Die Kläger zu 1. bis 4. bilden eine Familie. Gemäß den Angaben der Eltern (Kläger zu 1. und 2.) sind sie afghanische Staatsangehörige und tadschikische Volkszugehörige muslimisch-sunnitischen Glaubens. Der Kläger zu 1. (Ehemann/Vater) wurde demnach am 1. Januar 1989 in Herat geboren, die Klägerin zu 2. (Ehefrau/Mutter) am 1. Januar 1992 ebenfalls in Herat, die Klägerin zu 3. (Kind) am 1. Januar 2010 in Teheran/Iran, der Kläger zu 4. (Kind) am 1. Januar 2014 in Van/Türkei. Sie reisten am 15. Juni 2014 auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellten Asylanträge. Bei dem persönlichen Gespräch zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats am 8. Juli 2014 vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) gaben die Kläger zu 1. und 2. Folgendes an: Sie seien im Jahr 2009 in den Iran übergesiedelt und hätten in Teheran geheiratet. Anfang 2014 seien sie von dort ausgereist und über die Türkei, Griechenland, Mazedonien, Serbien, Ungarn und Österreich ins Bundesgebiet gelangt. Sie seien wegen der Menschenrechte und in der Hoffnung auf eine bessere Zukunft nach Deutschland gekommen. Ihre Personalpapiere seien ihnen auf dem Reiseweg weggenommen worden oder seien verloren gegangen.
Am 20. August 2014 verzeichnete das Bundesamt EURODAC-Treffer bezüglich Griechenland und Ungarn und richtete ein Wiederaufnahmeersuchen an die Dublin- Stelle in Ungarn. Mit Schreiben vom 22. August 2014 teilte das Bundesamt den Klägern mit, dass ein Dublinverfahren eingeleitet worden sei. Die Einwanderungsbehörde (Dublin Unit) der Republik Ungarn stimmte dem Ersuchen mit Schreiben vom 29. August und 1. September 2014 zu. Durch Bescheid vom 11. September 2014 lehnte das Bundesamt die Asylanträge als unzulässig ab (1.) und ordnete die Abschiebung nach Ungarn an (2.). In der Begründung ist ausgeführt, dass die Asylanträge gemäß § 27a AsylVfG (nunmehr AsylG) unzulässig seien, weil für deren Behandlung nach Art. 18 Abs. 1 Dublin III-VO Ungarn zuständig sei. Am 24. September 2014 erhoben die Kläger beim Verwaltungsgericht Augsburg Klage (Au 6 K 14.50237) und beantragten einstweiligen Rechtsschutz nach § 80 Abs. 5 VwGO (Au 6 S 14.50238). Zur Begründung machten sie unter Vorlage eines fachärztlichen psychiatrischen Attests vom 25. Juni 2014 geltend, dass bei der Klägerin zu 2. Verdacht auf eine rezidivierende depressive Störung in gegenwärtig schwerer Episode bestehe. Außerdem legten sie einen fachärztlichen Entlassungsbericht des Bezirkskrankenhauses Kempten vom 2. Oktober 2014 vor, demgemäß sich die Klägerin zu 2. wegen akuter Suizidalität ab dem 19. September 2014 in stationärer psychiatrischer Behandlung befunden hatte. Hierbei wurde folgende Diagnose gestellt: Rezidivierende depressive Störung in gegenwärtig schwerer Episode mit psychotischen Symptomen und eine posttraumatische Belastungsstörung.
Durch Beschluss vom 1. Oktober 2014 ordnete das Verwaltungsgericht nach § 80 Abs. 5 VwGO die aufschiebende Wirkung der Klage an. Im Rahmen des Hauptsacheverfahrens legten die Kläger ein 19-seitiges Attest des Kompetenzzentrums Psychotraumatologie der Universität Konstanz vom 12. November 2014 vor („Kurzer psychodiagnostischer Befund“ der Dipl.-Psych. Dr. B.), wonach eine schwere chronische posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) bei sehr hoher Suizidalität bestehe. Durch Urteil vom 21. November 2014 hob das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid auf. Aufgrund der schweren seelischen Erkrankung der Klägerin zu 2. bestehe für die Beklagte zwingend die Verpflichtung zum Selbsteintritt nach Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO. Jene könnte ihr Asylverfahren in Ungarn nicht durchführen, ohne einer ernsthaften gesundheitlichen Gefährdung ausgesetzt zu sein. Durch den Verstoß gegen die genannte Vorschrift sei die Klägerin zu 2. in ihren Rechten verletzt. Bei besonderer Schutzbedürftigkeit könne sich das Ermessen der Behörde zu einem Anspruch des Asylsuchenden auf Selbsteintritt verdichten.
Aufgrund des Antrags der Beklagten vom 17. Dezember 2014 bezüglich der Nr. 1 des angefochtenen Bundesamtsbescheids hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof durch Beschluss vom 1. Juni 2015 die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache nach § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG zugelassen (13a ZB 14.50090). Es sei zu klären, ob ein Kläger im Dublin-Verfahren nicht allein systemische Schwachstellen des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen in dem zuständigen Mitgliedstaat, sondern auch eine besondere Schutzwürdigkeit wegen einer schweren Erkrankung für den Fall der Abschiebung geltend machen kann.
Die Beklagte verweist in der Berufungsbegründung auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, wonach ein Asylbewerber der Überstellung in den nach der Dublin-Verordnung zuständigen Mitgliedstaat nur mit dem Einwand systemischer Mängel entgegentreten könne.
Sie beantragt,
die Klage unter Abänderung der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung abzuweisen, soweit diese noch keine Rechtskraft erlangt hat.
Die Kläger beantragen,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie machen in der Berufungserwiderung geltend, dass aufgrund der fachärztlich diagnostizierten Erkrankung der Klägerin zu 2. hier ein dauerhaftes Vollstreckungshindernis bestehe, welches allein schon die Aufhebung der Abschiebungsanordnung gebiete. Es komme hier nicht auf die mögliche medizinische Versorgung in Ungarn an, weil das Verwaltungsgericht auf gesundheitliche Gefahren abgestellt habe, deren Ursache nicht in den Aufnahmebedingungen des Zielstaats liege.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichts- und Behördenakten verwiesen.
Die Berufung der Beklagten ist unbegründet (§ 125 Abs. 1, § 128 VwGO). Das Urteil des Verwaltungsgerichts ist zu Recht ergangen. Die Entscheidung der Beklagten, die Asylanträge als unzulässig abzulehnen, ist rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung des klägerischen Begehrens ist nach § 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 AsylG das Asylgesetz i. d. F. der Bekanntmachung vom 2. September 2008 (BGBl. I S. 1798), zuletzt geändert durch das Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz vom 20. Oktober 2015 (BGBl. I S. 1722).
Die Klagen sind zulässig.
Das Verwaltungsgericht hat die Anfechtungsklage nach § 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, U.v. 27.10.2015 - 1 C 32.14 - juris zu Art. 2 Buchst. e Dublin II-VO) richtigerweise als die allein statthafte Klageart angesehen, wenn es - wie hier - um das Begehren auf Aufhebung einer Entscheidung über die Unzuständigkeit Deutschlands für die Prüfung eines Asylantrags nach den unionsrechtlichen Regelungen der Dublin III-Verordnung geht (Verordnung - EU - Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist - ABl. Nr. L 180 S. 31 - Dublin III-VO).
Die Klagen sind auch begründet.
Die Voraussetzungen des vom Bundesamt zur Begründung seiner Entscheidung herangezogenen § 27a AsylG für eine Unzulässigkeit des Asylantrags wegen anderweitiger internationaler Zuständigkeit liegen nicht vor, weil Deutschland entgegen der Auffassung der Beklagten zur Entscheidung über die Asylanträge zuständig ist.
Gemäß § 27a AsylG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat aufgrund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Eine solche Zuständigkeit kann sich aus der Dublin III-VO ergeben, auf die sich das Bundesamt im Bescheid gestützt hat. Dieses Verfahren dient zuvörderst dazu, den zur Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat zu bestimmen. Die Mitgliedstaaten der Europäischen Union sind übereingekommen, dass auf kurze Sicht eine klare und praktikable Form für die Bestimmung des für die Prüfung eines Asylantrags zuständigen Mitgliedstaats geschaffen werden sollte. Ziel der Dublin III-VO ist die Festlegung von Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines Asylantrags zuständig ist (Erwägungsgründe Nr. 2, 3, 4, 5 und 40). Im Verfahren nach der Dublin III-VO steht deshalb insbesondere die Zuständigkeitsfrage im Raum. Nach Art. 3 Abs. 1 Satz 2 wird der Antrag von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft.
Die Reihenfolge der Kriterien zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats richtet sich nach Kapitel III der Verordnung (vgl. Art. 7 Abs. 1 Dublin III-VO). Nach Art. 7 Abs. 2 Dublin III-VO wird bei der Bestimmung des nach diesen Kriterien zuständigen Mitgliedstaats von der Situation ausgegangen, die zu dem Zeitpunkt gegeben ist, zu dem der Asylbewerber seinen Antrag zum ersten Mal in einem Mitgliedstaat gestellt hat. Gemessen hieran wäre nach Art. 13 Abs. 1 Dublin III-VO eigentlich die Republik Ungarn für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig, weil die Kläger, aus einem Drittstaat kommend, die Grenze dieses Mitgliedstaats überschritten hatten. Dem Übernahmeersuchen des Bundesamts hatte Ungarn mit Schreiben vom 29. August und 1. September 2014 zugestimmt (Art. 22 Abs. 1 Dublin III-VO). Entsprechend der Konzeption der Dublin III-VO hat das Bundesamt den Asylantrag nicht inhaltlich geprüft, sondern die Unzulässigkeit festgestellt und die Abschiebung nach Ungarn angeordnet. Die Frist von sechs Monaten zur Überstellung der Kläger beginnt nach Art. 29 Abs. 1 Dublin III-VO erst mit der endgültigen Entscheidung über die Berufung als rechtshängigen Rechtsbehelf, weil die Klage im vorliegenden Fall infolge der Anordnung des Verwaltungsgerichts nach § 80 Abs. 5 VwGO aufschiebende Wirkung hat (s. Art. 27 Abs. 3 Buchst. b Dublin III-VO). Demzufolge wäre grundsätzlich Ungarn nach Art. 18 Abs. 1 Buchst. a Dublin III-VO verpflichtet, die Kläger aufzunehmen.
Für den Fall, dass ein Mitgliedstaat - wie hier - der Aufnahme zugestimmt hat, kann ein Asylbewerber der Bestimmung dieses Mitgliedstaats nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und des Europäischen Gerichtshofs zur Dublin II-VO und dem folgend des Bundesverwaltungsgerichts (EGMR, U.v. 21.1.2011 - M.S.S./Belgien und Griechenland, Nr. 30696/09 - NVwZ 2011, 413; EuGH, U.v. 21.12.2011 - C-411/10 u. a. - NVwZ 2012, 417; U.v. 10.12.2013 - Abdullahi, C-394/12 - NVwZ 2014, 208; BVerwG, U.v. 27.10.2015 - 1 C 32.14 - juris; B.v. 6.6.2014 - 10 B 35.14 - NVwZ 2014, 1677; s. auch U.v. 27.4.2010 - 10 C 5.09 - BVerwGE 136, 377) damit entgegentreten, dass er systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedstaat geltend macht, die ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass er tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinn von Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union - GR-Charta - ausgesetzt zu werden. Art. 3 Abs. 2 der hier maßgeblichen Dublin III-VO regelt nunmehr ausdrücklich, dass der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat die Prüfung der im dortigen Kapitel III vorgesehenen Kriterien fortsetzt, wenn es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in diesem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 GR-Charta mit sich bringen. Das gemeinsame europäische Asylsystem stützt sich ebenso wie das deutsche Konzept der „normativen Vergewisserung“ hinsichtlich der Sicherheit von Drittstaaten (s. hierzu EuGH, U.v. 21.12.2011 a. a. O. Rn. 75 ff.; BVerfG, U.v. 14.5.1996 - 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93 - BVerfGE 94, 49) auf die uneingeschränkte und umfassende Anwendung der Genfer Flüchtlingskonvention und die Versicherung, dass niemand dorthin zurückgeschickt wird, wo er Verfolgung ausgesetzt ist. Dem liegt die Annahme zugrunde, dass alle daran beteiligten Staaten die Grundrechte beachten und dass die Mitgliedstaaten einander insoweit Vertrauen entgegenbringen dürfen. Es wird vermutet, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der GR-Charta der Europäischen Union sowie mit dem am 28. Juli 1951 in Genf unterzeichneten Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Genfer Flüchtlingskonvention) und der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) steht. Gemäß der bisherigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ist nicht davon auszugehen, dass das ungarische Asyl- und Asylhaftsystem systemische Mängel aufweist und für Antragsteller die reale Gefahr einer gegen Art. 3 EMRK verstoßenden Behandlung besteht (EGMR, U.v. 3.7.2014 - Mohammadi ./. Österreich, Nr. 71932/12 - NLMR - Newsletter Menschenrechte - 2014, 282; s. auch BayVGH, B.v. 12.6.2015 - 13a ZB 15.50097 - juris).
Ob die Verfahrensumstände im Mitgliedstaat Ungarn mittlerweile systemische Schwachstellen aufweisen, kann hier aber dahinstehen, weil die Zuständigkeit für die Durchführung des Asylverfahrens aufgrund der besonderen Umstände dieses Einzelfalls bereits nach Art. 17 Abs. 1 Satz 1 Dublin III-VO auf die Beklagte übergegangen ist. Danach kann jeder Mitgliedstaat beschließen, einen bei ihm von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen gestellten Antrag auf internationalen Schutz zu prüfen, auch wenn er nach den in dieser Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist.
Aufgrund ihrer besonderen Situation haben die Kläger im vorliegenden Fall auch einen Anspruch darauf, dass ihre Asylanträge in Deutschland geprüft werden. Im Hinblick auf den Charakter dieser Vorschrift als Ermessensnorm (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011 a. a. O. Rn. 65) kann ein Kläger zwar allenfalls ein Recht auf ermessensfehlerfreie Entscheidung nach § 40 VwVfG haben (Funke-Kaiser, GK-AsylVfG, Stand Dezember 2015, § 27a Rn. 52). Bei der Anwendung dieser fakultativen Bestimmung steht den Mitgliedstaaten ein weites Ermessen zu (EuGH, U.v. 10.12.2013 a. a. O. Rn. 57). Das Ermessen verdichtet sich aber dann zu einer Pflicht zum Selbsteintritt, wenn jede andere Entscheidung unvertretbar wäre. Eine solche Fallkonstellation ist anzunehmen, wenn in einer Situation, in der Grundrechte des Antragstellers im Falle der Überstellung an den an sich zuständigen Mitgliedstaat wegen systemischer Mängel verletzt würden, die Lage des Antragstellers durch eine unangemessen lange Verfahrensdauer noch verschlimmert würde (EuGH, U.v. 14.11.2013 a. a. O. Rn. 35 und vom 21.12.2011 a. a. O. Rn. 98; BVerwG, B.v. 27.10.2015 a. a. O.). Darüber hinaus besteht eine Pflicht zum Selbsteintritt, wenn im Fall der Überstellung eine in den persönlichen Umständen des Betroffenen wurzelnde Grundrechtsverletzung gegeben wäre.
Gleiches gilt für den Einwand der Beklagten, dass ein Asylbewerber nach der bereits erwähnten Rechtsprechung der europäischen Gerichte und des Bundesverwaltungsgerichts einer Überstellung grundsätzlich nur mit dem Einwand systemischer Mängel entgegentreten kann. Die Vorschriften in der Dublin Ill-VO für die Bestimmung des für die Prüfung eines Asylantrags zuständigen Mitgliedstaats dienen zwar prinzipiell allein der zügigen Bearbeitung von Asylanträgen und sind als organisatorische Regelungen nicht individualschützend. Wenn sie aber nicht nur die Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten regeln, sondern (auch) dem Grundrechtsschutz dienen, hat der Asylsuchende ein subjektives Recht auf Prüfung seines Asylantrags durch den danach zuständigen Mitgliedstaat und kann eine hiermit nicht im Einklang stehende Entscheidung des Bundesamts erfolgreich angreifen (BVerwG, U.v. 16.11.2015 - 1 C 4.15 - juris).
Eine solche Fallkonstellation liegt hier aufgrund der schweren und fortwährenden psychischen Erkrankung der Klägerin zu 2. (Ehefrau/Mutter) vor. Aus dem Grundrecht auf körperliche und geistige Unversehrtheit nach Art. 3 Abs. 1 GR-Charta ergibt sich die Pflicht zum Selbsteintritt. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs sind die in der GR-Charta verankerten Grundrechte bei der Auslegung und Anwendung der Dublin-Vorschriften zu berücksichtigen (EuGH, U.v. 6 6.2013 - C-648/11 - NVwZ-RR 2013, 735 Rn. 50 ff.; zum Zusammenhang von Grundrechtsschutz und Individualschutz vgl. BVerwG, U.v. 16.11.2015 - 1 C 4.15 - juris). Außerdem ist zu bedenken, dass nach Art. 19 der Richtlinie 2013/33/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom26. Juni 2013 zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen, die Pflicht besteht, Antragstellern mit schweren psychischen Störungen die erforderliche medizinische Versorgung und psychologische Betreuung zu gewähren. Nach Art. 21 dieser Richtlinie ist ferner die spezifische Situation von Personen mit psychischen Störungen zu berücksichtigen. Gemäß den Befunden des Bezirkskrankenhauses Kempten (Fachkrankenhaus für Psychiatrie) vom 7. Januar 2015 und einer niedergelassenen Fachärztin für Psychiatrie vom 25. Februar 2015 liegen bei der Klägerin (nach vier Suizidversuchen) eine schwere depressive Episode nach F32.2 und eine posttraumatische Belastungsstörung nach F43.1 vor. Nach der Diagnose der niedergelassenen Fachärztin besteht auch noch eine erhebliche Selbstgefährdung. Die Behandlung erfolgt ambulant und mittels Verschreibung/Einnahme von drei verschiedenen Psychopharmakon-Tabletten (Neuroleptika und Antidepressivum). Gemäß dem Befund der Universität Konstanz vom 12. November 2014 (S. 18) ist eine langfristige Behandlung bei gleichzeitiger Stabilisierung der Lebenssituation erforderlich. In dem nach § 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (3.12.2015) gab es keine Anzeichen für eine positive Veränderung des Krankheitsbilds. Zwischen den Prozessbeteiligten ist unstreitig, dass der Zustand nach wie vor dringend behandlungsbedürftig ist.
Bei derartigem Grundrechtsbezug, der sich hier in einer schwerwiegenden Krankheit äußert, ist eine Ermessensreduzierung auf Null und damit eine Pflicht zum Selbsteintritt anzunehmen. Das ergibt sich aus den Wertungen der Dublin III-VO selbst, die sich nicht nur auf rein verfahrenstechnische Regelungen beschränkt. Die gesonderte Erwähnung von Personen, die wegen Krankheit auf die Unterstützung von Verwandten angewiesen sind (Art. 16 Dublin III-VO) zeigt, dass der Unionsgesetzgeber die Ermessensausübung dort einschränken will, wo Grundrechte berührt sind. Ähnlich verhält es sich mit den Zuständigkeitsbestimmungen für unbegleitete Minderjährige, die nicht nur die Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten regeln, sondern auch dem Grundrechtsschutz dienen und individualschützend sind (BVerwG, U.v. 16.11.2015 - 1 C 4.15 - juris). In derartigen Fällen besteht grundrechtsbedingt die Pflicht zum Selbsteintritt, welche ein subjektives Recht vermittelt (so auch Filzwieser/Sprung, Dublin III-Verordnung, 2014, Art. 17 K2, K3, K6; Funke-Kaiser, GK-AsylVfG, Stand Dezember 2015, § 27a Rn. 182; Bruns in Hofmann, Ausländerrecht, 2. Aufl. 2016, § 27a AsylG Rn. 61, 70; Marx, Aufenthalts-, Asyl- und Flüchtlingsrecht, 5. Aufl. 2015, Kap. 9 Rn. 46 f.; ders., AsylVfG, 8. Aufl. 2014, § 27a Rn. 62; ders., Änderungen im Dublin-Verfahren nach der Dublin III-VO, ZAR 2014, 5/9; ders., Ausgewählte Probleme des Eilrechtsschutzes im Dublin-Verfahren, InfAuslR 2015, 164/166; Lübbe, Prinzipien der Zuordnung von Flüchtlingsverantwortung und Individualrechtsschutz im Dublin-System, ZAR 2015, 125/131; a.A. Hailbronner, Ausländerrecht, Stand November 2015, § 27a AsylG, Rn. 106). Die Annahme des Selbsteintritts steht auch im Einklang mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 3 EMRK. Danach besteht grundsätzlich kein Anspruch auf weiteren Verbleib in einem bestimmten Staat, um dort eine notwendige medizinische oder psychologische Behandlung fortführen zu können, sofern nicht ausnahmsweise zwingende humanitäre Gründe gegen eine unfreiwillige Ortsveränderung („removal“) sprechen (EGMR, U.v. 4.6.2013 - Daytbegova und Magomedova ./. Österreich, Nr. 6198/12 - hudoc.echr.coe.int. Rn. 63, 67). Dieser Vorbehalt kommt im vorliegenden Fall zum Tragen. Gemäß den vorliegenden fachärztlichen Attesten ist damit zu rechnen, dass im Fall der Abschiebung das labile seelische Gleichgewicht der Klägerin zu 2. in riskanter Weise aus den Fugen geraten würde. Eine solche Maßnahme würde eine Beeinträchtigung der geistigen Gesundheit bewirken und wäre somit ein Eingriff in die geistige Unversehrtheit (Jarras, Charta der Grundrechte der Europäischen Union, 2. Aufl. 2013, Art. 3 Rn. 7).
Für die Kläger zu 1., 3. und 4. als Familienangehörige im Sinn von Art. 2 Buchst. g Dublin III-VO ergibt sich der Selbsteintritt aus den unionsrechtlichen Vorschriften zum Schutz von Ehe und Familie (Art. 7 GR-Charta, Art. 11 Dublin III-VO).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG.
Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. ZPO.
Die Revision war nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat. Die Frage, ob die drohende Verschlechterung des Gesundheitszustands ein triftiger ermessensleitender Gesichtspunkt bei der Prüfung des Selbsteintritts ist und ob sich der Betroffene hierauf berufen kann, ist in der höchstrichterlichen Rechtsprechung noch nicht geklärt (vgl. Berlit, Anmerkung vom 16.6.2014 zu BVerwG, B.v. 19.3.2014 - 10 B 6.14 - jurisPR-BVerwG 12/2014 Anm. 3).