vorgehend
Sozialgericht Regensburg, S 2 SB 612/14, 13.01.2016

Gericht

Bayerisches Landessozialgericht

Tenor

I.

Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 13. Januar 2016 wird zurückgewiesen.

II.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Streitig ist, ob der Klägerin infolge einer Verschlechterung ihres gesundheitlichen Zustands anstelle eines Grads der Behinderung (GdB) von 20 gemäß § 69 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) ein solcher von 40 zusteht.

Die Klägerin ist im Jahr 1973 geboren. Erstmals wurde bei ihr mit Bescheid vom 23.05.2013 ein GdB von 20 festgestellt. Dem lagen folgende Gesundheitsstörungen zugrunde:

1. Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, degenerative Veränderungen, Nervenwurzelreizerscheinungen, Wirbelgleiten (Einzel-GdB 20)

2. Mittelnervendruckschädigung beidseits (Carpaltunnelsyndrom) (Einzel-GdB 10).

Am 17.04.2014 beantragte die Klägerin die Erhöhung des GdB auf wenigstens 50. Sie begründete dies damit, dass ein neuer Bandscheibenvorfall im Bereich der LWS und neue Bandscheibenvorfälle im Bereich der HWS vorlägen. Dem Beklagten wurden diverse medizinische Unterlagen vorgelegt, neben Berichten über Kernspintomographien aller drei Abschnitte der Wirbelsäule auch ein Abschlussbericht des Klinikums Bad A. vom 20.09.2013, in dem sich die Klägerin vom 10. bis 20.09.2013 zur stationären Behandlung aufgehalten hatte.

Mit Bescheid vom 10.06.2014 lehnte es der Beklagte nach Auswertung der medizinischen Unterlagen durch seinen versorgungsärztlichen Dienst ab, eine Neufeststellung nach § 69 SGB IX zu treffen, da sich in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen keine wesentliche Änderung ergeben habe.

Dagegen erhob die Klägerin mit Schreiben vom 18.06.2014 Widerspruch und legte zur Begründung ein Attest ihres Hausarztes vom 17.06.2014 vor, wonach sie Läsionen in mehreren Wirbelsäulenabschnitten habe. Darüber hinaus bestünden eine Hashimoto-Erkrankung und eine zunehmende psychische Belastung mit Antriebshemmung, Stimmungstief und sozialem Rückzug.

Der versorgungsärztliche Dienst nahm am 01.07.2014 nach Aktenlage eine depressive Verstimmung mit einem Einzel-GdB von 10 an, was an der Höhe des Gesamt-GdB von 20 nichts ändere. Daraufhin wurde mit Widerspruchsbescheid vom 25.07.2014 der Widerspruch zurückgewiesen.

Gegen den Widerspruchsbescheid hat der anwaltliche Bevollmächtigte der Klägerin mit Schreiben vom 25.08.2014 zunächst „Widerspruch“ beim Beklagten und anschließend mit Schreiben vom 27.08.2014, eingegangen am selben Tag, Klage zum Sozialgericht (SG) Regensburg erhoben. Die Klage hat er damit begründet, dass die Würdigung des medizinischen Sachverhalts durch den Beklagten nicht nachvollziehbar sei. Die bei der Klägerin vorliegenden Einschränkungen und Beschwerden würden einen wesentlich höheren GdB bis hin zur Schwerbehinderteneigenschaft begründen. Die Krankheitsgeschichte der Klägerin sei imposant, wobei der Bevollmächtigte insofern auf die radiologischen Berichte hingewiesen hat. Bei der Klägerin lägen Wirbelsäulenschäden mit mindestens mittelgradigen funktionellen Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten vor, was einen GdB von 30 bis 40 zur Folge habe. Bezüglich der Hashimoto-Thyreoiditis erscheine eine weitere Sachaufklärung notwendig, die der Beklagte aber nicht durchgeführt habe. Der Hausarzt der Klägerin habe erstmals von Symptomen auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet berichtet. Insofern sei von einem GdB von mindestens 30 auszugehen. Das Carpaltunnelsyndrom sei für die Klägerin in hohem Maße belastend. Ein Einzel-GdB von 20 sei gerechtfertigt.

Nach Einholung von Befundberichten durch das SG hat im Auftrag des Gerichts der Chirurg Dr. S. am 09.01.2015 nach ambulanter Untersuchung der Klägerin ein Gutachten erstellt. Er ist darin zu der Einschätzung gekommen, dass keine wesentliche Änderung im Gesundheitszustand der Klägerin eingetreten und der GdB weiterhin mit 20 zu bewerten sei.

Anschließend hat die Ärztin für Neurologie und Psychiatrie, Psychotherapie Dr. E. die Klägerin ambulant untersucht und begutachtet. In ihrem Gutachten vom 12.03.2015 ist sie ebenfalls zu der Einschätzung gekommen, dass sich eine wesentliche Änderung in den Verhältnissen nicht ergeben habe und der GdB nach wie vor 20 betrage. Die von der Klägerseite vorgetragenen Gesundheitsstörungen auf psychiatrischem Fachgebiet hat sie der Diagnose ICD-10 Z73 zugeordnet und mit einem Einzel-GdB von 10 bewertet.

Der Bevollmächtigte der Klägerin hat mit Schreiben vom 09.04.2015 am Gutachten der Dr. E. u. a. kritisiert, dass die Schilderung des Tagesablaufs offensichtlich ohne weitere Nachfragen erfolgt sei. Beim Gutachten des Dr. S. hat er bemängelt auf, dass dessen Ergebnisse eklatant von den vorliegenden Behandlungsunterlagen abweichen würden. Er hat zudem einen Antrag gemäß § 109 SGG gestellt.

Der gemäß § 109 SGG benannte orthopädische Sachverständige Dr. Sch. ist im Gutachten vom 15.07.2015 zu der Einschätzung gekommen, dass bei der Klägerin ein GdB von 40 vorliege. Er ist für die Wirbelsäule von einem Einzel-GdB von 30 ausgegangen und hat den Gesamt-GdB mit 40 festgestellt, da sich der psychiatrische Einzel-GdB von 10 mit den Auswirkungen der Wirbelsäulenbeschwerden summiere bzw. verstärke. Bezüglich der weiteren Gesundheitsstörungen hat er keine höheren Einzel-GdB als 10 gesehen.

Der Beklagte hat sich mit Schreiben vom 20.08.2015 und unter Vorlage einer versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 14.08.2015 gegen das Gutachten gewandt. Er hat vorgetragen, dass die klinischen Funktionsbefunde von HWS und BWS/LWS nur geringgradige Einschränkungen der HWS und nicht mehr als mittelgradige Einschränkungen der LWS beinhalten würden. Unter Berücksichtigung eines nicht symptomatischen Wirbelgleitens könne für die Wirbelsäule kein höherer GdB als 20 angesetzt werden.

Diese versorgungsärztliche Stellungnahme hat der Bevollmächtigte der Klägerin mit Schreiben vom 04.09.2015 als bloßes Parteivorbringen bezeichnet. Die Begutachtung durch Dr. E. sei nicht ausreichend und könne nicht Grundlage einer sozialgerichtlichen Entscheidung sein. Das Gutachten weise Mängel der psychiatrischen Anamnese, der Erhebung des Tagesablaufs und der fehlenden Klassifizierung nach den allgemein anerkannten ICD-10-Kriterien auf. Die Ausführungen des Dr. Sch. hingegen seien eindeutig und nachvollziehbar. Bezüglich des Carpaltunnelsyndroms lägen zwei völlig konträre nervenärztliche Stellungnahmen vor. Es seien unterschiedliche objektive Messungen durchgeführt worden, die zu unterschiedlichen Ergebnissen geführt hätten. Ohne weitergehende oder wiederholte ärztliche Untersuchungen könne nicht davon ausgegangen werden, dass eine Messung falsch, die andere aber richtig sei.

Mit Urteil vom 13.01.2016 hat das SG die Klage abgewiesen und sich dabei auf die Gutachten des Dr. S. und der Dr. E. gestützt.

Mit Schreiben vom 10.02.2016 hat der Bevollmächtigte der Klägerin Berufung eingelegt mit dem Ziel eines GdB von 40 ab Antragstellung. Er hat zur Begründung darauf hingewiesen, dass die Wirbelsäulenschäden mit einem GdB von 30 zu bewerten seien. In den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen (VG), Anlage zu § 2 der Versorgungsmedizin-Verordnung, habe der Verordnungsgeber die Bezeichnung Wirbelsäulensyndrome verwendet. Dabei handle es sich um eine undifferenzierte diagnostische Feststellung, die lediglich zur Voraussetzung habe, dass ein Patient Schmerzen im Bereich der Wirbelsäule habe. Es sei bekannt, dass Funktion und Beschwerden in der Medizin nicht immer miteinander korrelieren müssten und durchaus voneinander abweichen könnten. Selbst bei geringgradigen Funktionseinschränkungen sei somit keinesfalls ausgeschlossen, dass auch höhergradige Wirbelsäulensyndrome vorlägen. Der Gutachter Dr. Sch. habe eine abnorme Beweglichkeit zweier Wirbel gegeneinander unter physiologischer Belastung mit daraus resultierenden Veränderungen und Schmerzen beschrieben. Ein GdB von 20 sei dafür keinesfalls angemessen. Das Gutachten der Dr. E. werde den Anforderungen an ein sozialgerichtliches Gutachten nicht gerecht. Es würden in diesem Gutachten Feststellungen zum Ausprägungsgrad der Symptomatik nach ICD-10 und differenzialdiagnostische Erörterungen fehlen. Nicht einmal den gewöhnlichen Tagesablauf habe sich die Gutachterin durch die Klägerin schildern lassen, was mit einer ordnungsgemäßen Begutachtung nicht zu vereinbaren sei.

Mit gerichtlichem Schreiben vom 09.03.2016 ist der Klägerin die Sach- und Rechtslage erläutert und empfohlen worden, wegen fehlender Erfolgsaussichten die Berufung zurückzunehmen.

Der Bevollmächtigte der Klägerin hat sich dazu mit Schreiben vom 18.03.2016 dahingehend geäußert, dass die Beurteilung nur der funktionellen Einschränkungen der Wirbelsäule alleine für sich genommen nicht ausreichend sei. Die VG sprächen „zusätzlich“ auch vom Kriterium des Vorliegens von Wirbelsäulensyndromen. Diese seien nicht immer identisch mit neurologischen Schäden oder funktionellen Beeinträchtigungen. Am Gutachten der Dr. E. hat er nunmehr kritisiert, dass der Tagesablauf nicht ausreichend intensiv erhoben worden sei. Einer Sachverständigen, die im Rahmen der Differenzierung der Erkrankung und des Verlaufs noch nicht einmal die ICD-10-Kriterien benenne und bewerte, könne kein objektivierbares Ergebnis unterstellt werden. Es sei erstaunlich zu beobachten, dass in der sozialgerichtlichen Praxis häufig insbesondere auf psychiatrischem Gebiet Gutachten angefertigt würden, die sich über medizinische Grundsätze hinwegsetzen würden.

Die Klägerin beantragt,

den Beklagten unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Regensburg vom 13.01.2016 und des Bescheids vom 10.06.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25.07.2014 zu verpflichten, für die Klägerin ab Antragstellung einen GdB von 40 festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Senat hat die Akten des Beklagten und des SG Regensburg beigezogen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt dieser Akten und der Berufungsakte, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Gründe

Die Berufung ist zulässig, aber unbegründet.

Die Klägerin hätte einen Anspruch auf Neufeststellung des GdB gemäß § 48 SGB X i. V. m. § 69 Abs. 1 SGB IX, dieser wiederum i. V. m. den VG, nur dann, wenn sich eine wesentliche Änderung in den tatsächlichen (und/oder rechtlichen) Verhältnissen gegenüber dem Bescheid vom 23.05.2013, mit dem zuletzt bestandskräftig ein GdB von 20 festgestellt worden ist, ergeben hätte. Wesentlich ist eine Änderung dann, wenn sich daraus ein höherer GdB als bisher ergibt.

Eine solche wesentliche Änderung liegt nicht vor.

Soweit sich im Gesundheitszustand der Klägerin, wie er dem Bescheid vom 23.05.2013 zugrunde gelegen hat, bis heute eine Veränderung ergeben hat, handelt sich dabei nicht um eine wesentliche Änderung im Sinn von § 48 SGB X, da sich daraus eine Änderung der Höhe des GdB nicht ergibt.

Bei seiner Einschätzung stützt sich der Senat auf die im sozialgerichtlichen Verfahren eingeholten Gutachten des Chirurgen Dr. S. und der Neurologin und Psychiaterin Dr. E.. Beide Sachverständige sind dem Senat aus vielen Verfahren als sehr fachkundig und erfahren bekannt. Sie haben gründlich die gesamte Vorgeschichte, wie sie sich aus den Akten ergibt, in ihre Überlegungen einbezogen, äußerst sorgfältig alle für die Beurteilung erforderlichen Befunde erhoben und alles äußerst sorgfältig und in Übereinstimmung mit den Vorgaben der VG bewertet. Das orthopädische Gutachten des Dr. Sch. hingegen wird den Anforderungen an eine sozialmedizinische Begutachtung nicht gerecht; es leidet an erheblichen Mängeln und verstößt gegen Maßgaben der VG. Sofern der Bevollmächtigte der Klägerin gegen die überzeugenden Gutachten von Dr. S. und Dr. E. Einwendungen erhoben hat, sind diese nicht nachvollziehbar.

Im Einzelnen ist zu den bei der Klägerin vorliegenden Gesundheitsstörungen Folgendes festzuhalten:

* Wirbelsäule

Zwar sind bei der Klägerin radiologisch weitere Bandscheibenvorfälle im Bereich der LWS und der HWS neben dem bereits früher zugrunde gelegten Wirbelgleiten L5/S1 diagnostiziert worden. Irgendwelche funktionellen Auswirkungen, die über das hinausgehen, was dem Bescheid vom 23.05.2013 zugrunde gelegt worden ist, und die jetzt einen höheren GdB als 20 für die Wirbelsäule begründen könnten, sind aber nicht nachgewiesen.

Die VG enthalten in Teil B, Nr. 18.9 für Wirbelsäulenschäden u. a. GdB-Werte für folgende Konstellationen:

„Wirbelsäulenschäden

...

- mit mittelgradigen funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt (Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität mittleren Grades, häufig rezidivierende und über Tage andauernde Wirbelsäulensyndrome) - GdB 20

- mit schweren funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt (Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität schweren Grades, häufig rezidivierende und Wochen andauernde ausgeprägte Wirbelsäulensyndrome) - GdB 30

- mit mittelgradigen bis schweren funktionellen Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten - GdB 30 bis 40

Anhaltende Funktionsstörungen infolge Wurzelkompression mit motorischen Ausfallerscheinungen - oder auch die intermittierenden Störungen bei der Spinalkanalstenose - sowie Auswirkung auf die inneren Organe (z. B. Atemfunktionsstörung) sind zusätzlich zu berücksichtigen.

Bei außergewöhnlichen Schmerzsyndromen kann auch ohne nachweisbare neurologische Ausfallerscheinungen ein GdS über 30 in Betracht kommen.“

Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben haben die gerichtlichen Sachverständigen Dr. S. und Dr. E. zutreffend einen GdB von 20 angenommen. Diese überzeugend begründete Einschätzung der Sachverständigen macht sich der Senat zu eigen.

Die bei der Klägerin vorliegenden funktionellen Einschränkungen im Bereich der Wirbelsäule sind im Bereich der HWS nur gering, im Bereich der LWS mittelgradig ausgeprägt; im Bereich der BWS liegen keinerlei funktionelle Einschränkungen vor. Dies ergibt sich zweifelsfrei aus dem vom Sachverständigen Dr. S. wie folgt beschriebenen und durch die Messwerte für die Wirbelsäule bestätigten Befund der Wirbelsäule: Muskulatur mittelkräftig ausgeprägt und nicht druckschmerzhaft, nur im Schulterbereich und linksseitig an der HWS druckschmerzhafte Muskelverspannungen, HWS in der Beweglichkeit allenfalls endgradig eingeschränkt, Bewegungen nicht schmerzhaft, in der unteren Wirbelsäule altersgemäß recht gute Beweglichkeit, aktive Bewegungen nicht schmerzhaft. Dies entspricht dem Befund, wie er im Entlassungsbericht der orthopädischen Klinik Bad A. zum stationären Aufenthalt im September 2013 wie folgt angegeben worden ist: reizlose Weichteilverhältnisse und keine lokale Druckschmerzhaftigkeit in der LWS, Finger-Boden-Abstand 0 cm, keine Sensibilitätsstörung, keine Paresen, Kraftgrad 5/5 sämtlicher Muskulatur der unteren Extremitäten, Hüften in der Bewegung komplett unauffällig. Das bei der Klägerin radiologisch nachgewiesene Wirbelgleiten, dass einer Instabilität am lumbosakralen Übergang entspricht, ist weitgehend symptomlos, kann aber die von der Klägerin beschriebenen lokalen Lendenwirbelsäulensyndrome und eine gelegentliche Schmerzausstrahlung erklären.

Hinweise für ein Nervenkompressionssyndrom, eine radikuläre Kompression oder neurologische Ausfälle haben bei den Begutachtungen nicht festgestellt werden können, wobei insbesondere die neurologische Sachverständige diesem Gesichtspunkt eingehend nachgegangen ist.

Dass bei der Klägerin radiologisch durchaus nicht unerhebliche degenerative Veränderungen insbesondere in Form von Bandscheibenvorfällen und einem Wirbelgleiten nachgewiesen sind, ändert an dieser Einschätzung nichts. Denn entscheidend sind allein die funktionellen Einschränkungen, nicht aber radiologische Befunde (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 23.11.2011, Az.: L 13 SB 111/08; Bayer. LSG, Urteile vom 05.02.2013, Az.: L 15 SB 23/10, und vom 16.11.2015, Az.: L 15 SB 13/15).

Sofern der Gutachter Dr. Sch. für die Wirbelsäule von einem Einzel-GdB von 30 ausgegangen ist, ist diese Einschätzung nicht haltbar. Wenn dieser Sachverständige zumindest mittelgradige funktionelle Auswirkungen nicht nur im Bereich der LWS, sondern auch der HWS angenommen hat, missachtet er, dass im Bereich der HWS so gut wie keine funktionellen Auswirkungen feststellbar gewesen und auch von ihm selbst nicht beschrieben worden sind. So hat er eine nahezu freie Beweglichkeit der HWS dokumentiert, was sich auch aus dem von ihm beigelegten Messblatt für die Wirbelsäule ergibt. Ein neurologisches Defizit hat auch er in den Extremitäten nicht feststellen können. Lediglich im Bereich der linken Schulter hat er eine Verspannung der Muskulatur beschrieben. Wie der Sachverständige insofern von einer „schweren Beeinträchtigung der Halswirbelsäule“ (S. 10 seines Gutachtens) bzw. von „zumindest mittelgradigen funktionellen Auswirkungen“ (S. 11 des Gutachtens) ausgehen kann, ist nicht nachvollziehbar und steht in eklatantem Widerspruch zu den Vorgaben in den VG. Offenbar begründet der Sachverständige den von ihm angenommenen Einzel-GdB von 30 entscheidend mit den radiologischen Veränderungen, die sich aber nicht in funktionellen Auswirkungen oder neurologischen Schäden, die weder er noch die neurologische Gutachterin festgestellt haben, niedergeschlagen haben.

Sofern der Bevollmächtigte der Klägerin am Gutachten des Dr. S. kritisiert, dass dessen Ergebnisse eklatant von den Behandlungsunterlagen abweichen würden, ist dies falsch. Die Behauptung des Bevollmächtigten ist vielmehr zweifelsfrei durch den Abschlussbericht aus der Klinik Bad A. widerlegt, in dem weitgehend identische funktionelle Befunde dargestellt worden sind, wie sie auch der Sachverständige erhoben hat.

Nicht in Übereinstimmung mit den rechtlichen Vorgaben der VG steht es, wenn der Bevollmächtigte der Klägerin unter Hinweis auf den in den VG verwendeten Begriff „Wirbelsäulensyndrome“ zu begründen versucht, dass funktionelle Einschränkungen allein für sich genommen nicht ausreichend, aber auch nicht erforderlich seien für die Einschätzung der Höhe des GdB bei Wirbelsäulenschäden. Denn wie den Formulierungen in den VG zur Beurteilung von Wirbelsäulenschäden (vgl. dort Teil B Nr. 18.9) zu entnehmen ist, kommt es entscheidend auf die „funktionellen Auswirkungen“ an. Der Bevollmächtigte übersieht dabei auch, dass sich der GdB primär aus dem Ausmaß der Bewegungseinschränkung, der Wirbelsäulenverformung und Instabilität sowie aus der Anzahl der betroffenen Wirbelsäulenabschnitte ergibt (vgl. VG Teil B Nr. 18.9 erster Absatz). Das Vorliegen von Wirbelsäulensyndromen ist dabei nur ein Kriterium unter mehreren, wie der Umfang der funktionellen Auswirkungen zu bestimmen ist. Es stellt aber, anders als dies der Bevollmächtigte der Klägerin glauben machen will, kein von den funktionellen Einschränkungen unabhängiges „zusätzliches“ Kriterium für die Bewertung des GdB dar. Im Übrigen haben die von Amts wegen beauftragten Sachverständigen in Übereinstimmung mit den Vorgaben der VG (vgl. dort Teil B Nr. 18.9 dritter Absatz) neben den an den Tagen der gutachtlichen Untersuchungen erhobenen weitgehend unauffälligen klinischen Befunden durchaus auch die vorliegenden Berichte der behandelnden Ärzte und Kliniken und die anamnestischen Angaben der Klägerin zum Auftreten von Wirbelsäulenbeschwerden berücksichtigt, wobei bei letzteren aber zu berücksichtigen ist, dass sich die Selbstbeurteilung der Schmerzbeeinträchtigung nach dem Ergebnis der testpsychologischen Untersuchung durch die Sachverständige Dr. E. im Grenzbereich zur Aggravation bewegt. Die von Amts wegen beauftragten Sachverständigen haben daher ihrer Einschätzung zum GdB das Vorliegen von Wirbelsäulensyndromen in Übereinstimmung mit den VG zugrunde gelegt und sind für die Wirbelsäule zu einem Einzel-GdB von 20 gekommen. Von „häufig auftretenden und über Tage andauernden Wirbelsäulensyndromen“ im Sinn der VG (vgl. dort Teil B Nr. 18.9 zu Wirbelsäulenschäden mit mittelgradigen funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt) kann allenfalls grenzwertig für den Bereich der LWS ausgegangen werden, wohingegen das chronische HWS-Syndrom mit so geringen funktionellen Auswirkungen verbunden ist, dass sich daraus kein höherer GdB als 20 für die (gesamte) Wirbelsäule ergeben kann, wie dies sowohl der von Amts wegen gehörte orthopädische Sachverständige als auch die neurologische Gutachterin festgestellt haben. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass bei keiner Begutachtung wirbelsäulenbedingte Nerven- oder Muskelreizerscheinungen feststellbar waren, wie sie die VG für sogenannte Wirbelsäulensyndrome voraussetzen (vgl. dort Teil B Nr. 18.9 zweiter Absatz). Der neurologische Befund der Wirbelsäule war bei allen gutachterlichen Untersuchungen völlig unauffällig. Allein mit dem Gesichtspunkt eines Wirbelsäulensyndroms, ohne dass reproduktive Funktionseinschränkungen feststellbar wären (vgl. Bruns, Begutachtung von Wirbelsäulenschäden nach dem Schwerbehindertengesetz, MedSach 1999, S. 75 f.), lässt sich daher ein bestimmter GdB nicht begründen.

* Psychische Beschwerden

Die von der Klägerin angegebenen psychischen Beschwerden sind als Probleme verbunden mit Schwierigkeiten der Lebensbewältigung im Sinn von ICD 10-Z73 zu qualifizieren und mit einem Einzel-GdB von 10 zu bewerten.

Der Senat stützt sich insofern auf die Einschätzung der neurologisch-psychiatrischen Sachverständigen Dr. E., deren Einschätzung zum GdB auch von den anderen Gutachtern nicht infrage gestellt worden ist.

Der aktuelle psychopathologische Querschnittsbefund bei der Untersuchung durch Dr. E. war, wie auch schon bei Dr. S., weitgehend unauffällig. Hinweise auf eine höhergradige Depressivität, kognitive Einbußen oder eine behandlungsbedürftige psychische Störung haben sich dabei nicht ergeben. Die Klägerin hat glaubhaft Erschöpfungsgefühle geäußert und eine Überlastungssituation im häuslichen Bereich bei massiver Doppelbelastung durch Vollzeittätigkeit in der Stadtverwaltung und als Hausfrau/Mutter geschildert. Die vom Hausarzt in einem Attest erwähnte psychische Belastung mit Antriebshemmung, Stimmungstiefs und sozialem Rückzug mag zwar zeitweilig bei der Klägerin vorhanden sein, erreicht aber nicht eine krankheitswertige Symptomatik. Die Klägerin selbst sieht keine Notwendigkeit einer psychotherapeutischen oder psychiatrischen Behandlung; medikamentöse Therapieansätze sind nicht erforderlich. Auch bei der im Rahmen der Durchführung von testpsychologischen Verfahren bei der Begutachtung erhobenen aktuellen Selbsteinschätzung der Depressivität hat sich der Befund „keine Depression“ ergeben. Hinweise für eine somatoforme Schmerzstörung oder eine eigenständige Schmerzerkrankung lassen sich nicht finden. Daran ändert die Tatsache nichts, dass die Klägerin im Jahre 2013 stationär schmerztherapeutisch behandelt worden ist. Denn diese Therapie war erfolgreich, wie sich dem Bericht des Klinikums Bad A. vom 20.09.2013 entnehmen lässt, der eine deutliche Schmerzlinderung in der Analogskala von 6 auf 1 beschreibt. Auf psychiatrischem Fachgebiet ist daher die ICD-10 Diagnose Z73 zu stellen. Dabei handelt es sich nicht um eine krankheitswertige psychische Störung, sondern gemäß der ICD-10-Klassifikation um Faktoren, die den Gesundheitszustand beeinflussen und zur Inanspruchnahme von Gesundheitsdiensten führen. Nach den VG (dort Teil B Nr. 3.7) ist dafür ein GdB von 10 angemessen.

Hinweise für eine somatoforme Schmerzstörung oder eine eigenständige Schmerzerkrankung hat die neurologisch-psychiatrische Sachverständige nicht finden können.

Sofern der Bevollmächtigte der Klägerin die psychiatrische Anamnese durch die Sachverständige als höchst unzureichend erachtet und - so jedenfalls im Verfahren vor dem SG - beanstandet hat, dass die Schilderung des Tagesablaufs offensichtlich ohne weitere Nachfragen erfolgt sei, sind diese Einwände nicht ansatzweise nachvollziehbar. Die Sachverständige hat ausgesprochen ausführlich den üblichen Tagesablauf der Klägerin erhoben. In ihm wird äußerst detailreich der Ablauf des letzten Tages und darüber hinaus bestimmte wöchentlich wiederkehrende Geschehnisse erfasst. Inwiefern hier ein Nachfragebedarf für die Sachverständige bestehen hätte sollen, kann angesichts der Ausführlichkeit der Darstellung des Tagesablaufs nicht erkannt werden. Auch der Bevollmächtigte der Klägerin selbst hat im Übrigen nicht ansatzweise aufgezeigt, wo ein der Sachaufklärung dienlicher Nachfragebedarf bestehen sollte.

Wenn der Bevollmächtigte der Klägerin in der Berufungsbegründung vom 10.02.2016 seine Kritik am Gutachten der Dr. E. noch insofern steigert, als er dieser vorwirft, dass sie sich nicht einmal den gewöhnlichen Tagesablauf schildern habe lassen, und daher keine ordnungsgemäße Begutachtung zu erkennen meint, ist diese nachweislich unrichtige Behauptung durch die sehr eingehenden und eine Seite des Gutachtens umfassenden Ausführungen der Sachverständigen Dr. E. widerlegt. Die Behauptung des Bevollmächtigten der Klägerin steht zudem auch zum eigenen Vorbringen des Bevollmächtigten im erstinstanzlichen Verfahren, nämlich dass die Schilderung des Tagesablaufs offensichtlich ohne weitere Nachfragen durch die Sachverständige erfolgt sei und sich in der Wiedergabe von Zeiten erschöpft habe, wie sie bei einer beschäftigten Person üblich seien (Schriftsatz vom 09.04.2015), in Widerspruch.

Nicht nachvollziehbar ist schließlich, wie der Bevollmächtigte der Klägerin am Gutachten der Dr. E. eine fehlende Klassifizierung nach den allgemein anerkannten ICD-10-Kriterien beanstanden kann. Denn die Sachverständige hat die von der Klägerin angegebenen Beeinträchtigungen sehr wohl nach den ICD-10 klassifiziert und die entsprechende Klassifizierung im Gutachten angegeben.

* Carpaltunnelsyndrom

Für das Carpaltunnelsyndrom ist ein GdB von unter 10, allenfalls von 10 anzunehmen.

Es spricht alles dafür, dass sich der Befund hinsichtlich des Carpaltunnelsyndroms gegenüber den Verhältnissen, wie sie dem bestandskräftigen Bescheid vom 23.05.2013 zugrunde gelegen haben, gebessert hat. So hat der behandelnde Neurologe gegenüber dem Beklagten am 26.03.2014 berichtet, dass sich elektrophysiologisch im Vergleich zur Voruntersuchung eine weitere Besserung des Befundes gezeigt habe und die Nervenleitgeschwindigkeit des Nervus medianus im Bereich des Carpaltunnels beidseits wieder im Normbereich liege. Diese Besserung hat der Neurologe auch gegenüber dem SG mit Schreiben vom 13.11.2014 bestätigt. Schließlich hat auch die gerichtliche Sachverständige Dr. E. bei einer Messung der Nervenleitgeschwindigkeit festgestellt, dass im Bereich des Nervus medianus beidseits ein Normalbefund vorliege. Dies würde bedeuten, dass für das Carpaltunnelsyndrom kein GdB von 10 mehr festzustellen wäre.

Wenn der Gutachter Dr. Sch. die Besserung bezüglich des Carpaltunnelsyndroms mit Hinweis auf einen ihm offenbar von der Klägerin zur Begutachtung mitgebrachten Arztbrief des behandelnden Neurologen vom 12.03.2015 infrage gestellt hat, in dem über eine elektrophysiologische Verschlechterung des Befunds berichtet worden ist, kann letztlich dahingestellt bleiben, ob bei der Klägerin nunmehr ein Normalbefund oder eine Einschränkung der Nervenleitgeschwindigkeit entsprechend dem neurologischen Bericht vom 12.03.2015 vorliegt. Denn auch letztere würde, was auch Dr. Sch. nicht in Frage stellt, keinen höheren GdB als 10 begründen und wäre damit letztlich für die Einschätzung der Höhe des Gesamt-GdB ohne Bedeutung. Weitere Ermittlungen dahingehend, welche elektrophysiologische Untersuchungen, die des behandelnden Neurologen vor der Begutachtung und der Dr. E. oder die des behandelnden Neurologen zwei Tage später, zutreffend gewesen sind, sind daher mangels Entscheidungserheblichkeit obsolet.

* Weitere Beschwerden

Weitere Gesundheitsstörungen, die Auswirkung auf den Gesamt-GdB haben könnten, liegen nach übereinstimmender Einschätzung sämtlicher Sachverständiger nicht vor. Die Gesundheitsstörungen Fuß- und Zehenfehlform beidseits, Krampfaderbildung an beiden Beinen, multiple Allergien und Hashimoto-Erkrankung sind allenfalls mit einem Einzel-GdB von 10 oder niedriger zu bewerten und nach übereinstimmender Einschätzung aller Sachverständigen und in Einklang mit den Vorgaben in den VG (vgl. dort Teil A Nr. 3 a dd) für den Gesamt-GdB ohne Bedeutung.

Die Sachverständigen Dr. S. und Dr. E. haben übereinstimmend die Einschätzung geäußert, dass den bei der Klägerin vorliegenden gesundheitlichen Einschränkungen mit einem Gesamt-GdB von 20 ausreichend, aber auch angemessen Rechnung getragen ist. Sofern der Sachverständige Dr. Sch. von einer Summierung bzw. gegenseitigen Verstärkung des orthopädischen Einzel-GdB für die Wirbelsäule und des psychischen Einzel-GdB von 10 ausgeht, ist diese Einschätzung mit Blick auf die Vorgaben in den VG (vgl. dort Teil A Nr. 3 a dd) nicht nachvollziehbar. Dem Sachverständigen ist offensichtlich unbekannt, dass lediglich in sehr seltenen Ausnahmefällen ein Einzel-GdB von 10 zu einer Erhöhung des Gesamt-GdB führen kann. Von einem solchen Ausnahmefall kann vorliegend mit Sicherheit nicht ausgegangen werden, wie dies auch der Einschätzung der von Amts wegen beauftragten Sachverständigen entspricht. Dass es zudem nicht fernliegend wäre, nicht von einer gegenseitigen Verstärkung, sondern vielmehr von einer gewissen Überschneidung der Wirbelsäulenbeschwerden und der Beschwerden im psychischen Bereich auszugehen, bedarf mangels Entscheidungserheblichkeit keiner weiteren Erläuterungen. Sofern der Bevollmächtigte der Klägerin das Gutachten des Dr. Sch. als nachvollziehbar bezeichnet, ist diese Einschätzung in Ansehung der erheblichen Verstöße gegen die Vorgaben der VG auch bei der Bildung des Gesamt-GdB nicht haltbar.

Weitere Ermittlungen waren mangels Ansatzpunkt nicht angezeigt.

Eine wesentliche Änderung im Sinn des § 48 SGB X liegt damit nicht vor.

Die Klägerin hat daher mit ihrer Berufung keinen Erfolg.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Ein Grund für die Zulassung der Revision liegt nicht vor (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG).

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Gründe Leitsatz: in dem Rechtsstreit A., A-Straße, A-Stadt - Kläger und Berufungskläger - Proz.-Bev.: Rechtsanwalt B., B-Straße, B-Stadt - - gegen ..., vertreten durch das Zentrum ... Familie und Soziales, ..

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Haben Leistungsempfänger Krankengeld, Verletztengeld, Versorgungskrankengeld oder Übergangsgeld bezogen und wird im Anschluss daran eine Leistung zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben ausgeführt, so wird bei der Berechnung der diese Leistungen ergänzenden Leistung zum Lebensunterhalt von dem bisher zugrunde gelegten Arbeitsentgelt ausgegangen; es gilt die für den Rehabilitationsträger jeweils geltende Beitragsbemessungsgrenze.

(1) Auf Antrag des Versicherten, des behinderten Menschen, des Versorgungsberechtigten oder Hinterbliebenen muß ein bestimmter Arzt gutachtlich gehört werden. Die Anhörung kann davon abhängig gemacht werden, daß der Antragsteller die Kosten vorschießt und vorbehaltlich einer anderen Entscheidung des Gerichts endgültig trägt.

(2) Das Gericht kann einen Antrag ablehnen, wenn durch die Zulassung die Erledigung des Rechtsstreits verzögert werden würde und der Antrag nach der freien Überzeugung des Gerichts in der Absicht, das Verfahren zu verschleppen, oder aus grober Nachlässigkeit nicht früher vorgebracht worden ist.

Die in § 1 genannten Grundsätze und Kriterien sind in der Anlage zu dieser Verordnung*als deren Bestandteil festgelegt.

(1) Soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, ist der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Der Verwaltungsakt soll mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit

1.
die Änderung zugunsten des Betroffenen erfolgt,
2.
der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist,
3.
nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsaktes Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde, oder
4.
der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist.
Als Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse gilt in Fällen, in denen Einkommen oder Vermögen auf einen zurückliegenden Zeitraum auf Grund der besonderen Teile dieses Gesetzbuches anzurechnen ist, der Beginn des Anrechnungszeitraumes.

(2) Der Verwaltungsakt ist im Einzelfall mit Wirkung für die Zukunft auch dann aufzuheben, wenn der zuständige oberste Gerichtshof des Bundes in ständiger Rechtsprechung nachträglich das Recht anders auslegt als die Behörde bei Erlass des Verwaltungsaktes und sich dieses zugunsten des Berechtigten auswirkt; § 44 bleibt unberührt.

(3) Kann ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nach § 45 nicht zurückgenommen werden und ist eine Änderung nach Absatz 1 oder 2 zugunsten des Betroffenen eingetreten, darf die neu festzustellende Leistung nicht über den Betrag hinausgehen, wie er sich der Höhe nach ohne Berücksichtigung der Bestandskraft ergibt. Satz 1 gilt entsprechend, soweit einem rechtmäßigen begünstigenden Verwaltungsakt ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt zugrunde liegt, der nach § 45 nicht zurückgenommen werden kann.

(4) § 44 Abs. 3 und 4, § 45 Abs. 3 Satz 3 bis 5 und Abs. 4 Satz 2 gelten entsprechend. § 45 Abs. 4 Satz 2 gilt nicht im Fall des Absatzes 1 Satz 2 Nr. 1.

Haben Leistungsempfänger Krankengeld, Verletztengeld, Versorgungskrankengeld oder Übergangsgeld bezogen und wird im Anschluss daran eine Leistung zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben ausgeführt, so wird bei der Berechnung der diese Leistungen ergänzenden Leistung zum Lebensunterhalt von dem bisher zugrunde gelegten Arbeitsentgelt ausgegangen; es gilt die für den Rehabilitationsträger jeweils geltende Beitragsbemessungsgrenze.

(1) Soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, ist der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Der Verwaltungsakt soll mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit

1.
die Änderung zugunsten des Betroffenen erfolgt,
2.
der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist,
3.
nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsaktes Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde, oder
4.
der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist.
Als Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse gilt in Fällen, in denen Einkommen oder Vermögen auf einen zurückliegenden Zeitraum auf Grund der besonderen Teile dieses Gesetzbuches anzurechnen ist, der Beginn des Anrechnungszeitraumes.

(2) Der Verwaltungsakt ist im Einzelfall mit Wirkung für die Zukunft auch dann aufzuheben, wenn der zuständige oberste Gerichtshof des Bundes in ständiger Rechtsprechung nachträglich das Recht anders auslegt als die Behörde bei Erlass des Verwaltungsaktes und sich dieses zugunsten des Berechtigten auswirkt; § 44 bleibt unberührt.

(3) Kann ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nach § 45 nicht zurückgenommen werden und ist eine Änderung nach Absatz 1 oder 2 zugunsten des Betroffenen eingetreten, darf die neu festzustellende Leistung nicht über den Betrag hinausgehen, wie er sich der Höhe nach ohne Berücksichtigung der Bestandskraft ergibt. Satz 1 gilt entsprechend, soweit einem rechtmäßigen begünstigenden Verwaltungsakt ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt zugrunde liegt, der nach § 45 nicht zurückgenommen werden kann.

(4) § 44 Abs. 3 und 4, § 45 Abs. 3 Satz 3 bis 5 und Abs. 4 Satz 2 gelten entsprechend. § 45 Abs. 4 Satz 2 gilt nicht im Fall des Absatzes 1 Satz 2 Nr. 1.

Gründe

Leitsatz:

in dem Rechtsstreit

A., A-Straße, A-Stadt

- Kläger und Berufungskläger -

Proz.-Bev.: Rechtsanwalt B., B-Straße, B-Stadt - -

gegen

..., vertreten durch das Zentrum ... Familie und Soziales, ...

- Beklagter und Berufungsbeklagter -

Der 15. Senat des Bayer. Landessozialgerichts hat auf die mündliche Verhandlung in München am 16. November 2015 durch den Vorsitzenden Richter am Bayer. Landessozialgericht Bastian, den Richter am Bayer. Landessozialgericht Neuerer und den Richter am Bayer. Landessozialgericht Dr. Braun sowie die ehrenamtlichen Richter Meier und Bauer für Recht erkannt:

I.

Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Würzburg vom 11. Dezember 2014 wird zurückgewiesen.

II.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist, ob dem Kläger infolge einer Verschlechterung seines gesundheitlichen Zustands ein höherer Grad der Behinderung (GdB) als 70 gemäß § 69 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) zusteht und ob in seiner Person die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen G (erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr) vorliegen.

Der im Jahr 1960 geborene Kläger arbeitet als studierter Verkehrsfachwirt bei der Lufthansa.

Zuletzt war mit bestandskräftigem Bescheid des damals zuständigen Versorgungsamts Frankfurt vom 01.11.2005 ein GdB von 50 festgestellt worden. Dabei waren folgende Gesundheitsstörungen zugrunde gelegt worden:

1. Seelische bzw. psychische Störung (Einzel-GdB: 30)

2. Wirbelsäulen-Syndrom, Beinbeschwerden (Einzel-GdB: 20)

3. Bronchialasthma (Einzel-GdB: 20)

4. Kniegelenkleiden (links) (Einzel-GdB: 20)

5. Allergie (Einzel-GdB: 10)

6. Prostata-Krankheit (Einzel-GdB: 10)

7. Ohrgeräusche (Einzel-GdB: 10).

Am 31.01.2012 beantragte der Kläger die Erhöhung des GdB und zudem die Feststellung des Vorliegens der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen G. Den Antrag begründete er damit, dass sich der Zustand seines Wirbelsäulen-Syndroms verschlimmert habe und zudem weitere Erkrankungen (Prostatakrebs, Fraktur des rechten Schultergelenks, Impingement-Syndrom, neuropathisches Schmerzsyndrom des Beckens, Ischialgie) aufgetreten seien.

Nach der Einholung von Befundberichten der behandelnden Ärzte und Auswertung durch seinen versorgungsärztlichen Dienst stellte der Beklagte mit Änderungsbescheid vom 13.03.2012 einen GdB von 70 fest, nicht aber das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen G. Dem Bescheid wurden folgende Gesundheitsstörungen zugrunde gelegt:

1. Erkrankung der Prostata in Heilungsbewährung (Einzel-GdB: 50)

2. Seelische Störung (Einzel-GdB: 30)

3. Bronchialasthma, Allergie (Einzel-GdB: 20)

4. Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, Nerven- und Muskelreizerscheinungen (Einzel-GdB: 20)

5. Ohrgeräusche (Tinnitus) (Einzel-GdB: 10)

6. Funktionsbehinderung des Kniegelenks links (Einzel-GdB: 10).

Die mit der Funktionsbehinderung des Schultergelenks rechts verbundenen Einschränkungen würden - so der Beklagte - keinen GdB von wenigstens 10 begründen.

Dagegen legte der Kläger mit Schreiben vom 20.03.2012 Widerspruch ein. Es stünden ihm ein GdB von 90 bis 100 und das Merkzeichen G zu. Bereits vor dem Prostatakarzinom habe er einen GdB von 50 gehabt. An den bereits damals vorliegenden Erkrankungen habe sich nichts gebessert, ganz im Gegenteil. Die seelische Störung in Form einer mittelschweren bis schweren Depression und zusätzlich einer Dysthymie sei aktuell verstärkt durch das Prostatakarzinom und die Schmerzsymptomatik im Rücken- und Beinbereich. Er leide unter akuten schweren Angstzuständen. Es sei ein ADHS diagnostiziert. Er habe starke Schmerzen im Bereich von BWS und LWS, so dass er nur noch weniger als 15 Minuten gehen könne. Zudem sei eine Refluxerkrankung mit einem Barrett-Syndrom diagnostiziert worden. Wegen der Behandlung des Prostatakarzinoms sei von einer dauerhaften Impotenz auszugehen.

Auf Nachfrage des Beklagten teilte der den Kläger behandelnde Orthopäde Dr. O. am 18.06.2012 mit, dass der Kläger keine neurologischen Ausfälle habe und eine Gehbehinderung nicht vorliege.

Nach Auswertung der vorliegenden Unterlagen durch den versorgungsärztlichen Dienst wies der Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 10.07.2012 zurück. Als weitere Gesundheitsstörungen legte er dabei eine „Refluxkrankheit der Speiseröhre, Hiatushernie (Einzel-GdB: 10)“ zugrunde, wobei dies - so der Beklagte - an der Höhe des Gesamt-GdB nichts ändere.

Am 10.08.2012 hat der Kläger durch seinen Bevollmächtigten Klage zum Sozialgericht (SG) Würzburg erhoben. Mit Schreiben vom 19.10.2012 ist die Klage begründet worden. Der Kläger leide - so der Bevollmächtigte - an einem Barrett-Syndrom. Allein das Barrett-Syndrom rechtfertige einen Einzel-GdB von mindestens 50. Zudem seien allein die Erkrankung der Prostata mit einem Einzel-GdB von 100 sowie die damit einhergehende seelische Belastung mit einem Einzel-GdB von 50 zu bewerten. Mit Schreiben vom 26.02.2013 hat er zudem angegeben, dass sich der Gesundheitszustand des Klägers weiter verschlechtert habe.

Im Auftrag des SG hat der Internist, Gastroenterologe und Sozialmediziner Prof. Dr. R. am Tag des Erörterungstermins am 14.03.2013 ein Gutachten erstellt. Er ist zu der Einschätzung gekommen, dass der GdB von 70 angemessen sei. Die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen G seien nicht erfüllt. Anschließend hat der Kläger zwei Anträge gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) gestellt:

Der Orthopäde Dr. O., der auch der behandelnde Arzt des Klägers ist, ist in dem gemäß § 109 SGG erstellten Gutachten vom26.10.2013 zu der Einschätzung gekommen, dass der GdB 90 betrage. Zusätzlich zu den Gesundheitsstörungen im streitgegenständlichen Bescheid hat er eine Neuralgie des Nervus obturatorius und des Nervus pudendus (Einzel-GdB von 20 bis 30), eine Coxarthrose links mit endgradiger Bewegungseinschränkung (Einzel-GdB 10), eine Hochtonschwerhörigkeit (Einzel-GdB 10) und eine Impotenz (Einzel-GdB 20), wobei eine ausreichende erektile Funktion nur durch Injektionen gewährleistet werden könne, zugrunde gelegt. Über die Beschwerden der Speiseröhre bei Barrett-Syndrom könne er sich nicht äußern, da der Kläger diesbezüglich keine Beschwerden angegeben habe. Das Gangbild des Klägers hat der Sachverständige als im Wesentlichen flüssig beschrieben und eine Beeinträchtigung durch Hinken nicht festgestellt. Er sei zwar - so Dr. O. - erheblich beeinträchtigt durch die Neuralgie, die Auswirkungen auf die Gehfunktion seien aber nicht so schwerwiegend einzuschätzen, wie dies in den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen, Anlage zu § 2 der Versorgungsmedizin-Verordnung, (VG) beschrieben sei.

Anschließend hat der Urologe Dr. S., der ebenfalls behandelnder Arzt des Klägers ist, ein (knapp 5-seitiges) Gutachten gemäß § 109 SGG erstellt, das am 25.07.2014 beim SG eingegangen ist. Er ist dabei zu der Einschätzung gekommen, dass der Einzel-GdB für die Erkrankung der Prostata (Stadium: pT2c pN0 (0/4) cM0) mit 80 zu bewerten sei. Für die neuralgischen Beschwerden hat er wie Dr. O. einen Einzel-GdB von 20 bis 30 angenommen, ohne dies irgendwie zu begründen. Der Gesamt-GdB betrage - so Dr. S. - 80 bis 90. Das Gehvermögen des Klägers sei durch die neuralgischen Schmerzen erheblich eingeschränkt. Die Auswirkungen der beim Kläger vorliegenden Behinderungen auf die Gehfunktion seien aber nicht so schwerwiegend wie bei dem in den VG bezeichneten Personenkreis.

Der Bevollmächtigte des Klägers hat sich anschließend dahingehend geäußert, dass aus klägerischer Sicht der Sachverständige Dr. S. einen GdB zwischen 80 und 90 auf urologischem Gebiet plausibel begründet habe und sich unter Berücksichtigung des GdB auf orthopädischem Gebiet in Höhe von 90 ein Gesamt-GdB von 100 ergebe.

Der Beklagte hat sich den Gutachten gemäß § 109 SGG nicht angeschlossen (versorgungsärztliche Stellungnahme vom20.08.2014).

Der gerichtliche Sachverständige Prof. Dr. R. hat im Rahmen einer ergänzenden Stellungnahme vom 09.10.2014 seine bisherige Einschätzung zum GdB und dem Merkzeichen G im Ergebnis bestätigt. Ausgehend von einem Zusammenhang zwischen den chronischen Schmerzen des Klägers und der Prostataoperation seien die Schmerzen als Folge der Erkrankung der Prostata zu interpretieren und entsprechend der Systematik der VG bis zum Ablauf der Heilungsbewährung nicht einzeln, sondern als gesundheitliche Auswirkung der Tumorerkrankung zu werten. Die mit einem Einzel-GdB von 30 bewertete seelische Störung alleine, d. h. ohne ein Schmerzsyndrom, sei sehr großzügig angesetzt.

Mit Gerichtsbescheid vom 11.12.2014 hat das SG die Klage abgewiesen. Es hat sich dabei auf das Gutachten des Prof. Dr. R. gestützt.

Gegen den am 19.12.2014 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Bevollmächtigte des Klägers am 19.01.2015 Berufung eingelegt. Er hat die Berufung wie folgt begründet: Der Kläger habe einen Anspruch auf die Feststellung eines GdB von 90 und des Vorliegens der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen G. Das SG habe die vom Sachverständigen Dr. O. festgestellten weiteren Funktionseinschränkungen (Neuralgie, Impotenz, Coxarthrose links, Hochtonschwerhörigkeit), für die der Sachverständige Einzel-GdB zwischen 10 und 30 angenommen habe, nicht berücksichtigt. Soweit das SG die Neuralgie als Folge der Prostataerkrankung nicht zusätzlich mit einem GdB berücksichtigt habe, verkenne es, dass diese Erkrankung nur mittelbar mit der Prostataerkrankung zusammenhänge. Die funktionelle Einschränkung sei Folge der Prostataoperation und daher mit einem gesonderten Einzel-GdB zu berücksichtigen. Die Impotenz sei nach den überzeugenden Ausführungen in den Gutachten des Dr. O. und des Dr. S. mit einem zusätzlichen Einzel-GdB bei der Ermittlung des Gesamt-GdB zu beachten. Für die Prostataerkrankung sei ein GdB von 80 festzustellen. Zudem hätte das SG die Neuralgie und die Impotenz als Folge der Prostataerkrankung bewerten müssen. Schließlich lägen beim Kläger die Voraussetzungen für das Merkzeichen G vor. Nach dem Gutachten des Dr. S. würden die neuralgischen Schmerzen zu einer erheblich eingeschränkten Gehfähigkeit des Klägers führen.

Im Auftrag des Senats hat der Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie, spezielle Schmerztherapie, Dr. C. am 07.07.2015 nach ambulanter Untersuchung ein Gutachten erstellt. Er ist darin zu dem Ergebnis gekommen, dass der GdB mit 70 nicht zu niedrig bewertet sei. Abgesehen von der Erkrankung der Prostata habe sich im Gesundheitszustand des Klägers keine wesentliche Veränderung im Vergleich zum bestandskräftigen Bescheid vom 01.11.2005 ergeben. Die Voraussetzungen für das Merkzeichen G lägen nicht vor. Der Kläger könne ortsübliche Wegstrecken ohne erhebliche Schwierigkeiten oder Gefahren zurücklegen. Er zeige klinisch keine Gehbehinderung, die im Übrigen organisch nicht begründet wäre. Zum Gutachten gemäß § 109 SGG des Dr. O. hat der Sachverständige Dr. C. darauf hingewiesen, dass dies von einem helfenden Bemühen gekennzeichnet sei. Insbesondere hat er ausführlich erläutert, welche Zweifel an der von Dr. O. angenommenen Neuralgie und an dem von diesem dafür angesetzten Einzel-GdB von 20 bis 30 bestünden. Ein chronisches Schmerzsyndrom von sozialmedizinischer Relevanz im Sinn eines von der eigentlichen Ursache losgelösten Krankheitsbilds sei - so Dr. C. - bei Zugrundelegung der Leitlinie für die ärztliche Begutachtung von Menschen mit chronischen Schmerzen nicht gegeben.

Weiter ist der Abschlussbericht über eine medizinische Rehamaßnahme des Klägers vom 20.11.2013 bis zum 18.12.2013 in der Klinik B. in Bad S. übersandt worden. Dort habe der Kläger - so der Bericht - als aktuelle Beschwerden ein reduziertes körperliches Leistungsvermögen beschrieben. Über eine postoperative Harninkontinenz habe er nicht berichtet. Wegen der postoperativen erektilen Dysfunktion benutze der Kläger bei Bedarf die SKAT-Therapie. Zu seinen sportlichen Aktivitäten befragt habe der Kläger angegeben: „Ja, regelmäßiges Joggen, Tennisspielen, Physiotherapie, zeitweilig Yoga.“

Mit gerichtlichem Schreiben vom 30.07.2015 ist dem Bevollmächtigten des Klägers das Gutachten samt Erläuterungen übersandt und die Rücknahme der Berufung nahegelegt worden.

Der Bevollmächtigte des Klägers hat dazu mit Schreiben vom 14.09.2015 mitgeteilt, dass der Sachverständige Dr. C. nicht die erforderliche umfassende Qualifikation für die Begutachtung der klägerischen Leiden besitze. Er sei zwar Orthopäde, aber die Erkrankungen des Klägers würden neben diesem Gebiet auch urologische und psychische Beschwerden umfassen. Es handle sich insgesamt um ein komplexes und seltenes Krankheitsbild. Der Sachverständige habe auch die vom Kläger zur Untersuchung mitgebrachten aktuellen Atteste nicht berücksichtigt. Zudem habe sich Dr. C. nicht mit der von Dr. O. angesprochenen Schmerzsymptomatik und der Narbenbildung im Schambereich auseinandergesetzt. Zudem bezweifle er das Vorliegen der Impingement-Symptomatik, obwohl es hierfür deutliche Anzeichen gebe. Es handle sich um ein funktionelles Impingement, wie sich aus dem beigelegten Attest des Dr. O. vom 10.09.2015 ergebe. Auch könne Dr. C. nicht darin gefolgt werden, dass die von diesem festgestellte Arthrose ein Normalbefund sei. Eine Arthrose ersten Grades stelle keinen Normalbefund dar. Die vom Kläger empfundenen Missempfindungen im Bereich des Scham- und Gesäßbereichs seien auf die Vernarbungen im Operationsgebiet zurückzuführen. Auch dies habe Dr. C. nicht ausdrücklich gewürdigt.

Mit Telefax vom 15.11.2015 hat der Kläger selbst, ohne dass sein Bevollmächtigter eingeschaltet gewesen wäre, weitere Kritik am Gutachten des Dr. C. geäußert und diese damit begründet, dass nach Studien 60% aller Gerichtsgutachten falsch seien. Dies gelte auch für das Gutachten des Dr. C.. Dieser habe möglicherweise ein „vorsätzlich grobfahrlässiges Gutachten“ erstellt. Zudem sei der Gutachter Orthopäde und daher fachlich nicht befähigt, ein außergewöhnlich komplexes, seltenes und komorbides Krankheitsgeschehen, wie es bei ihm vorliege, zu beurteilen.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Würzburg vom 11.12.2014 und den Bescheid des Beklagten vom 13.03.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.07.2012 aufzuheben und festzustellen, dass der GdB des Klägers 90 beträgt und der Kläger das Merkzeichen G erfüllt.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Senat hat die Akten des Beklagten und des SG beigezogen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt dieser Akten und der Berufungsakte, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

Die Berufung ist zulässig, aber unbegründet.

Der Beklagte hat der mit dem Prostatakarzinom begründeten Verschlechterung im Gesundheitszustand des Klägers gegenüber den Verhältnissen, wie sie dem bestandskräftigen Bescheid vom 01.11.2005 zugrunde gelegen hatten, großzügig damit Rechnung getragen, dass er den GdB auf 70 heraufgesetzt hat. Die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen G liegen in der Person des Klägers nicht vor.

1. Streitgegenstand

Streitgegenstand ist zum einen die Frage, ob nach einer Verschlechterung des Gesundheitszustands des Klägers ein GdB von jetzt 70 gemäß § 48 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) zutreffend festgestellt ist, zum anderen die Feststellung des Vorliegens der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen G.

2. Grundlage für die Entscheidung des Senats

Der Senat stützt sich bei seiner Entscheidung wesentlich auf das von ihm eingeholte Gutachten des sehr erfahrenen Sachverständigen Dr. C., den er insbesondere wegen seiner algesiologischen Qualifikation ausgewählt hat, aber auch auf das des ebenso erfahrenen Gutachters Prof. Dr. R. im Verfahren vor dem SG. Beide Sachverständige haben ihre Gutachten überzeugend, eingehend und nachvollziehbar begründet. Sie haben die beim Kläger vorliegenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen vollständig erfasst und ihre Auswirkungen einerseits auf den GdB und andererseits auf die Gehfähigkeit zutreffend gewürdigt. Sehr ausführlich bedacht und abgewogen hat insbesondere der vom Senat beauftragte Gutachter Dr. C. alle Gesichtspunkte. Dieser hat sich mit den Ausführungen der Vorgutachter sehr eingehend und fachkundig auseinander gesetzt und sich mit der vom Kläger behaupteten besonderen Schmerzsituation - im Gegensatz zu den vom Kläger gemäß § 109 SGG benannten Sachverständigen - mit höchster Fachkunde und eingehenden Hinweisen auf die für die Begutachtung von Schmerzen geltenden Begutachtungsvorgaben befasst.

Sofern der Kläger im Telefax vom 15.11.2015 - vermutlich wegen eines Berichts im Fernsehen am Wochenende vor der mündlichen Verhandlung - vorgetragen hat, nach Studien seien 60% aller Gutachten „und aus diesem Grund ... auch das Gutachten des Orthopäden Dr. C.“ mangelhaft, ist eine derartige Schlussfolgerung nicht nur allgemein unzulässig, sondern auch im konkreten Fall eindeutig falsch. Denn der Sachverständige Dr. C. hat die Vorgaben einer ordnungsgemäßen Gutachtenserstellung und die in den VG aufgestellten Kriterien für eine schwerbehindertenrechtliche Bewertung genau beachtet, anders als die vom Kläger gemäß § 109 SGG benannten Ärzte.

Weiter hat sich der Senat bei seiner Entscheidung auf die eigenen Angaben des Klägers, soweit sie verifizierbar sind, und die seiner behandelnden Ärzte gestützt.

Die Gutachten gemäß § 109 SGG hingegen haben keinen wesentlichen Entscheidungsbeitrag geliefert. Sie stehen in ihren Bewertungen teilweise in eklatantem Widerspruch zu den maßgeblichen Vorgaben der VG, beruhen auf widerlegten Annahmen, nicht nachvollziehbaren Vermutungen und reinen Spekulationen und missachten allgemeingültige medizinische Klassifizierungsvorgaben. Es handelt sich bei diesen Gutachten - um mit den Worten des Klägers zu sprechen - um einen Teil der „60% aller Gerichtsgutachten[, die] mangelhaft sind und nicht die Kriterien für die Gutachtertätigkeit erfüllen.“

Weitere Ermittlungen waren nicht erforderlich, insbesondere auch kein vom Kläger gefordertes Obergutachten. Der Sachverhalt war ausermittelt, ohne dass für den Senat noch irgendwelche Zweifel verblieben wären.

3. Verschlimmerungsantrag

Eine wesentliche Änderung im Sinn des § 48 SGB X mit der Konsequenz, dass der mit bestandskräftigem Bescheid vom 01.11.2005 festgestellte GdB von 50 zu erhöhen war, ist infolge des Prostatakarzinoms eingetreten. Der vom Beklagten mit dem streitgegenständlichen Bescheid anerkannte GdB von 70 ist aber keinesfalls zu niedrig bemessen.

3.1. Verschlechterung in den gesundheitlichen Verhältnissen des Klägers

Mit dem im Jahr 2011 festgestellten und mit einem GdB von 50 zu bewertenden (dazu vgl. unten Ziff. 3.2.1.) Prostatakarzinom ist eine GdB-relevante Verschlechterung im Gesundheitszustand des Klägers eingetreten.

3.2. Bewertung des GdB nach der Verschlechterung des Gesundheitszustands

Der vom Beklagten nach der Verschlechterung anerkannte GdB von 70 ist keinesfalls zu knapp bemessen; vielmehr erscheint er dem Senat als ausgesprochen großzügig.

3.2.1. Erkrankung der Prostata

Das Prostatakarzinom ist nach Entfernung im unstreitigen Stadium T2c pN0 mit einem GdB von 50 für die Zeit der Heilungsbewährung zu bewerten.

Dies ergibt sich klar und eindeutig aus den VG (vgl. dort Teil B Nr. 13.6), wenn dort für den Zustand bei Prostatakarzinom nach Entfernung in den Stadien T1 bis T2 ein GdB von 50 vorgegeben und erst nach Entfernung in einem höheren Stadium, d. h. von T3 oder T4, ein GdB von 80 anzusetzen ist.

Sofern demgegenüber der vom Kläger gemäß § 109 SGG benannte urologische Sachverständige Dr. S. dafür einen GdB von 80 annimmt, steht dies in eklatantem Widerspruch zu den Vorgaben der VG. Ein derartiger GdB wäre erst nach Entfernung des Prostatakarzinoms in einem Stadium von mindestens T3 gegeben. Ein solches Stadium ist aber erst dann erreicht, wenn der Tumor größer als 5 cm ist. Beim Kläger hat hingegen unstreitig ein Tumor des Stadiums T2, d. h. mit einer Größe von 2 bis 5 cm, vorgelegen.

3.2.2. Seelische Störung

Der vom Beklagten zugrunde gelegte und von den Gutachtern übernommene GdB von 30 erscheint dem Senat ausgesprochen großzügig, wenn nicht sogar zu hoch.

Nach den Vorgaben in den VG (vgl. dort Teil B Nr. 3.7) ist für stärker behindernde Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit (z. B. ausgeprägtere depressive, hypochondrische, asthenische oder phobische Störungen, Entwicklungen mit Krankheitswert, somatoforme Störungen) ein GdB von 30 bis 40 anzunehmen. Der beim Kläger vorliegende Zustand ist allenfalls im untersten Bereich dieses Rahmens, wenn nicht niedriger, anzusetzen.

Keiner der Sachverständigen, auch nicht die vom Kläger benannten, haben einen Anlass gesehen, den GdB von 30 für die seelische Störung als zu gering anzusehen. Dass die Einschätzung, der GdB könne keinesfalls höher als 30 sein, ohne den geringsten Zweifel zutreffend ist, ergibt sich schon aus den eigenen Angaben des Klägers bei den Begutachtungen. So hat er beispielsweise bei Dr. C. angegeben, vollschichtig einer Bürotätigkeit mit hoher Belastung nachzugehen, wie dies auch die behandelnde Psychotherapeutin in dem am 15.11.2015 vorgelegten Attest bestätigt hat, eine intakte Beziehung zu einer neuen Lebenspartnerin zu haben, die er demnächst heiraten werde, regelmäßig mäßigen Sport zu betreiben, ein begeisterter Segler zu sein, einen funktionierenden Freundeskreis zu haben und als großem Hobby dem Reisen nachzugehen. Der Kläger führt also ein durchaus aktives und agiles Leben, was mit einer wesentlichen Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit, wie sie Voraussetzung für einen GdB von 30 bis 40 ist, nicht ansatzweise in Einklang zu bringen ist. Dabei ist auch berücksichtigt, dass beim Kläger ein ADHS diagnostiziert ist. Wesentliche daraus resultierende funktionelle Beeinträchtigungen sind an keiner Stelle beschrieben worden.

Sofern der erstinstanzliche Gutachter Prof. Dr. R. zunächst davon ausgegangen ist, dass ein GdB von 30 für die seelische Störung wegen der vom Kläger behaupteten besonderen Schmerzsituation vertretbar sei, ist dieser Ansatz zur Begründung des GdB von 30 tatsächlich nicht haltbar. Dies hat zum einen der Sachverständige selbst in seiner ergänzenden Stellungnahme erläutert. Dort hat er die von ihm als gegeben angenommene besondere Schmerzsituation zutreffend dem der Tumorerkrankung für die Zeit der Heilungsbewährung zuzumessenden GdB, der grundsätzlich alle Folgen der Tumorerkrankung und daher auch die Schmerzsituation infolge der operativen Behandlung des Tumors umfasst, zugeordnet und daher den bislang angenommenen GdB von 30 für die seelische Störung als sehr großzügig bezeichnet. Darauf, dass bei Berücksichtigung der überzeugenden Ausführungen des algesiologisch-orthopädischen Sachverständigen Dr. C. und der Maßgaben in der Leitlinie für die ärztliche Begutachtung von Menschen mit chronischen Schmerzen (vgl. AWMF-Leitlinien-Register Nr. 030/102) von außergewöhnlichen Schmerzen überhaupt nicht auszugehen ist, weil das Alltagsverhalten, die Aktivitäten, das Bewegungsverhalten und der aktuelle körperliche Befund des Klägers außergewöhnliche Schmerzen nicht belegen, kommt es daher vorliegend, d. h. in der Zeit der Heilungsbewährung, nicht an. Gegen einen GdB von 30 und für einen niedrigeren GdB spricht zudem, dass keiner der Sachverständigen, auch nicht die vom Kläger benannten, einen psychischen Befund beschrieben hat, der wesentliche Auswirkungen der seelischen Erkrankung, insbesondere einer Depression und einer Aufmerksamkeitsdefizitstörung, auf das Leben des Klägers beschrieben hat. Vielmehr hat der Kläger bei der Untersuchung durch den Sachverständigen Dr. C. psychisch weitgehend unauffällig gewirkt und nicht einmal Zeichen einer depressiven Verstimmung gezeigt. Die Bewertung mit einem GdB von allerhöchstens 30 wird auch nicht durch den unmittelbar vor der mündlichen Verhandlung mit Telefax vom 15.11.2015 vorgelegten Befundbericht der Psychotherapeutin Johnson-Breitenstein in Zweifel gezogen. Dort wird eine leichte bis mittelgradige depressive Episode beschrieben und dabei im Wesentlichen auf die Ergebnisse testpsychologischer Verfahren verwiesen, die aber lediglich eine Selbsteinschätzung des Betroffenen wiedergeben. Objektive Befunde liefert dieses Attest nicht.

Zu berücksichtigen bei der Bewertung der psychischen Störung ist zudem, dass, wird der Angabe des Klägers gefolgt, der seine psychische Belastung zu einem Großteil mit der durchgemachten Tumorerkrankung begründet, zumindest ein nicht unwesentlicher Anteil dieser Störung für den Zeitraum der Heilungsbewährung der Krebserkrankung dieser Erkrankung zuzuschreiben ist. Die psychische Erkrankung ist daher zumindest teilweise bereits im GdB von 50 für das Prostatakarzinom berücksichtigt.

Soweit der Kläger im Schreiben vom 15.11.2015, also einen Tag vor dem Termin der mündlichen Verhandlung, vorgetragen hat, dass er sich vom 28.09.2015 bis zum 16.11.2015 auf einer psychosomatischen und orthopädischen Reha befunden habe und dort die zeitliche Leistungsfähigkeit auf nur noch 3 bis 6 Stunden geschätzt worden sei, gibt dies keinen Anlass, an der bisherigen Bewertung zu zweifeln und/oder weitere Ermittlungen durchzuführen. Auch wenn die Reha nach dem Vortrag des Klägers bis zum Tag der mündlichen Verhandlung gedauert haben soll, verwundert es etwas, dass der Kläger keinerlei Nachweise für seine Teilnahme an der Reha und die Leistungseinschätzung der dortigen Ärzte bezüglich des zeitlichen Leistungsvermögens vorlegt hat. Aber auch wenn die Richtigkeit seines Vortrags unterstellt wird, hat dies für das vorliegende Verfahren keine Bedeutung. Sollte sich tatsächlich im Rahmen der Reha ein veränderter Gesundheitszustand dargestellt haben, was aber nicht einmal der Kläger behauptet hat, wäre abzuwarten, ob es sich dabei auch um einen Dauerzustand im Sinn des § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX von mindestens sechs Monaten handelt. Zwar ist dafür nicht der seit Beginn der Erkrankung oder der seit ihrer erstmaligen ärztlichen Feststellung verstrichene Zeitraum, sondern die ihrer Art nach zu erwartende Dauer der von ihr ausgehenden Funktionsbeeinträchtigung maßgeblich. Es ist also eine Prognose zur weiteren Entwicklung der Funktionsbeeinträchtigung zu stellen (vgl. Bundessozialgericht - BSG -, Urteil vom 12.04.2000, Az.: B 9 SB 3/99 R). Wie die Erfahrung zeigt, lässt sich aber insbesondere bei Erkrankungen mit einer psychischen Komponente, wie sie hier vorliegt, regelmäßig bei Abschluss einer medizinischen Rehabilitationsmaßnahme keine sichere Aussage zum weiteren Verlauf der Erkrankung treffen, so dass derzeit nicht von einem Dauerzustand auszugehen wäre.

3.2.3. Funktionsbehinderung der Wirbelsäule

Der vom Beklagten zugrunde gelegte und von den Gutachtern übernommene GdB von 20 erscheint dem Senat ausgesprochen großzügig, wenn nicht sogar zu hoch.

Die VG (vgl. dort Teil B Nr. 18.9) verlangen für einen GdB von 20 mittelgradige funktionelle Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt (Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität mittleren Grades, häufig rezidivierende und über Tage andauernde Wirbelsäulensyndrome).

Mit Blick darauf, dass der Sachverständige Dr. C. eine nur wenig eingeschränkte Beweglichkeit der Wirbelsäule feststellen hat können und zudem, wie auch die behandelnden Ärzte des Klägers berichtet haben, keine neurologischen Auffälligkeiten vorliegen, ist ein GdB von 20 zumindest ausgesprochen großzügig. Auch die im Gutachten des Dr. O. erhobenen objektiven Befunde stehen zu dieser Annahme nicht in Widerspruch.

An dieser Einschätzung ändert auch der am Tag vor der mündlichen Verhandlung vorgelegte Bericht über eine MRT der HWS vom 16.07.2015 nichts. Denn der GdB wird bestimmt durch funktionelle Einschränkungen, nicht durch radiologische Befunde.

Sollten im Rahmen der bis zum 16.11.2015 durchgeführten Reha auch Feststellungen zum Zustand des Wirbelsäulenleidens im Raum stehen, kann mit Blick auf die Frage eines Dauerzustands auf das oben (vgl. Ziff. 3.2.2.) Ausgeführte verwiesen werden.

3.2.4. Bronchialasthma, Allergie

Den bereits 2005 vom Versorgungsamt Frankfurt angenommenen und vom Beklagten und den Gutachtern offenbar weitgehend ungeprüft übernommenen GdB von 20 hält der Senat jedenfalls im jetzt maßgeblichen Zeitraum für zu hoch.

Für ein Bronchialasthma ohne dauernde Einschränkung der Lungenfunktion (Hyperreagibilität mit seltenen [saisonalen] und/oder leichten Anfällen) sehen die VG (vgl. dort Teil B Nr. 8.5) einen GdB von 0 bis 20 vor. Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass der behandelnde Lungenarzt des Klägers dem SG berichtet hat, dass „klinisch und lungenfunktionell stabile Verhältnisse bei sehr guten Lungenfunktionsparametern und ohne Nachweis einer bronchialen Hyperreagibilität“ (Arztbrief des Dr. R. vom 18.06.2012) vorlägen und das Asthma bronchiale insofern gebessert sei, als eine antiobstruktive Dauertherapie nicht mehr notwendig sei (Bericht des Dr. R. vom 14.11.2012), ist ein GdB von 20 und wohl auch von 10 nicht mehr haltbar.

3.2.5. Sonstige Erkrankungen mit einem GdB von nicht mehr als 10

Alle weiteren Leiden des Klägers begründen keinen höheren GdB als 10 und sind daher nach den VG (vgl. dort Teil A Nr. 3 Buchst. d) ee)) für die Bewertung des Gesamt-GdB grundsätzlich ohne Bedeutung.

Zur Vermeidung überflüssiger Ausführungen weist der Senat lediglich bezüglich der strittigen Gesundheitsstörungen auf Folgendes hin:

3.2.5.1. Eine Neuralgie des Nervus obturatorius und des Nervus pudendus, wie dies der vom Kläger benannte Sachverständige Dr. O. angenommen und mit einem GdB von 20 bis 30 bewertet hat, ist nicht in dem dafür erforderlichen Vollbeweis nachgewiesen.

Vollbeweis bedeutet, dass der Nachweis mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu führen ist (vgl. BSG, Urteil vom 15.12.1999, Az.: B 9 VS 2/98 R). Für diesen Beweisgrad ist es zwar nicht notwendig, dass die erforderlichen Tatsachen mit absoluter Gewissheit feststehen. Ausreichend, aber auch erforderlich ist indessen ein so hoher Grad der Wahrscheinlichkeit, dass bei Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens kein vernünftiger, den Sachverhalt überschauender Mensch mehr am Vorliegen der Tatsachen zweifelt (vgl. BSG, Urteil vom 28.06.2000, Az.: B 9 VG 3/99 R), d. h. dass die Wahrscheinlichkeit an Sicherheit grenzt (vgl. BSG, Urteil vom 05.05.1993, Az.: 9/9a RV 1/92). Lässt sich der Vollbeweis nicht führen, geht die Nichterweislichkeit einer Tatsache zulasten dessen, der sich zur Begründung seines Anspruchs oder rechtlichen Handelns auf ihr Vorliegen stützen möchte.

Der Vollbeweis einer Neuralgie ist im vorliegenden Fall nicht geführt. Ganz abgesehen davon, dass schon wegen des Alltagsverhaltens des Klägers, seiner Aktivitäten, seines Bewegungsverhaltens und des bei der Begutachtung durch Dr. C., aber auch bei anderen Gutachtern erhobenen körperlichen Befunds der Nachweis der mit der Neuralgie verbundenen besonderen Schmerzsituation nicht geführt ist (dazu vgl. oben Ziff. 3.2.2.), ist auch die vom Kläger behauptete Schmerzsituation nicht mit einer derartigen Neuralgie vereinbar. Das vom Kläger geschilderte Beschwerdebild passt von der Schmerzlokalisation her nicht zu einer Neuralgie der dafür von Dr. O. als ursächlich betrachteten Nerven. Der erfahrene algesiologisch-orthopädische Sachverständige Dr. C. hat überzeugend erläutert, dass die von Dr. O. getroffene diagnostische Zuordnung der vom Kläger angegebenen Beschwerden im Sinne einer Neuralgie überaus fraglich ist. Eine Neuralgie des Nervus pudendus bedingt Schmerzen ausnahmslos am Damm und der Genitalregion, der Oberschenkel wird nicht von diesem Nerv versorgt. Eine Neuralgie des körperfernen Nervus obturatorius führt zu Schmerzen am körperfernen Oberschenkel oberhalb des Kniegelenks und nicht im Genital- oder Unterleibsbereich, wie dies Dr. O. beschrieben hat. Derartige Beschwerden hat der Kläger so nicht angegeben. Wenn der Kläger tatsächlich an einer Neuralgie der beiden Nerven leiden würde, wäre dies zudem aller Erfahrung nach seinen zahlreichen behandelnden Ärzten, insbesondere den involvierten Urologen und Neurologen, nicht unbekannt geblieben. Gegen eine Neuralgie spricht schließlich, dass der Kläger die Beschwerden als inkonsistent angegeben hat.

Überhaupt sind die Beschwerdeangaben des Klägers mit großen Vorbehalten zu sehen. Dies gilt nicht nur hinsichtlich der von Dr. O. vermuteten Neuralgie, sondern auch bei den anderen Gesundheitsstörungen. Der Senat hat den Eindruck gewonnen, dass die Angaben des Klägers im schwerbehindertenrechtlichen Verfahren stark zweckorientiert gemacht worden sind. Beispielsweise hat der Orthopäde Dr. O., als er vom Beklagten um einen Befundbericht zum Gesundheitszustand des Klägers gebeten worden war, nichts zu einer Neuralgie berichtet. Vielmehr hat er im Bericht vom 18.06.2012 ausdrücklich angegeben, dass es keine neurologischen Ausfälle gebe und eine Gehbehinderung beim Kläger nicht vorliege. Auch in den vom SG bei über 20 ärztlichen Behandlern des Klägers angeforderten Berichten sind keine neuralgischen Beschwerden oder Gehbeeinträchtigungen erwähnt worden. Ganz offensichtlich hat der Kläger gegenüber seinen behandelnden Ärzten - anders als gegenüber dem Beklagten und den Gerichten -keinerlei besondere Behinderungen beim Gehen, sondern sogar sportliche Aktivitäten geschildert. So ist dem Bericht des Schmerz- und Palliativzentrums R. vom 31.10.2012 zu entnehmen, dass der Kläger joggt, tanzt und Ski fährt. Während des Rehaaufenthalts im November und Dezember 2013 hat der Kläger den dortigen Ärzten gegenüber angegeben, regelmäßig zu joggen und Tennis zu spielen (Abschlussbericht vom 02.01.2014). Wenn der Kläger demgegenüber im schwerbehindertenrechtlichen Verfahren behauptet hat, beim Gehen massiv beeinträchtigt zu sein, lässt dieses widersprüchliche Verhalten Zweifel an seiner Glaubwürdigkeit aufkommen.

3.2.5.2. Für das Barrett-Syndrom ist ein GdB von 10 angemessen. Sofern der Bevollmächtigte des Klägers dafür einen GdB von 50 fordert, fehlt dafür jede Grundlage. Nach den VG (vgl. dort Teil B Nr. 10.1) ist für eine Refluxkrankheit der Speiseröhre mit anhaltenden Refluxbeschwerden je nach Ausmaß ein GdB von 10 bis 30 anzusetzen; einen höheren GdB sehen die VG nicht vor, sofern keine funktionell relevanten Auswirkungen auf Nachbarorgane vorliegen. Beim Kläger liegen weder derartige Folgeerkrankungen vor noch hat er wegen der Refluxkrankheit irgendwelche Beschwerden, wie sich auch aus dem Gutachten des von ihm benannten Sachverständigen Dr. O. ergibt. Ein GdB von mehr als 10 ist daher nicht begründbar.

3.2.5.3. Eine mit einem GdB von 20 zu bewertende Impotenz, wie sie der vom Kläger benannte orthopädische Sachverständige Dr. O. angenommen hat, ist nicht nachgewiesen. Eine Impotentia coeundi ist nach den VG (vgl. dort Teil B Nr. 13.2) nur bei nachgewiesener erfolgloser Behandlung mit einem GdB von 20 zu bewerten. Beim Kläger sind diese Voraussetzungen aber nicht erfüllt. Seine erektile Dysfunktion ist erfolgreich therapierbar, so dass eine Impotentia coeundi nicht nur nicht nachgewiesen, sondern sogar widerlegt ist. Dies ergibt sich beispielsweise aus dem Befundbericht des behandelnden Urologen vom 22.11.2012, den Angaben im Abschlussbericht über die vom 20.11.2013 bis zum 18.12.2013 durchgeführte medizinische Rehamaßnahme und den eigenen Angaben des Klägers, aber auch aus den Gutachten des Dr. O. und des Dr. S.. Beim Kläger liegt zwar eine erektile Dysfunktion vor. Diese ist aber mittels der Schwellkörper-Autoinjektionstherapie (SKAT) behandelbar, so dass dem Kläger die Durchführung des Geschlechtsverkehrs möglich ist. Darauf, dass eine Impotenz infolge der Operation des Prostatakarzinoms während der Zeit der Heilungsbewährung ohnehin keine gesonderte Berücksichtigung finden könnte, sondern im GdB für die Erkrankung der Prostata aufgehen würde, kommt es nicht weiter an.

3.2.5.4. Für eine Coxarthrose links und eine Hochtonschwerhörigkeit hat kein einziger der im Verfahren eingebundenen Sachverständigen einen GdB von mehr als 10 angenommen.

3.2.5.5. Ein messbarer GdB wegen der vom Kläger angegebenen funktionellen Beeinträchtigungen im Schulterbereich infolge eines „funktionellen Impingements“ besteht nicht. Nach den VG (vgl. dort Teil B Nr. 18.13) würde ein GdB von 10 wegen einer Bewegungseinschränkung des Schultergelenks (einschließlich Schultergürtel) eine nur noch bis zu 120° mögliche Armhebung mit entsprechender Einschränkung der Dreh- und Spreizfähigkeit voraussetzen. Von einer derartigen Bewegungseinschränkung ist der Kläger weit entfernt, wie sich aus den als weitgehend unbeeinträchtigt festgestellten Bewegungsmaßen im Gutachten des Dr. C. ergibt. Auch der vom Kläger benannte Sachverständige Dr. O. hat die Bewegungsmaße der Schultergelenke als unauffällig beschrieben.

3.2.6. Bildung des Gesamt-GdB

Bei Berücksichtigung der oben aufgezeigten funktionellen gesundheitlichen Beeinträchtigungen und deren Einzelbewertungen ist der GdB mit insgesamt 70 keinesfalls zu gering, eher zu hoch geschätzt

Sofern der Bevollmächtigte des Klägers bei der von ihm mit Schreiben vom 28.08.2014 geforderten Feststellung eines GdB von 100 die Zugrundelegung eines urologischen GdB von 80 bis 90 und eines orthopädischen GdB von 90 gefordert hat, wie er sie in den gemäß § 109 SGG eingeholten Gutachten erkennen will, entbehrt dies jeglicher Grundlage. Der Senat kann sich diese abwegige Begründung nur damit erklären, dass der Bevollmächtigte die Gutachten schlicht nicht gelesen hat. Denn der vom Kläger benannte orthopädische Gutachter hat in seinem, wie bereits erläutert nicht nachvollziehbaren Gutachten keinen GdB von 80 bis 90 auf orthopädischem Gebiet gesehen, sondern einen derartigen GdB nur deshalb angenommen, weil er von einem GdB von 50 auf urologischem Gebiet ausgegangen ist.

Die naheliegende Frage, ob es dem Beklagten möglich gewesen wäre, mit Blick auf die Regelung des § 48 Abs. 3 SGB X (sog. Abschmelzung - vgl. BSG, Urteil vom 12.12.1995, Az.: 9 RV 26/94, und vom 19.09.2000, Az.: B 9 SB 3/00 R) einen GdB von weniger als 70 anzusetzen, bedarf mangels Entscheidungserheblichkeit keiner Erörterung.

4. Merkzeichen G

Die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen G (erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr) sind in der Person des Klägers nicht erfüllt.

Materiell-rechtliche Anspruchsnorm ist § 146 Abs. 1 Satz 1 SGB IX. Danach ist in seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt, wer infolge einer Einschränkung des Gehvermögens (auch durch innere Leiden oder infolge von Anfällen oder von Störungen der Orientierungsfähigkeit) nicht ohne erhebliche Schwierigkeiten oder nicht ohne Gefahren für sich oder andere Wegstrecken im Ortsverkehr zurückzulegen vermag, die üblicherweise noch zu Fuß zurückgelegt werden. Die VG enthalten, soweit dies hier in Betracht kommt, in Teil D Nr. 1 Buchst. b, und d die folgenden konkretisierenden Regelungen:

„b)...

Bei der Prüfung der Frage, ob diese Voraussetzungen vorliegen, kommt es nicht auf die konkreten örtlichen Verhältnisse des Einzelfalles an, sondern darauf, welche Wegstrecken allgemein - d. h. altersunabhängig von nicht behinderten Menschen - noch zu Fuß zurückgelegt werden. Als ortsübliche Wegstrecke in diesem Sinne gilt eine Strecke von etwa zwei Kilometern, die in etwa einer halben Stunde zurückgelegt wird.

...

d) Die Voraussetzungen für die Annahme einer erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr infolge einer behinderungsbedingten Einschränkung des Gehvermögens sind als erfüllt anzusehen, wenn auf die Gehfähigkeit sich auswirkende Funktionsstörungen der unteren Gliedmaßen und/oder der Lendenwirbelsäule bestehen, die für sich einen GdB von wenigstens 50 bedingen. Darüber hinaus können die Voraussetzungen bei Behinderungen an den unteren Gliedmaßen mit einem GdB unter 50 gegeben sein, wenn diese Behinderungen sich auf die Gehfähigkeit besonders auswirken, z. B. bei Versteifung des Hüftgelenks, Versteifung des Knie- oder Fußgelenks in ungünstiger Stellung, arteriellen Verschlusskrankheiten mit einem GdB von 40. Auch bei inneren Leiden kommt es bei der Beurteilung entscheidend auf die Einschränkung des Gehvermögens an. Dementsprechend ist eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit vor allem bei Herzschäden mit Beeinträchtigung der Herzleistung wenigstens nach Gruppe 3 und bei Atembehinderungen mit dauernder Einschränkung der Lungenfunktion wenigstens mittleren Grades anzunehmen. Auch bei anderen inneren Leiden mit einer schweren Beeinträchtigung der körperlichen Leistungsfähigkeit, z. B. chronische Niereninsuffizienz mit ausgeprägter Anämie, sind die Voraussetzungen als erfüllt anzusehen.“

Dass die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen G nicht erfüllt sind, liegt auf der Hand.

Sämtliche Sachverständigen sind zu der Einschätzung gekommen, dass die vorgenannten Voraussetzungen in der Person des Klägers nicht erfüllt sind. Selbst die behandelnden und gemäß § 109 SGG benannten Ärzte haben dies bestätigt und die beim Kläger aus ihrer Sicht vorliegende Beeinträchtigung der Gehfähigkeit als nicht ausreichend für das Merkzeichen G angesehen. Im Übrigen kann der Senat die von Dr. O. als gegeben erachtete, aus seiner Sicht aber für das Merkzeichen G nicht ausreichende Einschränkung der Gehfähigkeit ohnehin nicht nachvollziehen. Denn die von Dr. O. - und in der Folge von Dr. S. ungeprüft übernommene - Annahme einer Beeinträchtigung der Gehfähigkeit beruht auf der Vermutung einer Neuralgie, deren einzige Stütze in den anscheinend zweckgerichteten, aber nicht verifizierbaren, sondern sogar widerlegten Angaben des Klägers (vgl. oben Ziff. 3.2.5.1.) liegt. Verwunderlich ist im Übrigen, dass Dr. O. noch am 18.06.2012 gegenüber dem Beklagten berichtet hat, dass beim Kläger eine Gehbehinderung nicht vorliege, obwohl sich im hier betrachteten Zeitraum keinerlei Änderungen im Gehvermögen des Klägers ergeben haben. Wenn insofern der gerichtliche Gutachter Dr. C. ein helfendes Bemühen des Dr. O. erkannt hat, kann der Senat dieser sehr zurückhaltenden Formulierung nur zustimmen. Der Senat weist in diesem Zusammenhang auch darauf hin, dass der Kläger an anderer Stelle (z. B. bei seinem Schmerztherapeuten im Jahr 2012 und anlässlich seines Rehaaufenthalts im Jahr 2013 - vgl. oben Ziff. 3.2.5.1.) angegeben hat, dass er regelmäßig jogge, Ski fahre, tanze und Tennis spiele. Dass seine annähernd gleichzeitig im sozialgerichtlichen Verfahren gemachten Angaben, mit denen er eine erhebliche Beeinträchtigung beim Gehen suggerieren will, ohne den geringsten Zweifel unglaubwürdig sind, ist offenkundig. Einer Person, die regelmäßig joggt, tanzt und Tennis spielt, steht das Merkzeichen G mit Sicherheit nicht zu!

Der Kläger hat daher mit seiner Berufung keinen Erfolg.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Ein Grund für die Zulassung der Revision liegt nicht vor (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG).

(1) Soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, ist der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Der Verwaltungsakt soll mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit

1.
die Änderung zugunsten des Betroffenen erfolgt,
2.
der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist,
3.
nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsaktes Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde, oder
4.
der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist.
Als Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse gilt in Fällen, in denen Einkommen oder Vermögen auf einen zurückliegenden Zeitraum auf Grund der besonderen Teile dieses Gesetzbuches anzurechnen ist, der Beginn des Anrechnungszeitraumes.

(2) Der Verwaltungsakt ist im Einzelfall mit Wirkung für die Zukunft auch dann aufzuheben, wenn der zuständige oberste Gerichtshof des Bundes in ständiger Rechtsprechung nachträglich das Recht anders auslegt als die Behörde bei Erlass des Verwaltungsaktes und sich dieses zugunsten des Berechtigten auswirkt; § 44 bleibt unberührt.

(3) Kann ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nach § 45 nicht zurückgenommen werden und ist eine Änderung nach Absatz 1 oder 2 zugunsten des Betroffenen eingetreten, darf die neu festzustellende Leistung nicht über den Betrag hinausgehen, wie er sich der Höhe nach ohne Berücksichtigung der Bestandskraft ergibt. Satz 1 gilt entsprechend, soweit einem rechtmäßigen begünstigenden Verwaltungsakt ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt zugrunde liegt, der nach § 45 nicht zurückgenommen werden kann.

(4) § 44 Abs. 3 und 4, § 45 Abs. 3 Satz 3 bis 5 und Abs. 4 Satz 2 gelten entsprechend. § 45 Abs. 4 Satz 2 gilt nicht im Fall des Absatzes 1 Satz 2 Nr. 1.

(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.

(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.

(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.

(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.