Urteils-Kommentar zu Bundesgerichtshof Urteil, 26. März 2025 - VIII ZR 152/23 von ra.de Redaktion

originally published: 12.10.2025 14:24, updated: 12.10.2025 14:35
Urteils-Kommentar zu Bundesgerichtshof Urteil, 26. März 2025 - VIII ZR 152/23 von ra.de Redaktion
Gesetze

Bundesgerichtshof Urteil, 26. März 2025 - VIII ZR 152/23

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Kollusion, Wissenszurechnung und missbräuchliche Vertretungsmacht im Wohnraummietrecht

Kernaussage: Der VIII. Zivilsenat präzisiert die dogmatische Trennlinie zwischen kollusivem Zusammenwirken (§ 138 Abs. 1 BGB) und unzulässiger Rechtsausübung (§ 242 BGB) bei Missbrauch der Vertretungsmacht (hier im Mietrecht): 

Für Kollusion genügt nicht die (auch grob fahrlässige) Kenntnis des Missbrauchs auf Mieterseite; erforderlich ist ein bewusstes Zusammenwirken mit dem Vertreter zum Nachteil des Vermieters.

Für § 242 bleibt die Schwelle der „objektiven Evidenz“ hoch. Die Wissenszurechnung nach § 166 BGB setzt eine bewusste Einschaltung als Wissensvertreter voraus; eine persönliche Beziehung allein trägt sie nicht. Eine bloße Kontomitteilung des Vermieters stellt keine konkludente Bestätigung (§ 141 BGB) eines zweifelhaften Vertrags dar. Der Fall wird an das LG Berlin zurückverwiesen. 

 

1. Sachverhalt und Verfahrensgang

Eine GmbH ist Eigentümerin einer rund 177 m² großen Berliner Wohnung. Deren damaliger, alleinvertretungsberechtigter Geschäftsführer schloss Ende 2017 mit der späteren Beklagten zu 1 einen Wohnraummietvertrag zu ungewöhnlich günstigen Konditionen (600 € Nettokaltmiete; Bruttomiete 1.010 €; Mietbefreiung bis 1.9.2018 gegen Renovierungsleistungen). Die Gesellschafter wollten das Objekt – nach Feststellungen der Tatsacheninstanzen – veräußern, nicht neu vermieten. Nach Geschäftsführerwechsel forderte die GmbH die Räumung; sie berief sich auf kollusives Zusammenwirken und Sittenwidrigkeit. Das AG wies die Klage ab, das LG gab ihr statt. Der BGH hob auf und verwies zurück. 

2. Rechtsfragen

Zentral waren vier Punkte: Erstens die Abgrenzung zwischen § 138 Abs. 1 BGB (kollusives Zusammenwirken) und § 242 BGB (Einwand unzulässiger Rechtsausübung wegen erkannten/erkennbaren Missbrauchs der Vertretungsmacht). Zweitens der Maßstab für die Wissenszurechnung nach § 166 BGB, wenn die verhandelnde Person nicht Vertragspartei ist (hier: Lebensgefährte der Mieterin). Drittens die Außenwirkung interner Willensbildungen der Gesellschafter auf die Vertretungsmacht des Geschäftsführers. Viertens die Frage, ob späteres Verhalten des Vermieters (Kontomitteilung, Entgegennahme von Zahlungen) als Bestätigung (§ 141 BGB) zu werten ist. 

3. Entscheidung und Begründung

Der Senat beanstandet zunächst den rechtlichen Maßstab des LG. Ein Verstoß gegen § 138 Abs. 1 BGB setzt ein bewusstes Zusammenwirken zwischen Vertreter und Vertragspartner zum Nachteil des Vertretenen voraus. Das LG hatte demgegenüber ausreichen lassen, dass der Lebensgefährte der Mieterin den Missbrauch erkannt oder grob fahrlässig verkannt habe. Das genügt für Kollusion nicht; es kennzeichnet lediglich den strengeren Prüfungsmaßstab nach § 242 BGB. Damit fehlt es an tragfähigen Feststellungen zur subjektiven Seite der Kollusion auf Seiten der Vertragspartnerin(Beklagte zu 1).

Für § 242 BGB bekräftigt der BGH die bekannte Linie: Der redliche Geschäftsverkehr soll sich grundsätzlich auf die gesetzliche Außenmacht des GmbH‑Geschäftsführers verlassen dürfen (§ 37 Abs. 2 GmbHG). Der Einwand unzulässiger Rechtsausübung greift erst bei „objektiver Evidenz“ eines Missbrauchs, regelmäßig erkennbar daran, dass sich eine Rückfrage beim Vertretenen geradezu aufdrängen musste. Die günstige Miete und die befristete Mietbefreiung genügen für sich genommen nicht, um eine solche Evidenz anzunehmen. 

Zur Wissenszurechnung stellt der Senat klar: § 166 BGB setzt diebewusste Einschaltung eines Dritten als Wissensvertreter voraus; nur dann wird dessen Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis zugerechnet. Eine Lebensgemeinschaft oder Mitbewohnerschaft reicht dafür nicht. Das LG hätte tragfähig feststellen müssen, dass die Mieterin den Lebensgefährten als Verhandlungsführer in eigener Verantwortung einsetzte oder dessen Auftreten kannte und billigte. Diese Feststellungen fehlten. 

Im Innenverhältnis lag zwar ein Missbrauch der Vertretungsmacht des damaligen Geschäftsführers nahe, weil er entgegen der (jedenfalls mutmaßlichen) Gesellschafterabsicht vermietete, obwohl ein Verkauf vorgesehen war. Außenwirkt sich dies aber erst aus, wenn der Vertragspartner den Missbrauch erkannte oder erkennen musste. Diese Schutzrichtung – Risiko des Missbrauchs grundsätzlich beim Vertretenen – bestätigt der Senat in Kontinuität zu seiner Rechtsprechung. 

Eine konkludente Bestätigung des Mietvertrags (§ 141 BGB) verneint der BGH: Ein allgemeines Schreiben mit neuer Bankverbindung und spätere Zahlungen der Mieterin lassen – ohne eindeutigen Bestätigungswillen – nicht den Schluss zu, die Vermieterin habe einen möglicherweise nichtigen Vertrag nachträglich „heilen“ wollen. Auch dieser Punkt verweist auf die Notwendigkeit eindeutiger tatrichterlicher Feststellungen. 

4. Einordnung in die Rechtsprechung

Die Entscheidung knüpft an die Grundsätze zur Kollusion an, wonach ein bewusstes Zusammenwirken zwischen Vertreter und Gegenpartei die Nichtigkeit nach § 138 Abs. 1 BGB begründet. Bloßes Kennenmüssen des Missbrauchs reicht dafür nicht – das ist Dogma seit Langem. 

Für Konstellationen unterhalb der Kollusionsschwelle bleibt § 242 BGB das Korrektiv. Die Schwelle der „objektiven Evidenz“ ist aus der Bank‑ und Gesellschaftsrechtsprechung bekannt: Unzulässige Rechtsausübung liegt erst vor, wenn sich dem Vertragspartner eine Rückfrage beim Vertretenen geradezu aufdrängen musste; das schützt den Geschäftsverkehr vor übermäßigen Nachforschungspflichten. Der VIII. Senat bestätigt damit die Linie etwa des XI. und IX. Senats. 

5. Praktische Konsequenzen für die Beratung

Für Vermieter‑GmbHs und deren Gesellschafter gilt: Interne Verkaufsbeschlüsse, „No‑Letting“-Vorgaben oder Mietpreisgrenzen entfalten ohne klare Kommunikation und Kontrolle keine Außenwirkung. Wer Missbrauchsrisiken minimieren will, braucht belastbare Freigabe‑ und Vier‑Augen‑Prozesse sowie dokumentierte Weisungen an die Geschäftsführung. Wird ein „auffällig günstiger“ Vertrag entdeckt, genügt dessen Auffälligkeit nicht; entscheidend sind Beweise für kollusives Zusammenwirken oder objektive Evidenz auf Mieterseite (z. B. eindeutige E‑Mails, Abrede über „Freundschaftsmiete“, Hinweise auf Verkauf und Vermietungsverbot, bewusste Umgehung von Zustimmungsanforderungen).

Mieter sind nicht gehalten, interne Kompetenzfragen der GmbH zu klären. Wer jedoch erkennbar von einem offenbaren Missbrauch profitiert – etwa weil der Vertreter „unter der Hand“ vermietet, obwohl ein klares Vermietungsverbot kommuniziert wurde –, riskiert den Verlust des Vertragsschutzes unter § 242 BGB. Die Entscheidung macht deutlich: „Billig“ ist nicht automatisch sittenwidrig – aber „billig und erkennbar missbräuchlich“ bleibt angreifbar. 

Für Prozessführung und Beweisrecht liefert das Urteil Leitplanken. Klägerseite sollte konsequent zwischen § 138 Abs. 1 und § 242 BGB unterscheiden und die subjektiven Voraussetzungen beider Normeneigens darlegen: bei § 138 Abs. 1 die kollusive Abrede, bei § 242 dieobjektive Evidenz und – wo einschlägig – die Wissenszurechnung über einen tatsächlich eingeschalteten Wissensvertreter. Beklagtenseite wird regelmäßig einwenden, dass weder ein Plan zur Schädigung des Vermieters noch eine evidenzielle Lage bestand und dass keine § 166‑Zurechnung greift, wenn Dritte (etwa Lebensgefährten) ohne Mandat agierten. 

6. Offene Punkte nach der Zurückverweisung

Der BGH hat nicht entschieden, ob der konkrete Mietvertrag wirksam ist, sondern den Maßstab gesetzt. Das Berufungsgericht wird Feststellungen dazu nachzuholen haben, ob die Beklagte zu 1 selbst kollusiv handelte, ob ihr der Missbrauch „objektiv evident“ sein musste und ob ihr eine Kenntnis des Beklagten zu 2 überhaupt zurechenbar ist. Erst danach wird sich beurteilen lassen, ob Ansprüche aus § 546 Abs. 1 BGB, §§ 987 Abs. 1, 990 Abs. 1 BGB bestehen – oder ob sogar Widerklageansprüche (RA‑Kosten) im Raum stehen. 

7. Fazit

Der Senat „entdramatisiert“ günstige Mieten und „re‑dogmatisiert“ den Missbrauchskomplex: Kollusion bleibt Ausnahme, § 242 einengen Grenzen unterworfener Korrektivtatbestand, § 166 kein Freibrief für generalisierte Wissenszurechnung im familiären Umfeld. Für die Praxis ist das ein Plädoyer für saubere Dogmatik und saubere Dokumentation – und ein Hinweis, dass spektakulär niedrige Mieten zwar Verdachtsmomente liefern, für sich allein aber weder Sittenwidrigkeit noch Missbrauchskenntnis beweisen.

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