Amtsgericht Bergisch Gladbach Beschluss, 02. Okt. 2015 - 48 OWi 355/15 [b]
Tenor
Der Verwaltungsbehörde, also dem Rheinisch-Bergischen Kreis - Der Landrat -, Am Rübezahlwald 7, 51469 Bergisch Gladbach, wird aufgegeben, die gesamte digitale Messdatei, betreffend den Bußgeldvorgang gegen den Betroffenen unter dem Aktenzeichen 36.4-02-BG-5822110 im gerätespezifischen Format und in unverschlüsselter Form, das heißt einschließlich der unverschlüsselten Rohmessdaten sowie - falls dann noch erforderlich - den dazugehörigen öffentlichen Schlüssel/Token zu Händen seines Verteidigers zur Verfügung zu stellen.
Dabei ist ein geeignetes Speichermedium vom Betroffenen oder seinem Verteidiger der Behörde zur Verfügung zu stellen. Das bespielte Speichermedium wiederum ist dem Verteidiger in seine Kanzleiräume zu übersenden.
Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Betroffenen trägt die Verwaltungsbehörde.
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Gründe:
2Die Verwaltungsbehörde hat offensichtlich unter dem im Beschlusstenor bezeichneten Aktenzeichen eine Ordnungswidrigkeit (Geschwindigkeitsüberschreitung) festgestellt, welche sie dem Betroffenen vorwirft. Im Laufe des Verwaltungsverfahrens hat der Verfahrensbevollmächtigte des Betroffenen Akteneinsicht begehrt und diese teilweise erhalten.
3Der Betroffene macht ergänzend geltend, dass er für eine Überprüfung der Richtigkeit der Geschwindigkeitsmessung auf die gesamte seinerzeit gefertigte digitale Messdatei angewiesen sei, da diese das einzige originäre und unveränderbare Beweismittel für die Richtigkeit der Messung darstelle. Etwaige in der Bußgeldakte vorhandene Ausdrucke des Auswertungsprogramms hätten weder die erforderliche Beweiskraft, noch seien sie ein hinreichender Nachweis für die Richtigkeit der Messung.
4Die Bußgeldbehörde ist der Ansicht, aus Datenschutzgründen an der Herausgabe der Messdaten gehindert zu sein bzw. diese nur auf gerichtlichen Beschluss hin vornehmen zu können.
5Der Betroffene hat daher mit Schriftsatz vom 09.04.2015 gegenüber der Bußgeldbehörde einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung gestellt.
6Der Antrag ist zulässig.
7In der Sache hat er auch Erfolg.
8Offen bleiben kann dabei, ob sich der Anspruch des Betroffenen schon aus dem Akteneinsichtsrecht ergibt. Selbst wenn man die Auffassung vertritt, dass ein Messfilm bzw. eine Messdatei nicht Aktenbestandteil ist, ergibt sich ein derartiges Einsichtsrecht zumindest aus dem Grundsatz des fairen Verfahrens, welcher allgemein im Verfahrensrecht bzw. Prozessrecht gilt.
9Auszugehen ist dabei davon, dass ein Betroffener oder ein Verteidiger bei Ordnungswidrigkeiten im Rahmen einer Geschwindigkeitsmessung nicht pauschal behaupten kann, die Richtigkeit der Messung werde angezweifelt. Er muss vielmehr in jedem einzelnen Verfahren Anhaltspunkte dafür darlegen, die für eine Unrichtigkeit der Messung sprechen könnten. Erst wenn ihm das gelingt, bedarf es einer gerichtlichen Beweisaufnahme darüber, ob im konkreten Fall tatsächlich eine richtige Messung stattgefunden hat, die den Bußgeldvorwurf begründet.
10Da aber die Rechtsprechung vom Betroffenen einen derartigen Vortrag im Hinblick auf etwaige konkrete Mängel verlangt, muss der Betroffene bzw. sein Verteidiger in der Lage sein, konkrete, die Amtsaufklärungspflicht auslösende Anhaltspunkte für Messfehler vorzutragen. Hierfür aber wiederum benötigt er zwangsläufig den Zugang zu den Messunterlagen und insbesondere zu einem kompletten Messfilm bzw. zu den kompletten Messdaten. Erst die Auswertung dieser Daten - gegebenenfalls unter Hinzuziehung eines privaten Sachverständigen - versetzt den Betroffenen in die Lage zu entsprechendem Sachvortrag.
11Datenschutzrechtliche Bedenken stehen dem nicht entgegen.
12Schon rein tatsächlich ist insoweit festzustellen, dass zwar ein Verteidiger und/oder ein privater Sachverständiger bei Einsicht in die gesamte Messreihe zwangsläufig auch andere Fahrzeuge sehen, welche eine Messung ausgelöst haben. Es ist aber schon äußerst unwahrscheinlich, dass dann hierbei ein Fahrzeug oder ein Fahrzeugführer betroffen sind, den dann der Verteidiger und/oder der private Sachverständiger kennen. Erstrecht ist nicht zu erkennen, welche (unzulässigen) Informationen/Schlussfolgerungen diese hieraus ziehen könnten. Dies gilt umso mehr, als der aufgezeichnete und feststellbare Lebenssachverhalt aus einer derartigen Maßnahme nur einen äußerst kurzen Zeitraum betrifft.
13Wägt man dann das Interesse des Betroffenen an einer ordnungsgemäßen Überprüfung der Geschwindigkeitsmessung mit dem Interesse anderer abgebildeter Verkehrsteilnehmer ab, hat das Interesse der anderen abgebildeten Verkehrsteilnehmer gegenüber dem Einsichtsrecht zurückzustehen. Hierbei ist insbesondere die Erwägung von Bedeutung, dass die anderen abgebildeten Personen sich durch ihre Teilnahme am öffentlichen Straßenverkehr selbst der Wahrnehmung und Beobachtung durch andere Verkehrsteilnehmer und auch der Kontrolle ihres Verhaltens im Straßenverkehr durch die Polizei ausgesetzt haben. Dann kann es für diese Personen auch keinen überragenden Persönlichkeitseingriff darstellen, wenn sie im Zusammenhang mit einer polizeilichen oder ordnungsbehördlichen Maßnahme bzw. im Zusammenhang mit der Überprüfung derselben sich mit einer äußerst geringen, gegen null gehenden Wahrscheinlichkeit dem Risiko ausgesetzt sehen, zufällig erkannt zu werden.
14Nach allem war dem Antrag des Betroffenen stattzugeben.
15Die Kostenentscheidung folgt aus § 62 OWiG in Verbindung mit §§ 467 Abs. 1, 473 StPO.
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Referenzen - Gesetze
(1) Gegen Anordnungen, Verfügungen und sonstige Maßnahmen, die von der Verwaltungsbehörde im Bußgeldverfahren getroffen werden, können der Betroffene und andere Personen, gegen die sich die Maßnahme richtet, gerichtliche Entscheidung beantragen. Dies gilt nicht für Maßnahmen, die nur zur Vorbereitung der Entscheidung, ob ein Bußgeldbescheid erlassen oder das Verfahren eingestellt wird, getroffen werden und keine selbständige Bedeutung haben.
(2) Über den Antrag entscheidet das nach § 68 zuständige Gericht. Die §§ 297 bis 300, 302, 306 bis 309 und 311a der Strafprozeßordnung sowie die Vorschriften der Strafprozeßordnung über die Auferlegung der Kosten des Beschwerdeverfahrens gelten sinngemäß. Die Entscheidung des Gerichts ist nicht anfechtbar, soweit das Gesetz nichts anderes bestimmt.
(1) Soweit der Angeschuldigte freigesprochen, die Eröffnung des Hauptverfahrens gegen ihn abgelehnt oder das Verfahren gegen ihn eingestellt wird, fallen die Auslagen der Staatskasse und die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten der Staatskasse zur Last.
(2) Die Kosten des Verfahrens, die der Angeschuldigte durch eine schuldhafte Säumnis verursacht hat, werden ihm auferlegt. Die ihm insoweit entstandenen Auslagen werden der Staatskasse nicht auferlegt.
(3) Die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten werden der Staatskasse nicht auferlegt, wenn der Angeschuldigte die Erhebung der öffentlichen Klage dadurch veranlaßt hat, daß er in einer Selbstanzeige vorgetäuscht hat, die ihm zur Last gelegte Tat begangen zu haben. Das Gericht kann davon absehen, die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten der Staatskasse aufzuerlegen, wenn er
- 1.
die Erhebung der öffentlichen Klage dadurch veranlaßt hat, daß er sich selbst in wesentlichen Punkten wahrheitswidrig oder im Widerspruch zu seinen späteren Erklärungen belastet oder wesentliche entlastende Umstände verschwiegen hat, obwohl er sich zur Beschuldigung geäußert hat, oder - 2.
wegen einer Straftat nur deshalb nicht verurteilt wird, weil ein Verfahrenshindernis besteht.
(4) Stellt das Gericht das Verfahren nach einer Vorschrift ein, die dies nach seinem Ermessen zuläßt, so kann es davon absehen, die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten der Staatskasse aufzuerlegen.
(5) Die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten werden der Staatskasse nicht auferlegt, wenn das Verfahren nach vorangegangener vorläufiger Einstellung (§ 153a) endgültig eingestellt wird.