Eigenverwaltung im Insolvenzrecht: Chancen, Risiken und rechtliche Grundlagen
Was ist Eigenverwaltung? Die rechtlichen Grundlagen
Die Eigenverwaltung ist in den §§ 270 ff. der Insolvenzordnung (InsO) geregelt. Sie bietet Schuldnern die Möglichkeit, während eines Insolvenzverfahrens die Unternehmensführung zu behalten, anstatt diese einem Insolvenzverwalter zu überlassen. Ein gerichtlich bestellter Sachwalter überwacht die Maßnahmen des Schuldners und schützt die Interessen der Gläubiger.
Voraussetzungen für die Eigenverwaltung:
- Antrag des Schuldners: Das Verfahren kann nur auf Antrag des Schuldners eingeleitet werden (§ 270b InsO).
- Fehlen von Ablehnungsgründen: Die Eigenverwaltung darf nicht angeordnet werden, wenn Umstände vorliegen, die auf eine Misswirtschaft oder einen Interessenkonflikt hindeuten (§ 270b Abs. 1 Satz 3 InsO).
- Sanierungskonzept: In der Regel ist ein tragfähiges Sanierungskonzept erforderlich, um das Vertrauen des Gerichts und der Gläubiger zu gewinnen.
Die Chancen der Eigenverwaltung
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Wahrung der Unternehmensführung: Der Schuldner bleibt "am Ruder" und kann seine unternehmerische Expertise in den Restrukturierungsprozess einbringen. Dies erhält wichtige Kundenbeziehungen, Lieferantenvertrauen und die operative Stabilität.
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Flexibilität in der Sanierung: Die Eigenverwaltung erlaubt maßgeschneiderte Lösungen, die spezifisch auf die Bedürfnisse des Unternehmens abgestimmt sind. Restrukturierungsmaßnahmen können effizient und zielgerichtet umgesetzt werden.
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Kostenvorteile: Im Vergleich zur klassischen Insolvenzverwaltung fallen geringere Kosten an, da kein Insolvenzverwalter bezahlt werden muss. Der Sachwalter übernimmt lediglich eine überwachende Funktion, was Kosten spart.
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Erhalt der Reputation: Anders als bei einer klassischen Insolvenz bewahrt die Eigenverwaltung das Bild eines aktiven und handlungsfähigen Unternehmens, was besonders in sensiblen Branchen von Bedeutung ist.
Die Risiken der Eigenverwaltung
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Hohe Anforderungen an die Geschäftsführung: Die Leitung eines Unternehmens während eines Insolvenzverfahrens erfordert umfassende rechtliche und betriebswirtschaftliche Kenntnisse. Ohne diese Kompetenzen können Fehler fatale Folgen haben.
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Misstrauen der Gläubiger: Gläubiger könnten Zweifel daran haben, dass die Geschäftsführung, die das Unternehmen in die Krise geführt hat, auch die richtige Wahl für die Sanierung ist. Dies kann die Zustimmung zu Sanierungsplänen erschweren.
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Gefahr des Scheiterns: Das Gericht kann die Eigenverwaltung aufheben, wenn der Schuldner seinen Pflichten nicht nachkommt oder Gläubigerinteressen gefährdet werden (§ 270e InsO). Dies führt zu Verzögerungen und einem Vertrauensverlust.
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Rechtliche Unsicherheiten: Insbesondere bei komplexen Gläubigerstrukturen können Interessenkonflikte entstehen, die das Verfahren erschweren und zusätzliche rechtliche Hürden schaffen.
Erfolgsfaktoren für die Eigenverwaltung
Damit die Eigenverwaltung gelingt, sind folgende Punkte entscheidend:
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Professionelle Vorbereitung: Ein detailliertes Sanierungskonzept, das finanzielle, operative und rechtliche Maßnahmen integriert, ist unerlässlich.
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Kommunikation mit Gläubigern: Transparente und vertrauensvolle Gespräche mit Gläubigern stärken die Akzeptanz der Sanierungsmaßnahmen.
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Effiziente Zusammenarbeit mit dem Sachwalter: Der Sachwalter ist ein zentraler Akteur im Verfahren. Eine enge Kooperation ist essenziell, um Konflikte zu vermeiden.
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Rechtliche Expertise: Die rechtlichen Rahmenbedingungen sind komplex. Fachkundige Beratung ist unverzichtbar, um das Verfahren rechtssicher zu gestalten.
Fazit: Ein starkes Instrument für die Restrukturierung
Die Eigenverwaltung ist ein mächtiges Werkzeug für Unternehmen in der Krise. Sie ermöglicht eine eigenverantwortliche Sanierung, minimiert die Eingriffe in die Unternehmensstruktur und schützt die Rechte der Gläubiger. Gleichzeitig birgt sie Risiken, die nur durch sorgfältige Planung und rechtliche Expertise minimiert werden können.
Für Unternehmen, die sich für die Eigenverwaltung entscheiden, ist der frühzeitige Kontakt zu erfahrenen Beratern und Anwälten entscheidend. So können die Vorteile dieses Verfahrens optimal genutzt und die Herausforderungen gemeistert werden. Die Eigenverwaltung ist damit ein wichtiger Baustein des modernen Insolvenzrechts, der Unternehmen eine echte Chance auf einen Neustart bietet – wenn sie richtig umgesetzt wird.
Annotations
(1) Das Gericht bestellt einen vorläufigen Sachwalter, auf den die §§ 274 und 275 anzuwenden sind (vorläufige Eigenverwaltung), wenn
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die Eigenverwaltungsplanung des Schuldners vollständig und schlüssig ist und - 2.
keine Umstände bekannt sind, aus denen sich ergibt, dass die Eigenverwaltungsplanung in wesentlichen Punkten auf unzutreffenden Tatsachen beruht.
(2) Sind nach dem gemäß § 270a Absatz 1 Nummer 1 übermittelten Finanzplan die Kosten der Eigenverwaltung und der Fortführung des gewöhnlichen Geschäftsbetriebs nicht gedeckt, übersteigen die nach § 270a Absatz 1 Nummer 5 ausgewiesenen voraussichtlichen Kosten der Eigenverwaltung in wesentlicher Weise die voraussichtlichen Kosten des Regelverfahrens oder sind Umstände bekannt, aus denen sich ergibt, dass
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Zahlungsrückstände gegenüber Arbeitnehmern oder erhebliche Zahlungsrückstände gegenüber den weiteren in § 270a Absatz 2 Nummer 1 genannten Gläubigern bestehen, - 2.
zugunsten des Schuldners in den letzten drei Jahren vor der Stellung des Antrags Vollstreckungs- oder Verwertungssperren nach diesem Gesetz oder nach dem Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetz angeordnet worden sind oder - 3.
der Schuldner in einem der letzten drei Jahre vor der Antragstellung gegen die Offenlegungsverpflichtungen, insbesondere nach den §§ 325 bis 328 oder 339 des Handelsgesetzbuchs verstoßen hat,
(3) Einem vorläufigen Gläubigerausschuss ist vor Erlass der Entscheidung nach Absatz 1 oder Absatz 2 Gelegenheit zur Äußerung zu geben. Ohne Äußerung des Gläubigerausschusses darf eine Entscheidung nur ergehen, wenn seit der Antragstellung zwei Werktage vergangen sind oder wenn offensichtlich mit nachteiligen Veränderungen der Vermögenslage des Schuldners zu rechnen ist, die sich nicht anders als durch Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters abwenden lassen. An einen die vorläufige Eigenverwaltung unterstützenden einstimmigen Beschluss des vorläufigen Gläubigerausschusses ist das Gericht gebunden. Stimmt der vorläufige Gläubigerausschuss einstimmig gegen die vorläufige Eigenverwaltung, unterbleibt die Anordnung.
(4) Bestellt das Gericht einen vorläufigen Insolvenzverwalter, sind die Gründe hierfür schriftlich darzulegen. § 27 Absatz 2 Nummer 4 gilt entsprechend.
(1) Die vorläufige Eigenverwaltung wird durch Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters aufgehoben, wenn
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der Schuldner in schwerwiegender Weise gegen insolvenzrechtliche Pflichten verstößt oder sich auf sonstige Weise zeigt, dass er nicht bereit oder in der Lage ist, seine Geschäftsführung am Interesse der Gläubiger auszurichten, insbesondere, wenn sich erweist, dass - a)
der Schuldner die Eigenverwaltungsplanung in wesentlichen Punkten auf unzutreffende Tatsachen gestützt hat oder seinen Pflichten nach § 270c Absatz 2 nicht nachkommt, - b)
die Rechnungslegung und Buchführung so unvollständig oder mangelhaft sind, dass sie keine Beurteilung der Eigenverwaltungsplanung, insbesondere des Finanzplans, ermöglichen, - c)
Haftungsansprüche des Schuldners gegen amtierende oder ehemalige Mitglieder seiner Organe bestehen, deren Durchsetzung in der Eigenverwaltung erschwert werden könnte,
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Mängel der Eigenverwaltungsplanung nicht innerhalb der gemäß § 270b Absatz 1 Satz 2 gesetzten Frist behoben werden, - 3.
die Erreichung des Eigenverwaltungsziels, insbesondere eine angestrebte Sanierung sich als aussichtslos erweist, - 4.
der vorläufige Sachwalter dies mit Zustimmung des vorläufigen Gläubigerausschusses oder der vorläufige Gläubigerausschuss dies beantragt, - 5.
der Schuldner dies beantragt.
(2) Die vorläufige Eigenverwaltung wird durch Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters zudem aufgehoben, wenn ein absonderungsberechtigter Gläubiger oder Insolvenzgläubiger die Aufhebung beantragt und glaubhaft macht, dass die Voraussetzungen für eine Anordnung der vorläufigen Eigenverwaltung nicht vorliegen und ihm durch die Eigenverwaltung erhebliche Nachteile drohen. Vor der Entscheidung über den Antrag ist der Schuldner zu hören. Gegen die Entscheidung steht dem Gläubiger und dem Schuldner die sofortige Beschwerde zu.
(3) Zum vorläufigen Insolvenzverwalter kann der bisherige vorläufige Sachwalter bestellt werden.
(4) Dem vorläufigen Gläubigerausschuss ist vor Erlass der Entscheidung nach Absatz 1 Nummer 1 oder 3 Gelegenheit zur Äußerung zu geben. § 270b Absatz 3 Satz 2 gilt entsprechend. Bestellt das Gericht einen vorläufigen Insolvenzverwalter, sind die Gründe hierfür schriftlich darzulegen. § 27 Absatz 2 Nummer 4 gilt entsprechend.