüfung betrifft, ergibt sich aus den oben wiedergegebenen Urteilsausführungen nicht, dass der Sachverständige die Auffassung vertreten hat, der Angeklagte sei bei Begehung der Tat schuldunfähig gewesen. Ob die Voraussetzungen des § 20 StGB vorgelegen haben, hat die Kammer rechtsfehlerfrei entschieden. Ihre Bewertung, die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten sei nur erheblich eingeschränkt gewesen, entspricht der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, wonach Schizophrenie für sich genommen nicht zur Feststellung einer generellen oder zumindest längere Zeiträume überdauernden gesicherten Aufhebung der Schuldfähigkeit führt (vgl. BGH, Beschluss vom 29. Mai 2012 - 2 StR 139/12; BGH NStZ-RR 2008, 39).

II.

8
Zu der verfahrensrechtlichen Beanstandung, das Urteil gebe die Bewertung des Sachverständigen zur Frage des § 20 StGB unzutreffend wieder, bemerkt der Senat:
9
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sind behauptete Widersprüche zwischen dem Inhalt des Urteils und den Akten oder dem Verlauf der Hauptverhandlung, wenn sie sich nicht aus den Urteilsgründen selbst ergeben, für sich allein regelmäßig revisionsrechtlich unerheblich (vgl. BGHSt 17, 351; BGH NStZ 1992, 506 f.; 1995, 27, 29; 1997, 294; 2008, 55). Eine Rekonstruktion der tatrichterlichen Beweisaufnahme durch das Revisionsgericht widerspricht - worauf der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift zutreffend hingewiesen hat - der Ordnung des Revisionsverfahrens (vgl. BGH NStZ 1992, 506, 507; 1997, 296; 2008, 55).

III.

10
Mit den Verfahrensrügen wird der Sache nach geltend gemacht, das Urteil sei auch auf der Grundlage der dort niedergelegten Ausführungen des Sachverständigen aufzuheben, also auch dann, wenn dies nicht schon Folge der für geboten erachteten Rekonstruktion der Beweisaufnahme sei. Dem steht aber bereits entgegen, dass nur für den Fall der Erfolglosigkeit anderen Vorbringens , also hilfsweise angebrachte Verfahrensrügen, nicht zulässig sind (BGH, Beschluss vom 22. Februar 2012 - 1 StR 349/11 mwN).
11
Die Rügen blieben aber auch erfolglos, wenn sie nicht nur hilfsweise angebracht wären.
12
1. Vorliegend wurde kein Sicherungs-, sondern ein Strafverfahren durchgeführt. Die zugelassene Anklage ist demgemäß von (sei es auch erheblich verminderter) Schuldfähigkeit ausgegangen. Auf die Möglichkeit eines anklagegemäßen Urteils muss nicht hingewiesen werden, unabhängig davon, ob Ver- fahrensbeteiligte - sei es auch die Staatsanwaltschaft - wegen ihrer Bewertung der Beweisaufnahme ein von der Anklage abweichendes Urteil beantragen.
13
2. Allerdings entsprechen die im Urteil mitgeteilten Ausführungen des Sachverständigen in der Hauptverhandlung nicht dem Ergebnis seines vorbereitenden schriftlichen Gutachtens. Dieses kann aber nicht Urteilsgrundlage sein, sondern allein das in der Hauptverhandlung erstattete Gutachten (BGH, Beschluss vom 12. Februar 2008 - 1 StR 649/07). Für dessen Würdigung kann es jedoch bedeutsam sein, wenn der Sachverständige im Laufe des Verfahrens seine Meinung geändert hat (BGH, Beschluss vom 12. September 2007 - 1 StR 407/07). Ohne dass damit notwendig jeder denkbare Einzelfall - dessen Umstände stets maßgeblich sind - erfasst wäre, lassen sich jedenfalls die folgenden Fallgestaltungen unterscheiden:
14
a) Sind in ihrer Bedeutung klar erkennbare neue Erkenntnisse angefallen (etwa wenn sich für die Beurteilung seines innerpsychischen Zustands wichtige Angaben des Angeklagten als falsch erwiesen haben [vgl. z.B. BGH, Urteile vom 28. August 2007 - 1 StR 268/07 und 31. Mai 2005 - 1 StR 290/04]), bedürfte eine hierauf beruhende Änderung der Auffassung des Sachverständigen keiner besonderen Erklärung.
15
b) Beruhte die Änderung auf für die übrigen Verfahrensbeteiligten weniger offenkundigen Erkenntnissen (etwa wenn der Sachverständige wegen Unterschieden des Aussageverhaltens in der Hauptverhandlung und bei der Exploration die Glaubwürdigkeit des Zeugen nunmehr anders einschätzt [vgl. z.B. BGH, Urteil vom 5. Dezember 1995 - 1 StR 580/95]), müssten sich allein daraus - ebenfalls - noch keine Bedenken gegen das in der Hauptverhandlung erstattete Gutachten ergeben. Die für die Änderung maßgeblichen Gesichtspunkte wären aber eingehender als die für jedermann erkennbare Änderung von Erkennt- nissen zu erläutern und sollten zweckmäßigerweise - zumindest knapp - auch in den Urteilsgründen dargelegt werden (vgl. schon BGHSt 8, 113, 116 mwN).
16
c) In einem - nach forensischer Erfahrung allenfalls seltenen - Fall, in dem ein Sachverständiger überhaupt keinen (nachvollziehbaren) Grund für die Änderung seiner Auffassung nennen könnte, würde dies allerdings Zweifel an seiner Sachkunde wecken und die Hinzuziehung eines weiteren Sachverständigen nahelegen. Jedenfalls könnten danach die Ausführungen dieses Sachverständigen allein schwerlich maßgebliche Grundlage richterlicher Überzeugungsbildung sein.
17
3. Daraus folgt für den vorliegenden Fall:
18
a) Die Entscheidung über Verfahrensrügen, die auf Unterschiede zwischen einem vorbereitenden und dem in der Hauptverhandlung erstatteten Gutachten gestützt sind (vgl. BGHSt aaO), erfordert regelmäßig einen inhaltlichen Vergleich zwischen den beiden Gutachten. Nur so ist zuverlässig feststellbar , ob beide Gutachten auf identischer tatsächlicher Grundlage erstattet sind, oder ob sich die Differenzen aus unterschiedlichen tatsächlichen Grundlagen ohne weiteres von selbst erklären. Während sich jedoch die Grundlagen des in der Hauptverhandlung erstatteten Gutachtens regelmäßig aus den Urteilsgründen ergeben, ist dies hinsichtlich einer durch den weiteren Verfahrensablauf überholten Grundlage eines früheren Gutachtens nicht stets notwendig der Fall.
19
Dementsprechend hat der Revisionsführer in einem solchen Fall regelmäßig jedenfalls den wesentlichen Kern des ursprünglichen Gutachtens vorzutragen (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO) und kann sich nicht auf die Mitteilung beschränken , das ursprüngliche Gutachten sei zu einem anderen Ergebnis gekommen.
20
b) So verhält es sich aber hier. Es ist lediglich ein Satz aus dem schriftlichen Gutachten mitgeteilt ("Damit gehe ich ... von einer Aufhebung der Steuerungsfähigkeit im Sinne des § 20 StGB aus"), ohne dass Weiteres dargelegt wird. Dieses Vorbringen genügt aus den genannten Gründen den Anforderungen von § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO nicht. Daran ändert sich auch nichts durch den Vortrag, "aus Sicht der Verteidigung (sei) keine Abweichung zum schriftlichen Vorgutachten festzustellen." Die Feststellung, dass keine wesentliche Abweichung vorliegt, kann zwar Ergebnis einer Überprüfung des schriftlichen Gutachtens einerseits und der Urteilsgründe andererseits durch das Revisionsgericht sein. Eine entsprechende Bewertung durch den Verteidiger kann jedoch den Vortrag konkreter, ohne Bezugnahme auf den Akteninhalt aus sich heraus verständlicher Tatsachen, die zu diesem Ergebnis führen sollen, nicht ersetzen (vgl. BGH, Beschluss vom 24. Oktober 2006 - 1 StR 503/06 mwN).
21
Die genannten Rügen sind daher (auch noch aus diesem Grunde) nicht ordnungsgemäß angebracht. Nack Wahl Graf Jäger Sander

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Referenzen

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

Wer im Zustand der Bewusstlosigkeit oder in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit einem anderen Schaden zufügt, ist für den Schaden nicht verantwortlich. Hat er sich durch geistige Getränke oder ähnliche Mittel in einen vorübergehenden Zustand dieser Art versetzt, so ist er für einen Schaden, den er in diesem Zustand widerrechtlich verursacht, in gleicher Weise verantwortlich, wie wenn ihm Fahrlässigkeit zur Last fiele; die Verantwortlichkeit tritt nicht ein, wenn er ohne Verschulden in den Zustand geraten ist.

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 139/12
vom
29. Mai 2012
in der Strafsache
gegen
wegen Diebstahls u.a.
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 29. Mai 2012 gemäß § 349
Abs. 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bonn vom 13. Oktober 2011 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf der vorsätzlichen Körperverletzung in sieben Fällen, davon in zwei Fällen in Tateinheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, sowie des versuchten Diebstahls freigesprochen und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg.
2
1. Nach Überzeugung der sachverständig beratenen Strafkammer befand sich der Angeklagte aufgrund einer chronifizierten und zur Tatzeit akuten schizophrenen Psychose bei Begehung der Körperverletzungsdelikte und des in zwei Fällen tateinheitlich begangenen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte in einem Zustand, in dem sowohl seine Einsichts- als auch seine Steue- rungsfähigkeit auf motivationaler Ebene vollständig aufgehoben waren (§ 20 StGB), während er sich bei Begehung des versuchten Diebstahls in einem Zustand erheblich verminderter Steuerungsfähigkeit befand, wobei eine völlige Aufhebung nicht ausgeschlossen werden konnte. Infolge seines Zustandes und des dadurch bedingten Wahnerlebens seien auch in Zukunft erhebliche Straftaten , auch im Bereich von Gewalttaten, zu erwarten. Eine psychiatrische Behandlung des Angeklagten könne nur unter den geschützten Bedingungen des Maßregelvollzuges erfolgen.
3
2. Die Voraussetzungen des § 63 StGB werden durch die Urteilsfeststellungen nicht hinreichend belegt.
4
Das Landgericht hat bereits nicht hinreichend dargelegt, dass der Angeklagte bei Begehung der Anlasstaten sicher schuldunfähig bzw. erheblich vermindert schuldfähig war. Dabei ist noch nicht ausschlaggebend, dass die Strafkammer bei Begehung der Körperverletzungsdelikte und des tateinheitlich begangenen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte einen Ausschluss der Einsichts- und der Steuerungsfähigkeit angenommen hat (BGHR StGB § 63 Schuldfähigkeit 1; Fischer StGB 59. Aufl. § 21 Rn. 5; vgl. aber auch BGH NStZRR 2006, 167, 168). Es fehlt jedenfalls an einer tatsächlichen Grundlage für die Annahme eines jeweils akuten Schubs der Erkrankung und insbesondere auch eines spezifischen Zusammenhangs zwischen der Erkrankung und den einzelnen Taten.
5
Allein die Diagnose einer schizophrenen Psychose führt für sich genommen nicht zur Feststellung einer generellen oder zumindest längere Zeiträume überdauernden gesicherten Beeinträchtigung bzw. Aufhebung der Schuldfähigkeit (vgl. BGH, NStZ-RR 2008, 39). Erforderlich ist vielmehr stets die konkretisierende Darlegung, in welcher Weise sich die festgestellte psychische Störung bei Begehung der Taten auf die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat (vgl. BGH, StraFo 2004, 390 mwN). Die Strafkammer schließt sich insoweit der Beurteilung des Sachverständigen an, ohne dessen dafür wesentlichen Anknüpfungs - und Befundtatsachen im Urteil so wiederzugeben, wie es zum Verständnis des Gutachtens und zur Beurteilung seiner Schlüssigkeit erforderlich wäre (vgl. BGH, Beschluss vom 14. April 2010 - 5 StR 123/10 mwN). Soweit der Sachverständige und ihm folgend die Kammer darauf abgestellt haben, der Angeklagte habe aufgrund eines zum jeweiligen Tatzeitpunkt bestehenden "Wahnerlebens" (UA S. 18) bzw. er habe auf eine "subjektiv empfundene, gegebenenfalls auch wahnhaft wahrgenommene, Provokation hin" sein Verhalten nicht mehr "steuern" können, bzw. projiziere seine eigenen Aggressionen "in (vermeintlich) feindselige Handlungsformen anderer Personen" (UA S. 19), wird dies in den Urteilsgründen nicht belegt. Auch aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe ergeben sich insoweit keine hinreichenden Anhaltpunkte. Die festgestellten Taten des Angeklagten richteten sich gegen seine vormalige Freundin, die ihm eine gewünschte Aussprache verweigerte, gegen einen Passanten , der ihr beistehen wollte, gegen zwei Schüler, die zuvor Steinchen gegen das Auto des Angeklagten geworfen bzw. ihm Zigarettenrauch ins Gesicht geblasen hatten, sowie gegen zwei Polizeibeamte, die in zwei Fällen hinzu kamen und den Angeklagten festnehmen wollten. Lediglich im Fall des versuchten Diebstahls lassen die Feststellungen erkennen, dass der Angeklagte offenkundig davon ausging, dass er ein Fahrzeug, das nicht erkennbar gebraucht werde, mitnehmen dürfe; auch dies weist entgegen der Annahme der Kammer aber nicht auf eine Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit hin.
6
3. Die Sache bedarf daher insgesamt der neuen Verhandlung und Entscheidung. Der Senat war durch den Umstand, dass allein der Angeklagte Revision eingelegt hat, nicht gehindert, auch den Freispruch aufzuheben (§ 358 Abs. 2 Satz 2 StPO; vgl. BGH StraFo 2011, 55 mwN).
Fischer Berger Krehl Eschelbach Ott

Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 349/11
vom
22. Februar 2012
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen zu 1.: Beihilfe zum Diebstahl
zu 2.: Diebstahls
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 22. Februar 2012 beschlossen
:
1. Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
Regensburg vom 10. Januar 2011 werden als unbegründet
verworfen.
2. Jeder Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels
zu tragen.

Gründe:

1
Die Angeklagten, so ist festgestellt, waren als Täter (S. ) und Gehilfe (Si. ) an je einem Diebstahl beteiligt. Die Taten gehörten zu einer aus einer Gruppierung heraus begangenen Diebstahlserie. Die meisten Mitglieder der Gruppierung, darunter B. und E. , waren bereits vor der Hauptverhandlung gegen die Angeklagten von der mit denselben Berufsrichtern wie vorliegend besetzten Strafkammer rechtskräftig abgeurteilt worden.
2
Die Verurteilung der nicht geständigen Angeklagten ist nicht zuletzt auf die Aussage des Zeugen B. - am Rande auch des Zeugen E. - gestützt. Die Revisionen sind im Kern übereinstimmend der Meinung, die Aussagen der Zeugen seien unverwertbar, weil die damalige Hauptverhandlung gegen diese nach Maßgabe einer „informellen“ - teilweise auch als „heimlich“ bezeichneten - und daher gesetzwidrigen verfahrensbeendenden Absprache („Deal“) durchge- führt worden sei.
3
A. Verfahrensabläufe und Rechtsausführungen der Revision:
4
I. Zur Hauptverhandlung gegen B. und E. :
5
Gestützt auf das Protokoll der damaligen Hauptverhandlung, das Feststellungen über eine Verfahrensabsprache (vgl. § 273 Abs. 1a StPO) nicht enthält , tragen die Revisionen hierzu vor:
6
Nach Anklageverlesung wurde die Sitzung unterbrochen. Danach wurden knappe Geständnisse abgelegt; nach kurzer Beweisaufnahme erging sodann das Urteil, das nahezu vollständig den Anträgen der Staatsanwaltschaft entsprach. Es wurde durch allseitigen Rechtsmittelverzicht sofort rechtskräftig.
7
Die Staatsanwaltschaft hat nunmehr im Rahmen ihrer Revisionsgegen- erklärung zur Behauptung einer „informellen“ Absprache im Verfahren gegen B. und E. folgende dienstliche Erklärung ihres damaligen Sitzungsvertreters vorgelegt: „… Soweit ich mich … noch erinnern kann, habe ich … mit den Ver- teidigern außerhalb der Hauptverhandlung ein Gespräch geführt. Hierbei habe ich auch dargestellt, welche Rechtsfolgen aus Sicht der Staatsanwaltschaft in Betracht zu ziehen wären, wenn die Angeklagten ein Geständnis ablegen würden. Ich vermag nicht mehr zu sagen, ob … Mitglieder der Strafkammer in dieses Gespräch einbezogen waren. Ich gehe jedoch davon aus, dass, sofern die Kammer … nicht anwesend gewesen sein sollte, … die Strafkammer über das Ergebnis der Gespräche … in Kenntnis gesetzt wurde; nicht mehr sagen kann ich, ob sich in irgendeiner Form die Kammer hierzu äußerte, bevor die Hauptverhandlung fortgesetzt wurde.“
8
II. Zum Ablauf des vorliegenden Verfahrens:
9
Die Revisionen tragen vor, dass die Strafkammer in der Hauptverhandlung gegen die Angeklagten eine „informelle“ Absprache im Verfahren gegen B. und E. „trotz mehrmaliger Vorhalte seitens der Verteidigung niemals in Abrede gestellt“ hätte.
10
Das Protokoll der Hauptverhandlung ergibt in diesem Zusammenhang:
11
1. Zum Gespräch außerhalb der Hauptverhandlung:
12
Die Hauptverhandlung war am ersten Verhandlungstag noch vor Verle- sung der Anklage auf Anregung der Verteidigung für eine „Besprechung zwischen den Verfahrensbeteiligten“ unterbrochen worden.
13
Am zweiten Verhandlungstag verlas die Verteidigung in der Hauptverhandlung eine Erklärung, in der u.a. behauptet ist, „…, dass in einer informellen Besprechung zwischen Staatsanwalt, Gericht und Verteidigung in der Hauptverhandlung vom 09.12.2010 < 1. Verhandlungstag > … auf Frage derVerteidigung Herr Vorsit- zender Richter … mitgeteilt hat, dass eine „informelle Absprache“ im Hauptverfahren gegen die fünf weiteren Mitangeklagten < also auch B. und E. > stattgefunden hat.“
14
Am vierten und letzten Hauptverhandlungstag gab der Vorsitzende zu diesem Gespräch Folgendes zu Protokoll: „Der Vorsitzende stellte fest, dass vor Verlesung der Anklage mit den Verteidigern und der Vertreterin der Staatsanwaltschaft ein Gespräch stattgefunden hat.
Gegenstand dieses Gesprächs war zusammengefasst, dass die Verteidiger der Kammer vorgehalten haben, im Verfahren ..., B. , E. , … einen Deal durchgeführt zu haben, der... gesetzwidrig sei und gegebenenfalls den dort verurteilten Angeklagten die Möglichkeit eröffne, eine Wiederaufnahme ihres Verfahrens insbesondere deshalb zu beantragen, weil durch die Kammer insoweit zumindest Rechtsbeugung begangen worden sei. Im Übrigen bestünden insoweit seitens der Verteidiger Handlungsalternativen der Strafanzeige oder des Weges nach § 22 ff. StPO, die derzeit nicht ergriffen werden sollen. Die Probleme mit dem nach Ansicht der Verteidigung durchgeführten rechtswidrigen Deal könnten ggf. gelöst werden durch eine Behandlung < des vorliegenden Verfahrens > nach den §§ 153, 153 a StPO. Die Kammer hat daraufhin das Vorgespräch abgebrochen…“
15
Ebenfalls ausweislich des Hauptverhandlungsprotokolls erklärten die Verteidiger darauf, der Vorwurf der Rechtsbeugung sei nie erhoben worden.
16
2. Zur Verlesung des Urteils gegen B. , E. u.a.:
17
Am vierten Verhandlungstag gab der Vorsitzende bekannt, dass beabsichtigt sei, dieses Urteil auszugsweise zu verlesen, soweit es die Zeugen B. und E. betreffe. Im Protokoll heißt es hierzu, gegen diese Ankündigung seien keine Einwendungen erhoben worden; der Verteidiger des Angeklagten S. habe nach der Verlesung eine Erklärung gemäß § 257 StPO abgegeben.
18
Die Verteidigung beantragte nach Fertigstellung des Protokolls, dieses dahin zu berichtigen, dass nach der Ankündigung des Vorsitzenden, das Urteil gegen B. und E. verlesen zu wollen, der Verlesung unter Hinweis auf die Ausführungen in Meyer-Goßner, StPO, 53. Aufl., § 257c Rn. 4 aE ausdrücklich widersprochen worden sei.
19
Dieser Antrag wurde wegen übereinstimmender gegenteiliger Erinnerung des Vorsitzenden und der Urkundsbeamtin - deren Erinnerung sich mit ihren Aufzeichnungen deckte - zurückgewiesen; der Vortrag der Verteidigung sei „falsch“. Möglicherweise sei jedoch, so der Beschluss, der Verwertung des Ur- teils nach der Verlesung widersprochen worden.
20
III. Zu den Rechtsausführungen der Revision:
21
Die Revisionen beider Angeklagter halten § 257c Abs. 4 Satz 3 StPO (in entsprechender Anwendung) im Verfahren gegen B. und E. für verletzt.
22
Die Revision des Angeklagten Si. hält unter diesem Gesichtspunkt die Geständnisse von B. und E. für unverwertbar. Vielmehr stünde diesen Zeugen ein Auskunftsverweigerungsrecht zu, das durch die Verlesung des gegen sie ergangenen Urteils unterlaufen worden sei. Dies könnten auch die Angeklagten des jetzigen Verfahrens rügen, insoweit sei “eine Wirkungserstreckung , wenn nicht sogar eine Drittwirkung anzunehmen“. Dies ergebe sich aus der hier vorliegenden, näher bezeichneten Verletzung von Verfassungs- und Menschenrecht.
23
In dem im Kern damit weitgehend identischen Vortrag für den Angeklagten S. wird der Senat zusätzlich aufgefordert, zur früheren Hauptverhandlung dienstliche Erklärungen einzuholen.
24
Rechtlich ist näher ausgeführt, B. und E. könnten in ihrem abgeschlossenen Verfahren erfolgreich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Rechtsmittelfrist oder eine Wiederaufnahme des Verfahrens beantragen. Aus dieser Möglichkeit leite sich schon jetzt ab, dass sie als Zeugen im vorliegenden Verfahren ein Auskunftsverweigerungsrecht gemäß § 55 StPO gehabt hätten, über das sie hier zu belehren gewesen wären.
25
Im Übrigen, so macht die Revision des Angeklagten S. weiter gel- tend, hätte die Strafkammer die ihr bekannte „informelle“ Absprache im frühe- ren Verfahren erkennbar in die Beweiswürdigung des vorliegenden Verfahrens einbeziehen müssen.
26
B. Die Revisionen bleiben erfolglos (§ 349 Abs. 2 StPO):
27
Hinsichtlich des Angeklagten S. bestehen schon Bedenken gegen die Zulässigkeit des Vorbringens. Jedenfalls die Rüge hinsichtlich der unzureichenden Beweiswürdigung ist nicht zulässig erhoben (nachfolgend I.). Die Rügen beider Angeklagter hinsichtlich der Verwertbarkeit der Aussagen der Zeugen B. und E. und der Verwertbarkeit des gegen diese Zeugen ergangenen Urteils sind (hinsichtlich des Angeklagten S. : jedenfalls) unbegründet (nachfolgend II.).
28
I. Unzulässigkeit der Rüge der unzureichenden Beweiswürdigung (Revision des Angeklagten S. ):
29
1. Im Grundsatz zutreffend ist die Auffassung der Revision, in die Würdigung einer Zeugenaussage sei erkennbar einzubeziehen, wenn es in einem Strafverfahren gegen den Zeugen selbst wegen der gleichen Vorwürfe zu einer Verständigung gekommen war. Dies gilt sowohl dann, wenn es zu einer Verständigung in Gesprächen mit dem Gericht gekommen war (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Februar 2012 - 1 StR 438/11; BGH, Beschluss vom 6. November 2007 - 1 StR 370/07, BGHSt 52, 78, 82 f. mwN), als auch dann, wenn - wie nach der dienstlichen Erklärung des damaligen Sitzungsvertreters der Staatsanwaltschaft im Verfahren gegen B. und E. - „Verständigungsgesprä- che“ im Wesentlichen zwischen der Staatsanwaltschaft und der Verteidigung geführt worden waren (in vergleichbarem Sinne BGH, Urteil vom 29. November 2011 - 1 StR 287/11 Rn. 14).
30
2. Jedenfalls erfordert die Behauptung, die danach gebotene Beweiswürdigung sei unterblieben, eine Verfahrensrüge, wenn das auf die Sachrüge hin allein zu überprüfende Urteil den in Rede stehenden Hintergrund der Zeugenaussage nicht erhellt (BGH, Beschluss vom 6. November 2007 - 1 StR 370/07, BGHSt 52, 78, 79, 81). Ausdrücklich als Verfahrensrüge sind die Ausführungen der Revision zu der unter dem genannten Blickwinkel unterbliebenen Würdigung der Aussage des Zeugen nicht gekennzeichnet. Dies wäre unschädlich , wenn inhaltlich die Anforderungen an eine zulässig erhobene Verfahrensrüge erfüllt wären. Dies ist jedoch nicht der Fall:
31
a) Im Ergebnis trägt die Revision zugleich vor (zur Einheitlichkeit einer Revisionsbegründung vgl. BGH, Beschluss vom 19. Oktober 2005 - 1 StR 117/05), die Zeugenaussagen hätten nicht beachtet werden dürfen und intensiver als geschehen gewürdigt werden müssen. Letztlich ist damit nur ein Sachverhalt geschildert und das Revisionsgericht aufgefordert, zu prüfen, ob in irgendeiner Richtung - sei es, dass die Aussagen nicht verwertbar sind, sei es dass sie zwar verwertbar aber nicht auf geboten breiter Grundlage gewürdigt sind - ein Rechtsfehler vorliege. Erforderlich ist jedoch die Behauptung eines bestimmten Verfahrensmangels (BGH, Beschluss vom 19. Oktober 2005 - 1 StR 117/05 mwN).
32
b) Selbst wenn man das Vorbringen dahin auslegte, in erster Linie solle die Unverwertbarkeit der Aussage und nur hilfsweise eine unzureichende Be- weiswürdigung gerügt sein, führte dies allenfalls zur Zulässigkeit des „Hauptantrags“ (zur Unverwertbarkeit). Eine inhaltliche Überprüfung des „Hilfsantrags“ (zur Beweiswürdigung) hingegen wäre auch dann nicht möglich, da nur hilfsweise erhobene Verfahrensrügen nicht zulässig sind (BGH, Beschluss vom 27. Juli 2006 - 1 StR 147/06; BGH, Beschluss vom 19. Oktober 2005 - 1 StR 117/05 mwN).
33
3. Selbst wenn nicht zugleich die Unverwertbarkeit der Aussage gerügt worden wäre, bliebe die Rüge unzureichender Beweiswürdigung hier erfolglos:
34
a) Die Revision beschränkt sich auf die Behauptung, das Gericht habe die ihm bekannte Absprache nicht gewürdigt. Damit ist nicht vorgetragen, dass die behauptete „informelle“ Absprache in dem Verfahren gegen B. undE. hier prozessordnungsgemäß in der Hauptverhandlung festgestellt worden sei. Im Urteil kann jedoch nur gewürdigt werden, was zuvor prozessordnungsgemäß zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemacht wurde.
35
Der Senat hat dabei der Frage, ob, wie von der Revision vorgetragen, der Vorsitzende in dem (im Protokoll der Hauptverhandlung so nicht wiedergegeben ) abgebrochenen Vorgespräch mitgeteilt hat, dass in dem Verfahren gegen B. und E. eine „informelle“ Absprache stattgefunden habe, hier nicht nachzugehen.
36
Selbst wenn nämlich der Vorsitzende sogar in der Hauptverhandlung eine dem Revisionsvorbringen entsprechende Erklärung über den Verlauf des früheren Verfahrens abgegeben hätte, wäre sie nicht in entsprechender Anwendung von § 243 Abs. 4 StPO prozessordnungsgemäß in die Hauptverhandlung eingeführt (BGH, Beschluss vom 9. Februar 2012 - 1 StR 438/11). Ebenso wenig könnte eine solche Erklärung aus einem anderen Rechtsgrund der Beweiswürdigung zugrunde gelegt werden. Die Glaubwürdigkeit eines Zeugen ist eine für den Schuld- oder Strafausspruch bedeutsame Frage. In diesem Zusammenhang (möglicherweise) erhebliche Feststellungen können daher nur nach den Regeln des Strengbeweises getroffen werden. Diese sehen dienstliche Erklärungen des Richters über seine Erkenntnisse aus anderen Verfahren als Beweismittel nicht vor (BGH, Urteil vom 22. März 2002 - 4 StR 485/01, BGHSt 47, 270, 274 mwN).
37
b) Einen prozessordnungsgemäßen Weg, auf dem die Feststellungen zur „informellen“ Absprache im Verfahren gegen B. und E. hätten getrof- fen werden sollen, zeigt die Revision nicht auf. Daher kann ihr Vorbringen auch nicht in eine Aufklärungsrüge umgedeutet werden. Für eine Ergänzung der in der Hauptverhandlung getroffenen Feststellungen durch das Revisionsgericht auf der Grundlage eigener Beweiswürdigung ist ebenfalls kein Raum.
38
c) Auch unabhängig von der Verknüpfung mit dem geltend gemachten Verwertungsverbot ermöglicht das Revisionsvorbringen des Angeklagten S. dem Senat daher keine Überprüfung der Beweiswürdigung im Blick auf das frühere Verfahren.
39
II. Verwertbarkeit der Zeugenaussagen und des Urteils:
40
1. Selbst wenn im Verfahren gegen B. und E. deren Geständnis- sen eine „informelle“ Absprache vorausgegangen wäre, hätte diesschon in jenem Verfahren nicht zu einer Unverwertbarkeit der Geständnisse gemäß § 257c Abs. 4 Satz 3 StPO geführt.
41
a) Dabei kommt es hier nicht darauf an, ob § 257c StPO überhaupt bei „informellen“ Absprachen anwendbar ist (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 4. August 2010 - 2 StR 205/10 Rn. 14). Jedenfalls wäre § 257c Abs. 4 Satz 3 StPO auch nicht entsprechend anwendbar, da nach dem Gesetz ein Verwertungsverbot nur „in diesen Fällen“, d.h. in den in § 257c Abs. 4 Sätze 1 und 2 StPO aufgeführten Fällen, besteht. Gemeint sind also nur Konstellationen, in denen sich das Gericht von der Verständigung lösen will (vgl. BGH, Beschluss vom 16. März 2011 - 1 StR 60/11; BGH, Beschluss vom 1. März 2011 - 1 StR 52/11; BGH, Beschluss vom 19. August 2010 - 3 StR 226/10, StV 2011, 76, 77). Auch die Revision behauptet aber nicht, dass die Strafkammer im Verfahren gegen B. und E. die „informelle“ Absprache nicht eingehalten hätte.
42
Es ist daher nicht ersichtlich, dass sich diese in ihrem Verfahren auf eine Unverwertbarkeit ihrer Geständnisse entsprechend § 257c Abs. 4 Satz 3 StPO hätten berufen können.
43
b) Waren aber ihre Geständnisse in dem gegen sie gerichteten Verfahren nicht in entsprechender Anwendung von § 257c Abs. 4 Satz 3 StPO unverwertbar , so können auch ihre späteren Aussagen als Zeugen nicht aus diesem Grund unverwertbar sein, selbst wenn mit ihnen inhaltlich das damalige Geständnis wiederholt wird.
44
c) Daher gehen auch die auf die Verletzung von § 257c Abs. 4 Satz 3 StPO gestützten Erwägungen der Revision ins Leere, den Zeugen B. und E. stünden Wiedereinsetzungs- und Wiederaufnahmemöglichkeiten hinsichtlich ihrer rechtskräftigen Verurteilung zu. Gleiches gilt für die Annahme, aus diesen Möglichkeiten erwüchse entsprechend § 55 StPO ein Auskunftsverweigerungsrecht der Zeugen B. und E. . Schon deshalb ist für die Annahme kein Raum, die Verletzung entsprechender Belehrungspflichten gegenüber diesen Zeugen könne (entgegen seit BGH , Beschluss vom 21. Januar 1958 - GSSt 4/57, BGHSt 11, 213 gefestigter Rechtsprechung; w. N. b. Meyer-Goßner, StPO, 54. Aufl., § 55 Rn. 17) hier auch von den Angeklagten gerügt werden, da aus übergeordneten Gründen auch deren Rechtskreis verletzt sei.
45
d) Da also das Revisionsvorbringen selbst dann, wenn es erwiesen wäre , zu keinem Verwertungsverbot führte, hat der Senat hier keine Veranlassung , dem Vorbringen in tatsächlicher Hinsicht näher nachzugehen.
46
2. Bestehen aber wegen des damaligen Verfahrensablaufs keine Bedenken gegen die Verwertbarkeit der Aussagen der Zeugen B. und E. , können daraus auch keine Bedenken gegen die Verlesbarkeit des gegen diese ergangenen Urteils erwachsen. Darauf, dass auf die Ankündigung des Vorsitzenden , die Verlesung des Urteils (zur Verlesbarkeit von Strafurteilen gegen Zeugen gemäß § 249 Abs. 1 Satz 2 StPO vgl. schon BGH, Urteil vom 2. Oktober 1951 - 1 StR 421/51, BGHSt 1, 337, 341; Mosbacher in LR StPO, 26. Aufl., § 249 Rn. 17 mwN) sei beabsichtigt, keine Entscheidung gemäß § 238 Abs. 2 StPO herbeigeführt wurde (vgl. BGH, Urteil vom 24. März 1964 - 3 StR 60/63, BGHSt 19, 273, 280), kommt es daher nicht an, ebenso wenig auf den mit dem maßgeblichen Protokollinhalt nicht zu vereinbarenden Vortrag der Revision zum Zeitpunkt des geltend gemachten Widerspruchs.
47
III. Die Sachrüge ist hinsichtlich beider Angeklagten unbegründet.
48
C. Im Hinblick auf die dienstliche Äußerung des Sitzungsvertreters der Staatsanwaltschaft in der Hauptverhandlung gegen B. und E. (vgl. oben A. I.) bemerkt der Senat:
49
Gespräche über eine mögliche Abkürzung der Hauptverhandlung zwischen Staatsanwaltschaft und Verteidigung, in die das Gericht nicht einbezogen ist, kommen, so auch die Erfahrung des Senats, in der forensischen Praxis vor (vgl. BGH, Urteil vom 29. November 2011 - 1 StR 287/11 Rn. 10).
50
Soll das Ergebnis dieser Gespräche den weiteren Gang der Hauptverhandlung beeinflussen, so ist es gegenüber dem Gericht offenzulegen (BGH aaO Rn. 14). Dies ist im Verfahren gegen B. und E. ausweislich der dienstlichen Erklärung geschehen.
51
Nach Auffassung des Senats ist es angezeigt, dass diese Offenlegung in der Hauptverhandlung erfolgt, sonst hat jedenfalls das Gericht in der Hauptver- handlung offenzulegen, wenn ihm außerhalb der Hauptverhandlung derartige Informationen erteilt wurden. Dabei ist es zweckmäßig, dass die Gespräche und die Unterrichtung des Gerichts hierüber nach Maßgabe des § 273 Abs. 1a StPO dokumentiert werden, naheliegend im Protokoll der Hauptverhandlung (vgl. auch § 160b Satz 2 StPO, wonach Gespräche, die die Staatsanwaltschaft mit der Verteidigung im Ermittlungsverfahren zur Verfahrensförderung geführt hat, aktenkundig zu machen sind; vgl. hierzu näher BGH aaO Rn. 13 mwN). Offenlegung und Dokumentation entsprechen dem Transparenzgebot, das das Verfahren über eine Verständigung im Strafverfahren insgesamt kennzeichnet (BGH aaO Rn. 12 mwN).
52
Ohne wesentlichen Mehraufwand wird durch eine solche Transparenz nicht nur der Gefahr von Missverständnissen im laufenden Verfahren vorgebeugt , sondern auch Weiterungen und Schwierigkeiten, die - wie hier ersichtlich - sogar auch noch in künftigen Verfahren entstehen können. Nack Wahl Graf RiBGH Prof. Dr. Jäger ist urlaubsabwesend und deshalb an der Unterschrift gehindert. Nack Sander

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 649/07
vom
12. Februar 2008
in der Strafsache
gegen
wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 12. Februar 2008 beschlossen
:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
Nürnberg-Fürth vom 31. Juli 2007 wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:


1
Der Angeklagte wurde wegen einer Reihe von Verstößen gegen das BtMG zu einer Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt, ein Geldbetrag (Wertersatz) wurde für verfallen erklärt.
2
Die Revision des Angeklagten ist mit mehreren Verfahrensrügen (Revisionsbegründung von Rechtsanwältin G. ) und der näher ausgeführten Sachrüge (Revisionsbegründung von Rechtsanwalt Gi. ) begründet. Sie bleibt erfolglos (§ 349 Abs. 2 StPO).

I.

3
Zu den Verfahrensrügen:
4
1. Vergeblich wendet sich die Revision dagegen, dass ihr Antrag auf Aussetzung (Abbruch) der Hauptverhandlung im Hinblick auf die Einholung eines Sachverständigengutachtens erfolglos blieb.
5
a) Folgender Verfahrensablauf liegt zu Grunde:
6
Mit Fax vom 6. Juli 2007 beantragte die Verteidigerin, den Termin vom 10. Juli 2007 abzusetzen. Wie ein Gutachten eines bestimmten Psychiaters der JVA Würzburg belegen werde, sei der Angeklagte verhandlungsunfähig. Außerdem solle das Gutachten auch belegen, dass der Angeklagte bei den Taten jedenfalls erheblich vermindert schuldfähig, wenn nicht schuldunfähig gewesen sei. Im Termin vom 10. Juli 2007 gab der Vorsitzende bekannt, nach fernmündlicher Auskunft des von der Verteidigerin benannten Sachverständigen sei der Angeklagte verhandlungsfähig; dieser selbst erklärte auf entsprechende Frage, es ginge ihm gut. Der Vorsitzende ordnete dann an, dass der Sachverständige im nächsten Hauptverhandlungstermin vom 31. Juli 2007 sein Gutachten erstatten solle. Zu nennenswertem weiterem Verfahrensgeschehen kam es an diesem Tage nicht mehr. Am 12. Juli 2007 beantragte die Verteidigerin, dass der Sachverständige schon vor der Hauptverhandlung vom 31. Juli 2007 ein schriftliches Vorgutachten vorlegen müsse, da sie sonst nicht prüfen könne, ob das Gutachten fehlerhaft und deswegen ein weiteres Gutachten einzuholen sei. Dies sei unfair. Deshalb müsse das Verfahren auch gemäß § 265 StPO ausgesetzt (abgebrochen ) werden. Sie mache nämlich vom 14. Juli bis 30. Juli 2007 Urlaub. Sie könne also das schriftliche Gutachten nicht angemessen prüfen, selbst wenn es ihr vorläge. Am 19. Juli 2007 legte der Sachverständige ein vorläufiges Gutachten vor, das der Verteidigung alsbald zur Verfügung gestellt wurde. In der Haupt- verhandlung vom 31. Juli 2007 wiederholte die Verteidigerin vergeblich die Anträge vom 12. Juli 2007, noch bevor der Sachverständige sein Gutachten erstattete.
7
b) Das Gericht hat hier einem Beweisantrag der Verteidigung stattgegeben. Die Auffassung der Revision, die Anordnung des Gerichts, ein Gutachten sei einzuholen, sei schon für sich genommen eine Änderung der Sachlage, die einen Aussetzungsanspruch begründe (§ 265 Abs. 4 StPO) trifft nicht zu, ohne dass dies weiterer Darlegung bedürfte.
8
c) Der Senat hat erwogen, ob unbeschadet der rechtlich unzutreffenden gegenteiligen Auffassung der Revision deren Vorbringen unter einem anderen rechtlichen Gesichtspunkt Erfolg haben könnte (Rechtsgedanke des § 300 StPO; vgl. auch BGH, Beschl. vom 27. Juli 2006 - 1 StR 147/06). Dies war zu verneinen :
9
(1) Gutachten zu für den Schuld- oder Strafausspruch wesentlichen Fragen sind stets mündlich in der Hauptverhandlung zu erstatten, Gutachten zu anderen Fragen (z.B. Verhandlungsfähigkeit) dann, wenn es das Gericht - wie hier - anordnet (vgl. Senge in KK 5. Aufl. § 82 Rdn. 3). Dabei ist der Gutachter stets berechtigt, auch ohne gerichtliche Anordnung ein vorläufiges schriftliches Gutachten zu den Akten zu bringen (BGH GA 1963, 18; Senge aaO). Die unterschiedlich beurteilte Frage, ob die Verfahrensbeteiligten bei einem mündlich in der Hauptverhandlung zu erstattenden Gutachten unabhängig von den Umständen des Einzelfalls stets einen Anspruch darauf haben, dass ihnen dieses Gutachten auch schriftlich vorgelegt wird (bejahend z.B. Krause in Löwe/Rosenberg , StPO 25. Aufl. § 82 Rdn. 5; verneinend z.B. Senge aaO) und ob dies gegebenenfalls schon vor Erstattung des Gutachtens in der Hauptverhandlung zu geschehen hat (vgl. G. Schäfer, Praxis des Strafverfahrens 6. Aufl. Rdn. 1041), kann der Senat hier offen lassen. Hier hat nämlich der Sachverständige ein schriftliches Vorgutachten vorgelegt, das der Verteidigung mehr als zehn Tage vor dem nächsten Termin zur Fortsetzung der Hauptverhandlung, an dem der Sachverständige sein Gutachten erstatten sollte, zur Verfügung gestellt wurde.
10
(2) Aus den Grundsätzen der Unmittelbarkeit und Mündlichkeit und der Notwendigkeit, gegebenenfalls auch erst in der Hauptverhandlung angefallene Erkenntnisse in das Gutachten einzubeziehen, folgt, dass allein der Inhalt des in der Hauptverhandlung erstatteten Gutachtens maßgebend ist (vgl. Senge aaO; BGH, Beschl. vom 12. September 2007 - 1 StR 407/07). Nur hierauf kann die Entscheidung beruhen, nur dessen Mängel oder Unklarheiten - die sich im Einzelfall auch aus nicht ohne weiteres erklärlichen oder jedenfalls erläuterten Differenzen zu einem vorläufigen schriftlichen Gutachten ergeben können (vgl. G. Schäfer aaO) - können den Bestand des Urteils gefährden. Eine auf den - schon nicht näher mitgeteilten - Inhalt des in der Hauptverhandlung erstatteten Gutachtens bezogene Verfahrensrüge ist hier jedoch nicht erhoben. Die Annahme der Verteidigung, der von ihr benannte Gutachter könne generell oder jedenfalls vorliegend zur Erstattung des von ihr beantragten Gutachtens nicht kompetent genug sein, hat keine erkennbaren konkreten Anknüpfungspunkte. Die gegenteilige Auffassung der Verteidigung, im Hinblick auf die (antragsgemäße) Anordnung der Einholung eines Gutachtens könne die Verteidigung die Aussetzung (den Abbruch) der Hauptverhandlung verlangen, weil wegen zwar durch nichts belegter , theoretisch aber auch nicht ausschließbarer Inkompetenz des Gutachters das nächste Gutachten erforderlich werden könne, kann einen wie auch immer gearteten verfahrensrechtlichen Anspruch des Angeklagten nicht begründen.
11
(3) Schon daher geht auch der Hinweis auf den Urlaub der Verteidigerin ins Leere. Der Senat bemerkt jedoch, dass ein Rechtsanwalt für seine Vertretung sorgen muss, wenn er, wie die Verteidigerin hier, länger als eine Woche abwe- send ist (§ 53 Abs. 1 BRAO). Einem Vertreter stehen die anwaltlichen Befugnisse des Vertretenen zu (§ 53 Abs. 7 BRAO), die Bestellung des vertretenen Rechtsanwalts zum Verteidiger gilt auch für den vertretenden Rechtsanwalt (vgl. BGH NStZ 1992, 248; BGH, Beschl. vom 15. August 2007 - 1 StR 341/07 m.w.N.). Ohne dass es letztlich hier darauf ankäme, liegt es auch nicht nahe, dass ein Vertreter eines Rechtsanwalts nicht diejenigen Maßnahmen ergreift - hier: Überprüfung eines vorläufigen Sachverständigengutachtens zu in Strafverfahren nicht ungewöhnlichen Fragen auf elementare fachliche Mängel -, die nach Auffassung des vertretenen Rechtsanwalts voraussehbar innerhalb eines laufenden Verfahrens anfallen können und unverzüglich noch während seiner Abwesenheit durchgeführt werden müssen.
12
2. Die Revision macht weiter geltend, die Hauptverhandlung hätte auch noch aus einem anderen Grunde am 31. Juli 2007 abgebrochen werden müssen. Es sei unfair, dass stattdessen der Antrag der Verteidigerin, ihre Bestellung zu widerrufen, zurückgewiesen worden sei. Auch diese Rüge bleibt erfolglos.
13
a) Folgendes liegt zu Grunde:
14
Zunächst hatte der Angeklagte Rechtsanwalt Gi. als Verteidiger bevollmächtigt , ehe dieser antragsgemäß zum Verteidiger bestellt wurde. Ebenfalls antragsgemäß wurde er dann entpflichtet und Rechtsanwältin G. , die sich zwischenzeitlich als Wahlverteidigerin gemeldet hatte, zur Verteidigerin bestellt. Im Laufe der Hauptverhandlung schrieb der Angeklagte an das Gericht, er wolle, dass Rechtsanwalt Gi. (wieder) zum Pflichtverteidiger bestellt werde. Er habe kein Vertrauen zu Rechtsanwältin G. , die viel Geld erhalten habe, aber keine Leistung erbringe. Näher wollte er dies, wie die Strafkammer ausdrücklich feststellt , nicht erläutern. Am 31. Juli 2007, dem vierten (und letzten) Tag der Hauptverhandlung , beantragte Rechtsanwältin G. , ihre Bestellung zur Verteidigerin aufzuheben. Der Angeklagte habe sie „auf das Übelste beschimpft und mit unhaltbaren Vorwürfen überzogen“. Näher könne dies im Hinblick auf die anwaltliche Schweigepflicht nicht ausgeführt werden. Auch habe er ihr näher gekennzeichnete Informationen vorenthalten. Sämtliche Anträge blieben erfolglos.
15
b) Die hiergegen gerichtete Verfahrensrüge versagt.
16
(1) Die Behauptung, das Vertrauen zwischen Verteidiger und Angeklagten bestehe nicht mehr, kann für sich genommen einen Anspruch auf Widerruf der Bestellung eines Verteidigers nicht begründen. Sie müsste auf konkreten Tatsachenvortrag gestützt sein (BGH NStZ 1998, 311, 312; Laufhütte in KK 5. Aufl. § 143 Rdn. 5 jew. m.w.N.). Die nicht näher ausgeführte Behauptung des Angeklagten , wegen der Leistungen von Rechtsanwältin G. entziehe er ihr sein Vertrauen und übertrage es auf Rechtsanwalt Gi. zurück, nachdem er es ihm früher entzogen und es auf Rechtsanwältin G. übertragen hatte, ist hierfür offensichtlich ungeeignet.
17
(2) Der Umstand, dass die Verteidigerin hier auch selbst ihre Entpflichtung beantragt hat, führt zu keinem anderen Ergebnis (BGHSt 39, 310, 314 m.w.N.). Ein im Verhältnis des Angeklagten zum Verteidiger wurzelnder wichtiger Grund zur Entpflichtung eines bestellten Verteidigers kann regelmäßig nicht bejaht werden , wenn dieser Grund allein vom Angeklagten verschuldet ist (BGHSt aaO 315 m.w.N.). So verhält es sich hier. Die Möglichkeit, einem Verteidiger Informationen vorzuenthalten, ihn „aufs Übelste zu beschimpfen“ und ihn mit „unhaltbaren Vorwürfen“ zu überziehen, steht jedem Angeklagten faktisch unbegrenzt zur Verfügung. Könnte er damit die Auswechslung eines Verteidigers erzwingen, könnte er ein Verfahren ohne sachlichen Grund nahezu beliebig verzögern und blockieren (vgl. BGHSt aaO 313 m.w.N.). Ob und unter welchen besonderen Umständen Ausnahmen von alledem in Betracht kommen können, etwa weil der Verteidiger Strafanzeige gegen den Angeklagten erstattet hat (vgl. BGH NStZ 1997, 401; BGHSt aaO 315 f. m.w.N.), kann hier offen bleiben, da Anhaltspunkte für derartige Besonderheiten hier nicht ersichtlich sind. Ebenso wenig muss der Senat unter den gegebenen Umständen der Frage nachgehen, ob die anwaltliche Schweigepflicht näheren Darlegungen zu ungerechtfertigten Beschimpfungen des Angeklagten gegenüber der Verteidigerin notwendig entgegengestanden hätte, nachdem der Angeklagte gegenüber dem Gericht geltend gemacht hatte, diese erbringe keine Leistungen (vgl. BGH NStZ 2000, 326, 327).

II.

18
Die auf Grund der Sachrüge gebotene Überprüfung des Urteils hat ebenfalls keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Insoweit nimmt der Senat auf die zutreffenden Ausführungen des Generalbundesanwalts Bezug, die durch die Erwiderung der Revision (§ 349 Abs. 3 Satz 2 StPO) nicht entkräftet werden. Nack Wahl Kolz RiBGH Dr. Graf ist urlaubsabwesend und deshalb an der Unterschrift gehindert. Elf Nack

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 407/07
vom
12. September 2007
in der Strafsache
gegen
wegen Mordes
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 12. September 2007 beschlossen
:
Die Revision der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
Hechingen vom 14. Mai 2007 wird verworfen.
Die Beschwerdeführerin hat die Kosten ihres Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:

1
Um ihren geschiedenen Ehemann zu töten, übergoss ihn die Angeklagte von hinten mit einer brennbaren Flüssigkeit und zündete ihn an. Er erlitt schwerste Verbrennungen, denen er nach einigen Tagen erlag.
2
Deshalb wurde sie wegen heimtückischen Mordes zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt.
3
Ihre auf Verfahrensrügen und die näher ausgeführte Sachrüge gestützte Revision ist unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
4
1. Der psychiatrische Sachverständige hatte bereits mehrere Monate vor der Hauptverhandlung ein - vorläufiges - schriftliches Gutachten zu den Akten gebracht. Danach hatte die Verteidigung, immer noch längere Zeit vor der Hauptverhandlung, Akteneinsicht gehabt, kannte also das vorläufige Gutachten. Dies belegt auch der Umstand, dass bereits vor der Hauptverhandlung ein Antrag einging, mit dem der Sachverständige (unter anderem auch) wegen des Inhalts des vorläufigen Gutachtens wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt wurde. Sein - endgültiges - Gutachten hat der Sachverständige - selbst- verständlich - in der Hauptverhandlung erstattet. Eine wie auch immer geartete Verletzung prozessualer Rechte der Angeklagten durch diesen Verfahrensablauf ist nicht erkennbar.
5
a) Demgegenüber vertritt die Revision offenbar die Auffassung, ein Sachverständiger müsse (nicht nur ein vorläufiges, sondern bereits) sein endgültiges Gutachten schon vor der Hauptverhandlung zu den Akten bringen. Die Auffassung der Revision hätte die Konsequenz, dass ein Sachverständiger Erkenntnisse bei seiner Begutachtung auszuklammern habe, die erst in der Hauptverhandlung angefallen sind. Dies liegt neben der Sache.
6
b) Weiteres Revisionsvorbringen stützt sich in diesem Zusammenhang auf die Annahme, der Verteidigung sei zugemutet worden, in einem kurzen Zeitraum zwischen Erstattung des Gutachtens in der Hauptverhandlung und der Befragung des Sachverständigen durch die Verteidigung dessen umfangreiches (61 Seiten langes) vorläufiges Gutachten durchzuarbeiten. Dies ist in tatsächlicher Hinsicht falsch, wie sich aus der - von der Revision entgegen § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO nicht mitgeteilten - vorherigen Akteneinsicht der Verteidigung ergibt.
7
c) Nach alledem gehen sämtliche in diesem Zusammenhang erhobenen Verfahrensrügen (z. B. Behinderung der Verteidigung, § 338 Nr. 8 StPO, Verletzung des Rechts auf Einsicht in Sachverständigengutachten, § 147 Abs. 3 StPO) fehl. Anzumerken ist lediglich Folgendes: Der im Zusammenhang mit dem Gutachten geltend gemachte Aussetzungsantrag könnte allenfalls dann eine Grundlage haben, wenn - etwa im Hinblick auf neue Erkenntnisse aus der Hauptverhandlung - das in der Hauptverhandlung erstattete Gutachten in wesentlichen Punkten von dem vorläufigen Gutachten abgewichen wäre. Hierfür ist dem Revisionsvorbringen jedoch nichts zu entnehmen.
8
2. Ohne Erfolg bleibt auch die Rüge, ein Antrag auf Ablehnung des psychiatrischen Sachverständigen wegen Besorgnis der Befangenheit (§ 74 StPO) sei zu Unrecht zurückgewiesen worden.
a) Zur Begründung des Ablehnungsantrags war vorgetragen worden: (1) Bei einer Exploration, bei der auch der Verteidiger anwesend war, habe der Sachverständige der Angeklagten folgendes auseinandergesetzt : Der Bundesgerichtshof habe schon einmal eine Entscheidung der - erkennenden - Strafkammer aufgehoben, der ein Sachverhalt zu Grunde gelegen habe, der dem ähnlich sei, wie er von der Angeklagten behauptet werde. In einem weiteren ebenfalls vergleichbaren Fall sei deshalb die Strafe nach Auffassung des Vorsitzenden der Strafkammer zu milde ausgefallen. Deshalb werde der Vorsitzende bei der geringsten Unstimmigkeit Einlassungen wie die der Angeklagten gar nicht erst glauben. Die Angeklagte solle sich daher ihre Einlassung nochmals durch den Kopf gehen lassen. (2) Im Übrigen sei dem Sachverständigen im Rahmen dieser Expoloration erklärt worden, dass die Angeklagte erst in der Hauptverhandlung weitere Angaben zum Tatgeschehen machen werde. Nachdem der Verteidiger die Vollzugsanstalt wieder verlassen gehabt habe, habe der Sachverständige sich dann aber doch die Angeklagte nochmals vorführen lassen und versucht, sie zum Tatgeschehen zu befragen. (3) Außerdem sei sein - vorläufiges - Gutachten unvollständig.
9
b) Die Strafkammer hat zu diesem Vorbringen den Sachverständigen angehört und weitere Ermittlungen angestellt. Sodann hat sie den Antrag zurückgewiesen. (1) Die in Anwesenheit des Verteidigers abgegebene Empfehlung des Sachverständigen zu einer Überprüfung der Einlassung - die, so der Sachverständige, mit dem Akteninhalt nicht übereingestimmt habe - hat sie als "übertriebene Fürsorge" des Sachverständigen bewertet. Auf die in dem Ablehnungsantrag näher ausgeführten Darlegungen des Sachverständigen zu den Gründen für seine Prognose - die dieser in seiner Stellungnahme weder bestätigt noch bestritten hatte - ist sie dabei nicht eingegangen. (2) Soweit der Antrag auf Vorbringen zum Geschehen gestützt war, das sich abgespielt haben soll, nachdem der Verteidiger die Vollzugsanstalt verlassen hatte, wurde der Antrag abgelehnt, weil die ihm zu Grunde liegenden Behauptungen nicht erwiesen seien. Nach den Angaben des Sachverständigen stelle es sich vielmehr so dar, dass er, nachdem er zuvor in ihre Krankenakte im Revier Einblick genommen gehabt habe, die Angeklagte in Abwesenheit des Verteidigers nur zu ihrer depressiven Verstimmung am Tattag befragt habe, wie dies auch mit dem Verteidiger vereinbart gewesen sei; zum Tatgeschehen habe er sie nicht befragt. (3) Die (behauptete) Unvollständigkeit des vorläufigen Gutachtens sei bedeutungslos. Entscheidend sei das endgültige Gutachten.
10
c) Die Revision hält diesen Beschluss für fehlerhaft. Zur Begründung führt sie näher aus, dass und warum die Strafkammer den in dem Ablehnungsantrag geschilderten Geschehensablauf hinsichtlich des Befragungsversuchs in Abwesenheit des Verteidigers hätte als bewiesen ansehen müssen. Demgegenüber befasst sich das Revisionsvorbringen nicht mit den Teilen des Beschlusses , die den Ablehnungsantrag zurückweisen, soweit dieser auf die Empfehlung des Sachverständigen, das Verteidigungsvorbringen zu überdenken, und die Unvollständigkeit des vorläufigen Gutachtens gestützt war.
11
d) Der Senat neigt nicht zu der Auffassung, dass ein Sachverständiger verständigerweise das Misstrauen hervorruft, er selbst sei zum Nachteil einer Angeklagten voreingenommen, wenn er ihr und ihrem Verteidiger eingehend erläutert , dass und warum aus seiner Sicht ein bestimmtes Verteidigungsvorbringen bei Gericht keinen Erfolg haben wird und deshalb dessen Abänderung empfiehlt. Einer Entscheidung hierüber bedarf es aber nicht. Der Ablehnungsantrag ist nämlich mit mehreren, voneinander unabhängigen Vorwürfen begründet, die Entscheidung hierüber dementsprechend auf mehrere, ebenso voneinander unabhängige Gründe gestützt. Eine solche Entscheidung hat das Revisionsgericht nur in dem Umfang zu überprüfen, in dem sie von der Revision ausweislich ihrer Begründung als rechtsfehlerhaft gerügt ist (zur Maßgeblichkeit der "Angriffsrichtung" einer Rüge vgl. auch BGH NStZ 2007, 161, 162; Kuckein in KK 5. Aufl. § 344 Rdn. 34; Cirener/Sander JR 2006, 300 jew. m. w. N.). Dies ist hinsichtlich des Teils des Beschlusses nicht der Fall, der sich mit der angesonnenen Änderung des Verteidigungsvorbringens befasst.
12
Unabhängig von alledem bemerkt der Senat, dass ein Sachverständiger keine Fürsorgepflicht für den Erfolg (der Anklage oder) der Verteidigung hat. Vielmehr hat er sich darauf zu beschränken, den ihm von seinem Auftraggeber (Staatsanwaltschaft oder Gericht) vorgegebenen Sachverhalt (vgl. § 78 StPO) aus seiner fachlichen Sicht zu bewerten. Findet er im Rahmen seiner Tätigkeit Anhaltspunkte für einen abweichenden Sachverhalt - diese können sich auch aus (neuen) Angaben des Beschuldigten (Angeklagten) ergeben - hat er seinen Auftraggeber hierauf hinzuweisen; gegebenenfalls kann er dann als (sachverständiger ) Zeuge in Betracht kommen (vgl. BGH NStZ-RR 2005, 264, 265 m. w. N.). Die Bewertung derartiger Anhaltspunkte ist allein Sache des Gerichts, das dem Sachverständigen gegebenenfalls zu verdeutlichen hat, von welchem Sachverhalt - erforderlichenfalls welchen alternativen Sachverhalten - er bei seinem Gutachten auszugehen hat. Zu (hier jedenfalls unbestritten behaupteten ) Voraussagen, wie und warum das Gericht Beweiswürdigung und Strafzumessung vermengen werde, und einer Beratung von Verfahrensbeteiligten über ihr Prozessverhalten ist ein Sachverständiger keinesfalls berufen (zur Abgrenzung der Zuständigkeitsbereiche vgl. auch Nedopil NStZ 1999, 433, 437 f.). Wie hier deutlich wird, kann derartiges Verhalten zu Missdeutungen Anlass geben und so das Verfahren belasten.
13
e) Hinsichtlich der gerügten Bewertung der geltend gemachten Befragung in Abwesenheit des Verteidigers bleibt die Revision ebenfalls erfolglos:
14
Das Recht des Beschuldigten (Angeklagten), sich in jeder Lage des Verfahrens anwaltlicher Hilfe zu bedienen, führt nicht zu einem Anwesenheitsrecht des Verteidigers bei der Exploration durch einen Sachverständigen, der mit der Erstellung eines Gutachtens (hier: zur Frage der Schuldfähigkeit der Angeklagten ) beauftragt ist (BGH NStZ 2003, 101). Hier ist nun allerdings geltend gemacht , der Sachverständige habe - gleichwohl - zunächst zugesagt, (weitere) Explorationen nur in Anwesenheit des Verteidigers vorzunehmen, sich dann aber nicht an diese Zusage gehalten. Es verstünde sich auch bei einem solchen - freilich inkonsequenten - Verhalten des Sachverständigen nicht von selbst, dass allein die Stellung sachgerechter Fragen - anderes ist weder konkret behauptet noch sonst ersichtlich - verständigerweise die Besorgnis begründete, der Sachverständige sei zum Nachteil der Angeklagten befangen.
15
Einer abschließenden Entscheidung hierüber bedarf es aber nicht, da die Strafkammer die in dem Ablehnungsantrag aufgestellten tatsächlichen Behauptungen als widerlegt ansieht. Mit dem Vorbringen, in Wahrheit sei es doch so gewesen, wie in dem Antrag behauptet, kann die Revision nicht gehört werden. Bei der Beurteilung der Ablehnung von Sachverständigen ist das Revisionsgericht an die Tatsachen gebunden, die der Tatrichter seiner Entscheidung zu Grunde gelegt hat. Eigene Ermittlungen des Revisionsgerichts kommen - anders als bei der Richterablehnung - nicht in Betracht. Es entscheidet als Rechtsfrage, ob die Strafkammer über das Ablehnungsgesuch ohne Verfahrensfehler und mit ausreichender Begründung befunden hat (st. Rspr., vgl. BGH NStZ 1994, 388; BGH bei Becker NStZ-RR 2002, 66 m. w. N.). Die Strafkammer ist in ihrem Beschluss aber rechtsfehlerfrei zu dem Ergebnis gelangt, die Äußerung des Sachverständigen zu dem Ablehnungsantrag ergebe, dass er seine Absprache mit dem Verteidiger eingehalten habe. Unabhängig davon belegen die Ausführungen des Sachverständigen jedenfalls, dass er nicht davon ausgegangen ist, eine mit dem Verteidiger getroffene Vereinbarung zu verletzen. Selbst wenn das Verhalten des Sachverständigen zunächst die Besorgnis der Befangenheit begründet hätte, hätte die Erläuterung des Sachverständigen diese Besorgnis ausgeräumt. Es gilt insoweit nichts anderes als hinsichtlich der dienstlichen Erklärung eines wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnten Richters. Diese kann ebenfalls ein ursprünglich berechtigt erscheinendes Misstrauen ausräumen (vgl. BGH wistra 2002, 267; StV 2004, 356, 357 jew. m. w. N.).
16
f) Soweit die Ablehnung mit der Unvollständigkeit des vorläufigen Gutachtens begründet ist, sind die Ausführungen der Strafkammer, mit denen dieser Teil des Ablehnungsantrags zurückgewiesen wurde, von der Revision nicht erkennbar angegriffen. Es gilt insoweit nichts anderes als hinsichtlich der geltend gemachten Besorgnis der Befangenheit des Sachverständigen wegen sei- ner Empfehlungen zum Verteidigungsverhalten. Darauf, dass allein der (im Übrigen nicht in einer den Anforderungen von § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO genügenden Weise mitgeteilte) Inhalt eines Gutachtens - also die fachliche Qualität des Gutachters - in aller Regel die Besorgnis der Befangenheit ohnehin nicht begründen könnte (vgl. BGHR StPO § 74 Ablehnung 1 m. w. N.), kommt es daher nicht mehr an.
17
3. Die Rüge gegen den Beschluss, mit dem der Antrag auf Ablehnung des Gerichts wegen Besorgnis der Befangenheit zurückgewiesen wurde, ist ebenfalls offensichtlich unbegründet. Da dieser Antrag allein auf die Bescheidung des Vorbringens zur angeblich unzulänglichen Möglichkeit, von dem vorläufigen Gutachten Kenntnis zu nehmen und auf die Zurückweisung des gegen den Sachverständigen gerichteten Ablehnungsantrags gestützt war, bedarf dies keiner weiteren Darlegung.
18
4. Schließlich bleibt auch die Sachrüge erfolglos. Insoweit nimmt der Senat auf die zutreffenden Ausführungen des Generalbundesanwalts Bezug. Nack Wahl Kolz Hebenstreit Graf

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 268/07
vom
28. August 2007
BGHSt: ja
BGHR: ja
Veröffentlichung: ja
________________________
Wird die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus für erledigt erklärt
(§ 67d Abs. 6 StGB), so kann dies regelmäßig nur dann Grundlage nachträglicher
Sicherungsverwahrung (§ 66b Abs. 3 StGB) sein, wenn der Betroffene
andernfalls in die Freiheit zu entlassen wäre. Hat er dagegen im Anschluss
an die Erledigung noch Freiheitsstrafe zu verbüßen, auf die zugleich mit der Unterbringung
erkannt worden war, kann nachträgliche Sicherungsverwahrung regelmäßig
nur unter den Voraussetzungen von § 66b Abs. 1 StGB oder § 66b
Abs. 2 StGB angeordnet werden.
BGH, Urteil vom 28. August 2007 - 1 StR 268/07 - LG Augsburg
in der Strafsache
gegen
wegen nachträglicher Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 28. August
2007, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Nack
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl,
Dr. Kolz,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Elf,
der Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Graf,
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Augsburg vom 22. Januar 2007 wird verworfen. 2. Die Kosten der Revision der Staatsanwaltschaft und die dem Betroffenen hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse zur Last.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat es abgelehnt, gegen den Betroffenen gemäß § 66b Abs. 3 StGB nachträglich Sicherungsverwahrung anzuordnen. Die hiergegen gerichtete auf die Sachrüge gestützte Revision der Staatsanwaltschaft bleibt erfolglos.

I.

2
1. Folgender Verfahrensgang war vorausgegangen:
3
Der wiederholt und auch einschlägig vorbestrafte Betroffene war am 3. Juli 1997 wegen näher geschilderten sexuellen Missbrauchs eines acht Jahre alten Jungen in 13 Fällen - Gewalt hatte hierbei nie eine Rolle gespielt - zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und acht Monaten (Einzelstrafen je sechs Monate) verurteilt worden; zugleich war er gemäß § 63 StGB in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht worden. Sachverständig beraten hatte das Gericht erheblich verminderte Schuldfähigkeit (§ 21 StGB) wegen "einer hirnorganischen Leistungsbeeinträchtigung bzw. einer organischen Persönlichkeitsstörung" und wegen Pädophilie bejaht.
4
Der Betroffene befand sich - mit einer Unterbrechung - im psychiatrischen Maßregelvollzug, bis die Strafvollstreckungskammer am 21. Dezember 2005 die Maßregel "in entsprechender Anwendung von § 67c Abs. 2 Satz 5 StGB" für erledigt erklärte, da ein die Unterbringung gemäß § 63 StGB rechtfertigender Zustand gemäß §§ 20, 21 StGB nicht gegeben sei. Sachverständig beraten hat sie festgestellt, dass zwar eine Pädophilie vorliege, die im Erkenntnisverfahren gestellte Diagnose im Übrigen aber eine "Fehlbeurteilung" gewesen sei. Der Betroffene habe "die Angaben, auf die die Diagnose gestützt wurde, lediglich aus Angst gemacht, um statt ins Gefängnis in die Psychiatrie zu kommen". Zugleich wurde die Vollstreckung des noch nicht erledigten Teils der zugleich mit der Unterbringung ausgesprochenen Freiheitsstrafe (letztlich 311 Tage) angeordnet, die er dann bis Februar 2007 vollständig verbüßt hat.
5
2. Nach sachverständiger Beratung hat die Jugendkammer beim Betroffenen eine Störung der Sexualpräferenz vom Prägnanztyp der Pädophilie (ICD 10 F 65.4) im Sinne einer homosexuell ausgerichteten Pädophilie mit einer Orientierung auf pubertierende Jungen und jugendliche Männer festgestellt. Seine Persönlichkeit sei darüber hinaus von infantilen und dependenten Persönlichkeitszügen geprägt. Ein chronisches organisches Psychosyndrom vom Prägnanztyp der organischen Wesensänderung infolge frühkindlicher Hirnschädigung bzw. cerebraler Dysfunktion liege dagegen nicht vor. Ein Hang zu Taten wie den abgeurteilten sei zu bejahen. Es bestehe auch die hohe Wahrscheinlichkeit , dass er weiterhin derartige Taten begehen werde.
6
3. Die Ablehnung von nachträglicher Sicherungsverwahrung hat die Jugendkammer wie folgt begründet:
7
a) § 66b Abs. 3 StGB setze voraus, dass die Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 67d Abs. 6 StGB für erledigt erklärt worden sei. Die Strafvollstreckungskammer habe ihrer Entscheidung demgegenüber auf eine entsprechende Anwendung von § 67c Abs. 2 Satz 5 StGB gestützt. Daher sei § 66b Abs. 3 StGB hier schon aus formalen Gründen nicht anwendbar.
8
b) Es sei auch nicht sicher, dass die Opfer der zu erwartenden Taten hierdurch seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden würden. Der Betroffene habe bei seinen früheren Taten nie Gewalt angewendet; "eine Progredienz der Sexualdelinquenz mit zunehmender Gewaltanwendung" sei bei ihm "wenig wahrscheinlich". Wende er aber keine Gewalt an, sei "mit schweren posttraumatischen Belastungsstörungen" bei den Opfern seiner künftigen Taten "kaum zu rechnen". Obwohl "größere" seelische Schäden bei ihnen nicht sicher auszuschließen seien, fehle es an der gemäß § 66b Abs. 3 StGB erforderlichen erhöhten Wahrscheinlichkeit ihres Eintritts.
9
c) Außerdem führt die Jugendkammer, der Sache nach hilfsweise, weitere Gesichtspunkte an, die die Anordnung nachträglicher Sicherungsverwahrung hier unverhältnismäßig erscheinen ließen: (1) die Fehldiagnose im Erkenntnisverfahren hätte bei gehöriger Sorgfalt vermieden werden können; (2) es falle ins Gewicht, dass der Betroffene nach seiner Entlassung unter Führungsaufsicht stünde, wodurch die Gefahr künftiger Straftaten "minimiert" würde; (3) schließlich sei noch Freiheitsstrafe zu vollstrecken, nachdem die Unterbringung für erledigt erklärt worden sei; in derartigen Fällen sei nach dem Willen des Gesetzgebers § 66b Abs. 1 bzw. § 66b Abs. 2 StGB vor § 66b Abs. 3 StGB vorrangig.

II.

10
Das Urteil hat im Ergebnis Bestand.
11
Allerdings liegen die formalen Voraussetzungen von § 66b Abs. 3 StGB vor. Die fehlerhafte Bezeichnung der Rechtsgrundlage für die Erledigung der Unterbringung durch die Strafvollstreckungskammer ist unschädlich (1.). Ebenso wenig kommt es darauf an, dass die für erledigt erklärte Unterbringung von vorneherein hätte vermieden werden können (2.). Der abstrakte Hinweis auf die Möglichkeiten der Führungsaufsicht könnte die Notwendigkeit nachträglicher Sicherungsverwahrung hier nicht in Frage stellen (3.). Auch die Erwägungen zu den Unklarheiten über die seelischen Schäden, die durch die zu befürchtenden künftigen Straftaten bei deren Opfern eintreten werden, sind nicht tragfähig (4.).
12
Jedoch weist die Jugendkammer zu Recht darauf hin, dass der Betroffene nach der Erledigung der Unterbringung nicht in die Freiheit zu entlassen war; vielmehr hatte er zugleich mit der Unterbringungsanordnung verhängte Freiheitsstrafe zu verbüßen. Dies begründet nach Auffassung des Senats regelmäßig eine Sperrwirkung von § 66b Abs. 1 und Abs. 2 StGB gegenüber § 66b Abs. 3 StGB (5.).
13
1. Zwar weist die Jugendkammer zu Recht darauf hin, dass die Strafvollstreckungskammer in ihrem Beschluss vom 21. Dezember 2005 die Unterbringung in entsprechender Anwendung von § 67c Abs. 2 Satz 5 StGB für erledigt erklärt hat. § 66b Abs. 3 StGB verlangt dagegen, dass die Unterbringung ge- mäß § 67d Abs. 6 StGB für erledigt erklärt worden ist. Die Auffassung der Jugendkammer , hieraus folge aus zwingenden rechtlichen Gründen ohne weiteres , dass § 66b Abs. 3 StGB unanwendbar sei, geht jedoch fehl.
14
Die Entscheidung der Strafvollstreckungskammer entsprach, wie auch die Jugendkammer nicht verkennt, der früheren ganz überwiegenden Rechtsprechung der Strafvollstreckungsgerichte. Diese hatten in richterrechtlicher Rechtsfortbildung die Maßregel in analoger Anwendung von § 67c Abs. 2 Satz 5 StGB für erledigt erklärt, wenn zum Zeitpunkt ihrer Entscheidung die Maßregelvoraussetzungen nicht vorlagen, sei es, dass sie von Anfang an gefehlt hatten, sei es, dass sie nachträglich weggefallen waren (vgl. Berg/Wiedner StV 2007, 434 ff. mit umfangreichen Nachw. aus der Rspr.). Diese Rechtsprechung sollte nach dem Willen des Gesetzgebers durch den durch das Gesetz zur nachträglichen Sicherungsverwahrung vom 23. Juli 2004 (BGBl I 1838) neu geschaffenen § 67d Abs. 6 StGB festgeschrieben werden (BTDrucks. 15/2887 S. 10, 13 f.); die materiellen Voraussetzungen einer solchen Erledigterklärung sollten sich also gerade nicht ändern. Dies verkennt die Jugendkammer, wenn sie hervorhebt, dass es an der erforderlichen "qualifizierten" Erledigterklärung - gemeint: gemäß § 67d Abs. 6 StGB - fehle. Für solche Erwägungen wäre, ebenso wie für die Überlegungen der Jugendkammer zu planwidriger Regelungslücke und Analogieverbot nur Raum, wenn sich die materiellen Voraussetzungen einer Erledigterklärung gemäß § 67d Abs. 6 StGB wegen Fehlens der Unterbringungsvoraussetzungen im Vergleich zur früheren Rechtslage in hier relevanter Weise geändert hätten. Dies ist jedoch gerade nicht der Fall.
15
Die Strafvollstreckungskammer hat der Sache nach, wie dies § 66b Abs. 3 StGB erfordert, die Maßregel für erledigt erklärt, weil der die Schuldfähigkeit vermindernde Zustand, auf dem die Unterbringung beruhte, im Zeitpunkt der Erledigungsentscheidung nicht bestanden hat. Sie hat lediglich übersehen, dass sich die paragraphenmäßige Bezeichnung der sachlich unverändert gebliebenen rechtlichen Voraussetzungen für diese Entscheidung geändert hat.
16
Dieser Mangel führt unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zur Unanwendbarkeit von § 66b Abs. 3 StGB. Entscheidend ist nicht, ob die - ohnehin nicht in Rechtskraft erwachsenden - Gründe des Beschlusses der Strafvollstreckungskammer die Worte "§ 67d Abs. 6 StGB" enthalten oder ob sie gar keine Rechtsgrundlage ausdrücklich nennen oder ob sie, wie hier, eine veraltete Rechtsgrundlage nennen; entscheidend ist vielmehr, ob die Unterbringung aus den in § 66b Abs. 3 StGB genannten Gründen der ersten Alternative von § 67d Abs. 6 StGB - fehlende Unterbringungsvoraussetzungen zum Zeitpunkt der Beschlussfassung - für erledigt erklärt worden ist. Da dies der Fall ist, ist § 66b Abs. 3 StGB hier anwendbar.
17
2. Die Jugendkammer und zuvor auch die Strafvollstreckungskammer gehen übereinstimmend davon aus, dass die Voraussetzungen für eine Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus bei deren Anordnung nicht vorgelegen haben und dass dies auch im Erkenntnisverfahren hätte bemerkt werden können. Der Senat teilt die Auffassung der Jugendkammer nicht, dass diese - im Einzelfall schwierige und oft nicht klar mögliche (vgl. Berg/Wiedner StV 2007, 434, 440) - Unterscheidung die Frage der Verhältnismäßigkeit der nachträglichen Sicherungsverwahrung beträfe.
18
a) Für die von § 66b Abs. 3 StGB vorausgesetzte Erledigterklärung gemäß § 67d Abs. 6 StGB ist nach der Konzeption des Gesetzgebers der Zustand bei der vollstreckungsgerichtlichen Entscheidung maßgebend (BTDrucks. 15/2887 S. 14). Anderes ergibt sich auch nicht aus dem Wortlaut des Gesetzes. Die unterschiedlich beurteilte Frage, ob von diesem Grundsatz Ausnahmen in Fällen zu machen sind, in denen eine - von Anfang an vorliegende - "Fehlein- weisung" auf bloßer rechtsfehlerhafter Wertung der zutreffend festgestellten Tatsachen durch das erkennende Gericht beruhte (vgl. einerseits OLG Frankfurt StV 2007, 430; hierzu auch BVerfG NStZ-RR 2007, 29; andererseits KG StV 2007, 432; Berg/Wiedner aaO 433), braucht der Senat hier nicht zu entscheiden.
19
b) Mit der von ihr vorgenommenen Differenzierung überträgt die Jugendkammer letztlich für die Anwendung von § 66b Abs. 1 und 2 StGB maßgebliche Gesichtspunkte auf § 66b Abs. 3 StGB. Hierfür ist jedoch in diesem Zusammenhang kein Raum. (1) Allerdings kann nachträgliche Sicherungsverwahrung gemäß § 66b Abs. 1 oder 2 StGB nicht auf Tatsachen gestützt werden, die im Erkenntnisverfahren schon bekannt waren oder bei entsprechender Sorgfalt (§ 244 Abs. 2 StPO) hätten bekannt sein können (BGHSt 50, 121, 126; 50, 275, 278). Die Nachholung einer schon früher möglichen , aber fehlerhaft unterbliebenen Entscheidung ist nicht zulässig. (2) Nach der gesetzlichen Konzeption - Entscheidung gemäß § 67d Abs. 6 StGB auch bei Fehlern im Erkenntnisverfahren; diese Entscheidung kann (soweit hier von Interesse) stets Grundlage einer Entscheidung gemäß § 66b Abs. 3 StGB sein - verhält es sich bei § 66b Abs. 3 StGB anders. Hier sind - anders als bei § 66b Abs. 1 oder Abs. 2 StGB - keine "Nova" erforderlich. Gegebenenfalls kann also nachträgliche Sicherungsverwahrung auch auf der Grundlage von solchen Erkenntnissen angeordnet werden, welche schon im Erkenntnisverfahren vorlagen oder hätten gewonnen werden können. (3) Die Jugendkammer nimmt nicht ausreichend darauf Bedacht, dass in den Fällen von § 66b Abs. 1 und Abs. 2 StGB eine im Erkenntnisverfahren nicht angeordnete freiheitsentziehende Maßregel von unbe- stimmter Dauer nachträglich hinzugefügt wird. Demgegenüber geht es in § 66b Abs. 3 StGB im Kern darum, bei einem nach wie vor hochgefährlichen Täter eine bereits angeordnete, dann aber erledigte freiheitsentziehende Maßregel von unbestimmter Dauer (§ 63 StGB) durch eine andere freiheitsentziehende Maßregel von unbestimmter Dauer zu ersetzen (Koller R & P 2007, 57, 65). Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus, die ebenso wie die Sicherungsverwahrung den Schutz der Allgemeinheit vor gefährlichen Straftätern bezweckt, ist gegenüber dieser im Grundsatz auch kein geringeres Übel (BGH NStZ 2002, 533, 534 m.w.N.). Der Schutz vor Verurteilten, von denen mit hoher Wahrscheinlichkeit schwere Straftaten gegen bedeutende Individualrechtsgüter zu erwarten sind, ist ein überragendes Gemeinwohlinteresse (BVerfGE 109, 190, 236; BVerfG NJW 2006, 3483, 3484). Daher stünden namentlich Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkte auch bei einer ursprünglich fehlerhaften Entscheidung im Erkenntnisverfahren der Anordnung nachträglicher Sicherungsverwahrung hier nicht im Wege.
20
3. Die im Zusammenhang mit Führungsaufsicht angestellten Erwägungen der Jugendkammer sind nicht rechtsfehlerfrei. Bei einer Erledigterklärung gemäß § 67d Abs. 6 Satz 1 StGB tritt regelmäßig Führungsaufsicht ein, § 67d Abs. 6 Satz 2 StGB. Gleichwohl ist bei entsprechend gefährlichen Verurteilten nach einer solchen Erledigterklärung die Möglichkeit nachträglicher Sicherungsverwahrung vorgesehen. Die Annahme der Jugendkammer, allein der Umstand, dass Führungsaufsicht eingetreten sei, spreche schon im Ansatz gegen die Notwendigkeit nachträglicher Sicherungsverwahrung, entfernt sich daher von der gesetzlichen Wertung. Soweit im Einzelfall konkret prognostizierbar ist, dass vom Verurteilten im Hinblick auf die Führungsaufsicht keine erheblichen Straftaten zu erwarten sind, wirkt sich dies auf die Beurteilung seiner Gefährlichkeit aus. Hierfür enthält das Urteil keine Anhaltspunkte. Die Erwägungen , die Wahrscheinlichkeit weiterer Straftaten sei einerseits sehr hoch, jedoch andererseits allein wegen des Eintritts von Führungsaufsicht sehr gering, sind ohne nähere Darlegungen unvereinbar.
21
4. Schließlich bestehen auch rechtliche Bedenken gegen die Erwägungen der Jugendkammer, soweit sie eine erhöhte Wahrscheinlichkeit des Eintritts schwerer seelischer Schäden bei den künftigen Opfern (§ 66b Abs. 3 Nr. 2 StGB) verneint.
22
Die Jugendkammer geht letztlich davon aus, dass der Betroffene Taten gemäß § 176 StGB mit hoher Wahrscheinlichkeit wieder begehen werde; schwere Schäden bei den nicht individualisierbaren Opfern seien zwar nicht ausgeschlossen, aber nicht in dem erforderlichen Maße wahrscheinlich. Begründet ist dies im Kern damit, dass mit Gewalttätigkeiten auch künftig nicht zu rechnen sei.
23
Sind schon konkrete seelische Schäden durch sexuellen Missbrauch bei dessen kindlichen Opfern im Einzelfall nicht immer leicht festzustellen (vgl. hierzu zuletzt BGH, Urt. vom 14. August 2007 - 1 StR 201/07 - Rdn. 35 f.), so gilt dies um so mehr für die Ermittlung und Gewichtung der Schwere von möglichen seelischen Schäden bei naturgemäß unbekannten Opfern künftiger, in ihrem Ablauf jedenfalls nicht in allen Einzelheiten feststehender Straftaten. Die Schwere seelischer Schäden hängt von einer Vielzahl einzelfallbezogener Umstände ab, deren vorausschauende konkrete Gewichtung praktisch kaum möglich ist (vgl. Hörnle NStZ 2000, 310 m.w.N.). Dementsprechend ist die erforderliche Wahrscheinlichkeitsprognose gemäß § 66b Abs. 3 StGB nicht im empiri- schen Sinne zu verstehen (BTDrucks. 15/2887 S. 13; kritisch hierzu Tröndle/Fischer , StGB 54. Aufl. § 66b Rdn. 22), sondern sie hat in wertender Abwägung zu erfolgen (BTDrucks. aaO). Diese Grundsätze gelten nicht nur für die Frage, ob künftige Taten überhaupt zu erwarten sind, sondern auch für die Wahrscheinlichkeit schwerer Tatfolgen. Anhaltspunkte für eine derartige Differenzierung ergeben sich weder aus dem Gesetzeswortlaut noch aus den Gesetzesmaterialien. Eine Anordnung gemäß § 66b Abs. 3 StGB verlangt daher bei zu befürchtenden Fällen von sexuellem Missbrauch von Kindern nicht - auch kaum zu treffende - Feststellungen dazu, inwieweit die statistische Häufigkeit empirisch gesichert ist, mit der diese Taten bei den (potentiellen) Opfern schwerwiegende psychische Schäden auslösen.
24
Bei der genannten wertenden Abwägung ist vielmehr von den Grundentscheidungen des Gesetzes auszugehen. § 176 StGB wurde geschaffen und mehrfach (z.B. durch § 176a StGB) erweitert, weil durch derartige Taten eine schwerwiegende Beeinträchtigung der sexuellen Entwicklung von Kindern zu besorgen ist (vgl. BGHSt 45, 131, 132; Tröndle/Fischer aaO § 176 Rdn. 2, 36 m.w.N.). Sie weisen, so auch die Einschätzung des Gesetzgebers, einen erheblichen ("besonderen") Unrechts- und Schuldgehalt auf (vgl. BTDrucks. 15/350 S. 1, 17). Dementsprechend ist die Vorschrift in den Katalog des § 66 Abs. 3 StGB aufgenommen, auf den § 66b Abs. 3 Nr. 1 StGB verweist. Die Annahme, gleichwohl seien im Einzelfall schwere seelische Schäden wenig wahrscheinlich , bedarf daher konkreter Anhaltspunkte im Einzelfall (vgl. hierzu Hanack in LK 11. Aufl. § 66 Rdn. 139). Die in diesem Zusammenhang - allein - angestellte Erwägung der Strafkammer, es seien (auch) künftig keine Gewalttätigkeiten zu erwarten, würde letztlich bedeuten, dass bei Taten, die allein gegen § 176 StGB verstoßen, keine schweren Schäden im Sinne des § 66b Abs. 3 Nr. 2 StGB wahrscheinlich sind, sondern nur dann, wenn durch diese Taten zugleich § 177 StGB erfüllt wäre. Dieser Maßstab ist mit der aufgezeigten gesetzlichen Wer- tung unvereinbar (vgl. auch BGH NStZ 2007, 464, 465; Urt. vom 14. August 2007 - 1 StR 201/07 - Rdn. 33).
25
5. Gleichwohl hat das Urteil letztlich Bestand. Nach Auffassung des Senats ist § 66b Abs. 3 StGB regelmäßig dann nicht anwendbar, wenn, wie hier, nach der Entscheidung gemäß § 67d Abs. 6 StGB noch eine mit der Unterbringung gemäß § 63 StGB zugleich verhängte Freiheitsstrafe zu vollstrecken ist. Der Wortlaut des Gesetzes bietet für diese Auffassung allerdings keine Anhaltspunkte. § 66b Abs. 3 spricht vielmehr auch von Fällen, in denen der die Schuldfähigkeit vermindernde Zustand nicht bestanden hat. In Fällen, in denen die Schuldfähigkeit aber nur (erheblich) vermindert war, ist aber, wie auch hier, eine - gegebenenfalls gemilderte - Strafe verhängt worden. Über den Stand der Strafvollstreckung ist nichts gesagt. Das bedeutet, dass § 66b Abs. 3 StGB auch anwendbar zu sein scheint, wenn die Unterbringung zwar erledigt, aber mit ihr zugleich verhängte Strafe noch zu vollstrecken ist.
26
Die Gesetzesmaterialien zu § 66b Abs. 3 StGB weisen demgegenüber eindeutig darauf hin, dass § 66b Abs. 1 und § 66b Abs. 2 StGB in derartigen Fällen eine Sperrwirkung gegenüber § 66b Abs. 3 StGB entfalten. Der - insoweit im weiteren Gesetzgebungsverfahren auch nicht in Frage gestellte - Gesetzesentwurf der Bundesregierung enthält in diesem Zusammenhang folgende Ausführungen (BTDrucks. 15/2887 S. 14): "Anwendung soll die Vorschrift (§ 66b Abs. 3 StGB) vor allem in denjenigen Fällen finden, in denen der Untergebrachte von dem erkennenden Gericht für schuldunfähig gehalten und deshalb nur die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet wurde, ohne dass parallel eine Freiheitsstrafe verhängt werden konnte. Erfasst werden von der Vorschrift daneben aber auch die Fälle, in denen das Gericht unter Anwendung des § 21 StGB neben der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus eine Freiheitsstrafe verhängt hatte, in denen die Freiheitsstrafe aber in Umkehrung der regelmäßigen Vollstreckungsreihenfolge (§ 67 Abs. 1 und 2 StGB) bereits vor dem Vollzug der Maßregel vollständig vollstreckt wurde und somit der Untergebrachte nunmehr aus der Maßregel in die Freiheit zu entlassen wäre. In Fällen, in denen nach Erledigung der Maßregel noch eine parallel verhängte Freiheitsstrafe zu vollstrecken ist, ergibt sich demgegenüber zunächst kein Bedürfnis für die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 66b Abs. 3 StGB - neu -. Hier kommt ggf. vor Ende des Vollzugs der Freiheitsstrafe die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 66b Abs. 1 und 2 StGB - neu - in Betracht."
27
Nach dem Willen des Gesetzgebers steht also in Fällen, in denen nach der Erledigung der Unterbringung noch zugleich mit ihrer Anordnung verhängte Freiheitsstrafe zu vollstrecken ist, nachträgliche Sicherungsverwahrung "zunächst" ohnehin nicht in Frage. Notwendigem Schutz der Allgemeinheit ist dann nämlich dadurch Rechnung getragen, dass sich der Betroffene auch nach Erledigung der Unterbringung in Haft befindet. Deswegen besteht für die Anwendbarkeit von § 66b Abs. 3 StGB kein Bedürfnis. Später - in Anbetracht der Entlassung aus dem Strafvollzug - sollen allein die gesetzlichen Voraussetzungen von § 66b Abs. 1 und 2 StGB maßgebend sein. Dem entspricht, dass als Anwendungsbereich von § 66b Abs. 3 StGB im Zusammenhang mit ursprünglich neben der Unterbringung zugleich verhängter Strafe ausdrücklich die - nach forensischer Erfahrung praktisch eher seltenen (vgl. § 67 Abs. 4 StGB) - Fälle genannt sind, in denen diese Strafe bei Erledigung der Unterbringung bereits vollständig verbüßt ist. Dementsprechend weisen die Gesetzesmaterialien auch noch an anderer Stelle ausdrücklich darauf hin, dass § 66b Abs. 3 StGB verhindern soll, dass hochgefährliche Straftäter infolge der Erledigterklärung "ohne die Möglichkeit einer nachträglichen Anordnung … der Sicherungsverwahrung … in die Freiheit entlassen werden müssten" (aaO S. 13).
28
Der Senat hält es für zulässig, Vorstellungen des Gesetzgebers der Gesetzesauslegung auch dann zu Grunde zu legen, wenn diese Vorstellungen im Gesetzeswortlaut keinen Niederschlag gefunden haben, sich aber ausschließlich zu Gunsten des von der strafrechtlichen Bestimmung Betroffenen auswirken (vgl. auch Eser in Schönke/Schröder, StGB 27. Aufl. § 1 Rdn. 31 f. zu Fällen von Analogie ausschließlich zu Gunsten des Angeklagten). Der mögliche Wortsinn des Gesetzes markiert die äußerste Grenze zulässiger richterlicher Auslegung strafrechtlicher Bestimmungen nur zum Nachteil des Betroffenen (vgl. BGHSt 43, 237, 238; BGH NJW 2007, 524, 525 jew. m.w.N.). Eine Einschränkung des Anwendungsbereichs einer Bestimmung anhand der Vorstellungen des Gesetzgebers, die sich im Wortlaut der Bestimmung nicht oder jedenfalls nicht eindeutig widerspiegeln, kommt um so eher in Betracht, je schwerer die Sanktion ist, die die in Rede stehende Norm androht (in vergleichbarem Sinne zu § 239a Abs. 1, § 239b Abs. 1 StGB BGHSt 40, 350, 356 f.; Träger/Schluckebier in LK 11. Aufl. § 239a Rdn. 16; zu § 316a StGB BGHSt 49, 8, 11). Hier folgt der Senat schon deshalb der Gesetzesbegründung (vgl. auch Koller R & P 2007, 57, 66 f.), weil es sich bei der Sicherungsverwahrung schon generell um eine den Betroffenen außerordentlich beschwerende Maßregel handelt (vgl. BGHSt 50, 275, 278) und der hier in Rede stehende § 66b StGB als Vorschrift über deren nachträgliche Anordnung insgesamt restriktiv zu handhaben ist. Hierdurch bewahrt die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung ihren Charakter einer auf seltene Einzelfälle beschränkten Maßnahme (vgl. BGHSt 50, 284, 296; 51, 25, 27; BGH NJW 2007, 1074, 1076), wie dies von Verfassungs wegen geboten (BVerfGE 109, 190, 236, 242; BVerfG NJW 2006, 3483, 3485) und dementsprechend vom Gesetzgeber beabsichtigt ist (BTDrucks. aaO S. 10, 12 f.).
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Inwieweit von dem aufgezeigten Grundsatz - keine Anwendbarkeit von § 66b Abs. 3 StGB, wenn nach Erledigung der Unterbringung zugleich mit der Unterbringung verhängte Freiheitsstrafe vollstreckt wird - etwa dann Ausnahmen denkbar sein könnten, wenn nach der Erledigterklärung nur noch sehr kurze Zeit Strafe zu vollstrecken wäre, braucht der Senat hier schon deshalb nicht zu entscheiden, weil gegen den Betroffenen noch mehr als zehn Monate Freiheitsstrafe zu vollstrecken waren. Nack Wahl Kolz Elf Graf

(1) Der Beschwerdeführer hat die Erklärung abzugeben, inwieweit er das Urteil anfechte und dessen Aufhebung beantrage (Revisionsanträge), und die Anträge zu begründen.

(2) Aus der Begründung muß hervorgehen, ob das Urteil wegen Verletzung einer Rechtsnorm über das Verfahren oder wegen Verletzung einer anderen Rechtsnorm angefochten wird. Ersterenfalls müssen die den Mangel enthaltenden Tatsachen angegeben werden.

Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.

(1) Der Beschwerdeführer hat die Erklärung abzugeben, inwieweit er das Urteil anfechte und dessen Aufhebung beantrage (Revisionsanträge), und die Anträge zu begründen.

(2) Aus der Begründung muß hervorgehen, ob das Urteil wegen Verletzung einer Rechtsnorm über das Verfahren oder wegen Verletzung einer anderen Rechtsnorm angefochten wird. Ersterenfalls müssen die den Mangel enthaltenden Tatsachen angegeben werden.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 503/06
vom
24. Oktober 2006
in der Strafsache
gegen
wegen Mordes
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 24. Oktober 2006 beschlossen
:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
Kempten (Allgäu) vom 5. Juli 2006 wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die
den Nebenklägern im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen
Auslagen zu tragen.

Gründe:

1
Der zur Tatzeit fast 19 Jahre alte Angeklagte wurde wegen Mordes zu Jugendstrafe verurteilt. Seine Revision, die auf eine Reihe von Verfahrensrügen und die näher ausgeführte Sachrüge gestützt ist, ist unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
2
1. Die Revision rügt, es sei "keine ordnungsgemäße Terminsladung gegenüber der Jugendgerichtshilfe" erfolgt. Sollte damit gemeint sein, dass die Jugendgerichtshilfe nicht zur Hauptverhandlung geladen worden sei, wäre der Vortrag unwahr (vgl. SA Bd. III Bl. 624, SA Bd. IV Bl. 654). Sollte gemeint sein, die Jugendgerichtshilfe sei zwar geladen worden, aber nicht ordnungsgemäß, wäre der Vortrag mangels weiterer Darlegungen (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO) aus sich heraus nicht verständlich. Die Bewertung eines Vorgangs als nicht ordnungsgemäß kann Ergebnis einer rechtlichen Überprüfung dieses Vorgangs sein, die konkrete Angabe von Tatsachen, die diese Bewertung tragen sollen, aber nicht ersetzen (vgl. BGH NJW 2006, 1220, 1222).
3
2. Ist die Jugendgerichtshilfe geladen, ergibt sich allein daraus, dass in der Hauptverhandlung niemand von der Jugendgerichtshilfe anwesend war, kein Rechtsfehler (BGH StraFo 2003, 379 m. w. N.). Die auch im Übrigen unzutreffende Auffassung der Revision, Hinweise gemäß § 265 StPO müssten auch gegenüber der Jugendgerichtshilfe erteilt werden, geht auch deshalb ins Leere.
4
3. Soweit die Revision rügt, der Jugendhilfebericht sei in der Hauptverhandlung verlesen worden, trägt sie nicht vor, dass dies im allseitigen Einverständnis geschah (SA Bd. IV Bl. 678). Damit fehlt auch insoweit gemäß § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO gebotener Vortrag. Der Hinweis auf das allseitige Einverständnis zeigt nämlich die Rechtsgrundlage auf, auf die die Verlesung gestützt wurde. Dies ist für die Prüfung der Zulässigkeit der Verlesung wesentlich. Das Ergebnis dieser Prüfung könnte unterschiedlich ausfallen, je nachdem, ob die Verlesung etwa auf § 256 StPO gestützt war (vgl. hierzu Diemer in KK 5. Aufl. § 256 Rdn. 5; Laubenthal, Jugendgerichtshilfe im Strafverfahren 1993 S. 118 m. w. N.), oder wie offenbar hier, auf § 251 Abs.1 Nr.1 StPO (vgl. zum inhaltlich identischen § 251 Abs. 2 Satz 1 StPO a. F. Laubenthal aaO S. 118, 119). Näher nachzugehen braucht der Senat alledem im Hinblick auf den unzureichenden Revisionsvortrag aber nicht. Da die Revision auch den Inhalt des Jugendhilfeberichts nicht mitteilt, könnte der Senat im Übrigen selbst dann, wenn feststünde , dass die Verlesung fehlerhaft war - was nicht der Fall ist -, ohnehin nicht prüfen, ob sie sich zum Nachteil des Angeklagten auf das Urteil ausgewirkt haben kann.
5
4. Die Revision macht geltend, es sei keine Gelegenheit zur Stellungnahme nach der Verlesung des Jugendhilfeberichts erteilt worden.
6
Hinsichtlich des Angeklagten ist dies ausweislich des (von der Revision auch insoweit nicht vorgetragenen) Hauptverhandlungsprotokolls falsch (SA Bd. IV Bl. 678).
7
Dem Verteidiger ist die Befugnis, sich nach einer Beweiserhebung zu äußern - ebenso wie dem Staatsanwalt - nur auf Verlangen einzuräumen, § 257 Abs. 2 StPO. Dementsprechend muss derjenige, der eine Verletzung dieses Rechts rügen will, vortragen, dass er sich zu Wort gemeldet habe, um eine solche Erklärung abzugeben, ihm dies aber verwehrt worden sei (vgl. Gollwitzer in Löwe/Rosenberg StPO 25. Aufl. § 257 Rdn. 26). Schon daran fehlt es. Ebenso wenig ist vorgetragen, dass der als Voraussetzung für eine derartige Verfahrensrüge in der Regel erforderliche Gerichtsbeschluss (§ 238 Abs. 2 StPO) eingeholt wurde (vgl. Julius in HK 3. Aufl. § 257 Rdn. 10, 12; Diemer in KK 5. Aufl. § 257 Rdn. 5), und warum, vor allem im Hinblick auf die Schlussausführungen (§ 258 Abs. 1 StPO), die behauptete Verletzung von § 257 Abs. 2 StPO auf das Urteil irgend einen Einfluss gehabt haben könnte (vgl. Julius aaO Rdn. 12; Gollwitzer aaO Rdn. 27, 28 m. w. N.).
8
5. Die Revision macht geltend, es wäre möglich gewesen, einen während der Hauptverhandlung gemäß § 265 StPO erteilten Hinweis schon in einem früheren Stadium der Hauptverhandlung zu erteilen. Es trifft zu, dass ein Hinweis gemäß § 265 StPO zu erteilen ist, sobald sich erstmals die Möglichkeit einer anderen rechtlichen Beurteilung ergibt, also so früh wie möglich (vgl. Meyer-Goßner, StPO 49. Aufl. § 265 Rdn. 32; Engelhardt in KK 5. Aufl. § 265 Rdn. 18 m. w. N.). Ob dies hier der Fall war, mag dahinstehen. Eine Verfahrensrüge , der Hinweis sei verspätet erfolgt, kann jedoch in aller Regel keinen Erfolg haben, wenn - wie auch hier - kein Antrag auf Aussetzung des Verfahrens gestellt worden war (vgl. BGH, Urteil vom 2. Juni 1982 - 2 StR 182/82; Engelhardt aaO). Hierauf hat auch der Vertreter der Nebenklage im Rahmen seines Schriftsatzes vom 14. September 2006 zur Erwiderung auf das vom 14. September 2006 zur Erwiderung auf das Revisionsvorbringen zutreffend hingewiesen. Gründe des Einzelfalls, die vorliegend ausnahmsweise eine andere Beurteilung rechtfertigen könnten, sind nicht erkennbar.
9
6. Auch die auf Grund der Sachrüge gebotene Überprüfung des Urteils hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben, wie dies auch der Generalbundesanwalt im Einzelnen zutreffend vorgetragen hat.
10
7. Der Senat bemerkt, dass es zweckmäßig gewesen wäre, wenn die Staatsanwaltschaft gemäß § 347 Abs. 1 Satz 2 StPO von der Möglichkeit einer Revisionsgegenerklärung Gebrauch gemacht hätte (vgl. BGH StV 2006, 286, 287 m. w. N.). Insbesondere Hinweise auf die Ladung der Jugendgerichtshilfe (vgl. oben 1.), das allseitige Einverständnis mit der Verlesung des Jugendhilfeberichts (vgl. oben 3.) und die Beachtung von § 257 Abs.1 StPO in der Hauptverhandlung (vgl. oben 4.) hätten die Überprüfung des entsprechenden Revisionsvorbringens nicht unerheblich erleichtert (Nr. 162 Abs. 2 RiStBV). Auch Hinweise des Vorsitzenden auf die genannten Punkte hätten hilfreich sein können (vgl. BGH StraFo 2003, 379, 380 m. w. N.). Nack Wahl Boetticher Kolz Elf