Bundesarbeitsgericht Beschluss, 29. Nov. 2016 - 10 ABR 67/16 (F)

ECLI:ECLI:DE:BAG:2016:291116.B.10ABR67.16F.0
bei uns veröffentlicht am29.11.2016

Tenor

Die Anhörungsrügen der Beteiligten zu 6. und 7. gegen den Beschluss des Bundesarbeitsgerichts vom 21. September 2016 - 10 ABR 48/15 - werden als unzulässig verworfen.

Gründe

1

I. Der Senat hat auf die Anhörung der Beteiligten vom 21. September 2016 mit einem am selben Tag verkündeten Beschluss festgestellt, dass die Allgemeinverbindlicherklärung vom 17. März 2014 (BAnz. AT 19. März 2014 B1) des Tarifvertrags über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe vom 3. Mai 2013 in der Fassung des Änderungstarifvertrags vom 3. Dezember 2013 unwirksam ist. Mit ihren am 5. Oktober 2016 eingegangenen Anhörungsrügen machen die Beteiligten zu 6. und 7. die Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör geltend. Bei dem Beschluss handele es sich um eine Überraschungsentscheidung. Dies ergebe sich aus der mündlichen Beschlussbegründung vom 21. September 2016. Der mit Gründen versehene und von allen Senatsmitgliedern unterschriebene Beschluss war den Beteiligten zum Zeitpunkt der Erhebung der Anhörungsrüge noch nicht zugestellt worden.

2

II. Die Anhörungsrügen der Beteiligten zu 6. und 7. sind als unzulässig zu verwerfen, § 78a Abs. 4 Satz 2, Abs. 8 ArbGG, weil die Begründung nicht den gesetzlichen Anforderungen genügt, § 78a Abs. 2 Satz 5 ArbGG. Es fehlt an der erforderlichen Darlegung einer entscheidungserheblichen Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör durch den Senat.

3

1. Nach § 78a Abs. 1 Satz 1 ArbGG ist auf die Rüge eines durch eine gerichtliche Entscheidung beschwerten Beteiligten das Verfahren fortzuführen, wenn ein Rechtsmittel oder ein anderer Rechtsbehelf gegen die Entscheidung nicht gegeben ist(Nr. 1) und das Gericht den Anspruch dieses Beteiligten auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat (Nr. 2). Die Rüge muss nach § 78a Abs. 2 Satz 5 ArbGG die angegriffene Entscheidung bezeichnen und das Vorliegen der in Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 genannten Voraussetzungen darlegen.

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2. Hieran fehlt es. Mangels Vorliegens der mit Gründen versehenen schriftlichen Beschlussfassung kann die Entscheidungserheblichkeit der von den Beteiligten zu 6. und 7. behaupteten Gehörsverletzung nicht dargelegt werden.

5

a) Ein Beteiligter kann eine entscheidungserhebliche Gehörsverletzung nur darlegen, wenn er die Gründe der beanstandeten Entscheidung kennt (BAG 27. Juli 2016 - 3 AZR 260/16 (F) - Rn. 4; 12. November 2010 - 9 AZR 595/10 (F) - Rn. 4; Zöller/Vollkommer ZPO 31. Aufl. § 321a Rn. 14). Einer Anhörungsrüge, die vor Bekanntgabe der mit Gründen versehenen Entscheidung erhoben ist, fehlt zwangsläufig der ordnungsgemäße Vortrag einer Gehörsverletzung und deren Entscheidungserheblichkeit (vgl. BGH 15. Juli 2010 - I ZR 160/07 - Rn. 2). Die Notwendigkeit eines von den Beteiligten zu 6. und 7. als fehlend beanstandeten rechtlichen Hinweises (§ 139 Abs. 2 und Abs. 3 ZPO) bezieht sich nicht auf den Inhalt der verkündeten Entscheidungsformel, sondern auf entscheidungserhebliche Gesichtspunkte, welche bei einer am Schluss der Sitzung verkündeten Entscheidung noch nicht niedergelegt und den Beteiligten bekannt sein können (vgl. BVerfG 22. Juni 2011 - 1 BvR 2553/10 - Rn. 39).

6

b) Allein die schriftliche, von allen Senatsmitgliedern unterschriebene Entscheidungsfassung ist maßgebend (vgl. MüKoZPO/Musielak 5. Aufl. § 311 Rn. 6; Zöller/Vollkommer aaO § 311 Rn. 5). Demgegenüber haben die mündlich mitgeteilten Gründe nur die Bedeutung einer vorläufigen Information. Welche Erwägungen für die Entscheidung tatsächlich tragend sind, kann den mündlich mitgeteilten Gründen nicht verbindlich entnommen werden (vgl. BSG 29. Oktober 2015 - B 12 KR 11/15 C - Rn. 4).

        

    Linck    

        

    W. Reinfelder    

        

    Schlünder    

        

        

        

        

        

        

                 

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Referenzen - Gesetze

Bundesarbeitsgericht Beschluss, 29. Nov. 2016 - 10 ABR 67/16 (F) zitiert 3 §§.

Zivilprozessordnung - ZPO | § 139 Materielle Prozessleitung


(1) Das Gericht hat das Sach- und Streitverhältnis, soweit erforderlich, mit den Parteien nach der tatsächlichen und rechtlichen Seite zu erörtern und Fragen zu stellen. Es hat dahin zu wirken, dass die Parteien sich rechtzeitig und vollständig über

Arbeitsgerichtsgesetz - ArbGG | § 78a Abhilfe bei Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör


(1) Auf die Rüge der durch die Entscheidung beschwerten Partei ist das Verfahren fortzuführen, wenn 1. ein Rechtsmittel oder ein anderer Rechtsbehelf gegen die Entscheidung nicht gegeben ist und2. das Gericht den Anspruch dieser Partei auf rechtliche

Referenzen

(1) Auf die Rüge der durch die Entscheidung beschwerten Partei ist das Verfahren fortzuführen, wenn

1.
ein Rechtsmittel oder ein anderer Rechtsbehelf gegen die Entscheidung nicht gegeben ist und
2.
das Gericht den Anspruch dieser Partei auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat.
Gegen eine der Endentscheidung vorausgehende Entscheidung findet die Rüge nicht statt.

(2) Die Rüge ist innerhalb einer Notfrist von zwei Wochen nach Kenntnis von der Verletzung des rechtlichen Gehörs zu erheben; der Zeitpunkt der Kenntniserlangung ist glaubhaft zu machen. Nach Ablauf eines Jahres seit Bekanntgabe der angegriffenen Entscheidung kann die Rüge nicht mehr erhoben werden. Formlos mitgeteilte Entscheidungen gelten mit dem dritten Tage nach Aufgabe zur Post als bekannt gegeben. Die Rüge ist schriftlich bei dem Gericht zu erheben, dessen Entscheidung angegriffen wird. Die Rüge muss die angegriffene Entscheidung bezeichnen und das Vorliegen der in Absatz 1 Satz 1 Nr. 2 genannten Voraussetzungen darlegen.

(3) Dem Gegner ist, soweit erforderlich, Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben.

(4) Das Gericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Rüge an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist erhoben ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Rüge als unzulässig zu verwerfen. Ist die Rüge unbegründet, weist das Gericht sie zurück. Die Entscheidung ergeht durch unanfechtbaren Beschluss. Der Beschluss soll kurz begründet werden.

(5) Ist die Rüge begründet, so hilft ihr das Gericht ab, indem es das Verfahren fortführt, soweit dies aufgrund der Rüge geboten ist. Das Verfahren wird in die Lage zurückversetzt, in der es sich vor dem Schluss der mündlichen Verhandlung befand. § 343 der Zivilprozessordnung gilt entsprechend. In schriftlichen Verfahren tritt an die Stelle des Schlusses der mündlichen Verhandlung der Zeitpunkt, bis zu dem Schriftsätze eingereicht werden können.

(6) Die Entscheidungen nach den Absätzen 4 und 5 erfolgen unter Hinzuziehung der ehrenamtlichen Richter. Die ehrenamtlichen Richter wirken nicht mit, wenn die Rüge als unzulässig verworfen wird oder sich gegen eine Entscheidung richtet, die ohne Hinzuziehung der ehrenamtlichen Richter erlassen wurde.

(7) § 707 der Zivilprozessordnung ist unter der Voraussetzung entsprechend anzuwenden, dass der Beklagte glaubhaft macht, dass die Vollstreckung ihm einen nicht zu ersetzenden Nachteil bringen würde.

(8) Auf das Beschlussverfahren finden die Absätze 1 bis 7 entsprechende Anwendung.

(1) Das Gericht hat das Sach- und Streitverhältnis, soweit erforderlich, mit den Parteien nach der tatsächlichen und rechtlichen Seite zu erörtern und Fragen zu stellen. Es hat dahin zu wirken, dass die Parteien sich rechtzeitig und vollständig über alle erheblichen Tatsachen erklären, insbesondere ungenügende Angaben zu den geltend gemachten Tatsachen ergänzen, die Beweismittel bezeichnen und die sachdienlichen Anträge stellen. Das Gericht kann durch Maßnahmen der Prozessleitung das Verfahren strukturieren und den Streitstoff abschichten.

(2) Auf einen Gesichtspunkt, den eine Partei erkennbar übersehen oder für unerheblich gehalten hat, darf das Gericht, soweit nicht nur eine Nebenforderung betroffen ist, seine Entscheidung nur stützen, wenn es darauf hingewiesen und Gelegenheit zur Äußerung dazu gegeben hat. Dasselbe gilt für einen Gesichtspunkt, den das Gericht anders beurteilt als beide Parteien.

(3) Das Gericht hat auf die Bedenken aufmerksam zu machen, die hinsichtlich der von Amts wegen zu berücksichtigenden Punkte bestehen.

(4) Hinweise nach dieser Vorschrift sind so früh wie möglich zu erteilen und aktenkundig zu machen. Ihre Erteilung kann nur durch den Inhalt der Akten bewiesen werden. Gegen den Inhalt der Akten ist nur der Nachweis der Fälschung zulässig.

(5) Ist einer Partei eine sofortige Erklärung zu einem gerichtlichen Hinweis nicht möglich, so soll auf ihren Antrag das Gericht eine Frist bestimmen, in der sie die Erklärung in einem Schriftsatz nachbringen kann.