Bayerisches Landessozialgericht Urteil, 19. Juli 2018 - L 7 AS 452/18

bei uns veröffentlicht am19.07.2018
vorgehend
Sozialgericht Landshut, S 16 AS 142/17, 25.04.2018

Gericht

Bayerisches Landessozialgericht

Tenor

I. Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Landshut vom 25. April 2018 - S 16 AS 142/17 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Streitig ist die Versagung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II.

Der 1965 geborene, alleinlebende Kläger und Berufungskläger (in der Folge: Kläger) bezog zunächst vom Beklagten und Berufungsbeklagten (in der Folge: Beklagter) Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Für die Zeit seit Februar 2013 ist der Leistungsanspruch des Klägers zwischen den Beteiligten in verschiedenen Verwaltungs- und Gerichtsverfahren streitig.

Auf den Leistungsantrag des Klägers aus dem Dezember 2016 versagte der Beklagte Leistungen mit Bescheid vom 12.1.2017 (Bl 1 789 der Beklagten-Akte). Dem hiergegen erhobenen Widerspruch des Klägers half der Beklagte ab (Bescheid vom 15.3.2017, Bl 1 807 der Beklagten-Akte). In der Folge lehnte der Beklagte die Bewilligung von Leistungen für die Zeit ab Dezember 2016 wegen nicht nachgewiesener Hilfebedürftigkeit ab (Bescheid vom 6.7.2017). Über den hiergegen erhobenen Widerspruch des Klägers ist nach Aktenlage bislang nicht entschieden worden.

Bereits am 15.3.2017 erhob der Kläger beim Sozialgericht Landshut Klage. Obwohl er Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vorgelegt habe, habe der Beklagte Leistungen versagt. Trotz mehrerer Widersprüche habe er von der Widerspruchsstelle noch nichts erhalten. Er bitte das Gericht, die Sperre und Versagung zurückzunehmen. Außerdem beantrage er Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in allen Fällen seit 2004.

Das Sozialgericht wies die Klage - nach entsprechender Anhörung der Beteiligten - mit Gerichtsbescheid vom 25.4.2018 ab. Die Klage sei unzulässig, da der Beklagte dem Widerspruch des Klägers gegen den Versagungsbescheid vom 12.1.2017 abgeholfen und den Versagungsbescheid aufgehoben habe. Die Ablehnung der Bewilligung von Leistungen durch den Bescheid vom 6.7.2017 sei nicht nach § 96 SGG Gegenstand des Verfahrens geworden. Das Begehren des Klägers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sei an den Beklagten weitergeleitet worden.

Der Kläger erhob am 22.5.2018 gegen den ihm 26.4.2018 zugestellten Gerichtsbescheid Berufung.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Landshut vom 25.4.2018 sowie den Bescheid des Beklagten vom 12.1.2017 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die vom Beklagten und dem Sozialgericht Landshut beigezogenen Akten sowie die Akte zum Berufungsverfahren verwiesen.

Gründe

Die zulässige Berufung ist nicht begründet, da das Sozialgericht die Klage zu Recht als unzulässig abgewiesen hat. Die Klage gegen den Versagungsbescheid vom 12.1.2017 ist mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig.

1. Der Senat hat in Abwesenheit der Beteiligten verhandeln und entscheiden können, da diese in der Terminmitteilung auf diese Möglichkeit hingewiesen wurden.

2. Ein Rechtsschutzbedürfnis ist dann nicht gegeben, wenn kein Bedürfnis (mehr) für die Anrufung des Gerichts besteht. So ist es hier. Der vom Kläger mit der Klage angegriffene Bescheid vom 12.1.2017 hat sich nach § 39 Abs. 2 SGB X erledigt, weil ihn der Beklagte mit Abhilfebescheid vom 15.3.2017 aufgehoben hat. Damit hat der Kläger das ausdrückliche Ziel seiner Klage, die Aufhebung des Versagungsbescheides vom 12.1.2017, erreicht. Einer weiteren Handlung des Gerichts bedurfte es damit nicht (mehr). Das Rechtsschutzbedürfnis der Klage gegen den Bescheid vom 12.1.2017 war entfallen und die Klage als unzulässig abzuweisen.

3. Das Sozialgericht ist in der Folge auch zu Recht davon ausgegangen, dass der Ablehnungsbescheid vom 6.7.2017 nicht Gegenstand des Verfahrens geworden ist.

a) Der Bescheid vom 6.7.2017 ist nicht kraft Gesetzes nach § 96 SGG Gegenstand des Klageverfahrens geworden.

aa) Nach § 96 SGG wird ein neuer Verwaltungsakt nur dann Gegenstand des Klageverfahrens, wenn er nach Erlass des Widerspruchsbescheides ergangen ist und den angefochtenen Verwaltungsakt abändert oder ersetzt. Geändert oder ersetzt wird ein Bescheid immer, wenn er denselben Streitgegenstand wie der Ursprungsbescheid betrifft, bzw wenn in dessen Regelung eingegriffen und damit die Beschwer des Betroffenen vermehrt oder vermindert wird (vgl nur B. Schmidt in Meyer-Ladewig ua, SGG, 12. Aufl 2017, § 96 RdNr. 4 ff mwN).

bb) Der Versagungsbescheid vom 12.1.2017 und der Ablehnungsbescheid vom 6.7.2017 betreffen nicht denselben Streitgegenstand (zur Abgrenzung Ablehnung - Versagung vgl BSG, Urteil vom 10. März 1993 - 14b/4 REg 1/91 - RdNr. 14 f zitiert nach juris), so dass der Ablehnungsbescheid bereits aus diesem Grund nicht Gegenstand des Verfahrens gegen den Versagungsbescheid werden konnte. Denn während der Ablehnungsbescheid den materiell-rechtlichen Leistungsanspruch des Klägers regelt, trifft der Versagungsbescheid vom 12.1.2017 über die Voraussetzungen des Leistungsanspruchs selbst gerade keine Entscheidung, es kommt also nicht zu einer Prüfung der materiell-rechtlichen Anspruchsvoraussetzungen. Vielmehr wird die Versagungsentscheidung nach dem Durchlaufen des in den §§ 60 ff. SGB I vorgesehenen Verfahrens allein darauf gestützt, dass die Voraussetzungen des § 66 SGB I wegen fehlender Mitwirkung vorliegen. Folglich bleibt das Stammrecht auf die Leistung erhalten (vgl Voelzke in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB I, Stand: 15.3.2018, § 66 RdNr. 58).

b) Auch anderweitige Anhaltspunkte für eine Klageänderung zB durch eine entsprechende Prozesserklärung des Klägers bestehen nicht.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

5. Gründe, die Revision zuzulassen, sind nicht ersichtlich.

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Referenzen - Gesetze

Bayerisches Landessozialgericht Urteil, 19. Juli 2018 - L 7 AS 452/18 zitiert 7 §§.

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 193


(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen ha

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 96


(1) Nach Klageerhebung wird ein neuer Verwaltungsakt nur dann Gegenstand des Klageverfahrens, wenn er nach Erlass des Widerspruchsbescheides ergangen ist und den angefochtenen Verwaltungsakt abändert oder ersetzt. (2) Eine Abschrift des neuen Ver

Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - - SGB 10 | § 39 Wirksamkeit des Verwaltungsaktes


(1) Ein Verwaltungsakt wird gegenüber demjenigen, für den er bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird, in dem Zeitpunkt wirksam, in dem er ihm bekannt gegeben wird. Der Verwaltungsakt wird mit dem Inhalt wirksam, mit dem er bekannt gegeben wird.

Sozialgesetzbuch (SGB) Erstes Buch (I) - Allgemeiner Teil - (Artikel I des Gesetzes vom 11. Dezember 1975, BGBl. I S. 3015) - SGB 1 | § 66 Folgen fehlender Mitwirkung


(1) Kommt derjenige, der eine Sozialleistung beantragt oder erhält, seinen Mitwirkungspflichten nach den §§ 60 bis 62, 65 nicht nach und wird hierdurch die Aufklärung des Sachverhalts erheblich erschwert, kann der Leistungsträger ohne weitere Ermittl

Referenzen

(1) Nach Klageerhebung wird ein neuer Verwaltungsakt nur dann Gegenstand des Klageverfahrens, wenn er nach Erlass des Widerspruchsbescheides ergangen ist und den angefochtenen Verwaltungsakt abändert oder ersetzt.

(2) Eine Abschrift des neuen Verwaltungsakts ist dem Gericht mitzuteilen, bei dem das Verfahren anhängig ist.

(1) Ein Verwaltungsakt wird gegenüber demjenigen, für den er bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird, in dem Zeitpunkt wirksam, in dem er ihm bekannt gegeben wird. Der Verwaltungsakt wird mit dem Inhalt wirksam, mit dem er bekannt gegeben wird.

(2) Ein Verwaltungsakt bleibt wirksam, solange und soweit er nicht zurückgenommen, widerrufen, anderweitig aufgehoben oder durch Zeitablauf oder auf andere Weise erledigt ist.

(3) Ein nichtiger Verwaltungsakt ist unwirksam.

(1) Nach Klageerhebung wird ein neuer Verwaltungsakt nur dann Gegenstand des Klageverfahrens, wenn er nach Erlass des Widerspruchsbescheides ergangen ist und den angefochtenen Verwaltungsakt abändert oder ersetzt.

(2) Eine Abschrift des neuen Verwaltungsakts ist dem Gericht mitzuteilen, bei dem das Verfahren anhängig ist.

(1) Kommt derjenige, der eine Sozialleistung beantragt oder erhält, seinen Mitwirkungspflichten nach den §§ 60 bis 62, 65 nicht nach und wird hierdurch die Aufklärung des Sachverhalts erheblich erschwert, kann der Leistungsträger ohne weitere Ermittlungen die Leistung bis zur Nachholung der Mitwirkung ganz oder teilweise versagen oder entziehen, soweit die Voraussetzungen der Leistung nicht nachgewiesen sind. Dies gilt entsprechend, wenn der Antragsteller oder Leistungsberechtigte in anderer Weise absichtlich die Aufklärung des Sachverhalts erheblich erschwert.

(2) Kommt derjenige, der eine Sozialleistung wegen Pflegebedürftigkeit, wegen Arbeitsunfähigkeit, wegen Gefährdung oder Minderung der Erwerbsfähigkeit, anerkannten Schädigungsfolgen oder wegen Arbeitslosigkeit beantragt oder erhält, seinen Mitwirkungspflichten nach den §§ 62 bis 65 nicht nach und ist unter Würdigung aller Umstände mit Wahrscheinlichkeit anzunehmen, daß deshalb die Fähigkeit zur selbständigen Lebensführung, die Arbeits-, Erwerbs- oder Vermittlungsfähigkeit beeinträchtigt oder nicht verbessert wird, kann der Leistungsträger die Leistung bis zur Nachholung der Mitwirkung ganz oder teilweise versagen oder entziehen.

(3) Sozialleistungen dürfen wegen fehlender Mitwirkung nur versagt oder entzogen werden, nachdem der Leistungsberechtigte auf diese Folge schriftlich hingewiesen worden ist und seiner Mitwirkungspflicht nicht innerhalb einer ihm gesetzten angemessenen Frist nachgekommen ist.

(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.

(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.

(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.

(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.