Urteils-Kommentar zu Bundesgerichtshof Urteil, 18. Juni 2025 - VIII ZR 291/23 von ra.de Redaktion - Nutzungsentschädigung nach Mietende? Der BGH zur Bedeutung des Rückerlangungswillens bei § 546a BGB

originally published: 28.08.2025 16:54, updated: 28.08.2025 16:58
Urteils-Kommentar zu Bundesgerichtshof Urteil, 18. Juni 2025 - VIII ZR 291/23 von ra.de Redaktion - Nutzungsentschädigung nach Mietende? Der BGH zur Bedeutung des Rückerlangungswillens bei § 546a BGB
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Bundesgerichtshof Urteil, 18. Juni 2025 - VIII ZR 291/23

I. Einführung
Die Entscheidung des VIII. Zivilsenats klärt erneut grundlegend, wann ein Vermieter nach Beendigung des Mietverhältnisses eine Nutzungsentschädigung nach § 546a Abs. 1 BGB beanspruchen kann. Der BGH bestätigt seine gefestigte Rechtsprechung, wonach eine Vorenthaltung der Mietsache kumulativ die Nicht-Rückgabe und den entgegenstehenden Willen des Vermieters voraussetzt – letzteres in Form eines Rückerlangungswillens. In der Praxis ist diese Voraussetzung häufig umstritten – insbesondere bei Uneinigkeit über die Wirksamkeit der Kündigung.

II. Sachverhalt in Kürze
Ein Mieter kündigte vorzeitig, der Vermieter hielt die Kündigung für unwirksam und verlangte keine Rückgabe der Wohnung. Der Mieter zog aus, lagerte jedoch noch einige Möbel ein und zahlte über fünf Monate Miete unter Vorbehalt. Nach gerichtlicher Bestätigung der Wirksamkeit der Kündigung forderte der Mieter Rückzahlung, der Vermieter verlangte Nutzungsentschädigung in Höhe der vormaligen Miete. Der BGH wies die Revision des Vermieters zurück.

III. Rechtliche Kernfragen

1. Voraussetzungen des § 546a Abs. 1 BGB

Der BGH stellt klar: Eine „Vorenthaltung“ im Sinne von § 546a BGB setzt voraus,

  • dass der Mieter die Sache nach Mietende nicht zurückgibt, und

  • dass das Unterlassen der Rückgabe dem erklärten oder erkennbaren Willen des Vermieters widerspricht.

Fehlt ein Rückerlangungswille, etwa weil der Vermieter selbst von einem Fortbestand des Mietverhältnisses ausgeht, ist § 546a BGB nicht anwendbar. Diese Linie entspricht ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung und wird im Urteil umfassend begründet (Rn. 30 ff.).

Bewertung:
Die Bestätigung der bisherigen Rechtsprechung ist überzeugend. Der Rückerlangungswille ist ein notwendiges Abgrenzungskriterium zu § 812 BGB. Andernfalls wäre der Mieter immer dann zahlungspflichtig, wenn er das Risiko der Rechtslage falsch einschätzt – mit der Folge einer doppelten Belastung: entweder aus Vertrag (§ 535), aus § 546a oder zusätzlich aus § 812 BGB.

2. Bereicherungsausgleich nach § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB

Mangels Anspruch aus § 546a BGB prüft der BGH einen Bereicherungsanspruch. Maßgeblich ist die tatsächlich gezogene Nutzung – im Streitfall die Nutzung als Lagerraum.

Der VIII. Zivilsenat betont, dass der bloße Besitz nicht genügt. Die Einlagerung einiger Möbel begründet nur einen geringen „Nutzwert“, der mit 120 €/Monat geschätzt wird. Der objektive Mietwert ist nicht maßgeblich, da der Mieter keine Wohnnutzung mehr gezogen hat.

Bewertung:
Die Anwendung des Bereicherungsrechts ist folgerichtig. Das Urteil ist auch im Ergebnis gerecht: Der Vermieter erhält das, was ihm tatsächlich entgangen ist – nicht mehr. Der Mieter wird nicht mit Wohnraummiete belastet, obwohl er den Wohnwert nicht mehr nutzt.

IV. Abweichende Meinungen
In der Literatur wurde vereinzelt vertreten (BeckOGK/Zehelein), dass bei unsicherer Rechtslage ein „bedingter Rückerlangungswille“ des Vermieters anzunehmen sei. Der BGH lehnt dies ausdrücklich ab – zu Recht.

Würde man der Ansicht folgen, würde sich das Prozessrisiko der Kündigungswirksamkeit einseitig zulasten des Mieters verschieben. Im Zweifel müsste dieser bei unterstellter Kündigungswirksamkeit dennoch zahlen – eine klare Benachteiligung. Die BGH-Linie vermeidet dieses Ungleichgewicht.

V. Bedeutung für die Praxis

Für Vermieter:

  • Wer an der Wirksamkeit einer Kündigung zweifelt, sollte dennoch vorsorglich die Rückgabe der Mietsache verlangen.

  • Erfolgt dies nicht, kann ein Anspruch aus § 546a BGB dauerhaft ausgeschlossen sein.

  • Nutzungsentschädigung setzt aktives Verhalten voraus.

Für Mieter:

  • Die Zahlung „unter Vorbehalt“ schützt vor Rechtsverlust bei strittiger Kündigung.

  • Eine bloße Einlagerung von Möbeln nach Auszug ist nicht gleichbedeutend mit einer Nutzung zum Wohnen.

  • Der Rückzahlungsanspruch für zu viel gezahlte Beträge kann sich aus § 812 BGB ergeben.

VI. Ausblick und Kritik
Die Entscheidung stärkt die Systematik: Vertragliche und bereicherungsrechtliche Ansprüche sind sauber zu trennen. Gleichwohl stellt sie hohe Anforderungen an Vermieter, die sich auf Kündigungsstreitigkeiten einlassen. Es wäre denkbar, gesetzlich klarzustellen, wie sich Unsicherheiten über den Kündigungszeitpunkt auf § 546a BGB auswirken – etwa durch eine gesetzliche Fiktion des Rückerlangungswillens bei objektiv zweifelhafter Rechtslage.

VII. Fazit
Das Urteil bringt Rechtsklarheit in eine oft konfliktträchtige Konstellation. Die Betonung des Rückerlangungswillens schützt den Mieter vor einseitiger Belastung durch fehlendes Verhalten des Vermieters. Zugleich erinnert es Vermieter daran, aktiv zu handeln, um ihre Rechte nicht zu verlieren. Eine praxisnahe und dogmatisch saubere Entscheidung.

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(1) Wer durch die Leistung eines anderen oder in sonstiger Weise auf dessen Kosten etwas ohne rechtlichen Grund erlangt, ist ihm zur Herausgabe verpflichtet. Diese Verpflichtung besteht auch dann, wenn der rechtliche Grund später wegfällt oder der mi