Bayerisches Landessozialgericht Urteil, 28. Sept. 2016 - L 2 P 52/15

bei uns veröffentlicht am28.09.2016
nachgehend
Bundessozialgericht, B 3 P 12/17 B, 05.04.2017

Gericht

Bayerisches Landessozialgericht

Tenor

I.

Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 28. August 2015 wird zurückgewiesen.

II.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Zwischen den Parteien sind streitig Leistungen der Pflegestufe III der gesetzlichen Pflegeversicherung nach dem Elften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI).

Der 1944 geborene Kläger leidet an verschiedenen Gebrechen, u. a. einem Zustand nach Nierenzell-Karzinom-Operation links in 2014, einer Gehbehinderung, einem sehr schlecht eingestellten Diabetes mellitus, sowie verschiedenen Erkrankungen des Bewegungsapparates, vor allem aber auch an einer geistigen Erkrankung, und zwar entweder einer Demenz oder einer Schizophrenie bzw. Depression mit beginnenden schizophrenen Zügen.

Seit dem 01.12.2009 bezieht der Kläger Leistungen der Pflegestufe II. Am 16.05.2012 stellte er einen Höherstufungsantrag.

Die Begutachtung durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung in Bayern (MDK) vom 21.05.2013 ergab einen Grundpflegebedarf von 156 Minuten täglich. Daraufhin lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 27.05.2013 den Höherstufungsantrag ab. Auf den dagegen eingelegten Widerspruch hin veranlasste die Beklagte eine erneute Begutachtung durch den MDK mit Hausbesuch. Der MDK ermittelte in seinem Gutachten vom 13.09.2013 weiterhin nur einen Grundpflegebedarf von 158 Minuten, traf aber darüber hinaus die Feststellung, dass die Alltagskompetenz in erheblichem Maße eingeschränkt sei.

Mit Bescheid vom 24.09.2013 bewilligte die Beklagte zusätzliche Betreuungsleistungen von bis zu 100 EUR pro Monat ab dem 01.09.2013.

Am 11.11.2013 beantragte der Kläger zur Niederschrift des Sozialgerichts München die Anerkennung der Pflegestufe III ab März 2013.

Eine Begutachtung durch den MDK vom 09.07.2014 ergab einen Grundpflegebedarf von 137 Minuten täglich.

Mit Bescheid vom 16.07.2014 teilte die Beklagte dem Kläger unter Bezugnahme auf dessen Schreiben vom 04.07.2013 mit, dass Schwerstpflegebedürftigkeit nicht bestehe.

Gegen den Bescheid vom 16.07.2014 erhob der Kläger am 21.08.2014 beim Sozialgericht (SG) München Klage.

Mit Widerspruchsbescheid vom 05.11.2014 wies die Beklagte den am 04.07.2013 gegen den Bescheid vom 27.05.2013 eingelegten Widerspruch als zulässig, aber unbegründet zurück.

Das SG bestellte den Arbeits- und Sozialmediziner Dr. H. zum Sachverständigen, der in seinem Gutachten vom 11.04.2015, das unter Heranziehung einer Dolmetscherin für Bosnisch mit Hausbesuch erstellt worden war, einen Grundpflegebedarf von 191 Minuten täglich sowie eine in erhöhtem Maße eingeschränkte Alltagskompetenz ermittelte.

Aufgrund dieses Gutachtens bewilligte die Beklagte mit Bescheid vom 26.05.2015 zusätzliche Betreuungsleistungen von bis zu 200 EUR monatlich ab dem 01.04.2013.

Das SG hat mit Gerichtsbescheid vom 28.08.2015 (Az. S 12 P 228/15) die Klage abgewiesen.

Der Kläger gegen den Gerichtsbescheid, der ihm am 03.09.2015 zugestellt worden war, am 17.09.2015 beim Bayerischen Landessozialgericht (LSG) Berufung eingelegt.

Zur Begründung der Berufung hat der Kläger trotz mehrfacher Aufforderung durch das Gericht lediglich vorgebracht, dass die Ausführungen seiner Ehefrau gegenüber dem Sachverständigen Dr. H. falsch übersetzt worden seien.

Der Senat hat mit Beschluss vom 14.06.2016 die Berufung dem Berichterstatter übertragen.

Der Kläger beantragt, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 28.08.2015 und den Bescheid der Beklagten vom 27.05.2013, den weiteren Bescheid vom 16.07.2014 und den Widerspruchsbescheid vom 05.11.2014 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger Pflegegeld der Pflegestufe III ab dem 01.05.2012 zu erbringen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf die Prozessakten beider Rechtszüge sowie auf die beigezogene Akte der Beklagten verwiesen.

Gründe

Die Berufung ist zulässig, insbesondere wurde sie form- und fristgerecht eingelegt (§§ 105 Abs. 2 Satz 1, 143, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG). Die Berufung bedarf gemäß § 144 SGG keiner Zulassung.

Die Berufung ist unbegründet. Zu Recht hat das SG die Klage abgewiesen. Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.

Die Klage ist zulässig als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage gemäß § 54 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 4 SGG gegen den Ablehnungsbescheid vom 27.05.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.04.2014. Der Bescheid vom 16.07.2014 ist gemäß § 86 SGG Gegenstand des Verfahrens geworden.

Die Klage ist nicht begründet. Die Voraussetzungen der Pflegestufe III lagen im gesamten streitgegenständlichen Zeitraum vom 01.05.2012 bis zur mündlichen Verhandlung nicht vor. Erforderlich wäre zur Zuerkennung der Pflegestufe III nach den §§ 14,15 SGB XI ein Grundpflegebedarf von mindestens 240 Minuten. Festgestellt wurde jedoch in den Gutachten des MDK Bayern ein Grundpflegebedarf von nur 156 bzw. 158 bzw. 137 Minuten. Das Sachverständigengutachten des Dr. H. hat einen Grundpflegebedarf von 191 Minuten täglich ermittelt. Dieses Gutachten ist höchst sorgfältig erstellt, berücksichtigt die Begutachtungs-Richtlinien und ist in jeder Hinsicht schlüssig. Das Gericht hat den Kläger bzw. dessen Ehefrau mehrfach darüber aufgeklärt, dass substantielle Einwände gegen konkrete Feststellungen des Sachverständigengutachtens vorgebracht werden müssten, um das Vertrauen in die Richtigkeit dieses Gutachtens zu erschüttern und eventuell Anlass für weitere Ermittlungen zu geben. Der Kläger hat insoweit jedoch lediglich vorgebracht, dass bei der Begutachtung durch Dr. H. die Dolmetscherin für die bosnische Sprache nicht korrekt übersetzt habe. Dieses Vorbringen ist jedoch nicht glaubhaft. Dr. H. schildert in seinem Gutachten ausführlich die Schwierigkeiten, sich mithilfe der Dolmetscherin mit der Ehefrau des Klägers zu verständigen. Dabei lagen, was aus dem Gutachten klar hervorgeht, die Schwierigkeiten nicht bei der Übersetzung selbst, sondern darin, dass die Ehefrau des Klägers immer wieder vom Thema abschweifte und in ihrem Redefluss kaum zu stoppen war. Dieselbe Beobachtung wurde vom Gericht in der mündlichen Verhandlung gemacht. Rein in sprachlicher Hinsicht war dabei eine Verständigung mit der Ehefrau auf Deutsch, wenn auch etwas mühsam, möglich. Der Kläger hat auch in keiner Weise vorgebracht, welche seiner Aussagen bzw. welche Aussagen seiner Ehefrau falsch übersetzt worden seien und welche Aussagen richtig wären. Insofern ist der pauschale Hinweis auf angebliche Übersetzungsfehler in keiner Weise geeignet, die Überzeugung des Senats von der Richtigkeit des Gutachtens des Dr. H. zu erschüttern.

Gemäß § 153 Abs. 5 SGG konnte der Senat in der Besetzung durch den Berichterstatter als Vorsitzenden und zwei ehrenamtliche Richter entscheiden, weil die erstinstanzliche Entscheidung durch Gerichtsbescheid ergangen war und der Senat durch Beschluss vom 14.06.2016 die Berufung auf den Berichterstatter übertragen hatte.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision ist nicht zuzulassen, da weder die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat noch das Urteil von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG).

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Referenzen - Gesetze

Bayerisches Landessozialgericht Urteil, 28. Sept. 2016 - L 2 P 52/15 zitiert 7 §§.

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 193


(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen ha

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 144


(1) Die Berufung bedarf der Zulassung in dem Urteil des Sozialgerichts oder auf Beschwerde durch Beschluß des Landessozialgerichts, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 1. bei einer Klage, die eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hier

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 153


(1) Für das Verfahren vor den Landessozialgerichten gelten die Vorschriften über das Verfahren im ersten Rechtszug mit Ausnahme der §§ 91, 105 entsprechend, soweit sich aus diesem Unterabschnitt nichts anderes ergibt. (2) Das Landessozialgericht

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 86


Wird während des Vorverfahrens der Verwaltungsakt abgeändert, so wird auch der neue Verwaltungsakt Gegenstand des Vorverfahrens; er ist der Stelle, die über den Widerspruch entscheidet, unverzüglich mitzuteilen.

Referenzen

(1) Die Berufung bedarf der Zulassung in dem Urteil des Sozialgerichts oder auf Beschwerde durch Beschluß des Landessozialgerichts, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes

1.
bei einer Klage, die eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 750 Euro oder
2.
bei einer Erstattungsstreitigkeit zwischen juristischen Personen des öffentlichen Rechts oder Behörden 10.000 Euro
nicht übersteigt. Das gilt nicht, wenn die Berufung wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft.

(2) Die Berufung ist zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

(3) Das Landessozialgericht ist an die Zulassung gebunden.

(4) Die Berufung ist ausgeschlossen, wenn es sich um die Kosten des Verfahrens handelt.

Wird während des Vorverfahrens der Verwaltungsakt abgeändert, so wird auch der neue Verwaltungsakt Gegenstand des Vorverfahrens; er ist der Stelle, die über den Widerspruch entscheidet, unverzüglich mitzuteilen.

(1) Für das Verfahren vor den Landessozialgerichten gelten die Vorschriften über das Verfahren im ersten Rechtszug mit Ausnahme der §§ 91, 105 entsprechend, soweit sich aus diesem Unterabschnitt nichts anderes ergibt.

(2) Das Landessozialgericht kann in dem Urteil über die Berufung von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe absehen, soweit es die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurückweist.

(3) Das Urteil ist von den Mitgliedern des Senats zu unterschreiben. Ist ein Mitglied verhindert, so vermerkt der Vorsitzende, bei dessen Verhinderung der dienstälteste beisitzende Berufsrichter, dies unter dem Urteil mit Angabe des Hinderungsgrunds.

(4) Das Landessozialgericht kann, außer in den Fällen des § 105 Abs. 2 Satz 1, die Berufung durch Beschluß zurückweisen, wenn es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Die Beteiligten sind vorher zu hören. § 158 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(5) Der Senat kann in den Fällen des § 105 Abs. 2 Satz 1 durch Beschluss die Berufung dem Berichterstatter übertragen, der zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern entscheidet.

(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.

(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.

(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.

(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.