Urteils-Kommentar zu Bundesgerichtshof Urteil, 22. Mai 2025 - VII ZR 129/24 von ra.de Redaktion

published on 17.10.2025 14:33
Urteils-Kommentar zu Bundesgerichtshof Urteil, 22. Mai 2025 - VII ZR 129/24 von ra.de Redaktion
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Bundesgerichtshof Urteil, 22. Mai 2025 - VII ZR 129/24

Urteilsbesprechung – Vertragsstrafe nach Rücktritt vom Bauträgervertrag

1. Hintergrund und Streitstand

Bauträgerverträge enthalten regelmäßig Fertigstellungstermine und Vertragsstrafen für Verzögerungen, flankiert von Rücktrittsrechten („Long‑stop“), wenn das Objekt zu einem bestimmten Zeitpunkt noch nicht abnahmefähig ist. Was aber gilt, wenn der Besteller/Erwerber nach bereits eingetretener Verspätung vom Vertrag zurücktritterlischt dann der Anspruch auf die bis dahin verwirkte Vertragsstrafe? Die Antwort war in Literatur und Instanzrechtsprechung nicht durchgehend einheitlich: Ein Teil sah die Strafe als „akzessorisch“ zur Primärleistung und mit deren Wegfall nach Rücktritt als hinfällig; die Gegenauffassung stützte sich auf § 325 BGB (Schadensersatz neben Rücktritt) und die Doppelfunktion der Vertragsstrafe.

Der Fall gab dem BGH Gelegenheit zur Grundsatzschärfung. Die Parteien hatten 2018 einen notariellen Kauf‑/Bauträgervertrag über ein sanierungsbedürftiges Fabrikgebäude geschlossen (Kaufpreis netto 7,3 Mio. €). Fertigstellung sollte spätestens bis 17.10.2020 erfolgen; bei vom Verkäufer zu vertretender Verspätung war eine Vertragsstrafe von 1.276,57 € je Werktag, gedeckelt auf 5 % des Kaufpreises, vereinbart. Bis Ende 2022 war das Objekt nicht abnahmereif; die Käuferin trat am 14.12.2022 vom Vertrag zurück und verlangte die Vertragsstrafe. LG und KG sprachen (zuletzt) 365.000 € (5 %-Deckel) zu. Die Bauträgerin legte Revision ein – ohne Erfolg.

2. Kernaussagen des Urteils

Der Leitsatz bringt es auf den Punkt: Tritt der Besteller wegen nicht termingerechter Fertigstellung zurück, erlischt ein bereits verwirkter Vertragsstrafenanspruch grundsätzlich nicht, sofern die Parteien nichts anderes vereinbart haben.

Dogmatisch stützt der Senat dies auf drei Pfeiler:

  1. Auslegung des Vertrages: Das Berufungsgericht hat die Klausel als Vertragsstrafe i.S.v. §§ 339, 341 I BGBverstanden, die einen pauschalierten Verzugsschaden abdeckt und die fristgerechte Erfüllung sichern soll. Revisionsrechtlich ist diese tatrichterliche Auslegung nur eingeschränkt überprüfbar; Rechtsfehler zeigt die Revision nicht auf. Eine ausdrückliche vertragliche Anordnung, dass die Strafe im Rücktrittsfall entfällt, enthielt der Vertrag gerade nicht.

  2. Dispositives Recht: Auch losgelöst von der Vertragsauslegung ergibt sich kein Erlöschen. Die Rücktrittsregeln (§§ 346 ff. BGB) treffen keine Aussage zur schon verwirkten, aber noch nicht gezahlten Strafe. Der Rücktritt wirkt ex nunc: Er wandelt das Verhältnis in ein Rückgewährschuldverhältnis um und lässt Primärpflichten entfallen; bereits entstandene Neben‑ oder Schadensersatzansprüche bleiben – mangels anderweitiger Anordnung – bestehen. § 339 S. 1, § 341 I BGB setzen für die Verwirkung eine fällige „Verbindlichkeit“ voraus; diese bestand im Zeitpunkt des Verzugs. Dass die Primärpflicht später durch Rücktritt erlischt, beseitigt den damals entstandenen Strafanspruch nicht. Systematische Brüche zu § 346, § 347 BGB entstehen nicht, zumal in der hier maßgeblichen Phase typischerweise keine Nutzungen gezogen wurden.

  3. Zweck der Vertragsstrafe: Die Druckfunktion (Anhalten zur pünktlichen Leistung) und die Ausgleichsfunktion(Pauschalierung des Verzögerungsschadens) würden unterlaufen, wenn der Schuldner durch weitere Verzögerung den Gläubiger in den Rücktritt „treiben“ und sich damit der Strafe entziehen könnte. Ebenso würde die Pauschalierung entwertet, wenn der Gläubiger – in Erwartung eines späteren Rücktritts – von Beginn an auf detaillierte Schadensdokumentation verwiesen wäre. Beides widerspräche Sinn und Praxisnutzen von Vertragsstrafen im Bau‑ und Immobilienrecht.

Konsequenterweise weist der Senat auch den Treu‑ und Glauben‑Einwand (§ 242 BGB) zurück: Der Gläubiger handelt nicht treuwidrig, wenn er in dem vertraglich vorgesehenen Zeitraum vom Rücktrittsrecht Gebrauch macht und gleichzeitig eine bis dahin verwirkte Strafe verlangt. Eine Obliegenheit, vom Rücktritt abzusehen, um dem Schuldner die Chance zu eröffnen, die Strafe durch spätere Leistung „zu retten“, gibt es nicht. Ebenso wenig verlangt § 341 III BGBhier einen Vorbehalt bei „Annahme der Leistung“: Gerade weil keine Erfüllung angenommen wurde, greift die Vorbehaltsregel nicht.

Schließlich bestätigt der BGH implizit die Beweislastverteilung: Die Beklagte konnte weder unverschuldete Verzögerungen darlegen (§ 286 IV BGB) noch eineterminverlängernde „Hinderung“ i.S.d. Vertragsklausel beweisen. Damit blieb es beim vom Berufungsgericht festgestellten Verzug und dem Maximalbetrag von 5 % des Kaufpreises.

3. Einordnung und Anschlussfähigkeit

Das Urteil fügt sich in die allgemeine Schadensersatz‑neben‑Rücktritt‑Systematik (§ 325 BGB) ein und vereinheitlicht die Behandlung von Vertragsstrafen in Rücktrittslagen. Es betont die Eigenständigkeit der bereits entstandenenNebenansprüche/Schadensersatzansprüche gegenüber dem späteren Rückgewährschuldverhältnis. Die Argumentation ist anschlussfähig an die prominente Rechtsprechung zur Doppelfunktion von Vertragsstrafen im Werk‑ und Bauvertragsrecht: Vertragsstrafen sind nicht bloßes Druckmittel, sondern zugleich Schadensersatzpauschalen – der Bedarf an Rechtsklarheit ist gerade bei großen Bauträgerprojekten evident.

Offen lässt der Senat – zutreffend – die vertragliche Dispositionsfreiheit: Parteien können vereinbaren, dass die Strafe im Rücktrittsfall nicht geschuldet ist oder nur bis zu einem bestimmten Zeitpunkt läuft. Ebenfalls unentschieden bleibt, in welchen außergewöhnlichen Konstellationen § 242 BGB ausnahmsweise ein Korrektiv bildet (etwa bei bewusst missbräuchlicher Kumulation von Rücktritt und Vertragsstrafe nach langem Zuwarten des Gläubigers). An den Maßstab der Unzumutbarkeit/Treu‑ und Glaubens‑Schranke legt der Senat erkennbar eine hohe Schwelle.

4. Bedeutung für die Praxis

Für Besteller/Erwerber ist die Entscheidung ein scharfes Instrument: Vertragsstrafen verbleiben als verlässliche Kompensation auch dann, wenn der Vertrag – wegen verfehlter Fertigstellung – aufgelöst wird. Praktisch relevant ist, dass Dokumentationslasten nicht in ein kleinteiliges Schadensregime verlagert werden; die Strafe ersetzt die Einzeldarlegung.

Für Unternehmer/Bauträger erhöht das Urteil den Anreiz zur Terminsteuerung: Ein späterer Rücktritt des Bestellers macht die Strafe nicht gegenstandslos. In Verträgen, in denen das Risiko‑Profil anders gewichtet werden soll, sind klare Regelungen nötig, etwa: „Im Falle des Rücktritts des Käufers gemäß Ziff. … entfallen etwaig bis dahin verwirkte Vertragsstrafen“ – oder abgestufte Modelle (Anrechnung/Cap/Stop‑Date). Wer solche Klauseln als AGB stellt, muss §§ 305c, 307 BGB im Blick behalten (Transparenz, Angemessenheit, keine überraschende Entwertung der Strafe).

Für beide Seiten lohnt der Blick auf Hinderungs‑/Verschiebungsklauseln: Sie sollten Nachweis‑ und Anzeigeobliegenheiten sowie Force‑Majeure‑Kataloge präzise fassen; denn im Prozess trägt der Unternehmer die Darlegungs‑ und Beweislast für § 286 IV BGB und vertragliche Terminsuspensionen. Ebenso sollte der Bemessungsmodus der Strafe (Werktage/Kalendertage, Cap, Kappungszeitpunkt) transparent geregelt sein; „Werktage“ sind typischer Streitstoff.

5. Handlungsempfehlungen 

Vertragsgestaltung: Wer künftige Streitpunkte verhindern will, regelt ausdrücklich, ob und in welchem Umfang Vertragsstrafen im Rücktrittsfall fortbestehen, ob sie angerechnet werden (z. B. auf Schadensersatz), wann die Zählung endet und wie Hinderungen geltend zu machen sind (Fristen, Nachweise, Mitteilungspflichten). Deckelungen(5 % des Kaufpreises) sind marktüblich und selten unangemessen, sollten aber – gerade bei sehr langen Verzögerungen – mit einem Stop‑Mechanismus versehen werden.

Claim‑ und Prozessmanagement: Besteller sichern frühzeitig die Nachweise zur Verzögerung, halten die Fälligkeitsvoraussetzungen (Abnahmefähigkeit) im Blick und setzen Aufforderungen strukturiert. Unternehmer dokumentieren Hinderungsgründe zeitnah und substantiiert, erheben Fristverlängerungs‑Claims in der Form, die der Vertrag verlangt, und vermeiden Schwebezustände bei Abnahmefähigkeit.

Taktik: Der Rücktritt ist – auch nach diesem Urteil – kein Allheilmittel; er beendet Zukunftslasten, bewahrt aber bereits entstandene Ansprüche, insbesondere die Vertragsstrafe. In Vergleichsverhandlungen lässt sich die Strafe als harte Bezugsgröße nutzen.

6. Ergebnis

Der BGH bestätigt: Vertragsstrafe und Rücktritt schließen sich nicht aus. Eine bis zum Rücktritt verwirkte Strafe bleibt bestehen, solange der Vertrag nichts anderes anordnet. Das stärkt Termin‑ und Risikodisziplin, belässt die Pauschalierungsfunktion der Strafe in Geltung und sorgt für Rechtssicherheit in Bauträgerkonstellationen. Vertragspraxis und Litigation sollten diese Leitplanken nutzen – sei es durch klare Klauseln, sei es durch stringentes Claim‑Management.

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Der Schuldner ist verpflichtet, die Leistung so zu bewirken, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern.

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