Bundesgerichtshof Beschluss, 03. Aug. 2004 - 1 StR 288/04

bei uns veröffentlicht am03.08.2004

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 288/04
vom
3. August 2004
in der Strafsache
gegen
wegen sexueller Nötigung u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 3. August 2004 beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Würzburg vom 18. März 2004 wird als unbegründet verworfen. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe:


Der Angeklagte wurde wegen vielfachen, teilweise gewaltsam begangenen sexuellen Mißbrauchs seiner 1988 geborenen Stieftochter zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung hat aus den vom Generalbundesanwalt zutreffend dargelegten Gründen keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO). Der Senat sieht jedoch Anlaß zu folgendem Hinweis: Nach den Feststellungen der Jugendkammer treten bei der Geschädigten "noch heute posttraumatische Symptome" wie z.B. autoaggressive "Verzweiflungsreaktionen" auf. Sie wird psychotherapeutisch behandelt, ein Ende der Behandlungsbedürftigkeit ist nicht absehbar.
Im Rahmen der Prüfung der Glaubhaftigkeit ihrer Aussagen führt die Jugendkammer aus, daß die Geschädigte das Kerngeschehen ebenso wie in der Hauptverhandlung "bereits in einer Vielzahl von vorherigen Vernehmungen" immer wieder "bestätigt und erläutert" hat. Wie die Urteilsgründe im einzelnen ergeben, wurde sie zwischen September 2002 und Juli 2003 im Rahmen des Ermittlungsverfahrens fünfmal von der Polizei und zweimal vom Ermittlungsrichter vernommen und außerdem von einer Sachverständigen begutachtet und dabei ebenfalls zum Tatgeschehen befragt. Es wäre nach Auffassung des Senats angezeigt gewesen, von der Möglichkeit einer Videoaufzeichnung Gebrauch zu machen. Wird, wie hier, wegen des Verdachts ermittelt, eine noch nicht 16 Jahre alte Jugendliche sei Opfer schwerwiegender Sexualstraftaten geworden, so begründet § 58a Abs. 1 Satz 2 StPO eine grundsätzliche Verpflichtung der Ermittlungsbehörden, die Aussagen der Jugendlichen aufzuzeichnen (vgl. BGH, Beschluß vom 8. Juli 2004 - 1 StR 273/04; Rieß in Löwe/Rosenberg StPO 25. Aufl. Nachtrag, §58a Rdn. 17 jew. m.w.N.). Das Festhalten der Aussage in Bild und Ton ermöglicht
es häufig, Mehrfachvernehmungen zu demselben psychisch belastenden Thema zu vermeiden oder zumindest die Anzahl derartiger Vernehmungen zu verringern. Damit soll den Belangen besonders schutzbedürftiger Zeugen bereits im Ermittlungsverfahren Rechnung getragen werden (BGH aaO m.w.N.; vgl. auch Nrn. 19, 19a RiStBV). Wahl Boetticher Schluckebier Elf Hubert

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Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafprozeßordnung - StPO | § 58a Aufzeichnung der Vernehmung in Bild und Ton


(1) Die Vernehmung eines Zeugen kann in Bild und Ton aufgezeichnet werden. Sie soll nach Würdigung der dafür jeweils maßgeblichen Umstände aufgezeichnet werden und als richterliche Vernehmung erfolgen, wenn 1. damit die schutzwürdigen Interessen von

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Bundesgerichtshof Beschluss, 08. Juli 2004 - 1 StR 273/04

bei uns veröffentlicht am 08.07.2004

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 1 StR 273/04 vom 8. Juli 2004 in der Strafsache gegen wegen sexuellen Mißbrauchs von Kindern Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 8. Juli 2004 beschlossen: Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des

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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

(1) Die Vernehmung eines Zeugen kann in Bild und Ton aufgezeichnet werden. Sie soll nach Würdigung der dafür jeweils maßgeblichen Umstände aufgezeichnet werden und als richterliche Vernehmung erfolgen, wenn

1.
damit die schutzwürdigen Interessen von Personen unter 18 Jahren sowie von Personen, die als Kinder oder Jugendliche durch eine der in § 255a Absatz 2 genannten Straftaten verletzt worden sind, besser gewahrt werden können oder
2.
zu besorgen ist, dass der Zeuge in der Hauptverhandlung nicht vernommen werden kann und die Aufzeichnung zur Erforschung der Wahrheit erforderlich ist.
Die Vernehmung muss nach Würdigung der dafür jeweils maßgeblichen Umstände aufgezeichnet werden und als richterliche Vernehmung erfolgen, wenn damit die schutzwürdigen Interessen von Personen, die durch Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung (§§ 174 bis 184j des Strafgesetzbuches) verletzt worden sind, besser gewahrt werden können und der Zeuge der Bild-Ton-Aufzeichnung vor der Vernehmung zugestimmt hat.

(2) Die Verwendung der Bild-Ton-Aufzeichnung ist nur für Zwecke der Strafverfolgung und nur insoweit zulässig, als dies zur Erforschung der Wahrheit erforderlich ist. § 101 Abs. 8 gilt entsprechend. Die §§ 147, 406e sind entsprechend anzuwenden, mit der Maßgabe, dass den zur Akteneinsicht Berechtigten Kopien der Aufzeichnung überlassen werden können. Die Kopien dürfen weder vervielfältigt noch weitergegeben werden. Sie sind an die Staatsanwaltschaft herauszugeben, sobald kein berechtigtes Interesse an der weiteren Verwendung besteht. Die Überlassung der Aufzeichnung oder die Herausgabe von Kopien an andere als die vorbezeichneten Stellen bedarf der Einwilligung des Zeugen.

(3) Widerspricht der Zeuge der Überlassung einer Kopie der Aufzeichnung seiner Vernehmung nach Absatz 2 Satz 3, so tritt an deren Stelle die Überlassung des Protokolls an die zur Akteneinsicht Berechtigten nach Maßgabe der §§ 147, 406e. Das Recht zur Besichtigung der Aufzeichnung nach Maßgabe der §§ 147, 406e bleibt unberührt. Der Zeuge ist auf sein Widerspruchsrecht nach Satz 1 hinzuweisen.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 273/04
vom
8. Juli 2004
in der Strafsache
gegen
wegen sexuellen Mißbrauchs von Kindern
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 8. Juli 2004 beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Mannheim vom 4. Februar 2004 wird als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO). Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen. Der Senat sieht Anlaß zu folgendem Hinweis: Die Jugendschutzkammer hat festgestellt, daß der Angeklagte die 1990 geborene Geschädigte jahrelang sexuell mißbraucht hat. Die Geschädigte ist suizidgefährdet, autoaggressiv und auch sonst erheblich psychisch belastet; sie ist seit Monaten stationär in einer psychiatrischen Klinik untergebracht. Bei der Würdigung der Aussage, die die Geschädigte in der Hauptverhandlung gemacht hat, führt die Jugendschutzkammer aus, daß diese im Lauf des Verfahrens bereits von der Kriminalpolizei und nochmals von der Ermittlungsrichterin vernommen und darüber hinaus von einer Sachverständigen begutachtet und dabei zum Tatgeschehen befragt worden war. Es wäre nach Auffassung des Senats angezeigt gewesen, von der Möglichkeit einer Videoaufzeichnung Gebrauch zu machen. Wird, wie hier, wegen des Verdachts ermittelt, ein Kind sei Opfer schwerwiegender Sexualstraftaten geworden, so begründet die "Sollvorschrift" des § 58a Abs. 1 Satz 2 StPO eine grundsätzliche Verpflichtung der Ermittlungsbehörden, die Aussagen des Kindes aufzuzeichnen (Rieß in Löwe/Rosenberg StPO 25. Aufl., Nachtrag , § 58a Rdn. 17 m.w.N.; vgl. auch Trück, NStZ 2004, 129). Durch das Festhalten der Aussage in Bild und Ton wird es vielfach ermöglicht, Mehrfachvernehmungen zu immer demselben psychisch belastenden Thema zu vermeiden. Damit soll den Belangen besonders schutzbedürftiger Zeugen bereits im Ermittlungsverfahren Rechnung getragen werden (Senge in KK 5. Aufl. § 58a Rdn. 1; Trück aaO; vgl. auch Nrn. 19, 19a RiStBV). Nack Wahl Kolz Elf Graf