Urteils-Kommentar zu Bundesgerichtshof Urteil, 22. Mai 2025 - VII ZR 129/24 von ra.de Redaktion
Bundesgerichtshof Urteil, 22. Mai 2025 - VII ZR 129/24
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des 21. Zivilsenats des Kammergerichts vom 25. Juni 2024 wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens trägt die Beklagte.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Klägerin verlangt von der Beklagten die Zahlung einer Vertragsstrafe.
Die Parteien schlossen am 18. Oktober 2018 einen notariellen Kaufvertrag über ein bebautes Grundstück mit Bauverpflichtung. Hiernach sollte die Beklagte für einen Nettokaufpreis von 7.300.000 € ein sanierungsbedürftiges Fabrikgebäude zu einem Wohnhaus mit 27 Wohnungen umbauen und das Grundstück übereignen.
Gemäß Ziffer 5.9. Abs. 1 des Vertrags hatte die Fertigstellung des Kaufgegenstands - mit Ausnahme der der Endabnahme nicht entgegenstehenden unwesentlichen Restarbeiten und Mängelbeseitigungen - spätestens bis zum 17. Oktober 2020 zu erfolgen ("Fertigstellungstermin"). Ferner heißt es dort in Absatz 2: "Vom Verkäufer nicht zu vertretende Bauverzögerungen (zum Beispiel [...]) führen zu einer Verschiebung des Fertigstellungstermins um die Dauer, die der Verkäufer an der Erfüllung seiner vertraglichen Verpflichtung gehindert ist."
Ziffer 6.8. lautet: "Kann der Verkäufer den Fertigstellungstermin aus Gründen, die er zu vertreten hat, nicht einhalten, schuldet er dem Käufer eine Vertragsstrafe in Höhe von EUR 1.276,57 pro Werktag, maximal jedoch 5 % des Kaufpreises insgesamt."
Nach Ziffer 18.2. des Vertrags stand beiden Parteien bis zum 15. Dezember 2022 ein Rücktrittsrecht zu, sofern die Kaufpreisfälligkeit bis zum 15. August 2022 nicht eingetreten war ("Longstop-Date"). Für die Kaufpreisfälligkeit sind nach Ziffern 4.1., 4.2. d) des Vertrags unter anderem eine Abnahme oder abnahmefähige Bauleistungen erforderlich.
Das Bauvorhaben wurde nicht abnahmereif fertiggestellt. Mit Schreiben vom 14. Dezember 2022 trat die Klägerin von dem Vertrag zurück.
Das Landgericht hat der zunächst nur auf die Zahlung eines Teilbetrags der Vertragsstrafe in Höhe von 100.000 € und die Feststellung der Verpflichtung zur Zahlung einer weitergehenden Vertragsstrafe gerichteten Klage stattgegeben. Das Berufungsgericht hat die Beklagte nach einer Klageerweiterung verurteilt, an die Klägerin 365.000 € nebst Zinsen Zug um Zug gegen eine von der Klägerin zu erklärende Bewilligung der Löschung einer zu ihren Gunsten eingetragenen Auflassungsvormerkung zu zahlen. Im Übrigen hat es die Klägerin auf eine - dem Revisionsgericht nicht angefallene - Widerklage verurteilt, die näher bezeichnete Löschung der Auflassungsvormerkung Zug um Zug gegen dievon der Beklagten zu erbringende Zahlung zu bewilligen.
Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision begehrt die Beklagte weiterhin Klageabweisung.
Gründe
Die Revision der Beklagten ist unbegründet.
I.
Das Berufungsgericht hat - soweit für die Revision von Interesse - im Wesentlichen ausgeführt:
Die wirksam vereinbarte Vertragsstrafe sei in voller Höhe verwirkt. Der Klägerin stehe ein Anspruch in Höhe des Maximalbetrags von 365.000 € zu, weil seit dem Fertigstellungstermin am 17. Oktober 2020 bis zum Rücktritt der Klägerin am 14. Dezember 2022 jedenfalls 286 Werktage verstrichen seien. Das Gericht vermöge nicht festzustellen, dass die Beklagte durch Umstände, die sie weder vorsätzlich noch fahrlässig verursacht habe (§ 276 BGB), an einer rechtzeitigen Fertigstellung des verkauften Objekts gehindert gewesen wäre, § 286 Abs. 4 BGB.
Der Anspruch der Klägerin auf Zahlung der Vertragsstrafe werde durch ihre - wirksame - Rücktrittserklärung nicht berührt.
Es handele sich bei der Regelung in Ziffer 6.8. des Vertrags um ein Vertragsstrafeversprechen gemäß §§ 339, 341 Abs. 1 BGB. Danach könne der Gläubiger die Vertragsstrafe neben der geschuldeten Primärleistung fordern. Durch die Vertragsstrafe solle die fristgemäße Erfüllung gesichert werden.
Grundsätzlich werde gemäß § 325 BGB das Recht auf Schadensersatz durch einen Rücktritt nicht ausgeschlossen. Die Frage, ob ein Anspruch auf Vertragsstrafe grundsätzlich nur im Falle der Durchführung des Vertrags, mithin dem Fortbestand der Primärleistungsschuld, zu zahlen sei und im Falle eines Rücktritts entfalle, werde nicht einheitlich beurteilt. Das Gericht gehe davon aus, dass es gemäß § 325 BGB grundsätzlich möglich sei, neben dem Rücktritt auch einen Verzugsschaden geltend zu machen. Ein Anspruch auf Vertragsstrafe sei einem solchen auf Schadensersatz gleichzustellen, wenn er den pauschalierten Ausgleich für einen Verzugsschaden bilde. So sei die Vertragsstraferegelung in Ziffer 6.8. des Vertrags einzuordnen. Eine ausdrückliche Regelung dazu, ob die Vertragsstrafe gemäß Ziffer 6.8. nur im Falle der Durchführung des Vertrags, mithin dem Fortbestand der Primärleistungsschuld, zu zahlen sei und im Falle eines Rücktritts des Käufers nach Ziffer 18.2. entfalle, finde sich im Vertrag nicht. Unter Berücksichtigung von Wortlaut und Systematik ergebe insbesondere die teleologische Auslegung des Vertrags nach Sinn und Zweck, dass der Käufer die nach Ziffer 6.8. verwirkte Vertragsstrafe auch im Falle eines Rücktritts des Käufers nach Ziffer 18.2. beanspruchen könne. Entsprechendes ergebe sich ferner bei einer verwenderfeindlichen Auslegung des Vertrags gemäß § 305cAbs. 2 BGB, sofern es sich bei den vertraglichen Regelungen um Allgemeine Geschäftsbedingungen handeln sollte.
II.
Das hält der rechtlichen Nachprüfung im Ergebnis stand.
Die Revision ist vom Berufungsgericht jedenfalls hinsichtlich der Klage uneingeschränkt zugelassen. Die für die Beklagte vorsorglich eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde ist deshalb gegenstandslos.
1. Rechtsfehlerfrei und in der Revisionsinstanz auch nicht mehr in Frage gestellt geht das Berufungsgericht davon aus, dass die vertraglichen Voraussetzungen eines Anspruchs der Klägerin auf Zahlung einer Vertragsstrafe in Höhe von5 % des Kaufpreises und damit in der zuerkannten Höhe bis zum Rücktritt der Klägerin am 14. Dezember 2022 vorlagen.
2. Dieser Anspruch ist durch denvon der Klägerin erklärten und wirksamen Rücktritt nicht erloschen.
a) Das Berufungsgericht hatden Vertrag der Parteien dahin ausgelegt, dass der Anspruch auf Zahlung einer Vertragsstrafe gemäß Ziffer 6.8. des Vertrags einen pauschalierten Ausgleich für einen Verzugsschaden bilde und die Klägerin die Vertragsstrafe auch im Fall ihres Rücktritts nach Ziffer 18.2. des Vertrags beanspruchen könne. Diese Auslegung ist Angelegenheit des Tatrichters und durch das Revisionsgericht nur eingeschränkt überprüfbar. Eine Überprüfung findet nur dahin statt, ob Verstöße gegen gesetzliche Auslegungsregeln, anerkannte Auslegungsgrundsätze, sonstige Erfahrungssätze oder Denkgesetze vorliegen oder die Auslegung auf Verfahrensfehlern beruht (st. Rspr., vgl. nur BGH, Urteil vom 21. November 2024 - VII ZR 245/23 Rn. 37, BauR 2025, 475 = NZBau 2025, 83). Derartige Rechtsfehler sind dem Berufungsgericht nicht unterlaufen. Solche werden von der Revision - auch unter Berücksichtigung der Ausführungen des Prozessbevollmächtigten der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat - auch nicht aufgezeigt.
Entgegen der Auffassung der Revision ist für das Revisionsverfahren nicht zu Gunsten der Beklagten zu unterstellen, dass es sich bei den Vertragsbestimmungen um Allgemeine Geschäftsbedingungen handelt mit der Folge, dass die vertraglichen Regelungen vom erkennenden Senat selbst ausgelegt werden könnten. Die Revision zeigt keinen Tatsachenvortrag der Parteien auf, nach dem die Tatbestandsvoraussetzungen von § 305 Abs. 1 Satz 1 BGB vorliegen würden.
b) Es kann offenbleiben, ob das Auslegungsergebnis des Berufungsgerichts dahin zu verstehen ist, die Parteien hätten vertraglich vereinbart, ein Vertragsstrafenanspruch bestehe auch nach einem Rücktritt der Klägerin gemäß Ziffer 18.2. des Vertrags fort, oder ob es dahin zu verstehen ist, der Vertrag stehe dem Fortbestehen des Anspruchs (nur) nicht entgegen. Für Ersteres spräche die abschließende Formulierung des Berufungsgerichts, für Letzteres, dass das Berufungsgericht den Vertrag erst im Anschluss von und im Zusammenhang mit gesetzlichen Regelungen, insbesondere § 325 BGB, auslegt.
aa) Im ersten Fall ist die Klage ohne Weiteres begründet. Zwingende gesetzliche Vorschriften zur Wirkung eines vertraglich vereinbarten Rücktrittsrechts auf eine vertraglich vereinbarte Vertragsstrafe bestehen nicht.
bb) Im zweiten Fall führt die Anwendung des dispositiven Rechts ebenfalls zu dem Ergebnis, dass der Rücktritt der Klägerin ihren Anspruch auf Zahlung der Vertragsstrafe unberührt gelassen hat.
(1) Die gesetzlichen Vorschriften über Rücktritt (§§ 346 ff. BGB) und Vertragsstrafe (§§ 339 ff. BGB) enthalten zu den Rechtsfolgen eines Rücktritts in Bezug auf eine - wie hier - zum Zeitpunkt des Rücktritts bereits verwirkte, jedoch noch nicht gezahlte Vertragsstrafe keine ausdrücklichen Regelungen.
Sie sind dahin auszulegen, dass durch einen Rücktritt der Anspruch auf Zahlung der Vertragsstrafe grundsätzlich nicht erlischt (vgl. MünchKommBGB/Gaier, 9. Aufl., § 346 Rn. 49; Grüneberg/Grüneberg, BGB, 84. Aufl., § 339 Rn. 13; Herberger in jurisPK-BGB, 10. Aufl., § 339 Rn. 45 f.; BeckOK BGB/Janoschek, Stand: 1. Februar 2025, § 339 Rn. 3; Staudinger/Rieble, 2020, BGB, § 339 Rn. 299, 306, 312, § 340 Rn. 61, 85).
(2) Die allgemeinen Wirkungen des Rücktritts führen nicht zu einem Erlöschen des Anspruchs auf Zahlung der bereits verwirkten Vertragsstrafe. Der Rücktritt von einem Vertrag führt nur zu dessen Umgestaltung für die Zukunft; der Rücktritt wirkt ex nunc. Durch ihn wird das ursprüngliche Vertragsverhältnis in ein Rückgewährschuldverhältnis umgewandelt, wodurch die primären Leistungspflichten erlöschen (allgemeine Auffassung; vgl. etwa BGH, Urteil vom 28. November 2007 - VIII ZR 16/07 Rn. 10, BGHZ 174, 290; MünchKommBGB/Gaier, 9. Aufl., § 346 Rn. 65, jeweils m.w.N.). Damit führt er nicht ohne weiteres dazu, dass der (rechtliche) Zustand besteht, der ohne den Vertragsschluss bestanden hätte. Vielmehr ist im Einzelnen zu prüfen, welche Ansprüche erlöschen, verändert werden oder neu entstehen, um den Vertrag rückabzuwickeln.
Aus dem Umstand, dass hiernach die Ansprüche der Klägerin gegen die Beklagte auf Umbau des Gebäudes und Übereignung des Grundstücks erloschen sind, folgt nicht, dass der verwirkte Strafanspruch ebenfalls erloschen ist. Insbesondere ergibt sich das nicht daraus, dass § 339 Satz 1, § 341 Abs. 1 BGB jeweils eine "Verbindlichkeit" des Schuldners voraussetzen, die nicht in gehöriger Weise - hier: nicht zu der bestimmten Zeit - erfüllt wird. Denn zum Zeitpunkt der Verwirkung der Strafe, dem Eintritt des Verzugs (§ 339 Satz 1 BGB), bestand die Verbindlichkeit, ohne dass der Rücktritt hieran etwas ändert.
(3) Die weitere Systematik des Rücktrittsrechts bedingt ebenfalls kein Erlöschen des entstandenen Vertragsstrafenanspruchs. Es ergeben sich insbesondere keine Wertungswidersprüche zu den in § 346 Abs. 1, § 347 Abs. 1 BGB geregelten Ansprüchen wegen gezogener oder nicht gezogener Nutzungen aufgrund bereits empfangener und zurückzugewährender Leistungen. Das gilt im vorliegenden Fall schon deshalb, weil die Ausübung des vertraglichen Rücktrittsrechts nur bis zu einer abnahmefähigen Bauleistung und damit in einem Zeitraum möglich war, in dem noch keine Nutzungen aus dem verkauften Grundstück und dem zu errichtenden Wohnhaus gezogen werden konnten.
(4) Auch der Zweck einer Vertragsstrafe, die bei nicht rechtzeitiger Leistung verwirkt sein soll, spricht dafür, diese bei einem nachfolgenden Rücktritt nicht wieder entfallen zu lassen. Eine solche Strafe dient regelmäßig zum einen dazu, den Schuldner zur pünktlichen Leistungserbringung anzuhalten (Druckfunktion). Zum anderen soll sie pauschaliert einen dem Gläubiger durch den Verzug des Schuldners entstehenden Schaden ersetzen und insbesondere den Gläubiger davon entlasten, dessen Entstehung und Höhe im Einzelnen darzulegen und zu beweisen (Ausgleichsfunktion) (vgl. etwa BGH, Urteil vom 5. November 2015 - VII ZR 43/15Rn. 33, BGHZ 207, 296; BeckOGK/Ulrici, Stand: 1. September 2021, § 339 Rn. 16 f.).
Diese Ziele könnten nicht oder nur deutlich abgeschwächt erreicht werden, wenn ein bereits entstandener Anspruch auf Zahlung der Vertragsstrafe durch einen Rücktritt wieder entfiele. Die Druckfunktion wäre herabgesetzt, weil der Schuldner - sogar gerade durch fortgesetzte Verzögerung seiner Leistung - darauf spekulieren könnte, den Gläubiger zu einem Rücktritt vom Vertrag zu provozieren. Die Ausgleichsfunktion wäre in zweierlei Hinsicht beeinträchtigt: Der Gläubiger erhielte zum einen nach einem Rücktritt vom Vertrag keinen pauschalen Ersatz eines ihm entstandenen Schadens. Zum anderen müsste er auch ohne einen Rücktritt spätestens bei Eintritt eines Schuldnerverzugs Maßnahmen treffen, um sicherzustellen, bei einem nur eventuellen späteren Rücktritt seinen durch den Verzug bedingten Schaden darlegen und beweisen zu können; hiervor soll ihn die vereinbarte Vertragsstrafe jedoch gerade entlasten.
3. Entgegen der Auffassung der Revision ist der Klägerin die Berufung auf die verwirkte Vertragsstrafe nicht gemäß § 242 BGB wegen unzulässiger Rechtsausübung verwehrt. Ein Vertragsstrafengläubiger verletzt weder eine Schadensminderungsobliegenheit noch handelt er treuwidrig, wenn er ein wegen Verzugs des Schuldners erworbenes Rücktrittsrecht in dem hierfür vertraglich vorgesehenen Zeitraum ausübt. Insbesondere besteht - entgegen der Auffassung der Revision - keine Obliegenheit des Vertragsstrafengläubigers, von einem Rücktritt abzusehen, um dem Schuldner noch eine Chance darauf zu geben, dass die Strafe nicht mehr verlangt werden könnte, wenn der Gläubiger sich das Recht dazu bei der Annahme der Erfüllung nicht vorbehalten sollte, § 341 Abs. 3 BGB.
4. Rechtsfehlerfrei und von der Revision unangegriffen hat das Berufungsgericht der Klägerin Zinsen in titulierter Höhe zuerkannt.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Urteilsbesprechung – Vertragsstrafe nach Rücktritt vom Bauträgervertrag
1. Hintergrund und Streitstand
Bauträgerverträge enthalten regelmäßig Fertigstellungstermine und Vertragsstrafen für Verzögerungen, flankiert von Rücktrittsrechten („Long‑stop“), wenn das Objekt zu einem bestimmten Zeitpunkt noch nicht abnahmefähig ist. Was aber gilt, wenn der Besteller/Erwerber nach bereits eingetretener Verspätung vom Vertrag zurücktritt – erlischt dann der Anspruch auf die bis dahin verwirkte Vertragsstrafe? Die Antwort war in Literatur und Instanzrechtsprechung nicht durchgehend einheitlich: Ein Teil sah die Strafe als „akzessorisch“ zur Primärleistung und mit deren Wegfall nach Rücktritt als hinfällig; die Gegenauffassung stützte sich auf § 325 BGB (Schadensersatz neben Rücktritt) und die Doppelfunktion der Vertragsstrafe.
Der Fall gab dem BGH Gelegenheit zur Grundsatzschärfung. Die Parteien hatten 2018 einen notariellen Kauf‑/Bauträgervertrag über ein sanierungsbedürftiges Fabrikgebäude geschlossen (Kaufpreis netto 7,3 Mio. €). Fertigstellung sollte spätestens bis 17.10.2020 erfolgen; bei vom Verkäufer zu vertretender Verspätung war eine Vertragsstrafe von 1.276,57 € je Werktag, gedeckelt auf 5 % des Kaufpreises, vereinbart. Bis Ende 2022 war das Objekt nicht abnahmereif; die Käuferin trat am 14.12.2022 vom Vertrag zurück und verlangte die Vertragsstrafe. LG und KG sprachen (zuletzt) 365.000 € (5 %-Deckel) zu. Die Bauträgerin legte Revision ein – ohne Erfolg.
2. Kernaussagen des Urteils
Der Leitsatz bringt es auf den Punkt: Tritt der Besteller wegen nicht termingerechter Fertigstellung zurück, erlischt ein bereits verwirkter Vertragsstrafenanspruch grundsätzlich nicht, sofern die Parteien nichts anderes vereinbart haben.
Dogmatisch stützt der Senat dies auf drei Pfeiler:
-
Auslegung des Vertrages: Das Berufungsgericht hat die Klausel als Vertragsstrafe i.S.v. §§ 339, 341 I BGBverstanden, die einen pauschalierten Verzugsschaden abdeckt und die fristgerechte Erfüllung sichern soll. Revisionsrechtlich ist diese tatrichterliche Auslegung nur eingeschränkt überprüfbar; Rechtsfehler zeigt die Revision nicht auf. Eine ausdrückliche vertragliche Anordnung, dass die Strafe im Rücktrittsfall entfällt, enthielt der Vertrag gerade nicht.
-
Dispositives Recht: Auch losgelöst von der Vertragsauslegung ergibt sich kein Erlöschen. Die Rücktrittsregeln (§§ 346 ff. BGB) treffen keine Aussage zur schon verwirkten, aber noch nicht gezahlten Strafe. Der Rücktritt wirkt ex nunc: Er wandelt das Verhältnis in ein Rückgewährschuldverhältnis um und lässt Primärpflichten entfallen; bereits entstandene Neben‑ oder Schadensersatzansprüche bleiben – mangels anderweitiger Anordnung – bestehen. § 339 S. 1, § 341 I BGB setzen für die Verwirkung eine fällige „Verbindlichkeit“ voraus; diese bestand im Zeitpunkt des Verzugs. Dass die Primärpflicht später durch Rücktritt erlischt, beseitigt den damals entstandenen Strafanspruch nicht. Systematische Brüche zu § 346, § 347 BGB entstehen nicht, zumal in der hier maßgeblichen Phase typischerweise keine Nutzungen gezogen wurden.
-
Zweck der Vertragsstrafe: Die Druckfunktion (Anhalten zur pünktlichen Leistung) und die Ausgleichsfunktion(Pauschalierung des Verzögerungsschadens) würden unterlaufen, wenn der Schuldner durch weitere Verzögerung den Gläubiger in den Rücktritt „treiben“ und sich damit der Strafe entziehen könnte. Ebenso würde die Pauschalierung entwertet, wenn der Gläubiger – in Erwartung eines späteren Rücktritts – von Beginn an auf detaillierte Schadensdokumentation verwiesen wäre. Beides widerspräche Sinn und Praxisnutzen von Vertragsstrafen im Bau‑ und Immobilienrecht.
Konsequenterweise weist der Senat auch den Treu‑ und Glauben‑Einwand (§ 242 BGB) zurück: Der Gläubiger handelt nicht treuwidrig, wenn er in dem vertraglich vorgesehenen Zeitraum vom Rücktrittsrecht Gebrauch macht und gleichzeitig eine bis dahin verwirkte Strafe verlangt. Eine Obliegenheit, vom Rücktritt abzusehen, um dem Schuldner die Chance zu eröffnen, die Strafe durch spätere Leistung „zu retten“, gibt es nicht. Ebenso wenig verlangt § 341 III BGBhier einen Vorbehalt bei „Annahme der Leistung“: Gerade weil keine Erfüllung angenommen wurde, greift die Vorbehaltsregel nicht.
Schließlich bestätigt der BGH implizit die Beweislastverteilung: Die Beklagte konnte weder unverschuldete Verzögerungen darlegen (§ 286 IV BGB) noch eineterminverlängernde „Hinderung“ i.S.d. Vertragsklausel beweisen. Damit blieb es beim vom Berufungsgericht festgestellten Verzug und dem Maximalbetrag von 5 % des Kaufpreises.
3. Einordnung und Anschlussfähigkeit
Das Urteil fügt sich in die allgemeine Schadensersatz‑neben‑Rücktritt‑Systematik (§ 325 BGB) ein und vereinheitlicht die Behandlung von Vertragsstrafen in Rücktrittslagen. Es betont die Eigenständigkeit der bereits entstandenenNebenansprüche/Schadensersatzansprüche gegenüber dem späteren Rückgewährschuldverhältnis. Die Argumentation ist anschlussfähig an die prominente Rechtsprechung zur Doppelfunktion von Vertragsstrafen im Werk‑ und Bauvertragsrecht: Vertragsstrafen sind nicht bloßes Druckmittel, sondern zugleich Schadensersatzpauschalen – der Bedarf an Rechtsklarheit ist gerade bei großen Bauträgerprojekten evident.
Offen lässt der Senat – zutreffend – die vertragliche Dispositionsfreiheit: Parteien können vereinbaren, dass die Strafe im Rücktrittsfall nicht geschuldet ist oder nur bis zu einem bestimmten Zeitpunkt läuft. Ebenfalls unentschieden bleibt, in welchen außergewöhnlichen Konstellationen § 242 BGB ausnahmsweise ein Korrektiv bildet (etwa bei bewusst missbräuchlicher Kumulation von Rücktritt und Vertragsstrafe nach langem Zuwarten des Gläubigers). An den Maßstab der Unzumutbarkeit/Treu‑ und Glaubens‑Schranke legt der Senat erkennbar eine hohe Schwelle.
4. Bedeutung für die Praxis
Für Besteller/Erwerber ist die Entscheidung ein scharfes Instrument: Vertragsstrafen verbleiben als verlässliche Kompensation auch dann, wenn der Vertrag – wegen verfehlter Fertigstellung – aufgelöst wird. Praktisch relevant ist, dass Dokumentationslasten nicht in ein kleinteiliges Schadensregime verlagert werden; die Strafe ersetzt die Einzeldarlegung.
Für Unternehmer/Bauträger erhöht das Urteil den Anreiz zur Terminsteuerung: Ein späterer Rücktritt des Bestellers macht die Strafe nicht gegenstandslos. In Verträgen, in denen das Risiko‑Profil anders gewichtet werden soll, sind klare Regelungen nötig, etwa: „Im Falle des Rücktritts des Käufers gemäß Ziff. … entfallen etwaig bis dahin verwirkte Vertragsstrafen“ – oder abgestufte Modelle (Anrechnung/Cap/Stop‑Date). Wer solche Klauseln als AGB stellt, muss §§ 305c, 307 BGB im Blick behalten (Transparenz, Angemessenheit, keine überraschende Entwertung der Strafe).
Für beide Seiten lohnt der Blick auf Hinderungs‑/Verschiebungsklauseln: Sie sollten Nachweis‑ und Anzeigeobliegenheiten sowie Force‑Majeure‑Kataloge präzise fassen; denn im Prozess trägt der Unternehmer die Darlegungs‑ und Beweislast für § 286 IV BGB und vertragliche Terminsuspensionen. Ebenso sollte der Bemessungsmodus der Strafe (Werktage/Kalendertage, Cap, Kappungszeitpunkt) transparent geregelt sein; „Werktage“ sind typischer Streitstoff.
5. Handlungsempfehlungen
Vertragsgestaltung: Wer künftige Streitpunkte verhindern will, regelt ausdrücklich, ob und in welchem Umfang Vertragsstrafen im Rücktrittsfall fortbestehen, ob sie angerechnet werden (z. B. auf Schadensersatz), wann die Zählung endet und wie Hinderungen geltend zu machen sind (Fristen, Nachweise, Mitteilungspflichten). Deckelungen(5 % des Kaufpreises) sind marktüblich und selten unangemessen, sollten aber – gerade bei sehr langen Verzögerungen – mit einem Stop‑Mechanismus versehen werden.
Claim‑ und Prozessmanagement: Besteller sichern frühzeitig die Nachweise zur Verzögerung, halten die Fälligkeitsvoraussetzungen (Abnahmefähigkeit) im Blick und setzen Aufforderungen strukturiert. Unternehmer dokumentieren Hinderungsgründe zeitnah und substantiiert, erheben Fristverlängerungs‑Claims in der Form, die der Vertrag verlangt, und vermeiden Schwebezustände bei Abnahmefähigkeit.
Taktik: Der Rücktritt ist – auch nach diesem Urteil – kein Allheilmittel; er beendet Zukunftslasten, bewahrt aber bereits entstandene Ansprüche, insbesondere die Vertragsstrafe. In Vergleichsverhandlungen lässt sich die Strafe als harte Bezugsgröße nutzen.
6. Ergebnis
Der BGH bestätigt: Vertragsstrafe und Rücktritt schließen sich nicht aus. Eine bis zum Rücktritt verwirkte Strafe bleibt bestehen, solange der Vertrag nichts anderes anordnet. Das stärkt Termin‑ und Risikodisziplin, belässt die Pauschalierungsfunktion der Strafe in Geltung und sorgt für Rechtssicherheit in Bauträgerkonstellationen. Vertragspraxis und Litigation sollten diese Leitplanken nutzen – sei es durch klare Klauseln, sei es durch stringentes Claim‑Management.
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Annotations
Der Schuldner ist verpflichtet, die Leistung so zu bewirken, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern.

