Bundesgerichtshof Beschluss, 19. Dez. 2012 - 1 StR 165/12

bei uns veröffentlicht am19.12.2012

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 165/12
vom
19. Dezember 2012
BGHSt: ja
BGHR: ja
Nachschlagewerk: ja
Veröffentlichung: ja
___________________________
EuAlÜbk Art. 14 Abs. 1 Buchst. b
Ein wegen eines Verstoßes gegen den Grundsatz der Spezialität bestehendes
Verfahrenshindernis entfällt gemäß Art. 14 Abs. 1 Buchst. b des Europäischen
Auslieferungsübereinkommens vom 13. Dezember 1957 (EuAlÜbk) jedenfalls
dann, wenn der Ausgelieferte nach Verlassen der Bundesrepublik Deutschland
dorthin zurückkehrt, obwohl er auf die sich aus einer Wiedereinreise ergebenden
Rechtsfolgen dieser Vorschrift hingewiesen worden war (Bestätigung und
Fortführung von BGH, Beschluss vom 9. Februar 2012 - 1 StR 148/11, BGHSt
57, 138).
BGH, Beschluss vom 19. Dezember 2012 - 1 StR 165/12 - LG Berlin
in der Strafsache
gegen
wegen Steuerhinterziehung u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 19. Dezember 2012 gemäß
§ 349 Abs. 2 StPO beschlossen:
In Fortsetzung des mit Senatsbeschluss vom 25. Oktober 2012 vorläufig eingestellten Verfahrens wird die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Berlin vom 30. September 2011 als unbegründet verworfen. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gewerbs- und bandenmäßigen Betruges in Tateinheit mit Steuerhinterziehung sowie wegen gewerbsund bandenmäßiger Urkundenfälschung in Tateinheit mit Steuerhinterziehung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Jahren verurteilt. Hiergegen richtet sich die auf eine Verfahrensrüge und die näher ausgeführte Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten. Sie hat keinen Erfolg (§ 349 Abs. 2 StPO).

I.


2
Ein Verfahrenshindernis besteht nicht.
3
1. Allerdings hatte zunächst wegen Verstoßes gegen den in Art. 14 des Europäischen Auslieferungsübereinkommens vom 13. Dezember 1957 (EuAlÜbk) normierten Grundsatz der Spezialität ein von Amts wegen zu berücksichtigendes Verfolgungsverbot (Verfahrenshindernis) bestanden.
4
a) Dieses Abkommen findet im Rechtshilfeverkehr mit der Republik Südafrika Anwendung (vgl. dazu auch BGBl. II 2003, 1783). Der von dort ausgelieferte Angeklagte durfte deswegen nur wegen solcher vor der Auslieferung begangener Taten verfolgt werden, für die die Auslieferung bewilligt worden war (vgl. BGH, Urteile vom 20. Dezember 1968 - 1 StR 508/67, BGHSt 22, 307 und vom 11. März 1999 - 4 StR 526/98, NStZ 1999, 363).
5
b) Da zunächst unklar war, ob sich die Bewilligung der Auslieferung des Angeklagten auch auf die Tatvorwürfe im vorliegenden Verfahren bezog oder nur auf die Vollstreckung einer Restfreiheitsstrafe aus einem früheren Verfahren , musste der Senat den Umfang der Auslieferungsbewilligung im Freibeweisverfahren feststellen. Zwar konnte dabei nicht aufgeklärt werden, welchen Inhalt das letztlich an die Behörden der Republik Südafrika übermittelte Auslieferungsersuchen im Einzelnen hatte. Denn der Inhalt des Ersuchens war weder dem landgerichtlichen Urteil noch dem sonstigen Akteninhalt zu entnehmen; auch beim Bundesamt für Justiz waren keine weiterführenden Erkenntnisse zu erlangen. Der Senat hat sich aber auf der Grundlage einer klarstellenden Mitteilung des Ministeriums der Justiz der Republik Südafrika davon überzeugt, dass die Auslieferung allein für die Vollstreckung der Restfreiheitsstrafe erteilt wurde, weil das Ersuchen um Auslieferung dort nicht in dem Sinn verstanden worden war, dass die Auslieferung auch für die hier verfahrensgegenständlichen Taten begehrt werde.
6
c) Damit lag zwar ein Verfahrenshindernis vor. Dieses war aber noch in der Revisionsinstanz behebbar (vgl. BGH, Beschlüsse vom 9. Februar 2012 - 1 StR 148/11, BGHSt 57, 138, und 1 StR 152/11 - und vom 25. Oktober 2012 - 1 StR 165/12, jeweils mwN), da ein Nachtragsersuchen um Zustimmung zur Verfolgung der verfahrensgegenständlichen Taten noch möglich und von den südafrikanischen Behörden sogar angeregt worden war. Das bestehende Verfahrenshindernis hatte auch nicht zur Folge, dass das Strafurteil des Landgerichts nichtig wäre (vgl. BGH aaO). Der Senat hatte das Verfahren deswegen mit Beschluss vom 25. Oktober 2012 in entsprechender Anwendung des § 205 StPO vorläufig eingestellt (BGH, Beschluss vom 25. Oktober 2012 - 1 StR 165/12).
7
2. Das Verfahrenshindernis ist nachträglich weggefallen, da die Spezialitätsbindung aus Art. 14 EuAlÜbk gemäß Art. 14 Abs. 1 Buchst. b EuAlÜbk wieder entfallen ist. Der Senat kann daher - wie vom Generalbundesanwalt mit Schreiben vom 26. November 2012 beantragt - in der Sache entscheiden.
8
a) Nach Art. 14 Abs. 1 Buchst. b EuAlÜbk darf der Ausgelieferte wegen einer anderen vor der Übergabe begangenen Handlung als derjenigen, die der Auslieferung zugrunde liegt, dann verfolgt, abgeurteilt oder einer Beschränkung seiner persönlichen Freiheit unterworfen werden, „wenn der Ausgelieferte,obwohl er dazu die Möglichkeit hatte, das Hoheitsgebiet des Staates, dem er ausgeliefert worden ist, innerhalb von 45 Tagen nach seiner endgültigen Freilassung nicht verlassen hat oder wenn er nach Verlassen dieses Gebiets dorthin zurückgekehrt ist.“
9
Wie der Senat in seinem Beschluss vom 25. Oktober 2012 im vorliegenden Verfahren (dort Rn. 13) klargestellt hat, entfällt die Spezialitätsbindung aus Art. 14 EuAlÜbk gemäß Art. 14 Abs. 1 Buchst. b EuAlÜbk unter den dort genannten Voraussetzungen jedenfalls dann, wenn der Ausgelieferte auf die Folge eines Verbleibs in dem Staat oder einer Wiedereinreise hingewiesen worden war (vgl. dazu BGH, Beschlüsse vom 9. Februar 2012 - 1 StR 148/11, BGHSt 57, 138 und 1 StR 152/11). Ob - was der Senat für zutreffend hält - diese Rechtsfolge auch ohne vorherigen Hinweis eintritt, wenn dem Ausgelieferten diese Folge aus anderen Gründen bekannt war, bedarf hier keiner abschließenden Entscheidung.
10
b) Die Voraussetzungen für einen Wegfall der Spezialitätsbindung gemäß Art. 14 Abs. 1 Buchst. b EuAlÜbk liegen hier vor. Die Spezialitätsbindung an die Auslieferungsbewilligung ist aufgrund der freiwilligen Ausreise des Angeklagten in die Schweiz am 15. November 2012 und seiner anschließenden Wiedereinreise nach Deutschland entfallen. Dabei braucht der Senat nicht zu entscheiden, ob auch in einem solchen Fall der Wegfall der Spezialitätsbindung die vorherige „endgültige Freilassung“ des Ausgelieferten voraussetzt. Der An- geklagte war „endgültig freigelassen“ und hatte die Möglichkeit, das Bundesge- biet zu verlassen (nachfolgend aa), er ist nach Verlassen des Bundesgebietes wieder dorthin zurückgekehrt (nachfolgend bb), obwohl er auf die sich aus einer Wiedereinreise ergebenden Rechtsfolgen hingewiesen worden war (nachfolgend cc). Vom Vorliegen der tatsächlichen Voraussetzungen des Art. 14 Abs. 1 Buchst. b EuAlÜbk hat sich der Senat im Freibeweisverfahren überzeugt.
11
aa) Der Angeklagte war „endgültig freigelassen“ i.S.d. Art. 14 Abs. 1 Buchst. b EuAlÜbk. Denn das Landgericht Berlin hatte den gegen den Angeklagten bestehenden Haftbefehl mit Beschluss vom 26. Oktober 2012 ohne Auflagen außer Vollzug gesetzt. Der Angeklagte wurde noch am selben Tag aus der Untersuchungshaft entlassen.
12
Dem Vorliegen einer endgültigen Freilassung steht der Bestand des außer Vollzug gesetzten Haftbefehls nicht entgegen. Der Angeklagte war nicht durch Weisungen, Auflagen oder andere Pflichten in seiner Bewegungsfreiheit eingeschränkt (vgl. BGH, Beschlüsse vom 9. Februar 2012 - 1 StR 148/11, BGHSt 57, 138 und 1 StR 152/11; OLG München, Beschluss vom 20. Januar 1993 - 1 Ws 8/93, 1 Ws 9/93, NStZ 1993, 392); vielmehr stand es ihm frei - wie er wusste - das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland zu verlassen. Er hat von dieser Möglichkeit auch Gebrauch gemacht.
13
bb) Der Angeklagte verließ nach seiner Freilassung Deutschland zunächst und kehrte dann dorthin zurück. Er begab sich am 15. November 2012 nach Zürich und reiste von dort aus wieder nach Deutschland. Hiervon ist der Senat nach Durchführung des Freibeweisverfahrens aus folgenden Gründen überzeugt:
14
(1) In einem dem Senat in Kopie übersandten Schreiben an die Staats- anwaltschaft Berlin führte der Angeklagte aus, „vorgestern, am 15.11.2012 in Zürich gewesen“ zu sein; er erwähnte darin einige Straßen, durchdie ihn sein Weg in Zürich geführt hatte.
15
(2) Seinen Aufenthalt in Zürich bestätigte er bei seiner erneuten Festnahme in Berlin nach umfassender Belehrung gegenüber einem Polizeibeamten. Ausweislich des Festnahmeberichts vom 22. November 2012 (dort S. 3) gab er an, er sei „vor kurzem tatsächlich für einen Tag in der Schweiz bei einer Treuhandgesellschaft gewesen“. Nachdem ihm im Rahmen des Gesprächs bewusst wurde, dass diese Aus- und erneute Einreise der Grund für die Invollzugsetzung des Haftbefehls war, gab er an: „Dann war ich halt nicht in der Schweiz. Das kann man mir eh nicht nachweisen. An der Grenze finden ja kei- ne Kontrollen mehr statt.“
16
(3) Bei der Eröffnung des Beschlusses, mit dem der Haftbefehl wieder in Vollzug gesetzt worden war, gab der Angeklagte an, er habe „zwar geschrie- ben, er sei nach seiner Entlassung in der Schweiz gewesen. Tatsächlich sei er jedoch gar nicht dort gewesen“ (Niederschrift zum Haftbefehlsverkündungster- min vom 22. November 2012).
17
(4) In einem Schreiben vom 5. Dezember 2012 an das Landgericht Berlin rückte der Angeklagte dann von dieser Einlassung wieder ab und bestätigte, am 15. November 2012 in die Schweiz gereist und am selben Tag nach Deutschland zurückgekehrt zu sein. Dies werde „nicht mehr bestritten“.
18
(5) Auch die als Zeugin vernommene und entsprechend belehrte Tochter des Angeklagten, V. , gab am 22. November 2012 an, ihres Wissens sei ihr Vater zwischenzeitlich in der Schweiz gewesen, dies habe er jedenfalls erzählt.
19
(6) Schließlich belegen die Ermittlungen des Landeskriminalamtes Berlin , dass auf den Namen des Angeklagten in einem Berliner Reisebüro für den 15. November 2012 ein Flug von Berlin-Tegel nach Zürich und zurück gebucht worden war und dass der Flug entsprechend dieser Buchung auch durchgeführt wurde (Vermerke der Staatsanwaltschaft Berlin vom 26. und vom 28. November 2012).
20
(7) Aufgrund einer Gesamtwürdigung dieser Erkenntnisse ist der Senat davon überzeugt, dass der Angeklagte am 15. November 2012 in die Schweiz ausgereist und dann wieder in die Bundesrepublik zurückgekehrt ist.
21
cc) Der Senat ist aufgrund des durchgeführten Freibeweisverfahrens auch davon überzeugt, dass der Angeklagte über die sich aus Art. 14 Abs. 1 Buchst. b EuAlÜbk ergebenden rechtlichen Folgen einer Wiedereinreise in die Bundesrepublik Deutschland ausreichend belehrt war.
22
(1) Der Angeklagte behauptet, auf die Folgen einer Wiedereinreise aus dem Ausland nicht hingewiesen worden zu sein. In ihrer Gegenerklärung auf den Antrag des Generalbundesanwalts vom 26. November 2012, die Revision des Angeklagten gemäß § 349 Abs. 2 StPO zu verwerfen, macht die Verteidigung des Angeklagten am 14. Dezember 2012 ergänzend u.a. Folgendes geltend : Voraussetzung für das Entfallen der Spezialitätsbindung aus Art. 14 EuAlÜbk sei nach dem Senatsbeschluss vom 25. Oktober 2012, dass der An- geklagte über die Voraussetzungen eines Wegfalls der Spezialitätsbindung „bei seiner Freilassung“ hingewiesen worden sei. Der Angeklagte sei aber bei der Haftentlassung nicht auf die Folge einer Nichtausreise bzw. Wiedereinreise hingewiesen worden. Der erforderliche Hinweis könne nicht durch Ausführungen im Senatsbeschluss vom 25. Oktober 2012 ersetzt werden, da dieser Beschluss dem Angeklagten in der Haft nicht ausgehändigt worden sei. Auch eine spätere Aushändigung sei nicht erfolgt.
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(2) Der Senat ist aufgrund der Erkenntnisse im Freibeweisverfahren davon überzeugt, dass der Angeklagte ausreichend auf die rechtliche Folge des Wegfalls der Spezialitätsbindung im Falle einer Ausreise und Wiedereinreise hingewiesen worden war.
24
(a) Als Hinweis genügen bereits die Ausführungen im Senatsbeschluss vom 25. Oktober 2012 (dort Rn. 13). In diesem Beschluss hat der Senat - zur Verdeutlichung der zu beachtenden rechtlichen Grundlagen - ausdrücklich auch die Vorschrift des Art. 14 Abs. 1 Buchst. b EuAlÜbk und deren Voraussetzungen sowie die sich daraus ergebende Rechtsfolge eines nachträglichen Entfallens der Spezialitätsbindung dargelegt.
25
(b) Der Senat ist aufgrund folgender Umstände davon überzeugt, dass der Angeklagte den Senatsbeschluss vom 25. Oktober 2012 - entgegen seiner gegenteiligen Behauptung - mit dem darin enthaltenen Hinweis erhalten und gelesen hat:
26
(aa) In einem bereits am 5. November 2012 - also vor seiner Reise nach Zürich - an das Landgericht Berlin gerichteten „Memorandum“ führte der Ange- klagte selbst aus, er habe „sehr aufmerksam den Beschluss des BGH“ (im vor- liegenden Verfahren vom 25. Oktober 2012 betreffend die vorläufige Einstellung des Verfahrens) durchgelesen. Er machte dabei auch Ausführungen zum Inhalt des Senatsbeschlusses, sprach die dort aufgezeigte Möglichkeit eines Nachtragsersuchens an die Republik Südafrika an und verwies darauf, dass der Senat bisher noch keine Ausführungen zum Inhalt des von ihm angefochtenen Urteils gemacht habe. Zudem verwies er darauf, dass der Kammerbeschluss des Landgerichts, mit dem der Haftbefehl außer Vollzug gesetzt wor- den war, „sehr von dem des BGH“ abweiche.
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(bb) Angesichts dieser Äußerungen ist der Senat davon überzeugt, dass dem Angeklagten nicht nur - wie aber die Verteidigung geltend macht - von einer der Verteidigerinnen telefonisch der Tenor des Senatsbeschlusses vom 25. Oktober 2012 vorgelesen worden ist, sondern dass der Angeklagte - jedenfalls vor Abfassung seines Schreibens vom 5. November 2012 - die Möglichkeit hatte, diesen Beschluss zu lesen, ihn auch tatsächlich gelesen und sich mit ihm inhaltlich auseinandergesetzt hat. Der Angeklagte hatte keinen erkennbaren Grund, in seinem Schreiben wahrheitswidrig zu behaupten, er habe den Senatsbeschluss gelesen, und auf angebliche Abweichungen zum Beschluss des Landgerichts hinzuweisen, zumal dies einen inhaltlichen Vergleich der beiden Beschlüsse voraussetzt. In der nachträglichen Einlassung des Angeklagten, er habe - ohne Kenntnis der Beschlussgründe des Senatsbeschlusses vom 25. Oktober 2012 - fälschlicherweise angenommen, das Landgericht Berlin sei von diesem Senatsbeschluss abgewichen, indem es den Haftbefehl lediglich außer Vollzug gesetzt habe, sieht der Senat eine bloße Schutzbehauptung.
28
(cc) Der Senat ist auch davon überzeugt, dass das Schreiben vom 5. November 2012 vom Angeklagten selbst stammt. Zwar macht die Verteidigung geltend, es fehle der Nachweis, dass das als Telefax übersandte Schreiben vom Angeklagten stamme. Die Zweifel, ob die auf dem Schreiben befindliche Unterschrift tatsächlich von dem Angeklagten stamme, weil es sich bei dem Fax nur um eine Kopie handele, teilt der Senat jedoch nicht. Es bestehen - insbesondere angesichts des Inhalts des Schreibens - keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass eine andere Person das Schreiben erstellt oder verfälscht und dabei die Unterschrift des Angeklagten gefälscht haben könnte.
29
(dd) Damit war der Angeklagte so deutlich über die Rechtsfolgen des Art. 14 Abs. 1 Buchst. b EuAlÜbk unterrichtet, dass er sie unschwer erfassen konnte. Besondere Anhaltspunkte dafür, der Angeklagte könnte nicht in der Lage gewesen sein, die aufgezeigten Rechtsfolgen zu verstehen (vgl. zu § 136 StPO: BGH, Urteil vom 16. März 1993 - 1 StR 888/92, NStZ 1993, 395), sind weder dargetan noch sonst ersichtlich. Ob sich der Angeklagte dieser Rechtsfolgen bei seiner Wiedereinreise oder beim Versenden des diese offenbarenden Schreibens an die Staatsanwaltschaft bewusst war, ist für die Frage, ob der Angeklagte ausreichend über die Möglichkeiten eines Wegfalls der Spezialitätsbindung gemäß Art. 14 Abs. 1 Buchst. b EuAlÜbk belehrt worden war, ohne Bedeutung.
30
(c) Entgegen der Annahme der Verteidigung ist der Senatsbeschluss vom 25. Oktober 2012 im vorliegenden Verfahren auch nicht dahingehend zu verstehen, dass einem Hinweis auf die Vorschrift des Art. 14 Abs. 1 Buchst. b EuAlÜbk dann keine rechtliche Bedeutung zukomme, wenn er nicht unmittelbar bei der Freilassung ergangen ist. Vielmehr hat der Zeitpunkt des Hinweises (wie sich auch aus den im Senatsbeschluss vom 25. Oktober 2012 in Bezug genommenen Senatsbeschlüssen vom 9. Februar 2012 - 1 StR 148/11 und 1 StR 152/11 ergibt) lediglich für den Lauf der 45-tägigen Schonfrist bei einer Nichtausreise nach endgültiger Freilassung, nicht aber im Falle einer Wiedereinreise Bedeutung.

II.


31
Die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO). Ergänzend zu den zutreffenden Ausführungen des Generalbundesanwalts in seiner Antragsschrift vom 19. April 2012 bemerkt der Senat:
32
Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen tragen insbesondere auch die Verurteilung des Angeklagten wegen gewerbs- und bandenmäßigen Betrugs.
33
1. Das Landgericht hat hierzu festgestellt, dass der Angeklagte spätestens nach einer Haftentlassung im Juni 2001 beschlossen hatte, mit weiteren Mittätern - wie schon zuvor praktiziert - durch den fingierten Handel mit hochwertigen Computerprozessoren Umsatzsteuer zu hinterziehen, um sich dadurch eine nicht unerhebliche Einnahmequelle von einiger Dauer zu verschaffen. Für die Umsetzung dieses Plans konnte er zum einen den geschäftsunerfahrenen Zeugen S. gewinnen, der alle Geschäftsanteile und die formelle Geschäftsführerstellung einer N. GmbH übernahm, während der Angeklagte deren Geschäfte tatsächlich leitete. Zum anderen gewann er den ZeugenH. zur Mitarbeit bei der N. GmbH.
34
Mit einer vom Angeklagten veranlassten Korrespondenz (lautend auf eine vom Angeklagten erdachte Person) wurde der Firma W. KG (im Folgenden W. KG) vorgetäuscht, die Firma e-. (im Folgenden E. ) mit Sitz in Malaysia wolle von der Firma N. GmbH hochwertige Mikroprozessoren beziehen. Da diese aber nicht selbst exportieren wolle, sei die Zwischenschaltung einer weiteren Firma erforderlich. Dies wurde als für die zwischengeschaltete Firma finanziell risikolos dargestellt. Daraufhin willigte die W. KG ein, als dieser Zwischenhändler tätig zu werden, und schloss vermeintlich mit der E. einen entsprechenden Rahmenvertrag betreffend die Lieferung hochwertiger Mikroprozessoren. Tatsächlich war der Vertragsabschluss durch die Verantwortlichen der E. zur Täuschung der W. KG vom Angeklagten lediglich fingiert worden. Auch die hochwertigen Mikroprozessoren, die Handelsgegenstand sein sollten, existierten zu keinem Zeitpunkt und wurden daher auch nicht an die E. in Malaysia geliefert.
35
Um allerdings - auch gegenüber den Verantwortlichen der W. KG - den Schein einer realen Handelstätigkeit mit rechnungsgemäßen Lieferungen zu wahren, wurden auf Veranlassung des Angeklagten geringwertige Computerbauteile an eine von der W. KG beauftragte Spedition übergeben und von dieser nach Malaysia geschickt. Die einzelnen Pakete wurden dort von einer Kontaktperson des Angeklagten in Empfang genommen und an die N. GmbH oder andere Firmen aus dem Einflussbereich des Angeklagten zurückgesandt , damit sie für die erneute Versendung nach Malaysia zur Verfügung standen. Mitarbeiter der W. KG waren nie im Besitz der Lieferungen. Zum Schutz vor Kontrollen wurde die Ware luftdicht verpackt; es wurde darauf hingewiesen , dass die Verpackungen nur unter absolut staubfreien Bedingungen geöffnet werden dürften, andernfalls die Gefahr der Beschädigung der Prozessoren bestehe.
36
Im Zeitraum vom 13. März 2002 bis zum 24. Juli 2002 fanden insgesamt 32 solcher Lieferungen angeblich hochwertiger Mikroprozessoren der N. GmbH im beschriebenen Lieferweg an die E. statt. Während die von den Zeugen S. und H. für die N. GmbH unterzeichneten Ausgangsrechnungen an die W. KG jeweils einen Nettobetrag von 251.040 € zuzüglich Umsatzsteuer in Höhe von 40.166,40 € auswiesen, stellte die W. KGder E. für die umsatzsteuerfreie Ausfuhrlieferung (§ 4 Nr. 1 Buchst. a, § 6 UStG) der Prozessoren jeweils einen Nettobetrag in Höhe von jeweils 258.810 € in Rechnung. Zur Erzielung eines Gewinns war die W. KG deshalb darauf angewiesen , die in den Zahlungen an die N. GmbH enthaltene Umsatzsteuer im Rahmen ihrer monatlichen Umsatzsteuervoranmeldungen als Vorsteuer gegenüber dem zuständigen Finanzamt geltend zu machen.
37
Für die Zahlungsabwicklung veranlasste der Angeklagte jeweils, dass einem Konto der W. KG der gegenüber der E. in Rechnung gestellte Betrag als „Vorkasse“ dieser Firma gutgebrachtwurde. Die W. KG erbrachte sodann Zahlungen in Höhe von 291.206,40 € an die N. GmbH. Hieraus wurde jeweils wieder eine an die W. KG geleistete „Vorauszahlung“ generiert und ein weiterer Betrag von rund 32.000 € an den Angeklagten ausgekehrt.
38
In Unkenntnis der wahren Umstände - insbesondere der Tatsache, dass keine hochwertigen Mikroprozessoren nach Malaysia verschickt worden waren - machten die Verantwortlichen der W. KG die in den Rechnungen der N. GmbH ausgewiesene und an diese bezahlte Umsatzsteuer in Höhe von insgesamt 1.285.324,80 € in fünf Umsatzsteuervoranmeldungen im Jahr 2002 als Vorsteuer geltend. Nachdem bekannt wurde, dass den Rechnungen derN.
GmbH nicht der dort angegebene Leistungsaustausch zugrunde lag, versagte das zuständige Finanzamt nachträglich den Vorsteuerabzug. Die dagegen erhobene Klage der W. KG wies das Finanzgericht Berlin-Brandenburg rechtskräftig ab.
39
2. Das Landgericht hat das Verhalten des Angeklagten u.a. als Betrug zum Nachteil der W. KG in Tateinheit mit Steuerhinterziehung inmittelbarer Täterschaft gewertet. Die Mitarbeiter der W. KG seien über das Bestehen eines Vorsteuererstattungsanspruchs getäuscht worden und hätten irrtumsbedingt Zahlungen einschließlich der in Rechnung gestellten Umsatzsteuer an die N. GmbH vorgenommen. Einen der W. KG entstandenen Vermögensschaden erblickt das Landgericht darin, dass der zwischen erhaltener Vorkasse und geleisteter Auszahlung verbliebene Saldo nicht durch einen Anspruch auf Vorsteuererstattung zugunsten der W. KG kompensiert worden sei.
40
3. Dies ist ohne Rechtsfehler. Insbesondere belegen hinsichtlich des Betruges die Feststellungen der Strafkammer (anders als offenbar die der Entscheidung BGH, Beschluss vom 26. November 2009 - 5 StR 91/09, wistra 2010, 146, zugrundeliegenden Feststellungen), dass die W. KG zum Vorsteuerabzug nicht berechtigt war und deshalb ein deren Mehraufwendungen kompensierender Vermögenswert nicht vorhanden war. Denn es fehlt schon an ordnungsgemäßen Rechnungen der N. GmbH an die W. KG.
41
a) Nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 UStG in der für den Tatzeitraum geltenden Fassung kann ein Unternehmer die in Rechnungen im Sinne des § 14 UStG (a.F.) gesondert ausgewiesene Steuer für Lieferungen oder sonstige Leistungen, die von anderen Unternehmern für sein Unternehmen ausgeführt worden sind, als Vorsteuerbeträge abziehen. Materiell-rechtliche Voraussetzung für den Vorsteuerabzug ist dabei aber eine Rechnung, die die jeweilige Lieferung oder sonstige Leistung belegt (vgl. auch EuGH, Urteil vom 21. Juni 2012 - C-80/11 und C-142/11, Rn. 52, DStRE 2012, 1336). Rechnung in diesem Sinn ist nur ein solches Abrechnungspapier, das hinreichende Angaben tatsächlicher Art enthält, welche die Identifizierung der abgerechneten Leistung ermöglichen; der Aufwand zur Identifizierung der Leistung muss dahingehend begrenzt sein, dass die Rechnungsangaben eine eindeutige und leicht nachprüfbare Feststellung der Leistung ermöglichen, über die abgerechnet worden ist. Die ausgeführte Leistung oder der beim Leistungsempfänger eintretende Erfolg der Leistungshandlung muss mit der in der Rechnung bezeichneten identisch sein (vgl. BFH, Urteile vom 8. Oktober 2008 - V R 59/07, DStRE 2009, 166 mwN und vom 24. September 1987 - V R 50/85, BFHE 153, 65; vgl. auch EuGH, Urteile vom 6. September 2012 - C-324/11, Rn. 26 und vom 6. Dezember 2012 - C-285/11, Rn. 29 ff.).
42
b) Diese Voraussetzungen sind nach den Urteilsfeststellungen hier nicht gegeben. Vielmehr wurden die in Rechnung gestellten hochwertigen Mikroprozessoren zu keinem Zeitpunkt an die W. KG geliefert. Ein Vorsteuerabzug scheidet daher von vornherein aus (so in dieser Sache auch FG BerlinBrandenburg , Urteil vom 24. November 2010 - 7 K 2356/06, EFG 2011, 918).
43
c) Da die in den Rechnungen aufgeführten Lieferungen hochwertiger Mikroprozessoren nicht durchgeführt wurden, bedarf es keiner Erörterung mehr, dass nach den Feststellungen des Landgerichts (UA S. 19) die Verantwortlichen der W. KG - ohne dass dadurch ihr Irrtum i.S.d. § 263 StGB entfiele - ihre Einbindung in ein auf Mehrwertsteuerhinterziehung ausgelegtes Hinterziehungssystem hätten erkennen müssen (zur Versagung des Vorsteuerabzugs , wenn ein Steuerpflichtiger weiß oder hätte wissen müssen, dass er sich mit seinem Erwerb an einem Umsatz beteiligt, der in eine Mehrwertsteuerhin- terziehung einbezogen ist, vgl. EuGH, Urteile vom 6. Dezember 2012 - C-285/11, Rn. 39, vom 21. Juni 2012 - C-80/11 und C-142/11, Rn. 46, DStRE 2012, 1336 und vom 6. Juli 2006, C-439/04 und C-440/04, Kittel und Recolta Recycling, Slg. 2006 I-6161, 59, Rn. 56).
44
4. Auch die Annahme gewerbs- und bandenmäßiger Begehungsweise wird von den rechtsfehlerfrei getroffenen Urteilsfeststellungen getragen. Denn danach wussten die Zeugen S. und H. spätestens mit Aufnahme der Lieferungen von dem vom Angeklagten ersonnenen Betrugs- und Steuerhinterziehungssystem und kamen mit dem Angeklagten zumindest stillschweigend überein (vgl. dazu BGH, Urteil vom 23. April 2009 - 3 StR 83/09, Rn. 10; BGH, Beschluss vom 5. August 2005 - 2 StR 254/05, NStZ 2006, 176), in der beschriebenen Weise eine Vielzahl von Straftaten zur Sicherung einer fortlaufenden , nicht unerheblichen Einkommensquelle zu begehen. Der Annahme gewerbsmäßigen Handelns steht nicht entgegen, dass das Landgericht das Gesamtverhalten des Angeklagten - was diesen nicht beschwert - als uneigentliches Organisationsdelikt gewertet und damit zur Tateinheit zusammengefasst hat (BGH, Urteil vom 17. Juni 2004 - 3 StR 344/03, NStZ-RR 2006, 106).
Nack Rothfuß Jäger RiBGH Prof. Dr. Sander befindet sich in Urlaub und ist deshalb verhindert zu unterschreiben. Nack Radtke

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(1) Wer in der Absicht, sich oder einem Dritten einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen, das Vermögen eines anderen dadurch beschädigt, daß er durch Vorspiegelung falscher oder durch Entstellung oder Unterdrückung wahrer Tatsachen einen

Umsatzsteuergesetz - UStG 1980 | § 15 Vorsteuerabzug


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(1) Bei Beginn der Vernehmung ist dem Beschuldigten zu eröffnen, welche Tat ihm zu Last gelegt wird und welche Strafvorschriften in Betracht kommen. Er ist darauf hinzuweisen, daß es ihm nach dem Gesetz freistehe, sich zu der Beschuldigung zu äußern

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(1) Eine Ausfuhrlieferung (§ 4 Nr. 1 Buchstabe a) liegt vor, wenn bei einer Lieferung 1. der Unternehmer den Gegenstand der Lieferung in das Drittlandsgebiet, ausgenommen Gebiete nach § 1 Abs. 3, befördert oder versendet hat oder2. der Abnehmer den G

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Bundesgerichtshof Beschluss, 05. Aug. 2005 - 2 StR 254/05

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Bundesgerichtshof Beschluss, 09. Feb. 2012 - 1 StR 152/11

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BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 1 StR 152/11 vom 9. Februar 2012 in der Strafsache gegen wegen Steuerhinterziehung u.a. Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 9. Februar 2012 beschlossen : Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des La

Bundesgerichtshof Beschluss, 09. Feb. 2012 - 1 StR 148/11

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Bundesgerichtshof Urteil, 23. Apr. 2009 - 3 StR 83/09

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BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 3 StR 83/09 vom 23. April 2009 in der Strafsache gegen 1. 2. 3. 4. wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge u. a. Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung

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bei uns veröffentlicht am 26.11.2009

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Referenzen

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 148/11
vom
9. Februar 2012
BGHSt: ja
BGHR: ja
Nachschlagewerk: ja
Veröffentlichung: ja
_________________________
EuAlÜbk Art. 14 Abs. 1 Buchst. b; IRG § 72
1. Ein wegen eines Verstoßes gegen den Grundsatz der Spezialität aus Art.
14 des Europäischen Auslieferungsübereinkommens vom 13. Dezember
1957
(EuAlÜbk) bestehendes Verfahrenshindernis kann auch noch im Revisionsverfahren
beseitigt werden.
2. Ist der Ausgelieferte mit Verkündung des erstinstanzlichen Urteils auf freien
Fuß gesetzt worden, entfällt die Spezialitätsbindung gemäß Art. 14 Abs. 1
Buchst. b EuAlÜbk dann, wenn er - obwohl er über die Rechtsfolgen dieser
Vorschrift informiert worden ist und die Möglichkeit einer Ausreise hatte -
nicht innerhalb von 45 Tagen die Bundesrepublik Deutschland verlassen
hat oder wenn er nach dem Verlassen Deutschlands dorthin zurückgekehrt
ist.
BGH, Beschluss vom 9. Februar 2012 - 1 StR 148/11 - LG Wuppertal
in der Strafsache
gegen
wegen Steuerhinterziehung u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 9. Februar 2012 beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Wuppertal vom 28. April 2010 wird mit der Maßgabe als unbegründet verworfen, dass die vom Angeklagten in dieser Sache in der Schweiz erlittene Auslieferungshaft im Maßstab von 1 : 1 angerechnet wird. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Steuerhinterziehung in 16 Fällen und wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt. Hiergegen wendet er sich mit seiner auf die Sachrüge gestützten Revision, mit der er gleichzeitig ein Verfahrenshindernis geltend macht. Die Urteilsformel ist lediglich um die Entscheidung über die Anrechnung der in der Schweiz erlittenen Auslieferungshaft zu ergänzen. Im Übrigen hat die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
2
Der Erörterung bedarf lediglich Folgendes:

I.


3
Ein Verfahrenshindernis besteht nicht.
4
1. Der Eröffnungsbeschluss genügt den an ihn zu stellenden inhaltlichen Anforderungen.
5
Die Anklageschrift, an die der Eröffnungsbeschluss anknüpft, erfüllt noch ihre Funktion, die hier angeklagten Taten der Hinterziehung von Umsatzsteuer ausreichend zu umschreiben (vgl. zu den Anforderungen an die Darstellung in der Anklageschrift beim Vorwurf der Steuerhinterziehung BGH, Beschluss vom 27. Mai 2009 - 1 StR 665/08, NStZ-RR 2009, 340; siehe auch Weyand in Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, § 385 AO Rn. 19 ff.).
6
a) Eine Anklage ist dann unwirksam mit der Folge, dass das Verfahren wegen Fehlens einer Prozessvoraussetzung einzustellen ist, wenn etwaige Mängel dazu führen, dass die Anklage ihrer Umgrenzungsfunktion nicht genügt (vgl. BGH, Urteil vom 9. August 2011 - 1 StR 194/11 mwN). Mängel der Informationsfunktion berühren ihre Wirksamkeit dagegen nicht (vgl. u.a. BGH, Urteile vom 24. Januar 2012 - 1 StR 412/11 und vom 2. März 2011 - 2 StR 524/10; BGH, Beschluss vom 18. Oktober 2007 - 4 StR 481/07, jeweils mwN); insoweit können Fehler auch noch in der Hauptverhandlung durch Hinweise entsprechend § 265 StPO geheilt werden (vgl. BGH, Urteil vom 28. Oktober 2009 - 1 StR 205/09, NJW 2010, 308 mwN).
7
Genügt der Anklagesatz den Anforderungen an die Wahrung der Umgrenzungsfunktion für sich allein nicht, dürfen die Ausführungen im wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen zur Verdeutlichung und ergänzenden Erläuterung des Anklagesatzes herangezogen werden (BGHSt 46, 130, 134; BGH NStZ 2001, 656, 657; BGHR StPO § 200 Abs. 1 Satz 1 Tat 24; Schneider in KK-StPO, 6. Aufl., § 200 StPO Rn. 30). Voraussetzung hierfür ist jedoch stets, dass sich aus dem Anklagesatz zumindest die Grundlagen einer Tatbeteiligung ergeben. Fehlende Angaben im Anklagesatz können dann aus dem wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen entnommen werden, wenn sie dort eindeutig benannt sind und daraus deutlich wird, dass sich der Verfolgungswille der Staatsanwaltschaft hierauf erstreckt (vgl. BGH, Urteil vom 28. Oktober 2009 - 1 StR 205/09, NJW 2010, 308 mwN).
8
b) Ausgehend von diesen Maßstäben genügt die Anklageschrift den Anforderungen an die Umgrenzungsfunktion, wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift vom 3. Mai 2011 zutreffend darlegt. Es waren auch sämtliche abgeurteilten Taten von der Anklage und vom Eröffnungsbeschluss erfasst (zur Reichweite der prozessualen Tat in Fällen der Hinterziehung von Umsatzsteuer vgl. BGH, Urteil vom 17. März 2009 - 1 StR 627/08, BGHSt 53, 221 Rn. 28 ff.).
9
2. Auch im Hinblick auf den Grundsatz der Spezialität besteht kein Verfahrenshindernis.
10
a) Allerdings bestand zum Zeitpunkt der Verurteilung des Angeklagten durch das Landgericht wegen des Grundsatzes der Spezialität hinsichtlich einzelner von der Verurteilung erfasster Delikte ein von Amts wegen zu berücksichtigendes Verfolgungsverbot (Verfahrenshindernis) aus Art. 14 des Europäischen Auslieferungsübereinkommens vom 13. Dezember 1957 (EuAlÜbk), denn der Angeklagte war nicht wegen dieser Delikte von der Schweiz nach Deutschland ausgeliefert worden und hatte auch nicht auf die Einhaltung des Spezialitätsgrundsatzes verzichtet.
11
aa) Der Angeklagte wurde zur Durchführung des Strafverfahrens aus der Schweiz ausgeliefert. Dieser Auslieferung lag ein Haftbefehl vom 8. Mai 2009 zugrunde (der unzutreffend unter dem 8. Mai 2008 datiert). Dieser Haftbefehl erfasste jedoch - wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift vom 3. Mai 2011 zutreffend dargelegt hat - die Lebenssachverhalte nicht, die der Verurteilung in den Fällen 9 und 14 bis 19 der Urteilsgründe zugrunde liegen. Die Zustimmung des Angeklagten zur vereinfachten Auslieferung ließ den Grundsatz der Spezialität nicht entfallen (vgl. BGH, Beschluss vom 8. August 1989 - 1 StR 296/89, NStE Nr. 5 zu Art. 14 EuAlÜbk).
12
(1) Aus dem Grundsatz der Spezialität ergibt sich für den ersuchenden Staat eine Beschränkung seiner Hoheitsrechte (vgl. dazu Schomburg/ Lagodny/Gleß/Hackner, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 4. Aufl. 2006, Einl. 74). Ihr Umfang bestimmt sich hier nach den Regelungen des EuAlÜbk in Verbindung mit der Auslieferungsbewilligung der Schweiz. Aus Art. 14 Abs. 1 EuAlÜbk ergibt sich, dass der Ausgelieferte „wegen einer anderen, vor der Übergabe begangenen Handlung als derjenigen, die der Auslieferung zugrunde liegt, nur … verfolgt, abgeurteilt, zur Vollstreckung einer Strafe oder Maßregel der Sicherung oder Besserung in Haft gehalten oder einer sonstigen Beschrän- kung seiner persönlichen Freiheit unterworfen werden“ darf, wenn der Staat, der ihn ausgeliefert hat, zustimmt (Art. 14 Abs. 1 Buchst. a EuAlÜbk) oder wenn nach Verstreichen der Schonfrist des Art. 14 Abs. 1 Buchst. b EuAlÜbk die dort genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Danach durfte der Angeklagte nur wegen solcher vor der Auslieferung begangener Taten bestraft werden, für die die Auslieferung bewilligt wurde (vgl. BGH, Urteil vom 20. Dezember 1968 - 1 StR 508/67, BGHSt 22, 307; BGH, Urteil vom 11. März 1999 - 4 StR 526/98, NStZ 1999, 363).
13
(2) Zur Reichweite des Grundsatzes der Spezialität gilt Folgendes (vgl. BGH, Beschluss vom 2. November 2010 - 1 StR 544/09 mwN):
14
Der dem Spezialitätsgrundsatz zugrunde liegende Tatbegriff umfasst den gesamten mitgeteilten Lebenssachverhalt, innerhalb dessen der Verfolgte einen oder mehrere Straftatbestände erfüllt haben soll. Im Rahmen dieses historischen Vorgangs sind die Gerichte des ersuchenden Staates nicht gehindert, die Tat abweichend rechtlich oder tatsächlich zu würdigen, soweit insofern ebenfalls Auslieferungsfähigkeit besteht. Auch eine Änderung in der Rechtsauffassung berührt die Hoheitsinteressen des um Auslieferung ersuchten Staates regelmäßig nicht.
15
Dementsprechend steht der Spezialitätsgrundsatz etwa einer Verurteilung wegen Einzeltaten anstelle einer im Auslieferungsersuchen angenommenen fortgesetzten Handlung nicht entgegen. Das Gleiche gilt, wenn der den Haftbefehl erlassende Richter anstatt von Tatmehrheit rechtsfehlerhaft von einer Verknüpfung der Taten im Sinne einer Handlungseinheit ausgegangen ist, sofern die dem Beschuldigten vorgeworfenen Tathandlungen dem Auslieferungsersuchen zu entnehmen sind.
16
Maßgeblich ist insoweit ausgehend von Sinn und Zweck des Spezialitätsgrundsatzes der Verfolgungswille des ersuchenden Staates, wie er für den ersuchten Staat im Auslieferungsverfahren objektiv erkennbar zum Ausdruck gebracht wird. Dem ersuchten Staat steht es frei, bei insoweit bestehenden Un- klarheiten oder Unschärfen im Hinblick auf den Tatvorwurf seinerseits um Ergänzung der Darstellung der Handlungen, die Gegenstand des Auslieferungsersuchens sind, zu ersuchen (vgl. Art. 12 Abs. 2 Buchst. b, Art. 13 EuAlÜbk). Sieht er hiervon ab, bringt er mit der unbedingten Bewilligung zum Ausdruck, dass die Auslieferung zur Verfolgung all derjenigen Taten erfolgt, die für alle Verfahrensbeteiligten erkennbar vom Verfolgungswillen des ersuchenden Staats erfasst waren, auch wenn die einzelnen Taten im Auslieferungsverfahren noch nicht näher konkretisiert waren.
17
(3) Auch unter Heranziehung dieser Grundsätze waren die Lebenssachverhalte , die zur Verurteilung in den Fällen 9 und 14 bis 19 der Urteilsgründe geführt haben, von der Auslieferungsbewilligung auf der Grundlage des dem Auslieferungsverfahren zugrunde liegenden Haftbefehls nicht umfasst.
18
(4) Eine Aburteilung wegen dieser Taten hätte allenfalls dann erfolgen dürfen, wenn der Angeklagte zu Protokoll einer Justizbehörde bzw. eines Richters (vgl. Art. VI Abs. 2 und 3 des Vertrages vom 13. November 1969 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft über die Ergänzung des Europäischen Auslieferungsübereinkommens vom 13. Dezember 1957 und die Erleichterung seiner Anwendung) auf die Einhaltung des Spezialitätsgrundsatzes verzichtet hätte. Dies war jedoch nicht der Fall. Vielmehr ist den Auslieferungsunterlagen zu entnehmen, dass der Angeklagte diesen Verzicht nicht erklärt hat (vgl. SH „Rechtshilfe“ 92 AR 127/09, Bl. 131, 145).
19
bb) Damit bestand zum Zeitpunkt der Verurteilung ein sich aus Art. 14 EuAlÜbk ergebendes Verfahrenshindernis (vgl. BGH, Urteil vom 29. Oktober 1963 - 1 StR 353/63, BGHSt 19, 118, 119). Die zur Auslieferung aufgrund eines Europäischen Haftbefehls ergangene Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union, nach der sich aus einem Verstoß gegen den Spezialitätsgrundsatz lediglich ein Vollstreckungshindernis und ein Verbot freiheitsbeschränkender Maßnahmen ergibt (EuGH, Urteil vom 1. Dezember 2008 - Rechtssache C-388/08 [Leymann und Pustovarov], NStZ 2010, 35 mit Anm. Heine, vgl. dazu BGH, Beschluss vom 27. Juli 2011 - 4 StR 303/11, NStZ 2012, 100), findet auf die hier vorliegende Auslieferung aus der Schweiz keine Anwendung.
20
cc) Das bestehende Verfahrenshindernis hatte jedoch nicht zur Folge, dass das Strafurteil des Landgerichts insoweit nichtig wäre; vielmehr ist dieses lediglich anfechtbar (vgl. RGSt 72, 77, 78; Schomburg/Hackner in Schomburg /Lagodny/Gleß/Hackner, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 4. Aufl. 2006, § 72 IRG Rn. 28).
21
b) Der Verstoß gegen den Grundsatz der Spezialität führt allerdings auch nicht dazu, dass der Senat das Urteil aufheben und das Verfahren wegen eines Verfahrenshindernisses einstellen müsste. Denn die Beschränkung der Hoheitsrechte der Bundesrepublik Deutschland aufgrund des im EuAlÜbk vereinbarten Spezialitätsgrundsatzes ist hier nachträglich weggefallen, weil der in Art. 14 Abs. 1 Buchst. b EuAlÜbk geregelte Ausnahmefall, bei dem die Spezialitätsbindung wieder entfällt, eingetreten ist.
22
aa) Art. 14 Abs. 1 Buchst. b EuAlÜbk lässt die Verfolgung und Aburteilung von in einer Auslieferungsbewilligung nicht genannten Taten dann zu, wenn der Ausgelieferte, obwohl er die Möglichkeit hatte, das Hoheitsgebiet des Staates, dem er ausgeliefert worden ist, innerhalb von 45 Tagen nach seiner endgültigen Freilassung nicht verlassen hat oder wenn er nach Verlassen dieses Gebiets dorthin zurückgekehrt ist (s. auch Art. 38 Abs. 2 Buchst. b Nr. 1 Schweizerisches IRSG).
23
bb) Diese Voraussetzungen liegen hier vor; der Angeklagte befand sich nach seiner Haftentlassung mehr als 45 Tage auf freiem Fuß und hat die Bundesrepublik Deutschland trotz vorherigen Hinweises auf die sich aus Art. 14 Abs. 1 Buchst. b EuAlÜbk ergebenden Rechtsfolgen nicht verlassen oder ist - was dem gleich steht (vgl. OLG Hamm wistra 1999, 359) - nach einer Ausreise dorthin wieder zurückgekehrt.
24
(1) Im Anschluss an die Urteilsverkündung am 28. April 2010 wurde der bereits seit 12. März 2010 außer Vollzug gesetzte Haftbefehl gegen den Angeklagten aufgehoben (PB I Bl. 75, 259). Damit wurde der Angeklagte im Sinne von Art. 14 Abs. 1 Buchst. b EuAlÜbk i.V.m. Art. VI Abs. 1 SchweizEuAlÜbk -ErgV vom 13. November 1969 endgültig freigelassen.
25
„Endgültig freigelassen“ im Sinne des EuAlÜbk ist der Ausgelieferte dann, wenn ihm nach seiner Entlassung aus dem Gewahrsam des ersuchenden Staates in dem Verfahren, für das die Auslieferung bewilligt worden war, freisteht, das Hoheitsgebiet des ersuchenden Staates zu verlassen und er dazu die tatsächliche Möglichkeit hat (vgl. dazu auch Walter, NStZ 1993, 393). Dies war hier mit Aufhebung des gegen den Angeklagten bestehenden Haftbefehls bei der Urteilsverkündung der Fall. Hierdurch wurde auch die letzte die Bewegungsfreiheit des Angeklagten beeinträchtigende Maßnahme durch das Gericht aufgehoben. Ladungen standen angesichts des mit Urteil abgeschlossenen Hauptverfahrens erster Instanz nicht mehr an. Vollstreckungsmaßnahmen konnten im Hinblick auf die vom Angeklagten eingelegte Revision noch nicht ergriffen werden.
26
Einer die Bewegungsfreiheit beeinträchtigenden Maßnahme steht nicht gleich, dass der Angeklagte für den Fall der Rechtskraft des gegen ihn ergangenen erstinstanzlichen Urteils trotz Anrechnung verbüßter Auslieferungs- und Untersuchungshaft (vgl. § 51 Abs. 1 StGB) noch mit der Verbüßung eines Strafrests rechnen musste. Denn bis dahin konnte sich der Angeklagte völlig frei bewegen; eine Auflage, nicht ins Ausland zu reisen, wurde vom Gericht nicht getroffen. Der Umstand, dass der Angeklagte damit letztlich einer Strafverfolgung wegen der zunächst vom Spezialitätsgrundsatz erfassten Tatvorwürfe dauerhaft allenfalls dadurch hätte entgehen können, dass er ausreist und nicht nach Deutschland zurückkehrt, steht der Anwendung von Art. 14 Abs. 1 Buchst. b EuAlÜbk nicht entgegen. Denn diese Lage unterscheidet sich nicht von derjenigen, die bestehen würde, wenn der Angeklagte nicht von der Schweiz nach Deutschland ausgeliefert worden wäre. Auch dann könnte er nicht nach Deutschland zurückkehren, ohne sich einer Strafverfolgung auszusetzen. Diese Situation ist damit allein die Folge der von ihm begangenen Straftaten, nicht der Auslieferung.
27
Der vorliegende Fall ist auch nicht mit der von der Verteidigung angesprochenen Konstellation einer Strafvollstreckung vergleichbar, bei der ein Verurteilter nach Aussetzung der Vollstreckung eines Strafrests zur Bewährung der Aufsicht und Leitung eines Bewährungshelfers unterstellt war, der er sich bei einer Ausreise mit dem Risiko eines Bewährungswiderrufes (vgl. § 56f Abs. 1 Nr. 2 StGB) entziehen müsste (vgl. OLG München NStZ 1993, 392). Eine zur Bewährung ausgesetzte Strafe war gegen den Angeklagten gerade nicht verhängt worden; Weisungen, Auflagen oder sonstige Verhaltensanordnungen für die Dauer des Revisionsverfahrens wurden ebenfalls nicht ausgesprochen und standen daher einer Ausreise auch nicht entgegen. Vielmehr war der zunächst gegen Auflagen außer Vollzug gesetzte Haftbefehl mit Urteilsverkündung ersatzlos aufgehoben worden. Damit konnte sich der Angeklagte frei bewegen und individuell entscheiden, ob er ausreist oder nicht (vgl. auch LG Berlin ZfStrVo 1999, 116).
28
(2) Mit Schreiben vom 12. August 2011, dem Angeklagten zugegangen am 18. August 2011, hat der Vorsitzende des Senats den Angeklagten und seine Verteidiger auf die Rechtswirkungen eines Verbleibs des Angeklagten in der Bundesrepublik Deutschland gemäß der Art. 14 Abs. 1 Buchst. b EuAlÜbk, Art. 38 Abs. 2 Buchst. b Nr. 1 Schweizerisches IRSG hingewiesen.
29
(3) Wie der Senat im Freibeweisverfahren unter Einschaltung der Polizei ermittelt hat, wohnte der Angeklagte im Oktober 2011 in der Wohnung seiner Mutter. Damit steht fest, dass der Angeklagte nach Ablauf der Schonfrist von 45 Tagen des Art. 14 Abs. 1 Buchst. b EuAlÜbk entweder Deutschland nicht verlassen hatte oder nach einer Ausreise dorthin wieder zurückgekehrt ist. In beiden Fällen entfällt die Spezialitätsbindung (vgl. Schomburg/Hackner in Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen , 4. Aufl. 2006, § 72 IRG Rn. 15 mwN).
30
(4) Unbeachtlich ist insoweit, dass das Strafverfahren, dessentwegen seine Auslieferung bewilligt worden war, noch nicht endgültig abgeschlossen ist. Eine der Vorschrift des § 11 Abs. 2 Nr. 2 IRG entsprechende diesbezügli- che Voraussetzung enthalten weder Art. 14 Abs. 1 Buchst. b EuAlÜbk noch Art. 38 Abs. 2 Buchst. b Nr. 1 Schweizerisches IRSG. Ausreichend für den Wegfall der Spezialitätsbindung ist daher, dass eine - auch nur bedingte - Freilassung erfolgt ist und der Betroffene die Möglichkeit zur Ausreise aus Deutschland hatte. Dies ist hier der Fall.
31
(5) Damit steht fest, dass gemäß Art. 14 Abs. 1 Buchst. b EuAlÜbk, Art. 38 Abs. 2 Buchst. b Nr. 1 Schweizerisches IRSG die Spezialitätsbindung entfallen ist. Der Grundsatz der Spezialität steht somit der Verurteilung des Angeklagten in den Fällen 9 und 14 bis 19 der Urteilsgründe nicht (mehr) entgegen.
32
c) Der Umstand, dass das Strafverfahren wegen dieser Taten über weite Teile des Verfahrens unter Verstoß gegen das sich aus Art. 14 Abs. 1 EuAlÜbk ergebende Verfolgungs- und Verurteilungsverbot geführt worden ist, hindert einer Verwerfung der Revision des Angeklagten nicht. Er führt insbesondere nicht dazu, dass das Verfahren wiederholt werden müsste.
33
aa) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs können Verfahrenshindernisse auch noch im Revisionsverfahren beseitigt werden (vgl. BGH, Urteil vom 6. Dezember 1951 – 3 StR 961/51 zur Nachholung eines erforderlichen Strafantrags in der Revisionsinstanz; BGH, Urteil vom 26. Juni 1952 - 5 StR 382/52, BGHSt 3, 73; BGH, Beschluss vom 26. Mai 1961 - 2 StR 40/61, BGHSt 16, 225; BGH, Beschluss vom 12. Dezember 2000 - 4 StR 464/00, NJW 2001, 836). Die Beseitigung von behebbaren Verfahrenshindernissen kann dabei aus Gründen der Prozessökonomie (vgl. BGH, Urteil vom 15. März 2000 - 1 StR 483/99, StV 2000, 347) und im Hinblick auf die prozessuale Fürsorgepflicht gegenüber dem Beschuldigten (vgl. dazu Meyer- Goßner, StPO, 54. Aufl., § 206a Rn. 2) sogar geboten sein, um dem Angeklagten eine erneute Anklageerhebung und eine erneute Hauptverhandlung zu ersparen. Auch das Legalitätsprinzip (§ 152 Abs. 2 StPO), das gebietet, wegen aller verfolgbaren Taten einzuschreiten, verlangt, behebbare Verfahrenshindernisse mit den rechtlich dafür zur Verfügung stehenden Mitteln zu beseitigen.
34
bb) Diese Grundsätze gelten auch für Verstöße gegen den Grundsatz der Spezialität.
35
(1) Es ist allgemein anerkannt, dass es bei einem Verstoß gegen den Spezialitätsgrundsatz auch dem Revisionsgericht möglich ist, ein Verfahrenshindernis zu beseitigen, indem es den ausliefernden Staat in einem Nachtragsersuchen um Zustimmung zur Strafverfolgung für die nicht von der Auslieferungsbewilligung erfassten Taten ersucht (vgl. Schomburg/Hackner in Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 4. Aufl. 2006, § 72 IRG Rn. 28b; Grützner/Pötz/Kreß, Internationaler Rechtshilfeverkehr in Strafsachen, 3. Aufl., Teil II S. 16 Vorbem. Rn. 18). Stimmt der ersuchte Staat der Ausdehnung der Strafverfolgung auf die weiteren Taten zu, sind seine Rechte, die mit dem Spezialitätsgrundsatz geschützt werden sollen (Schomburg/Hackner aaO Rn. 13), gewahrt. Allerdings ist dann dem Angeklagten rechtliches Gehör zu gewähren (vgl. Schomburg/Hackner aaO Rn. 28b). Dies ist hier geschehen.
36
(2) In gleicher Weise entfällt die Spezialitätsbindung aus Art. 14 EuAlÜbk dann, wenn der Ausgelieferte noch nachträglich auf die Einhaltung des Grundsatzes der Spezialität verzichtet und sich mit der uneingeschränkten Strafverfolgung einverstanden erklärt (vgl. Art. VI Abs. 2 Schweiz-EuAlÜbk- ErgV vom 13. November 1969). Denn dann beruht die Strafverfolgung insoweit nicht auf der Auslieferung durch den ersuchten Staat, sondern auf der freien Entscheidung des Ausgelieferten, sich auch insoweit dem Strafverfahren zu stellen. Auch in Art. 14 Abs. 1 Buchst. b EuAlÜbk kommt zum Ausdruck , dass die Rechte des ersuchten Staates dann nicht verletzt sind, wenn der Ausgelieferte sich freiwillig der Strafverfolgung des ersuchenden Staates unterwirft. Der Verzicht des ausliefernden Staates auf die Einhaltung des Spezialitätsgrundsatzes ergibt sich damit insoweit bereits aus dem Auslieferungsübereinkommen selbst (vgl. Schomburg/Hackner aaO § 72 IRG Rn. 12a). Zugleich unterstreicht dies die „aktive Beteiligung des Individuums im Rechtshil- ferecht“ (vgl. Schomburg/Lagodny/ Gleß/Hackner, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 4. Aufl. 2006, Einl. 74 mit Belegen aus weiteren Auslieferungsübereinkommen ).
37
(3) Hieraus wird deutlich, dass der in der Verletzung des Spezialitätsgrundsatzes liegende Mangel jederzeit behebbar ist, und zwar sowohl durch ein Tätigwerden des ausliefernden Staates als auch durch ein solches des Ausgelieferten. Damit kann weder der Ausgelieferte noch der ausliefernde Staat für sich allein die nachträgliche Herbeiführung der Verfolgungsvoraussetzungen verhindern. Etwaige Verwertungsverbote für die Ergebnisse des zuvor unter Verstoß gegen den Spezialitätsgrundsatz geführten Verfahrens bestehen nach einer nachträglichen Beseitigung des Verfahrenshindernisses nicht.
38
3. Auch im Hinblick auf den Grundsatz der Spezialität fehlt es nicht an der von Amts wegen zu berücksichtigenden Verfahrensvoraussetzung eines wirksamen Eröffnungsbeschlusses. Der Umstand, dass zum Zeitpunkt des Eröffnungsbeschlusses die Taten in den Fällen 9 und 14 bis 19 der Urteils- gründe im Hinblick auf den Spezialitätsgrundsatz nach Art. 14 EuAlÜbk nicht verfolgt werden durften, steht der Wirksamkeit des Eröffnungsbeschlusses auch hinsichtlich dieser Taten nicht entgegen.
39
(1) Der Spezialitätsgrundsatz gebietet den Strafverfolgungsbehörden und Gerichten des ersuchenden Staates nach einer Auslieferung nicht, jegliche Untersuchungshandlungen im Hinblick auf solche Taten einzustellen, die von der Auslieferungsbewilligung nicht umfasst sind. Insbesondere ergibt sich aus dem Spezialitätsgrundsatz kein Befassungsverbot für die nicht von der Auslieferungsbewilligung erfassten Taten. Vielmehr bestimmt sich die Reichweite der Beschränkung der Hoheitsrechte für die Bundesrepublik Deutschland durch den Grundsatz der Spezialität im vorliegenden Fall allein nach dem der Auslieferung des Angeklagten zugrunde liegenden Art. 14 EuAlÜbk.
40
(2) Der Senat braucht nicht zu klären, wie weit der Kreis der durch den Spezialitätsgrundsatz verbotenen Untersuchungshandlungen reicht (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 10. Januar 2007 - 5 StR 305/06, NStZ 2007, 345 mit abl. Anm. Lagodny sowie OLG Zweibrücken, Beschluss vom 25. Februar 1991 - 1 Ws 641-642/90, StV 1993, 37 mit abl. Anm. Lagodny; vgl. auch BGH, Beschluss vom 15. August 1979 - 2 StR 465/79, BGHSt 29, 94 und BGH, Urteil vom 15. April 1987 - 2 StR 697/86, BGHSt 34, 352). Denn jedenfalls war der Eröffnungsbeschluss im vorliegenden Fall nach den Vorgaben des Art. 14 Abs. 2 EuAlÜbk zulässig. Nach dieser Vorschrift darf der ersuchende Staat die erforderlichen Maßnahmen treffen, um nach seinen Rechtsvorschriften die Verjährung zu unterbrechen. Demnach war hier sowohl die Erhebung der öffentlichen Klage (vgl. § 78c Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 StGB) als auch die Eröffnung des Hauptverfahrens (§ 78c Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 StGB) zur Verjährungsunterbrechung zulässig, zumal im vorliegenden Fall wegen des Tatvorwurfs der Steuerhinterziehung die Eröffnung des Hauptverfahrens vor dem Landgericht dazu führte, dass die Verjährung für einen Zeitraum von bis zu fünf Jahren ruhte (vgl. § 78b Abs. 4 StGB).
41
(3) Der Senat ist im Übrigen der Auffassung, dass ein Eröffnungsbeschluss auch dann hinsichtlich aller angeklagter Taten wirksam ist, wenn zum Zeitpunkt der Beschlussfassung für alle oder einzelne Taten ein aus dem Spezialitätsgrundsatz folgendes Verfahrenshindernis besteht, das aber behebbar ist.
42
(a) Nur schwerwiegende Mängel machen einen Eröffnungsbeschluss unwirksam, denn die gänzliche Unwirksamkeit mit der Folge rechtlicher Unbeachtlichkeit einer gerichtlichen Entscheidung kommt allenfalls in seltenen Ausnahmefällen in Betracht (vgl. BGH, Beschluss vom 16. Oktober 1980 - 1 BJs 80/78 - 3, StB 29, 30 und 31/80, NJW 1981, 133 mwN; vgl. auch Paeffgen in SK-StPO, 4. Aufl., § 207 StPO Rn. 23). Sonstige Mängel - selbst das Fehlen eines hinreichenden Tatverdachts (vgl. Stuckenberg in Löwe/ Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 207 Rn. 76) - lassen dagegen die Wirksamkeit eines Eröffnungsbeschlusses unberührt. Fehlt etwa zur Zeit der Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens ein erforderlicher Strafantrag, führt dies nicht zur Unwirksamkeit des Eröffnungsbeschlusses (vgl. BGH, Urteil vom 6. Dezember 1951 - 3 StR 961/51). Vielmehr ist bei Antragsdelikten gemäß § 130 StPO sogar der Erlass eines Haftbefehls zulässig, wenn der für die Verfolgung erforderliche Strafantrag noch nicht gestellt ist, weil insoweit ein noch behebbares Verfahrenshindernis vorliegt.
43
(b) Es besteht kein Anlass, die Frage der Wirksamkeit eines unter Missachtung des Spezialitätsgrundsatzes ergangenen Eröffnungsbeschlusses anders zu beurteilen, wenn - wie hier - dieser Verstoß behebbar ist. Denn das deswegen bestehende (behebbare) Verfahrenshindernis führt nicht dazu, dass der Eröffnungsbeschluss seine Funktion als Verfahrensvoraussetzung nicht erfüllen kann; insbesondere ist die Umgrenzungsfunktion des Eröffnungsbeschlusses gewahrt.
44
Im Hinblick darauf, dass das sich aus der Verletzung des Spezialitätsgrundsatzes ergebende Verfahrenshindernis zu jedem Zeitpunkt durch einen Verzicht des Beschuldigten auf die Wahrung der Spezialitätsbindung oder durch ein erfolgreiches Nachtragsersuchen an den ausliefernden Staat beseitigt werden kann, ist ein Verstoß gegen den Spezialitätsgrundsatz nicht als so schwerwiegend anzusehen, dass er die Unwirksamkeit des Beschlusses als solches nach sich ziehen würde (a.A. Vogler/Walter in Grützner/Pötz/Kreß, Internationaler Rechtshilfeverkehr in Strafsachen, 3. Aufl., Teil I A2 § 72 IRG Rn. 14). Der Einhaltung des Spezialitätsgrundsatzes wird vielmehr dadurch ausreichend Rechnung getragen, dass gemäß § 206a StPO das Verfahren einzustellen ist, wenn das Verfahrenshindernis nicht beseitigt werden kann (vgl. dazu Stuckenberg in Löwe/Rosenberg, 26. Aufl., § 206a StPO Rn. 70).
45
(c) Der Beschluss des 2. Strafsenats vom 15. August 1979 in dem Verfahren 2 StR 465/79 (BGHSt 29, 94) steht dem nicht entgegen. Denn diese Entscheidung bezieht sich nicht auf das Europäische Auslieferungsübereinkommen vom 13. Dezember 1957 (EuAlÜbk), sondern auf eine Auslieferungsbewilligung auf der Grundlage des Auslieferungsvertrags zwischen dem Deutschen Reich und Spanien vom 2. Mai 1878 (RGBl 213), der abweichende Vereinbarungen enthält. Nach dem dortigen Art. 6 darf die ausgelieferte Per- son wegen eines Verbrechens oder Vergehens, wegen dessen die Ausliefe- rung nicht bewilligt worden ist, ohne Nachtragsbewilligung nur dann „zur Untersuchung gezogen und bestraft werden“, wenn sie, nachdem sie wegen der zur Auslieferung führenden Taten bestraft oder endgültig freigesprochen ist, während dreier Monate im Lande bleibt oder nach Verlassen desselben wieder dorthin zurückkehrt. Anders als nach Art. 14 Abs. 1 Buchst. b EuAlÜbk war dort für den Beginn der Schonfrist ein endgültiger Abschluss des Verfahrens, für das die Auslieferung bewilligt wurde, erforderlich.
46
(4) Soweit angenommen wird, eine nachträgliche Bewilligung zur Strafverfolgung oder ein nachträglicher Verzicht auf den Spezialitätsgrundsatz habe keine ex-tunc-Wirkung (vgl. OLG Oldenburg, StV 1995, 13; OLG Dresden, Beschluss vom 4. Dezember 2001 - 1 Ss 463/01, juris), geht dies bereits von einem unzutreffenden Ansatz aus. Prämisse dieser Auffassung ist, dass eine Anklageerhebung und ein Eröffnungsbeschluss unwirksam sind, wenn sie unter Verstoß gegen den Spezialitätsgrundsatz erfolgt sind. Dies ist indes - wie dargelegt - nicht der Fall.

II.


47
Aus den zutreffenden Gründen der Antragsschriften des Generalbundesanwalts vom 3. Mai 2011 und vom 20. Oktober 2011 enthält das angefochtene Urteil zum Schuldspruch und zum Strafausspruch keinen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler; allerdings fehlt es im Urteil an der gemäß § 51 Abs. 1, Abs. 4 Satz 2 StGB gebotenen Anrechnung der von dem Angeklagten in der Schweiz erlittenen Auslieferungshaft auf die verhängte Freiheitsstrafe. Diese muss in der Urteilsformel ebenso zum Ausdruck kommen, wie der festgesetzte Maßstab der Anrechnung. Vorliegend kann der Senat diesen Ausspruch selbst nachholen. Ein anderer Anrechnungsmaßstab als 1 : 1 kommt hier ersichtlich nicht in Betracht (vgl. BGH, Beschluss vom 15. April 2008 - 1 StR 166/08). Nack Wahl Hebenstreit Jäger Sander

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 152/11
vom
9. Februar 2012
in der Strafsache
gegen
wegen Steuerhinterziehung u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 9. Februar 2012 beschlossen
:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
Wuppertal vom 29. Juli 2010 wird als unbegründet verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Steuerhinterziehung in 30 Fällen und wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung in zwei Fällen zu der Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Hiergegen wendet er sich mit seiner auf die Sachrüge gestützten Revision, mit der er gleichzeitig ein Verfahrenshindernis geltend macht. Die Revision ist unbegründet. Der Senat entscheidet auf den Antrag des Generalbundesanwalts vom 20. Oktober 2011 durch Beschluss gemäß § 349 Abs. 2 StPO.
2
Der Erörterung bedarf lediglich Folgendes:

I.

3
Ein Verfahrenshindernis besteht nicht.
4
1. Der Eröffnungsbeschluss genügt den an ihn zu stellenden inhaltlichen Anforderungen.

5
Die Anklageschrift, an die der Eröffnungsbeschluss anknüpft, erfüllt noch ihre Funktion, die hier angeklagten Taten der Hinterziehung von Umsatzsteuer ausreichend zu umschreiben (vgl. zu den Anforderungen an die Darstellung in der Anklageschrift beim Vorwurf der Steuerhinterziehung BGH, Beschluss vom 27. Mai 2009 - 1 StR 665/08, NStZ-RR 2009, 340; siehe auch Weyand in Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, § 385 AO Rn. 19 ff.).
6
a) Eine Anklage ist dann unwirksam mit der Folge, dass das Verfahren wegen Fehlens einer Prozessvoraussetzung einzustellen ist, wenn etwaige Mängel dazu führen, dass die Anklage ihrer Umgrenzungsfunktion nicht genügt (vgl. BGH, Urteil vom 9. August 2011 - 1 StR 194/11 mwN). Mängel der Informationsfunktion berühren ihre Wirksamkeit dagegen nicht (vgl. u.a. BGH, Urteile vom 24. Januar 2012 - 1 StR 412/11 und vom 2. März 2011 - 2 StR 524/10; BGH, Beschluss vom 18. Oktober 2007 - 4 StR 481/07, jeweils mwN); insoweit können Fehler auch noch in der Hauptverhandlung durch Hinweise entsprechend § 265 StPO geheilt werden (vgl. BGH, Urteil vom 28. Oktober 2009 - 1 StR 205/09, NJW 2010, 308 mwN).
7
Genügt der Anklagesatz den Anforderungen an die Wahrung der Umgrenzungsfunktion für sich allein nicht, dürfen die Ausführungen im wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen zur Verdeutlichung und ergänzenden Erläuterung des Anklagesatzes herangezogen werden (BGHSt 46, 130, 134; BGH NStZ 2001, 656, 657; BGHR StPO § 200 Abs. 1 Satz 1 Tat 24; Schneider in KK-StPO, 6. Aufl., § 200 StPO Rn. 30). Voraussetzung hierfür ist jedoch stets, dass sich aus dem Anklagesatz zumindest die Grundlagen einer Tatbeteiligung ergeben. Fehlende Angaben im Anklagesatz können dann aus dem we- sentlichen Ergebnis der Ermittlungen entnommen werden, wenn sie dort eindeutig benannt sind und daraus deutlich wird, dass sich der Verfolgungswille der Staatsanwaltschaft hierauf erstreckt (vgl. BGH, Urteil vom 28. Oktober 2009 - 1 StR 205/09, NJW 2010, 308 mwN).
8
b) Ausgehend von diesen Maßstäben genügt die Anklageschrift den Anforderungen an die Umgrenzungsfunktion, wie in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 3. Mai 2011 zutreffend dargelegt wird. Es waren auch sämtliche abgeurteilten Taten von der Anklage und vom Eröffnungsbeschluss erfasst (zur Reichweite der prozessualen Tat in Fällen der Hinterziehung von Umsatzsteuer vgl. BGH, Urteil vom 17. März 2009 - 1 StR 627/08, BGHSt 53, 221 Rn. 28 ff.).
9
2. Auch im Hinblick auf den Grundsatz der Spezialität besteht kein Verfahrenshindernis.
10
a) Allerdings bestand zum Zeitpunkt der Verurteilung des Angeklagten durch das Landgericht wegen des Grundsatzes der Spezialität hinsichtlich einzelner von der Verurteilung erfasster Delikte ein von Amts wegen zu berücksichtigendes Verfolgungsverbot (Verfahrenshindernis) aus Art. 14 des Europäischen Auslieferungsübereinkommens vom 13. Dezember 1957 (EuAlÜbk), denn der Angeklagte war nicht wegen dieser Delikte von der Schweiz nach Deutschland ausgeliefert worden und hatte auch nicht auf die Einhaltung des Spezialitätsgrundsatzes verzichtet.
11
aa) Der Angeklagte wurde zur Durchführung des Strafverfahrens aus der Schweiz ausgeliefert. Dieser Auslieferung lag ein Haftbefehl vom 8. Mai 2009 zugrunde (der unzutreffend unter dem 8. Mai 2008 datiert). Dieser Haft- befehl erfasste jedoch - wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift vom 3. Mai 2011 zutreffend dargelegt hat - die Lebenssachverhalte nicht, die der Verurteilung in den Fällen 41 bis 50, 53 bis 69 und 74 bis 79 der Urteilsgründe zugrunde liegen.
12
Die Zustimmung des Angeklagten zur vereinfachten Auslieferung ließ den Grundsatz der Spezialität nicht entfallen (vgl. BGH, Beschluss vom 8. August 1989 - 1 StR 296/89, NStE Nr. 5 zu Art. 14 EuAlÜbk). Auch die irre- führende Angabe des Angeklagten in der Hauptverhandlung, er habe „auf den Spezialitätsgrundsatz“ verzichtet (vgl. die dienstlichen Äußerungen der Berufs- richter der Strafkammer), kann das Fehlen dieser formalen Voraussetzung nicht ersetzen.
13
(1) Aus dem Grundsatz der Spezialität ergibt sich für den ersuchenden Staat eine Beschränkung seiner Hoheitsrechte (vgl. dazu Schomburg/ Lagodny/Gleß/Hackner, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 4. Aufl. 2006, Einl. 74). Ihr Umfang bestimmt sich hier nach den Regelungen des EuAlÜbk in Verbindung mit der Auslieferungsbewilligung der Schweiz. Aus Art. 14 Abs. 1 EuAlÜbk ergibt sich, dass der Ausgelieferte „wegen einer anderen , vor der Übergabe begangenen Handlung als derjenigen, die der Auslieferung zugrunde liegt, nur … verfolgt, abgeurteilt, zur Vollstreckung einer Strafe oder Maßregel der Sicherung oder Besserung in Haft gehalten oder einer sonstigen Beschränkung seiner persönlichen Freiheit unterworfen werden“ darf, wenn der Staat, der ihn ausgeliefert hat, zustimmt (Art. 14 Abs. 1 Buchst. a EuAlÜbk) oder wenn nach Verstreichen der Schonfrist des Art. 14 Abs. 1 Buchst. b EuAlÜbk die dort genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Danach durfte der Angeklagte nur wegen solcher vor der Auslieferung begangener Taten bestraft werden, für die die Auslieferung bewilligt wurde (vgl.
BGH, Urteil vom 20. Dezember 1968 - 1 StR 508/67, BGHSt 22, 307; BGH, Urteil vom 11. März 1999 - 4 StR 526/98, NStZ 1999, 363).
14
(2) Zur Reichweite des Grundsatzes der Spezialität gilt Folgendes (vgl. BGH, Beschluss vom 2. November 2010 – 1 StR 544/09 mwN):
15
Der dem Spezialitätsgrundsatz zugrunde liegende Tatbegriff umfasst den gesamten mitgeteilten Lebenssachverhalt, innerhalb dessen der Verfolgte einen oder mehrere Straftatbestände erfüllt haben soll. Im Rahmen dieses historischen Vorgangs sind die Gerichte des ersuchenden Staates nicht gehindert , die Tat abweichend rechtlich oder tatsächlich zu würdigen, soweit insofern ebenfalls Auslieferungsfähigkeit besteht. Auch eine Änderung in der Rechtsauffassung berührt die Hoheitsinteressen des um Auslieferung ersuchten Staates regelmäßig nicht.
16
Dementsprechend steht der Spezialitätsgrundsatz etwa einer Verurteilung wegen Einzeltaten anstelle einer im Auslieferungsersuchen angenommenen fortgesetzten Handlung nicht entgegen. Das Gleiche gilt, wenn der den Haftbefehl erlassende Richter anstatt von Tatmehrheit rechtsfehlerhaft von einer Verknüpfung der Taten im Sinne einer Handlungseinheit ausgegangen ist, sofern die dem Beschuldigten vorgeworfenen Tathandlungen dem Auslieferungsersuchen zu entnehmen sind.
17
Maßgeblich ist insoweit ausgehend von Sinn und Zweck des Spezialitätsgrundsatzes der Verfolgungswille des ersuchenden Staates, wie er für den ersuchten Staat im Auslieferungsverfahren objektiv erkennbar zum Ausdruck gebracht wird. Dem ersuchten Staat steht es frei, bei insoweit bestehenden Unklarheiten oder Unschärfen im Hinblick auf den Tatvorwurf seinerseits um Ergänzung der Darstellung der Handlungen, die Gegenstand des Auslieferungsersuchens sind, zu ersuchen (vgl. Art. 12 Abs. 2 Buchst. b, Art. 13 EuAlÜbk). Sieht er hiervon ab, bringt er mit der unbedingten Bewilligung zum Ausdruck, dass die Auslieferung zur Verfolgung all derjenigen Taten erfolgt, die für alle Verfahrensbeteiligten erkennbar vom Verfolgungswillen des ersuchenden Staats erfasst waren, auch wenn die einzelnen Taten im Auslieferungsverfahren noch nicht näher konkretisiert waren.
18
(3) Auch unter Heranziehung dieser Grundsätze waren die Lebenssachverhalte , die zur Verurteilung in den Fällen 41 bis 50, 53 bis 69 und 74 bis 79 der Urteilsgründe geführt haben, von der Auslieferungsbewilligung auf der Grundlage des dem Auslieferungsverfahren zugrunde liegenden Haftbefehls nicht umfasst.
19
(4) Eine Aburteilung wegen dieser Taten hätte allenfalls dann erfolgen dürfen, wenn der Angeklagte zu Protokoll einer Justizbehörde bzw. eines Richters (vgl. Art. VI Abs. 2 und 3 des Vertrages vom 13. November 1969 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft über die Ergänzung des Europäischen Auslieferungsübereinkommens vom 13. Dezember 1957 und die Erleichterung seiner Anwendung) auf die Einhaltung des Spezialitätsgrundsatzes verzichtet hätte. Dies war jedoch nicht der Fall. Vielmehr ist den Auslieferungsunterlagen zu entnehmen, dass der Angeklagte diesen Verzicht nicht erklärt hat (vgl. SH „Rechtshilfe“ 92 AR 128/09, Bl. 133, 148). Die gegenteilige Behauptung des Angeklagten in der Hauptverhandlung kann die Einhaltung der vorgeschriebenen Form nicht ersetzen.
20
bb) Damit bestand zum Zeitpunkt der Verurteilung ein sich aus Art. 14 EuAlÜbk ergebendes Verfahrenshindernis (vgl. BGH, Urteil vom 29. Oktober 1963 - 1 StR 353/63, BGHSt 19, 118, 119). Die zur Auslieferung aufgrund eines Europäischen Haftbefehls ergangene Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union, nach der sich aus einem Verstoß gegen den Spezialitätsgrundsatz lediglich ein Vollstreckungshindernis und ein Verbot freiheitsbeschränkender Maßnahmen ergibt (EuGH, Urteil vom 1. Dezember 2008 - Rechtssache C-388/08 [Leymann und Pustovarov], NStZ 2010, 35 mit Anm. Heine, vgl. dazu BGH, Beschluss vom 27. Juli 2011 - 4 StR 303/11, NStZ 2012, 100), findet auf die hier vorliegende Auslieferung aus der Schweiz keine Anwendung.
21
cc) Das bestehende Verfahrenshindernis hatte jedoch nicht zur Folge, dass das Strafurteil des Landgerichts insoweit nichtig wäre; vielmehr ist dieses lediglich anfechtbar (vgl. RGSt 72, 77, 78; Schomburg/Hackner in Schomburg /Lagodny/Gleß/Hackner, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 4. Aufl. 2006, § 72 IRG Rn. 28).
22
b) Der Verstoß gegen den Grundsatz der Spezialität führt allerdings auch nicht dazu, dass der Senat das Urteil aufheben und das Verfahren wegen eines Verfahrenshindernisses einstellen müsste. Denn die Beschränkung der Hoheitsrechte der Bundesrepublik Deutschland aufgrund des im EuAlÜbk vereinbarten Spezialitätsgrundsatzes ist hier nachträglich weggefallen, weil der in Art. 14 Abs. 1 Buchst. b EuAlÜbk geregelte Ausnahmefall, bei dem die Spezialitätsbindung wieder entfällt, eingetreten ist.
23
aa) Art. 14 Abs. 1 Buchst. b EuAlÜbk lässt die Verfolgung und Aburteilung von in einer Auslieferungsbewilligung nicht genannten Taten dann zu, wenn der Ausgelieferte, obwohl er die Möglichkeit hatte, das Hoheitsgebiet des Staates, dem er ausgeliefert worden ist, innerhalb von 45 Tagen nach seiner endgültigen Freilassung nicht verlassen hat oder wenn er nach Verlassen dieses Gebiets dorthin zurückgekehrt ist (s. auch Art. 38 Abs. 2 Buchst. b Nr. 1 Schweizerisches IRSG).
24
bb) Diese Voraussetzungen liegen hier vor; der Angeklagte befand sich nach seiner Haftentlassung mehr als 45 Tage auf freiem Fuß und hat die Bundesrepublik Deutschland trotz vorherigen Hinweises auf die sich aus Art. 14 Abs. 1 Buchst. b EuAlÜbk ergebenden Rechtsfolgen nicht verlassen oder ist - was dem gleich steht (vgl. OLG Hamm wistra 1999, 359) - nach einer Ausreise dorthin wieder zurückgekehrt.
25
(1) Im Anschluss an die Urteilsverkündung am 29. Juli 2010 wurde der bereits seit 26. April 2010 außer Vollzug gesetzte Haftbefehl gegen den Angeklagten aufgehoben (PB I Bl. 302, PB II Bl. 600). Damit wurde der Angeklagte im Sinne von Art. 14 Abs. 1 Buchst. b EuAlÜbk i.V.m. Art. VI Abs. 1 SchweizEuAlÜbk -ErgV vom 13. November 1969 endgültig freigelassen.
26
„Endgültig freigelassen“ im Sinne des EuAlÜbk ist der Ausgelieferte dann, wenn ihm nach seiner Entlassung aus dem Gewahrsam des ersuchenden Staates in dem Verfahren, für das die Auslieferung bewilligt worden war, freisteht, das Hoheitsgebiet des ersuchenden Staates zu verlassen und er dazu die tatsächliche Möglichkeit hat (vgl. dazu auch Walter, NStZ 1993, 393). Dies war hier mit Aufhebung des gegen den Angeklagten bestehenden Haftbefehls bei der Urteilsverkündung der Fall. Hierdurch wurde auch die letzte die Bewe- gungsfreiheit des Angeklagten beeinträchtigende Maßnahme durch das Gericht aufgehoben. Ladungen standen angesichts des mit Urteil abgeschlossenen Hauptverfahrens erster Instanz nicht mehr an. Vollstreckungsmaßnahmen konnten im Hinblick auf die vom Angeklagten eingelegte Revision noch nicht ergriffen werden.
27
Einer die Bewegungsfreiheit beeinträchtigenden Maßnahme steht nicht gleich, dass der Angeklagte für den Fall der Rechtskraft des gegen ihn ergangenen erstinstanzlichen Urteils trotz Anrechnung verbüßter Auslieferungs- und Untersuchungshaft (vgl. § 51 Abs. 1 StGB) noch mit der Verbüßung eines Strafrests rechnen musste. Denn bis dahin konnte sich der Angeklagte völlig frei bewegen; eine Auflage, nicht ins Ausland zu reisen, wurde vom Gericht nicht getroffen. Der Umstand, dass der Angeklagte damit letztlich einer Strafverfolgung wegen der zunächst vom Spezialitätsgrundsatz erfassten Tatvorwürfe dauerhaft allenfalls dadurch hätte entgehen können, dass er ausreist und nicht nach Deutschland zurückkehrt, steht der Anwendung von Art. 14 Abs. 1 Buchst. b EuAlÜbk nicht entgegen. Denn diese Lage unterscheidet sich nicht von derjenigen, die bestehen würde, wenn der Angeklagte nicht von der Schweiz nach Deutschland ausgeliefert worden wäre. Auch dann könnte er nicht nach Deutschland zurückkehren, ohne sich einer Strafverfolgung auszusetzen. Diese Situation ist damit allein die Folge der von ihm begangenen Straftaten , nicht der Auslieferung.
28
Der vorliegende Fall ist auch nicht mit der von der Verteidigung angesprochenen Konstellation einer Strafvollstreckung vergleichbar, bei der ein Verurteilter nach Aussetzung der Vollstreckung eines Strafrests zur Bewährung der Aufsicht und Leitung eines Bewährungshelfers unterstellt war, der er sich bei einer Ausreise mit dem Risiko eines Bewährungswiderrufes (vgl. § 56f Abs. 1 Nr. 2 StGB) entziehen müsste (vgl. OLG München NStZ 1993, 392). Eine zur Bewährung ausgesetzte Strafe war gegen den Angeklagten gerade nicht verhängt worden; Weisungen, Auflagen oder sonstige Verhaltensanordnungen für die Dauer des Revisionsverfahrens wurden ebenfalls nicht ausgesprochen und standen daher einer Ausreise auch nicht entgegen. Vielmehr war der zunächst gegen Auflagen außer Vollzug gesetzte Haftbefehl mit Urteilsverkündung ersatzlos aufgehoben worden. Damit konnte sich der Angeklagte frei bewegen und individuell entscheiden, ob er ausreist oder nicht (vgl. auch LG Berlin ZfStrVo 1999, 116).
29
(2) Mit Schreiben vom 12. August 2011, dem Angeklagten zugegangen am 18. August 2011, hat der Vorsitzende des Senats den Angeklagten und seine Verteidiger auf die Rechtswirkungen eines Verbleibs des Angeklagten in der Bundesrepublik Deutschland gemäß der Art. 14 Abs. 1 Buchst. b EuAlÜbk, Art. 38 Abs. 2 Buchst. b Nr. 1 Schweizerisches IRSG hingewiesen.
30
(3) Wie der Senat im Freibeweisverfahren unter Einschaltung der Polizei ermittelt hat, hielt sich der Angeklagte im Oktober 2011 in Deutschland auf. Damit steht fest, dass der Angeklagte nach Ablauf der Schonfrist von 45 Tagen des Art. 14 Abs. 1 Buchst. b EuAlÜbk entweder Deutschland nicht verlassen hatte oder nach einer Ausreise dorthin wieder zurückgekehrt ist. In beiden Fällen entfällt die Spezialitätsbindung (vgl. Schomburg/Hackner in Schomburg /Lagodny/Gleß/Hackner, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 4. Aufl. 2006, § 72 IRG Rn. 15 mwN).
31
(4) Unbeachtlich ist insoweit, dass das Strafverfahren, dessentwegen seine Auslieferung bewilligt worden war, noch nicht endgültig abgeschlossen ist. Eine der Vorschrift des § 11 Abs. 2 Nr. 2 IRG entsprechende diesbezügliche Voraussetzung enthalten weder Art. 14 Abs. 1 Buchst. b EuAlÜbk noch Art. 38 Abs. 2 Buchst. b Nr. 1 Schweizerisches IRSG. Ausreichend für den Wegfall der Spezialitätsbindung ist daher, dass eine - auch nur bedingte - Freilassung erfolgt ist und der Betroffene die Möglichkeit zur Ausreise aus Deutschland hatte. Dies ist hier der Fall.
32
(5) Damit steht fest, dass gemäß Art. 14 Abs. 1 Buchst. b EuAlÜbk, Art. 38 Abs. 2 Buchst. b Nr. 1 Schweizerisches IRSG die Spezialitätsbindung entfallen ist. Der Grundsatz der Spezialität steht somit der Verurteilung des Angeklagten in den Fällen 41 bis 50, 53 bis 69 und 74 bis 79 der Urteilsgründe nicht (mehr) entgegen.
33
c) Der Umstand, dass das Strafverfahren wegen dieser Taten über weite Teile des Verfahrens unter Verstoß gegen das sich aus Art. 14 Abs. 1 EuAlÜbk ergebende Verfolgungs- und Verurteilungsverbot geführt worden ist, hindert eine Verwerfung der Revision des Angeklagten nicht. Er führt insbesondere nicht dazu, dass das Verfahren wiederholt werden müsste.
34
aa) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs können Verfahrenshindernisse auch noch im Revisionsverfahren beseitigt werden (vgl. BGH, Urteil vom 6. Dezember 1951 - 3 StR 961/51 zur Nachholung eines erforderlichen Strafantrags in der Revisionsinstanz; BGH, Urteil vom 26. Juni 1952 - 5 StR 382/52, BGHSt 3, 73; BGH, Beschluss vom 26. Mai 1961 - 2 StR 40/61, BGHSt 16, 225; BGH, Beschluss vom 12. Dezember 2000 - 4 StR 464/00, NJW 2001, 836). Die Beseitigung von behebbaren Verfahrenshindernissen kann dabei aus Gründen der Prozessökonomie (vgl. BGH, Urteil vom 15. März 2000 - 1 StR 483/99, StV 2000, 347) und im Hinblick auf die prozessuale Fürsorgepflicht gegenüber dem Beschuldigten (vgl. dazu Meyer- Goßner, StPO, 54. Aufl., § 206a Rn. 2) sogar geboten sein, um dem Angeklagten eine erneute Anklageerhebung und eine erneute Hauptverhandlung zu ersparen. Auch das Legalitätsprinzip (§ 152 Abs. 2 StPO), das gebietet, wegen aller verfolgbaren Taten einzuschreiten, verlangt, behebbare Verfahrenshindernisse mit den rechtlich dafür zur Verfügung stehenden Mitteln zu beseitigen.
35
bb) Diese Grundsätze gelten auch für Verstöße gegen den Grundsatz der Spezialität.
36
(1) Es ist allgemein anerkannt, dass es bei einem Verstoß gegen den Spezialitätsgrundsatz auch dem Revisionsgericht möglich ist, ein Verfahrenshindernis zu beseitigen, indem es den ausliefernden Staat in einem Nachtragsersuchen um Zustimmung zur Strafverfolgung für die nicht von der Auslieferungsbewilligung erfassten Taten ersucht (vgl. Schomburg/Hackner in Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 4. Aufl. 2006, § 72 IRG Rn. 28b; Grützner/Pötz/Kreß, Internationaler Rechtshilfeverkehr in Strafsachen, 3. Aufl., Teil II S. 16 Vorbem. Rn. 18). Stimmt der ersuchte Staat der Ausdehnung der Strafverfolgung auf die weiteren Taten zu, sind seine Rechte, die mit dem Spezialitätsgrundsatz geschützt werden sollen (Schomburg/Hackner aaO Rn. 13), gewahrt. Allerdings ist dann dem Angeklagten rechtliches Gehör zu gewähren (vgl. Schomburg/Hackner aaO Rn. 28b). Dies ist hier geschehen.
37
(2) In gleicher Weise entfällt die Spezialitätsbindung aus Art. 14 EuAlÜbk dann, wenn der Ausgelieferte noch nachträglich auf die Einhaltung des Grundsatzes der Spezialität verzichtet und sich mit der uneingeschränkten Strafverfolgung einverstanden erklärt (vgl. Art. VI Abs. 2 Schweiz-EuAlÜbk-ErgV vom 13. November 1969). Denn dann beruht die Strafverfolgung insoweit nicht auf der Auslieferung durch den ersuchten Staat, sondern auf der freien Entscheidung des Ausgelieferten, sich auch insoweit dem Strafverfahren zu stellen. Auch in Art. 14 Abs. 1 Buchst. b EuAlÜbk kommt zum Ausdruck, dass die Rechte des ersuchten Staates dann nicht verletzt sind, wenn der Ausgelieferte sich freiwillig der Strafverfolgung des ersuchenden Staates unterwirft. Der Verzicht des ausliefernden Staates auf die Einhaltung des Spezialitätsgrundsatzes ergibt sich damit insoweit bereits aus dem Auslieferungsübereinkommen selbst (vgl. Schomburg/Hackner aaO § 72 IRG Rn. 12a). Zugleich unterstreicht dies die „aktive Beteiligung des Individuums im Rechtshilferecht“ (vgl. Schom- burg/Lagodny/Gleß/Hackner, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 4. Aufl. 2006, Einl. 74 mit Belegen aus weiteren Auslieferungsübereinkommen).
38
(3) Hieraus wird deutlich, dass der in der Verletzung des Spezialitätsgrundsatzes liegende Mangel jederzeit behebbar ist, und zwar sowohl durch ein Tätigwerden des ausliefernden Staates als auch durch ein solches des Ausgelieferten. Damit kann weder der Ausgelieferte noch der ausliefernde Staat für sich allein die nachträgliche Herbeiführung der Verfolgungsvoraussetzungen verhindern. Etwaige Verwertungsverbote für die Ergebnisse des zuvor unter Verstoß gegen den Spezialitätsgrundsatz geführten Verfahrens bestehen nach einer nachträglichen Beseitigung des Verfahrenshindernisses nicht.
39
3. Auch im Hinblick auf den Grundsatz der Spezialität fehlt es nicht an der von Amts wegen zu berücksichtigenden Verfahrensvoraussetzung eines wirksamen Eröffnungsbeschlusses. Der Umstand, dass zum Zeitpunkt des Eröffnungsbeschlusses die Taten in den Fällen 41 bis 50, 53 bis 69 und 74 bis 79 der Urteilsgründe im Hinblick auf den Spezialitätsgrundsatz nach Art. 14 EuAlÜbk nicht verfolgt werden durften, steht der Wirksamkeit des Eröffnungsbeschlusses auch hinsichtlich dieser Taten nicht entgegen.

40
(1) Der Spezialitätsgrundsatz gebietet den Strafverfolgungsbehörden und Gerichten des ersuchenden Staates nach einer Auslieferung nicht, jegliche Untersuchungshandlungen im Hinblick auf solche Taten einzustellen, die von der Auslieferungsbewilligung nicht umfasst sind. Insbesondere ergibt sich aus dem Spezialitätsgrundsatz kein Befassungsverbot für die nicht von der Auslieferungsbewilligung erfassten Taten. Vielmehr bestimmt sich die Reichweite der Beschränkung der Hoheitsrechte für die Bundesrepublik Deutschland durch den Grundsatz der Spezialität im vorliegenden Fall allein nach dem der Auslieferung des Angeklagten zugrunde liegenden Art. 14 EuAlÜbk.
41
(2) Der Senat braucht nicht zu klären, wie weit der Kreis der durch den Spezialitätsgrundsatz verbotenen Untersuchungshandlungen reicht (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 10. Januar 2007 - 5 StR 305/06, NStZ 2007, 345 mit abl. Anm. Lagodny sowie OLG Zweibrücken, Beschluss vom 25. Februar 1991 - 1 Ws 641-642/90, StV 1993, 37 mit abl. Anm. Lagodny; vgl. auch BGH, Beschluss vom 15. August 1979 - 2 StR 465/79, BGHSt 29, 94 und BGH, Urteil vom 15. April 1987 - 2 StR 697/86, BGHSt 34, 352). Denn jedenfalls war der Eröffnungsbeschluss im vorliegenden Fall nach den Vorgaben des Art. 14 Abs. 2 EuAlÜbk zulässig. Nach dieser Vorschrift darf der ersuchende Staat die erforderlichen Maßnahmen treffen, um nach seinen Rechtsvorschriften die Verjährung zu unterbrechen. Demnach war hier sowohl die Erhebung der öffentlichen Klage (vgl. § 78c Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 StGB) als auch die Eröffnung des Hauptverfahrens (§ 78c Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 StGB) zur Verjährungsunterbrechung zulässig, zumal im vorliegenden Fall wegen des Tatvorwurfs der Steuerhinterziehung die Eröffnung des Hauptverfahrens vor dem Landgericht dazu führte, dass die Verjährung für einen Zeitraum von bis zu fünf Jahren ruhte (vgl. § 78b Abs. 4 StGB).

42
(3) Der Senat ist im Übrigen der Auffassung, dass ein Eröffnungsbeschluss auch dann hinsichtlich aller angeklagter Taten wirksam ist, wenn zum Zeitpunkt der Beschlussfassung für alle oder einzelne Taten ein aus dem Spezialitätsgrundsatz folgendes Verfahrenshindernis besteht, das aber behebbar ist.
43
(a) Nur schwerwiegende Mängel machen einen Eröffnungsbeschluss unwirksam, denn die gänzliche Unwirksamkeit mit der Folge rechtlicher Unbeachtlichkeit einer gerichtlichen Entscheidung kommt allenfalls in seltenen Ausnahmefällen in Betracht (vgl. BGH, Beschluss vom 16. Oktober 1980 - 1 BJs 80/78 - 3, StB 29, 30 und 31/80, NJW 1981, 133 mwN; vgl. auch Paeffgen in SK-StPO, 4. Aufl., § 207 StPO Rn. 23). Sonstige Mängel - selbst das Fehlen eines hinreichenden Tatverdachts (vgl. Stuckenberg in Löwe/Rosenberg, StPO, 26. Aufl. § 207 Rn. 76) - lassen dagegen die Wirksamkeit eines Eröffnungsbeschlusses unberührt. Fehlt etwa zur Zeit der Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens ein erforderlicher Strafantrag, führt dies nicht zur Unwirksamkeit des Eröffnungsbeschlusses (vgl. BGH, Urteil vom 6. Dezember 1951 - 3 StR 961/51). Vielmehr ist bei Antragsdelikten gemäß § 130 StPO sogar der Erlass eines Haftbefehls zulässig, wenn der für die Verfolgung erforderliche Strafantrag noch nicht gestellt ist, weil insoweit ein noch behebbares Verfahrenshindernis vorliegt.
44
(b) Es besteht kein Anlass, die Frage der Wirksamkeit eines unter Missachtung des Spezialitätsgrundsatzes ergangenen Eröffnungsbeschlusses anders zu beurteilen, wenn - wie hier - dieser Verstoß behebbar ist. Denn das deswegen bestehende (behebbare) Verfahrenshindernis führt nicht dazu, dass der Eröffnungsbeschluss seine Funktion als Verfahrensvoraussetzung nicht erfüllen kann; insbesondere ist die Umgrenzungsfunktion des Eröffnungsbeschlusses gewahrt.
45
Im Hinblick darauf, dass das sich aus der Verletzung des Spezialitätsgrundsatzes ergebende Verfahrenshindernis zu jedem Zeitpunkt durch einen Verzicht des Beschuldigten auf die Wahrung der Spezialitätsbindung oder durch ein erfolgreiches Nachtragsersuchen an den ausliefernden Staat beseitigt werden kann, ist ein Verstoß gegen den Spezialitätsgrundsatz nicht als so schwerwiegend anzusehen, dass er die Unwirksamkeit des Beschlusses als solches nach sich ziehen würde (a.A. Vogler/Walter in Grützner/Pötz/Kreß, Internationaler Rechtshilfeverkehr in Strafsachen, 3. Aufl., Teil I A2 § 72 IRG Rn. 14). Der Einhaltung des Spezialitätsgrundsatzes wird vielmehr dadurch ausreichend Rechnung getragen, dass gemäß § 206a StPO das Verfahren einzustellen ist, wenn das Verfahrenshindernis nicht beseitigt werden kann (vgl. dazu Stuckenberg in Löwe/Rosenberg, 26. Aufl., § 206a StPO Rn. 70).
46
(c) Der Beschluss des 2. Strafsenats vom 15. August 1979 in dem Verfahren 2 StR 465/79 (BGHSt 29, 94) steht dem nicht entgegen. Denn diese Entscheidung bezieht sich nicht auf das Europäische Auslieferungsübereinkommen vom 13. Dezember 1957 (EuAlÜbk), sondern auf eine Auslieferungsbewilligung auf der Grundlage des Auslieferungsvertrags zwischen dem Deutschen Reich und Spanien vom 2. Mai 1878 (RGBl 213), der abweichende Vereinbarungen enthält. Nach dem dortigen Art. 6 darf die ausgelieferte Person wegen eines Verbrechens oder Vergehens, wegen dessen die Auslieferung nicht bewilligt worden ist, ohne Nachtragsbewilligung nur dann „zur Untersu- chung gezogen und bestraft werden“, wenn sie, nachdem sie wegen der zur Auslieferung führenden Taten bestraft oder endgültig freigesprochen ist, während dreier Monate im Lande bleibt oder nach Verlassen desselben wieder dorthin zurückkehrt. Anders als nach Art. 14 Abs. 1 Buchst. b EuAlÜbk war dort für den Beginn der Schonfrist ein endgültiger Abschluss des Verfahrens, für das die Auslieferung bewilligt wurde, erforderlich.
47
(4) Soweit angenommen wird, eine nachträgliche Bewilligung zur Strafverfolgung oder ein nachträglicher Verzicht auf den Spezialitätsgrundsatz habe keine ex-tunc-Wirkung (vgl. OLG Oldenburg, StV 1995, 13; OLG Dresden, Beschluss vom 4. Dezember 2001 - 1 Ss 463/01, juris), geht dies bereits von einem unzutreffenden Ansatz aus. Prämisse dieser Auffassung ist, dass eine Anklageerhebung und ein Eröffnungsbeschluss unwirksam sind, wenn sie unter Verstoß gegen den Spezialitätsgrundsatz erfolgt sind. Dies ist indes - wie dargelegt - nicht der Fall.

II.


48
Aus den zutreffenden Gründen der Antragsschriften des Generalbundesanwalts vom 3. Mai 2011 und vom 20. Oktober 2011 enthält das angefochtene Urteil zum Schuldspruch und zum Strafausspruch keinen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler (§ 349 Abs. 2 StPO).
49
Auch die Verurteilung des Angeklagten in den Fällen 52 bis 66 der Urteilsgründe betreffend die O. GmbH hat Bestand. Insbesondere ist es angesichts der Urteilsfeststellungen nicht zu beanstanden, dass das Landgericht gemäß § 18 Abs. 2 Satz 4 UStG als Voranmeldungszeitraum den Kalendermonat angenommen hat (vgl. auch Stadie in Rau/Dürrwächter, Umsatzsteuergesetz, 8. Aufl., 146. Lfg. April 2011, § 18 UStG Rn. 73). Soweit die Rechnungen der O. GmbH für die Monate Januar, Februar und April 2009 nicht einzeln in den Urteilsgründen aufgelistet worden sind, stellt dies keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten in der Beweiswürdigung dar. Die Urteilsgründe belegen, dass die Steuerfahndungsbeamten R. und K. die bei mehreren Durchsuchungen aufgefundenen Rechnungen gesichtet und die einzelnen Rechnungsbeträge wie auch die auf UA S. 28 aufgelisteten Summen dieser Beträge als Zeugen in die Hauptverhandlung eingeführt haben. Das Landgericht durfte diese Angaben als glaubhaft werten und die summierten Beträge dem Urteil zugrunde legen, zu- mal die Angeklagten gegen das „Zahlenwerk“ keine Einwände erhoben haben (UA S. 80).

III.


50
Die von der Verteidigung mit Schriftsatz vom 27. November 2011 behauptete Verfahrensverzögerung im Revisionsverfahren seit August 2011 liegt nicht vor. Zwar wurden bereits am 10. August 2011 die Revisionen der Mitangeklagten F. und S. als unbegründet verworfen. Bei diesen Revisionen stellte sich allerdings nicht die Frage eines Verfahrenshindernisses wegen Verstoßes gegen den Grundsatz der Spezialität gemäß Art. 14 EuAlÜbk.
51
Entgegen der Auffassung der Revision begründet es keine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung, dass der Senat keine Teileinstellung gemäß § 206a StPO wegen des sich aus einem Verstoß gegen den Spezialitätsgrundsatz ergebenden Verfahrenshindernisses vorgenommen hat. Vielmehr war die Beseitigung des behebbaren Verfahrenshindernisses im Revisionsverfahren aus Gründen der Prozessökonomie (vgl. BGH, Urteil vom 15. März 2000 - 1 StR 483/99, StV 2000, 347) und im Hinblick auf die prozessuale Fürsorge- pflicht gegenüber dem Angeklagten (vgl. dazu Meyer-Goßner, StPO, 54. Aufl., § 206a Rn. 2) nicht nur sachgerecht, sondern sogar geboten. Denn es war angezeigt , das Verfahrenshindernis bereits in der Revisionsinstanz zu beseitigen, um dem Angeklagten zu ersparen, nach einer Teileinstellung des Verfahrens und erneuten Anklageerhebung, die im Hinblick auf Art. 14 Abs. 1 Buchst. b EuAlÜbk möglich war, nochmals einer Hauptverhandlung wegen derselben Tatvorwürfe ausgesetzt zu werden. Hierzu bedurfte es aber zunächst eines Hinweises an den Angeklagten auf die Rechtswirkungen des Ablaufs der Schonfrist des Art. 14 Abs. 1 Buchst. b EuAlÜbk und einer anschließenden Überprüfung durch den Senat im Freibeweisverfahren, ob der Angeklagte innerhalb der Schonfrist das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland verlassen hat.
52
Auf den sodann der neuen Situation angepassten Revisionsantrag des Generalbundesanwalts vom 20. Oktober 2011 hin hat die Verteidigung, die - nachdem der Angeklagte in der Hauptverhandlung behauptet hatte, „auf den Spezialitätsgrundsatz“ verzichtet zu haben- in ihrer ursprünglichen Revisionsbegründung einen möglichen (von Amts wegen zu beachtenden) Verstoß gegen den Spezialitätsgrundsatz nicht angesprochen hatte, am 27. November 2011 in einem vierzehnseitigen Schriftsatz diesem Antrag widersprochen und dabei zu den sich aus dem Spezialitätsgrundsatz ergebenden Fragen erstmals umfangreiche rechtliche Erwägungen angestellt. Diese mussten vom Senat sorgfältig geprüft werden, bevor eine Entscheidung ergehen konnte. Im Hinblick darauf, dass der Angeklagte sich im Revisionsverfahren auf freiem Fuß befand, sind im Übrigen unabhängig davon, dass ihm eine neue Hauptverhandlung erspart wurde, seine zusätzlichen Belastungen durch die Verfahrensdauer seit August 2011 gering.
Nack Wahl Hebenstreit Jäger Sander

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 165/12
vom
25. Oktober 2012
in der Strafsache
gegen
wegen Steuerhinterziehung u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Angeklagten
und des Generalbundesanwalts am 25. Oktober 2012 beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Berlin vom 30. September 2011 wird das Verfahren in entsprechender Anwendung des § 205 StPO vorläufig eingestellt. 2. Der Staatsanwaltschaft Berlin wird Gelegenheit gegeben, binnen einer Frist von zwei Monaten gerechnet ab Zugang dieses Beschlusses mitzuteilen, ob ein Nachtragsersuchen entsprechend Art. 14 Abs. 1 Buchst. a EuAlÜbk an die zuständigen Behörden der Republik Südafrika auf den Weg gebracht wurde , in dem um Zustimmung zur Strafverfolgung wegen der im Haftbefehl des Amtsgerichts Tiergarten in Berlin vom 23. Juli 2007 genannten Taten ersucht wird.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gewerbs- und bandenmäßigen Betrugs in Tateinheit mit Steuerhinterziehung sowie wegen gewerbs- und bandenmäßiger Urkundenfälschung in Tateinheit mit Steuerhinterziehung zu der Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Jahren verurteilt. Mit seiner hiergegen gerichteten Revision rügt er die Verletzung materiellen Rechts und macht insbesondere einen Verstoß gegen den Spezialitätsgrundsatz bei Auslieferungen geltend.
2
1. Das Verfahren ist wegen des Grundsatzes der Spezialität (nachfolgend a), der hier ein noch behebbares Verfahrenshindernis begründet (nachfolgend b), in entsprechender Anwendung des § 205 StPO vorläufig einzustellen (nachfolgend c).
3
a) Aus dem in Art. 14 des Europäischen Auslieferungsübereinkommens vom 13. Dezember 1957 (EuAlÜbk), das im Rechtshilfeverkehr mit der Republik Südafrika Anwendung findet (vgl. dazu auch BGBl. II 2003, 1783), normierten Grundsatz der Spezialität ergibt sich hier ein bereits von Amts wegen zu berücksichtigendes Verfolgungsverbot (Verfahrenshindernis).
4
aa) Folgendes liegt zugrunde:
5
Gegen den Angeklagten wurde wegen einer nach einem Bewährungswiderruf zu vollstreckenden Restfreiheitsstrafe am 9. Januar 2004 ein Vollstreckungshaftbefehl erlassen. Des Weiteren hat das Amtsgericht Tiergarten in Berlin am 23. Juli 2007 einen Haftbefehl gegen den Angeklagten wegen der hier verfahrensgegenständlichen Taten erlassen. Nach Ergreifen des Angeklagten in der Republik Südafrika haben die Staatsanwaltschaft und die Generalstaatsanwaltschaft Berlin beim Bundesamt für Justiz ein auf beide Haftbefehle gestütztes Auslieferungsersuchen angeregt. Nachdem ein Auslieferungsersuchen durch Verbalnoten der Deutschen Botschaft in Pretoria Nr. 532/2009 und - erinnernd - Nr. 599/2009 den südafrikanischen Behörden übermittelt worden waren, teilte die Hauptabteilung „Konsulardienste“ des Ministeriums für Interna- tionale Beziehungen und Zusammenarbeit der Republik Südafrika der Deutschen Botschaft in Pretoria unter Bezugnahme auf die vorgenannten Verbalnoten am 28. September 2010 mit, dass die Verfügung des Ministers für Justiz für die Übergabe des Angeklagten vorliege und der Angeklagte in Kapstadt den deutschen Behörden übergeben werde, was dann auch geschah. Die ange- sprochene, auf Art. 11(a) des Südafrikanischen Auslieferungsgesetzes von 1962 (Gesetz Nr. 67 aus 1962) gestützte Verfügung des Ministers für Justiz der Republik Südafrika vom 14. September 2010 nimmt ausschließlich Bezug darauf , dass der Angeklagte zur Vollstreckung der Restfreiheitsstrafe ausgeliefert werde.
6
bb) Das Landgericht ist der Auffassung, der Spezialitätsgrundsatz stehe dessen ungeachtet einer Verurteilung nicht entgegen, da das Schreiben an die Deutsche Botschaft in Pretoria vom 28. September 2010 einzig maßgeblich sei und keine Beschränkung oder teilweise Ablehnung der Auslieferung (vgl. Art. 18 Abs. 2 EuAlÜbk) enthalte.
7
cc) Aus dem Grundsatz der Spezialität ergibt sich für den ersuchenden Staat eine Beschränkung seiner Hoheitsrechte (vgl. Hackner in Schomburg/ Lagodny/Gleß/Hackner, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 5. Aufl., § 72 IRG Rn. 2). Nach Art. 14 Abs. 1 EuAlÜbk darf der Ausgelieferte „wegen einer anderen, vor der Übergabe begangenen Handlung als derjenigen, die der Aus- lieferung zugrunde liegt, nur … verfolgt, abgeurteilt, zur Vollstreckung einer Strafe oder Maßregel der Sicherung oder Besserung in Haft gehalten oder einer sonstigen Beschränkung seiner persönlichen Freiheit unterworfen werden“, wenn der Staat, der ihn ausgeliefert hat, zustimmt (Art. 14 Abs. 1 Buchst. a EuAlÜbk) oder wenn nach Verstreichen der Schonfrist des Art. 14 Abs. 1 Buchst. b EuAlÜbk die dort genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Danach durfte der Angeklagte nur wegen solcher vor der Auslieferung begangener Taten bestraft werden, für die die Auslieferung bewilligt worden war (vgl. BGH, Urteil vom 20. Dezember 1968 - 1 StR 508/67, BGHSt 22, 307; BGH, Urteil vom 11. März 1999 - 4 StR 526/98, NStZ 1999, 363). Die zur Auslieferung aufgrund eines Europäischen Haftbefehls ergangene Rechtsprechung des Ge- richtshofs der Europäischen Union, nach der sich aus einem Verstoß gegen den Spezialitätsgrundsatz lediglich ein Vollstreckungshindernis und ein Verbot freiheitsbeschränkender Maßnahmen ergibt (EuGH, Urteil vom 1. Dezember 2008 - Rechtssache C-388/08 [Leymann und Pustovarov], NStZ 2010, 35 mit Anm. Heine, vgl. dazu BGH, Beschluss vom 27. Juli 2011 - 4 StR 303/11, NStZ 2012, 100), findet auf die hier vorliegende Auslieferung aus der Republik Südafrika keine Anwendung.
8
Der Umfang der Spezialitätsbindung des um Auslieferung ersuchenden Staates bestimmt sich nach den Regelungen des EuAlÜbk in Verbindung mit der Auslieferungsbewilligung. Im Ansatz zutreffend geht das Landgericht dabei davon aus, dass jede vollständige oder teilweise Ablehnung einer beantragten Auslieferung vom ersuchten Staat zu begründen ist (Art. 18 Abs. 2 EuAlÜbk). Wird eine Teilablehnung vom ersuchten Staat nicht zum Ausdruck gebracht, kann daher die Auslieferung als im beantragten Umfang bewilligt angesehen werden (vgl. hierzu auch BGH, Urteil vom 26. Oktober 1999 - 1 StR 109/99, NJW 2000, 370). Unbeschadet der Frage, ob hierbei - dem Landgericht folgend - ausschließlich auf die auf eine Auslieferungsbewilligung hinweisende Mitteilung an die deutschen Behörden abgestellt werden kann (zur Maßgeblichkeit der Auslieferungsbewilligung vgl. BGH, Beschluss vom 27. November 2003 - 3 StR 221/03), bestimmt sich in diesen Fällen der Umfang der bewilligten Auslieferung nach dem Inhalt des Rechtshilfeersuchens. Der ersuchte Staat muss zweifelsfrei erkennen können, inwieweit vom ersuchenden Staat Auslieferung begehrt wird.
9
Der Umfang der Auslieferungsbewilligung war zunächst unklar. Da der genaue Inhalt des den Behörden der Republik Südafrika letztlich übermittelten Ersuchens weder den Urteilsgründen noch dem Akteninhalt zu entnehmen war, ist der Senat dieser Frage im Freibeweisverfahren nachgegangen. Dabei hat das Ministerium für Justiz der Republik Südafrika den Umfang der Auslieferungsbewilligung nun klargestellt. Es hat über die Deutsche Botschaft in Pretoria , das Auswärtige Amt und das Bundesministerium der Justiz mitgeteilt, das Ausgangsersuchen („initial request“) sei nicht in dem Sinn verstanden worden, dass auch für die im Haftbefehl vom 23. Juli 2007 genannten Taten Auslieferung begehrt werde; dementsprechend sei die Auslieferungsbewilligung nur auf die Vollstreckung der Reststrafe beschränkt gewesen. Damit kann der Auslieferungsbewilligung nicht die ihr vom Landgericht bezüglich der Tatvorwürfe aus dem Haftbefehl des Amtsgerichts Tiergarten in Berlin vom 23. Juli 2007 beigemessene Bedeutung zuerkannt werden.
10
b) Das bestehende Verfahrenshindernis hat jedoch nicht zur Folge, dass das Strafurteil des Landgerichts nichtig wäre; vielmehr ist dieses lediglich anfechtbar (vgl. RGSt 72, 77, 78; Hackner in Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, aaO, § 72 IRG Rn. 28). Auch kann der Verstoß gegen den Grundsatz der Spezialität jedenfalls derzeit nicht dazu führen, dass der Senat das Verfahren gemäß § 206a StPO wegen eines Verfahrenshindernisses einstellen müsste. Denn ein solcher Verstoß begründet lediglich ein auch noch in der Revisionsinstanz behebbares Verfahrenshindernis, zumal auch der Eröffnungsbeschluss ebenfalls nicht nichtig ist (vgl. BGH, Beschlüsse vom 9. Februar 2012 - 1 StR 148/11, BGHSt 57, 138 und 1 StR 152/11 jeweils mwN).
11
aa) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs können Verfahrenshindernisse auch noch im Revisionsverfahren beseitigt werden (vgl. BGH, Urteil vom 6. Dezember 1951 - 3 StR 961/51 zur Nachholung eines erforderlichen Strafantrags in der Revisionsinstanz; BGH, Urteil vom 26. Juni 1952 - 5 StR 382/52, BGHSt 3, 73; BGH, Beschluss vom 26. Mai 1961 - 2 StR 40/61, BGHSt 16, 225; BGH, Beschluss vom 12. Dezember 2000 - 4 StR 464/00, NJW 2001, 836). Die Beseitigung von behebbaren Verfahrenshindernissen kann dabei aus Gründen der Prozessökonomie (vgl. BGH, Urteil vom 15. März 2000 - 1 StR 483/99, StV 2000, 347) und im Hinblick auf die prozessuale Fürsorgepflicht gegenüber dem Beschuldigten (vgl. dazu MeyerGoßner , StPO, 55. Aufl., § 206a Rn. 2) sogar geboten sein, um dem Angeklagten eine erneute Anklageerhebung und eine erneute Hauptverhandlung zu ersparen. Auch das Legalitätsprinzip (§ 152 Abs. 2 StPO) kann eine Beseitigung behebbarer Verfahrenshindernisse mit den rechtlich dafür zur Verfügung stehenden Mitteln gebieten.
12
bb) Diese Grundsätze gelten auch für Verstöße gegen den Grundsatz der Spezialität (BGH, Beschlüsse vom 9. Februar 2012 - 1 StR 148/11 und 1 StR 152/11, aaO). Es ist allgemein anerkannt, dass es bei einem Verstoß gegen den Spezialitätsgrundsatz auch dem Revisionsgericht möglich ist, ein Verfahrenshindernis zu beseitigen, indem es den ausliefernden Staat in einem Nachtragsersuchen um Zustimmung zur Strafverfolgung für die nicht von der Auslieferungsbewilligung erfassten Taten ersucht (vgl. Hackner in aaO, § 72 IRG Rn. 28b). Stimmt der ersuchte Staat der Ausdehnung der Strafverfolgung auf die weiteren Taten zu, sind seine Rechte, die mit dem Spezialitätsgrundsatz geschützt werden sollen (Hackner in Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, aaO, § 72 Rn. 13), gewahrt.
13
In gleicher Weise kann die Spezialitätsbindung aus Art. 14 EuAlÜbk entfallen , wenn der Ausgelieferte noch nachträglich auf die Einhaltung des Grundsatzes der Spezialität verzichtet und sich mit der uneingeschränkten Strafverfolgung einverstanden erklärt oder wenn - was Art. 14 Abs. 1 Buchst. b EuAlÜbk ausdrücklich zulässt - der Ausgelieferte, obwohl er die Möglichkeit hatte, das Hoheitsgebiet des Staates, dem er ausgeliefert worden ist, innerhalb von 45 Tagen nach seiner endgültigen Freilassung nicht verlassen hat oder er nach Verlassen dieses Gebiets dorthin zurückgekehrt ist und er auf die sich daraus ergebenden Rechtsfolgen bei seiner Freilassung hingewiesen worden war (vgl. dazu BGH, Beschlüsse vom 9. Februar 2012 - 1 StR 148/11 und 1 StR 152/11, aaO).
14
c) Hiervon ausgehend ist das Verfahren in entsprechender Anwendung des § 205 StPO vorläufig einzustellen.
15
Voraussetzung einer - vom Angeklagten begehrten - Einstellung nach § 206a Abs. 1 StPO wäre das Bestehen eines dauerhaften Verfahrenshindernisses; ein zeitiges, behebbares Hindernis berechtigt nicht, nach § 206a StPO vorzugehen (vgl. BGH, Urteil vom 14. Dezember 1995 - 5 StR 208/95; OLG Hamburg, Beschluss vom 4. März 1969 - 2 Ws 588/68, NJW 1969, 998; Ritscher in BeckOK-StPO, Ed. 14, § 206a Rn. 1; Schneider in KK-StPO, 6. Aufl., § 206a Rn. 1). Vielmehr ist bei einem – wie hier – noch behebbaren Verfahrenshindernis eine vorläufige Einstellung angezeigt, die ihre Grundlage in § 205 StPO findet, der für nicht in der Person des Angeklagten liegende Hindernisse (so diesen nicht anderweitig begegnet werden kann) entsprechend (vgl. MeyerGoßner , StPO, 55. Aufl., § 206a Rn. 8) und auch im Revisionsverfahren anwendbar ist (vgl. Stuckenberg in LR-StPO, 26. Aufl., § 205 Rn. 10 mN).
16
2. Die Vorläufigkeit der Einstellung entfällt und das Verfahren ist endgültig einzustellen (§ 206a StPO), wenn sich herausstellt, dass das Verfahrenshindernis dauerhaft ist. Um hierüber innerhalb einer - auch gemessen an Art. 6 Abs. 1 EMRK - angemessenen Zeit entscheiden zu können, gibt der Senat der Staatsanwaltschaft Gelegenheit, zeitnah ein Nachtragsersuchen zu stellen, wie dies schon die südafrikanischen Behörden angeregt hatten. Wird ein solches Nachtragsersuchen nicht gestellt und ist die Spezialitätsbindung binnen gesetzter Frist nicht aus anderen Gründen entfallen, ist das Verfahren nach § 206a StPO endgültig einzustellen.
17
3. Weitergehende Entscheidungen durch den Senat sind derzeit nicht veranlasst. Dem Bestand des Haftbefehls des Amtsgerichts Tiergarten vom 23. Juli 2007 steht weder die vorläufige Einstellung nach § 205 StPO entgegen (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 55. Aufl., § 205 Rn. 1), noch der Verstoß gegen den Spezialitätsgrundsatz (vgl. Vogel/Burchhard in Grützner/Pötz/Kreß, Internationaler Rechtshilfeverkehr in Strafsachen, 3. Aufl., IRG, § 11 Rn. 67). Ein bestehender - und auch für Nachtragsersuchen zulässiger (vgl. Hackner in Schomburg /Lagodny/Gleß/Hackner, aaO, § 72 Rn. 23) - Haftbefehl kann allerdings nicht länger Grundlage freiheitsbeschränkender Maßnahmen sein, solange der Spezialitätsgrundsatz nicht gewahrt ist. Eine Außervollzugsetzung des Haftbefehls (ohne Auflagen, vgl. Art. 14 EuAlÜbk) ist dem Senat verwehrt (vgl. § 126 Abs. 3 i.V.m. § 120 Abs. 1 StPO); das insoweit zuständige Landgericht wird von vorliegender Entscheidung unmittelbar unterrichtet.
Nack Wahl Rothfuß
Graf Jäger

Steht der Hauptverhandlung für längere Zeit die Abwesenheit des Angeschuldigten oder ein anderes in seiner Person liegendes Hindernis entgegen, so kann das Gericht das Verfahren durch Beschluß vorläufig einstellen. Der Vorsitzende sichert, soweit nötig, die Beweise.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 165/12
vom
25. Oktober 2012
in der Strafsache
gegen
wegen Steuerhinterziehung u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Angeklagten
und des Generalbundesanwalts am 25. Oktober 2012 beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Berlin vom 30. September 2011 wird das Verfahren in entsprechender Anwendung des § 205 StPO vorläufig eingestellt. 2. Der Staatsanwaltschaft Berlin wird Gelegenheit gegeben, binnen einer Frist von zwei Monaten gerechnet ab Zugang dieses Beschlusses mitzuteilen, ob ein Nachtragsersuchen entsprechend Art. 14 Abs. 1 Buchst. a EuAlÜbk an die zuständigen Behörden der Republik Südafrika auf den Weg gebracht wurde , in dem um Zustimmung zur Strafverfolgung wegen der im Haftbefehl des Amtsgerichts Tiergarten in Berlin vom 23. Juli 2007 genannten Taten ersucht wird.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gewerbs- und bandenmäßigen Betrugs in Tateinheit mit Steuerhinterziehung sowie wegen gewerbs- und bandenmäßiger Urkundenfälschung in Tateinheit mit Steuerhinterziehung zu der Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Jahren verurteilt. Mit seiner hiergegen gerichteten Revision rügt er die Verletzung materiellen Rechts und macht insbesondere einen Verstoß gegen den Spezialitätsgrundsatz bei Auslieferungen geltend.
2
1. Das Verfahren ist wegen des Grundsatzes der Spezialität (nachfolgend a), der hier ein noch behebbares Verfahrenshindernis begründet (nachfolgend b), in entsprechender Anwendung des § 205 StPO vorläufig einzustellen (nachfolgend c).
3
a) Aus dem in Art. 14 des Europäischen Auslieferungsübereinkommens vom 13. Dezember 1957 (EuAlÜbk), das im Rechtshilfeverkehr mit der Republik Südafrika Anwendung findet (vgl. dazu auch BGBl. II 2003, 1783), normierten Grundsatz der Spezialität ergibt sich hier ein bereits von Amts wegen zu berücksichtigendes Verfolgungsverbot (Verfahrenshindernis).
4
aa) Folgendes liegt zugrunde:
5
Gegen den Angeklagten wurde wegen einer nach einem Bewährungswiderruf zu vollstreckenden Restfreiheitsstrafe am 9. Januar 2004 ein Vollstreckungshaftbefehl erlassen. Des Weiteren hat das Amtsgericht Tiergarten in Berlin am 23. Juli 2007 einen Haftbefehl gegen den Angeklagten wegen der hier verfahrensgegenständlichen Taten erlassen. Nach Ergreifen des Angeklagten in der Republik Südafrika haben die Staatsanwaltschaft und die Generalstaatsanwaltschaft Berlin beim Bundesamt für Justiz ein auf beide Haftbefehle gestütztes Auslieferungsersuchen angeregt. Nachdem ein Auslieferungsersuchen durch Verbalnoten der Deutschen Botschaft in Pretoria Nr. 532/2009 und - erinnernd - Nr. 599/2009 den südafrikanischen Behörden übermittelt worden waren, teilte die Hauptabteilung „Konsulardienste“ des Ministeriums für Interna- tionale Beziehungen und Zusammenarbeit der Republik Südafrika der Deutschen Botschaft in Pretoria unter Bezugnahme auf die vorgenannten Verbalnoten am 28. September 2010 mit, dass die Verfügung des Ministers für Justiz für die Übergabe des Angeklagten vorliege und der Angeklagte in Kapstadt den deutschen Behörden übergeben werde, was dann auch geschah. Die ange- sprochene, auf Art. 11(a) des Südafrikanischen Auslieferungsgesetzes von 1962 (Gesetz Nr. 67 aus 1962) gestützte Verfügung des Ministers für Justiz der Republik Südafrika vom 14. September 2010 nimmt ausschließlich Bezug darauf , dass der Angeklagte zur Vollstreckung der Restfreiheitsstrafe ausgeliefert werde.
6
bb) Das Landgericht ist der Auffassung, der Spezialitätsgrundsatz stehe dessen ungeachtet einer Verurteilung nicht entgegen, da das Schreiben an die Deutsche Botschaft in Pretoria vom 28. September 2010 einzig maßgeblich sei und keine Beschränkung oder teilweise Ablehnung der Auslieferung (vgl. Art. 18 Abs. 2 EuAlÜbk) enthalte.
7
cc) Aus dem Grundsatz der Spezialität ergibt sich für den ersuchenden Staat eine Beschränkung seiner Hoheitsrechte (vgl. Hackner in Schomburg/ Lagodny/Gleß/Hackner, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 5. Aufl., § 72 IRG Rn. 2). Nach Art. 14 Abs. 1 EuAlÜbk darf der Ausgelieferte „wegen einer anderen, vor der Übergabe begangenen Handlung als derjenigen, die der Aus- lieferung zugrunde liegt, nur … verfolgt, abgeurteilt, zur Vollstreckung einer Strafe oder Maßregel der Sicherung oder Besserung in Haft gehalten oder einer sonstigen Beschränkung seiner persönlichen Freiheit unterworfen werden“, wenn der Staat, der ihn ausgeliefert hat, zustimmt (Art. 14 Abs. 1 Buchst. a EuAlÜbk) oder wenn nach Verstreichen der Schonfrist des Art. 14 Abs. 1 Buchst. b EuAlÜbk die dort genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Danach durfte der Angeklagte nur wegen solcher vor der Auslieferung begangener Taten bestraft werden, für die die Auslieferung bewilligt worden war (vgl. BGH, Urteil vom 20. Dezember 1968 - 1 StR 508/67, BGHSt 22, 307; BGH, Urteil vom 11. März 1999 - 4 StR 526/98, NStZ 1999, 363). Die zur Auslieferung aufgrund eines Europäischen Haftbefehls ergangene Rechtsprechung des Ge- richtshofs der Europäischen Union, nach der sich aus einem Verstoß gegen den Spezialitätsgrundsatz lediglich ein Vollstreckungshindernis und ein Verbot freiheitsbeschränkender Maßnahmen ergibt (EuGH, Urteil vom 1. Dezember 2008 - Rechtssache C-388/08 [Leymann und Pustovarov], NStZ 2010, 35 mit Anm. Heine, vgl. dazu BGH, Beschluss vom 27. Juli 2011 - 4 StR 303/11, NStZ 2012, 100), findet auf die hier vorliegende Auslieferung aus der Republik Südafrika keine Anwendung.
8
Der Umfang der Spezialitätsbindung des um Auslieferung ersuchenden Staates bestimmt sich nach den Regelungen des EuAlÜbk in Verbindung mit der Auslieferungsbewilligung. Im Ansatz zutreffend geht das Landgericht dabei davon aus, dass jede vollständige oder teilweise Ablehnung einer beantragten Auslieferung vom ersuchten Staat zu begründen ist (Art. 18 Abs. 2 EuAlÜbk). Wird eine Teilablehnung vom ersuchten Staat nicht zum Ausdruck gebracht, kann daher die Auslieferung als im beantragten Umfang bewilligt angesehen werden (vgl. hierzu auch BGH, Urteil vom 26. Oktober 1999 - 1 StR 109/99, NJW 2000, 370). Unbeschadet der Frage, ob hierbei - dem Landgericht folgend - ausschließlich auf die auf eine Auslieferungsbewilligung hinweisende Mitteilung an die deutschen Behörden abgestellt werden kann (zur Maßgeblichkeit der Auslieferungsbewilligung vgl. BGH, Beschluss vom 27. November 2003 - 3 StR 221/03), bestimmt sich in diesen Fällen der Umfang der bewilligten Auslieferung nach dem Inhalt des Rechtshilfeersuchens. Der ersuchte Staat muss zweifelsfrei erkennen können, inwieweit vom ersuchenden Staat Auslieferung begehrt wird.
9
Der Umfang der Auslieferungsbewilligung war zunächst unklar. Da der genaue Inhalt des den Behörden der Republik Südafrika letztlich übermittelten Ersuchens weder den Urteilsgründen noch dem Akteninhalt zu entnehmen war, ist der Senat dieser Frage im Freibeweisverfahren nachgegangen. Dabei hat das Ministerium für Justiz der Republik Südafrika den Umfang der Auslieferungsbewilligung nun klargestellt. Es hat über die Deutsche Botschaft in Pretoria , das Auswärtige Amt und das Bundesministerium der Justiz mitgeteilt, das Ausgangsersuchen („initial request“) sei nicht in dem Sinn verstanden worden, dass auch für die im Haftbefehl vom 23. Juli 2007 genannten Taten Auslieferung begehrt werde; dementsprechend sei die Auslieferungsbewilligung nur auf die Vollstreckung der Reststrafe beschränkt gewesen. Damit kann der Auslieferungsbewilligung nicht die ihr vom Landgericht bezüglich der Tatvorwürfe aus dem Haftbefehl des Amtsgerichts Tiergarten in Berlin vom 23. Juli 2007 beigemessene Bedeutung zuerkannt werden.
10
b) Das bestehende Verfahrenshindernis hat jedoch nicht zur Folge, dass das Strafurteil des Landgerichts nichtig wäre; vielmehr ist dieses lediglich anfechtbar (vgl. RGSt 72, 77, 78; Hackner in Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, aaO, § 72 IRG Rn. 28). Auch kann der Verstoß gegen den Grundsatz der Spezialität jedenfalls derzeit nicht dazu führen, dass der Senat das Verfahren gemäß § 206a StPO wegen eines Verfahrenshindernisses einstellen müsste. Denn ein solcher Verstoß begründet lediglich ein auch noch in der Revisionsinstanz behebbares Verfahrenshindernis, zumal auch der Eröffnungsbeschluss ebenfalls nicht nichtig ist (vgl. BGH, Beschlüsse vom 9. Februar 2012 - 1 StR 148/11, BGHSt 57, 138 und 1 StR 152/11 jeweils mwN).
11
aa) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs können Verfahrenshindernisse auch noch im Revisionsverfahren beseitigt werden (vgl. BGH, Urteil vom 6. Dezember 1951 - 3 StR 961/51 zur Nachholung eines erforderlichen Strafantrags in der Revisionsinstanz; BGH, Urteil vom 26. Juni 1952 - 5 StR 382/52, BGHSt 3, 73; BGH, Beschluss vom 26. Mai 1961 - 2 StR 40/61, BGHSt 16, 225; BGH, Beschluss vom 12. Dezember 2000 - 4 StR 464/00, NJW 2001, 836). Die Beseitigung von behebbaren Verfahrenshindernissen kann dabei aus Gründen der Prozessökonomie (vgl. BGH, Urteil vom 15. März 2000 - 1 StR 483/99, StV 2000, 347) und im Hinblick auf die prozessuale Fürsorgepflicht gegenüber dem Beschuldigten (vgl. dazu MeyerGoßner , StPO, 55. Aufl., § 206a Rn. 2) sogar geboten sein, um dem Angeklagten eine erneute Anklageerhebung und eine erneute Hauptverhandlung zu ersparen. Auch das Legalitätsprinzip (§ 152 Abs. 2 StPO) kann eine Beseitigung behebbarer Verfahrenshindernisse mit den rechtlich dafür zur Verfügung stehenden Mitteln gebieten.
12
bb) Diese Grundsätze gelten auch für Verstöße gegen den Grundsatz der Spezialität (BGH, Beschlüsse vom 9. Februar 2012 - 1 StR 148/11 und 1 StR 152/11, aaO). Es ist allgemein anerkannt, dass es bei einem Verstoß gegen den Spezialitätsgrundsatz auch dem Revisionsgericht möglich ist, ein Verfahrenshindernis zu beseitigen, indem es den ausliefernden Staat in einem Nachtragsersuchen um Zustimmung zur Strafverfolgung für die nicht von der Auslieferungsbewilligung erfassten Taten ersucht (vgl. Hackner in aaO, § 72 IRG Rn. 28b). Stimmt der ersuchte Staat der Ausdehnung der Strafverfolgung auf die weiteren Taten zu, sind seine Rechte, die mit dem Spezialitätsgrundsatz geschützt werden sollen (Hackner in Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, aaO, § 72 Rn. 13), gewahrt.
13
In gleicher Weise kann die Spezialitätsbindung aus Art. 14 EuAlÜbk entfallen , wenn der Ausgelieferte noch nachträglich auf die Einhaltung des Grundsatzes der Spezialität verzichtet und sich mit der uneingeschränkten Strafverfolgung einverstanden erklärt oder wenn - was Art. 14 Abs. 1 Buchst. b EuAlÜbk ausdrücklich zulässt - der Ausgelieferte, obwohl er die Möglichkeit hatte, das Hoheitsgebiet des Staates, dem er ausgeliefert worden ist, innerhalb von 45 Tagen nach seiner endgültigen Freilassung nicht verlassen hat oder er nach Verlassen dieses Gebiets dorthin zurückgekehrt ist und er auf die sich daraus ergebenden Rechtsfolgen bei seiner Freilassung hingewiesen worden war (vgl. dazu BGH, Beschlüsse vom 9. Februar 2012 - 1 StR 148/11 und 1 StR 152/11, aaO).
14
c) Hiervon ausgehend ist das Verfahren in entsprechender Anwendung des § 205 StPO vorläufig einzustellen.
15
Voraussetzung einer - vom Angeklagten begehrten - Einstellung nach § 206a Abs. 1 StPO wäre das Bestehen eines dauerhaften Verfahrenshindernisses; ein zeitiges, behebbares Hindernis berechtigt nicht, nach § 206a StPO vorzugehen (vgl. BGH, Urteil vom 14. Dezember 1995 - 5 StR 208/95; OLG Hamburg, Beschluss vom 4. März 1969 - 2 Ws 588/68, NJW 1969, 998; Ritscher in BeckOK-StPO, Ed. 14, § 206a Rn. 1; Schneider in KK-StPO, 6. Aufl., § 206a Rn. 1). Vielmehr ist bei einem – wie hier – noch behebbaren Verfahrenshindernis eine vorläufige Einstellung angezeigt, die ihre Grundlage in § 205 StPO findet, der für nicht in der Person des Angeklagten liegende Hindernisse (so diesen nicht anderweitig begegnet werden kann) entsprechend (vgl. MeyerGoßner , StPO, 55. Aufl., § 206a Rn. 8) und auch im Revisionsverfahren anwendbar ist (vgl. Stuckenberg in LR-StPO, 26. Aufl., § 205 Rn. 10 mN).
16
2. Die Vorläufigkeit der Einstellung entfällt und das Verfahren ist endgültig einzustellen (§ 206a StPO), wenn sich herausstellt, dass das Verfahrenshindernis dauerhaft ist. Um hierüber innerhalb einer - auch gemessen an Art. 6 Abs. 1 EMRK - angemessenen Zeit entscheiden zu können, gibt der Senat der Staatsanwaltschaft Gelegenheit, zeitnah ein Nachtragsersuchen zu stellen, wie dies schon die südafrikanischen Behörden angeregt hatten. Wird ein solches Nachtragsersuchen nicht gestellt und ist die Spezialitätsbindung binnen gesetzter Frist nicht aus anderen Gründen entfallen, ist das Verfahren nach § 206a StPO endgültig einzustellen.
17
3. Weitergehende Entscheidungen durch den Senat sind derzeit nicht veranlasst. Dem Bestand des Haftbefehls des Amtsgerichts Tiergarten vom 23. Juli 2007 steht weder die vorläufige Einstellung nach § 205 StPO entgegen (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 55. Aufl., § 205 Rn. 1), noch der Verstoß gegen den Spezialitätsgrundsatz (vgl. Vogel/Burchhard in Grützner/Pötz/Kreß, Internationaler Rechtshilfeverkehr in Strafsachen, 3. Aufl., IRG, § 11 Rn. 67). Ein bestehender - und auch für Nachtragsersuchen zulässiger (vgl. Hackner in Schomburg /Lagodny/Gleß/Hackner, aaO, § 72 Rn. 23) - Haftbefehl kann allerdings nicht länger Grundlage freiheitsbeschränkender Maßnahmen sein, solange der Spezialitätsgrundsatz nicht gewahrt ist. Eine Außervollzugsetzung des Haftbefehls (ohne Auflagen, vgl. Art. 14 EuAlÜbk) ist dem Senat verwehrt (vgl. § 126 Abs. 3 i.V.m. § 120 Abs. 1 StPO); das insoweit zuständige Landgericht wird von vorliegender Entscheidung unmittelbar unterrichtet.
Nack Wahl Rothfuß
Graf Jäger

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 148/11
vom
9. Februar 2012
BGHSt: ja
BGHR: ja
Nachschlagewerk: ja
Veröffentlichung: ja
_________________________
EuAlÜbk Art. 14 Abs. 1 Buchst. b; IRG § 72
1. Ein wegen eines Verstoßes gegen den Grundsatz der Spezialität aus Art.
14 des Europäischen Auslieferungsübereinkommens vom 13. Dezember
1957
(EuAlÜbk) bestehendes Verfahrenshindernis kann auch noch im Revisionsverfahren
beseitigt werden.
2. Ist der Ausgelieferte mit Verkündung des erstinstanzlichen Urteils auf freien
Fuß gesetzt worden, entfällt die Spezialitätsbindung gemäß Art. 14 Abs. 1
Buchst. b EuAlÜbk dann, wenn er - obwohl er über die Rechtsfolgen dieser
Vorschrift informiert worden ist und die Möglichkeit einer Ausreise hatte -
nicht innerhalb von 45 Tagen die Bundesrepublik Deutschland verlassen
hat oder wenn er nach dem Verlassen Deutschlands dorthin zurückgekehrt
ist.
BGH, Beschluss vom 9. Februar 2012 - 1 StR 148/11 - LG Wuppertal
in der Strafsache
gegen
wegen Steuerhinterziehung u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 9. Februar 2012 beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Wuppertal vom 28. April 2010 wird mit der Maßgabe als unbegründet verworfen, dass die vom Angeklagten in dieser Sache in der Schweiz erlittene Auslieferungshaft im Maßstab von 1 : 1 angerechnet wird. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Steuerhinterziehung in 16 Fällen und wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt. Hiergegen wendet er sich mit seiner auf die Sachrüge gestützten Revision, mit der er gleichzeitig ein Verfahrenshindernis geltend macht. Die Urteilsformel ist lediglich um die Entscheidung über die Anrechnung der in der Schweiz erlittenen Auslieferungshaft zu ergänzen. Im Übrigen hat die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
2
Der Erörterung bedarf lediglich Folgendes:

I.


3
Ein Verfahrenshindernis besteht nicht.
4
1. Der Eröffnungsbeschluss genügt den an ihn zu stellenden inhaltlichen Anforderungen.
5
Die Anklageschrift, an die der Eröffnungsbeschluss anknüpft, erfüllt noch ihre Funktion, die hier angeklagten Taten der Hinterziehung von Umsatzsteuer ausreichend zu umschreiben (vgl. zu den Anforderungen an die Darstellung in der Anklageschrift beim Vorwurf der Steuerhinterziehung BGH, Beschluss vom 27. Mai 2009 - 1 StR 665/08, NStZ-RR 2009, 340; siehe auch Weyand in Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, § 385 AO Rn. 19 ff.).
6
a) Eine Anklage ist dann unwirksam mit der Folge, dass das Verfahren wegen Fehlens einer Prozessvoraussetzung einzustellen ist, wenn etwaige Mängel dazu führen, dass die Anklage ihrer Umgrenzungsfunktion nicht genügt (vgl. BGH, Urteil vom 9. August 2011 - 1 StR 194/11 mwN). Mängel der Informationsfunktion berühren ihre Wirksamkeit dagegen nicht (vgl. u.a. BGH, Urteile vom 24. Januar 2012 - 1 StR 412/11 und vom 2. März 2011 - 2 StR 524/10; BGH, Beschluss vom 18. Oktober 2007 - 4 StR 481/07, jeweils mwN); insoweit können Fehler auch noch in der Hauptverhandlung durch Hinweise entsprechend § 265 StPO geheilt werden (vgl. BGH, Urteil vom 28. Oktober 2009 - 1 StR 205/09, NJW 2010, 308 mwN).
7
Genügt der Anklagesatz den Anforderungen an die Wahrung der Umgrenzungsfunktion für sich allein nicht, dürfen die Ausführungen im wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen zur Verdeutlichung und ergänzenden Erläuterung des Anklagesatzes herangezogen werden (BGHSt 46, 130, 134; BGH NStZ 2001, 656, 657; BGHR StPO § 200 Abs. 1 Satz 1 Tat 24; Schneider in KK-StPO, 6. Aufl., § 200 StPO Rn. 30). Voraussetzung hierfür ist jedoch stets, dass sich aus dem Anklagesatz zumindest die Grundlagen einer Tatbeteiligung ergeben. Fehlende Angaben im Anklagesatz können dann aus dem wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen entnommen werden, wenn sie dort eindeutig benannt sind und daraus deutlich wird, dass sich der Verfolgungswille der Staatsanwaltschaft hierauf erstreckt (vgl. BGH, Urteil vom 28. Oktober 2009 - 1 StR 205/09, NJW 2010, 308 mwN).
8
b) Ausgehend von diesen Maßstäben genügt die Anklageschrift den Anforderungen an die Umgrenzungsfunktion, wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift vom 3. Mai 2011 zutreffend darlegt. Es waren auch sämtliche abgeurteilten Taten von der Anklage und vom Eröffnungsbeschluss erfasst (zur Reichweite der prozessualen Tat in Fällen der Hinterziehung von Umsatzsteuer vgl. BGH, Urteil vom 17. März 2009 - 1 StR 627/08, BGHSt 53, 221 Rn. 28 ff.).
9
2. Auch im Hinblick auf den Grundsatz der Spezialität besteht kein Verfahrenshindernis.
10
a) Allerdings bestand zum Zeitpunkt der Verurteilung des Angeklagten durch das Landgericht wegen des Grundsatzes der Spezialität hinsichtlich einzelner von der Verurteilung erfasster Delikte ein von Amts wegen zu berücksichtigendes Verfolgungsverbot (Verfahrenshindernis) aus Art. 14 des Europäischen Auslieferungsübereinkommens vom 13. Dezember 1957 (EuAlÜbk), denn der Angeklagte war nicht wegen dieser Delikte von der Schweiz nach Deutschland ausgeliefert worden und hatte auch nicht auf die Einhaltung des Spezialitätsgrundsatzes verzichtet.
11
aa) Der Angeklagte wurde zur Durchführung des Strafverfahrens aus der Schweiz ausgeliefert. Dieser Auslieferung lag ein Haftbefehl vom 8. Mai 2009 zugrunde (der unzutreffend unter dem 8. Mai 2008 datiert). Dieser Haftbefehl erfasste jedoch - wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift vom 3. Mai 2011 zutreffend dargelegt hat - die Lebenssachverhalte nicht, die der Verurteilung in den Fällen 9 und 14 bis 19 der Urteilsgründe zugrunde liegen. Die Zustimmung des Angeklagten zur vereinfachten Auslieferung ließ den Grundsatz der Spezialität nicht entfallen (vgl. BGH, Beschluss vom 8. August 1989 - 1 StR 296/89, NStE Nr. 5 zu Art. 14 EuAlÜbk).
12
(1) Aus dem Grundsatz der Spezialität ergibt sich für den ersuchenden Staat eine Beschränkung seiner Hoheitsrechte (vgl. dazu Schomburg/ Lagodny/Gleß/Hackner, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 4. Aufl. 2006, Einl. 74). Ihr Umfang bestimmt sich hier nach den Regelungen des EuAlÜbk in Verbindung mit der Auslieferungsbewilligung der Schweiz. Aus Art. 14 Abs. 1 EuAlÜbk ergibt sich, dass der Ausgelieferte „wegen einer anderen, vor der Übergabe begangenen Handlung als derjenigen, die der Auslieferung zugrunde liegt, nur … verfolgt, abgeurteilt, zur Vollstreckung einer Strafe oder Maßregel der Sicherung oder Besserung in Haft gehalten oder einer sonstigen Beschrän- kung seiner persönlichen Freiheit unterworfen werden“ darf, wenn der Staat, der ihn ausgeliefert hat, zustimmt (Art. 14 Abs. 1 Buchst. a EuAlÜbk) oder wenn nach Verstreichen der Schonfrist des Art. 14 Abs. 1 Buchst. b EuAlÜbk die dort genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Danach durfte der Angeklagte nur wegen solcher vor der Auslieferung begangener Taten bestraft werden, für die die Auslieferung bewilligt wurde (vgl. BGH, Urteil vom 20. Dezember 1968 - 1 StR 508/67, BGHSt 22, 307; BGH, Urteil vom 11. März 1999 - 4 StR 526/98, NStZ 1999, 363).
13
(2) Zur Reichweite des Grundsatzes der Spezialität gilt Folgendes (vgl. BGH, Beschluss vom 2. November 2010 - 1 StR 544/09 mwN):
14
Der dem Spezialitätsgrundsatz zugrunde liegende Tatbegriff umfasst den gesamten mitgeteilten Lebenssachverhalt, innerhalb dessen der Verfolgte einen oder mehrere Straftatbestände erfüllt haben soll. Im Rahmen dieses historischen Vorgangs sind die Gerichte des ersuchenden Staates nicht gehindert, die Tat abweichend rechtlich oder tatsächlich zu würdigen, soweit insofern ebenfalls Auslieferungsfähigkeit besteht. Auch eine Änderung in der Rechtsauffassung berührt die Hoheitsinteressen des um Auslieferung ersuchten Staates regelmäßig nicht.
15
Dementsprechend steht der Spezialitätsgrundsatz etwa einer Verurteilung wegen Einzeltaten anstelle einer im Auslieferungsersuchen angenommenen fortgesetzten Handlung nicht entgegen. Das Gleiche gilt, wenn der den Haftbefehl erlassende Richter anstatt von Tatmehrheit rechtsfehlerhaft von einer Verknüpfung der Taten im Sinne einer Handlungseinheit ausgegangen ist, sofern die dem Beschuldigten vorgeworfenen Tathandlungen dem Auslieferungsersuchen zu entnehmen sind.
16
Maßgeblich ist insoweit ausgehend von Sinn und Zweck des Spezialitätsgrundsatzes der Verfolgungswille des ersuchenden Staates, wie er für den ersuchten Staat im Auslieferungsverfahren objektiv erkennbar zum Ausdruck gebracht wird. Dem ersuchten Staat steht es frei, bei insoweit bestehenden Un- klarheiten oder Unschärfen im Hinblick auf den Tatvorwurf seinerseits um Ergänzung der Darstellung der Handlungen, die Gegenstand des Auslieferungsersuchens sind, zu ersuchen (vgl. Art. 12 Abs. 2 Buchst. b, Art. 13 EuAlÜbk). Sieht er hiervon ab, bringt er mit der unbedingten Bewilligung zum Ausdruck, dass die Auslieferung zur Verfolgung all derjenigen Taten erfolgt, die für alle Verfahrensbeteiligten erkennbar vom Verfolgungswillen des ersuchenden Staats erfasst waren, auch wenn die einzelnen Taten im Auslieferungsverfahren noch nicht näher konkretisiert waren.
17
(3) Auch unter Heranziehung dieser Grundsätze waren die Lebenssachverhalte , die zur Verurteilung in den Fällen 9 und 14 bis 19 der Urteilsgründe geführt haben, von der Auslieferungsbewilligung auf der Grundlage des dem Auslieferungsverfahren zugrunde liegenden Haftbefehls nicht umfasst.
18
(4) Eine Aburteilung wegen dieser Taten hätte allenfalls dann erfolgen dürfen, wenn der Angeklagte zu Protokoll einer Justizbehörde bzw. eines Richters (vgl. Art. VI Abs. 2 und 3 des Vertrages vom 13. November 1969 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft über die Ergänzung des Europäischen Auslieferungsübereinkommens vom 13. Dezember 1957 und die Erleichterung seiner Anwendung) auf die Einhaltung des Spezialitätsgrundsatzes verzichtet hätte. Dies war jedoch nicht der Fall. Vielmehr ist den Auslieferungsunterlagen zu entnehmen, dass der Angeklagte diesen Verzicht nicht erklärt hat (vgl. SH „Rechtshilfe“ 92 AR 127/09, Bl. 131, 145).
19
bb) Damit bestand zum Zeitpunkt der Verurteilung ein sich aus Art. 14 EuAlÜbk ergebendes Verfahrenshindernis (vgl. BGH, Urteil vom 29. Oktober 1963 - 1 StR 353/63, BGHSt 19, 118, 119). Die zur Auslieferung aufgrund eines Europäischen Haftbefehls ergangene Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union, nach der sich aus einem Verstoß gegen den Spezialitätsgrundsatz lediglich ein Vollstreckungshindernis und ein Verbot freiheitsbeschränkender Maßnahmen ergibt (EuGH, Urteil vom 1. Dezember 2008 - Rechtssache C-388/08 [Leymann und Pustovarov], NStZ 2010, 35 mit Anm. Heine, vgl. dazu BGH, Beschluss vom 27. Juli 2011 - 4 StR 303/11, NStZ 2012, 100), findet auf die hier vorliegende Auslieferung aus der Schweiz keine Anwendung.
20
cc) Das bestehende Verfahrenshindernis hatte jedoch nicht zur Folge, dass das Strafurteil des Landgerichts insoweit nichtig wäre; vielmehr ist dieses lediglich anfechtbar (vgl. RGSt 72, 77, 78; Schomburg/Hackner in Schomburg /Lagodny/Gleß/Hackner, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 4. Aufl. 2006, § 72 IRG Rn. 28).
21
b) Der Verstoß gegen den Grundsatz der Spezialität führt allerdings auch nicht dazu, dass der Senat das Urteil aufheben und das Verfahren wegen eines Verfahrenshindernisses einstellen müsste. Denn die Beschränkung der Hoheitsrechte der Bundesrepublik Deutschland aufgrund des im EuAlÜbk vereinbarten Spezialitätsgrundsatzes ist hier nachträglich weggefallen, weil der in Art. 14 Abs. 1 Buchst. b EuAlÜbk geregelte Ausnahmefall, bei dem die Spezialitätsbindung wieder entfällt, eingetreten ist.
22
aa) Art. 14 Abs. 1 Buchst. b EuAlÜbk lässt die Verfolgung und Aburteilung von in einer Auslieferungsbewilligung nicht genannten Taten dann zu, wenn der Ausgelieferte, obwohl er die Möglichkeit hatte, das Hoheitsgebiet des Staates, dem er ausgeliefert worden ist, innerhalb von 45 Tagen nach seiner endgültigen Freilassung nicht verlassen hat oder wenn er nach Verlassen dieses Gebiets dorthin zurückgekehrt ist (s. auch Art. 38 Abs. 2 Buchst. b Nr. 1 Schweizerisches IRSG).
23
bb) Diese Voraussetzungen liegen hier vor; der Angeklagte befand sich nach seiner Haftentlassung mehr als 45 Tage auf freiem Fuß und hat die Bundesrepublik Deutschland trotz vorherigen Hinweises auf die sich aus Art. 14 Abs. 1 Buchst. b EuAlÜbk ergebenden Rechtsfolgen nicht verlassen oder ist - was dem gleich steht (vgl. OLG Hamm wistra 1999, 359) - nach einer Ausreise dorthin wieder zurückgekehrt.
24
(1) Im Anschluss an die Urteilsverkündung am 28. April 2010 wurde der bereits seit 12. März 2010 außer Vollzug gesetzte Haftbefehl gegen den Angeklagten aufgehoben (PB I Bl. 75, 259). Damit wurde der Angeklagte im Sinne von Art. 14 Abs. 1 Buchst. b EuAlÜbk i.V.m. Art. VI Abs. 1 SchweizEuAlÜbk -ErgV vom 13. November 1969 endgültig freigelassen.
25
„Endgültig freigelassen“ im Sinne des EuAlÜbk ist der Ausgelieferte dann, wenn ihm nach seiner Entlassung aus dem Gewahrsam des ersuchenden Staates in dem Verfahren, für das die Auslieferung bewilligt worden war, freisteht, das Hoheitsgebiet des ersuchenden Staates zu verlassen und er dazu die tatsächliche Möglichkeit hat (vgl. dazu auch Walter, NStZ 1993, 393). Dies war hier mit Aufhebung des gegen den Angeklagten bestehenden Haftbefehls bei der Urteilsverkündung der Fall. Hierdurch wurde auch die letzte die Bewegungsfreiheit des Angeklagten beeinträchtigende Maßnahme durch das Gericht aufgehoben. Ladungen standen angesichts des mit Urteil abgeschlossenen Hauptverfahrens erster Instanz nicht mehr an. Vollstreckungsmaßnahmen konnten im Hinblick auf die vom Angeklagten eingelegte Revision noch nicht ergriffen werden.
26
Einer die Bewegungsfreiheit beeinträchtigenden Maßnahme steht nicht gleich, dass der Angeklagte für den Fall der Rechtskraft des gegen ihn ergangenen erstinstanzlichen Urteils trotz Anrechnung verbüßter Auslieferungs- und Untersuchungshaft (vgl. § 51 Abs. 1 StGB) noch mit der Verbüßung eines Strafrests rechnen musste. Denn bis dahin konnte sich der Angeklagte völlig frei bewegen; eine Auflage, nicht ins Ausland zu reisen, wurde vom Gericht nicht getroffen. Der Umstand, dass der Angeklagte damit letztlich einer Strafverfolgung wegen der zunächst vom Spezialitätsgrundsatz erfassten Tatvorwürfe dauerhaft allenfalls dadurch hätte entgehen können, dass er ausreist und nicht nach Deutschland zurückkehrt, steht der Anwendung von Art. 14 Abs. 1 Buchst. b EuAlÜbk nicht entgegen. Denn diese Lage unterscheidet sich nicht von derjenigen, die bestehen würde, wenn der Angeklagte nicht von der Schweiz nach Deutschland ausgeliefert worden wäre. Auch dann könnte er nicht nach Deutschland zurückkehren, ohne sich einer Strafverfolgung auszusetzen. Diese Situation ist damit allein die Folge der von ihm begangenen Straftaten, nicht der Auslieferung.
27
Der vorliegende Fall ist auch nicht mit der von der Verteidigung angesprochenen Konstellation einer Strafvollstreckung vergleichbar, bei der ein Verurteilter nach Aussetzung der Vollstreckung eines Strafrests zur Bewährung der Aufsicht und Leitung eines Bewährungshelfers unterstellt war, der er sich bei einer Ausreise mit dem Risiko eines Bewährungswiderrufes (vgl. § 56f Abs. 1 Nr. 2 StGB) entziehen müsste (vgl. OLG München NStZ 1993, 392). Eine zur Bewährung ausgesetzte Strafe war gegen den Angeklagten gerade nicht verhängt worden; Weisungen, Auflagen oder sonstige Verhaltensanordnungen für die Dauer des Revisionsverfahrens wurden ebenfalls nicht ausgesprochen und standen daher einer Ausreise auch nicht entgegen. Vielmehr war der zunächst gegen Auflagen außer Vollzug gesetzte Haftbefehl mit Urteilsverkündung ersatzlos aufgehoben worden. Damit konnte sich der Angeklagte frei bewegen und individuell entscheiden, ob er ausreist oder nicht (vgl. auch LG Berlin ZfStrVo 1999, 116).
28
(2) Mit Schreiben vom 12. August 2011, dem Angeklagten zugegangen am 18. August 2011, hat der Vorsitzende des Senats den Angeklagten und seine Verteidiger auf die Rechtswirkungen eines Verbleibs des Angeklagten in der Bundesrepublik Deutschland gemäß der Art. 14 Abs. 1 Buchst. b EuAlÜbk, Art. 38 Abs. 2 Buchst. b Nr. 1 Schweizerisches IRSG hingewiesen.
29
(3) Wie der Senat im Freibeweisverfahren unter Einschaltung der Polizei ermittelt hat, wohnte der Angeklagte im Oktober 2011 in der Wohnung seiner Mutter. Damit steht fest, dass der Angeklagte nach Ablauf der Schonfrist von 45 Tagen des Art. 14 Abs. 1 Buchst. b EuAlÜbk entweder Deutschland nicht verlassen hatte oder nach einer Ausreise dorthin wieder zurückgekehrt ist. In beiden Fällen entfällt die Spezialitätsbindung (vgl. Schomburg/Hackner in Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen , 4. Aufl. 2006, § 72 IRG Rn. 15 mwN).
30
(4) Unbeachtlich ist insoweit, dass das Strafverfahren, dessentwegen seine Auslieferung bewilligt worden war, noch nicht endgültig abgeschlossen ist. Eine der Vorschrift des § 11 Abs. 2 Nr. 2 IRG entsprechende diesbezügli- che Voraussetzung enthalten weder Art. 14 Abs. 1 Buchst. b EuAlÜbk noch Art. 38 Abs. 2 Buchst. b Nr. 1 Schweizerisches IRSG. Ausreichend für den Wegfall der Spezialitätsbindung ist daher, dass eine - auch nur bedingte - Freilassung erfolgt ist und der Betroffene die Möglichkeit zur Ausreise aus Deutschland hatte. Dies ist hier der Fall.
31
(5) Damit steht fest, dass gemäß Art. 14 Abs. 1 Buchst. b EuAlÜbk, Art. 38 Abs. 2 Buchst. b Nr. 1 Schweizerisches IRSG die Spezialitätsbindung entfallen ist. Der Grundsatz der Spezialität steht somit der Verurteilung des Angeklagten in den Fällen 9 und 14 bis 19 der Urteilsgründe nicht (mehr) entgegen.
32
c) Der Umstand, dass das Strafverfahren wegen dieser Taten über weite Teile des Verfahrens unter Verstoß gegen das sich aus Art. 14 Abs. 1 EuAlÜbk ergebende Verfolgungs- und Verurteilungsverbot geführt worden ist, hindert einer Verwerfung der Revision des Angeklagten nicht. Er führt insbesondere nicht dazu, dass das Verfahren wiederholt werden müsste.
33
aa) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs können Verfahrenshindernisse auch noch im Revisionsverfahren beseitigt werden (vgl. BGH, Urteil vom 6. Dezember 1951 – 3 StR 961/51 zur Nachholung eines erforderlichen Strafantrags in der Revisionsinstanz; BGH, Urteil vom 26. Juni 1952 - 5 StR 382/52, BGHSt 3, 73; BGH, Beschluss vom 26. Mai 1961 - 2 StR 40/61, BGHSt 16, 225; BGH, Beschluss vom 12. Dezember 2000 - 4 StR 464/00, NJW 2001, 836). Die Beseitigung von behebbaren Verfahrenshindernissen kann dabei aus Gründen der Prozessökonomie (vgl. BGH, Urteil vom 15. März 2000 - 1 StR 483/99, StV 2000, 347) und im Hinblick auf die prozessuale Fürsorgepflicht gegenüber dem Beschuldigten (vgl. dazu Meyer- Goßner, StPO, 54. Aufl., § 206a Rn. 2) sogar geboten sein, um dem Angeklagten eine erneute Anklageerhebung und eine erneute Hauptverhandlung zu ersparen. Auch das Legalitätsprinzip (§ 152 Abs. 2 StPO), das gebietet, wegen aller verfolgbaren Taten einzuschreiten, verlangt, behebbare Verfahrenshindernisse mit den rechtlich dafür zur Verfügung stehenden Mitteln zu beseitigen.
34
bb) Diese Grundsätze gelten auch für Verstöße gegen den Grundsatz der Spezialität.
35
(1) Es ist allgemein anerkannt, dass es bei einem Verstoß gegen den Spezialitätsgrundsatz auch dem Revisionsgericht möglich ist, ein Verfahrenshindernis zu beseitigen, indem es den ausliefernden Staat in einem Nachtragsersuchen um Zustimmung zur Strafverfolgung für die nicht von der Auslieferungsbewilligung erfassten Taten ersucht (vgl. Schomburg/Hackner in Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 4. Aufl. 2006, § 72 IRG Rn. 28b; Grützner/Pötz/Kreß, Internationaler Rechtshilfeverkehr in Strafsachen, 3. Aufl., Teil II S. 16 Vorbem. Rn. 18). Stimmt der ersuchte Staat der Ausdehnung der Strafverfolgung auf die weiteren Taten zu, sind seine Rechte, die mit dem Spezialitätsgrundsatz geschützt werden sollen (Schomburg/Hackner aaO Rn. 13), gewahrt. Allerdings ist dann dem Angeklagten rechtliches Gehör zu gewähren (vgl. Schomburg/Hackner aaO Rn. 28b). Dies ist hier geschehen.
36
(2) In gleicher Weise entfällt die Spezialitätsbindung aus Art. 14 EuAlÜbk dann, wenn der Ausgelieferte noch nachträglich auf die Einhaltung des Grundsatzes der Spezialität verzichtet und sich mit der uneingeschränkten Strafverfolgung einverstanden erklärt (vgl. Art. VI Abs. 2 Schweiz-EuAlÜbk- ErgV vom 13. November 1969). Denn dann beruht die Strafverfolgung insoweit nicht auf der Auslieferung durch den ersuchten Staat, sondern auf der freien Entscheidung des Ausgelieferten, sich auch insoweit dem Strafverfahren zu stellen. Auch in Art. 14 Abs. 1 Buchst. b EuAlÜbk kommt zum Ausdruck , dass die Rechte des ersuchten Staates dann nicht verletzt sind, wenn der Ausgelieferte sich freiwillig der Strafverfolgung des ersuchenden Staates unterwirft. Der Verzicht des ausliefernden Staates auf die Einhaltung des Spezialitätsgrundsatzes ergibt sich damit insoweit bereits aus dem Auslieferungsübereinkommen selbst (vgl. Schomburg/Hackner aaO § 72 IRG Rn. 12a). Zugleich unterstreicht dies die „aktive Beteiligung des Individuums im Rechtshil- ferecht“ (vgl. Schomburg/Lagodny/ Gleß/Hackner, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 4. Aufl. 2006, Einl. 74 mit Belegen aus weiteren Auslieferungsübereinkommen ).
37
(3) Hieraus wird deutlich, dass der in der Verletzung des Spezialitätsgrundsatzes liegende Mangel jederzeit behebbar ist, und zwar sowohl durch ein Tätigwerden des ausliefernden Staates als auch durch ein solches des Ausgelieferten. Damit kann weder der Ausgelieferte noch der ausliefernde Staat für sich allein die nachträgliche Herbeiführung der Verfolgungsvoraussetzungen verhindern. Etwaige Verwertungsverbote für die Ergebnisse des zuvor unter Verstoß gegen den Spezialitätsgrundsatz geführten Verfahrens bestehen nach einer nachträglichen Beseitigung des Verfahrenshindernisses nicht.
38
3. Auch im Hinblick auf den Grundsatz der Spezialität fehlt es nicht an der von Amts wegen zu berücksichtigenden Verfahrensvoraussetzung eines wirksamen Eröffnungsbeschlusses. Der Umstand, dass zum Zeitpunkt des Eröffnungsbeschlusses die Taten in den Fällen 9 und 14 bis 19 der Urteils- gründe im Hinblick auf den Spezialitätsgrundsatz nach Art. 14 EuAlÜbk nicht verfolgt werden durften, steht der Wirksamkeit des Eröffnungsbeschlusses auch hinsichtlich dieser Taten nicht entgegen.
39
(1) Der Spezialitätsgrundsatz gebietet den Strafverfolgungsbehörden und Gerichten des ersuchenden Staates nach einer Auslieferung nicht, jegliche Untersuchungshandlungen im Hinblick auf solche Taten einzustellen, die von der Auslieferungsbewilligung nicht umfasst sind. Insbesondere ergibt sich aus dem Spezialitätsgrundsatz kein Befassungsverbot für die nicht von der Auslieferungsbewilligung erfassten Taten. Vielmehr bestimmt sich die Reichweite der Beschränkung der Hoheitsrechte für die Bundesrepublik Deutschland durch den Grundsatz der Spezialität im vorliegenden Fall allein nach dem der Auslieferung des Angeklagten zugrunde liegenden Art. 14 EuAlÜbk.
40
(2) Der Senat braucht nicht zu klären, wie weit der Kreis der durch den Spezialitätsgrundsatz verbotenen Untersuchungshandlungen reicht (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 10. Januar 2007 - 5 StR 305/06, NStZ 2007, 345 mit abl. Anm. Lagodny sowie OLG Zweibrücken, Beschluss vom 25. Februar 1991 - 1 Ws 641-642/90, StV 1993, 37 mit abl. Anm. Lagodny; vgl. auch BGH, Beschluss vom 15. August 1979 - 2 StR 465/79, BGHSt 29, 94 und BGH, Urteil vom 15. April 1987 - 2 StR 697/86, BGHSt 34, 352). Denn jedenfalls war der Eröffnungsbeschluss im vorliegenden Fall nach den Vorgaben des Art. 14 Abs. 2 EuAlÜbk zulässig. Nach dieser Vorschrift darf der ersuchende Staat die erforderlichen Maßnahmen treffen, um nach seinen Rechtsvorschriften die Verjährung zu unterbrechen. Demnach war hier sowohl die Erhebung der öffentlichen Klage (vgl. § 78c Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 StGB) als auch die Eröffnung des Hauptverfahrens (§ 78c Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 StGB) zur Verjährungsunterbrechung zulässig, zumal im vorliegenden Fall wegen des Tatvorwurfs der Steuerhinterziehung die Eröffnung des Hauptverfahrens vor dem Landgericht dazu führte, dass die Verjährung für einen Zeitraum von bis zu fünf Jahren ruhte (vgl. § 78b Abs. 4 StGB).
41
(3) Der Senat ist im Übrigen der Auffassung, dass ein Eröffnungsbeschluss auch dann hinsichtlich aller angeklagter Taten wirksam ist, wenn zum Zeitpunkt der Beschlussfassung für alle oder einzelne Taten ein aus dem Spezialitätsgrundsatz folgendes Verfahrenshindernis besteht, das aber behebbar ist.
42
(a) Nur schwerwiegende Mängel machen einen Eröffnungsbeschluss unwirksam, denn die gänzliche Unwirksamkeit mit der Folge rechtlicher Unbeachtlichkeit einer gerichtlichen Entscheidung kommt allenfalls in seltenen Ausnahmefällen in Betracht (vgl. BGH, Beschluss vom 16. Oktober 1980 - 1 BJs 80/78 - 3, StB 29, 30 und 31/80, NJW 1981, 133 mwN; vgl. auch Paeffgen in SK-StPO, 4. Aufl., § 207 StPO Rn. 23). Sonstige Mängel - selbst das Fehlen eines hinreichenden Tatverdachts (vgl. Stuckenberg in Löwe/ Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 207 Rn. 76) - lassen dagegen die Wirksamkeit eines Eröffnungsbeschlusses unberührt. Fehlt etwa zur Zeit der Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens ein erforderlicher Strafantrag, führt dies nicht zur Unwirksamkeit des Eröffnungsbeschlusses (vgl. BGH, Urteil vom 6. Dezember 1951 - 3 StR 961/51). Vielmehr ist bei Antragsdelikten gemäß § 130 StPO sogar der Erlass eines Haftbefehls zulässig, wenn der für die Verfolgung erforderliche Strafantrag noch nicht gestellt ist, weil insoweit ein noch behebbares Verfahrenshindernis vorliegt.
43
(b) Es besteht kein Anlass, die Frage der Wirksamkeit eines unter Missachtung des Spezialitätsgrundsatzes ergangenen Eröffnungsbeschlusses anders zu beurteilen, wenn - wie hier - dieser Verstoß behebbar ist. Denn das deswegen bestehende (behebbare) Verfahrenshindernis führt nicht dazu, dass der Eröffnungsbeschluss seine Funktion als Verfahrensvoraussetzung nicht erfüllen kann; insbesondere ist die Umgrenzungsfunktion des Eröffnungsbeschlusses gewahrt.
44
Im Hinblick darauf, dass das sich aus der Verletzung des Spezialitätsgrundsatzes ergebende Verfahrenshindernis zu jedem Zeitpunkt durch einen Verzicht des Beschuldigten auf die Wahrung der Spezialitätsbindung oder durch ein erfolgreiches Nachtragsersuchen an den ausliefernden Staat beseitigt werden kann, ist ein Verstoß gegen den Spezialitätsgrundsatz nicht als so schwerwiegend anzusehen, dass er die Unwirksamkeit des Beschlusses als solches nach sich ziehen würde (a.A. Vogler/Walter in Grützner/Pötz/Kreß, Internationaler Rechtshilfeverkehr in Strafsachen, 3. Aufl., Teil I A2 § 72 IRG Rn. 14). Der Einhaltung des Spezialitätsgrundsatzes wird vielmehr dadurch ausreichend Rechnung getragen, dass gemäß § 206a StPO das Verfahren einzustellen ist, wenn das Verfahrenshindernis nicht beseitigt werden kann (vgl. dazu Stuckenberg in Löwe/Rosenberg, 26. Aufl., § 206a StPO Rn. 70).
45
(c) Der Beschluss des 2. Strafsenats vom 15. August 1979 in dem Verfahren 2 StR 465/79 (BGHSt 29, 94) steht dem nicht entgegen. Denn diese Entscheidung bezieht sich nicht auf das Europäische Auslieferungsübereinkommen vom 13. Dezember 1957 (EuAlÜbk), sondern auf eine Auslieferungsbewilligung auf der Grundlage des Auslieferungsvertrags zwischen dem Deutschen Reich und Spanien vom 2. Mai 1878 (RGBl 213), der abweichende Vereinbarungen enthält. Nach dem dortigen Art. 6 darf die ausgelieferte Per- son wegen eines Verbrechens oder Vergehens, wegen dessen die Ausliefe- rung nicht bewilligt worden ist, ohne Nachtragsbewilligung nur dann „zur Untersuchung gezogen und bestraft werden“, wenn sie, nachdem sie wegen der zur Auslieferung führenden Taten bestraft oder endgültig freigesprochen ist, während dreier Monate im Lande bleibt oder nach Verlassen desselben wieder dorthin zurückkehrt. Anders als nach Art. 14 Abs. 1 Buchst. b EuAlÜbk war dort für den Beginn der Schonfrist ein endgültiger Abschluss des Verfahrens, für das die Auslieferung bewilligt wurde, erforderlich.
46
(4) Soweit angenommen wird, eine nachträgliche Bewilligung zur Strafverfolgung oder ein nachträglicher Verzicht auf den Spezialitätsgrundsatz habe keine ex-tunc-Wirkung (vgl. OLG Oldenburg, StV 1995, 13; OLG Dresden, Beschluss vom 4. Dezember 2001 - 1 Ss 463/01, juris), geht dies bereits von einem unzutreffenden Ansatz aus. Prämisse dieser Auffassung ist, dass eine Anklageerhebung und ein Eröffnungsbeschluss unwirksam sind, wenn sie unter Verstoß gegen den Spezialitätsgrundsatz erfolgt sind. Dies ist indes - wie dargelegt - nicht der Fall.

II.


47
Aus den zutreffenden Gründen der Antragsschriften des Generalbundesanwalts vom 3. Mai 2011 und vom 20. Oktober 2011 enthält das angefochtene Urteil zum Schuldspruch und zum Strafausspruch keinen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler; allerdings fehlt es im Urteil an der gemäß § 51 Abs. 1, Abs. 4 Satz 2 StGB gebotenen Anrechnung der von dem Angeklagten in der Schweiz erlittenen Auslieferungshaft auf die verhängte Freiheitsstrafe. Diese muss in der Urteilsformel ebenso zum Ausdruck kommen, wie der festgesetzte Maßstab der Anrechnung. Vorliegend kann der Senat diesen Ausspruch selbst nachholen. Ein anderer Anrechnungsmaßstab als 1 : 1 kommt hier ersichtlich nicht in Betracht (vgl. BGH, Beschluss vom 15. April 2008 - 1 StR 166/08). Nack Wahl Hebenstreit Jäger Sander

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 152/11
vom
9. Februar 2012
in der Strafsache
gegen
wegen Steuerhinterziehung u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 9. Februar 2012 beschlossen
:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
Wuppertal vom 29. Juli 2010 wird als unbegründet verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Steuerhinterziehung in 30 Fällen und wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung in zwei Fällen zu der Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Hiergegen wendet er sich mit seiner auf die Sachrüge gestützten Revision, mit der er gleichzeitig ein Verfahrenshindernis geltend macht. Die Revision ist unbegründet. Der Senat entscheidet auf den Antrag des Generalbundesanwalts vom 20. Oktober 2011 durch Beschluss gemäß § 349 Abs. 2 StPO.
2
Der Erörterung bedarf lediglich Folgendes:

I.

3
Ein Verfahrenshindernis besteht nicht.
4
1. Der Eröffnungsbeschluss genügt den an ihn zu stellenden inhaltlichen Anforderungen.

5
Die Anklageschrift, an die der Eröffnungsbeschluss anknüpft, erfüllt noch ihre Funktion, die hier angeklagten Taten der Hinterziehung von Umsatzsteuer ausreichend zu umschreiben (vgl. zu den Anforderungen an die Darstellung in der Anklageschrift beim Vorwurf der Steuerhinterziehung BGH, Beschluss vom 27. Mai 2009 - 1 StR 665/08, NStZ-RR 2009, 340; siehe auch Weyand in Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, § 385 AO Rn. 19 ff.).
6
a) Eine Anklage ist dann unwirksam mit der Folge, dass das Verfahren wegen Fehlens einer Prozessvoraussetzung einzustellen ist, wenn etwaige Mängel dazu führen, dass die Anklage ihrer Umgrenzungsfunktion nicht genügt (vgl. BGH, Urteil vom 9. August 2011 - 1 StR 194/11 mwN). Mängel der Informationsfunktion berühren ihre Wirksamkeit dagegen nicht (vgl. u.a. BGH, Urteile vom 24. Januar 2012 - 1 StR 412/11 und vom 2. März 2011 - 2 StR 524/10; BGH, Beschluss vom 18. Oktober 2007 - 4 StR 481/07, jeweils mwN); insoweit können Fehler auch noch in der Hauptverhandlung durch Hinweise entsprechend § 265 StPO geheilt werden (vgl. BGH, Urteil vom 28. Oktober 2009 - 1 StR 205/09, NJW 2010, 308 mwN).
7
Genügt der Anklagesatz den Anforderungen an die Wahrung der Umgrenzungsfunktion für sich allein nicht, dürfen die Ausführungen im wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen zur Verdeutlichung und ergänzenden Erläuterung des Anklagesatzes herangezogen werden (BGHSt 46, 130, 134; BGH NStZ 2001, 656, 657; BGHR StPO § 200 Abs. 1 Satz 1 Tat 24; Schneider in KK-StPO, 6. Aufl., § 200 StPO Rn. 30). Voraussetzung hierfür ist jedoch stets, dass sich aus dem Anklagesatz zumindest die Grundlagen einer Tatbeteiligung ergeben. Fehlende Angaben im Anklagesatz können dann aus dem we- sentlichen Ergebnis der Ermittlungen entnommen werden, wenn sie dort eindeutig benannt sind und daraus deutlich wird, dass sich der Verfolgungswille der Staatsanwaltschaft hierauf erstreckt (vgl. BGH, Urteil vom 28. Oktober 2009 - 1 StR 205/09, NJW 2010, 308 mwN).
8
b) Ausgehend von diesen Maßstäben genügt die Anklageschrift den Anforderungen an die Umgrenzungsfunktion, wie in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 3. Mai 2011 zutreffend dargelegt wird. Es waren auch sämtliche abgeurteilten Taten von der Anklage und vom Eröffnungsbeschluss erfasst (zur Reichweite der prozessualen Tat in Fällen der Hinterziehung von Umsatzsteuer vgl. BGH, Urteil vom 17. März 2009 - 1 StR 627/08, BGHSt 53, 221 Rn. 28 ff.).
9
2. Auch im Hinblick auf den Grundsatz der Spezialität besteht kein Verfahrenshindernis.
10
a) Allerdings bestand zum Zeitpunkt der Verurteilung des Angeklagten durch das Landgericht wegen des Grundsatzes der Spezialität hinsichtlich einzelner von der Verurteilung erfasster Delikte ein von Amts wegen zu berücksichtigendes Verfolgungsverbot (Verfahrenshindernis) aus Art. 14 des Europäischen Auslieferungsübereinkommens vom 13. Dezember 1957 (EuAlÜbk), denn der Angeklagte war nicht wegen dieser Delikte von der Schweiz nach Deutschland ausgeliefert worden und hatte auch nicht auf die Einhaltung des Spezialitätsgrundsatzes verzichtet.
11
aa) Der Angeklagte wurde zur Durchführung des Strafverfahrens aus der Schweiz ausgeliefert. Dieser Auslieferung lag ein Haftbefehl vom 8. Mai 2009 zugrunde (der unzutreffend unter dem 8. Mai 2008 datiert). Dieser Haft- befehl erfasste jedoch - wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift vom 3. Mai 2011 zutreffend dargelegt hat - die Lebenssachverhalte nicht, die der Verurteilung in den Fällen 41 bis 50, 53 bis 69 und 74 bis 79 der Urteilsgründe zugrunde liegen.
12
Die Zustimmung des Angeklagten zur vereinfachten Auslieferung ließ den Grundsatz der Spezialität nicht entfallen (vgl. BGH, Beschluss vom 8. August 1989 - 1 StR 296/89, NStE Nr. 5 zu Art. 14 EuAlÜbk). Auch die irre- führende Angabe des Angeklagten in der Hauptverhandlung, er habe „auf den Spezialitätsgrundsatz“ verzichtet (vgl. die dienstlichen Äußerungen der Berufs- richter der Strafkammer), kann das Fehlen dieser formalen Voraussetzung nicht ersetzen.
13
(1) Aus dem Grundsatz der Spezialität ergibt sich für den ersuchenden Staat eine Beschränkung seiner Hoheitsrechte (vgl. dazu Schomburg/ Lagodny/Gleß/Hackner, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 4. Aufl. 2006, Einl. 74). Ihr Umfang bestimmt sich hier nach den Regelungen des EuAlÜbk in Verbindung mit der Auslieferungsbewilligung der Schweiz. Aus Art. 14 Abs. 1 EuAlÜbk ergibt sich, dass der Ausgelieferte „wegen einer anderen , vor der Übergabe begangenen Handlung als derjenigen, die der Auslieferung zugrunde liegt, nur … verfolgt, abgeurteilt, zur Vollstreckung einer Strafe oder Maßregel der Sicherung oder Besserung in Haft gehalten oder einer sonstigen Beschränkung seiner persönlichen Freiheit unterworfen werden“ darf, wenn der Staat, der ihn ausgeliefert hat, zustimmt (Art. 14 Abs. 1 Buchst. a EuAlÜbk) oder wenn nach Verstreichen der Schonfrist des Art. 14 Abs. 1 Buchst. b EuAlÜbk die dort genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Danach durfte der Angeklagte nur wegen solcher vor der Auslieferung begangener Taten bestraft werden, für die die Auslieferung bewilligt wurde (vgl.
BGH, Urteil vom 20. Dezember 1968 - 1 StR 508/67, BGHSt 22, 307; BGH, Urteil vom 11. März 1999 - 4 StR 526/98, NStZ 1999, 363).
14
(2) Zur Reichweite des Grundsatzes der Spezialität gilt Folgendes (vgl. BGH, Beschluss vom 2. November 2010 – 1 StR 544/09 mwN):
15
Der dem Spezialitätsgrundsatz zugrunde liegende Tatbegriff umfasst den gesamten mitgeteilten Lebenssachverhalt, innerhalb dessen der Verfolgte einen oder mehrere Straftatbestände erfüllt haben soll. Im Rahmen dieses historischen Vorgangs sind die Gerichte des ersuchenden Staates nicht gehindert , die Tat abweichend rechtlich oder tatsächlich zu würdigen, soweit insofern ebenfalls Auslieferungsfähigkeit besteht. Auch eine Änderung in der Rechtsauffassung berührt die Hoheitsinteressen des um Auslieferung ersuchten Staates regelmäßig nicht.
16
Dementsprechend steht der Spezialitätsgrundsatz etwa einer Verurteilung wegen Einzeltaten anstelle einer im Auslieferungsersuchen angenommenen fortgesetzten Handlung nicht entgegen. Das Gleiche gilt, wenn der den Haftbefehl erlassende Richter anstatt von Tatmehrheit rechtsfehlerhaft von einer Verknüpfung der Taten im Sinne einer Handlungseinheit ausgegangen ist, sofern die dem Beschuldigten vorgeworfenen Tathandlungen dem Auslieferungsersuchen zu entnehmen sind.
17
Maßgeblich ist insoweit ausgehend von Sinn und Zweck des Spezialitätsgrundsatzes der Verfolgungswille des ersuchenden Staates, wie er für den ersuchten Staat im Auslieferungsverfahren objektiv erkennbar zum Ausdruck gebracht wird. Dem ersuchten Staat steht es frei, bei insoweit bestehenden Unklarheiten oder Unschärfen im Hinblick auf den Tatvorwurf seinerseits um Ergänzung der Darstellung der Handlungen, die Gegenstand des Auslieferungsersuchens sind, zu ersuchen (vgl. Art. 12 Abs. 2 Buchst. b, Art. 13 EuAlÜbk). Sieht er hiervon ab, bringt er mit der unbedingten Bewilligung zum Ausdruck, dass die Auslieferung zur Verfolgung all derjenigen Taten erfolgt, die für alle Verfahrensbeteiligten erkennbar vom Verfolgungswillen des ersuchenden Staats erfasst waren, auch wenn die einzelnen Taten im Auslieferungsverfahren noch nicht näher konkretisiert waren.
18
(3) Auch unter Heranziehung dieser Grundsätze waren die Lebenssachverhalte , die zur Verurteilung in den Fällen 41 bis 50, 53 bis 69 und 74 bis 79 der Urteilsgründe geführt haben, von der Auslieferungsbewilligung auf der Grundlage des dem Auslieferungsverfahren zugrunde liegenden Haftbefehls nicht umfasst.
19
(4) Eine Aburteilung wegen dieser Taten hätte allenfalls dann erfolgen dürfen, wenn der Angeklagte zu Protokoll einer Justizbehörde bzw. eines Richters (vgl. Art. VI Abs. 2 und 3 des Vertrages vom 13. November 1969 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft über die Ergänzung des Europäischen Auslieferungsübereinkommens vom 13. Dezember 1957 und die Erleichterung seiner Anwendung) auf die Einhaltung des Spezialitätsgrundsatzes verzichtet hätte. Dies war jedoch nicht der Fall. Vielmehr ist den Auslieferungsunterlagen zu entnehmen, dass der Angeklagte diesen Verzicht nicht erklärt hat (vgl. SH „Rechtshilfe“ 92 AR 128/09, Bl. 133, 148). Die gegenteilige Behauptung des Angeklagten in der Hauptverhandlung kann die Einhaltung der vorgeschriebenen Form nicht ersetzen.
20
bb) Damit bestand zum Zeitpunkt der Verurteilung ein sich aus Art. 14 EuAlÜbk ergebendes Verfahrenshindernis (vgl. BGH, Urteil vom 29. Oktober 1963 - 1 StR 353/63, BGHSt 19, 118, 119). Die zur Auslieferung aufgrund eines Europäischen Haftbefehls ergangene Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union, nach der sich aus einem Verstoß gegen den Spezialitätsgrundsatz lediglich ein Vollstreckungshindernis und ein Verbot freiheitsbeschränkender Maßnahmen ergibt (EuGH, Urteil vom 1. Dezember 2008 - Rechtssache C-388/08 [Leymann und Pustovarov], NStZ 2010, 35 mit Anm. Heine, vgl. dazu BGH, Beschluss vom 27. Juli 2011 - 4 StR 303/11, NStZ 2012, 100), findet auf die hier vorliegende Auslieferung aus der Schweiz keine Anwendung.
21
cc) Das bestehende Verfahrenshindernis hatte jedoch nicht zur Folge, dass das Strafurteil des Landgerichts insoweit nichtig wäre; vielmehr ist dieses lediglich anfechtbar (vgl. RGSt 72, 77, 78; Schomburg/Hackner in Schomburg /Lagodny/Gleß/Hackner, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 4. Aufl. 2006, § 72 IRG Rn. 28).
22
b) Der Verstoß gegen den Grundsatz der Spezialität führt allerdings auch nicht dazu, dass der Senat das Urteil aufheben und das Verfahren wegen eines Verfahrenshindernisses einstellen müsste. Denn die Beschränkung der Hoheitsrechte der Bundesrepublik Deutschland aufgrund des im EuAlÜbk vereinbarten Spezialitätsgrundsatzes ist hier nachträglich weggefallen, weil der in Art. 14 Abs. 1 Buchst. b EuAlÜbk geregelte Ausnahmefall, bei dem die Spezialitätsbindung wieder entfällt, eingetreten ist.
23
aa) Art. 14 Abs. 1 Buchst. b EuAlÜbk lässt die Verfolgung und Aburteilung von in einer Auslieferungsbewilligung nicht genannten Taten dann zu, wenn der Ausgelieferte, obwohl er die Möglichkeit hatte, das Hoheitsgebiet des Staates, dem er ausgeliefert worden ist, innerhalb von 45 Tagen nach seiner endgültigen Freilassung nicht verlassen hat oder wenn er nach Verlassen dieses Gebiets dorthin zurückgekehrt ist (s. auch Art. 38 Abs. 2 Buchst. b Nr. 1 Schweizerisches IRSG).
24
bb) Diese Voraussetzungen liegen hier vor; der Angeklagte befand sich nach seiner Haftentlassung mehr als 45 Tage auf freiem Fuß und hat die Bundesrepublik Deutschland trotz vorherigen Hinweises auf die sich aus Art. 14 Abs. 1 Buchst. b EuAlÜbk ergebenden Rechtsfolgen nicht verlassen oder ist - was dem gleich steht (vgl. OLG Hamm wistra 1999, 359) - nach einer Ausreise dorthin wieder zurückgekehrt.
25
(1) Im Anschluss an die Urteilsverkündung am 29. Juli 2010 wurde der bereits seit 26. April 2010 außer Vollzug gesetzte Haftbefehl gegen den Angeklagten aufgehoben (PB I Bl. 302, PB II Bl. 600). Damit wurde der Angeklagte im Sinne von Art. 14 Abs. 1 Buchst. b EuAlÜbk i.V.m. Art. VI Abs. 1 SchweizEuAlÜbk -ErgV vom 13. November 1969 endgültig freigelassen.
26
„Endgültig freigelassen“ im Sinne des EuAlÜbk ist der Ausgelieferte dann, wenn ihm nach seiner Entlassung aus dem Gewahrsam des ersuchenden Staates in dem Verfahren, für das die Auslieferung bewilligt worden war, freisteht, das Hoheitsgebiet des ersuchenden Staates zu verlassen und er dazu die tatsächliche Möglichkeit hat (vgl. dazu auch Walter, NStZ 1993, 393). Dies war hier mit Aufhebung des gegen den Angeklagten bestehenden Haftbefehls bei der Urteilsverkündung der Fall. Hierdurch wurde auch die letzte die Bewe- gungsfreiheit des Angeklagten beeinträchtigende Maßnahme durch das Gericht aufgehoben. Ladungen standen angesichts des mit Urteil abgeschlossenen Hauptverfahrens erster Instanz nicht mehr an. Vollstreckungsmaßnahmen konnten im Hinblick auf die vom Angeklagten eingelegte Revision noch nicht ergriffen werden.
27
Einer die Bewegungsfreiheit beeinträchtigenden Maßnahme steht nicht gleich, dass der Angeklagte für den Fall der Rechtskraft des gegen ihn ergangenen erstinstanzlichen Urteils trotz Anrechnung verbüßter Auslieferungs- und Untersuchungshaft (vgl. § 51 Abs. 1 StGB) noch mit der Verbüßung eines Strafrests rechnen musste. Denn bis dahin konnte sich der Angeklagte völlig frei bewegen; eine Auflage, nicht ins Ausland zu reisen, wurde vom Gericht nicht getroffen. Der Umstand, dass der Angeklagte damit letztlich einer Strafverfolgung wegen der zunächst vom Spezialitätsgrundsatz erfassten Tatvorwürfe dauerhaft allenfalls dadurch hätte entgehen können, dass er ausreist und nicht nach Deutschland zurückkehrt, steht der Anwendung von Art. 14 Abs. 1 Buchst. b EuAlÜbk nicht entgegen. Denn diese Lage unterscheidet sich nicht von derjenigen, die bestehen würde, wenn der Angeklagte nicht von der Schweiz nach Deutschland ausgeliefert worden wäre. Auch dann könnte er nicht nach Deutschland zurückkehren, ohne sich einer Strafverfolgung auszusetzen. Diese Situation ist damit allein die Folge der von ihm begangenen Straftaten , nicht der Auslieferung.
28
Der vorliegende Fall ist auch nicht mit der von der Verteidigung angesprochenen Konstellation einer Strafvollstreckung vergleichbar, bei der ein Verurteilter nach Aussetzung der Vollstreckung eines Strafrests zur Bewährung der Aufsicht und Leitung eines Bewährungshelfers unterstellt war, der er sich bei einer Ausreise mit dem Risiko eines Bewährungswiderrufes (vgl. § 56f Abs. 1 Nr. 2 StGB) entziehen müsste (vgl. OLG München NStZ 1993, 392). Eine zur Bewährung ausgesetzte Strafe war gegen den Angeklagten gerade nicht verhängt worden; Weisungen, Auflagen oder sonstige Verhaltensanordnungen für die Dauer des Revisionsverfahrens wurden ebenfalls nicht ausgesprochen und standen daher einer Ausreise auch nicht entgegen. Vielmehr war der zunächst gegen Auflagen außer Vollzug gesetzte Haftbefehl mit Urteilsverkündung ersatzlos aufgehoben worden. Damit konnte sich der Angeklagte frei bewegen und individuell entscheiden, ob er ausreist oder nicht (vgl. auch LG Berlin ZfStrVo 1999, 116).
29
(2) Mit Schreiben vom 12. August 2011, dem Angeklagten zugegangen am 18. August 2011, hat der Vorsitzende des Senats den Angeklagten und seine Verteidiger auf die Rechtswirkungen eines Verbleibs des Angeklagten in der Bundesrepublik Deutschland gemäß der Art. 14 Abs. 1 Buchst. b EuAlÜbk, Art. 38 Abs. 2 Buchst. b Nr. 1 Schweizerisches IRSG hingewiesen.
30
(3) Wie der Senat im Freibeweisverfahren unter Einschaltung der Polizei ermittelt hat, hielt sich der Angeklagte im Oktober 2011 in Deutschland auf. Damit steht fest, dass der Angeklagte nach Ablauf der Schonfrist von 45 Tagen des Art. 14 Abs. 1 Buchst. b EuAlÜbk entweder Deutschland nicht verlassen hatte oder nach einer Ausreise dorthin wieder zurückgekehrt ist. In beiden Fällen entfällt die Spezialitätsbindung (vgl. Schomburg/Hackner in Schomburg /Lagodny/Gleß/Hackner, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 4. Aufl. 2006, § 72 IRG Rn. 15 mwN).
31
(4) Unbeachtlich ist insoweit, dass das Strafverfahren, dessentwegen seine Auslieferung bewilligt worden war, noch nicht endgültig abgeschlossen ist. Eine der Vorschrift des § 11 Abs. 2 Nr. 2 IRG entsprechende diesbezügliche Voraussetzung enthalten weder Art. 14 Abs. 1 Buchst. b EuAlÜbk noch Art. 38 Abs. 2 Buchst. b Nr. 1 Schweizerisches IRSG. Ausreichend für den Wegfall der Spezialitätsbindung ist daher, dass eine - auch nur bedingte - Freilassung erfolgt ist und der Betroffene die Möglichkeit zur Ausreise aus Deutschland hatte. Dies ist hier der Fall.
32
(5) Damit steht fest, dass gemäß Art. 14 Abs. 1 Buchst. b EuAlÜbk, Art. 38 Abs. 2 Buchst. b Nr. 1 Schweizerisches IRSG die Spezialitätsbindung entfallen ist. Der Grundsatz der Spezialität steht somit der Verurteilung des Angeklagten in den Fällen 41 bis 50, 53 bis 69 und 74 bis 79 der Urteilsgründe nicht (mehr) entgegen.
33
c) Der Umstand, dass das Strafverfahren wegen dieser Taten über weite Teile des Verfahrens unter Verstoß gegen das sich aus Art. 14 Abs. 1 EuAlÜbk ergebende Verfolgungs- und Verurteilungsverbot geführt worden ist, hindert eine Verwerfung der Revision des Angeklagten nicht. Er führt insbesondere nicht dazu, dass das Verfahren wiederholt werden müsste.
34
aa) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs können Verfahrenshindernisse auch noch im Revisionsverfahren beseitigt werden (vgl. BGH, Urteil vom 6. Dezember 1951 - 3 StR 961/51 zur Nachholung eines erforderlichen Strafantrags in der Revisionsinstanz; BGH, Urteil vom 26. Juni 1952 - 5 StR 382/52, BGHSt 3, 73; BGH, Beschluss vom 26. Mai 1961 - 2 StR 40/61, BGHSt 16, 225; BGH, Beschluss vom 12. Dezember 2000 - 4 StR 464/00, NJW 2001, 836). Die Beseitigung von behebbaren Verfahrenshindernissen kann dabei aus Gründen der Prozessökonomie (vgl. BGH, Urteil vom 15. März 2000 - 1 StR 483/99, StV 2000, 347) und im Hinblick auf die prozessuale Fürsorgepflicht gegenüber dem Beschuldigten (vgl. dazu Meyer- Goßner, StPO, 54. Aufl., § 206a Rn. 2) sogar geboten sein, um dem Angeklagten eine erneute Anklageerhebung und eine erneute Hauptverhandlung zu ersparen. Auch das Legalitätsprinzip (§ 152 Abs. 2 StPO), das gebietet, wegen aller verfolgbaren Taten einzuschreiten, verlangt, behebbare Verfahrenshindernisse mit den rechtlich dafür zur Verfügung stehenden Mitteln zu beseitigen.
35
bb) Diese Grundsätze gelten auch für Verstöße gegen den Grundsatz der Spezialität.
36
(1) Es ist allgemein anerkannt, dass es bei einem Verstoß gegen den Spezialitätsgrundsatz auch dem Revisionsgericht möglich ist, ein Verfahrenshindernis zu beseitigen, indem es den ausliefernden Staat in einem Nachtragsersuchen um Zustimmung zur Strafverfolgung für die nicht von der Auslieferungsbewilligung erfassten Taten ersucht (vgl. Schomburg/Hackner in Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 4. Aufl. 2006, § 72 IRG Rn. 28b; Grützner/Pötz/Kreß, Internationaler Rechtshilfeverkehr in Strafsachen, 3. Aufl., Teil II S. 16 Vorbem. Rn. 18). Stimmt der ersuchte Staat der Ausdehnung der Strafverfolgung auf die weiteren Taten zu, sind seine Rechte, die mit dem Spezialitätsgrundsatz geschützt werden sollen (Schomburg/Hackner aaO Rn. 13), gewahrt. Allerdings ist dann dem Angeklagten rechtliches Gehör zu gewähren (vgl. Schomburg/Hackner aaO Rn. 28b). Dies ist hier geschehen.
37
(2) In gleicher Weise entfällt die Spezialitätsbindung aus Art. 14 EuAlÜbk dann, wenn der Ausgelieferte noch nachträglich auf die Einhaltung des Grundsatzes der Spezialität verzichtet und sich mit der uneingeschränkten Strafverfolgung einverstanden erklärt (vgl. Art. VI Abs. 2 Schweiz-EuAlÜbk-ErgV vom 13. November 1969). Denn dann beruht die Strafverfolgung insoweit nicht auf der Auslieferung durch den ersuchten Staat, sondern auf der freien Entscheidung des Ausgelieferten, sich auch insoweit dem Strafverfahren zu stellen. Auch in Art. 14 Abs. 1 Buchst. b EuAlÜbk kommt zum Ausdruck, dass die Rechte des ersuchten Staates dann nicht verletzt sind, wenn der Ausgelieferte sich freiwillig der Strafverfolgung des ersuchenden Staates unterwirft. Der Verzicht des ausliefernden Staates auf die Einhaltung des Spezialitätsgrundsatzes ergibt sich damit insoweit bereits aus dem Auslieferungsübereinkommen selbst (vgl. Schomburg/Hackner aaO § 72 IRG Rn. 12a). Zugleich unterstreicht dies die „aktive Beteiligung des Individuums im Rechtshilferecht“ (vgl. Schom- burg/Lagodny/Gleß/Hackner, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 4. Aufl. 2006, Einl. 74 mit Belegen aus weiteren Auslieferungsübereinkommen).
38
(3) Hieraus wird deutlich, dass der in der Verletzung des Spezialitätsgrundsatzes liegende Mangel jederzeit behebbar ist, und zwar sowohl durch ein Tätigwerden des ausliefernden Staates als auch durch ein solches des Ausgelieferten. Damit kann weder der Ausgelieferte noch der ausliefernde Staat für sich allein die nachträgliche Herbeiführung der Verfolgungsvoraussetzungen verhindern. Etwaige Verwertungsverbote für die Ergebnisse des zuvor unter Verstoß gegen den Spezialitätsgrundsatz geführten Verfahrens bestehen nach einer nachträglichen Beseitigung des Verfahrenshindernisses nicht.
39
3. Auch im Hinblick auf den Grundsatz der Spezialität fehlt es nicht an der von Amts wegen zu berücksichtigenden Verfahrensvoraussetzung eines wirksamen Eröffnungsbeschlusses. Der Umstand, dass zum Zeitpunkt des Eröffnungsbeschlusses die Taten in den Fällen 41 bis 50, 53 bis 69 und 74 bis 79 der Urteilsgründe im Hinblick auf den Spezialitätsgrundsatz nach Art. 14 EuAlÜbk nicht verfolgt werden durften, steht der Wirksamkeit des Eröffnungsbeschlusses auch hinsichtlich dieser Taten nicht entgegen.

40
(1) Der Spezialitätsgrundsatz gebietet den Strafverfolgungsbehörden und Gerichten des ersuchenden Staates nach einer Auslieferung nicht, jegliche Untersuchungshandlungen im Hinblick auf solche Taten einzustellen, die von der Auslieferungsbewilligung nicht umfasst sind. Insbesondere ergibt sich aus dem Spezialitätsgrundsatz kein Befassungsverbot für die nicht von der Auslieferungsbewilligung erfassten Taten. Vielmehr bestimmt sich die Reichweite der Beschränkung der Hoheitsrechte für die Bundesrepublik Deutschland durch den Grundsatz der Spezialität im vorliegenden Fall allein nach dem der Auslieferung des Angeklagten zugrunde liegenden Art. 14 EuAlÜbk.
41
(2) Der Senat braucht nicht zu klären, wie weit der Kreis der durch den Spezialitätsgrundsatz verbotenen Untersuchungshandlungen reicht (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 10. Januar 2007 - 5 StR 305/06, NStZ 2007, 345 mit abl. Anm. Lagodny sowie OLG Zweibrücken, Beschluss vom 25. Februar 1991 - 1 Ws 641-642/90, StV 1993, 37 mit abl. Anm. Lagodny; vgl. auch BGH, Beschluss vom 15. August 1979 - 2 StR 465/79, BGHSt 29, 94 und BGH, Urteil vom 15. April 1987 - 2 StR 697/86, BGHSt 34, 352). Denn jedenfalls war der Eröffnungsbeschluss im vorliegenden Fall nach den Vorgaben des Art. 14 Abs. 2 EuAlÜbk zulässig. Nach dieser Vorschrift darf der ersuchende Staat die erforderlichen Maßnahmen treffen, um nach seinen Rechtsvorschriften die Verjährung zu unterbrechen. Demnach war hier sowohl die Erhebung der öffentlichen Klage (vgl. § 78c Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 StGB) als auch die Eröffnung des Hauptverfahrens (§ 78c Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 StGB) zur Verjährungsunterbrechung zulässig, zumal im vorliegenden Fall wegen des Tatvorwurfs der Steuerhinterziehung die Eröffnung des Hauptverfahrens vor dem Landgericht dazu führte, dass die Verjährung für einen Zeitraum von bis zu fünf Jahren ruhte (vgl. § 78b Abs. 4 StGB).

42
(3) Der Senat ist im Übrigen der Auffassung, dass ein Eröffnungsbeschluss auch dann hinsichtlich aller angeklagter Taten wirksam ist, wenn zum Zeitpunkt der Beschlussfassung für alle oder einzelne Taten ein aus dem Spezialitätsgrundsatz folgendes Verfahrenshindernis besteht, das aber behebbar ist.
43
(a) Nur schwerwiegende Mängel machen einen Eröffnungsbeschluss unwirksam, denn die gänzliche Unwirksamkeit mit der Folge rechtlicher Unbeachtlichkeit einer gerichtlichen Entscheidung kommt allenfalls in seltenen Ausnahmefällen in Betracht (vgl. BGH, Beschluss vom 16. Oktober 1980 - 1 BJs 80/78 - 3, StB 29, 30 und 31/80, NJW 1981, 133 mwN; vgl. auch Paeffgen in SK-StPO, 4. Aufl., § 207 StPO Rn. 23). Sonstige Mängel - selbst das Fehlen eines hinreichenden Tatverdachts (vgl. Stuckenberg in Löwe/Rosenberg, StPO, 26. Aufl. § 207 Rn. 76) - lassen dagegen die Wirksamkeit eines Eröffnungsbeschlusses unberührt. Fehlt etwa zur Zeit der Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens ein erforderlicher Strafantrag, führt dies nicht zur Unwirksamkeit des Eröffnungsbeschlusses (vgl. BGH, Urteil vom 6. Dezember 1951 - 3 StR 961/51). Vielmehr ist bei Antragsdelikten gemäß § 130 StPO sogar der Erlass eines Haftbefehls zulässig, wenn der für die Verfolgung erforderliche Strafantrag noch nicht gestellt ist, weil insoweit ein noch behebbares Verfahrenshindernis vorliegt.
44
(b) Es besteht kein Anlass, die Frage der Wirksamkeit eines unter Missachtung des Spezialitätsgrundsatzes ergangenen Eröffnungsbeschlusses anders zu beurteilen, wenn - wie hier - dieser Verstoß behebbar ist. Denn das deswegen bestehende (behebbare) Verfahrenshindernis führt nicht dazu, dass der Eröffnungsbeschluss seine Funktion als Verfahrensvoraussetzung nicht erfüllen kann; insbesondere ist die Umgrenzungsfunktion des Eröffnungsbeschlusses gewahrt.
45
Im Hinblick darauf, dass das sich aus der Verletzung des Spezialitätsgrundsatzes ergebende Verfahrenshindernis zu jedem Zeitpunkt durch einen Verzicht des Beschuldigten auf die Wahrung der Spezialitätsbindung oder durch ein erfolgreiches Nachtragsersuchen an den ausliefernden Staat beseitigt werden kann, ist ein Verstoß gegen den Spezialitätsgrundsatz nicht als so schwerwiegend anzusehen, dass er die Unwirksamkeit des Beschlusses als solches nach sich ziehen würde (a.A. Vogler/Walter in Grützner/Pötz/Kreß, Internationaler Rechtshilfeverkehr in Strafsachen, 3. Aufl., Teil I A2 § 72 IRG Rn. 14). Der Einhaltung des Spezialitätsgrundsatzes wird vielmehr dadurch ausreichend Rechnung getragen, dass gemäß § 206a StPO das Verfahren einzustellen ist, wenn das Verfahrenshindernis nicht beseitigt werden kann (vgl. dazu Stuckenberg in Löwe/Rosenberg, 26. Aufl., § 206a StPO Rn. 70).
46
(c) Der Beschluss des 2. Strafsenats vom 15. August 1979 in dem Verfahren 2 StR 465/79 (BGHSt 29, 94) steht dem nicht entgegen. Denn diese Entscheidung bezieht sich nicht auf das Europäische Auslieferungsübereinkommen vom 13. Dezember 1957 (EuAlÜbk), sondern auf eine Auslieferungsbewilligung auf der Grundlage des Auslieferungsvertrags zwischen dem Deutschen Reich und Spanien vom 2. Mai 1878 (RGBl 213), der abweichende Vereinbarungen enthält. Nach dem dortigen Art. 6 darf die ausgelieferte Person wegen eines Verbrechens oder Vergehens, wegen dessen die Auslieferung nicht bewilligt worden ist, ohne Nachtragsbewilligung nur dann „zur Untersu- chung gezogen und bestraft werden“, wenn sie, nachdem sie wegen der zur Auslieferung führenden Taten bestraft oder endgültig freigesprochen ist, während dreier Monate im Lande bleibt oder nach Verlassen desselben wieder dorthin zurückkehrt. Anders als nach Art. 14 Abs. 1 Buchst. b EuAlÜbk war dort für den Beginn der Schonfrist ein endgültiger Abschluss des Verfahrens, für das die Auslieferung bewilligt wurde, erforderlich.
47
(4) Soweit angenommen wird, eine nachträgliche Bewilligung zur Strafverfolgung oder ein nachträglicher Verzicht auf den Spezialitätsgrundsatz habe keine ex-tunc-Wirkung (vgl. OLG Oldenburg, StV 1995, 13; OLG Dresden, Beschluss vom 4. Dezember 2001 - 1 Ss 463/01, juris), geht dies bereits von einem unzutreffenden Ansatz aus. Prämisse dieser Auffassung ist, dass eine Anklageerhebung und ein Eröffnungsbeschluss unwirksam sind, wenn sie unter Verstoß gegen den Spezialitätsgrundsatz erfolgt sind. Dies ist indes - wie dargelegt - nicht der Fall.

II.


48
Aus den zutreffenden Gründen der Antragsschriften des Generalbundesanwalts vom 3. Mai 2011 und vom 20. Oktober 2011 enthält das angefochtene Urteil zum Schuldspruch und zum Strafausspruch keinen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler (§ 349 Abs. 2 StPO).
49
Auch die Verurteilung des Angeklagten in den Fällen 52 bis 66 der Urteilsgründe betreffend die O. GmbH hat Bestand. Insbesondere ist es angesichts der Urteilsfeststellungen nicht zu beanstanden, dass das Landgericht gemäß § 18 Abs. 2 Satz 4 UStG als Voranmeldungszeitraum den Kalendermonat angenommen hat (vgl. auch Stadie in Rau/Dürrwächter, Umsatzsteuergesetz, 8. Aufl., 146. Lfg. April 2011, § 18 UStG Rn. 73). Soweit die Rechnungen der O. GmbH für die Monate Januar, Februar und April 2009 nicht einzeln in den Urteilsgründen aufgelistet worden sind, stellt dies keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten in der Beweiswürdigung dar. Die Urteilsgründe belegen, dass die Steuerfahndungsbeamten R. und K. die bei mehreren Durchsuchungen aufgefundenen Rechnungen gesichtet und die einzelnen Rechnungsbeträge wie auch die auf UA S. 28 aufgelisteten Summen dieser Beträge als Zeugen in die Hauptverhandlung eingeführt haben. Das Landgericht durfte diese Angaben als glaubhaft werten und die summierten Beträge dem Urteil zugrunde legen, zu- mal die Angeklagten gegen das „Zahlenwerk“ keine Einwände erhoben haben (UA S. 80).

III.


50
Die von der Verteidigung mit Schriftsatz vom 27. November 2011 behauptete Verfahrensverzögerung im Revisionsverfahren seit August 2011 liegt nicht vor. Zwar wurden bereits am 10. August 2011 die Revisionen der Mitangeklagten F. und S. als unbegründet verworfen. Bei diesen Revisionen stellte sich allerdings nicht die Frage eines Verfahrenshindernisses wegen Verstoßes gegen den Grundsatz der Spezialität gemäß Art. 14 EuAlÜbk.
51
Entgegen der Auffassung der Revision begründet es keine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung, dass der Senat keine Teileinstellung gemäß § 206a StPO wegen des sich aus einem Verstoß gegen den Spezialitätsgrundsatz ergebenden Verfahrenshindernisses vorgenommen hat. Vielmehr war die Beseitigung des behebbaren Verfahrenshindernisses im Revisionsverfahren aus Gründen der Prozessökonomie (vgl. BGH, Urteil vom 15. März 2000 - 1 StR 483/99, StV 2000, 347) und im Hinblick auf die prozessuale Fürsorge- pflicht gegenüber dem Angeklagten (vgl. dazu Meyer-Goßner, StPO, 54. Aufl., § 206a Rn. 2) nicht nur sachgerecht, sondern sogar geboten. Denn es war angezeigt , das Verfahrenshindernis bereits in der Revisionsinstanz zu beseitigen, um dem Angeklagten zu ersparen, nach einer Teileinstellung des Verfahrens und erneuten Anklageerhebung, die im Hinblick auf Art. 14 Abs. 1 Buchst. b EuAlÜbk möglich war, nochmals einer Hauptverhandlung wegen derselben Tatvorwürfe ausgesetzt zu werden. Hierzu bedurfte es aber zunächst eines Hinweises an den Angeklagten auf die Rechtswirkungen des Ablaufs der Schonfrist des Art. 14 Abs. 1 Buchst. b EuAlÜbk und einer anschließenden Überprüfung durch den Senat im Freibeweisverfahren, ob der Angeklagte innerhalb der Schonfrist das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland verlassen hat.
52
Auf den sodann der neuen Situation angepassten Revisionsantrag des Generalbundesanwalts vom 20. Oktober 2011 hin hat die Verteidigung, die - nachdem der Angeklagte in der Hauptverhandlung behauptet hatte, „auf den Spezialitätsgrundsatz“ verzichtet zu haben- in ihrer ursprünglichen Revisionsbegründung einen möglichen (von Amts wegen zu beachtenden) Verstoß gegen den Spezialitätsgrundsatz nicht angesprochen hatte, am 27. November 2011 in einem vierzehnseitigen Schriftsatz diesem Antrag widersprochen und dabei zu den sich aus dem Spezialitätsgrundsatz ergebenden Fragen erstmals umfangreiche rechtliche Erwägungen angestellt. Diese mussten vom Senat sorgfältig geprüft werden, bevor eine Entscheidung ergehen konnte. Im Hinblick darauf, dass der Angeklagte sich im Revisionsverfahren auf freiem Fuß befand, sind im Übrigen unabhängig davon, dass ihm eine neue Hauptverhandlung erspart wurde, seine zusätzlichen Belastungen durch die Verfahrensdauer seit August 2011 gering.
Nack Wahl Hebenstreit Jäger Sander

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 148/11
vom
9. Februar 2012
BGHSt: ja
BGHR: ja
Nachschlagewerk: ja
Veröffentlichung: ja
_________________________
EuAlÜbk Art. 14 Abs. 1 Buchst. b; IRG § 72
1. Ein wegen eines Verstoßes gegen den Grundsatz der Spezialität aus Art.
14 des Europäischen Auslieferungsübereinkommens vom 13. Dezember
1957
(EuAlÜbk) bestehendes Verfahrenshindernis kann auch noch im Revisionsverfahren
beseitigt werden.
2. Ist der Ausgelieferte mit Verkündung des erstinstanzlichen Urteils auf freien
Fuß gesetzt worden, entfällt die Spezialitätsbindung gemäß Art. 14 Abs. 1
Buchst. b EuAlÜbk dann, wenn er - obwohl er über die Rechtsfolgen dieser
Vorschrift informiert worden ist und die Möglichkeit einer Ausreise hatte -
nicht innerhalb von 45 Tagen die Bundesrepublik Deutschland verlassen
hat oder wenn er nach dem Verlassen Deutschlands dorthin zurückgekehrt
ist.
BGH, Beschluss vom 9. Februar 2012 - 1 StR 148/11 - LG Wuppertal
in der Strafsache
gegen
wegen Steuerhinterziehung u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 9. Februar 2012 beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Wuppertal vom 28. April 2010 wird mit der Maßgabe als unbegründet verworfen, dass die vom Angeklagten in dieser Sache in der Schweiz erlittene Auslieferungshaft im Maßstab von 1 : 1 angerechnet wird. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Steuerhinterziehung in 16 Fällen und wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt. Hiergegen wendet er sich mit seiner auf die Sachrüge gestützten Revision, mit der er gleichzeitig ein Verfahrenshindernis geltend macht. Die Urteilsformel ist lediglich um die Entscheidung über die Anrechnung der in der Schweiz erlittenen Auslieferungshaft zu ergänzen. Im Übrigen hat die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
2
Der Erörterung bedarf lediglich Folgendes:

I.


3
Ein Verfahrenshindernis besteht nicht.
4
1. Der Eröffnungsbeschluss genügt den an ihn zu stellenden inhaltlichen Anforderungen.
5
Die Anklageschrift, an die der Eröffnungsbeschluss anknüpft, erfüllt noch ihre Funktion, die hier angeklagten Taten der Hinterziehung von Umsatzsteuer ausreichend zu umschreiben (vgl. zu den Anforderungen an die Darstellung in der Anklageschrift beim Vorwurf der Steuerhinterziehung BGH, Beschluss vom 27. Mai 2009 - 1 StR 665/08, NStZ-RR 2009, 340; siehe auch Weyand in Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, § 385 AO Rn. 19 ff.).
6
a) Eine Anklage ist dann unwirksam mit der Folge, dass das Verfahren wegen Fehlens einer Prozessvoraussetzung einzustellen ist, wenn etwaige Mängel dazu führen, dass die Anklage ihrer Umgrenzungsfunktion nicht genügt (vgl. BGH, Urteil vom 9. August 2011 - 1 StR 194/11 mwN). Mängel der Informationsfunktion berühren ihre Wirksamkeit dagegen nicht (vgl. u.a. BGH, Urteile vom 24. Januar 2012 - 1 StR 412/11 und vom 2. März 2011 - 2 StR 524/10; BGH, Beschluss vom 18. Oktober 2007 - 4 StR 481/07, jeweils mwN); insoweit können Fehler auch noch in der Hauptverhandlung durch Hinweise entsprechend § 265 StPO geheilt werden (vgl. BGH, Urteil vom 28. Oktober 2009 - 1 StR 205/09, NJW 2010, 308 mwN).
7
Genügt der Anklagesatz den Anforderungen an die Wahrung der Umgrenzungsfunktion für sich allein nicht, dürfen die Ausführungen im wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen zur Verdeutlichung und ergänzenden Erläuterung des Anklagesatzes herangezogen werden (BGHSt 46, 130, 134; BGH NStZ 2001, 656, 657; BGHR StPO § 200 Abs. 1 Satz 1 Tat 24; Schneider in KK-StPO, 6. Aufl., § 200 StPO Rn. 30). Voraussetzung hierfür ist jedoch stets, dass sich aus dem Anklagesatz zumindest die Grundlagen einer Tatbeteiligung ergeben. Fehlende Angaben im Anklagesatz können dann aus dem wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen entnommen werden, wenn sie dort eindeutig benannt sind und daraus deutlich wird, dass sich der Verfolgungswille der Staatsanwaltschaft hierauf erstreckt (vgl. BGH, Urteil vom 28. Oktober 2009 - 1 StR 205/09, NJW 2010, 308 mwN).
8
b) Ausgehend von diesen Maßstäben genügt die Anklageschrift den Anforderungen an die Umgrenzungsfunktion, wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift vom 3. Mai 2011 zutreffend darlegt. Es waren auch sämtliche abgeurteilten Taten von der Anklage und vom Eröffnungsbeschluss erfasst (zur Reichweite der prozessualen Tat in Fällen der Hinterziehung von Umsatzsteuer vgl. BGH, Urteil vom 17. März 2009 - 1 StR 627/08, BGHSt 53, 221 Rn. 28 ff.).
9
2. Auch im Hinblick auf den Grundsatz der Spezialität besteht kein Verfahrenshindernis.
10
a) Allerdings bestand zum Zeitpunkt der Verurteilung des Angeklagten durch das Landgericht wegen des Grundsatzes der Spezialität hinsichtlich einzelner von der Verurteilung erfasster Delikte ein von Amts wegen zu berücksichtigendes Verfolgungsverbot (Verfahrenshindernis) aus Art. 14 des Europäischen Auslieferungsübereinkommens vom 13. Dezember 1957 (EuAlÜbk), denn der Angeklagte war nicht wegen dieser Delikte von der Schweiz nach Deutschland ausgeliefert worden und hatte auch nicht auf die Einhaltung des Spezialitätsgrundsatzes verzichtet.
11
aa) Der Angeklagte wurde zur Durchführung des Strafverfahrens aus der Schweiz ausgeliefert. Dieser Auslieferung lag ein Haftbefehl vom 8. Mai 2009 zugrunde (der unzutreffend unter dem 8. Mai 2008 datiert). Dieser Haftbefehl erfasste jedoch - wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift vom 3. Mai 2011 zutreffend dargelegt hat - die Lebenssachverhalte nicht, die der Verurteilung in den Fällen 9 und 14 bis 19 der Urteilsgründe zugrunde liegen. Die Zustimmung des Angeklagten zur vereinfachten Auslieferung ließ den Grundsatz der Spezialität nicht entfallen (vgl. BGH, Beschluss vom 8. August 1989 - 1 StR 296/89, NStE Nr. 5 zu Art. 14 EuAlÜbk).
12
(1) Aus dem Grundsatz der Spezialität ergibt sich für den ersuchenden Staat eine Beschränkung seiner Hoheitsrechte (vgl. dazu Schomburg/ Lagodny/Gleß/Hackner, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 4. Aufl. 2006, Einl. 74). Ihr Umfang bestimmt sich hier nach den Regelungen des EuAlÜbk in Verbindung mit der Auslieferungsbewilligung der Schweiz. Aus Art. 14 Abs. 1 EuAlÜbk ergibt sich, dass der Ausgelieferte „wegen einer anderen, vor der Übergabe begangenen Handlung als derjenigen, die der Auslieferung zugrunde liegt, nur … verfolgt, abgeurteilt, zur Vollstreckung einer Strafe oder Maßregel der Sicherung oder Besserung in Haft gehalten oder einer sonstigen Beschrän- kung seiner persönlichen Freiheit unterworfen werden“ darf, wenn der Staat, der ihn ausgeliefert hat, zustimmt (Art. 14 Abs. 1 Buchst. a EuAlÜbk) oder wenn nach Verstreichen der Schonfrist des Art. 14 Abs. 1 Buchst. b EuAlÜbk die dort genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Danach durfte der Angeklagte nur wegen solcher vor der Auslieferung begangener Taten bestraft werden, für die die Auslieferung bewilligt wurde (vgl. BGH, Urteil vom 20. Dezember 1968 - 1 StR 508/67, BGHSt 22, 307; BGH, Urteil vom 11. März 1999 - 4 StR 526/98, NStZ 1999, 363).
13
(2) Zur Reichweite des Grundsatzes der Spezialität gilt Folgendes (vgl. BGH, Beschluss vom 2. November 2010 - 1 StR 544/09 mwN):
14
Der dem Spezialitätsgrundsatz zugrunde liegende Tatbegriff umfasst den gesamten mitgeteilten Lebenssachverhalt, innerhalb dessen der Verfolgte einen oder mehrere Straftatbestände erfüllt haben soll. Im Rahmen dieses historischen Vorgangs sind die Gerichte des ersuchenden Staates nicht gehindert, die Tat abweichend rechtlich oder tatsächlich zu würdigen, soweit insofern ebenfalls Auslieferungsfähigkeit besteht. Auch eine Änderung in der Rechtsauffassung berührt die Hoheitsinteressen des um Auslieferung ersuchten Staates regelmäßig nicht.
15
Dementsprechend steht der Spezialitätsgrundsatz etwa einer Verurteilung wegen Einzeltaten anstelle einer im Auslieferungsersuchen angenommenen fortgesetzten Handlung nicht entgegen. Das Gleiche gilt, wenn der den Haftbefehl erlassende Richter anstatt von Tatmehrheit rechtsfehlerhaft von einer Verknüpfung der Taten im Sinne einer Handlungseinheit ausgegangen ist, sofern die dem Beschuldigten vorgeworfenen Tathandlungen dem Auslieferungsersuchen zu entnehmen sind.
16
Maßgeblich ist insoweit ausgehend von Sinn und Zweck des Spezialitätsgrundsatzes der Verfolgungswille des ersuchenden Staates, wie er für den ersuchten Staat im Auslieferungsverfahren objektiv erkennbar zum Ausdruck gebracht wird. Dem ersuchten Staat steht es frei, bei insoweit bestehenden Un- klarheiten oder Unschärfen im Hinblick auf den Tatvorwurf seinerseits um Ergänzung der Darstellung der Handlungen, die Gegenstand des Auslieferungsersuchens sind, zu ersuchen (vgl. Art. 12 Abs. 2 Buchst. b, Art. 13 EuAlÜbk). Sieht er hiervon ab, bringt er mit der unbedingten Bewilligung zum Ausdruck, dass die Auslieferung zur Verfolgung all derjenigen Taten erfolgt, die für alle Verfahrensbeteiligten erkennbar vom Verfolgungswillen des ersuchenden Staats erfasst waren, auch wenn die einzelnen Taten im Auslieferungsverfahren noch nicht näher konkretisiert waren.
17
(3) Auch unter Heranziehung dieser Grundsätze waren die Lebenssachverhalte , die zur Verurteilung in den Fällen 9 und 14 bis 19 der Urteilsgründe geführt haben, von der Auslieferungsbewilligung auf der Grundlage des dem Auslieferungsverfahren zugrunde liegenden Haftbefehls nicht umfasst.
18
(4) Eine Aburteilung wegen dieser Taten hätte allenfalls dann erfolgen dürfen, wenn der Angeklagte zu Protokoll einer Justizbehörde bzw. eines Richters (vgl. Art. VI Abs. 2 und 3 des Vertrages vom 13. November 1969 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft über die Ergänzung des Europäischen Auslieferungsübereinkommens vom 13. Dezember 1957 und die Erleichterung seiner Anwendung) auf die Einhaltung des Spezialitätsgrundsatzes verzichtet hätte. Dies war jedoch nicht der Fall. Vielmehr ist den Auslieferungsunterlagen zu entnehmen, dass der Angeklagte diesen Verzicht nicht erklärt hat (vgl. SH „Rechtshilfe“ 92 AR 127/09, Bl. 131, 145).
19
bb) Damit bestand zum Zeitpunkt der Verurteilung ein sich aus Art. 14 EuAlÜbk ergebendes Verfahrenshindernis (vgl. BGH, Urteil vom 29. Oktober 1963 - 1 StR 353/63, BGHSt 19, 118, 119). Die zur Auslieferung aufgrund eines Europäischen Haftbefehls ergangene Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union, nach der sich aus einem Verstoß gegen den Spezialitätsgrundsatz lediglich ein Vollstreckungshindernis und ein Verbot freiheitsbeschränkender Maßnahmen ergibt (EuGH, Urteil vom 1. Dezember 2008 - Rechtssache C-388/08 [Leymann und Pustovarov], NStZ 2010, 35 mit Anm. Heine, vgl. dazu BGH, Beschluss vom 27. Juli 2011 - 4 StR 303/11, NStZ 2012, 100), findet auf die hier vorliegende Auslieferung aus der Schweiz keine Anwendung.
20
cc) Das bestehende Verfahrenshindernis hatte jedoch nicht zur Folge, dass das Strafurteil des Landgerichts insoweit nichtig wäre; vielmehr ist dieses lediglich anfechtbar (vgl. RGSt 72, 77, 78; Schomburg/Hackner in Schomburg /Lagodny/Gleß/Hackner, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 4. Aufl. 2006, § 72 IRG Rn. 28).
21
b) Der Verstoß gegen den Grundsatz der Spezialität führt allerdings auch nicht dazu, dass der Senat das Urteil aufheben und das Verfahren wegen eines Verfahrenshindernisses einstellen müsste. Denn die Beschränkung der Hoheitsrechte der Bundesrepublik Deutschland aufgrund des im EuAlÜbk vereinbarten Spezialitätsgrundsatzes ist hier nachträglich weggefallen, weil der in Art. 14 Abs. 1 Buchst. b EuAlÜbk geregelte Ausnahmefall, bei dem die Spezialitätsbindung wieder entfällt, eingetreten ist.
22
aa) Art. 14 Abs. 1 Buchst. b EuAlÜbk lässt die Verfolgung und Aburteilung von in einer Auslieferungsbewilligung nicht genannten Taten dann zu, wenn der Ausgelieferte, obwohl er die Möglichkeit hatte, das Hoheitsgebiet des Staates, dem er ausgeliefert worden ist, innerhalb von 45 Tagen nach seiner endgültigen Freilassung nicht verlassen hat oder wenn er nach Verlassen dieses Gebiets dorthin zurückgekehrt ist (s. auch Art. 38 Abs. 2 Buchst. b Nr. 1 Schweizerisches IRSG).
23
bb) Diese Voraussetzungen liegen hier vor; der Angeklagte befand sich nach seiner Haftentlassung mehr als 45 Tage auf freiem Fuß und hat die Bundesrepublik Deutschland trotz vorherigen Hinweises auf die sich aus Art. 14 Abs. 1 Buchst. b EuAlÜbk ergebenden Rechtsfolgen nicht verlassen oder ist - was dem gleich steht (vgl. OLG Hamm wistra 1999, 359) - nach einer Ausreise dorthin wieder zurückgekehrt.
24
(1) Im Anschluss an die Urteilsverkündung am 28. April 2010 wurde der bereits seit 12. März 2010 außer Vollzug gesetzte Haftbefehl gegen den Angeklagten aufgehoben (PB I Bl. 75, 259). Damit wurde der Angeklagte im Sinne von Art. 14 Abs. 1 Buchst. b EuAlÜbk i.V.m. Art. VI Abs. 1 SchweizEuAlÜbk -ErgV vom 13. November 1969 endgültig freigelassen.
25
„Endgültig freigelassen“ im Sinne des EuAlÜbk ist der Ausgelieferte dann, wenn ihm nach seiner Entlassung aus dem Gewahrsam des ersuchenden Staates in dem Verfahren, für das die Auslieferung bewilligt worden war, freisteht, das Hoheitsgebiet des ersuchenden Staates zu verlassen und er dazu die tatsächliche Möglichkeit hat (vgl. dazu auch Walter, NStZ 1993, 393). Dies war hier mit Aufhebung des gegen den Angeklagten bestehenden Haftbefehls bei der Urteilsverkündung der Fall. Hierdurch wurde auch die letzte die Bewegungsfreiheit des Angeklagten beeinträchtigende Maßnahme durch das Gericht aufgehoben. Ladungen standen angesichts des mit Urteil abgeschlossenen Hauptverfahrens erster Instanz nicht mehr an. Vollstreckungsmaßnahmen konnten im Hinblick auf die vom Angeklagten eingelegte Revision noch nicht ergriffen werden.
26
Einer die Bewegungsfreiheit beeinträchtigenden Maßnahme steht nicht gleich, dass der Angeklagte für den Fall der Rechtskraft des gegen ihn ergangenen erstinstanzlichen Urteils trotz Anrechnung verbüßter Auslieferungs- und Untersuchungshaft (vgl. § 51 Abs. 1 StGB) noch mit der Verbüßung eines Strafrests rechnen musste. Denn bis dahin konnte sich der Angeklagte völlig frei bewegen; eine Auflage, nicht ins Ausland zu reisen, wurde vom Gericht nicht getroffen. Der Umstand, dass der Angeklagte damit letztlich einer Strafverfolgung wegen der zunächst vom Spezialitätsgrundsatz erfassten Tatvorwürfe dauerhaft allenfalls dadurch hätte entgehen können, dass er ausreist und nicht nach Deutschland zurückkehrt, steht der Anwendung von Art. 14 Abs. 1 Buchst. b EuAlÜbk nicht entgegen. Denn diese Lage unterscheidet sich nicht von derjenigen, die bestehen würde, wenn der Angeklagte nicht von der Schweiz nach Deutschland ausgeliefert worden wäre. Auch dann könnte er nicht nach Deutschland zurückkehren, ohne sich einer Strafverfolgung auszusetzen. Diese Situation ist damit allein die Folge der von ihm begangenen Straftaten, nicht der Auslieferung.
27
Der vorliegende Fall ist auch nicht mit der von der Verteidigung angesprochenen Konstellation einer Strafvollstreckung vergleichbar, bei der ein Verurteilter nach Aussetzung der Vollstreckung eines Strafrests zur Bewährung der Aufsicht und Leitung eines Bewährungshelfers unterstellt war, der er sich bei einer Ausreise mit dem Risiko eines Bewährungswiderrufes (vgl. § 56f Abs. 1 Nr. 2 StGB) entziehen müsste (vgl. OLG München NStZ 1993, 392). Eine zur Bewährung ausgesetzte Strafe war gegen den Angeklagten gerade nicht verhängt worden; Weisungen, Auflagen oder sonstige Verhaltensanordnungen für die Dauer des Revisionsverfahrens wurden ebenfalls nicht ausgesprochen und standen daher einer Ausreise auch nicht entgegen. Vielmehr war der zunächst gegen Auflagen außer Vollzug gesetzte Haftbefehl mit Urteilsverkündung ersatzlos aufgehoben worden. Damit konnte sich der Angeklagte frei bewegen und individuell entscheiden, ob er ausreist oder nicht (vgl. auch LG Berlin ZfStrVo 1999, 116).
28
(2) Mit Schreiben vom 12. August 2011, dem Angeklagten zugegangen am 18. August 2011, hat der Vorsitzende des Senats den Angeklagten und seine Verteidiger auf die Rechtswirkungen eines Verbleibs des Angeklagten in der Bundesrepublik Deutschland gemäß der Art. 14 Abs. 1 Buchst. b EuAlÜbk, Art. 38 Abs. 2 Buchst. b Nr. 1 Schweizerisches IRSG hingewiesen.
29
(3) Wie der Senat im Freibeweisverfahren unter Einschaltung der Polizei ermittelt hat, wohnte der Angeklagte im Oktober 2011 in der Wohnung seiner Mutter. Damit steht fest, dass der Angeklagte nach Ablauf der Schonfrist von 45 Tagen des Art. 14 Abs. 1 Buchst. b EuAlÜbk entweder Deutschland nicht verlassen hatte oder nach einer Ausreise dorthin wieder zurückgekehrt ist. In beiden Fällen entfällt die Spezialitätsbindung (vgl. Schomburg/Hackner in Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen , 4. Aufl. 2006, § 72 IRG Rn. 15 mwN).
30
(4) Unbeachtlich ist insoweit, dass das Strafverfahren, dessentwegen seine Auslieferung bewilligt worden war, noch nicht endgültig abgeschlossen ist. Eine der Vorschrift des § 11 Abs. 2 Nr. 2 IRG entsprechende diesbezügli- che Voraussetzung enthalten weder Art. 14 Abs. 1 Buchst. b EuAlÜbk noch Art. 38 Abs. 2 Buchst. b Nr. 1 Schweizerisches IRSG. Ausreichend für den Wegfall der Spezialitätsbindung ist daher, dass eine - auch nur bedingte - Freilassung erfolgt ist und der Betroffene die Möglichkeit zur Ausreise aus Deutschland hatte. Dies ist hier der Fall.
31
(5) Damit steht fest, dass gemäß Art. 14 Abs. 1 Buchst. b EuAlÜbk, Art. 38 Abs. 2 Buchst. b Nr. 1 Schweizerisches IRSG die Spezialitätsbindung entfallen ist. Der Grundsatz der Spezialität steht somit der Verurteilung des Angeklagten in den Fällen 9 und 14 bis 19 der Urteilsgründe nicht (mehr) entgegen.
32
c) Der Umstand, dass das Strafverfahren wegen dieser Taten über weite Teile des Verfahrens unter Verstoß gegen das sich aus Art. 14 Abs. 1 EuAlÜbk ergebende Verfolgungs- und Verurteilungsverbot geführt worden ist, hindert einer Verwerfung der Revision des Angeklagten nicht. Er führt insbesondere nicht dazu, dass das Verfahren wiederholt werden müsste.
33
aa) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs können Verfahrenshindernisse auch noch im Revisionsverfahren beseitigt werden (vgl. BGH, Urteil vom 6. Dezember 1951 – 3 StR 961/51 zur Nachholung eines erforderlichen Strafantrags in der Revisionsinstanz; BGH, Urteil vom 26. Juni 1952 - 5 StR 382/52, BGHSt 3, 73; BGH, Beschluss vom 26. Mai 1961 - 2 StR 40/61, BGHSt 16, 225; BGH, Beschluss vom 12. Dezember 2000 - 4 StR 464/00, NJW 2001, 836). Die Beseitigung von behebbaren Verfahrenshindernissen kann dabei aus Gründen der Prozessökonomie (vgl. BGH, Urteil vom 15. März 2000 - 1 StR 483/99, StV 2000, 347) und im Hinblick auf die prozessuale Fürsorgepflicht gegenüber dem Beschuldigten (vgl. dazu Meyer- Goßner, StPO, 54. Aufl., § 206a Rn. 2) sogar geboten sein, um dem Angeklagten eine erneute Anklageerhebung und eine erneute Hauptverhandlung zu ersparen. Auch das Legalitätsprinzip (§ 152 Abs. 2 StPO), das gebietet, wegen aller verfolgbaren Taten einzuschreiten, verlangt, behebbare Verfahrenshindernisse mit den rechtlich dafür zur Verfügung stehenden Mitteln zu beseitigen.
34
bb) Diese Grundsätze gelten auch für Verstöße gegen den Grundsatz der Spezialität.
35
(1) Es ist allgemein anerkannt, dass es bei einem Verstoß gegen den Spezialitätsgrundsatz auch dem Revisionsgericht möglich ist, ein Verfahrenshindernis zu beseitigen, indem es den ausliefernden Staat in einem Nachtragsersuchen um Zustimmung zur Strafverfolgung für die nicht von der Auslieferungsbewilligung erfassten Taten ersucht (vgl. Schomburg/Hackner in Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 4. Aufl. 2006, § 72 IRG Rn. 28b; Grützner/Pötz/Kreß, Internationaler Rechtshilfeverkehr in Strafsachen, 3. Aufl., Teil II S. 16 Vorbem. Rn. 18). Stimmt der ersuchte Staat der Ausdehnung der Strafverfolgung auf die weiteren Taten zu, sind seine Rechte, die mit dem Spezialitätsgrundsatz geschützt werden sollen (Schomburg/Hackner aaO Rn. 13), gewahrt. Allerdings ist dann dem Angeklagten rechtliches Gehör zu gewähren (vgl. Schomburg/Hackner aaO Rn. 28b). Dies ist hier geschehen.
36
(2) In gleicher Weise entfällt die Spezialitätsbindung aus Art. 14 EuAlÜbk dann, wenn der Ausgelieferte noch nachträglich auf die Einhaltung des Grundsatzes der Spezialität verzichtet und sich mit der uneingeschränkten Strafverfolgung einverstanden erklärt (vgl. Art. VI Abs. 2 Schweiz-EuAlÜbk- ErgV vom 13. November 1969). Denn dann beruht die Strafverfolgung insoweit nicht auf der Auslieferung durch den ersuchten Staat, sondern auf der freien Entscheidung des Ausgelieferten, sich auch insoweit dem Strafverfahren zu stellen. Auch in Art. 14 Abs. 1 Buchst. b EuAlÜbk kommt zum Ausdruck , dass die Rechte des ersuchten Staates dann nicht verletzt sind, wenn der Ausgelieferte sich freiwillig der Strafverfolgung des ersuchenden Staates unterwirft. Der Verzicht des ausliefernden Staates auf die Einhaltung des Spezialitätsgrundsatzes ergibt sich damit insoweit bereits aus dem Auslieferungsübereinkommen selbst (vgl. Schomburg/Hackner aaO § 72 IRG Rn. 12a). Zugleich unterstreicht dies die „aktive Beteiligung des Individuums im Rechtshil- ferecht“ (vgl. Schomburg/Lagodny/ Gleß/Hackner, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 4. Aufl. 2006, Einl. 74 mit Belegen aus weiteren Auslieferungsübereinkommen ).
37
(3) Hieraus wird deutlich, dass der in der Verletzung des Spezialitätsgrundsatzes liegende Mangel jederzeit behebbar ist, und zwar sowohl durch ein Tätigwerden des ausliefernden Staates als auch durch ein solches des Ausgelieferten. Damit kann weder der Ausgelieferte noch der ausliefernde Staat für sich allein die nachträgliche Herbeiführung der Verfolgungsvoraussetzungen verhindern. Etwaige Verwertungsverbote für die Ergebnisse des zuvor unter Verstoß gegen den Spezialitätsgrundsatz geführten Verfahrens bestehen nach einer nachträglichen Beseitigung des Verfahrenshindernisses nicht.
38
3. Auch im Hinblick auf den Grundsatz der Spezialität fehlt es nicht an der von Amts wegen zu berücksichtigenden Verfahrensvoraussetzung eines wirksamen Eröffnungsbeschlusses. Der Umstand, dass zum Zeitpunkt des Eröffnungsbeschlusses die Taten in den Fällen 9 und 14 bis 19 der Urteils- gründe im Hinblick auf den Spezialitätsgrundsatz nach Art. 14 EuAlÜbk nicht verfolgt werden durften, steht der Wirksamkeit des Eröffnungsbeschlusses auch hinsichtlich dieser Taten nicht entgegen.
39
(1) Der Spezialitätsgrundsatz gebietet den Strafverfolgungsbehörden und Gerichten des ersuchenden Staates nach einer Auslieferung nicht, jegliche Untersuchungshandlungen im Hinblick auf solche Taten einzustellen, die von der Auslieferungsbewilligung nicht umfasst sind. Insbesondere ergibt sich aus dem Spezialitätsgrundsatz kein Befassungsverbot für die nicht von der Auslieferungsbewilligung erfassten Taten. Vielmehr bestimmt sich die Reichweite der Beschränkung der Hoheitsrechte für die Bundesrepublik Deutschland durch den Grundsatz der Spezialität im vorliegenden Fall allein nach dem der Auslieferung des Angeklagten zugrunde liegenden Art. 14 EuAlÜbk.
40
(2) Der Senat braucht nicht zu klären, wie weit der Kreis der durch den Spezialitätsgrundsatz verbotenen Untersuchungshandlungen reicht (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 10. Januar 2007 - 5 StR 305/06, NStZ 2007, 345 mit abl. Anm. Lagodny sowie OLG Zweibrücken, Beschluss vom 25. Februar 1991 - 1 Ws 641-642/90, StV 1993, 37 mit abl. Anm. Lagodny; vgl. auch BGH, Beschluss vom 15. August 1979 - 2 StR 465/79, BGHSt 29, 94 und BGH, Urteil vom 15. April 1987 - 2 StR 697/86, BGHSt 34, 352). Denn jedenfalls war der Eröffnungsbeschluss im vorliegenden Fall nach den Vorgaben des Art. 14 Abs. 2 EuAlÜbk zulässig. Nach dieser Vorschrift darf der ersuchende Staat die erforderlichen Maßnahmen treffen, um nach seinen Rechtsvorschriften die Verjährung zu unterbrechen. Demnach war hier sowohl die Erhebung der öffentlichen Klage (vgl. § 78c Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 StGB) als auch die Eröffnung des Hauptverfahrens (§ 78c Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 StGB) zur Verjährungsunterbrechung zulässig, zumal im vorliegenden Fall wegen des Tatvorwurfs der Steuerhinterziehung die Eröffnung des Hauptverfahrens vor dem Landgericht dazu führte, dass die Verjährung für einen Zeitraum von bis zu fünf Jahren ruhte (vgl. § 78b Abs. 4 StGB).
41
(3) Der Senat ist im Übrigen der Auffassung, dass ein Eröffnungsbeschluss auch dann hinsichtlich aller angeklagter Taten wirksam ist, wenn zum Zeitpunkt der Beschlussfassung für alle oder einzelne Taten ein aus dem Spezialitätsgrundsatz folgendes Verfahrenshindernis besteht, das aber behebbar ist.
42
(a) Nur schwerwiegende Mängel machen einen Eröffnungsbeschluss unwirksam, denn die gänzliche Unwirksamkeit mit der Folge rechtlicher Unbeachtlichkeit einer gerichtlichen Entscheidung kommt allenfalls in seltenen Ausnahmefällen in Betracht (vgl. BGH, Beschluss vom 16. Oktober 1980 - 1 BJs 80/78 - 3, StB 29, 30 und 31/80, NJW 1981, 133 mwN; vgl. auch Paeffgen in SK-StPO, 4. Aufl., § 207 StPO Rn. 23). Sonstige Mängel - selbst das Fehlen eines hinreichenden Tatverdachts (vgl. Stuckenberg in Löwe/ Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 207 Rn. 76) - lassen dagegen die Wirksamkeit eines Eröffnungsbeschlusses unberührt. Fehlt etwa zur Zeit der Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens ein erforderlicher Strafantrag, führt dies nicht zur Unwirksamkeit des Eröffnungsbeschlusses (vgl. BGH, Urteil vom 6. Dezember 1951 - 3 StR 961/51). Vielmehr ist bei Antragsdelikten gemäß § 130 StPO sogar der Erlass eines Haftbefehls zulässig, wenn der für die Verfolgung erforderliche Strafantrag noch nicht gestellt ist, weil insoweit ein noch behebbares Verfahrenshindernis vorliegt.
43
(b) Es besteht kein Anlass, die Frage der Wirksamkeit eines unter Missachtung des Spezialitätsgrundsatzes ergangenen Eröffnungsbeschlusses anders zu beurteilen, wenn - wie hier - dieser Verstoß behebbar ist. Denn das deswegen bestehende (behebbare) Verfahrenshindernis führt nicht dazu, dass der Eröffnungsbeschluss seine Funktion als Verfahrensvoraussetzung nicht erfüllen kann; insbesondere ist die Umgrenzungsfunktion des Eröffnungsbeschlusses gewahrt.
44
Im Hinblick darauf, dass das sich aus der Verletzung des Spezialitätsgrundsatzes ergebende Verfahrenshindernis zu jedem Zeitpunkt durch einen Verzicht des Beschuldigten auf die Wahrung der Spezialitätsbindung oder durch ein erfolgreiches Nachtragsersuchen an den ausliefernden Staat beseitigt werden kann, ist ein Verstoß gegen den Spezialitätsgrundsatz nicht als so schwerwiegend anzusehen, dass er die Unwirksamkeit des Beschlusses als solches nach sich ziehen würde (a.A. Vogler/Walter in Grützner/Pötz/Kreß, Internationaler Rechtshilfeverkehr in Strafsachen, 3. Aufl., Teil I A2 § 72 IRG Rn. 14). Der Einhaltung des Spezialitätsgrundsatzes wird vielmehr dadurch ausreichend Rechnung getragen, dass gemäß § 206a StPO das Verfahren einzustellen ist, wenn das Verfahrenshindernis nicht beseitigt werden kann (vgl. dazu Stuckenberg in Löwe/Rosenberg, 26. Aufl., § 206a StPO Rn. 70).
45
(c) Der Beschluss des 2. Strafsenats vom 15. August 1979 in dem Verfahren 2 StR 465/79 (BGHSt 29, 94) steht dem nicht entgegen. Denn diese Entscheidung bezieht sich nicht auf das Europäische Auslieferungsübereinkommen vom 13. Dezember 1957 (EuAlÜbk), sondern auf eine Auslieferungsbewilligung auf der Grundlage des Auslieferungsvertrags zwischen dem Deutschen Reich und Spanien vom 2. Mai 1878 (RGBl 213), der abweichende Vereinbarungen enthält. Nach dem dortigen Art. 6 darf die ausgelieferte Per- son wegen eines Verbrechens oder Vergehens, wegen dessen die Ausliefe- rung nicht bewilligt worden ist, ohne Nachtragsbewilligung nur dann „zur Untersuchung gezogen und bestraft werden“, wenn sie, nachdem sie wegen der zur Auslieferung führenden Taten bestraft oder endgültig freigesprochen ist, während dreier Monate im Lande bleibt oder nach Verlassen desselben wieder dorthin zurückkehrt. Anders als nach Art. 14 Abs. 1 Buchst. b EuAlÜbk war dort für den Beginn der Schonfrist ein endgültiger Abschluss des Verfahrens, für das die Auslieferung bewilligt wurde, erforderlich.
46
(4) Soweit angenommen wird, eine nachträgliche Bewilligung zur Strafverfolgung oder ein nachträglicher Verzicht auf den Spezialitätsgrundsatz habe keine ex-tunc-Wirkung (vgl. OLG Oldenburg, StV 1995, 13; OLG Dresden, Beschluss vom 4. Dezember 2001 - 1 Ss 463/01, juris), geht dies bereits von einem unzutreffenden Ansatz aus. Prämisse dieser Auffassung ist, dass eine Anklageerhebung und ein Eröffnungsbeschluss unwirksam sind, wenn sie unter Verstoß gegen den Spezialitätsgrundsatz erfolgt sind. Dies ist indes - wie dargelegt - nicht der Fall.

II.


47
Aus den zutreffenden Gründen der Antragsschriften des Generalbundesanwalts vom 3. Mai 2011 und vom 20. Oktober 2011 enthält das angefochtene Urteil zum Schuldspruch und zum Strafausspruch keinen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler; allerdings fehlt es im Urteil an der gemäß § 51 Abs. 1, Abs. 4 Satz 2 StGB gebotenen Anrechnung der von dem Angeklagten in der Schweiz erlittenen Auslieferungshaft auf die verhängte Freiheitsstrafe. Diese muss in der Urteilsformel ebenso zum Ausdruck kommen, wie der festgesetzte Maßstab der Anrechnung. Vorliegend kann der Senat diesen Ausspruch selbst nachholen. Ein anderer Anrechnungsmaßstab als 1 : 1 kommt hier ersichtlich nicht in Betracht (vgl. BGH, Beschluss vom 15. April 2008 - 1 StR 166/08). Nack Wahl Hebenstreit Jäger Sander

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 152/11
vom
9. Februar 2012
in der Strafsache
gegen
wegen Steuerhinterziehung u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 9. Februar 2012 beschlossen
:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
Wuppertal vom 29. Juli 2010 wird als unbegründet verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Steuerhinterziehung in 30 Fällen und wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung in zwei Fällen zu der Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Hiergegen wendet er sich mit seiner auf die Sachrüge gestützten Revision, mit der er gleichzeitig ein Verfahrenshindernis geltend macht. Die Revision ist unbegründet. Der Senat entscheidet auf den Antrag des Generalbundesanwalts vom 20. Oktober 2011 durch Beschluss gemäß § 349 Abs. 2 StPO.
2
Der Erörterung bedarf lediglich Folgendes:

I.

3
Ein Verfahrenshindernis besteht nicht.
4
1. Der Eröffnungsbeschluss genügt den an ihn zu stellenden inhaltlichen Anforderungen.

5
Die Anklageschrift, an die der Eröffnungsbeschluss anknüpft, erfüllt noch ihre Funktion, die hier angeklagten Taten der Hinterziehung von Umsatzsteuer ausreichend zu umschreiben (vgl. zu den Anforderungen an die Darstellung in der Anklageschrift beim Vorwurf der Steuerhinterziehung BGH, Beschluss vom 27. Mai 2009 - 1 StR 665/08, NStZ-RR 2009, 340; siehe auch Weyand in Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, § 385 AO Rn. 19 ff.).
6
a) Eine Anklage ist dann unwirksam mit der Folge, dass das Verfahren wegen Fehlens einer Prozessvoraussetzung einzustellen ist, wenn etwaige Mängel dazu führen, dass die Anklage ihrer Umgrenzungsfunktion nicht genügt (vgl. BGH, Urteil vom 9. August 2011 - 1 StR 194/11 mwN). Mängel der Informationsfunktion berühren ihre Wirksamkeit dagegen nicht (vgl. u.a. BGH, Urteile vom 24. Januar 2012 - 1 StR 412/11 und vom 2. März 2011 - 2 StR 524/10; BGH, Beschluss vom 18. Oktober 2007 - 4 StR 481/07, jeweils mwN); insoweit können Fehler auch noch in der Hauptverhandlung durch Hinweise entsprechend § 265 StPO geheilt werden (vgl. BGH, Urteil vom 28. Oktober 2009 - 1 StR 205/09, NJW 2010, 308 mwN).
7
Genügt der Anklagesatz den Anforderungen an die Wahrung der Umgrenzungsfunktion für sich allein nicht, dürfen die Ausführungen im wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen zur Verdeutlichung und ergänzenden Erläuterung des Anklagesatzes herangezogen werden (BGHSt 46, 130, 134; BGH NStZ 2001, 656, 657; BGHR StPO § 200 Abs. 1 Satz 1 Tat 24; Schneider in KK-StPO, 6. Aufl., § 200 StPO Rn. 30). Voraussetzung hierfür ist jedoch stets, dass sich aus dem Anklagesatz zumindest die Grundlagen einer Tatbeteiligung ergeben. Fehlende Angaben im Anklagesatz können dann aus dem we- sentlichen Ergebnis der Ermittlungen entnommen werden, wenn sie dort eindeutig benannt sind und daraus deutlich wird, dass sich der Verfolgungswille der Staatsanwaltschaft hierauf erstreckt (vgl. BGH, Urteil vom 28. Oktober 2009 - 1 StR 205/09, NJW 2010, 308 mwN).
8
b) Ausgehend von diesen Maßstäben genügt die Anklageschrift den Anforderungen an die Umgrenzungsfunktion, wie in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 3. Mai 2011 zutreffend dargelegt wird. Es waren auch sämtliche abgeurteilten Taten von der Anklage und vom Eröffnungsbeschluss erfasst (zur Reichweite der prozessualen Tat in Fällen der Hinterziehung von Umsatzsteuer vgl. BGH, Urteil vom 17. März 2009 - 1 StR 627/08, BGHSt 53, 221 Rn. 28 ff.).
9
2. Auch im Hinblick auf den Grundsatz der Spezialität besteht kein Verfahrenshindernis.
10
a) Allerdings bestand zum Zeitpunkt der Verurteilung des Angeklagten durch das Landgericht wegen des Grundsatzes der Spezialität hinsichtlich einzelner von der Verurteilung erfasster Delikte ein von Amts wegen zu berücksichtigendes Verfolgungsverbot (Verfahrenshindernis) aus Art. 14 des Europäischen Auslieferungsübereinkommens vom 13. Dezember 1957 (EuAlÜbk), denn der Angeklagte war nicht wegen dieser Delikte von der Schweiz nach Deutschland ausgeliefert worden und hatte auch nicht auf die Einhaltung des Spezialitätsgrundsatzes verzichtet.
11
aa) Der Angeklagte wurde zur Durchführung des Strafverfahrens aus der Schweiz ausgeliefert. Dieser Auslieferung lag ein Haftbefehl vom 8. Mai 2009 zugrunde (der unzutreffend unter dem 8. Mai 2008 datiert). Dieser Haft- befehl erfasste jedoch - wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift vom 3. Mai 2011 zutreffend dargelegt hat - die Lebenssachverhalte nicht, die der Verurteilung in den Fällen 41 bis 50, 53 bis 69 und 74 bis 79 der Urteilsgründe zugrunde liegen.
12
Die Zustimmung des Angeklagten zur vereinfachten Auslieferung ließ den Grundsatz der Spezialität nicht entfallen (vgl. BGH, Beschluss vom 8. August 1989 - 1 StR 296/89, NStE Nr. 5 zu Art. 14 EuAlÜbk). Auch die irre- führende Angabe des Angeklagten in der Hauptverhandlung, er habe „auf den Spezialitätsgrundsatz“ verzichtet (vgl. die dienstlichen Äußerungen der Berufs- richter der Strafkammer), kann das Fehlen dieser formalen Voraussetzung nicht ersetzen.
13
(1) Aus dem Grundsatz der Spezialität ergibt sich für den ersuchenden Staat eine Beschränkung seiner Hoheitsrechte (vgl. dazu Schomburg/ Lagodny/Gleß/Hackner, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 4. Aufl. 2006, Einl. 74). Ihr Umfang bestimmt sich hier nach den Regelungen des EuAlÜbk in Verbindung mit der Auslieferungsbewilligung der Schweiz. Aus Art. 14 Abs. 1 EuAlÜbk ergibt sich, dass der Ausgelieferte „wegen einer anderen , vor der Übergabe begangenen Handlung als derjenigen, die der Auslieferung zugrunde liegt, nur … verfolgt, abgeurteilt, zur Vollstreckung einer Strafe oder Maßregel der Sicherung oder Besserung in Haft gehalten oder einer sonstigen Beschränkung seiner persönlichen Freiheit unterworfen werden“ darf, wenn der Staat, der ihn ausgeliefert hat, zustimmt (Art. 14 Abs. 1 Buchst. a EuAlÜbk) oder wenn nach Verstreichen der Schonfrist des Art. 14 Abs. 1 Buchst. b EuAlÜbk die dort genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Danach durfte der Angeklagte nur wegen solcher vor der Auslieferung begangener Taten bestraft werden, für die die Auslieferung bewilligt wurde (vgl.
BGH, Urteil vom 20. Dezember 1968 - 1 StR 508/67, BGHSt 22, 307; BGH, Urteil vom 11. März 1999 - 4 StR 526/98, NStZ 1999, 363).
14
(2) Zur Reichweite des Grundsatzes der Spezialität gilt Folgendes (vgl. BGH, Beschluss vom 2. November 2010 – 1 StR 544/09 mwN):
15
Der dem Spezialitätsgrundsatz zugrunde liegende Tatbegriff umfasst den gesamten mitgeteilten Lebenssachverhalt, innerhalb dessen der Verfolgte einen oder mehrere Straftatbestände erfüllt haben soll. Im Rahmen dieses historischen Vorgangs sind die Gerichte des ersuchenden Staates nicht gehindert , die Tat abweichend rechtlich oder tatsächlich zu würdigen, soweit insofern ebenfalls Auslieferungsfähigkeit besteht. Auch eine Änderung in der Rechtsauffassung berührt die Hoheitsinteressen des um Auslieferung ersuchten Staates regelmäßig nicht.
16
Dementsprechend steht der Spezialitätsgrundsatz etwa einer Verurteilung wegen Einzeltaten anstelle einer im Auslieferungsersuchen angenommenen fortgesetzten Handlung nicht entgegen. Das Gleiche gilt, wenn der den Haftbefehl erlassende Richter anstatt von Tatmehrheit rechtsfehlerhaft von einer Verknüpfung der Taten im Sinne einer Handlungseinheit ausgegangen ist, sofern die dem Beschuldigten vorgeworfenen Tathandlungen dem Auslieferungsersuchen zu entnehmen sind.
17
Maßgeblich ist insoweit ausgehend von Sinn und Zweck des Spezialitätsgrundsatzes der Verfolgungswille des ersuchenden Staates, wie er für den ersuchten Staat im Auslieferungsverfahren objektiv erkennbar zum Ausdruck gebracht wird. Dem ersuchten Staat steht es frei, bei insoweit bestehenden Unklarheiten oder Unschärfen im Hinblick auf den Tatvorwurf seinerseits um Ergänzung der Darstellung der Handlungen, die Gegenstand des Auslieferungsersuchens sind, zu ersuchen (vgl. Art. 12 Abs. 2 Buchst. b, Art. 13 EuAlÜbk). Sieht er hiervon ab, bringt er mit der unbedingten Bewilligung zum Ausdruck, dass die Auslieferung zur Verfolgung all derjenigen Taten erfolgt, die für alle Verfahrensbeteiligten erkennbar vom Verfolgungswillen des ersuchenden Staats erfasst waren, auch wenn die einzelnen Taten im Auslieferungsverfahren noch nicht näher konkretisiert waren.
18
(3) Auch unter Heranziehung dieser Grundsätze waren die Lebenssachverhalte , die zur Verurteilung in den Fällen 41 bis 50, 53 bis 69 und 74 bis 79 der Urteilsgründe geführt haben, von der Auslieferungsbewilligung auf der Grundlage des dem Auslieferungsverfahren zugrunde liegenden Haftbefehls nicht umfasst.
19
(4) Eine Aburteilung wegen dieser Taten hätte allenfalls dann erfolgen dürfen, wenn der Angeklagte zu Protokoll einer Justizbehörde bzw. eines Richters (vgl. Art. VI Abs. 2 und 3 des Vertrages vom 13. November 1969 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft über die Ergänzung des Europäischen Auslieferungsübereinkommens vom 13. Dezember 1957 und die Erleichterung seiner Anwendung) auf die Einhaltung des Spezialitätsgrundsatzes verzichtet hätte. Dies war jedoch nicht der Fall. Vielmehr ist den Auslieferungsunterlagen zu entnehmen, dass der Angeklagte diesen Verzicht nicht erklärt hat (vgl. SH „Rechtshilfe“ 92 AR 128/09, Bl. 133, 148). Die gegenteilige Behauptung des Angeklagten in der Hauptverhandlung kann die Einhaltung der vorgeschriebenen Form nicht ersetzen.
20
bb) Damit bestand zum Zeitpunkt der Verurteilung ein sich aus Art. 14 EuAlÜbk ergebendes Verfahrenshindernis (vgl. BGH, Urteil vom 29. Oktober 1963 - 1 StR 353/63, BGHSt 19, 118, 119). Die zur Auslieferung aufgrund eines Europäischen Haftbefehls ergangene Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union, nach der sich aus einem Verstoß gegen den Spezialitätsgrundsatz lediglich ein Vollstreckungshindernis und ein Verbot freiheitsbeschränkender Maßnahmen ergibt (EuGH, Urteil vom 1. Dezember 2008 - Rechtssache C-388/08 [Leymann und Pustovarov], NStZ 2010, 35 mit Anm. Heine, vgl. dazu BGH, Beschluss vom 27. Juli 2011 - 4 StR 303/11, NStZ 2012, 100), findet auf die hier vorliegende Auslieferung aus der Schweiz keine Anwendung.
21
cc) Das bestehende Verfahrenshindernis hatte jedoch nicht zur Folge, dass das Strafurteil des Landgerichts insoweit nichtig wäre; vielmehr ist dieses lediglich anfechtbar (vgl. RGSt 72, 77, 78; Schomburg/Hackner in Schomburg /Lagodny/Gleß/Hackner, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 4. Aufl. 2006, § 72 IRG Rn. 28).
22
b) Der Verstoß gegen den Grundsatz der Spezialität führt allerdings auch nicht dazu, dass der Senat das Urteil aufheben und das Verfahren wegen eines Verfahrenshindernisses einstellen müsste. Denn die Beschränkung der Hoheitsrechte der Bundesrepublik Deutschland aufgrund des im EuAlÜbk vereinbarten Spezialitätsgrundsatzes ist hier nachträglich weggefallen, weil der in Art. 14 Abs. 1 Buchst. b EuAlÜbk geregelte Ausnahmefall, bei dem die Spezialitätsbindung wieder entfällt, eingetreten ist.
23
aa) Art. 14 Abs. 1 Buchst. b EuAlÜbk lässt die Verfolgung und Aburteilung von in einer Auslieferungsbewilligung nicht genannten Taten dann zu, wenn der Ausgelieferte, obwohl er die Möglichkeit hatte, das Hoheitsgebiet des Staates, dem er ausgeliefert worden ist, innerhalb von 45 Tagen nach seiner endgültigen Freilassung nicht verlassen hat oder wenn er nach Verlassen dieses Gebiets dorthin zurückgekehrt ist (s. auch Art. 38 Abs. 2 Buchst. b Nr. 1 Schweizerisches IRSG).
24
bb) Diese Voraussetzungen liegen hier vor; der Angeklagte befand sich nach seiner Haftentlassung mehr als 45 Tage auf freiem Fuß und hat die Bundesrepublik Deutschland trotz vorherigen Hinweises auf die sich aus Art. 14 Abs. 1 Buchst. b EuAlÜbk ergebenden Rechtsfolgen nicht verlassen oder ist - was dem gleich steht (vgl. OLG Hamm wistra 1999, 359) - nach einer Ausreise dorthin wieder zurückgekehrt.
25
(1) Im Anschluss an die Urteilsverkündung am 29. Juli 2010 wurde der bereits seit 26. April 2010 außer Vollzug gesetzte Haftbefehl gegen den Angeklagten aufgehoben (PB I Bl. 302, PB II Bl. 600). Damit wurde der Angeklagte im Sinne von Art. 14 Abs. 1 Buchst. b EuAlÜbk i.V.m. Art. VI Abs. 1 SchweizEuAlÜbk -ErgV vom 13. November 1969 endgültig freigelassen.
26
„Endgültig freigelassen“ im Sinne des EuAlÜbk ist der Ausgelieferte dann, wenn ihm nach seiner Entlassung aus dem Gewahrsam des ersuchenden Staates in dem Verfahren, für das die Auslieferung bewilligt worden war, freisteht, das Hoheitsgebiet des ersuchenden Staates zu verlassen und er dazu die tatsächliche Möglichkeit hat (vgl. dazu auch Walter, NStZ 1993, 393). Dies war hier mit Aufhebung des gegen den Angeklagten bestehenden Haftbefehls bei der Urteilsverkündung der Fall. Hierdurch wurde auch die letzte die Bewe- gungsfreiheit des Angeklagten beeinträchtigende Maßnahme durch das Gericht aufgehoben. Ladungen standen angesichts des mit Urteil abgeschlossenen Hauptverfahrens erster Instanz nicht mehr an. Vollstreckungsmaßnahmen konnten im Hinblick auf die vom Angeklagten eingelegte Revision noch nicht ergriffen werden.
27
Einer die Bewegungsfreiheit beeinträchtigenden Maßnahme steht nicht gleich, dass der Angeklagte für den Fall der Rechtskraft des gegen ihn ergangenen erstinstanzlichen Urteils trotz Anrechnung verbüßter Auslieferungs- und Untersuchungshaft (vgl. § 51 Abs. 1 StGB) noch mit der Verbüßung eines Strafrests rechnen musste. Denn bis dahin konnte sich der Angeklagte völlig frei bewegen; eine Auflage, nicht ins Ausland zu reisen, wurde vom Gericht nicht getroffen. Der Umstand, dass der Angeklagte damit letztlich einer Strafverfolgung wegen der zunächst vom Spezialitätsgrundsatz erfassten Tatvorwürfe dauerhaft allenfalls dadurch hätte entgehen können, dass er ausreist und nicht nach Deutschland zurückkehrt, steht der Anwendung von Art. 14 Abs. 1 Buchst. b EuAlÜbk nicht entgegen. Denn diese Lage unterscheidet sich nicht von derjenigen, die bestehen würde, wenn der Angeklagte nicht von der Schweiz nach Deutschland ausgeliefert worden wäre. Auch dann könnte er nicht nach Deutschland zurückkehren, ohne sich einer Strafverfolgung auszusetzen. Diese Situation ist damit allein die Folge der von ihm begangenen Straftaten , nicht der Auslieferung.
28
Der vorliegende Fall ist auch nicht mit der von der Verteidigung angesprochenen Konstellation einer Strafvollstreckung vergleichbar, bei der ein Verurteilter nach Aussetzung der Vollstreckung eines Strafrests zur Bewährung der Aufsicht und Leitung eines Bewährungshelfers unterstellt war, der er sich bei einer Ausreise mit dem Risiko eines Bewährungswiderrufes (vgl. § 56f Abs. 1 Nr. 2 StGB) entziehen müsste (vgl. OLG München NStZ 1993, 392). Eine zur Bewährung ausgesetzte Strafe war gegen den Angeklagten gerade nicht verhängt worden; Weisungen, Auflagen oder sonstige Verhaltensanordnungen für die Dauer des Revisionsverfahrens wurden ebenfalls nicht ausgesprochen und standen daher einer Ausreise auch nicht entgegen. Vielmehr war der zunächst gegen Auflagen außer Vollzug gesetzte Haftbefehl mit Urteilsverkündung ersatzlos aufgehoben worden. Damit konnte sich der Angeklagte frei bewegen und individuell entscheiden, ob er ausreist oder nicht (vgl. auch LG Berlin ZfStrVo 1999, 116).
29
(2) Mit Schreiben vom 12. August 2011, dem Angeklagten zugegangen am 18. August 2011, hat der Vorsitzende des Senats den Angeklagten und seine Verteidiger auf die Rechtswirkungen eines Verbleibs des Angeklagten in der Bundesrepublik Deutschland gemäß der Art. 14 Abs. 1 Buchst. b EuAlÜbk, Art. 38 Abs. 2 Buchst. b Nr. 1 Schweizerisches IRSG hingewiesen.
30
(3) Wie der Senat im Freibeweisverfahren unter Einschaltung der Polizei ermittelt hat, hielt sich der Angeklagte im Oktober 2011 in Deutschland auf. Damit steht fest, dass der Angeklagte nach Ablauf der Schonfrist von 45 Tagen des Art. 14 Abs. 1 Buchst. b EuAlÜbk entweder Deutschland nicht verlassen hatte oder nach einer Ausreise dorthin wieder zurückgekehrt ist. In beiden Fällen entfällt die Spezialitätsbindung (vgl. Schomburg/Hackner in Schomburg /Lagodny/Gleß/Hackner, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 4. Aufl. 2006, § 72 IRG Rn. 15 mwN).
31
(4) Unbeachtlich ist insoweit, dass das Strafverfahren, dessentwegen seine Auslieferung bewilligt worden war, noch nicht endgültig abgeschlossen ist. Eine der Vorschrift des § 11 Abs. 2 Nr. 2 IRG entsprechende diesbezügliche Voraussetzung enthalten weder Art. 14 Abs. 1 Buchst. b EuAlÜbk noch Art. 38 Abs. 2 Buchst. b Nr. 1 Schweizerisches IRSG. Ausreichend für den Wegfall der Spezialitätsbindung ist daher, dass eine - auch nur bedingte - Freilassung erfolgt ist und der Betroffene die Möglichkeit zur Ausreise aus Deutschland hatte. Dies ist hier der Fall.
32
(5) Damit steht fest, dass gemäß Art. 14 Abs. 1 Buchst. b EuAlÜbk, Art. 38 Abs. 2 Buchst. b Nr. 1 Schweizerisches IRSG die Spezialitätsbindung entfallen ist. Der Grundsatz der Spezialität steht somit der Verurteilung des Angeklagten in den Fällen 41 bis 50, 53 bis 69 und 74 bis 79 der Urteilsgründe nicht (mehr) entgegen.
33
c) Der Umstand, dass das Strafverfahren wegen dieser Taten über weite Teile des Verfahrens unter Verstoß gegen das sich aus Art. 14 Abs. 1 EuAlÜbk ergebende Verfolgungs- und Verurteilungsverbot geführt worden ist, hindert eine Verwerfung der Revision des Angeklagten nicht. Er führt insbesondere nicht dazu, dass das Verfahren wiederholt werden müsste.
34
aa) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs können Verfahrenshindernisse auch noch im Revisionsverfahren beseitigt werden (vgl. BGH, Urteil vom 6. Dezember 1951 - 3 StR 961/51 zur Nachholung eines erforderlichen Strafantrags in der Revisionsinstanz; BGH, Urteil vom 26. Juni 1952 - 5 StR 382/52, BGHSt 3, 73; BGH, Beschluss vom 26. Mai 1961 - 2 StR 40/61, BGHSt 16, 225; BGH, Beschluss vom 12. Dezember 2000 - 4 StR 464/00, NJW 2001, 836). Die Beseitigung von behebbaren Verfahrenshindernissen kann dabei aus Gründen der Prozessökonomie (vgl. BGH, Urteil vom 15. März 2000 - 1 StR 483/99, StV 2000, 347) und im Hinblick auf die prozessuale Fürsorgepflicht gegenüber dem Beschuldigten (vgl. dazu Meyer- Goßner, StPO, 54. Aufl., § 206a Rn. 2) sogar geboten sein, um dem Angeklagten eine erneute Anklageerhebung und eine erneute Hauptverhandlung zu ersparen. Auch das Legalitätsprinzip (§ 152 Abs. 2 StPO), das gebietet, wegen aller verfolgbaren Taten einzuschreiten, verlangt, behebbare Verfahrenshindernisse mit den rechtlich dafür zur Verfügung stehenden Mitteln zu beseitigen.
35
bb) Diese Grundsätze gelten auch für Verstöße gegen den Grundsatz der Spezialität.
36
(1) Es ist allgemein anerkannt, dass es bei einem Verstoß gegen den Spezialitätsgrundsatz auch dem Revisionsgericht möglich ist, ein Verfahrenshindernis zu beseitigen, indem es den ausliefernden Staat in einem Nachtragsersuchen um Zustimmung zur Strafverfolgung für die nicht von der Auslieferungsbewilligung erfassten Taten ersucht (vgl. Schomburg/Hackner in Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 4. Aufl. 2006, § 72 IRG Rn. 28b; Grützner/Pötz/Kreß, Internationaler Rechtshilfeverkehr in Strafsachen, 3. Aufl., Teil II S. 16 Vorbem. Rn. 18). Stimmt der ersuchte Staat der Ausdehnung der Strafverfolgung auf die weiteren Taten zu, sind seine Rechte, die mit dem Spezialitätsgrundsatz geschützt werden sollen (Schomburg/Hackner aaO Rn. 13), gewahrt. Allerdings ist dann dem Angeklagten rechtliches Gehör zu gewähren (vgl. Schomburg/Hackner aaO Rn. 28b). Dies ist hier geschehen.
37
(2) In gleicher Weise entfällt die Spezialitätsbindung aus Art. 14 EuAlÜbk dann, wenn der Ausgelieferte noch nachträglich auf die Einhaltung des Grundsatzes der Spezialität verzichtet und sich mit der uneingeschränkten Strafverfolgung einverstanden erklärt (vgl. Art. VI Abs. 2 Schweiz-EuAlÜbk-ErgV vom 13. November 1969). Denn dann beruht die Strafverfolgung insoweit nicht auf der Auslieferung durch den ersuchten Staat, sondern auf der freien Entscheidung des Ausgelieferten, sich auch insoweit dem Strafverfahren zu stellen. Auch in Art. 14 Abs. 1 Buchst. b EuAlÜbk kommt zum Ausdruck, dass die Rechte des ersuchten Staates dann nicht verletzt sind, wenn der Ausgelieferte sich freiwillig der Strafverfolgung des ersuchenden Staates unterwirft. Der Verzicht des ausliefernden Staates auf die Einhaltung des Spezialitätsgrundsatzes ergibt sich damit insoweit bereits aus dem Auslieferungsübereinkommen selbst (vgl. Schomburg/Hackner aaO § 72 IRG Rn. 12a). Zugleich unterstreicht dies die „aktive Beteiligung des Individuums im Rechtshilferecht“ (vgl. Schom- burg/Lagodny/Gleß/Hackner, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 4. Aufl. 2006, Einl. 74 mit Belegen aus weiteren Auslieferungsübereinkommen).
38
(3) Hieraus wird deutlich, dass der in der Verletzung des Spezialitätsgrundsatzes liegende Mangel jederzeit behebbar ist, und zwar sowohl durch ein Tätigwerden des ausliefernden Staates als auch durch ein solches des Ausgelieferten. Damit kann weder der Ausgelieferte noch der ausliefernde Staat für sich allein die nachträgliche Herbeiführung der Verfolgungsvoraussetzungen verhindern. Etwaige Verwertungsverbote für die Ergebnisse des zuvor unter Verstoß gegen den Spezialitätsgrundsatz geführten Verfahrens bestehen nach einer nachträglichen Beseitigung des Verfahrenshindernisses nicht.
39
3. Auch im Hinblick auf den Grundsatz der Spezialität fehlt es nicht an der von Amts wegen zu berücksichtigenden Verfahrensvoraussetzung eines wirksamen Eröffnungsbeschlusses. Der Umstand, dass zum Zeitpunkt des Eröffnungsbeschlusses die Taten in den Fällen 41 bis 50, 53 bis 69 und 74 bis 79 der Urteilsgründe im Hinblick auf den Spezialitätsgrundsatz nach Art. 14 EuAlÜbk nicht verfolgt werden durften, steht der Wirksamkeit des Eröffnungsbeschlusses auch hinsichtlich dieser Taten nicht entgegen.

40
(1) Der Spezialitätsgrundsatz gebietet den Strafverfolgungsbehörden und Gerichten des ersuchenden Staates nach einer Auslieferung nicht, jegliche Untersuchungshandlungen im Hinblick auf solche Taten einzustellen, die von der Auslieferungsbewilligung nicht umfasst sind. Insbesondere ergibt sich aus dem Spezialitätsgrundsatz kein Befassungsverbot für die nicht von der Auslieferungsbewilligung erfassten Taten. Vielmehr bestimmt sich die Reichweite der Beschränkung der Hoheitsrechte für die Bundesrepublik Deutschland durch den Grundsatz der Spezialität im vorliegenden Fall allein nach dem der Auslieferung des Angeklagten zugrunde liegenden Art. 14 EuAlÜbk.
41
(2) Der Senat braucht nicht zu klären, wie weit der Kreis der durch den Spezialitätsgrundsatz verbotenen Untersuchungshandlungen reicht (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 10. Januar 2007 - 5 StR 305/06, NStZ 2007, 345 mit abl. Anm. Lagodny sowie OLG Zweibrücken, Beschluss vom 25. Februar 1991 - 1 Ws 641-642/90, StV 1993, 37 mit abl. Anm. Lagodny; vgl. auch BGH, Beschluss vom 15. August 1979 - 2 StR 465/79, BGHSt 29, 94 und BGH, Urteil vom 15. April 1987 - 2 StR 697/86, BGHSt 34, 352). Denn jedenfalls war der Eröffnungsbeschluss im vorliegenden Fall nach den Vorgaben des Art. 14 Abs. 2 EuAlÜbk zulässig. Nach dieser Vorschrift darf der ersuchende Staat die erforderlichen Maßnahmen treffen, um nach seinen Rechtsvorschriften die Verjährung zu unterbrechen. Demnach war hier sowohl die Erhebung der öffentlichen Klage (vgl. § 78c Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 StGB) als auch die Eröffnung des Hauptverfahrens (§ 78c Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 StGB) zur Verjährungsunterbrechung zulässig, zumal im vorliegenden Fall wegen des Tatvorwurfs der Steuerhinterziehung die Eröffnung des Hauptverfahrens vor dem Landgericht dazu führte, dass die Verjährung für einen Zeitraum von bis zu fünf Jahren ruhte (vgl. § 78b Abs. 4 StGB).

42
(3) Der Senat ist im Übrigen der Auffassung, dass ein Eröffnungsbeschluss auch dann hinsichtlich aller angeklagter Taten wirksam ist, wenn zum Zeitpunkt der Beschlussfassung für alle oder einzelne Taten ein aus dem Spezialitätsgrundsatz folgendes Verfahrenshindernis besteht, das aber behebbar ist.
43
(a) Nur schwerwiegende Mängel machen einen Eröffnungsbeschluss unwirksam, denn die gänzliche Unwirksamkeit mit der Folge rechtlicher Unbeachtlichkeit einer gerichtlichen Entscheidung kommt allenfalls in seltenen Ausnahmefällen in Betracht (vgl. BGH, Beschluss vom 16. Oktober 1980 - 1 BJs 80/78 - 3, StB 29, 30 und 31/80, NJW 1981, 133 mwN; vgl. auch Paeffgen in SK-StPO, 4. Aufl., § 207 StPO Rn. 23). Sonstige Mängel - selbst das Fehlen eines hinreichenden Tatverdachts (vgl. Stuckenberg in Löwe/Rosenberg, StPO, 26. Aufl. § 207 Rn. 76) - lassen dagegen die Wirksamkeit eines Eröffnungsbeschlusses unberührt. Fehlt etwa zur Zeit der Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens ein erforderlicher Strafantrag, führt dies nicht zur Unwirksamkeit des Eröffnungsbeschlusses (vgl. BGH, Urteil vom 6. Dezember 1951 - 3 StR 961/51). Vielmehr ist bei Antragsdelikten gemäß § 130 StPO sogar der Erlass eines Haftbefehls zulässig, wenn der für die Verfolgung erforderliche Strafantrag noch nicht gestellt ist, weil insoweit ein noch behebbares Verfahrenshindernis vorliegt.
44
(b) Es besteht kein Anlass, die Frage der Wirksamkeit eines unter Missachtung des Spezialitätsgrundsatzes ergangenen Eröffnungsbeschlusses anders zu beurteilen, wenn - wie hier - dieser Verstoß behebbar ist. Denn das deswegen bestehende (behebbare) Verfahrenshindernis führt nicht dazu, dass der Eröffnungsbeschluss seine Funktion als Verfahrensvoraussetzung nicht erfüllen kann; insbesondere ist die Umgrenzungsfunktion des Eröffnungsbeschlusses gewahrt.
45
Im Hinblick darauf, dass das sich aus der Verletzung des Spezialitätsgrundsatzes ergebende Verfahrenshindernis zu jedem Zeitpunkt durch einen Verzicht des Beschuldigten auf die Wahrung der Spezialitätsbindung oder durch ein erfolgreiches Nachtragsersuchen an den ausliefernden Staat beseitigt werden kann, ist ein Verstoß gegen den Spezialitätsgrundsatz nicht als so schwerwiegend anzusehen, dass er die Unwirksamkeit des Beschlusses als solches nach sich ziehen würde (a.A. Vogler/Walter in Grützner/Pötz/Kreß, Internationaler Rechtshilfeverkehr in Strafsachen, 3. Aufl., Teil I A2 § 72 IRG Rn. 14). Der Einhaltung des Spezialitätsgrundsatzes wird vielmehr dadurch ausreichend Rechnung getragen, dass gemäß § 206a StPO das Verfahren einzustellen ist, wenn das Verfahrenshindernis nicht beseitigt werden kann (vgl. dazu Stuckenberg in Löwe/Rosenberg, 26. Aufl., § 206a StPO Rn. 70).
46
(c) Der Beschluss des 2. Strafsenats vom 15. August 1979 in dem Verfahren 2 StR 465/79 (BGHSt 29, 94) steht dem nicht entgegen. Denn diese Entscheidung bezieht sich nicht auf das Europäische Auslieferungsübereinkommen vom 13. Dezember 1957 (EuAlÜbk), sondern auf eine Auslieferungsbewilligung auf der Grundlage des Auslieferungsvertrags zwischen dem Deutschen Reich und Spanien vom 2. Mai 1878 (RGBl 213), der abweichende Vereinbarungen enthält. Nach dem dortigen Art. 6 darf die ausgelieferte Person wegen eines Verbrechens oder Vergehens, wegen dessen die Auslieferung nicht bewilligt worden ist, ohne Nachtragsbewilligung nur dann „zur Untersu- chung gezogen und bestraft werden“, wenn sie, nachdem sie wegen der zur Auslieferung führenden Taten bestraft oder endgültig freigesprochen ist, während dreier Monate im Lande bleibt oder nach Verlassen desselben wieder dorthin zurückkehrt. Anders als nach Art. 14 Abs. 1 Buchst. b EuAlÜbk war dort für den Beginn der Schonfrist ein endgültiger Abschluss des Verfahrens, für das die Auslieferung bewilligt wurde, erforderlich.
47
(4) Soweit angenommen wird, eine nachträgliche Bewilligung zur Strafverfolgung oder ein nachträglicher Verzicht auf den Spezialitätsgrundsatz habe keine ex-tunc-Wirkung (vgl. OLG Oldenburg, StV 1995, 13; OLG Dresden, Beschluss vom 4. Dezember 2001 - 1 Ss 463/01, juris), geht dies bereits von einem unzutreffenden Ansatz aus. Prämisse dieser Auffassung ist, dass eine Anklageerhebung und ein Eröffnungsbeschluss unwirksam sind, wenn sie unter Verstoß gegen den Spezialitätsgrundsatz erfolgt sind. Dies ist indes - wie dargelegt - nicht der Fall.

II.


48
Aus den zutreffenden Gründen der Antragsschriften des Generalbundesanwalts vom 3. Mai 2011 und vom 20. Oktober 2011 enthält das angefochtene Urteil zum Schuldspruch und zum Strafausspruch keinen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler (§ 349 Abs. 2 StPO).
49
Auch die Verurteilung des Angeklagten in den Fällen 52 bis 66 der Urteilsgründe betreffend die O. GmbH hat Bestand. Insbesondere ist es angesichts der Urteilsfeststellungen nicht zu beanstanden, dass das Landgericht gemäß § 18 Abs. 2 Satz 4 UStG als Voranmeldungszeitraum den Kalendermonat angenommen hat (vgl. auch Stadie in Rau/Dürrwächter, Umsatzsteuergesetz, 8. Aufl., 146. Lfg. April 2011, § 18 UStG Rn. 73). Soweit die Rechnungen der O. GmbH für die Monate Januar, Februar und April 2009 nicht einzeln in den Urteilsgründen aufgelistet worden sind, stellt dies keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten in der Beweiswürdigung dar. Die Urteilsgründe belegen, dass die Steuerfahndungsbeamten R. und K. die bei mehreren Durchsuchungen aufgefundenen Rechnungen gesichtet und die einzelnen Rechnungsbeträge wie auch die auf UA S. 28 aufgelisteten Summen dieser Beträge als Zeugen in die Hauptverhandlung eingeführt haben. Das Landgericht durfte diese Angaben als glaubhaft werten und die summierten Beträge dem Urteil zugrunde legen, zu- mal die Angeklagten gegen das „Zahlenwerk“ keine Einwände erhoben haben (UA S. 80).

III.


50
Die von der Verteidigung mit Schriftsatz vom 27. November 2011 behauptete Verfahrensverzögerung im Revisionsverfahren seit August 2011 liegt nicht vor. Zwar wurden bereits am 10. August 2011 die Revisionen der Mitangeklagten F. und S. als unbegründet verworfen. Bei diesen Revisionen stellte sich allerdings nicht die Frage eines Verfahrenshindernisses wegen Verstoßes gegen den Grundsatz der Spezialität gemäß Art. 14 EuAlÜbk.
51
Entgegen der Auffassung der Revision begründet es keine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung, dass der Senat keine Teileinstellung gemäß § 206a StPO wegen des sich aus einem Verstoß gegen den Spezialitätsgrundsatz ergebenden Verfahrenshindernisses vorgenommen hat. Vielmehr war die Beseitigung des behebbaren Verfahrenshindernisses im Revisionsverfahren aus Gründen der Prozessökonomie (vgl. BGH, Urteil vom 15. März 2000 - 1 StR 483/99, StV 2000, 347) und im Hinblick auf die prozessuale Fürsorge- pflicht gegenüber dem Angeklagten (vgl. dazu Meyer-Goßner, StPO, 54. Aufl., § 206a Rn. 2) nicht nur sachgerecht, sondern sogar geboten. Denn es war angezeigt , das Verfahrenshindernis bereits in der Revisionsinstanz zu beseitigen, um dem Angeklagten zu ersparen, nach einer Teileinstellung des Verfahrens und erneuten Anklageerhebung, die im Hinblick auf Art. 14 Abs. 1 Buchst. b EuAlÜbk möglich war, nochmals einer Hauptverhandlung wegen derselben Tatvorwürfe ausgesetzt zu werden. Hierzu bedurfte es aber zunächst eines Hinweises an den Angeklagten auf die Rechtswirkungen des Ablaufs der Schonfrist des Art. 14 Abs. 1 Buchst. b EuAlÜbk und einer anschließenden Überprüfung durch den Senat im Freibeweisverfahren, ob der Angeklagte innerhalb der Schonfrist das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland verlassen hat.
52
Auf den sodann der neuen Situation angepassten Revisionsantrag des Generalbundesanwalts vom 20. Oktober 2011 hin hat die Verteidigung, die - nachdem der Angeklagte in der Hauptverhandlung behauptet hatte, „auf den Spezialitätsgrundsatz“ verzichtet zu haben- in ihrer ursprünglichen Revisionsbegründung einen möglichen (von Amts wegen zu beachtenden) Verstoß gegen den Spezialitätsgrundsatz nicht angesprochen hatte, am 27. November 2011 in einem vierzehnseitigen Schriftsatz diesem Antrag widersprochen und dabei zu den sich aus dem Spezialitätsgrundsatz ergebenden Fragen erstmals umfangreiche rechtliche Erwägungen angestellt. Diese mussten vom Senat sorgfältig geprüft werden, bevor eine Entscheidung ergehen konnte. Im Hinblick darauf, dass der Angeklagte sich im Revisionsverfahren auf freiem Fuß befand, sind im Übrigen unabhängig davon, dass ihm eine neue Hauptverhandlung erspart wurde, seine zusätzlichen Belastungen durch die Verfahrensdauer seit August 2011 gering.
Nack Wahl Hebenstreit Jäger Sander

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

(1) Bei Beginn der Vernehmung ist dem Beschuldigten zu eröffnen, welche Tat ihm zu Last gelegt wird und welche Strafvorschriften in Betracht kommen. Er ist darauf hinzuweisen, daß es ihm nach dem Gesetz freistehe, sich zu der Beschuldigung zu äußern oder nicht zur Sache auszusagen und jederzeit, auch schon vor seiner Vernehmung, einen von ihm zu wählenden Verteidiger zu befragen. Möchte der Beschuldigte vor seiner Vernehmung einen Verteidiger befragen, sind ihm Informationen zur Verfügung zu stellen, die es ihm erleichtern, einen Verteidiger zu kontaktieren. Auf bestehende anwaltliche Notdienste ist dabei hinzuweisen. Er ist ferner darüber zu belehren, daß er zu seiner Entlastung einzelne Beweiserhebungen beantragen und unter den Voraussetzungen des § 140 die Bestellung eines Pflichtverteidigers nach Maßgabe des § 141 Absatz 1 und des § 142 Absatz 1 beantragen kann; zu Letzterem ist er dabei auf die Kostenfolge des § 465 hinzuweisen. In geeigneten Fällen soll der Beschuldigte auch darauf, dass er sich schriftlich äußern kann, sowie auf die Möglichkeit eines Täter-Opfer-Ausgleichs hingewiesen werden.

(2) Die Vernehmung soll dem Beschuldigten Gelegenheit geben, die gegen ihn vorliegenden Verdachtsgründe zu beseitigen und die zu seinen Gunsten sprechenden Tatsachen geltend zu machen.

(3) Bei der Vernehmung des Beschuldigten ist zugleich auf die Ermittlung seiner persönlichen Verhältnisse Bedacht zu nehmen.

(4) Die Vernehmung des Beschuldigten kann in Bild und Ton aufgezeichnet werden. Sie ist aufzuzeichnen, wenn

1.
dem Verfahren ein vorsätzlich begangenes Tötungsdelikt zugrunde liegt und der Aufzeichnung weder die äußeren Umstände noch die besondere Dringlichkeit der Vernehmung entgegenstehen oder
2.
die schutzwürdigen Interessen von Beschuldigten, die erkennbar unter eingeschränkten geistigen Fähigkeiten oder einer schwerwiegenden seelischen Störung leiden, durch die Aufzeichnung besser gewahrt werden können.
§ 58a Absatz 2 gilt entsprechend.

(5) § 58b gilt entsprechend.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 148/11
vom
9. Februar 2012
BGHSt: ja
BGHR: ja
Nachschlagewerk: ja
Veröffentlichung: ja
_________________________
EuAlÜbk Art. 14 Abs. 1 Buchst. b; IRG § 72
1. Ein wegen eines Verstoßes gegen den Grundsatz der Spezialität aus Art.
14 des Europäischen Auslieferungsübereinkommens vom 13. Dezember
1957
(EuAlÜbk) bestehendes Verfahrenshindernis kann auch noch im Revisionsverfahren
beseitigt werden.
2. Ist der Ausgelieferte mit Verkündung des erstinstanzlichen Urteils auf freien
Fuß gesetzt worden, entfällt die Spezialitätsbindung gemäß Art. 14 Abs. 1
Buchst. b EuAlÜbk dann, wenn er - obwohl er über die Rechtsfolgen dieser
Vorschrift informiert worden ist und die Möglichkeit einer Ausreise hatte -
nicht innerhalb von 45 Tagen die Bundesrepublik Deutschland verlassen
hat oder wenn er nach dem Verlassen Deutschlands dorthin zurückgekehrt
ist.
BGH, Beschluss vom 9. Februar 2012 - 1 StR 148/11 - LG Wuppertal
in der Strafsache
gegen
wegen Steuerhinterziehung u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 9. Februar 2012 beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Wuppertal vom 28. April 2010 wird mit der Maßgabe als unbegründet verworfen, dass die vom Angeklagten in dieser Sache in der Schweiz erlittene Auslieferungshaft im Maßstab von 1 : 1 angerechnet wird. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Steuerhinterziehung in 16 Fällen und wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt. Hiergegen wendet er sich mit seiner auf die Sachrüge gestützten Revision, mit der er gleichzeitig ein Verfahrenshindernis geltend macht. Die Urteilsformel ist lediglich um die Entscheidung über die Anrechnung der in der Schweiz erlittenen Auslieferungshaft zu ergänzen. Im Übrigen hat die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
2
Der Erörterung bedarf lediglich Folgendes:

I.


3
Ein Verfahrenshindernis besteht nicht.
4
1. Der Eröffnungsbeschluss genügt den an ihn zu stellenden inhaltlichen Anforderungen.
5
Die Anklageschrift, an die der Eröffnungsbeschluss anknüpft, erfüllt noch ihre Funktion, die hier angeklagten Taten der Hinterziehung von Umsatzsteuer ausreichend zu umschreiben (vgl. zu den Anforderungen an die Darstellung in der Anklageschrift beim Vorwurf der Steuerhinterziehung BGH, Beschluss vom 27. Mai 2009 - 1 StR 665/08, NStZ-RR 2009, 340; siehe auch Weyand in Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, § 385 AO Rn. 19 ff.).
6
a) Eine Anklage ist dann unwirksam mit der Folge, dass das Verfahren wegen Fehlens einer Prozessvoraussetzung einzustellen ist, wenn etwaige Mängel dazu führen, dass die Anklage ihrer Umgrenzungsfunktion nicht genügt (vgl. BGH, Urteil vom 9. August 2011 - 1 StR 194/11 mwN). Mängel der Informationsfunktion berühren ihre Wirksamkeit dagegen nicht (vgl. u.a. BGH, Urteile vom 24. Januar 2012 - 1 StR 412/11 und vom 2. März 2011 - 2 StR 524/10; BGH, Beschluss vom 18. Oktober 2007 - 4 StR 481/07, jeweils mwN); insoweit können Fehler auch noch in der Hauptverhandlung durch Hinweise entsprechend § 265 StPO geheilt werden (vgl. BGH, Urteil vom 28. Oktober 2009 - 1 StR 205/09, NJW 2010, 308 mwN).
7
Genügt der Anklagesatz den Anforderungen an die Wahrung der Umgrenzungsfunktion für sich allein nicht, dürfen die Ausführungen im wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen zur Verdeutlichung und ergänzenden Erläuterung des Anklagesatzes herangezogen werden (BGHSt 46, 130, 134; BGH NStZ 2001, 656, 657; BGHR StPO § 200 Abs. 1 Satz 1 Tat 24; Schneider in KK-StPO, 6. Aufl., § 200 StPO Rn. 30). Voraussetzung hierfür ist jedoch stets, dass sich aus dem Anklagesatz zumindest die Grundlagen einer Tatbeteiligung ergeben. Fehlende Angaben im Anklagesatz können dann aus dem wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen entnommen werden, wenn sie dort eindeutig benannt sind und daraus deutlich wird, dass sich der Verfolgungswille der Staatsanwaltschaft hierauf erstreckt (vgl. BGH, Urteil vom 28. Oktober 2009 - 1 StR 205/09, NJW 2010, 308 mwN).
8
b) Ausgehend von diesen Maßstäben genügt die Anklageschrift den Anforderungen an die Umgrenzungsfunktion, wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift vom 3. Mai 2011 zutreffend darlegt. Es waren auch sämtliche abgeurteilten Taten von der Anklage und vom Eröffnungsbeschluss erfasst (zur Reichweite der prozessualen Tat in Fällen der Hinterziehung von Umsatzsteuer vgl. BGH, Urteil vom 17. März 2009 - 1 StR 627/08, BGHSt 53, 221 Rn. 28 ff.).
9
2. Auch im Hinblick auf den Grundsatz der Spezialität besteht kein Verfahrenshindernis.
10
a) Allerdings bestand zum Zeitpunkt der Verurteilung des Angeklagten durch das Landgericht wegen des Grundsatzes der Spezialität hinsichtlich einzelner von der Verurteilung erfasster Delikte ein von Amts wegen zu berücksichtigendes Verfolgungsverbot (Verfahrenshindernis) aus Art. 14 des Europäischen Auslieferungsübereinkommens vom 13. Dezember 1957 (EuAlÜbk), denn der Angeklagte war nicht wegen dieser Delikte von der Schweiz nach Deutschland ausgeliefert worden und hatte auch nicht auf die Einhaltung des Spezialitätsgrundsatzes verzichtet.
11
aa) Der Angeklagte wurde zur Durchführung des Strafverfahrens aus der Schweiz ausgeliefert. Dieser Auslieferung lag ein Haftbefehl vom 8. Mai 2009 zugrunde (der unzutreffend unter dem 8. Mai 2008 datiert). Dieser Haftbefehl erfasste jedoch - wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift vom 3. Mai 2011 zutreffend dargelegt hat - die Lebenssachverhalte nicht, die der Verurteilung in den Fällen 9 und 14 bis 19 der Urteilsgründe zugrunde liegen. Die Zustimmung des Angeklagten zur vereinfachten Auslieferung ließ den Grundsatz der Spezialität nicht entfallen (vgl. BGH, Beschluss vom 8. August 1989 - 1 StR 296/89, NStE Nr. 5 zu Art. 14 EuAlÜbk).
12
(1) Aus dem Grundsatz der Spezialität ergibt sich für den ersuchenden Staat eine Beschränkung seiner Hoheitsrechte (vgl. dazu Schomburg/ Lagodny/Gleß/Hackner, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 4. Aufl. 2006, Einl. 74). Ihr Umfang bestimmt sich hier nach den Regelungen des EuAlÜbk in Verbindung mit der Auslieferungsbewilligung der Schweiz. Aus Art. 14 Abs. 1 EuAlÜbk ergibt sich, dass der Ausgelieferte „wegen einer anderen, vor der Übergabe begangenen Handlung als derjenigen, die der Auslieferung zugrunde liegt, nur … verfolgt, abgeurteilt, zur Vollstreckung einer Strafe oder Maßregel der Sicherung oder Besserung in Haft gehalten oder einer sonstigen Beschrän- kung seiner persönlichen Freiheit unterworfen werden“ darf, wenn der Staat, der ihn ausgeliefert hat, zustimmt (Art. 14 Abs. 1 Buchst. a EuAlÜbk) oder wenn nach Verstreichen der Schonfrist des Art. 14 Abs. 1 Buchst. b EuAlÜbk die dort genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Danach durfte der Angeklagte nur wegen solcher vor der Auslieferung begangener Taten bestraft werden, für die die Auslieferung bewilligt wurde (vgl. BGH, Urteil vom 20. Dezember 1968 - 1 StR 508/67, BGHSt 22, 307; BGH, Urteil vom 11. März 1999 - 4 StR 526/98, NStZ 1999, 363).
13
(2) Zur Reichweite des Grundsatzes der Spezialität gilt Folgendes (vgl. BGH, Beschluss vom 2. November 2010 - 1 StR 544/09 mwN):
14
Der dem Spezialitätsgrundsatz zugrunde liegende Tatbegriff umfasst den gesamten mitgeteilten Lebenssachverhalt, innerhalb dessen der Verfolgte einen oder mehrere Straftatbestände erfüllt haben soll. Im Rahmen dieses historischen Vorgangs sind die Gerichte des ersuchenden Staates nicht gehindert, die Tat abweichend rechtlich oder tatsächlich zu würdigen, soweit insofern ebenfalls Auslieferungsfähigkeit besteht. Auch eine Änderung in der Rechtsauffassung berührt die Hoheitsinteressen des um Auslieferung ersuchten Staates regelmäßig nicht.
15
Dementsprechend steht der Spezialitätsgrundsatz etwa einer Verurteilung wegen Einzeltaten anstelle einer im Auslieferungsersuchen angenommenen fortgesetzten Handlung nicht entgegen. Das Gleiche gilt, wenn der den Haftbefehl erlassende Richter anstatt von Tatmehrheit rechtsfehlerhaft von einer Verknüpfung der Taten im Sinne einer Handlungseinheit ausgegangen ist, sofern die dem Beschuldigten vorgeworfenen Tathandlungen dem Auslieferungsersuchen zu entnehmen sind.
16
Maßgeblich ist insoweit ausgehend von Sinn und Zweck des Spezialitätsgrundsatzes der Verfolgungswille des ersuchenden Staates, wie er für den ersuchten Staat im Auslieferungsverfahren objektiv erkennbar zum Ausdruck gebracht wird. Dem ersuchten Staat steht es frei, bei insoweit bestehenden Un- klarheiten oder Unschärfen im Hinblick auf den Tatvorwurf seinerseits um Ergänzung der Darstellung der Handlungen, die Gegenstand des Auslieferungsersuchens sind, zu ersuchen (vgl. Art. 12 Abs. 2 Buchst. b, Art. 13 EuAlÜbk). Sieht er hiervon ab, bringt er mit der unbedingten Bewilligung zum Ausdruck, dass die Auslieferung zur Verfolgung all derjenigen Taten erfolgt, die für alle Verfahrensbeteiligten erkennbar vom Verfolgungswillen des ersuchenden Staats erfasst waren, auch wenn die einzelnen Taten im Auslieferungsverfahren noch nicht näher konkretisiert waren.
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(3) Auch unter Heranziehung dieser Grundsätze waren die Lebenssachverhalte , die zur Verurteilung in den Fällen 9 und 14 bis 19 der Urteilsgründe geführt haben, von der Auslieferungsbewilligung auf der Grundlage des dem Auslieferungsverfahren zugrunde liegenden Haftbefehls nicht umfasst.
18
(4) Eine Aburteilung wegen dieser Taten hätte allenfalls dann erfolgen dürfen, wenn der Angeklagte zu Protokoll einer Justizbehörde bzw. eines Richters (vgl. Art. VI Abs. 2 und 3 des Vertrages vom 13. November 1969 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft über die Ergänzung des Europäischen Auslieferungsübereinkommens vom 13. Dezember 1957 und die Erleichterung seiner Anwendung) auf die Einhaltung des Spezialitätsgrundsatzes verzichtet hätte. Dies war jedoch nicht der Fall. Vielmehr ist den Auslieferungsunterlagen zu entnehmen, dass der Angeklagte diesen Verzicht nicht erklärt hat (vgl. SH „Rechtshilfe“ 92 AR 127/09, Bl. 131, 145).
19
bb) Damit bestand zum Zeitpunkt der Verurteilung ein sich aus Art. 14 EuAlÜbk ergebendes Verfahrenshindernis (vgl. BGH, Urteil vom 29. Oktober 1963 - 1 StR 353/63, BGHSt 19, 118, 119). Die zur Auslieferung aufgrund eines Europäischen Haftbefehls ergangene Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union, nach der sich aus einem Verstoß gegen den Spezialitätsgrundsatz lediglich ein Vollstreckungshindernis und ein Verbot freiheitsbeschränkender Maßnahmen ergibt (EuGH, Urteil vom 1. Dezember 2008 - Rechtssache C-388/08 [Leymann und Pustovarov], NStZ 2010, 35 mit Anm. Heine, vgl. dazu BGH, Beschluss vom 27. Juli 2011 - 4 StR 303/11, NStZ 2012, 100), findet auf die hier vorliegende Auslieferung aus der Schweiz keine Anwendung.
20
cc) Das bestehende Verfahrenshindernis hatte jedoch nicht zur Folge, dass das Strafurteil des Landgerichts insoweit nichtig wäre; vielmehr ist dieses lediglich anfechtbar (vgl. RGSt 72, 77, 78; Schomburg/Hackner in Schomburg /Lagodny/Gleß/Hackner, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 4. Aufl. 2006, § 72 IRG Rn. 28).
21
b) Der Verstoß gegen den Grundsatz der Spezialität führt allerdings auch nicht dazu, dass der Senat das Urteil aufheben und das Verfahren wegen eines Verfahrenshindernisses einstellen müsste. Denn die Beschränkung der Hoheitsrechte der Bundesrepublik Deutschland aufgrund des im EuAlÜbk vereinbarten Spezialitätsgrundsatzes ist hier nachträglich weggefallen, weil der in Art. 14 Abs. 1 Buchst. b EuAlÜbk geregelte Ausnahmefall, bei dem die Spezialitätsbindung wieder entfällt, eingetreten ist.
22
aa) Art. 14 Abs. 1 Buchst. b EuAlÜbk lässt die Verfolgung und Aburteilung von in einer Auslieferungsbewilligung nicht genannten Taten dann zu, wenn der Ausgelieferte, obwohl er die Möglichkeit hatte, das Hoheitsgebiet des Staates, dem er ausgeliefert worden ist, innerhalb von 45 Tagen nach seiner endgültigen Freilassung nicht verlassen hat oder wenn er nach Verlassen dieses Gebiets dorthin zurückgekehrt ist (s. auch Art. 38 Abs. 2 Buchst. b Nr. 1 Schweizerisches IRSG).
23
bb) Diese Voraussetzungen liegen hier vor; der Angeklagte befand sich nach seiner Haftentlassung mehr als 45 Tage auf freiem Fuß und hat die Bundesrepublik Deutschland trotz vorherigen Hinweises auf die sich aus Art. 14 Abs. 1 Buchst. b EuAlÜbk ergebenden Rechtsfolgen nicht verlassen oder ist - was dem gleich steht (vgl. OLG Hamm wistra 1999, 359) - nach einer Ausreise dorthin wieder zurückgekehrt.
24
(1) Im Anschluss an die Urteilsverkündung am 28. April 2010 wurde der bereits seit 12. März 2010 außer Vollzug gesetzte Haftbefehl gegen den Angeklagten aufgehoben (PB I Bl. 75, 259). Damit wurde der Angeklagte im Sinne von Art. 14 Abs. 1 Buchst. b EuAlÜbk i.V.m. Art. VI Abs. 1 SchweizEuAlÜbk -ErgV vom 13. November 1969 endgültig freigelassen.
25
„Endgültig freigelassen“ im Sinne des EuAlÜbk ist der Ausgelieferte dann, wenn ihm nach seiner Entlassung aus dem Gewahrsam des ersuchenden Staates in dem Verfahren, für das die Auslieferung bewilligt worden war, freisteht, das Hoheitsgebiet des ersuchenden Staates zu verlassen und er dazu die tatsächliche Möglichkeit hat (vgl. dazu auch Walter, NStZ 1993, 393). Dies war hier mit Aufhebung des gegen den Angeklagten bestehenden Haftbefehls bei der Urteilsverkündung der Fall. Hierdurch wurde auch die letzte die Bewegungsfreiheit des Angeklagten beeinträchtigende Maßnahme durch das Gericht aufgehoben. Ladungen standen angesichts des mit Urteil abgeschlossenen Hauptverfahrens erster Instanz nicht mehr an. Vollstreckungsmaßnahmen konnten im Hinblick auf die vom Angeklagten eingelegte Revision noch nicht ergriffen werden.
26
Einer die Bewegungsfreiheit beeinträchtigenden Maßnahme steht nicht gleich, dass der Angeklagte für den Fall der Rechtskraft des gegen ihn ergangenen erstinstanzlichen Urteils trotz Anrechnung verbüßter Auslieferungs- und Untersuchungshaft (vgl. § 51 Abs. 1 StGB) noch mit der Verbüßung eines Strafrests rechnen musste. Denn bis dahin konnte sich der Angeklagte völlig frei bewegen; eine Auflage, nicht ins Ausland zu reisen, wurde vom Gericht nicht getroffen. Der Umstand, dass der Angeklagte damit letztlich einer Strafverfolgung wegen der zunächst vom Spezialitätsgrundsatz erfassten Tatvorwürfe dauerhaft allenfalls dadurch hätte entgehen können, dass er ausreist und nicht nach Deutschland zurückkehrt, steht der Anwendung von Art. 14 Abs. 1 Buchst. b EuAlÜbk nicht entgegen. Denn diese Lage unterscheidet sich nicht von derjenigen, die bestehen würde, wenn der Angeklagte nicht von der Schweiz nach Deutschland ausgeliefert worden wäre. Auch dann könnte er nicht nach Deutschland zurückkehren, ohne sich einer Strafverfolgung auszusetzen. Diese Situation ist damit allein die Folge der von ihm begangenen Straftaten, nicht der Auslieferung.
27
Der vorliegende Fall ist auch nicht mit der von der Verteidigung angesprochenen Konstellation einer Strafvollstreckung vergleichbar, bei der ein Verurteilter nach Aussetzung der Vollstreckung eines Strafrests zur Bewährung der Aufsicht und Leitung eines Bewährungshelfers unterstellt war, der er sich bei einer Ausreise mit dem Risiko eines Bewährungswiderrufes (vgl. § 56f Abs. 1 Nr. 2 StGB) entziehen müsste (vgl. OLG München NStZ 1993, 392). Eine zur Bewährung ausgesetzte Strafe war gegen den Angeklagten gerade nicht verhängt worden; Weisungen, Auflagen oder sonstige Verhaltensanordnungen für die Dauer des Revisionsverfahrens wurden ebenfalls nicht ausgesprochen und standen daher einer Ausreise auch nicht entgegen. Vielmehr war der zunächst gegen Auflagen außer Vollzug gesetzte Haftbefehl mit Urteilsverkündung ersatzlos aufgehoben worden. Damit konnte sich der Angeklagte frei bewegen und individuell entscheiden, ob er ausreist oder nicht (vgl. auch LG Berlin ZfStrVo 1999, 116).
28
(2) Mit Schreiben vom 12. August 2011, dem Angeklagten zugegangen am 18. August 2011, hat der Vorsitzende des Senats den Angeklagten und seine Verteidiger auf die Rechtswirkungen eines Verbleibs des Angeklagten in der Bundesrepublik Deutschland gemäß der Art. 14 Abs. 1 Buchst. b EuAlÜbk, Art. 38 Abs. 2 Buchst. b Nr. 1 Schweizerisches IRSG hingewiesen.
29
(3) Wie der Senat im Freibeweisverfahren unter Einschaltung der Polizei ermittelt hat, wohnte der Angeklagte im Oktober 2011 in der Wohnung seiner Mutter. Damit steht fest, dass der Angeklagte nach Ablauf der Schonfrist von 45 Tagen des Art. 14 Abs. 1 Buchst. b EuAlÜbk entweder Deutschland nicht verlassen hatte oder nach einer Ausreise dorthin wieder zurückgekehrt ist. In beiden Fällen entfällt die Spezialitätsbindung (vgl. Schomburg/Hackner in Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen , 4. Aufl. 2006, § 72 IRG Rn. 15 mwN).
30
(4) Unbeachtlich ist insoweit, dass das Strafverfahren, dessentwegen seine Auslieferung bewilligt worden war, noch nicht endgültig abgeschlossen ist. Eine der Vorschrift des § 11 Abs. 2 Nr. 2 IRG entsprechende diesbezügli- che Voraussetzung enthalten weder Art. 14 Abs. 1 Buchst. b EuAlÜbk noch Art. 38 Abs. 2 Buchst. b Nr. 1 Schweizerisches IRSG. Ausreichend für den Wegfall der Spezialitätsbindung ist daher, dass eine - auch nur bedingte - Freilassung erfolgt ist und der Betroffene die Möglichkeit zur Ausreise aus Deutschland hatte. Dies ist hier der Fall.
31
(5) Damit steht fest, dass gemäß Art. 14 Abs. 1 Buchst. b EuAlÜbk, Art. 38 Abs. 2 Buchst. b Nr. 1 Schweizerisches IRSG die Spezialitätsbindung entfallen ist. Der Grundsatz der Spezialität steht somit der Verurteilung des Angeklagten in den Fällen 9 und 14 bis 19 der Urteilsgründe nicht (mehr) entgegen.
32
c) Der Umstand, dass das Strafverfahren wegen dieser Taten über weite Teile des Verfahrens unter Verstoß gegen das sich aus Art. 14 Abs. 1 EuAlÜbk ergebende Verfolgungs- und Verurteilungsverbot geführt worden ist, hindert einer Verwerfung der Revision des Angeklagten nicht. Er führt insbesondere nicht dazu, dass das Verfahren wiederholt werden müsste.
33
aa) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs können Verfahrenshindernisse auch noch im Revisionsverfahren beseitigt werden (vgl. BGH, Urteil vom 6. Dezember 1951 – 3 StR 961/51 zur Nachholung eines erforderlichen Strafantrags in der Revisionsinstanz; BGH, Urteil vom 26. Juni 1952 - 5 StR 382/52, BGHSt 3, 73; BGH, Beschluss vom 26. Mai 1961 - 2 StR 40/61, BGHSt 16, 225; BGH, Beschluss vom 12. Dezember 2000 - 4 StR 464/00, NJW 2001, 836). Die Beseitigung von behebbaren Verfahrenshindernissen kann dabei aus Gründen der Prozessökonomie (vgl. BGH, Urteil vom 15. März 2000 - 1 StR 483/99, StV 2000, 347) und im Hinblick auf die prozessuale Fürsorgepflicht gegenüber dem Beschuldigten (vgl. dazu Meyer- Goßner, StPO, 54. Aufl., § 206a Rn. 2) sogar geboten sein, um dem Angeklagten eine erneute Anklageerhebung und eine erneute Hauptverhandlung zu ersparen. Auch das Legalitätsprinzip (§ 152 Abs. 2 StPO), das gebietet, wegen aller verfolgbaren Taten einzuschreiten, verlangt, behebbare Verfahrenshindernisse mit den rechtlich dafür zur Verfügung stehenden Mitteln zu beseitigen.
34
bb) Diese Grundsätze gelten auch für Verstöße gegen den Grundsatz der Spezialität.
35
(1) Es ist allgemein anerkannt, dass es bei einem Verstoß gegen den Spezialitätsgrundsatz auch dem Revisionsgericht möglich ist, ein Verfahrenshindernis zu beseitigen, indem es den ausliefernden Staat in einem Nachtragsersuchen um Zustimmung zur Strafverfolgung für die nicht von der Auslieferungsbewilligung erfassten Taten ersucht (vgl. Schomburg/Hackner in Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 4. Aufl. 2006, § 72 IRG Rn. 28b; Grützner/Pötz/Kreß, Internationaler Rechtshilfeverkehr in Strafsachen, 3. Aufl., Teil II S. 16 Vorbem. Rn. 18). Stimmt der ersuchte Staat der Ausdehnung der Strafverfolgung auf die weiteren Taten zu, sind seine Rechte, die mit dem Spezialitätsgrundsatz geschützt werden sollen (Schomburg/Hackner aaO Rn. 13), gewahrt. Allerdings ist dann dem Angeklagten rechtliches Gehör zu gewähren (vgl. Schomburg/Hackner aaO Rn. 28b). Dies ist hier geschehen.
36
(2) In gleicher Weise entfällt die Spezialitätsbindung aus Art. 14 EuAlÜbk dann, wenn der Ausgelieferte noch nachträglich auf die Einhaltung des Grundsatzes der Spezialität verzichtet und sich mit der uneingeschränkten Strafverfolgung einverstanden erklärt (vgl. Art. VI Abs. 2 Schweiz-EuAlÜbk- ErgV vom 13. November 1969). Denn dann beruht die Strafverfolgung insoweit nicht auf der Auslieferung durch den ersuchten Staat, sondern auf der freien Entscheidung des Ausgelieferten, sich auch insoweit dem Strafverfahren zu stellen. Auch in Art. 14 Abs. 1 Buchst. b EuAlÜbk kommt zum Ausdruck , dass die Rechte des ersuchten Staates dann nicht verletzt sind, wenn der Ausgelieferte sich freiwillig der Strafverfolgung des ersuchenden Staates unterwirft. Der Verzicht des ausliefernden Staates auf die Einhaltung des Spezialitätsgrundsatzes ergibt sich damit insoweit bereits aus dem Auslieferungsübereinkommen selbst (vgl. Schomburg/Hackner aaO § 72 IRG Rn. 12a). Zugleich unterstreicht dies die „aktive Beteiligung des Individuums im Rechtshil- ferecht“ (vgl. Schomburg/Lagodny/ Gleß/Hackner, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 4. Aufl. 2006, Einl. 74 mit Belegen aus weiteren Auslieferungsübereinkommen ).
37
(3) Hieraus wird deutlich, dass der in der Verletzung des Spezialitätsgrundsatzes liegende Mangel jederzeit behebbar ist, und zwar sowohl durch ein Tätigwerden des ausliefernden Staates als auch durch ein solches des Ausgelieferten. Damit kann weder der Ausgelieferte noch der ausliefernde Staat für sich allein die nachträgliche Herbeiführung der Verfolgungsvoraussetzungen verhindern. Etwaige Verwertungsverbote für die Ergebnisse des zuvor unter Verstoß gegen den Spezialitätsgrundsatz geführten Verfahrens bestehen nach einer nachträglichen Beseitigung des Verfahrenshindernisses nicht.
38
3. Auch im Hinblick auf den Grundsatz der Spezialität fehlt es nicht an der von Amts wegen zu berücksichtigenden Verfahrensvoraussetzung eines wirksamen Eröffnungsbeschlusses. Der Umstand, dass zum Zeitpunkt des Eröffnungsbeschlusses die Taten in den Fällen 9 und 14 bis 19 der Urteils- gründe im Hinblick auf den Spezialitätsgrundsatz nach Art. 14 EuAlÜbk nicht verfolgt werden durften, steht der Wirksamkeit des Eröffnungsbeschlusses auch hinsichtlich dieser Taten nicht entgegen.
39
(1) Der Spezialitätsgrundsatz gebietet den Strafverfolgungsbehörden und Gerichten des ersuchenden Staates nach einer Auslieferung nicht, jegliche Untersuchungshandlungen im Hinblick auf solche Taten einzustellen, die von der Auslieferungsbewilligung nicht umfasst sind. Insbesondere ergibt sich aus dem Spezialitätsgrundsatz kein Befassungsverbot für die nicht von der Auslieferungsbewilligung erfassten Taten. Vielmehr bestimmt sich die Reichweite der Beschränkung der Hoheitsrechte für die Bundesrepublik Deutschland durch den Grundsatz der Spezialität im vorliegenden Fall allein nach dem der Auslieferung des Angeklagten zugrunde liegenden Art. 14 EuAlÜbk.
40
(2) Der Senat braucht nicht zu klären, wie weit der Kreis der durch den Spezialitätsgrundsatz verbotenen Untersuchungshandlungen reicht (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 10. Januar 2007 - 5 StR 305/06, NStZ 2007, 345 mit abl. Anm. Lagodny sowie OLG Zweibrücken, Beschluss vom 25. Februar 1991 - 1 Ws 641-642/90, StV 1993, 37 mit abl. Anm. Lagodny; vgl. auch BGH, Beschluss vom 15. August 1979 - 2 StR 465/79, BGHSt 29, 94 und BGH, Urteil vom 15. April 1987 - 2 StR 697/86, BGHSt 34, 352). Denn jedenfalls war der Eröffnungsbeschluss im vorliegenden Fall nach den Vorgaben des Art. 14 Abs. 2 EuAlÜbk zulässig. Nach dieser Vorschrift darf der ersuchende Staat die erforderlichen Maßnahmen treffen, um nach seinen Rechtsvorschriften die Verjährung zu unterbrechen. Demnach war hier sowohl die Erhebung der öffentlichen Klage (vgl. § 78c Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 StGB) als auch die Eröffnung des Hauptverfahrens (§ 78c Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 StGB) zur Verjährungsunterbrechung zulässig, zumal im vorliegenden Fall wegen des Tatvorwurfs der Steuerhinterziehung die Eröffnung des Hauptverfahrens vor dem Landgericht dazu führte, dass die Verjährung für einen Zeitraum von bis zu fünf Jahren ruhte (vgl. § 78b Abs. 4 StGB).
41
(3) Der Senat ist im Übrigen der Auffassung, dass ein Eröffnungsbeschluss auch dann hinsichtlich aller angeklagter Taten wirksam ist, wenn zum Zeitpunkt der Beschlussfassung für alle oder einzelne Taten ein aus dem Spezialitätsgrundsatz folgendes Verfahrenshindernis besteht, das aber behebbar ist.
42
(a) Nur schwerwiegende Mängel machen einen Eröffnungsbeschluss unwirksam, denn die gänzliche Unwirksamkeit mit der Folge rechtlicher Unbeachtlichkeit einer gerichtlichen Entscheidung kommt allenfalls in seltenen Ausnahmefällen in Betracht (vgl. BGH, Beschluss vom 16. Oktober 1980 - 1 BJs 80/78 - 3, StB 29, 30 und 31/80, NJW 1981, 133 mwN; vgl. auch Paeffgen in SK-StPO, 4. Aufl., § 207 StPO Rn. 23). Sonstige Mängel - selbst das Fehlen eines hinreichenden Tatverdachts (vgl. Stuckenberg in Löwe/ Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 207 Rn. 76) - lassen dagegen die Wirksamkeit eines Eröffnungsbeschlusses unberührt. Fehlt etwa zur Zeit der Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens ein erforderlicher Strafantrag, führt dies nicht zur Unwirksamkeit des Eröffnungsbeschlusses (vgl. BGH, Urteil vom 6. Dezember 1951 - 3 StR 961/51). Vielmehr ist bei Antragsdelikten gemäß § 130 StPO sogar der Erlass eines Haftbefehls zulässig, wenn der für die Verfolgung erforderliche Strafantrag noch nicht gestellt ist, weil insoweit ein noch behebbares Verfahrenshindernis vorliegt.
43
(b) Es besteht kein Anlass, die Frage der Wirksamkeit eines unter Missachtung des Spezialitätsgrundsatzes ergangenen Eröffnungsbeschlusses anders zu beurteilen, wenn - wie hier - dieser Verstoß behebbar ist. Denn das deswegen bestehende (behebbare) Verfahrenshindernis führt nicht dazu, dass der Eröffnungsbeschluss seine Funktion als Verfahrensvoraussetzung nicht erfüllen kann; insbesondere ist die Umgrenzungsfunktion des Eröffnungsbeschlusses gewahrt.
44
Im Hinblick darauf, dass das sich aus der Verletzung des Spezialitätsgrundsatzes ergebende Verfahrenshindernis zu jedem Zeitpunkt durch einen Verzicht des Beschuldigten auf die Wahrung der Spezialitätsbindung oder durch ein erfolgreiches Nachtragsersuchen an den ausliefernden Staat beseitigt werden kann, ist ein Verstoß gegen den Spezialitätsgrundsatz nicht als so schwerwiegend anzusehen, dass er die Unwirksamkeit des Beschlusses als solches nach sich ziehen würde (a.A. Vogler/Walter in Grützner/Pötz/Kreß, Internationaler Rechtshilfeverkehr in Strafsachen, 3. Aufl., Teil I A2 § 72 IRG Rn. 14). Der Einhaltung des Spezialitätsgrundsatzes wird vielmehr dadurch ausreichend Rechnung getragen, dass gemäß § 206a StPO das Verfahren einzustellen ist, wenn das Verfahrenshindernis nicht beseitigt werden kann (vgl. dazu Stuckenberg in Löwe/Rosenberg, 26. Aufl., § 206a StPO Rn. 70).
45
(c) Der Beschluss des 2. Strafsenats vom 15. August 1979 in dem Verfahren 2 StR 465/79 (BGHSt 29, 94) steht dem nicht entgegen. Denn diese Entscheidung bezieht sich nicht auf das Europäische Auslieferungsübereinkommen vom 13. Dezember 1957 (EuAlÜbk), sondern auf eine Auslieferungsbewilligung auf der Grundlage des Auslieferungsvertrags zwischen dem Deutschen Reich und Spanien vom 2. Mai 1878 (RGBl 213), der abweichende Vereinbarungen enthält. Nach dem dortigen Art. 6 darf die ausgelieferte Per- son wegen eines Verbrechens oder Vergehens, wegen dessen die Ausliefe- rung nicht bewilligt worden ist, ohne Nachtragsbewilligung nur dann „zur Untersuchung gezogen und bestraft werden“, wenn sie, nachdem sie wegen der zur Auslieferung führenden Taten bestraft oder endgültig freigesprochen ist, während dreier Monate im Lande bleibt oder nach Verlassen desselben wieder dorthin zurückkehrt. Anders als nach Art. 14 Abs. 1 Buchst. b EuAlÜbk war dort für den Beginn der Schonfrist ein endgültiger Abschluss des Verfahrens, für das die Auslieferung bewilligt wurde, erforderlich.
46
(4) Soweit angenommen wird, eine nachträgliche Bewilligung zur Strafverfolgung oder ein nachträglicher Verzicht auf den Spezialitätsgrundsatz habe keine ex-tunc-Wirkung (vgl. OLG Oldenburg, StV 1995, 13; OLG Dresden, Beschluss vom 4. Dezember 2001 - 1 Ss 463/01, juris), geht dies bereits von einem unzutreffenden Ansatz aus. Prämisse dieser Auffassung ist, dass eine Anklageerhebung und ein Eröffnungsbeschluss unwirksam sind, wenn sie unter Verstoß gegen den Spezialitätsgrundsatz erfolgt sind. Dies ist indes - wie dargelegt - nicht der Fall.

II.


47
Aus den zutreffenden Gründen der Antragsschriften des Generalbundesanwalts vom 3. Mai 2011 und vom 20. Oktober 2011 enthält das angefochtene Urteil zum Schuldspruch und zum Strafausspruch keinen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler; allerdings fehlt es im Urteil an der gemäß § 51 Abs. 1, Abs. 4 Satz 2 StGB gebotenen Anrechnung der von dem Angeklagten in der Schweiz erlittenen Auslieferungshaft auf die verhängte Freiheitsstrafe. Diese muss in der Urteilsformel ebenso zum Ausdruck kommen, wie der festgesetzte Maßstab der Anrechnung. Vorliegend kann der Senat diesen Ausspruch selbst nachholen. Ein anderer Anrechnungsmaßstab als 1 : 1 kommt hier ersichtlich nicht in Betracht (vgl. BGH, Beschluss vom 15. April 2008 - 1 StR 166/08). Nack Wahl Hebenstreit Jäger Sander

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 152/11
vom
9. Februar 2012
in der Strafsache
gegen
wegen Steuerhinterziehung u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 9. Februar 2012 beschlossen
:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
Wuppertal vom 29. Juli 2010 wird als unbegründet verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Steuerhinterziehung in 30 Fällen und wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung in zwei Fällen zu der Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Hiergegen wendet er sich mit seiner auf die Sachrüge gestützten Revision, mit der er gleichzeitig ein Verfahrenshindernis geltend macht. Die Revision ist unbegründet. Der Senat entscheidet auf den Antrag des Generalbundesanwalts vom 20. Oktober 2011 durch Beschluss gemäß § 349 Abs. 2 StPO.
2
Der Erörterung bedarf lediglich Folgendes:

I.

3
Ein Verfahrenshindernis besteht nicht.
4
1. Der Eröffnungsbeschluss genügt den an ihn zu stellenden inhaltlichen Anforderungen.

5
Die Anklageschrift, an die der Eröffnungsbeschluss anknüpft, erfüllt noch ihre Funktion, die hier angeklagten Taten der Hinterziehung von Umsatzsteuer ausreichend zu umschreiben (vgl. zu den Anforderungen an die Darstellung in der Anklageschrift beim Vorwurf der Steuerhinterziehung BGH, Beschluss vom 27. Mai 2009 - 1 StR 665/08, NStZ-RR 2009, 340; siehe auch Weyand in Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, § 385 AO Rn. 19 ff.).
6
a) Eine Anklage ist dann unwirksam mit der Folge, dass das Verfahren wegen Fehlens einer Prozessvoraussetzung einzustellen ist, wenn etwaige Mängel dazu führen, dass die Anklage ihrer Umgrenzungsfunktion nicht genügt (vgl. BGH, Urteil vom 9. August 2011 - 1 StR 194/11 mwN). Mängel der Informationsfunktion berühren ihre Wirksamkeit dagegen nicht (vgl. u.a. BGH, Urteile vom 24. Januar 2012 - 1 StR 412/11 und vom 2. März 2011 - 2 StR 524/10; BGH, Beschluss vom 18. Oktober 2007 - 4 StR 481/07, jeweils mwN); insoweit können Fehler auch noch in der Hauptverhandlung durch Hinweise entsprechend § 265 StPO geheilt werden (vgl. BGH, Urteil vom 28. Oktober 2009 - 1 StR 205/09, NJW 2010, 308 mwN).
7
Genügt der Anklagesatz den Anforderungen an die Wahrung der Umgrenzungsfunktion für sich allein nicht, dürfen die Ausführungen im wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen zur Verdeutlichung und ergänzenden Erläuterung des Anklagesatzes herangezogen werden (BGHSt 46, 130, 134; BGH NStZ 2001, 656, 657; BGHR StPO § 200 Abs. 1 Satz 1 Tat 24; Schneider in KK-StPO, 6. Aufl., § 200 StPO Rn. 30). Voraussetzung hierfür ist jedoch stets, dass sich aus dem Anklagesatz zumindest die Grundlagen einer Tatbeteiligung ergeben. Fehlende Angaben im Anklagesatz können dann aus dem we- sentlichen Ergebnis der Ermittlungen entnommen werden, wenn sie dort eindeutig benannt sind und daraus deutlich wird, dass sich der Verfolgungswille der Staatsanwaltschaft hierauf erstreckt (vgl. BGH, Urteil vom 28. Oktober 2009 - 1 StR 205/09, NJW 2010, 308 mwN).
8
b) Ausgehend von diesen Maßstäben genügt die Anklageschrift den Anforderungen an die Umgrenzungsfunktion, wie in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 3. Mai 2011 zutreffend dargelegt wird. Es waren auch sämtliche abgeurteilten Taten von der Anklage und vom Eröffnungsbeschluss erfasst (zur Reichweite der prozessualen Tat in Fällen der Hinterziehung von Umsatzsteuer vgl. BGH, Urteil vom 17. März 2009 - 1 StR 627/08, BGHSt 53, 221 Rn. 28 ff.).
9
2. Auch im Hinblick auf den Grundsatz der Spezialität besteht kein Verfahrenshindernis.
10
a) Allerdings bestand zum Zeitpunkt der Verurteilung des Angeklagten durch das Landgericht wegen des Grundsatzes der Spezialität hinsichtlich einzelner von der Verurteilung erfasster Delikte ein von Amts wegen zu berücksichtigendes Verfolgungsverbot (Verfahrenshindernis) aus Art. 14 des Europäischen Auslieferungsübereinkommens vom 13. Dezember 1957 (EuAlÜbk), denn der Angeklagte war nicht wegen dieser Delikte von der Schweiz nach Deutschland ausgeliefert worden und hatte auch nicht auf die Einhaltung des Spezialitätsgrundsatzes verzichtet.
11
aa) Der Angeklagte wurde zur Durchführung des Strafverfahrens aus der Schweiz ausgeliefert. Dieser Auslieferung lag ein Haftbefehl vom 8. Mai 2009 zugrunde (der unzutreffend unter dem 8. Mai 2008 datiert). Dieser Haft- befehl erfasste jedoch - wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift vom 3. Mai 2011 zutreffend dargelegt hat - die Lebenssachverhalte nicht, die der Verurteilung in den Fällen 41 bis 50, 53 bis 69 und 74 bis 79 der Urteilsgründe zugrunde liegen.
12
Die Zustimmung des Angeklagten zur vereinfachten Auslieferung ließ den Grundsatz der Spezialität nicht entfallen (vgl. BGH, Beschluss vom 8. August 1989 - 1 StR 296/89, NStE Nr. 5 zu Art. 14 EuAlÜbk). Auch die irre- führende Angabe des Angeklagten in der Hauptverhandlung, er habe „auf den Spezialitätsgrundsatz“ verzichtet (vgl. die dienstlichen Äußerungen der Berufs- richter der Strafkammer), kann das Fehlen dieser formalen Voraussetzung nicht ersetzen.
13
(1) Aus dem Grundsatz der Spezialität ergibt sich für den ersuchenden Staat eine Beschränkung seiner Hoheitsrechte (vgl. dazu Schomburg/ Lagodny/Gleß/Hackner, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 4. Aufl. 2006, Einl. 74). Ihr Umfang bestimmt sich hier nach den Regelungen des EuAlÜbk in Verbindung mit der Auslieferungsbewilligung der Schweiz. Aus Art. 14 Abs. 1 EuAlÜbk ergibt sich, dass der Ausgelieferte „wegen einer anderen , vor der Übergabe begangenen Handlung als derjenigen, die der Auslieferung zugrunde liegt, nur … verfolgt, abgeurteilt, zur Vollstreckung einer Strafe oder Maßregel der Sicherung oder Besserung in Haft gehalten oder einer sonstigen Beschränkung seiner persönlichen Freiheit unterworfen werden“ darf, wenn der Staat, der ihn ausgeliefert hat, zustimmt (Art. 14 Abs. 1 Buchst. a EuAlÜbk) oder wenn nach Verstreichen der Schonfrist des Art. 14 Abs. 1 Buchst. b EuAlÜbk die dort genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Danach durfte der Angeklagte nur wegen solcher vor der Auslieferung begangener Taten bestraft werden, für die die Auslieferung bewilligt wurde (vgl.
BGH, Urteil vom 20. Dezember 1968 - 1 StR 508/67, BGHSt 22, 307; BGH, Urteil vom 11. März 1999 - 4 StR 526/98, NStZ 1999, 363).
14
(2) Zur Reichweite des Grundsatzes der Spezialität gilt Folgendes (vgl. BGH, Beschluss vom 2. November 2010 – 1 StR 544/09 mwN):
15
Der dem Spezialitätsgrundsatz zugrunde liegende Tatbegriff umfasst den gesamten mitgeteilten Lebenssachverhalt, innerhalb dessen der Verfolgte einen oder mehrere Straftatbestände erfüllt haben soll. Im Rahmen dieses historischen Vorgangs sind die Gerichte des ersuchenden Staates nicht gehindert , die Tat abweichend rechtlich oder tatsächlich zu würdigen, soweit insofern ebenfalls Auslieferungsfähigkeit besteht. Auch eine Änderung in der Rechtsauffassung berührt die Hoheitsinteressen des um Auslieferung ersuchten Staates regelmäßig nicht.
16
Dementsprechend steht der Spezialitätsgrundsatz etwa einer Verurteilung wegen Einzeltaten anstelle einer im Auslieferungsersuchen angenommenen fortgesetzten Handlung nicht entgegen. Das Gleiche gilt, wenn der den Haftbefehl erlassende Richter anstatt von Tatmehrheit rechtsfehlerhaft von einer Verknüpfung der Taten im Sinne einer Handlungseinheit ausgegangen ist, sofern die dem Beschuldigten vorgeworfenen Tathandlungen dem Auslieferungsersuchen zu entnehmen sind.
17
Maßgeblich ist insoweit ausgehend von Sinn und Zweck des Spezialitätsgrundsatzes der Verfolgungswille des ersuchenden Staates, wie er für den ersuchten Staat im Auslieferungsverfahren objektiv erkennbar zum Ausdruck gebracht wird. Dem ersuchten Staat steht es frei, bei insoweit bestehenden Unklarheiten oder Unschärfen im Hinblick auf den Tatvorwurf seinerseits um Ergänzung der Darstellung der Handlungen, die Gegenstand des Auslieferungsersuchens sind, zu ersuchen (vgl. Art. 12 Abs. 2 Buchst. b, Art. 13 EuAlÜbk). Sieht er hiervon ab, bringt er mit der unbedingten Bewilligung zum Ausdruck, dass die Auslieferung zur Verfolgung all derjenigen Taten erfolgt, die für alle Verfahrensbeteiligten erkennbar vom Verfolgungswillen des ersuchenden Staats erfasst waren, auch wenn die einzelnen Taten im Auslieferungsverfahren noch nicht näher konkretisiert waren.
18
(3) Auch unter Heranziehung dieser Grundsätze waren die Lebenssachverhalte , die zur Verurteilung in den Fällen 41 bis 50, 53 bis 69 und 74 bis 79 der Urteilsgründe geführt haben, von der Auslieferungsbewilligung auf der Grundlage des dem Auslieferungsverfahren zugrunde liegenden Haftbefehls nicht umfasst.
19
(4) Eine Aburteilung wegen dieser Taten hätte allenfalls dann erfolgen dürfen, wenn der Angeklagte zu Protokoll einer Justizbehörde bzw. eines Richters (vgl. Art. VI Abs. 2 und 3 des Vertrages vom 13. November 1969 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft über die Ergänzung des Europäischen Auslieferungsübereinkommens vom 13. Dezember 1957 und die Erleichterung seiner Anwendung) auf die Einhaltung des Spezialitätsgrundsatzes verzichtet hätte. Dies war jedoch nicht der Fall. Vielmehr ist den Auslieferungsunterlagen zu entnehmen, dass der Angeklagte diesen Verzicht nicht erklärt hat (vgl. SH „Rechtshilfe“ 92 AR 128/09, Bl. 133, 148). Die gegenteilige Behauptung des Angeklagten in der Hauptverhandlung kann die Einhaltung der vorgeschriebenen Form nicht ersetzen.
20
bb) Damit bestand zum Zeitpunkt der Verurteilung ein sich aus Art. 14 EuAlÜbk ergebendes Verfahrenshindernis (vgl. BGH, Urteil vom 29. Oktober 1963 - 1 StR 353/63, BGHSt 19, 118, 119). Die zur Auslieferung aufgrund eines Europäischen Haftbefehls ergangene Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union, nach der sich aus einem Verstoß gegen den Spezialitätsgrundsatz lediglich ein Vollstreckungshindernis und ein Verbot freiheitsbeschränkender Maßnahmen ergibt (EuGH, Urteil vom 1. Dezember 2008 - Rechtssache C-388/08 [Leymann und Pustovarov], NStZ 2010, 35 mit Anm. Heine, vgl. dazu BGH, Beschluss vom 27. Juli 2011 - 4 StR 303/11, NStZ 2012, 100), findet auf die hier vorliegende Auslieferung aus der Schweiz keine Anwendung.
21
cc) Das bestehende Verfahrenshindernis hatte jedoch nicht zur Folge, dass das Strafurteil des Landgerichts insoweit nichtig wäre; vielmehr ist dieses lediglich anfechtbar (vgl. RGSt 72, 77, 78; Schomburg/Hackner in Schomburg /Lagodny/Gleß/Hackner, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 4. Aufl. 2006, § 72 IRG Rn. 28).
22
b) Der Verstoß gegen den Grundsatz der Spezialität führt allerdings auch nicht dazu, dass der Senat das Urteil aufheben und das Verfahren wegen eines Verfahrenshindernisses einstellen müsste. Denn die Beschränkung der Hoheitsrechte der Bundesrepublik Deutschland aufgrund des im EuAlÜbk vereinbarten Spezialitätsgrundsatzes ist hier nachträglich weggefallen, weil der in Art. 14 Abs. 1 Buchst. b EuAlÜbk geregelte Ausnahmefall, bei dem die Spezialitätsbindung wieder entfällt, eingetreten ist.
23
aa) Art. 14 Abs. 1 Buchst. b EuAlÜbk lässt die Verfolgung und Aburteilung von in einer Auslieferungsbewilligung nicht genannten Taten dann zu, wenn der Ausgelieferte, obwohl er die Möglichkeit hatte, das Hoheitsgebiet des Staates, dem er ausgeliefert worden ist, innerhalb von 45 Tagen nach seiner endgültigen Freilassung nicht verlassen hat oder wenn er nach Verlassen dieses Gebiets dorthin zurückgekehrt ist (s. auch Art. 38 Abs. 2 Buchst. b Nr. 1 Schweizerisches IRSG).
24
bb) Diese Voraussetzungen liegen hier vor; der Angeklagte befand sich nach seiner Haftentlassung mehr als 45 Tage auf freiem Fuß und hat die Bundesrepublik Deutschland trotz vorherigen Hinweises auf die sich aus Art. 14 Abs. 1 Buchst. b EuAlÜbk ergebenden Rechtsfolgen nicht verlassen oder ist - was dem gleich steht (vgl. OLG Hamm wistra 1999, 359) - nach einer Ausreise dorthin wieder zurückgekehrt.
25
(1) Im Anschluss an die Urteilsverkündung am 29. Juli 2010 wurde der bereits seit 26. April 2010 außer Vollzug gesetzte Haftbefehl gegen den Angeklagten aufgehoben (PB I Bl. 302, PB II Bl. 600). Damit wurde der Angeklagte im Sinne von Art. 14 Abs. 1 Buchst. b EuAlÜbk i.V.m. Art. VI Abs. 1 SchweizEuAlÜbk -ErgV vom 13. November 1969 endgültig freigelassen.
26
„Endgültig freigelassen“ im Sinne des EuAlÜbk ist der Ausgelieferte dann, wenn ihm nach seiner Entlassung aus dem Gewahrsam des ersuchenden Staates in dem Verfahren, für das die Auslieferung bewilligt worden war, freisteht, das Hoheitsgebiet des ersuchenden Staates zu verlassen und er dazu die tatsächliche Möglichkeit hat (vgl. dazu auch Walter, NStZ 1993, 393). Dies war hier mit Aufhebung des gegen den Angeklagten bestehenden Haftbefehls bei der Urteilsverkündung der Fall. Hierdurch wurde auch die letzte die Bewe- gungsfreiheit des Angeklagten beeinträchtigende Maßnahme durch das Gericht aufgehoben. Ladungen standen angesichts des mit Urteil abgeschlossenen Hauptverfahrens erster Instanz nicht mehr an. Vollstreckungsmaßnahmen konnten im Hinblick auf die vom Angeklagten eingelegte Revision noch nicht ergriffen werden.
27
Einer die Bewegungsfreiheit beeinträchtigenden Maßnahme steht nicht gleich, dass der Angeklagte für den Fall der Rechtskraft des gegen ihn ergangenen erstinstanzlichen Urteils trotz Anrechnung verbüßter Auslieferungs- und Untersuchungshaft (vgl. § 51 Abs. 1 StGB) noch mit der Verbüßung eines Strafrests rechnen musste. Denn bis dahin konnte sich der Angeklagte völlig frei bewegen; eine Auflage, nicht ins Ausland zu reisen, wurde vom Gericht nicht getroffen. Der Umstand, dass der Angeklagte damit letztlich einer Strafverfolgung wegen der zunächst vom Spezialitätsgrundsatz erfassten Tatvorwürfe dauerhaft allenfalls dadurch hätte entgehen können, dass er ausreist und nicht nach Deutschland zurückkehrt, steht der Anwendung von Art. 14 Abs. 1 Buchst. b EuAlÜbk nicht entgegen. Denn diese Lage unterscheidet sich nicht von derjenigen, die bestehen würde, wenn der Angeklagte nicht von der Schweiz nach Deutschland ausgeliefert worden wäre. Auch dann könnte er nicht nach Deutschland zurückkehren, ohne sich einer Strafverfolgung auszusetzen. Diese Situation ist damit allein die Folge der von ihm begangenen Straftaten , nicht der Auslieferung.
28
Der vorliegende Fall ist auch nicht mit der von der Verteidigung angesprochenen Konstellation einer Strafvollstreckung vergleichbar, bei der ein Verurteilter nach Aussetzung der Vollstreckung eines Strafrests zur Bewährung der Aufsicht und Leitung eines Bewährungshelfers unterstellt war, der er sich bei einer Ausreise mit dem Risiko eines Bewährungswiderrufes (vgl. § 56f Abs. 1 Nr. 2 StGB) entziehen müsste (vgl. OLG München NStZ 1993, 392). Eine zur Bewährung ausgesetzte Strafe war gegen den Angeklagten gerade nicht verhängt worden; Weisungen, Auflagen oder sonstige Verhaltensanordnungen für die Dauer des Revisionsverfahrens wurden ebenfalls nicht ausgesprochen und standen daher einer Ausreise auch nicht entgegen. Vielmehr war der zunächst gegen Auflagen außer Vollzug gesetzte Haftbefehl mit Urteilsverkündung ersatzlos aufgehoben worden. Damit konnte sich der Angeklagte frei bewegen und individuell entscheiden, ob er ausreist oder nicht (vgl. auch LG Berlin ZfStrVo 1999, 116).
29
(2) Mit Schreiben vom 12. August 2011, dem Angeklagten zugegangen am 18. August 2011, hat der Vorsitzende des Senats den Angeklagten und seine Verteidiger auf die Rechtswirkungen eines Verbleibs des Angeklagten in der Bundesrepublik Deutschland gemäß der Art. 14 Abs. 1 Buchst. b EuAlÜbk, Art. 38 Abs. 2 Buchst. b Nr. 1 Schweizerisches IRSG hingewiesen.
30
(3) Wie der Senat im Freibeweisverfahren unter Einschaltung der Polizei ermittelt hat, hielt sich der Angeklagte im Oktober 2011 in Deutschland auf. Damit steht fest, dass der Angeklagte nach Ablauf der Schonfrist von 45 Tagen des Art. 14 Abs. 1 Buchst. b EuAlÜbk entweder Deutschland nicht verlassen hatte oder nach einer Ausreise dorthin wieder zurückgekehrt ist. In beiden Fällen entfällt die Spezialitätsbindung (vgl. Schomburg/Hackner in Schomburg /Lagodny/Gleß/Hackner, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 4. Aufl. 2006, § 72 IRG Rn. 15 mwN).
31
(4) Unbeachtlich ist insoweit, dass das Strafverfahren, dessentwegen seine Auslieferung bewilligt worden war, noch nicht endgültig abgeschlossen ist. Eine der Vorschrift des § 11 Abs. 2 Nr. 2 IRG entsprechende diesbezügliche Voraussetzung enthalten weder Art. 14 Abs. 1 Buchst. b EuAlÜbk noch Art. 38 Abs. 2 Buchst. b Nr. 1 Schweizerisches IRSG. Ausreichend für den Wegfall der Spezialitätsbindung ist daher, dass eine - auch nur bedingte - Freilassung erfolgt ist und der Betroffene die Möglichkeit zur Ausreise aus Deutschland hatte. Dies ist hier der Fall.
32
(5) Damit steht fest, dass gemäß Art. 14 Abs. 1 Buchst. b EuAlÜbk, Art. 38 Abs. 2 Buchst. b Nr. 1 Schweizerisches IRSG die Spezialitätsbindung entfallen ist. Der Grundsatz der Spezialität steht somit der Verurteilung des Angeklagten in den Fällen 41 bis 50, 53 bis 69 und 74 bis 79 der Urteilsgründe nicht (mehr) entgegen.
33
c) Der Umstand, dass das Strafverfahren wegen dieser Taten über weite Teile des Verfahrens unter Verstoß gegen das sich aus Art. 14 Abs. 1 EuAlÜbk ergebende Verfolgungs- und Verurteilungsverbot geführt worden ist, hindert eine Verwerfung der Revision des Angeklagten nicht. Er führt insbesondere nicht dazu, dass das Verfahren wiederholt werden müsste.
34
aa) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs können Verfahrenshindernisse auch noch im Revisionsverfahren beseitigt werden (vgl. BGH, Urteil vom 6. Dezember 1951 - 3 StR 961/51 zur Nachholung eines erforderlichen Strafantrags in der Revisionsinstanz; BGH, Urteil vom 26. Juni 1952 - 5 StR 382/52, BGHSt 3, 73; BGH, Beschluss vom 26. Mai 1961 - 2 StR 40/61, BGHSt 16, 225; BGH, Beschluss vom 12. Dezember 2000 - 4 StR 464/00, NJW 2001, 836). Die Beseitigung von behebbaren Verfahrenshindernissen kann dabei aus Gründen der Prozessökonomie (vgl. BGH, Urteil vom 15. März 2000 - 1 StR 483/99, StV 2000, 347) und im Hinblick auf die prozessuale Fürsorgepflicht gegenüber dem Beschuldigten (vgl. dazu Meyer- Goßner, StPO, 54. Aufl., § 206a Rn. 2) sogar geboten sein, um dem Angeklagten eine erneute Anklageerhebung und eine erneute Hauptverhandlung zu ersparen. Auch das Legalitätsprinzip (§ 152 Abs. 2 StPO), das gebietet, wegen aller verfolgbaren Taten einzuschreiten, verlangt, behebbare Verfahrenshindernisse mit den rechtlich dafür zur Verfügung stehenden Mitteln zu beseitigen.
35
bb) Diese Grundsätze gelten auch für Verstöße gegen den Grundsatz der Spezialität.
36
(1) Es ist allgemein anerkannt, dass es bei einem Verstoß gegen den Spezialitätsgrundsatz auch dem Revisionsgericht möglich ist, ein Verfahrenshindernis zu beseitigen, indem es den ausliefernden Staat in einem Nachtragsersuchen um Zustimmung zur Strafverfolgung für die nicht von der Auslieferungsbewilligung erfassten Taten ersucht (vgl. Schomburg/Hackner in Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 4. Aufl. 2006, § 72 IRG Rn. 28b; Grützner/Pötz/Kreß, Internationaler Rechtshilfeverkehr in Strafsachen, 3. Aufl., Teil II S. 16 Vorbem. Rn. 18). Stimmt der ersuchte Staat der Ausdehnung der Strafverfolgung auf die weiteren Taten zu, sind seine Rechte, die mit dem Spezialitätsgrundsatz geschützt werden sollen (Schomburg/Hackner aaO Rn. 13), gewahrt. Allerdings ist dann dem Angeklagten rechtliches Gehör zu gewähren (vgl. Schomburg/Hackner aaO Rn. 28b). Dies ist hier geschehen.
37
(2) In gleicher Weise entfällt die Spezialitätsbindung aus Art. 14 EuAlÜbk dann, wenn der Ausgelieferte noch nachträglich auf die Einhaltung des Grundsatzes der Spezialität verzichtet und sich mit der uneingeschränkten Strafverfolgung einverstanden erklärt (vgl. Art. VI Abs. 2 Schweiz-EuAlÜbk-ErgV vom 13. November 1969). Denn dann beruht die Strafverfolgung insoweit nicht auf der Auslieferung durch den ersuchten Staat, sondern auf der freien Entscheidung des Ausgelieferten, sich auch insoweit dem Strafverfahren zu stellen. Auch in Art. 14 Abs. 1 Buchst. b EuAlÜbk kommt zum Ausdruck, dass die Rechte des ersuchten Staates dann nicht verletzt sind, wenn der Ausgelieferte sich freiwillig der Strafverfolgung des ersuchenden Staates unterwirft. Der Verzicht des ausliefernden Staates auf die Einhaltung des Spezialitätsgrundsatzes ergibt sich damit insoweit bereits aus dem Auslieferungsübereinkommen selbst (vgl. Schomburg/Hackner aaO § 72 IRG Rn. 12a). Zugleich unterstreicht dies die „aktive Beteiligung des Individuums im Rechtshilferecht“ (vgl. Schom- burg/Lagodny/Gleß/Hackner, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 4. Aufl. 2006, Einl. 74 mit Belegen aus weiteren Auslieferungsübereinkommen).
38
(3) Hieraus wird deutlich, dass der in der Verletzung des Spezialitätsgrundsatzes liegende Mangel jederzeit behebbar ist, und zwar sowohl durch ein Tätigwerden des ausliefernden Staates als auch durch ein solches des Ausgelieferten. Damit kann weder der Ausgelieferte noch der ausliefernde Staat für sich allein die nachträgliche Herbeiführung der Verfolgungsvoraussetzungen verhindern. Etwaige Verwertungsverbote für die Ergebnisse des zuvor unter Verstoß gegen den Spezialitätsgrundsatz geführten Verfahrens bestehen nach einer nachträglichen Beseitigung des Verfahrenshindernisses nicht.
39
3. Auch im Hinblick auf den Grundsatz der Spezialität fehlt es nicht an der von Amts wegen zu berücksichtigenden Verfahrensvoraussetzung eines wirksamen Eröffnungsbeschlusses. Der Umstand, dass zum Zeitpunkt des Eröffnungsbeschlusses die Taten in den Fällen 41 bis 50, 53 bis 69 und 74 bis 79 der Urteilsgründe im Hinblick auf den Spezialitätsgrundsatz nach Art. 14 EuAlÜbk nicht verfolgt werden durften, steht der Wirksamkeit des Eröffnungsbeschlusses auch hinsichtlich dieser Taten nicht entgegen.

40
(1) Der Spezialitätsgrundsatz gebietet den Strafverfolgungsbehörden und Gerichten des ersuchenden Staates nach einer Auslieferung nicht, jegliche Untersuchungshandlungen im Hinblick auf solche Taten einzustellen, die von der Auslieferungsbewilligung nicht umfasst sind. Insbesondere ergibt sich aus dem Spezialitätsgrundsatz kein Befassungsverbot für die nicht von der Auslieferungsbewilligung erfassten Taten. Vielmehr bestimmt sich die Reichweite der Beschränkung der Hoheitsrechte für die Bundesrepublik Deutschland durch den Grundsatz der Spezialität im vorliegenden Fall allein nach dem der Auslieferung des Angeklagten zugrunde liegenden Art. 14 EuAlÜbk.
41
(2) Der Senat braucht nicht zu klären, wie weit der Kreis der durch den Spezialitätsgrundsatz verbotenen Untersuchungshandlungen reicht (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 10. Januar 2007 - 5 StR 305/06, NStZ 2007, 345 mit abl. Anm. Lagodny sowie OLG Zweibrücken, Beschluss vom 25. Februar 1991 - 1 Ws 641-642/90, StV 1993, 37 mit abl. Anm. Lagodny; vgl. auch BGH, Beschluss vom 15. August 1979 - 2 StR 465/79, BGHSt 29, 94 und BGH, Urteil vom 15. April 1987 - 2 StR 697/86, BGHSt 34, 352). Denn jedenfalls war der Eröffnungsbeschluss im vorliegenden Fall nach den Vorgaben des Art. 14 Abs. 2 EuAlÜbk zulässig. Nach dieser Vorschrift darf der ersuchende Staat die erforderlichen Maßnahmen treffen, um nach seinen Rechtsvorschriften die Verjährung zu unterbrechen. Demnach war hier sowohl die Erhebung der öffentlichen Klage (vgl. § 78c Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 StGB) als auch die Eröffnung des Hauptverfahrens (§ 78c Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 StGB) zur Verjährungsunterbrechung zulässig, zumal im vorliegenden Fall wegen des Tatvorwurfs der Steuerhinterziehung die Eröffnung des Hauptverfahrens vor dem Landgericht dazu führte, dass die Verjährung für einen Zeitraum von bis zu fünf Jahren ruhte (vgl. § 78b Abs. 4 StGB).

42
(3) Der Senat ist im Übrigen der Auffassung, dass ein Eröffnungsbeschluss auch dann hinsichtlich aller angeklagter Taten wirksam ist, wenn zum Zeitpunkt der Beschlussfassung für alle oder einzelne Taten ein aus dem Spezialitätsgrundsatz folgendes Verfahrenshindernis besteht, das aber behebbar ist.
43
(a) Nur schwerwiegende Mängel machen einen Eröffnungsbeschluss unwirksam, denn die gänzliche Unwirksamkeit mit der Folge rechtlicher Unbeachtlichkeit einer gerichtlichen Entscheidung kommt allenfalls in seltenen Ausnahmefällen in Betracht (vgl. BGH, Beschluss vom 16. Oktober 1980 - 1 BJs 80/78 - 3, StB 29, 30 und 31/80, NJW 1981, 133 mwN; vgl. auch Paeffgen in SK-StPO, 4. Aufl., § 207 StPO Rn. 23). Sonstige Mängel - selbst das Fehlen eines hinreichenden Tatverdachts (vgl. Stuckenberg in Löwe/Rosenberg, StPO, 26. Aufl. § 207 Rn. 76) - lassen dagegen die Wirksamkeit eines Eröffnungsbeschlusses unberührt. Fehlt etwa zur Zeit der Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens ein erforderlicher Strafantrag, führt dies nicht zur Unwirksamkeit des Eröffnungsbeschlusses (vgl. BGH, Urteil vom 6. Dezember 1951 - 3 StR 961/51). Vielmehr ist bei Antragsdelikten gemäß § 130 StPO sogar der Erlass eines Haftbefehls zulässig, wenn der für die Verfolgung erforderliche Strafantrag noch nicht gestellt ist, weil insoweit ein noch behebbares Verfahrenshindernis vorliegt.
44
(b) Es besteht kein Anlass, die Frage der Wirksamkeit eines unter Missachtung des Spezialitätsgrundsatzes ergangenen Eröffnungsbeschlusses anders zu beurteilen, wenn - wie hier - dieser Verstoß behebbar ist. Denn das deswegen bestehende (behebbare) Verfahrenshindernis führt nicht dazu, dass der Eröffnungsbeschluss seine Funktion als Verfahrensvoraussetzung nicht erfüllen kann; insbesondere ist die Umgrenzungsfunktion des Eröffnungsbeschlusses gewahrt.
45
Im Hinblick darauf, dass das sich aus der Verletzung des Spezialitätsgrundsatzes ergebende Verfahrenshindernis zu jedem Zeitpunkt durch einen Verzicht des Beschuldigten auf die Wahrung der Spezialitätsbindung oder durch ein erfolgreiches Nachtragsersuchen an den ausliefernden Staat beseitigt werden kann, ist ein Verstoß gegen den Spezialitätsgrundsatz nicht als so schwerwiegend anzusehen, dass er die Unwirksamkeit des Beschlusses als solches nach sich ziehen würde (a.A. Vogler/Walter in Grützner/Pötz/Kreß, Internationaler Rechtshilfeverkehr in Strafsachen, 3. Aufl., Teil I A2 § 72 IRG Rn. 14). Der Einhaltung des Spezialitätsgrundsatzes wird vielmehr dadurch ausreichend Rechnung getragen, dass gemäß § 206a StPO das Verfahren einzustellen ist, wenn das Verfahrenshindernis nicht beseitigt werden kann (vgl. dazu Stuckenberg in Löwe/Rosenberg, 26. Aufl., § 206a StPO Rn. 70).
46
(c) Der Beschluss des 2. Strafsenats vom 15. August 1979 in dem Verfahren 2 StR 465/79 (BGHSt 29, 94) steht dem nicht entgegen. Denn diese Entscheidung bezieht sich nicht auf das Europäische Auslieferungsübereinkommen vom 13. Dezember 1957 (EuAlÜbk), sondern auf eine Auslieferungsbewilligung auf der Grundlage des Auslieferungsvertrags zwischen dem Deutschen Reich und Spanien vom 2. Mai 1878 (RGBl 213), der abweichende Vereinbarungen enthält. Nach dem dortigen Art. 6 darf die ausgelieferte Person wegen eines Verbrechens oder Vergehens, wegen dessen die Auslieferung nicht bewilligt worden ist, ohne Nachtragsbewilligung nur dann „zur Untersu- chung gezogen und bestraft werden“, wenn sie, nachdem sie wegen der zur Auslieferung führenden Taten bestraft oder endgültig freigesprochen ist, während dreier Monate im Lande bleibt oder nach Verlassen desselben wieder dorthin zurückkehrt. Anders als nach Art. 14 Abs. 1 Buchst. b EuAlÜbk war dort für den Beginn der Schonfrist ein endgültiger Abschluss des Verfahrens, für das die Auslieferung bewilligt wurde, erforderlich.
47
(4) Soweit angenommen wird, eine nachträgliche Bewilligung zur Strafverfolgung oder ein nachträglicher Verzicht auf den Spezialitätsgrundsatz habe keine ex-tunc-Wirkung (vgl. OLG Oldenburg, StV 1995, 13; OLG Dresden, Beschluss vom 4. Dezember 2001 - 1 Ss 463/01, juris), geht dies bereits von einem unzutreffenden Ansatz aus. Prämisse dieser Auffassung ist, dass eine Anklageerhebung und ein Eröffnungsbeschluss unwirksam sind, wenn sie unter Verstoß gegen den Spezialitätsgrundsatz erfolgt sind. Dies ist indes - wie dargelegt - nicht der Fall.

II.


48
Aus den zutreffenden Gründen der Antragsschriften des Generalbundesanwalts vom 3. Mai 2011 und vom 20. Oktober 2011 enthält das angefochtene Urteil zum Schuldspruch und zum Strafausspruch keinen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler (§ 349 Abs. 2 StPO).
49
Auch die Verurteilung des Angeklagten in den Fällen 52 bis 66 der Urteilsgründe betreffend die O. GmbH hat Bestand. Insbesondere ist es angesichts der Urteilsfeststellungen nicht zu beanstanden, dass das Landgericht gemäß § 18 Abs. 2 Satz 4 UStG als Voranmeldungszeitraum den Kalendermonat angenommen hat (vgl. auch Stadie in Rau/Dürrwächter, Umsatzsteuergesetz, 8. Aufl., 146. Lfg. April 2011, § 18 UStG Rn. 73). Soweit die Rechnungen der O. GmbH für die Monate Januar, Februar und April 2009 nicht einzeln in den Urteilsgründen aufgelistet worden sind, stellt dies keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten in der Beweiswürdigung dar. Die Urteilsgründe belegen, dass die Steuerfahndungsbeamten R. und K. die bei mehreren Durchsuchungen aufgefundenen Rechnungen gesichtet und die einzelnen Rechnungsbeträge wie auch die auf UA S. 28 aufgelisteten Summen dieser Beträge als Zeugen in die Hauptverhandlung eingeführt haben. Das Landgericht durfte diese Angaben als glaubhaft werten und die summierten Beträge dem Urteil zugrunde legen, zu- mal die Angeklagten gegen das „Zahlenwerk“ keine Einwände erhoben haben (UA S. 80).

III.


50
Die von der Verteidigung mit Schriftsatz vom 27. November 2011 behauptete Verfahrensverzögerung im Revisionsverfahren seit August 2011 liegt nicht vor. Zwar wurden bereits am 10. August 2011 die Revisionen der Mitangeklagten F. und S. als unbegründet verworfen. Bei diesen Revisionen stellte sich allerdings nicht die Frage eines Verfahrenshindernisses wegen Verstoßes gegen den Grundsatz der Spezialität gemäß Art. 14 EuAlÜbk.
51
Entgegen der Auffassung der Revision begründet es keine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung, dass der Senat keine Teileinstellung gemäß § 206a StPO wegen des sich aus einem Verstoß gegen den Spezialitätsgrundsatz ergebenden Verfahrenshindernisses vorgenommen hat. Vielmehr war die Beseitigung des behebbaren Verfahrenshindernisses im Revisionsverfahren aus Gründen der Prozessökonomie (vgl. BGH, Urteil vom 15. März 2000 - 1 StR 483/99, StV 2000, 347) und im Hinblick auf die prozessuale Fürsorge- pflicht gegenüber dem Angeklagten (vgl. dazu Meyer-Goßner, StPO, 54. Aufl., § 206a Rn. 2) nicht nur sachgerecht, sondern sogar geboten. Denn es war angezeigt , das Verfahrenshindernis bereits in der Revisionsinstanz zu beseitigen, um dem Angeklagten zu ersparen, nach einer Teileinstellung des Verfahrens und erneuten Anklageerhebung, die im Hinblick auf Art. 14 Abs. 1 Buchst. b EuAlÜbk möglich war, nochmals einer Hauptverhandlung wegen derselben Tatvorwürfe ausgesetzt zu werden. Hierzu bedurfte es aber zunächst eines Hinweises an den Angeklagten auf die Rechtswirkungen des Ablaufs der Schonfrist des Art. 14 Abs. 1 Buchst. b EuAlÜbk und einer anschließenden Überprüfung durch den Senat im Freibeweisverfahren, ob der Angeklagte innerhalb der Schonfrist das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland verlassen hat.
52
Auf den sodann der neuen Situation angepassten Revisionsantrag des Generalbundesanwalts vom 20. Oktober 2011 hin hat die Verteidigung, die - nachdem der Angeklagte in der Hauptverhandlung behauptet hatte, „auf den Spezialitätsgrundsatz“ verzichtet zu haben- in ihrer ursprünglichen Revisionsbegründung einen möglichen (von Amts wegen zu beachtenden) Verstoß gegen den Spezialitätsgrundsatz nicht angesprochen hatte, am 27. November 2011 in einem vierzehnseitigen Schriftsatz diesem Antrag widersprochen und dabei zu den sich aus dem Spezialitätsgrundsatz ergebenden Fragen erstmals umfangreiche rechtliche Erwägungen angestellt. Diese mussten vom Senat sorgfältig geprüft werden, bevor eine Entscheidung ergehen konnte. Im Hinblick darauf, dass der Angeklagte sich im Revisionsverfahren auf freiem Fuß befand, sind im Übrigen unabhängig davon, dass ihm eine neue Hauptverhandlung erspart wurde, seine zusätzlichen Belastungen durch die Verfahrensdauer seit August 2011 gering.
Nack Wahl Hebenstreit Jäger Sander

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

(1) Eine Ausfuhrlieferung (§ 4 Nr. 1 Buchstabe a) liegt vor, wenn bei einer Lieferung

1.
der Unternehmer den Gegenstand der Lieferung in das Drittlandsgebiet, ausgenommen Gebiete nach § 1 Abs. 3, befördert oder versendet hat oder
2.
der Abnehmer den Gegenstand der Lieferung in das Drittlandsgebiet, ausgenommen Gebiete nach § 1 Abs. 3, befördert oder versendet hat und ein ausländischer Abnehmer ist oder
3.
der Unternehmer oder der Abnehmer den Gegenstand der Lieferung in die in § 1 Abs. 3 bezeichneten Gebiete befördert oder versendet hat und der Abnehmer
a)
ein Unternehmer ist, der den Gegenstand für sein Unternehmen erworben hat und dieser nicht ausschließlich oder nicht zum Teil für eine nach § 4 Nummer 8 bis 27 und 29 steuerfreie Tätigkeit verwendet werden soll, oder
b)
ein ausländischer Abnehmer, aber kein Unternehmer, ist und der Gegenstand in das übrige Drittlandsgebiet gelangt.
Der Gegenstand der Lieferung kann durch Beauftragte vor der Ausfuhr bearbeitet oder verarbeitet worden sein.

(2) Ausländischer Abnehmer im Sinne des Absatzes 1 Nr. 2 und 3 ist

1.
ein Abnehmer, der seinen Wohnort oder Sitz im Ausland, ausgenommen die in § 1 Abs. 3 bezeichneten Gebiete, hat, oder
2.
eine Zweigniederlassung eines im Inland oder in den in § 1 Abs. 3 bezeichneten Gebieten ansässigen Unternehmers, die ihren Sitz im Ausland, ausgenommen die bezeichneten Gebiete, hat, wenn sie das Umsatzgeschäft im eigenen Namen abgeschlossen hat.
Eine Zweigniederlassung im Inland oder in den in § 1 Abs. 3 bezeichneten Gebieten ist kein ausländischer Abnehmer.

(3) Ist in den Fällen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 2 und 3 der Gegenstand der Lieferung zur Ausrüstung oder Versorgung eines Beförderungsmittels bestimmt, so liegt eine Ausfuhrlieferung nur vor, wenn

1.
der Abnehmer ein ausländischer Unternehmer ist und
2.
das Beförderungsmittel den Zwecken des Unternehmens des Abnehmers dient.

(3a) Wird in den Fällen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 2 und 3 der Gegenstand der Lieferung nicht für unternehmerische Zwecke erworben und durch den Abnehmer im persönlichen Reisegepäck ausgeführt, liegt eine Ausfuhrlieferung nur vor, wenn

1.
der Abnehmer seinen Wohnort oder Sitz im Drittlandsgebiet, ausgenommen Gebiete nach § 1 Abs. 3, hat,
2.
der Gegenstand der Lieferung vor Ablauf des dritten Kalendermonats, der auf den Monat der Lieferung folgt, ausgeführt wird und
3.
der Gesamtwert der Lieferung einschließlich Umsatzsteuer 50 Euro übersteigt.
Nummer 3 tritt zum Ende des Jahres außer Kraft, in dem die Ausfuhr- und Abnehmernachweise in Deutschland erstmals elektronisch erteilt werden.

(4) Die Voraussetzungen der Absätze 1, 3 und 3a sowie die Bearbeitung oder Verarbeitung im Sinne des Absatzes 1 Satz 2 müssen vom Unternehmer nachgewiesen sein. Das Bundesministerium der Finanzen kann mit Zustimmung des Bundesrates durch Rechtsverordnung bestimmen, wie der Unternehmer die Nachweise zu führen hat.

(5) Die Absätze 1 bis 4 gelten nicht für die Lieferungen im Sinne des § 3 Abs. 1b.

5 StR 91/09

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 26. November 2009
in der Strafsache
gegen
wegen leichtfertiger Geldwäsche
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 26. November 2009

beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 10. April 2008 gemäß § 349 Abs. 4 StPO mit den Feststellungen aufgehoben, soweit der Angeklagte verurteilt wurde.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e
1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen leichtfertiger Geldwäsche zu einer Geldstrafe von 250 Tagessätzen verurteilt und ihn im Übrigen vom Vorwurf der Beihilfe zum gewerbsmäßigen Bandenbetrug freigesprochen. Seine mit der Sachrüge geführte Revision hat Erfolg.

I.


2
Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen :
3
1. Der gesondert verfolgte M. S. hatte zu Anfang des Jahres 2002 die N. E. V. G. mit Sitz in Berlin (im Folgenden: N. ) mit dem Ziel gegründet, durch einen fingierten Handel mit Computerprozessoren Umsatzsteuer zu hinterziehen. Zu diesem Zweck benutzte er fingierte Rechnungen der H. A. mit Vorsteuerausweis, die den (wiederholten ) Erwerb hochwertiger Mikroprozessoren belegen sollten. Tatsäch- lich wurden aber keine Mikroprozessoren, sondern lediglich wertlose Computerteile geliefert. Die N. verkaufte die Ware über die in München ansässige A. A. (später zugleich auch über die W. K. ) an die in Malaysia residierende EM-Online, von wo aus die Ware an die N. zurückgesandt wurde , um sie erneut in den Verkaufskreislauf einzuspeisen.
4
Die beiden Zwischenhändler erlangten allerdings nie Besitz an den „Mikroprozessoren“, sondern veräußerten – im Wege des Geheißerwerbs – diese nur an die EM-Online, wobei die Versendung der Ware durch die N. erfolgte.
5
Da die gutgläubigen Mitarbeiter der A. A. und der W. K. darauf bestanden, dass EM-Online als Endabnehmer der vermeintlichen Hochleistungsprozessoren in Vorkasse treten und die Ware erst nach Eingang des Kaufpreises an diese verschifft werden solle, benötigte S. Startkapital. Zu diesem Zweck trat er Anfang 2002 an den Angeklagten heran und stellte ihm dieses Konzept vor, verschwieg ihm indes den wahren Hintergrund eines Umsatzsteuerkarussellgeschäfts. Der Angeklagte hielt das Konzept für schlüssig und ging davon aus, dass es sich um ein legales Geschäft mit „relativ hoher Rendite“ handelte. Da er die benötigten 250.000 € selbst nicht vollständig zur Verfügung hatte, berichtete er seinen Bekannten, den anderweitig verfolgten K. und N. , von der Geschäftsidee. Am 12. März 2002 schlossen alle drei mit N. gleichlautende schriftliche Darlehensverträge über jeweils 86.666,66 € zu einem monatlichen Darlehenszins von mindestens 8%.
6
Von einem gemeinsam durch die anderweitig verfolgten K. und N. allein für dieses Darlehensgeschäft eingerichteten Konto bei der H. V. A. , für das dem Angeklagten eine Kontovollmacht eingeräumt war (im Folgenden: Oder-Konto), wurde im März 2002 erstmals die vermeintliche Vorkasse an A. A. geleistet. Auf Grund des angegebenen Zahlungszwecks nahmen deren Mitarbeiter an, es handele sich um die ver- einbarte Vorkasse der EM-Online. Sie wiesen daraufhin die Bruttorechnungsbeträge der N. zugunsten des dafür bestimmten und eigens dafür eingerichteten weiteren Kontos bei der H. V. A. an, welches auf die Kontenbezeichnung „N. E. V. G. & A. K. “ lautete (im Folgenden: Und-Konto). Für dieses Und-Konto waren der Angeklagte bzw. die anderweitig verfolgten K. und N. einerseits und andererseits der Geschäftsführer der N. Sc. als Vertrauter des S. nur gemeinsam verfügungsberechtigt.
7
Das durch Überweisung von der A. A. entstandene Guthaben wurde anschließend durch den Angeklagten, der sich insoweit mit K. und N. abwechselte, bei gemeinsamen Besuchen mit Sc. bei der H. V. A. – formal durch Barabhebung und sofortige Bareinzahlung – auf das Oder-Konto transferiert, um von dort wieder zugunsten A. A. als erneute vorgebliche Vorkasse von EM-Online angewiesen zu werden. Dabei wurden jeweils etwa 258.000 € an die A. A. geleistet. In Ausführung des Tatplans stellte N. in der Zeit vom 21. März 2002 und 12. Juli 2002 A. A. insgesamt 83 Lieferungen über jeweils angeblich 500 Mikroprozessoren zu einem Nettobetrag von jeweils 251.045 €, zuzüglich 40.167,20 € Umsatzsteuer in Rechnung, wobei der Zahlungs- und Warenkreislauf stets nach demselben Muster ablief. An welchen der formalen Bartransaktionen zwischen dem Und- und dem Oder-Konto der Angeklagte persönlich beteiligt war, hat die Strafkammer nicht im Einzelnen festgestellt.
8
Der aus jedem Geschäft entstandene Überschuss in Höhe von jeweils etwa 32.000 € aus der von A. A. an N. gezahlten Vorsteuer abzüglich der festgestellten Gewinnmarge wurde im Wege eines zweiten Bargeschäfts vom Und-Konto abgehoben und sodann auf ein ebenfalls bei der H. V. A. geführtes Konto der N. eingezahlt. Von dort hob der anderweitig verfolgte Sc. das Geld zu einem späteren Zeitpunkt ab und übergab es dem S. . Gleichartige Geschäfte wickelte S. (anstelle der A. A. ) mit der W. K. und später über die 8. A. ab, die der N. nachfolgte und deren Finanzgeschäfte in gleicher Weise über den Angeklagten und die anderweitig Verfolgten K. und N. durchgeführt wurden. Der von S. erwirtschaftete Überschuss, der sich daraus ergab , dass er für die gelieferten „Waren“ keine Umsatzsteuer anmeldete, belief sich auf 3,7 Mio. Euro. Der Angeklagte erzielte „Zinsgewinne“ in Höhe von ca. 35.000 €; er verlor jedoch sein gesamtes eingebrachtes Kapital.
9
2. Die Strafkammer geht im Schuldspruch von leichtfertiger Geldwäsche gemäß § 261 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1 und Abs. 5 StGB aus. Vortat sei ein Verbrechen des banden- und gewerbsmäßigen Betrugs nach § 263 Abs. 5 StGB zu Lasten der Zwischenhändler A. A. und W. K. . Das Landgericht hat sich nicht davon zu überzeugen vermocht, dass der Angeklagte von den tatsächlichen Hintergründen der Geschäfte wusste. Durch die Zahlungen an S. habe der Angeklagte einem Dritten die aus einer Katalogtat nach § 261 Abs. 1 StGB herrührenden Gegenstände verschafft. Allerdings seien sämtliche Einzelhandlungen Teile einer natürlichen Handlungseinheit , so dass nur auf eine Geldwäschehandlung zu erkennen gewesen sei.

II.


10
Die Revision des Angeklagten führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht.
11
1. Durchgreifenden Bedenken begegnet die Annahme eines bandenund gewerbsmäßigen Betrugs nach § 263 Abs. 5 StGB zum Nachteil der Zwischenhändler A. A. und W. K. . Ein solcher Betrug würde voraussetzen , dass beiden Unternehmen durch betrügerisches Handeln jeweils ein Vermögensschaden entstanden ist. Dies wird durch die Feststellungen jedoch nicht belegt.
12
a) Hier käme allerdings ein Eingehungsbetrug in Betracht, wenn der Zwischenhändler über wesentliche Umstände des Verkaufsgegenstandes getäuscht wurde und hierdurch eine wertmäßig nicht mehr angemessene Gegenleistung verspricht. Wird betrügerisch eine Vereinbarung herbeigeführt , die den Vertragspartner am Vermögen schädigt, liegt ein Eingehungsbetrug vor. Eine Schädigung kann hier darin erblickt werden, dass die Vereinbarung sich tatsächlich auf relativ wertlose Elektrobauteile bezog und nicht – wovon die Zwischenhändler A. A. und W. K. ausgingen – auf hochwertige Mikroprozessoren. Dieses krasse Wertgefälle ist grundsätzlich geeignet, einen Vermögensschaden zu begründen.
13
b) Für die Feststellung eines Vermögensschadens ist allerdings eine Gesamtsaldierung vorzunehmen; es sind sämtliche durch die täuschungsbedingte Verfügung bewirkten Vermögensveränderungen zu vergleichen (BGHSt 45, 1, 4; BGHR StGB § 263 Abs. 1 Vermögensschaden 70). Maßgeblich kommt es auf den Vermögensstand des Opfers vor und nach dem Vertragsschluss an, wobei insbesondere auch die aus der Vereinbarung erwachsenen Sicherungen miteinzubeziehen sind (vgl. BGHR aaO Vermögensschaden 67, 71).
14
Im hier zu beurteilenden Fall besteht die Besonderheit, dass der im Preisgefälle zwischen Elektrobauteilen und Mikroprozessoren begründete Vermögensverlust durch besondere Umstände kompensiert wird. Nach den Urteilsfeststellungen bestanden die Mitarbeiter der A. A. – was den eigentlichen Grund für die Einbeziehung des Angeklagten und der anderweitig Verfolgten K. und N. darstellte – auf Vorkasse durch EM-Online. Die Kaufpreiszahlungen wurden daher durch A. A. erst bewirkt, nachdem die Gelder aus der vorgeblichen Weiterveräußerung an EM-Online bei der A. A. eingegangen waren. Deshalb konnte für sie (wie auch für die W. K. ) insoweit letztlich kein Schaden entstehen, weil der tatsächliche Wert der gekauften Bauteile aufgrund dieser Vertragskonstruktion keine Rolle mehr spielte.
15
c) Eine Vergütungsdifferenz besteht jedoch zwischen den jeweils vom Oder-Konto gezahlten Summen, die von der A. A. und W. K. als Zwischenhändler vereinnahmt wurden, und den von ihnen selbst geleisteten Zahlungen auf das Und-Konto, die an die N. gerichtet waren. Insofern haben beide Zwischenhändler jeweils mehr geleistet, als sie andererseits als Vorkasse erhielten. Dieser Unterschiedsbetrag ergibt sich daraus, dass die A. A. und die W. K. gegenüber der EM-Online, weil es sich um steuerfreie Ausfuhrlieferungen nach § 4 Nr. 1 i.V.m. § 6 UStG handelte, in Nettopreisen abrechneten, während sie umgekehrt als Einkäufer einer innerstaatlichen Lieferung gegenüber der N. mit freilich vorgespiegelten Bruttopreisen belastet waren. Auch hinsichtlich dieser Mehrzahlung ergibt sich aber nicht ohne weiteres ein ansatzfähiger Vermögensschaden. Insofern stand der A. A. und der W. K. nämlich ein Vorsteuererstattungsanspruch nach § 15 UStG zu, der diese Mehraufwendungen kompensierte.
16
Die Höhe der zu entrichtenden Umsatzsteuer bemisst sich ebenfalls nicht nach dem tatsächlichen Wert des Vertragsgegenstandes, sondern danach , welchen Preis die Vertragspartner vereinbart haben (§ 10 Abs. 1 UStG). Da schon wegen ihrer Gewinnspanne der Preis für die Zwischenhändler geringer war als deren Vertragspreis gegenüber EM-Online, kommt ein Schaden nur in Betracht, wenn die Zwischenhändler keine Vorsteuererstattung für die von ihnen erbrachte Umsatzsteuer geltend machen können. Ausschlussgründe für einen Vorsteuererstattungsanspruch sind jedoch nicht ersichtlich. Nach den Urteilsfeststellungen waren die für die Zwischenhändler handelnden Personen gutgläubig. Aus ihrer Sicht als erwerbende Zwischenhändler stellte sich die Leistung der N. daher als die Lieferung eines Unternehmens dar (vgl. BGH wistra 2003, 344), die sie ihrerseits nach Bruttopreisen bezahlten, wie bereits vorher – jedenfalls aus ihrer Sicht – die N. ihren Lieferanten nach Bruttopreisen bezahlt hatte. Dementsprechend waren sie auch zum Vorsteuerabzug im Hinblick auf die in den ihnen gestellten Rechnungen offen ausgewiesene Umsatzsteuer berechtigt (vgl. EuGH, Urteil vom 6. Juli 2006 – Rechtssache C-439/04 und C-440/04, Axel Kittel gegen Belgischer Staat und Belgischer Staat gegen Recolta Recycling SPRL Rdn. 51 ff.). Die Vorsteuererstattung zuzüglich der in Vorkasse vereinnahmten und gegenüber EM-Online weiterberechneten Preise lassen aufgrund der bislang getroffenen Feststellungen des Landgerichts bei den Zwischenhändlern keinen Vermögensschaden erkennen, und zwar ungeachtet des wesentlich geringeren Werts der verkauften Teile.
17
2. Dieser Mangel des angefochtenen Urteils führt indes nicht zum Freispruch des Angeklagten. Es lässt sich nicht ausschließen, dass sich in einer neuen Hauptverhandlung noch ausreichende Feststellungen treffen lassen, die eine Vortat nach § 263 Abs. 5 StGB begründen könnten. Denkbar wäre, dass aufgrund der tatsächlichen Umstände hinsichtlich der Realisierung der Vorsteuererstattung für die Zwischenhändler in einem Ausmaß Schwierigkeiten bestanden haben, dass von einer konkreten schadensgleichen Vermögensgefährdung ausgegangen werden muss (BGHSt 51, 165, 177 – Tz. 38; 21, 112, 113). Dies hätte nämlich bereits bei Vertragsabschluss eine Minderung des Gesamtvermögens zur Folge. Eine derartige konkrete Gefährdung, die bereits einem Schaden entspricht, kann deshalb nur dann anerkannt werden, wenn der Betroffene ernstlich mit wirtschaftlichen Nachteilen zu rechnen hat (BGH aaO). Einen Anhalt dafür könnte bereits der in den Feststellungen der Strafkammer angedeutete Rechtsstreit der möglicherweise geschädigten Zwischenhändler mit den zuständigen Finanzämtern darstellen.
18
Gleichfalls scheidet ein Steuerdelikt gemäß § 261 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 als Vortat hier aus. Die nach dem maßgeblichen damaligen Rechtszustand in Betracht kommenden steuerstrafrechtlichen Tatbestände sind nicht gegeben. Nichts anderes gilt für die zur Tatzeit geltende Fassung des § 261 Abs. 1 Satz 3 StGB; insbesondere bezog sich die hier festgestellte Vortat auf Steuererstattungen. Schließlich bieten die Feststellungen auch keinen Anhalt für eine leichtfertige Steuerverkürzung durch den Angeklagten selbst. http://www.juris.de/jportal/portal/t/e73/page/jurisw.psml?pid=Dokumentanzeige&showdoccase=1&js_peid=Trefferliste&documentnumber=1&numberofresults=1&fromdoctodoc=yes&doc.id=BJNR001270871BJNE066400310&doc.part=S&doc.price=0.0#focuspoint - 9 -

III.


19
Falls eine Vortat in der erneut durchzuführenden Hauptverhandlung nachzuweisen ist und sofern das neue Tatgericht nicht von § 153a Abs. 2 oder § 153 Abs. 2 StPO Gebrauch machen sollte, weist der Senat auf Folgendes hin:
20
1. Die von der Revision angezweifelte – vom Generalbundesanwalt bejahte – Auffassung, der Vortäter einer Katalogtat nach § 261 Abs. 1 Satz 1 StGB könne Dritter im Sinne des sogenannten Isolierungstatbestandes nach § 261 Abs. 2 Nr. 1 StGB sein, erscheint von vornherein rechtlich bedenklich; indes käme es hier nicht darauf an. Denn nach den Feststellungen hat der Angeklagte nicht nur dem anderweitig verfolgten Sc. , sondern ebenso Unbeteiligten aus der Vortat stammende Gegenstände verschafft. Das jeweils zwischen den verwendeten Konten auch durch den Angeklagten transferierte Bargeld entstammte dem Kontokorrent des Und-Kontos, auf das die Gutschriften der A. A. und W. K. eingegangen waren. Durch die formal vorgenommenen Barabhebungen und sogleich erfolgenden Bareinzahlungen hat der Angeklagte durch die zur Vorbereitung jedes (Betrugs-)Geschäfts notwendige Einzahlung von Bargeld auf das Oder-Konto der H. V. A. die tatsächliche Herrschaft über das zuvor formal vom Und-Konto abgehobene Bargeld übertragen. Die nach den Feststellungen gutgläubige Bank war fortan frei, über diese Gegenstände zu verfügen (§ 261 Abs. 2 Nr. 1 StGB).
21
2. Die jeweils eingezahlten Bargeldsummen rühren dann aus gegebenenfalls festzustellenden Betrugshandlungen als rechtswidrigen Vortaten her. Der Gesetzgeber hat weder im Wortlaut der Vorschrift des § 261 StGB noch in den Gesetzesmaterialien klare Konturen für Inhalt und Grenzen des Tatbestandsmerkmals „herrühren“ geschaffen, sondern die Ausfüllung dieses Merkmals der Rechtsprechungspraxis überlassen (vgl. BGHSt 53, 205, 208/209).
22
Unter Berücksichtigung der mit dem Tatbestand verfolgten gesetzgeberischen Ziele, Schutz der staatlichen Rechtspflege und Gewährleistung staatlichen Zugriffs auf illegale und in den Finanz- und Wirtschaftskreislauf zugeleitete Vermögenswerte, ist der 1. Strafsenat von einem weiten Begriffsverständnis ausgegangen (BGHSt 53, 205, 209). Gegenstände sind demnach als bemakelt im Sinne des § 261 Abs. 1 StGB anzusehen, wenn sie sich bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise im Sinne eines Kausalzusammenhangs auf die Vortat zurückführen lassen (BGHSt aaO; Neuheuser, in: MünchKomm-StGB, § 261 Rdn. 43; Stree in Schönke/Schröder, StGB 26. Aufl. § 261 Rdn. 8). Der 1. Strafsenat hat die in der Literatur kontrovers diskutierte Frage nicht entschieden, welche Anforderungen im Einzelnen an die dadurch eröffnete Kette von Verwertungshandlungen zu stellen sind, bei welcher der Ursprungsgegenstand unter Beibehaltung seines Wertes – möglicherweise sogar in einer Vielzahl von Zwischentransaktionen – durch einen anderen ersetzt wird, um in dem durch den Täter der Geldwäsche erlangten Gegenstand gleichwohl noch ein durch die Katalogtat kontaminiertes Surrogat zu erkennen (vgl. die Nachweise bei Fischer, StGB 56. Aufl. § 261 Rdn. 7; Voß, Die Tatobjekte der Geldwäsche 2007 S. 33 ff.). Eine Auseinandersetzung damit durch das Tatgericht ist auch hier nicht veranlasst. Der Kausalzusammenhang zwischen Vortat und Ersatzgegenstand im vorgenannten Sinne stellt jedenfalls dann die erforderliche Verbindung für das Fortwirken der Kontamination dar, wenn das Surrogat einer unmittelbaren Beziehung zum Vortäter entstammt.
23
3. Der Senat weist weiter darauf hin, dass die vom Landgericht zu Lasten des Angeklagten vorgenommene Zurechnung sämtlicher Bartransaktionen ungeachtet der Tatsache, dass es im Einzelnen keine Feststellungen dazu zu treffen vermochte, welcher der Beteiligten konkret an den einzelnen Bartransaktionen beteiligt war, entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts keinen rechtlichen Bedenken begegnet. Zwar hat die Strafkammer vor dem Hintergrund der getroffenen Feststellungen rechtlich beanstandungsfrei eine mittäterschaftliche Begehungsweise ausgeschlos- sen. Gleichwohl kommt eine Zurechnung der leichtfertig über unmittelbar von Nebentätern auf der Grundlage gemeinsamer – insbesondere auf eine Anwerbung durch den Angeklagten zurückgehender – Verabredung erzielten Taterfolge mindestens in Form schuldhaft verursachter Tatauswirkungen (§ 46 Abs. 2 StGB) in Betracht.
24
Bei dieser Sachlage ist die freilich eher fern liegende Annahme des Landgerichts, sämtliche Transaktionsakte des Angeklagten stellten lediglich eine materiell-rechtliche Tat dar (vgl. dazu nur BGHSt 43, 149, 151), für die Beurteilung seiner Revision nicht bedeutsam.
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(1) Der Unternehmer kann die folgenden Vorsteuerbeträge abziehen:

1.
die gesetzlich geschuldete Steuer für Lieferungen und sonstige Leistungen, die von einem anderen Unternehmer für sein Unternehmen ausgeführt worden sind. Die Ausübung des Vorsteuerabzugs setzt voraus, dass der Unternehmer eine nach den §§ 14, 14a ausgestellte Rechnung besitzt. Soweit der gesondert ausgewiesene Steuerbetrag auf eine Zahlung vor Ausführung dieser Umsätze entfällt, ist er bereits abziehbar, wenn die Rechnung vorliegt und die Zahlung geleistet worden ist;
2.
die entstandene Einfuhrumsatzsteuer für Gegenstände, die für sein Unternehmen nach § 1 Absatz 1 Nummer 4 eingeführt worden sind;
3.
die Steuer für den innergemeinschaftlichen Erwerb von Gegenständen für sein Unternehmen, wenn der innergemeinschaftliche Erwerb nach § 3d Satz 1 im Inland bewirkt wird;
4.
die Steuer für Leistungen im Sinne des § 13b Absatz 1 und 2, die für sein Unternehmen ausgeführt worden sind. Soweit die Steuer auf eine Zahlung vor Ausführung dieser Leistungen entfällt, ist sie abziehbar, wenn die Zahlung geleistet worden ist;
5.
die nach § 13a Abs. 1 Nr. 6 geschuldete Steuer für Umsätze, die für sein Unternehmen ausgeführt worden sind.
Nicht als für das Unternehmen ausgeführt gilt die Lieferung, die Einfuhr oder der innergemeinschaftliche Erwerb eines Gegenstands, den der Unternehmer zu weniger als 10 Prozent für sein Unternehmen nutzt.

(1a) Nicht abziehbar sind Vorsteuerbeträge, die auf Aufwendungen, für die das Abzugsverbot des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 bis 4, 7 oder des § 12 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes gilt, entfallen. Dies gilt nicht für Bewirtungsaufwendungen, soweit § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes einen Abzug angemessener und nachgewiesener Aufwendungen ausschließt.

(1b) Verwendet der Unternehmer ein Grundstück sowohl für Zwecke seines Unternehmens als auch für Zwecke, die außerhalb des Unternehmens liegen, oder für den privaten Bedarf seines Personals, ist die Steuer für die Lieferungen, die Einfuhr und den innergemeinschaftlichen Erwerb sowie für die sonstigen Leistungen im Zusammenhang mit diesem Grundstück vom Vorsteuerabzug ausgeschlossen, soweit sie nicht auf die Verwendung des Grundstücks für Zwecke des Unternehmens entfällt. Bei Berechtigungen, für die die Vorschriften des bürgerlichen Rechts über Grundstücke gelten, und bei Gebäuden auf fremdem Grund und Boden ist Satz 1 entsprechend anzuwenden.

(2) Vom Vorsteuerabzug ausgeschlossen ist die Steuer für die Lieferungen, die Einfuhr und den innergemeinschaftlichen Erwerb von Gegenständen sowie für die sonstigen Leistungen, die der Unternehmer zur Ausführung folgender Umsätze verwendet:

1.
steuerfreie Umsätze;
2.
Umsätze im Ausland, die steuerfrei wären, wenn sie im Inland ausgeführt würden.
Gegenstände oder sonstige Leistungen, die der Unternehmer zur Ausführung einer Einfuhr oder eines innergemeinschaftlichen Erwerbs verwendet, sind den Umsätzen zuzurechnen, für die der eingeführte oder innergemeinschaftlich erworbene Gegenstand verwendet wird.

(3) Der Ausschluss vom Vorsteuerabzug nach Absatz 2 tritt nicht ein, wenn die Umsätze

1.
in den Fällen des Absatzes 2 Nr. 1
a)
nach § 4 Nr. 1 bis 7, § 25 Abs. 2 oder nach den in § 26 Abs. 5 bezeichneten Vorschriften steuerfrei sind oder
b)
nach § 4 Nummer 8 Buchstabe a bis g, Nummer 10 oder Nummer 11 steuerfrei sind und sich unmittelbar auf Gegenstände beziehen, die in das Drittlandsgebiet ausgeführt werden;
2.
in den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nr. 2
a)
nach § 4 Nr. 1 bis 7, § 25 Abs. 2 oder nach den in § 26 Abs. 5 bezeichneten Vorschriften steuerfrei wären oder
b)
nach § 4 Nummer 8 Buchstabe a bis g, Nummer 10 oder Nummer 11 steuerfrei wären und der Leistungsempfänger im Drittlandsgebiet ansässig ist oder diese Umsätze sich unmittelbar auf Gegenstände beziehen, die in das Drittlandsgebiet ausgeführt werden.

(4) Verwendet der Unternehmer einen für sein Unternehmen gelieferten, eingeführten oder innergemeinschaftlich erworbenen Gegenstand oder eine von ihm in Anspruch genommene sonstige Leistung nur zum Teil zur Ausführung von Umsätzen, die den Vorsteuerabzug ausschließen, so ist der Teil der jeweiligen Vorsteuerbeträge nicht abziehbar, der den zum Ausschluss vom Vorsteuerabzug führenden Umsätzen wirtschaftlich zuzurechnen ist. Der Unternehmer kann die nicht abziehbaren Teilbeträge im Wege einer sachgerechten Schätzung ermitteln. Eine Ermittlung des nicht abziehbaren Teils der Vorsteuerbeträge nach dem Verhältnis der Umsätze, die den Vorsteuerabzug ausschließen, zu den Umsätzen, die zum Vorsteuerabzug berechtigen, ist nur zulässig, wenn keine andere wirtschaftliche Zurechnung möglich ist. In den Fällen des Absatzes 1b gelten die Sätze 1 bis 3 entsprechend.

(4a) Für Fahrzeuglieferer (§ 2a) gelten folgende Einschränkungen des Vorsteuerabzugs:

1.
Abziehbar ist nur die auf die Lieferung, die Einfuhr oder den innergemeinschaftlichen Erwerb des neuen Fahrzeugs entfallende Steuer.
2.
Die Steuer kann nur bis zu dem Betrag abgezogen werden, der für die Lieferung des neuen Fahrzeugs geschuldet würde, wenn die Lieferung nicht steuerfrei wäre.
3.
Die Steuer kann erst in dem Zeitpunkt abgezogen werden, in dem der Fahrzeuglieferer die innergemeinschaftliche Lieferung des neuen Fahrzeugs ausführt.

(4b) Für Unternehmer, die nicht im Gemeinschaftsgebiet ansässig sind und die nur Steuer nach § 13b Absatz 5, nur Steuer nach § 13b Absatz 5 und § 13a Absatz 1 Nummer 1 in Verbindung mit § 14c Absatz 1 oder nur Steuer nach § 13b Absatz 5 und § 13a Absatz 1 Nummer 4 schulden, gelten die Einschränkungen des § 18 Absatz 9 Satz 5 und 6 entsprechend.

(5) Das Bundesministerium der Finanzen kann mit Zustimmung des Bundesrates durch Rechtsverordnung nähere Bestimmungen darüber treffen,

1.
in welchen Fällen und unter welchen Voraussetzungen zur Vereinfachung des Besteuerungsverfahrens für den Vorsteuerabzug auf eine Rechnung im Sinne des § 14 oder auf einzelne Angaben in der Rechnung verzichtet werden kann,
2.
unter welchen Voraussetzungen, für welchen Besteuerungszeitraum und in welchem Umfang zur Vereinfachung oder zur Vermeidung von Härten in den Fällen, in denen ein anderer als der Leistungsempfänger ein Entgelt gewährt (§ 10 Abs. 1 Satz 3), der andere den Vorsteuerabzug in Anspruch nehmen kann, und
3.
wann in Fällen von geringer steuerlicher Bedeutung zur Vereinfachung oder zur Vermeidung von Härten bei der Aufteilung der Vorsteuerbeträge (Absatz 4) Umsätze, die den Vorsteuerabzug ausschließen, unberücksichtigt bleiben können oder von der Zurechnung von Vorsteuerbeträgen zu diesen Umsätzen abgesehen werden kann.

(1) Rechnung ist jedes Dokument, mit dem über eine Lieferung oder sonstige Leistung abgerechnet wird, gleichgültig, wie dieses Dokument im Geschäftsverkehr bezeichnet wird. Die Echtheit der Herkunft der Rechnung, die Unversehrtheit ihres Inhalts und ihre Lesbarkeit müssen gewährleistet werden. Echtheit der Herkunft bedeutet die Sicherheit der Identität des Rechnungsausstellers. Unversehrtheit des Inhalts bedeutet, dass die nach diesem Gesetz erforderlichen Angaben nicht geändert wurden. Jeder Unternehmer legt fest, in welcher Weise die Echtheit der Herkunft, die Unversehrtheit des Inhalts und die Lesbarkeit der Rechnung gewährleistet werden. Dies kann durch jegliche innerbetriebliche Kontrollverfahren erreicht werden, die einen verlässlichen Prüfpfad zwischen Rechnung und Leistung schaffen können. Rechnungen sind auf Papier oder vorbehaltlich der Zustimmung des Empfängers elektronisch zu übermitteln. Eine elektronische Rechnung ist eine Rechnung, die in einem elektronischen Format ausgestellt und empfangen wird.

(2) Führt der Unternehmer eine Lieferung oder eine sonstige Leistung nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 aus, gilt Folgendes:

1.
führt der Unternehmer eine steuerpflichtige Werklieferung (§ 3 Abs. 4 Satz 1) oder sonstige Leistung im Zusammenhang mit einem Grundstück aus, ist er verpflichtet, innerhalb von sechs Monaten nach Ausführung der Leistung eine Rechnung auszustellen;
2.
führt der Unternehmer eine andere als die in Nummer 1 genannte Leistung aus, ist er berechtigt, eine Rechnung auszustellen. Soweit er einen Umsatz an einen anderen Unternehmer für dessen Unternehmen oder an eine juristische Person, die nicht Unternehmer ist, ausführt, ist er verpflichtet, innerhalb von sechs Monaten nach Ausführung der Leistung eine Rechnung auszustellen. Eine Verpflichtung zur Ausstellung einer Rechnung besteht nicht, wenn der Umsatz nach § 4 Nummer 8 bis 29 steuerfrei ist. § 14a bleibt unberührt.
Unbeschadet der Verpflichtungen nach Satz 1 Nr. 1 und 2 Satz 2 kann eine Rechnung von einem in Satz 1 Nr. 2 bezeichneten Leistungsempfänger für eine Lieferung oder sonstige Leistung des Unternehmers ausgestellt werden, sofern dies vorher vereinbart wurde (Gutschrift). Die Gutschrift verliert die Wirkung einer Rechnung, sobald der Empfänger der Gutschrift dem ihm übermittelten Dokument widerspricht. Eine Rechnung kann im Namen und für Rechnung des Unternehmers oder eines in Satz 1 Nr. 2 bezeichneten Leistungsempfängers von einem Dritten ausgestellt werden.

(3) Unbeschadet anderer nach Absatz 1 zulässiger Verfahren gelten bei einer elektronischen Rechnung die Echtheit der Herkunft und die Unversehrtheit des Inhalts als gewährleistet durch

1.
eine qualifizierte elektronische Signatur oder
2.
elektronischen Datenaustausch (EDI) nach Artikel 2 der Empfehlung 94/820/EG der Kommission vom 19. Oktober 1994 über die rechtlichen Aspekte des elektronischen Datenaustausches (ABl. L 338 vom 28.12.1994, S. 98), wenn in der Vereinbarung über diesen Datenaustausch der Einsatz von Verfahren vorgesehen ist, die die Echtheit der Herkunft und die Unversehrtheit der Daten gewährleisten.

(4) Eine Rechnung muss folgende Angaben enthalten:

1.
den vollständigen Namen und die vollständige Anschrift des leistenden Unternehmers und des Leistungsempfängers,
2.
die dem leistenden Unternehmer vom Finanzamt erteilte Steuernummer oder die ihm vom Bundeszentralamt für Steuern erteilte Umsatzsteuer-Identifikationsnummer,
3.
das Ausstellungsdatum,
4.
eine fortlaufende Nummer mit einer oder mehreren Zahlenreihen, die zur Identifizierung der Rechnung vom Rechnungsaussteller einmalig vergeben wird (Rechnungsnummer),
5.
die Menge und die Art (handelsübliche Bezeichnung) der gelieferten Gegenstände oder den Umfang und die Art der sonstigen Leistung,
6.
den Zeitpunkt der Lieferung oder sonstigen Leistung; in den Fällen des Absatzes 5 Satz 1 den Zeitpunkt der Vereinnahmung des Entgelts oder eines Teils des Entgelts, sofern der Zeitpunkt der Vereinnahmung feststeht und nicht mit dem Ausstellungsdatum der Rechnung übereinstimmt,
7.
das nach Steuersätzen und einzelnen Steuerbefreiungen aufgeschlüsselte Entgelt für die Lieferung oder sonstige Leistung (§ 10) sowie jede im Voraus vereinbarte Minderung des Entgelts, sofern sie nicht bereits im Entgelt berücksichtigt ist,
8.
den anzuwendenden Steuersatz sowie den auf das Entgelt entfallenden Steuerbetrag oder im Fall einer Steuerbefreiung einen Hinweis darauf, dass für die Lieferung oder sonstige Leistung eine Steuerbefreiung gilt,
9.
in den Fällen des § 14b Abs. 1 Satz 5 einen Hinweis auf die Aufbewahrungspflicht des Leistungsempfängers und
10.
in den Fällen der Ausstellung der Rechnung durch den Leistungsempfänger oder durch einen von ihm beauftragten Dritten gemäß Absatz 2 Satz 2 die Angabe „Gutschrift”.
In den Fällen des § 10 Abs. 5 sind die Nummern 7 und 8 mit der Maßgabe anzuwenden, dass die Bemessungsgrundlage für die Leistung (§ 10 Abs. 4) und der darauf entfallende Steuerbetrag anzugeben sind. Unternehmer, die § 24 Abs. 1 bis 3 anwenden, sind jedoch auch in diesen Fällen nur zur Angabe des Entgelts und des darauf entfallenden Steuerbetrags berechtigt. Die Berichtigung einer Rechnung um fehlende oder unzutreffende Angaben ist kein rückwirkendes Ereignis im Sinne von § 175 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und § 233a Absatz 2a der Abgabenordnung.

(5) Vereinnahmt der Unternehmer das Entgelt oder einen Teil des Entgelts für eine noch nicht ausgeführte Lieferung oder sonstige Leistung, gelten die Absätze 1 bis 4 sinngemäß. Wird eine Endrechnung erteilt, sind in ihr die vor Ausführung der Lieferung oder sonstigen Leistung vereinnahmten Teilentgelte und die auf sie entfallenden Steuerbeträge abzusetzen, wenn über die Teilentgelte Rechnungen im Sinne der Absätze 1 bis 4 ausgestellt worden sind.

(6) Das Bundesministerium der Finanzen kann mit Zustimmung des Bundesrates zur Vereinfachung des Besteuerungsverfahrens durch Rechtsverordnung bestimmen, in welchen Fällen und unter welchen Voraussetzungen

1.
Dokumente als Rechnungen anerkannt werden können,
2.
die nach Absatz 4 erforderlichen Angaben in mehreren Dokumenten enthalten sein können,
3.
Rechnungen bestimmte Angaben nach Absatz 4 nicht enthalten müssen,
4.
eine Verpflichtung des Unternehmers zur Ausstellung von Rechnungen mit gesondertem Steuerausweis (Absatz 4) entfällt oder
5.
Rechnungen berichtigt werden können.

(7) Führt der Unternehmer einen Umsatz im Inland aus, für den der Leistungsempfänger die Steuer nach § 13b schuldet, und hat der Unternehmer im Inland weder seinen Sitz noch seine Geschäftsleitung, eine Betriebsstätte, von der aus der Umsatz ausgeführt wird oder die an der Erbringung dieses Umsatzes beteiligt ist, oder in Ermangelung eines Sitzes seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland, so gelten abweichend von den Absätzen 1 bis 6 für die Rechnungserteilung die Vorschriften des Mitgliedstaats, in dem der Unternehmer seinen Sitz, seine Geschäftsleitung, eine Betriebsstätte, von der aus der Umsatz ausgeführt wird, oder in Ermangelung eines Sitzes seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt hat. Satz 1 gilt nicht, wenn eine Gutschrift gemäß Absatz 2 Satz 2 vereinbart worden ist. Nimmt der Unternehmer in einem anderen Mitgliedstaat an einem der besonderen Besteuerungsverfahren entsprechend Titel XII Kapitel 6 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. L 347 vom 11.12.2006, S. 1) in der jeweils gültigen Fassung teil, so gelten für die in den besonderen Besteuerungsverfahren zu erklärenden Umsätze abweichend von den Absätzen 1 bis 6 für die Rechnungserteilung die Vorschriften des Mitgliedstaates, in dem der Unternehmer seine Teilnahme anzeigt.

(1) Wer in der Absicht, sich oder einem Dritten einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen, das Vermögen eines anderen dadurch beschädigt, daß er durch Vorspiegelung falscher oder durch Entstellung oder Unterdrückung wahrer Tatsachen einen Irrtum erregt oder unterhält, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.

(3) In besonders schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter

1.
gewerbsmäßig oder als Mitglied einer Bande handelt, die sich zur fortgesetzten Begehung von Urkundenfälschung oder Betrug verbunden hat,
2.
einen Vermögensverlust großen Ausmaßes herbeiführt oder in der Absicht handelt, durch die fortgesetzte Begehung von Betrug eine große Zahl von Menschen in die Gefahr des Verlustes von Vermögenswerten zu bringen,
3.
eine andere Person in wirtschaftliche Not bringt,
4.
seine Befugnisse oder seine Stellung als Amtsträger oder Europäischer Amtsträger mißbraucht oder
5.
einen Versicherungsfall vortäuscht, nachdem er oder ein anderer zu diesem Zweck eine Sache von bedeutendem Wert in Brand gesetzt oder durch eine Brandlegung ganz oder teilweise zerstört oder ein Schiff zum Sinken oder Stranden gebracht hat.

(4) § 243 Abs. 2 sowie die §§ 247 und 248a gelten entsprechend.

(5) Mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren wird bestraft, wer den Betrug als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung von Straftaten nach den §§ 263 bis 264 oder 267 bis 269 verbunden hat, gewerbsmäßig begeht.

(6) Das Gericht kann Führungsaufsicht anordnen (§ 68 Abs. 1).

(7) (weggefallen)

10
b) Der jeweils gleichartige Tatablauf, insbesondere das abgesprochene, arbeitsteilige Zusammenwirken der vier Tatbeteiligten ab dem ersten Rauschgiftgeschäft , sowie der enge zeitliche Zusammenhang der Taten legen es nahe, dass der Angeklagte K. als Mitglied einer Bande gehandelt haben könnte, die sich zur fortgesetzten Begehung von Straftaten nach dem Betäubungsmittelgesetz verbunden hat. Denn diese Umstände sprechen für eine zumindest durch schlüssiges Verhalten getroffene Bandenabrede. Die ungeklärte Identität des Kurierfahrers "E. " steht dessen Einbindung in die Bande nicht entgegen (vgl. BGHSt 50, 160, 165). Die Frage einer bandenmäßigen Begehung hätte daher in den Urteilsgründen erörtert werden müssen.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 254/05
vom
5. August 2005
in der Strafsache
gegen
wegen bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht
geringer Menge
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und der Beschwerdeführerin am 5. August 2005 gemäß § 349
Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Koblenz vom 14. Oktober 2004 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben,
a) soweit die Angeklagte im Fall II. B. 1 wegen bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge verurteilt worden ist und
b) im gesamten Strafausspruch. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:


Das Landgericht hat die Angeklagte wegen bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in sechs Fällen zu der Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Mit ihrer Revision rügt die Angeklagte die Verletzung materiellen Rechts. Das Rechtsmittel ist offensichtlich unbegründet, soweit es sich gegen den Schuldspruch in den Fällen II. B. 2 bis 6 richtet (§ 349 Abs. 2 StPO). Der Schuldspruch im Fall II. B. 1 hält der
sachlich-rechtlichen Prüfung jedoch nicht stand. Die bisherigen Feststellungen des Landgerichts belegen nicht, dass sich die Angeklagte bereits bei der ersten Tat, derentwegen das Landgericht sie schuldig gesprochen hat, einer Bandenabrede der gesondert verfolgten Bandenmitglieder H., Sz. und Sb. angeschlossen hatte. Zudem hätte das Landgericht näher erörtern müssen, ob die Angeklagte in diesem Fall als Mittäterin oder als Gehilfin mitgewirkt hat. Die teilweise Aufhebung des Schuldspruchs hat die Aufhebung des gesamten Strafausspruchs zur Folge.
1. Das Landgericht hat im Wesentlichen festgestellt:
Anfang September 2001 erklärte sich die Angeklagte auf Bitte des H. bereit , ihn gegen Zahlung von 400 DM in die Niederlande zu fahren. Der Angeklagten war klar, dass es um eine Kurierfahrt zur Beschaffung von Kokain zum gewinnbringenden Weiterverkauf ging. Sie wusste, dass H. die Fahrt für den gesondert verfolgten Sz. ausführte, und auch der gesondert verfolgte Sb. an den Kokaingeschäften beteiligt war. Sie hatte H. auch schon einmal ihr Fahrzeug für eine Kurierfahrt überlassen. H. dirigierte die Angeklagte nun zu einer Adresse in Amsterdam und ließ sie in einem Schnellimbiss warten. In einer Nebenstraße traf er Sb. Als die Angeklagte hinzukam, erfuhr sie, dass ein Teil der von H. übernommenen Drogen nach Frankreich weitertransportiert werden sollte. H. fragte die Angeklagte, ob sie ihn auch nach Frankreich fahren würde. Sie sagte zu. H. hatte nunmehr mindestens 200 g Kokain mit 60 % Kokainhydrochlorid bei sich, die er hinter dem Beifahrersitz in einen Korb legte. Die Angeklagte fuhr H. nach Deutschland zurück vor die Wohnung des Sz., die H. alleine aufsuchte. Danach brachte sie H. zu seiner Wohnung, von wo sie ihn am nächsten Tag wieder abholte. H. hatte ein Päckchen bei sich, in dem sich min-
destens 400 g - möglicherweise zuvor gestrecktes - Kokain befanden. Das Päckchen legte H. wieder in den Korb hinter dem Beifahrersitz. Die Angeklagte fuhr H. nach dessen Weisungen in den Großraum Paris in die Nähe eines Krankenhauses. Dort traf H. einen Unbekannten. Der Gesamtzusammenhang deutet darauf hin, dass H. ihm das Kokain übergab, obwohl dies nicht ausdrücklich festgestellt ist. Auf der Rückfahrt zählte H. ein Bündel französischer Geldscheine. Für diese Fahrt erhielt die Angeklagte von H. 800 DM.
Erst drei bis vier Wochen nach der vorübergehenden Festnahme des H. und seiner Ehefrau bei der Rückkehr von einer Drogenfahrt aus den Niederlanden sagte die Angeklagte den gesondert verfolgten Sz. und Sb. zu, sie sei für 800 DM grundsätzlich bereit, weitere Drogenfahrten in die Niederlande zu übernehmen.
2. Der Schuldspruch wegen bandenmäßiger Tatbegehung hält der sachlich -rechtlichen Prüfung nicht stand. Ob jemand Mitglied einer Bande ist, bestimmt sich nach der deliktischen Vereinbarung, der sog. Bandenabrede. Sie setzt den Willen voraus, sich mit anderen zu verbinden und künftig für eine gewisse Dauer mehrere selbstständige, im Einzelnen noch ungewisse Straftaten zu begehen (BGHSt 47, 214, 216; BGH NStZ 2004, 398, 399). Nach der Entscheidung des Großen Senats für Strafsachen (BGHSt 46, 321) ist der Wille zur Bindung für die Zukunft und für eine gewisse Dauer bei einem Zusammenschluss von mindestens drei Personen erforderlich. Eine solche Bandenabrede kann nicht nur durch ausdrückliche Erklärung, sondern auch durch schlüssiges Verhalten zu Stande kommen.
Eine derartige Willensäußerung der Angeklagten ist bei der Begehung der ersten Tat jedoch nicht festgestellt. Die Angeklagte hat sich gegenüber H. lediglich in einem konkreten Einzelfall zur Mitwirkung bei einem Drogentransport als dessen Fahrerin bereit erklärt. Zu einer darüber hinausgehenden Bandenabrede ist es dagegen nach den bisherigen Feststellungen des Landgerichts bei der ersten Tat noch nicht gekommen. Die weiteren Feststellungen des Landgerichts (UA S. 10 unten) deuten vielmehr darauf hin, dass die Bandenabrede mit der Angeklagten erst bei dem Zusammentreffen mit Sz. und Sb. Ende November 2001 nach der vorübergehenden Festnahme des H. zu Stande kam. Die Wertung des Verhaltens der Angeklagten bei der Tat II. B. 1 als bandenmäßige Tatbegehung hat daher keinen Bestand.
Nicht rechtsbedenkenfrei ist auch die hiervon unabhängige Wertung des Landgerichts, die Angeklagte habe bei der Tatbegehung als Mittäterin gehandelt. Der festgestellte Sachverhalt legt zumindest nahe, dass die Angeklagte nur als Gehilfin anzusehen ist. Die Abgrenzung von Täterschaft und Beihilfe ist auf Grund aller von der Vorstellung der Beteiligten umfassten Umstände in wertender Betrachtung vorzunehmen (vgl. BGHSt 28, 346, 349). Wesentliche Anhaltspunkte für diese Wertung können das eigene Interesse am Taterfolg, der Umfang der Tatbeteiligung und die Tatherrschaft oder wenigstens der Wille zur Tatherrschaft sein (vgl. BGHSt 37, 289, 291). Die Angeklagte war an dem eigentlichen Betäubungsmittelgeschäft nicht selbst beteiligt. Sie hatte das Kokain nie selbst in Besitz. Sie bekam nur einen Fahrtlohn, der nicht wesentlich über die ihr entstandenen Fahrtauslagen hinausging. Ob und in welchem Umfang sie in diesem Fall von dem beförderten Kokain auch zum Eigenkonsum erhielt, ist nicht festgestellt. Sie kannte die jeweiligen Fahrtziele und den Empfänger der Lieferung in Paris sowie den Weg dorthin nicht. Unter diesen Umständen
hätte das Landgericht daher eine nähere Abgrenzung zwischen Täterschaft und Beihilfe vornehmen müssen, zumal der Fall II. B. 1 nach der bisherigen Beurteilung des Landgerichts den höchsten Unrechts- und Schuldgehalt der sechs der Angeklagten zur Last gelegten Taten aufweist und hierfür die Einsatzstrafe verhängt wurde.
Mit der Aufhebung des Schuldspruchs im Fall II. B. 1 entfällt die für diese Tat verhängte Einsatzstrafe von fünf Jahren und drei Monaten. Damit verliert zugleich die Gesamtfreiheitsstrafe ihre Grundlage. Die fünf Einzelfreiheitsstrafen von jeweils vier Jahren für die Taten II. B. 2 bis 6 können ebenfalls nicht bestehen bleiben, weil ihre Bemessung in einem erkennbaren Zusammenhang mit der Bemessung der Einsatzstrafe steht. Der neue Tatrichter muss daher die Möglichkeit haben, alle Einzelstrafen und die Gesamtfreiheitsstrafe neu zuzumessen.
VRi'inBGH Dr. Rissing-van Saan Bode Ri'inBGH Dr. Otten ist durch Krankheit an der Unter- ist durch Urlaub schrift gehindert. an der Unterschrift Bode gehindert. Bode Fischer Roggenbuck