Verwaltungsgericht Stuttgart Beschluss, 2. Nov. 2016 - 2 K 5230/15
Gericht
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Das VG Stuttgart hat in seinem Beschluss (2 K 5230/16) vom 02.11.2016 folgendes entschieden:
Tenor:
Die Anträge werden abgelehnt.
Die Antragsteller tragen als Gesamtschuldner die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst trägt.
Gründe:
Die Antragsteller wenden sich gegen die der Beigeladenen erteilten Baugenehmigung zur Errichtung eines „Wohngebäudes zur integrativen Unterbringung von Flüchtlingen in Anschlussunterbringung, Bewohnern mit Wohnberechtigungsschein und Obdachlosen“ und sechs Stellplätzen auf dem Grundstück Flst-Nr. …, R-weg …, auf der Gemarkung der Antragsgegnerin. Das Baugrundstück liegt im Geltungsbereich des Bebauungsplans „R-weg/Flst. Nr. …“ vom 13.3.2014.
Die Antragstellerin zu 1 ist Eigentümerin des unmittelbar südöstlich an das Baugrundstück angrenzenden bisher unbebauten Grundstücks Flst-Nr. …, R-weg ... Der Antragsteller zu 2 ist Eigentümer des ebenfalls noch unbebauten Grundstücks Flst-Nr. …, R-weg …, das südöstlichlich unmittelbar an das genannte Grundstück der Antragstellerin zu 1 angrenzt. Die Antragsteller sind außerdem Miteigentümer des mit einem Doppelhaus bebauten Grundstücks Flst-Nr. …, R-weg … und …, in dem beide wohnen. Darüber hinaus sind sie Miteigentümer des schräg gegenüber dem Baugrundstück liegenden Grundstücks Flst-Nr…. , das mit einem Mehrfamilienhaus mit vier Parteien bebaut ist.
Die Grundstücke der Antragsteller liegen jeweils im Geltungsbereich des Bebauungsplans „K-straße/J-straße“ vom 13.08.1981. Bei der Aufstellung dieses Bebauungsplans war ursprünglich vorgesehen, auch das Baugrundstück in das Plangebiet aufzunehmen. Da dessen Fläche jedoch in der engeren Schutzzone eines Wasserschutzgebiets lag, wurde sie im damals erforderlichen Genehmigungsverfahren des Bebauungsplans aus dem Geltungsbereich herausgenommen. Da dieses wasserrechtliche Bauverbot nach Inkrafttreten einer geänderten Grundwasserschutzverordnung entfiel, erließ die Stadt E. für das Grundstück Flst-Nr. … den genannten Bebauungsplan „R-weg/Flst. Nr. 1…“. Der Bebauungsplan setzt ein allgemeines Wohngebiet fest, wobei - anders als im Bebauungsplan „K-straße/J-straße“ - Anlagen für kirchliche, kulturelle, soziale, gesundheitliche und sportliche Zwecke ausdrücklich ausgeschlossen werden. Als Wohngebäude ist ein zweigeschossiges Einzel- oder Doppelhaus zulässig. Der First des Satteldachs darf höchstens 8 m über der Bezugshöhe liegen. Die örtlichen Bauvorschriften zum Bebauungsplan sehen u. a. vor, dass nur Satteldächer mit einer Neigung von 20 bis 30° zulässig sind.
Das geplante Vorhaben sieht drei Vollgeschosse mit einem Flachdach vor. Geplant sind sechs Wohneinheiten für insgesamt bis zu 48 Bewohner. Jede Wohneinheit umfasst drei bis fünf Zimmer, eine gemeinsame Wohnküche und ein gemeinsames Bad. Geplant ist ferner u. a. ein Müllplatz, Fahrradstellplätze sowie ein Kinderspielplatz an der südöstlichen, dem Grundstück der Antragstellerin zu 1 zugewandten Grundstücksgrenze.
Im Zuge des Genehmigungsverfahrens wurde am 27.07.2016 bei der Antragsgegnerin der Ausschuss für Technik und Umwelt - ein Untergremium des Gemeinderats - in nichtöffentlicher Sitzung über das geplante Vorhaben informiert. Die Antragsgegnerin erteilte der Beigeladenen am 22.08.2016 die beantragte Baugenehmigung unter Gewährung folgender Befreiungen gem. § 31 Abs. 2 BauGB:
- Überschreitung der zulässigen Grundfläche mit der Hauptanlage um 62 m2 und mit den anderen Anlagen um 72 m2
- Überschreitung der zulässigen Gebäudebezugshöhe um 1,36m
- Überschreitung der nördlichen und westlichen Baugrenze unter Inanspruchnahme von nicht überbaubarer Grundstücksfläche
- Errichtung von drei Vollgeschossen
Die Antragsteller haben am 24.08.2016 Widerspruch gegen die ihnen am 23.08.2016 zugestellte Baugenehmigung eingelegt und am 29.08.2016 den vorliegenden Eilantrag gestellt.
Sie sind der Auffassung, die erteilten Befreiungen seien bereits formell rechtswidrig, weil durch die Art und Weise der Befassung des Ausschusses für Technik und Umwelt das Gebot der Öffentlichkeit gem. §§ 35, 39 Abs. 5 S. 1 GemO verletzt worden sei.
Das Vorhaben verletze ihren Gebietserhaltungsanspruch, da es eine im Plangebiet ausdrücklich nicht zulässige Anlage für soziale Zwecke darstelle. Der Geltendmachung eines Gebietserhaltungsanspruchs stehe nicht entgegen, dass ihre Grundstücke nicht im selben Plangebiet wie das Bauvorhaben liegen. Denn der für das Vorhaben geltende Bebauungsplan „R-weg/Flst. Nr. …“ nehme ausdrücklich Bezug auf den für ihre Grundstücke geltenden Bebauungsplan „K-straße/J-straße“. Daher sei es eine bloße Förmelei, die Baugebiete isoliert zu betrachten.
Die hinsichtlich des Maßes der baulichen Nutzung erteilten Befreiungen seien rechtswidrig. Die Voraussetzungen nach § 31 Abs. 2 BauGB lägen nicht vor, da die massive Überschreitung aller Festsetzungen des Bebauungsplans bereits die Grundzüge der Planung berühre. Die Privilegierung des § 31 Abs. 2 Nr. 1 BauGB greife nicht, da das Vorhaben ausweislich des vorgelegten Nutzungskonzepts nicht nur für Flüchtlinge, sondern auch für Wohnungslose und Personen mit Wohnberechtigungsschein bestimmt sei. Weiter seien die örtlichen Bauvorschriften verletzt, insofern als anstelle des zulässigen Satteldachs ein Flachdach genehmigt worden sei.
Die durch die Befreiungen ermöglichten Überschreitungen seien so tiefgreifend, dass sie gegen das Gebot der Rücksichtnahme verstießen. Das massive Gebäude erdrücke die vorhandene Bebauung, die deutliche Überschreitung des Baufensters verletze das Austauschverhältnis. Die Gesamtheit der Überschreitungen lasse das Bauvorhaben auch deshalb als rücksichtslos erscheinen, da ihr berechtigtes Interesse am Erhalt des aufgelockerten Wohngebietscharakters verletzt werde. Überdies sei durch das geplante Vorhaben mit unzumutbaren Verkehrs-, Lärm und Sichtbeeinträchtigen zu rechnen. Die Anzahl der Stellplätze sei nicht ausreichend und überdies sei die nur einspurig befahrbare R-straße nicht ausgelegt, das zu erwartende Verkehrsaufkommen zu bewältigen. Schließlich sei durch an- und abfahrenden Autos ein massiver Lärm zu erwarten, an eine wohngebietsverträgliche Nutzung sei nicht mehr zu denken. Durch die Ausrichtung der Balkone und Aufenthaltsräume nach Südosten sei eine starke Lärmbelästigung zu erwarten. Die durch das Gebäude entstehenden Sichteinblicke in die Außenanlagen der angrenzenden eingeschossigen Wohnbebauungen würden die Privatsphäre unzumutbar verletzen. Zuletzt sei auch durch den an die Grundstücksgrenze zum Grundstück der Antragstellerin zu 1 geplanten Müllraum eine unzumutbare Geruchsbelästigung zu erwarten.
Die Antragsteller beantragen, die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruchs vom 24.8.2016 gegen die der Beigeladenen von der Antragstellerin erteilten Baugenehmigung vom 22.8.2016 anzuordnen.
Die Antragsgegnerin beantragt, den Antrag abzulehnen.
Eine formelle Rechtswidrigkeit der erteilten Baugenehmigung wegen Verletzung des Öffentlichkeitsgrundsatzes scheide aus, da der Gemeinderat bzw. sein Untergremium nicht zuständig sei für die Erteilung von Befreiungen im Baugenehmigungsverfahren. Eines gemeindlichen Einvernehmens gem. § 36 BauGB habe es nicht bedurft, da die Antragsgegnerin als Große Kreisstadt selbst untere Baurechtsbehörde sei.
Die Verletzung drittschützender Vorschriften durch die Baugenehmigung liege nicht vor. Die beabsichtigte Nutzung stelle eine gebietskonforme Wohnnutzung dar. Selbst wenn man das Vorhaben als Anlage für soziale Zwecke ansähe, könnten die Antragsteller hiergegen keinen Gebietserhaltungsanspruch geltend machen. Denn im Bebauungsplan „K-straße/J-straße“, in dessen Geltungsbereich sich die Grundstücke der Antragsteller befinden, sei diese Nutzungsform nicht ausgeschlossen. Den Antragstellern sei es verwehrt, unter Rückgriff auf Festsetzungen eines anderen Bebauungsplans eine Nutzung abzuwehren, welche sie in ihrem eigenen Plangebiet hinzunehmen haben. Die erteilten Befreiungen seien rechtmäßig, da sie die Grundzüge der Planung nicht berührten und geboten seien, um die notwendige Flüchtlingsunterbringung auf dem Grundstück verwirklichen zu können. Jedenfalls sei das Gebot der Rücksichtnahme nicht verletzt.
Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.
Die Anträge sind gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i. V. m. § 212a Abs. 1 BauGB, §§ 80 Abs. 5, 80a Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 VwGO statthaft und auch sonst zulässig.
Die Anträge sind jedoch unbegründet. Das Interesse der Antragsteller, von der Schaffung vollendeter Tatsachen vor Abschluss des Widerspruchsverfahrens und eines eventuell folgenden Klageverfahrens verschont zu bleiben, überwiegt nicht das Interesse der Beigeladenen an der umgehenden Durchführung des Bauvorhabens. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO ermächtigt das Gericht nur dann zur Aufhebung eines Verwaltungsakts, wenn er rechtswidrig ist und den Kläger in seinen Rechten verletzt. Daraus folgt für den gegen die Erteilung einer Baugenehmigung gerichteten Eilantrag eines Nachbarn zweierlei: Das Gericht kann die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs des Nachbarn nur anordnen, wenn die Baugenehmigung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit gegen von der Baurechtsbehörde zu prüfende Vorschriften verstößt, die gerade dem Schutz dieses Nachbarn dienen sollen. Ob die Baugenehmigung gegen sonstige Vorschriften verstößt, ist schon nicht zu prüfen.
Die angefochtene Baugenehmigung verstößt aller Voraussicht nicht gegen Vorschriften, die nach Maßgabe des oben Gesagten vom Gericht zu prüfen sind. Dies lässt sich anhand der vorhandenen Behördenakten bereits im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes hinsichtlich des Verfahrens, des Bauplanungsrechts und des Bauordnungsrechts mit hinreichender Sicherheit feststellen.
Bauplanungsrechtliche Vorschriften, die dem Schutz der Antragsteller dienen, sind voraussichtlich nicht verletzt.
Soweit die Antragsteller geltend machen, das geplante Flüchtlingsheim stelle seiner Art nach eine im Plangebiet ausdrücklich nicht zulässige Anlage für soziale Zwecke dar, können sie hiermit nicht durchdringen. Es kann bereits bezweifelt werden, ob die Auffassung der Antragsteller zutrifft, dem für die Wohnnutzung notwendigen Merkmal der Freiwilligkeit stehe entgegen, dass der Einzug auf der Grundlage einer öffentlich-rechtlichen Zuweisung gemäß § 53 Abs. 2 Satz 1 AsylG erfolge. Denn allein die durch eine Rechtsnorm begründete Verpflichtung zu einem bestimmten Tun oder Unterlassen führt nicht zu einem unfreiwilligen Verhalten, wenn der Betreffende seiner Rechtspflicht selbsttätig nachkommt. Hierauf kommt es jedoch im Ergebnis nicht an, da jedenfalls eine Verletzung der Antragsteller in eigenen Rechten ausscheidet. Die Antragsteller, deren Grundstücke sich nicht im Geltungsbereich des für das Vorhaben geltenden Bebauungsplans befinden, haben keinen Anspruch auf Bewahrung der dort festgesetzten Gebietsart. Eigentümer von Grundstücken außerhalb eines festgesetzten Baugebiets haben keinen Anspruch darauf, dass innerhalb eines Baugebiets nur solche Vorhaben errichtet werden, die dort allgemein oder jedenfalls ausnahmsweise zulässig sind oder für die objektiv eine Befreiungslage vorliegt. Anders kann dies nur dann sein, wenn bestimmte Planfestsetzungen nach dem Willen der planaufstellenden Gemeinde gezielt und unabhängig von einer konkreten Beeinträchtigung dem Nachbarn Abwehrrechte einräumen sollen. Ein solcher Wille der Gemeinde ist vorliegend nicht erkennbar. Zwar wird nicht verkannt, dass der für das Vorhaben geltende Bebauungsplan „R-weg/Flst. Nr. 1-1415/6“ aufgrund der historischen Verbindung beider Baugebiete auf den benachbarten Bebauungsplan „K-straße/J-straße“ Bezug nimmt. Sofern in Begründung des Bebauungsplans ausgeführt wird, die mögliche Neubebauung solle sich „harmonisch in den Bestand einfügen“ und die Wohnhauszeile an der Nordseite des R-wegs ergänzen und abschließen“, weshalb die planerischen Grundzüge „sinngemäß übertragen“ würden, lässt sich hieraus nicht der Wille der Gemeinde ablesen, den Nachbarn eigene Abwehrrechte in die Hand zu geben. Vielmehr ist die Begründung so zu verstehen, dass es der Gemeinde aufgrund der historischen Verbundenheit der Baugebiete ein besonderes Anliegen war, diesen gestalterisch ein einheitliches Bild zu verleihen. Selbst wenn man entgegen der hier vertretenen Ansicht den Antragstellern einen Gebietserhaltungsanpruch zuerkennen wollte, so könnte dieser nicht das Anliegen der Antragsteller tragen, das Flüchtlingsheim als vermeintliche soziale Anlage abzuwehren. Denn der für das Vorhaben geltende Bebauungsplan „R-weg/Flst. Nr. 1-1415/6“ nimmt Bezug auf den älteren, für die Antragsteller geltenden Bebauungsplan „K-straße/J-straße“, nicht umgekehrt. Da in letzterem Bebauungsplan Anlagen für soziale Zwecke nicht ausgeschlossen sind, sind sie gem. § 4 Abs. 2 Nr. 3 BauNVO eine zulässige Nutzung. Es widerspräche dem Wesen des Gebietserhaltungsanpruchs, wollte man den Antragstellern - quasi im Wege eines „Gebietsgestaltungsanspruchs“ - das Recht zubilligen, in einem anderen Plangebiet eine Nutzung zu verhindern, die sie in ihrem eigenen Plangebiet hinzunehmen haben.
Die Antragsteller rügen weiterhin, die rechtlichen Voraussetzungen für die Befreiungen von den Festsetzungen des Bebauungsplans zum Maß der baulichen Nutzung und zur überbaubaren Grundstücksfläche gem. § 31 Abs. 2 Nr. 1 BauGB lägen nicht vor.
Ob dies der Fall ist, kann vorliegend offen bleiben, da die Festsetzungen zum Maß der baulichen Nutzung, von denen befreit worden ist, grundsätzlich nicht dazu bestimmt sind, nachbarliche Interessen zu schützen . Es bestehen auch keine Anhaltspunkte dafür, dass die plangebende Gemeinde ausnahmsweise beabsichtigte, den Festsetzungen zum Maß der baulichen Nutzung Nachbarschutz einzuräumen. Überdies - hier wird auf die obigen Ausführungen verwiesen - käme den Antragstellern dann auch kein plangebietsübergreifender Schutz zu. Nichts anderes gilt für die Befreiungen vom - wie die Antragsteller es nennen - „Baufenster“ - einen Begriff, den weder das Baugesetzbuch noch die Baunutzungsverordnung kennen. Richtigerweise geht es um Befreiungen von der westlichen und der nördlichen Baugrenze , die gerade nicht den Grundstücken der Antragsteller gegenüber liegen und damit nicht dem Schutz ihrer Grundstücke zu dienen bestimmt sind, weil insoweit kein „Austauschverhältnis“ im Sinne eine gegenseitigen Duldens und Dürfens besteht.
Sind die angegriffenen Befreiungen also allesamt von Vorschriften erteilt worden, die nicht dem Schutz der Antragsteller dienen, haben sie keinen Anspruch auf gerichtliche Überprüfung, ob die formellen und materiellen Voraussetzungen der Befreiungen gegeben sind . Daher kommt es auch nicht darauf an, ob Verfahren zur Erteilung der Befreiung korrekt abgelaufen ist. Ob die Befreiungen wegen Verstoßes gegen §§ 35, 39 Abs. 5 Satz 1 GemO formell rechtswidrig sind, ist daher unerheblich. Ein Verstoß ist aber auch nicht ersichtlich. Der hier informationshalber befasste Ausschuss für Technik und Umwelt handelte nicht als beschließender Ausschuss im Sinne des § 39 Abs. 1 GemO, da schon sein Obergremium - der Gemeinderat - keine Beschlusskompetenz über die Erteilung des Einvernehmens hatte. Das ergibt sich daraus, dass die Beklagte als Große Kreisstadt gem. § 46 Abs. 1 Nr. 3 LBO in Verbindung mit § 15 Abs. 1 Nr. 1, § 19 LVwGgleichzeitig untere Baurechtsbehörde ist. Sind Gemeinde und untere Baurechtsbehörde identisch, entfällt nach feststehender höchstrichterlicher Rechtsprechung das Erfordernis eines gemeindlichen Einvernehmens nach § 36 BauGB.
Befreiungen von sonstigen Vorschriften kommt nur ausnahmsweise Drittschutz zu, wenn das in § 31 Abs. 2 verankerte Gebot der Rücksichtnahme verletzt ist. Entscheidend ist dafür, ob es zu einer dem Betroffenen unzumutbaren Beeinträchtigung der Nutzungsmöglichkeiten seines Grundstücks kommt . Dabei kann desto mehr an Rücksichtnahme verlangt werden, je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung dessen ist, dem die Rücksichtnahme im gegebenen Zusammenhang zugutekommt; umgekehrt braucht derjenige, der das Vorhaben verwirklichen will, desto weniger Rücksicht zu nehmen, je verständlicher und unabweisbarer die von ihm mit dem Bauvorhaben verfolgten Interessen sind . Dabei reichen bloße Lästigkeiten für einen Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot nicht aus. Erforderlich ist vielmehr eine qualifizierte Störung im Sinne einer Unzumutbarkeit. Nicht von Bedeutung für das Gebot der Rücksichtnahme sind bloße Wertminderungen, Verschlechterungen des Ausblicks oder gar ganz allgemeine Verschlechterungen des nachbarschaftlichen Milieus, die nur mittelbare Folgewirkungen der Baugenehmigung sind .
Nach diesen Maßgaben erscheint das Bauvorhaben der Beigeladenen gegenüber den Antragstellern nicht rücksichtslos.
Es dürfte zwar zutreffen, dass das geplante Vorhaben massiver ist, als die im angrenzenden Baugebiet vorhandenen Gebäude. In der hier gebotenen summarischen Prüfung ergeben sich jedoch keine Anhaltspunkte dafür, dass das Vorhaben eine das Nachbargrundstück geradezu erdrückende Wirkung entfalten könnte. Denn das setzt voraus, dass den Nachbarn gleichsam „die Luft zum Atmen“ genommen wer wird . Die hier genehmigten Abweichungen erscheinen nicht geeignet, auf die Grundstücke der Antragsteller eine solche Wirkung zu entfalten. Denkbar ist dies ohnehin nur für das angrenzende Grundstück der Antragstellerin zu 1 . Zwischen diesem und dem geplanten Flüchtlingswohnheim liegt jedoch ein Abstand von 12,5 m. Wie sich angesichts dieser beachtlichen Entfernung aus der Masse des Gebäudes eine unzumutbare Beeinträchtigung ergeben soll, erschließt sich der Kammer nicht, zumal es nach den im Bebauungsplan festgelegten Baugrenzen sogar möglich gewesen wäre, das Vorhaben bis zur Mindestabstandsfläche an das Grundstück der Antragstellerin zu 1 heranzurücken. So nachvollziehbar das Interesse der Antragsteller an einer möglichst reduzierten, aufgelockerten Bebauung in ihrer Nachbarschaft ist, so wenig kann es als solches dem berechtigten Interesse der Beigeladenen entgegengehalten werden, das Grundstück zur Bebauung zu nutzen.
Eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots ergibt sich auch nicht aus zu erwartenden Geräuschimmissionen durch An- und Abfahrtsverkehr zu den Stellplätzen. Nach § 12 Abs. 2 BauNVO ist in allgemeinen Wohngebieten die Herstellung und Nutzung von Stellplätzen für den durch die zugelassene Nutzung verursachten Bedarf regelmäßig planungsrechtlich zulässig. Etwas anderes gilt nach § 15 Abs. 1 Satz 2 1. Halbs. BauNVO allerdings dann, wenn von ihnen Belästigungen ausgehen, die nach der Eigenart des Baugebiets im Baugebiet selbst oder in dessen Umgebung unzulässig sind. Eine ähnliche Regelung enthält die ordnungsrechtliche Bestimmung des § 37 Abs. 7 Satz 2 LBO. Danach darf die Nutzung von Stellplätzen und Garagen die Gesundheit nicht schädigen; sie darf auch die Ruhe und die Erholung in der Umgebung durch Lärm, Abgase oder Gerüche nicht erheblich stören. Dabei wird allerdings regelmäßig davon ausgegangen, dass notwendige Stellplätze für Wohnvorhaben in einer von Wohnbebauung geprägten Umgebung keine erheblichen, billigerweise nicht mehr zumutbaren Störungen im Sinne dieser Vorschrift hervorrufen . Im Rahmen der Prüfung des § 15 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 1 BauNVO gilt Entsprechendes.
Die von den Antragstellern geltend gemachte Sicht- und Lärmbelästigung durch die Ausrichtung der Balkone und Aufenthaltsräume nach Südosten vermag keine Rechtsverletzung zu begründen. Weder das Rücksichtnahmegebot noch andere Vorschriften des öffentlichen Baurechts vermitteln einen generellen Schutz vor Einsichtnahme in die Außenbereiche von Grundstücken . Das gilt auch für die Vorschriften der baden-württembergischen Landesbauordnung mit ihren regelmäßig nur geringen Mindestabständen . Die Schaffung von Einsichtsmöglichkeiten auf das Nachbargrundstück, und sei es im erheblichen Umfang, kann daher regelmäßig nicht zu einer unzumutbaren Beeinträchtigung der Nachbarn führen.
Soweit die Antragsteller pauschal darlegen, durch den an die Grenze zum Grundstück der Antragstellerin zu 1 geplanten Müllraum sei eine unzumutbare Geruchsbelästigung zu erwarten, kann die Kammer dem nicht folgen. Durch die Errichtung eines Müllraums soll ja gerade Geruchsimmissionen vorgebeugt werden, die bei freistehenden Mülltonnen sonst ungehindert an die Nachbarschaft dringen könnten. Warum trotz dieser Maßnahme unzumutbare Belästigungen zu erwarten sind, ist nicht dargetan.
Auch nachbarschützende Vorschriften des Bauordnungsrechts sind nicht verletzt.
Zwar ist es zutreffend, dass das Vorhaben gegen die Festsetzung eines Satteldachs in den örtlichen Bauvorschriften verstößt. Der Antragsgegner ist dem allerdings dadurch begegnet, dass er von der im Bebauungsplan vorgeschriebenen Dachform eine Befreiung gemäß § 56 Abs. 5 Satz 1 LBO erteilt hat. Da die Festsetzung ausweislich der Begründung der örtlichen Bauvorschriften jedoch der „Umsetzung gestalterischer Ziele“ dient, ist sie nicht nachbarschützend.
Soweit die Antragsteller vorbringen, durch nicht ausreichende Stellplätze und ein großes Verkehrsaufkommen auf der nur einspurig befahrbaren R-straße drohe ein Verkehrs- und Parkchaos, kann die Kammer hierfür keine Anhaltspunkte erkennen, zumal die Stellplatzverpflichtung gem. § 37 Abs. 1 Satz. 1 LBO eingehalten wurde. Da nicht davon auszugehen ist, dass die untergebrachten Flüchtlinge über ein eigenes Auto verfügen werden, ist auch zu erwarten, dass die ausgewiesenen Stellplätze ausreichend sind, um etwaigen Betreuungs- und Hilfspersonen das Parken zu ermöglichen. Es ist nicht ersichtlich, warum der - im Ganzen doch überschaubare - An- und Abreiseverkehr nicht auch auf einer einspurigen Straße zu bewältigen sein sollte.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, § 162 Abs. 3 VwGO. Nachdem die Beigeladene von der ihr eingeräumten Möglichkeit zur Stellungnahme und Antragstellung keinen Gebrauch gemacht und so das Kostenrisiko des § 154 Abs. 3 HS 1 VwGO vermieden hat, erscheint es billig, dass sie ihre außergerichtlichen Kosten selbst trägt.