Sexualstrafrecht: Zu den Voraussetzungen einer exhibitionistischen Handlung
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Eine exhibitionistische Handlung i.S. von § 183 I StGB ist nicht allein ein äußerer Vorgang, sondern eine Handlung mit sexueller Motivation.
Auf die Revision des Beschuldigten wird das Urteil des LG Mainz vom 8. 2. 2007 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des LG zurückverwiesen.
Gründe:
Das LG hat im Sicherungsverfahren die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus im Hinblick auf zwei rechtswidrige Taten der exhibitionistischen Handlung gem. § 183 StGB angeordnet. Die Revision des Beschuldigten führt mit der Sachrüge zur Aufhebung des Urteils.
Auf der Grundlage der Feststellungen des LG steht schon die Annahme mit natürlichem Vorsatz begangener rechtswidriger Anlasstaten gem. § 63 StGB nicht außer Zweifel.
Im Fall 1 der Urteilsgründe hielt sich der Beschuldigte unbekleidet am Fenster seiner Wohnung auf und schaute zu drei weiblichen Jugendlichen, die auf einem gegenüber liegenden Balkon saßen. Ob das Fenster geöffnet war, hat das LG nicht festgestellt. Die Mädchen konnten das Geschlechtsteil des Beschuldigten sehen; sie begaben sich dann vom Balkon in die Wohnung, um den Beschuldigten zu fotografieren. Nachdem die Mädchen den Balkon verlassen hatten, beobachtete eines von ihnen, dass der Angeklagte onanierende Bewegungen ausführte. Die Mädchen fühlten sich belästigt.
Hier ist ein zumindest natürlicher Tatvorsatz des Beschuldigten nicht hinreichend sicher festgestellt:
Der Täter des § 183 I StGB muss hinsichtlich der Wahrnehmung durch eine andere Person mit direktem Vorsatz handeln. Feststellungen hierzu enthält das Urteil nicht; es ergibt sich im Hinblick auf die Möglichkeit, dass der Beschuldigte am geschlossenen Fenster seiner Wohnung stand, auch nicht ohne Weiteres. Auch zum erforderlichen zumindest bedingten Vorsatz der Belästigung enthält das angefochtene Urteil keinerlei Feststellung.
Im Fall 2 der Urteilsgründe hielt sich der Beschuldigte in unbekleidetem Zustand von 12.00 Uhr bis 21.00 Uhr vor einer Wohnungstür im Erdgeschoss des Hauses auf, in dem er selbst eine seiner Schwester gehörende Wohnung bewohnt; er wurde dabei von einer in der Wohnung anwesenden Wohnungsinhaberin gesehen, die sich erheblich belästigt fühlte. Das LG hat insoweit im Anschluss an einen Sachverständigen festgestellt, der Beschuldigte habe auf Grund der bei ihm vorliegenden schizophrenen Psychose entweder mit sexueller Motivation und in diesem Fall ohne Steuerungsfähigkeit oder mit der Motivation des „Protestes“ gegen eine wahnhaft erlebte angebliche Verfolgung durch die Wohnungsnachbarin und in diesem Fall ohne Einsichtsfähigkeit gehandelt.
Auch aus diesen Feststellungen ergibt sich die vom LG angenommene Verwirklichung einer Straftat nach § 183 I StGB nicht. Eine exhibitionistische Handlung i.S. von § 183 I StGB ist nicht allein ein äußerer Vorgang, sondern eine Handlung mit sexueller Motivation. Die Motivation des Beschuldigten konnte daher nicht offen bleiben; wenn sie nicht sicher festgestellt werden konnte, war der Zweifelssatz anzuwenden. Im Übrigen fehlen auch insoweit jegliche Feststellungen zum Tatvorsatz.
Unabhängig davon sind, wie im Ergebnis auch der Generalbundesanwalt zutreffend angenommen hat, die Voraussetzungen einer Maßregelanordnung gem. § 63 StGB nicht rechtsfehlerfrei festgestellt. Die Anordnung der den Betroffenen außerordentlich belastenden Maßregel setzt eine sorgfältige und kritische Prüfung insbesondere auch der Gefährlichkeitsprognose unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes (§ 62 StGB) voraus; in keinem Fall ausreichend ist die Feststellung einer „Behandlungs-Bedürftigkeit“ oder vage Prognosen gemeinlästigen Verhaltens.
Vorliegend mangelt es, wie der Generalbundesanwalt zutreffend ausgeführt hat, schon an einer hinreichend nachvollziehbaren Feststellung des „Zustands“ i.S. von § 63 StGB im Zusammenhang mit der Prognose. Da die Gefährlichkeits-Prognose des LG wohl eher an die vom Sachverständigen für möglich gehaltene „zweite Deutungsmöglichkeit“ anknüpft (UA S. 15), konnten diese Möglichkeiten der „Deutung“ - d. h. die Feststellung der beim Beschuldigten gegebenen psychischen Erkrankung - nicht offen nebeneinander stehen bleiben, ohne ihre jeweils unterschiedliche prognostische Bedeutung zu erörtern.
Im Übrigen wird die Annahme des LG, vom Beschuldigten seien erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten, von den Feststellungen nicht getragen. Dass der Zeuge Dr. G. den Beschuldigten als nach seiner Ansicht „unberechenbar“ bezeichnet hat (UA S. 16), war hierfür ohne Gewicht, denn konkrete Anhaltspunkte hat der Zeuge nicht genannt. Seine Bekundung, die Aggressionsbereitschaft des Beschuldigten ergebe sich aus dessen gelegentlich „gereiztem Tonfall“ (im Rahmen einer gegen seinen Willen angeordneten Unterbringung nach dem landesrechtlichen Unterbringungsgesetz), deutet darauf hin, dass der Zeuge mit den für § 63 StGB geltenden Maßstäben nicht vertraut ist. Das LG durfte die Bewertungen des Zeugen daher nicht ohne Weiteres seiner Beurteilung als Feststellungen zugrunde legen, indem es die Begriffe („Aggressionspotenzial“; „unberechenbar“) ungeprüft übernahm.
Der 67-jährige Beschuldigte ist in der Vergangenheit vielfach wegen exhibitionistischen Handlungen aufgefallen. Im Jahr 1972 griff er einem Kind über der Kleidung an das Geschlechtsteil (UA S. 5). Eine Aggressionshandlung beging er im Jahr 1975, als er sich einer Festnahme durch Polizeibeamte körperlich widersetzte (UA S. 6). Im Jahr 1994 wurde er wegen einer - nicht näher beschriebenen - Körperverletzung zu einer Geldstrafe von 25 Tagessätzen verurteilt. Sonstige Vortaten, welche die Annahme des LG stützen könnten, vom Beschuldigten gehe im Hinblick auf seine „gravierenden Vortaten“ eine „erhebliche Gefahr“ aus (UA S. 16), sind nicht festgestellt. Die Annahme, es sei „mit Gewalttaten zu rechnen“ (UA S. 16), ist nicht belegt. Die Gefahr zukünftiger exhibitionistischer Handlungen begründet, wie das LG zutreffend gesehen hat, für sich allein eine die Maßregelanordnung rechtfertigende Prognose nicht.
Sollte der neue Tatrichter erneut zur grundsätzlichen Annahme der Voraussetzungen des § 63 StGB gelangen, wird er schließlich Gelegenheit haben, im Rahmen der Prüfung der Verhältnismäßigkeit den Stand des betreuungsrechtlichen Verfahrens über die Unterbringung des Beschuldigten zu berücksichtigen.
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(1) Ein Mann, der eine andere Person durch eine exhibitionistische Handlung belästigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.
(2) Die Tat wird nur auf Antrag verfolgt, es sei denn, daß die Strafverfolgungsbehörde wegen des besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung ein Einschreiten von Amts wegen für geboten hält.
(3) Das Gericht kann die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe auch dann zur Bewährung aussetzen, wenn zu erwarten ist, daß der Täter erst nach einer längeren Heilbehandlung keine exhibitionistischen Handlungen mehr vornehmen wird.
(4) Absatz 3 gilt auch, wenn ein Mann oder eine Frau wegen einer exhibitionistischen Handlung
- 1.
nach einer anderen Vorschrift, die im Höchstmaß Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe androht, oder - 2.
nach § 174 Absatz 3 Nummer 1 oder § 176a Absatz 1 Nummer 1
Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.
Eine Maßregel der Besserung und Sicherung darf nicht angeordnet werden, wenn sie zur Bedeutung der vom Täter begangenen und zu erwartenden Taten sowie zu dem Grad der von ihm ausgehenden Gefahr außer Verhältnis steht.
Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.