Bayerischer Verfassungsgerichtshof Entscheidung, 17. Nov. 2015 - Vf 32-VI/15

bei uns veröffentlicht am17.11.2015

Gericht

Bayerischer Verfassungsgerichtshof

Gründe

Bayerischer Verfassungsgerichtshof

Vf. 32-VI-15

Entscheidung

vom 17. November 2015

Der Bayerische Verfassungsgerichtshof

erlässt in dem Verfahren

über die Verfassungsbeschwerde

des Herrn A. W. in M.,

Bevollmächtigter: Rechtsanwalt A. W. in M.,

gegen die Untätigkeit des Oberlandesgerichts München im Verfahren 2 AR 26/15 Aktenzeichen: Vf. 32-VI-15

durch die Richterinnen und Richter Küspert, Koch, Dr. Borgmann, Hilzinger, Dr. Weiß B., Dr. Weiß M., Dr. Kössinger, König-Rothemund, Prof. Dr. Lorenz ohne mündliche Verhandlung in der nichtöffentlichen Sitzung vom 17. November 2015 folgende Entscheidung:

1. Die Verfassungsbeschwerde wird abgewiesen.

2. Dem Beschwerdeführer wird eine Gebühr von 1.500 € auferlegt.

Gründe:

I.

Mit seiner am 15. April 2015 eingegangenen Verfassungsbeschwerde wendet sich der Beschwerdeführer dagegen, dass das Oberlandesgericht München auf vier von ihm gestellte Anträge, die Staatsanwaltschaft München I zur Einleitung von Ermittlungsverfahren zu verpflichten, nicht tätig geworden sei und ihm lediglich mit Schreiben vom 12. März 2015 Az. 2 AR 26/15 mitgeteilt habe, dass für das „beantragte förmliche Ermittlungsverfahren bezüglich der beschuldigten Verfassungsrichter Dr. Huber, Kersten, Dr. Heßler, Koch, Prof. Dr. Buchner und Andere jegliche Rechtsgrundlage fehlt, da bislang - soweit erkennbar - noch nicht einmal eine Einstellungsverfügung nach § 170 II bzw. § 152 II StPO, geschweige denn ein Beschwerdebescheid ergangen sind“.

Mit Antragsschriften vom 24. November 2014, 29. Januar 2015, 2. Februar 2015 und 3. März 2015 beantragte der Beschwerdeführer beim Oberlandesgericht München, die Staatsanwaltschaft München I zur Einleitung von Ermittlungsverfahren und zur Aufklärung strafrechtlicher Vorwürfe gegen mehrere Richter des Oberlandesgerichts München, eine Oberstaatsanwältin der Staatsanwaltschaft München I und mehrere Richter des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs wegen Rechtsbeugung bzw. versuchter Strafvereitelung zu verpflichten, nachdem die Staatsanwaltschaft auf seine Strafanzeigen gegen diese Personen seit zwei Monaten untätig geblieben sei. Die angezeigten Personen hätten sich bei der Einstellung von Ermittlungsverfahren und bei der Entscheidung im nachfolgenden Klageerzwingungsverfahren, bei der Entscheidung über ein Ablehnungsgesuch und der Zurückweisung der Berufung in einem Amtshaftungsprozess sowie bei der Entscheidung über eine von ihm erhobene Verfassungsbeschwerde gegen die Zurückweisung eines Klageerzwingungsantrags in willkürlicher Weise einer Auseinandersetzung mit den von ihm vorgetragenen sachlichen Argumenten entzogen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts habe er einen Anspruch auf effektive Strafverfolgung, wenn der Vorwurf im Raum stehe, dass Amtsträger bei der Wahrnehmung hoheitlicher Aufgaben Straftaten begangen hätten.

Hintergrund der Strafanzeigen ist ein Zivilprozess, in dem das Landgericht München I eine Schadensersatzklage des Beschwerdeführers, eines Rechtsanwalts, abwies, die dieser zunächst für seine Schwester und beider Mutter, nach deren Tod auch als Miterbe zusammen mit seiner Schwester in eigener Sache betrieben hatte. Der Beschwerdeführer ist der Auffassung, der zuständige Richter habe sich bei dem Urteil vom 16. August 2010 Az. 34 O 20011/08 der Rechtsbeugung zum Nachteil des Beschwerdeführers schuldig gemacht.

Auf mehrere Nachfragen beschied das Oberlandesgericht München den Beschwerdeführer mit dem eingangs wiedergegebenen Schreiben vom 12. März 2015.

II.

1. Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung seines Anspruchs auf effektiven Rechtsschutz gemäß Art. 19 Abs. 4 GG, Art. 6 Abs. 1 EMRK.

Seine Anträge an das Oberlandesgericht seien als Klageerzwingungsverfahren nach §§ 172 ff. StPO in entsprechender Anwendung von § 75 VwGO zulässig. Gemäß der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 6. Oktober 2014 Az. 2 BvR 1568/12 habe er einen echten Rechtsanspruch auf Strafverfolgung gegen Dritte, wenn es um Straftaten von Amtsträgern bei Ausübung eines ihnen anvertrauten öffentlichen Amts gehe. Jedenfalls hätte das Oberlandesgericht eine Entscheidung treffen müssen.

Die Untätigkeit des Oberlandesgerichts verletze als Verweigerung des Rechtsschutzes die in Art. 19 Abs. 4 GG, Art. 6 Abs. 1 EMRK enthaltene Rechtsschutzgarantie. Sobald sich ein Bürger an ein Gericht wende, habe er einen grundrechtlich verbürgten Anspruch auf Entscheidung der Sache. Nach Art. 31, 142 GG seien die Grundrechte der Bundesrepublik Deutschland auch in Bayern gültig; sie bildeten einen Mindeststandard, den die Landesverfassungsgerichte in den Bundesländern umsetzen müssten. Deswegen sei auch die Angabe der Normen des Grundgesetzes und der Europäischen Menschenrechtskonvention ausreichend.

2. Das Bayerische Staatsministerium der Justiz hält die Verfassungsbeschwerde für unzulässig, weil keine Verletzung von Grundrechten der Bayerischen Verfassung gerügt werde. Der Anspruch auf gerichtlichen Rechtsschutz sei zwar auch in Art. 3 BV verankert; das Rechtsstaatsprinzip stelle aber kein subjektives Recht dar, dessen Verletzung mit der Verfassungsbeschwerde gerügt werden könne. Das Schreiben des Oberlandesgerichts sei auch gar nicht geeignet, eine Rechtsverletzung herbeizuführen. Jedenfalls sei die Verfassungsbeschwerde unbegründet, weil Grundrechtsverstöße nicht erkennbar seien.

III.

Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig.

1. Gegenstand der Verfassungsbeschwerde kann auch ein Unterlassen sein, wenn die staatliche Stelle eine verfassungsrechtliche Pflicht zum Handeln hatte (vgl. Art. 51 Abs. 1 VfGHG). Inhalt einer solchen Pflicht kann auch das Gebot sein, anhängige Verfahren in angemessener Zeit zu entscheiden (Wolff in Lindner/Möstl/Wolff, Verfassung des Freistaates Bayern, 2009, Art. 120 Rn. 26).

2. Ob die Verfassungsbeschwerde bereits deshalb unzulässig ist, weil der Beschwerdeführer keine in der Bayerischen Verfassung gewährten Grundrechte als verletzt bezeichnet hat, kann ebenso dahinstehen wie die - vom Verfassungsgerichtshof bislang offen gelassene - Frage, ob die aus Art. 3 Abs. 1 BV hergeleitete Justizgewährungspflicht auch ein subjektives verfassungsmäßiges Recht auf effektiven Rechtsschutz im Sinn von Art. 120 BV begründet (vgl. VerfGH vom 29.1.2014 BayVBl 2014, 448 Rn. 44 m. w. N.).

Die Verfassungsbeschwerde ist jedenfalls mangels Erschöpfung des Rechtswegs (Art. 51 Abs. 2 Satz 1 VfGHG) unzulässig. Dabei ist es unerheblich, ob und nach Ablauf welcher Frist das Klageerzwingungsverfahren zulässig ist, wenn die Staatsanwaltschaft auf eine Anzeige untätig geblieben ist. Das Klageerzwingungsverfahren dient der Durchsetzung des Legalitätsprinzips (§ 152 Abs. 2 StPO), das grundsätzlich auch durch ein Untätigbleiben der Strafverfolgungsbehörden verletzt werden kann. Eine beschwerdefähige Einstellungsverfügung liegt daher auch vor, wenn eine vorläufige Verfahrenseinstellung auf eine endgültige hinausläuft, oder wenn die Staatsanwaltschaft endgültig untätig geblieben ist und das Ermittlungsverfahren damit stillschweigend eingestellt hat (Moldenhauer in Karlsruher Kommentar zur StPO, 7. Aufl. 2013, § 172 Rn. 6). Ob die Voraussetzungen dieser letzteren Fallgruppe gegeben sind, kann offenbleiben. Auf jeden Fall setzt ein Klageerzwingungsverfahren in solchen Fällen voraus, dass der Anzeigeerstatter zuvor versucht hat, durch Beschwerde bei der Generalstaatsanwaltschaft eine Entscheidung über die Fortführung oder den Abschluss der Ermittlungen zu erreichen. Denn der Antrag auf gerichtliche Entscheidung verlangt nach § 172 Abs. 1 und 2 StPO, dass zuvor auf Beschwerde des Antragstellers ein ablehnender Bescheid der Generalstaatsanwaltschaft ergangen ist.

Der Beschwerdeführer legt nicht dar, dass er eine solche Beschwerde eingelegthätte.

IV.

Es ist angemessen, dem Beschwerdeführer eine Gebühr von 1.500 € aufzuerlegen (Art. 27 Abs. 1 Satz 2 VfGHG).

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Referenzen - Gesetze

Bayerischer Verfassungsgerichtshof Entscheidung, 17. Nov. 2015 - Vf 32-VI/15 zitiert 7 §§.

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 19


(1) Soweit nach diesem Grundgesetz ein Grundrecht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt werden kann, muß das Gesetz allgemein und nicht nur für den Einzelfall gelten. Außerdem muß das Gesetz das Grundrecht unter Angabe des Artikels

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 75


Ist über einen Widerspruch oder über einen Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsakts ohne zureichenden Grund in angemessener Frist sachlich nicht entschieden worden, so ist die Klage abweichend von § 68 zulässig. Die Klage kann nicht vor Ablauf von d

Strafprozeßordnung - StPO | § 172 Beschwerde des Verletzten; Klageerzwingungsverfahren


(1) Ist der Antragsteller zugleich der Verletzte, so steht ihm gegen den Bescheid nach § 171 binnen zwei Wochen nach der Bekanntmachung die Beschwerde an den vorgesetzten Beamten der Staatsanwaltschaft zu. Durch die Einlegung der Beschwerde bei der S

Strafprozeßordnung - StPO | § 152 Anklagebehörde; Legalitätsgrundsatz


(1) Zur Erhebung der öffentlichen Klage ist die Staatsanwaltschaft berufen. (2) Sie ist, soweit nicht gesetzlich ein anderes bestimmt ist, verpflichtet, wegen aller verfolgbaren Straftaten einzuschreiten, sofern zureichende tatsächliche Anhaltspu

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 142


Ungeachtet der Vorschrift des Artikels 31 bleiben Bestimmungen der Landesverfassungen auch insoweit in Kraft, als sie in Übereinstimmung mit den Artikeln 1 bis 18 dieses Grundgesetzes Grundrechte gewährleisten.

Referenzen

(1) Soweit nach diesem Grundgesetz ein Grundrecht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt werden kann, muß das Gesetz allgemein und nicht nur für den Einzelfall gelten. Außerdem muß das Gesetz das Grundrecht unter Angabe des Artikels nennen.

(2) In keinem Falle darf ein Grundrecht in seinem Wesensgehalt angetastet werden.

(3) Die Grundrechte gelten auch für inländische juristische Personen, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind.

(4) Wird jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt, so steht ihm der Rechtsweg offen. Soweit eine andere Zuständigkeit nicht begründet ist, ist der ordentliche Rechtsweg gegeben. Artikel 10 Abs. 2 Satz 2 bleibt unberührt.

Ist über einen Widerspruch oder über einen Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsakts ohne zureichenden Grund in angemessener Frist sachlich nicht entschieden worden, so ist die Klage abweichend von § 68 zulässig. Die Klage kann nicht vor Ablauf von drei Monaten seit der Einlegung des Widerspruchs oder seit dem Antrag auf Vornahme des Verwaltungsakts erhoben werden, außer wenn wegen besonderer Umstände des Falles eine kürzere Frist geboten ist. Liegt ein zureichender Grund dafür vor, daß über den Widerspruch noch nicht entschieden oder der beantragte Verwaltungsakt noch nicht erlassen ist, so setzt das Gericht das Verfahren bis zum Ablauf einer von ihm bestimmten Frist, die verlängert werden kann, aus. Wird dem Widerspruch innerhalb der vom Gericht gesetzten Frist stattgegeben oder der Verwaltungsakt innerhalb dieser Frist erlassen, so ist die Hauptsache für erledigt zu erklären.

(1) Soweit nach diesem Grundgesetz ein Grundrecht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt werden kann, muß das Gesetz allgemein und nicht nur für den Einzelfall gelten. Außerdem muß das Gesetz das Grundrecht unter Angabe des Artikels nennen.

(2) In keinem Falle darf ein Grundrecht in seinem Wesensgehalt angetastet werden.

(3) Die Grundrechte gelten auch für inländische juristische Personen, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind.

(4) Wird jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt, so steht ihm der Rechtsweg offen. Soweit eine andere Zuständigkeit nicht begründet ist, ist der ordentliche Rechtsweg gegeben. Artikel 10 Abs. 2 Satz 2 bleibt unberührt.

Ungeachtet der Vorschrift des Artikels 31 bleiben Bestimmungen der Landesverfassungen auch insoweit in Kraft, als sie in Übereinstimmung mit den Artikeln 1 bis 18 dieses Grundgesetzes Grundrechte gewährleisten.

(1) Zur Erhebung der öffentlichen Klage ist die Staatsanwaltschaft berufen.

(2) Sie ist, soweit nicht gesetzlich ein anderes bestimmt ist, verpflichtet, wegen aller verfolgbaren Straftaten einzuschreiten, sofern zureichende tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen.

(1) Ist der Antragsteller zugleich der Verletzte, so steht ihm gegen den Bescheid nach § 171 binnen zwei Wochen nach der Bekanntmachung die Beschwerde an den vorgesetzten Beamten der Staatsanwaltschaft zu. Durch die Einlegung der Beschwerde bei der Staatsanwaltschaft wird die Frist gewahrt. Sie läuft nicht, wenn die Belehrung nach § 171 Satz 2 unterblieben ist.

(2) Gegen den ablehnenden Bescheid des vorgesetzten Beamten der Staatsanwaltschaft kann der Antragsteller binnen einem Monat nach der Bekanntmachung gerichtliche Entscheidung beantragen. Hierüber und über die dafür vorgesehene Form ist er zu belehren; die Frist läuft nicht, wenn die Belehrung unterblieben ist. Der Antrag ist nicht zulässig, wenn das Verfahren ausschließlich eine Straftat zum Gegenstand hat, die vom Verletzten im Wege der Privatklage verfolgt werden kann, oder wenn die Staatsanwaltschaft nach § 153 Abs. 1, § 153a Abs. 1 Satz 1, 7 oder § 153b Abs. 1 von der Verfolgung der Tat abgesehen hat; dasselbe gilt in den Fällen der §§ 153c bis 154 Abs. 1 sowie der §§ 154b und 154c.

(3) Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung muß die Tatsachen, welche die Erhebung der öffentlichen Klage begründen sollen, und die Beweismittel angeben. Er muß von einem Rechtsanwalt unterzeichnet sein; für die Prozeßkostenhilfe gelten dieselben Vorschriften wie in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten. Der Antrag ist bei dem für die Entscheidung zuständigen Gericht einzureichen.

(4) Zur Entscheidung über den Antrag ist das Oberlandesgericht zuständig. Die §§ 120 und 120b des Gerichtsverfassungsgesetzes sind sinngemäß anzuwenden.