|
|
| Die Klage ist zwar zulässig, jedoch nicht begründet. Der Beklagte hat zu Recht die Beihilfefähigkeit von Aufwendungen für die Durchführung der sogenannten Neurokognitiven Therapie nach Dr. W. beim Sohn ... des Klägers verneint. |
|
| Nach § 5 Abs. 1 S. 1 BVO sind Aufwendungen nach den folgenden Vorschriften beihilfefähig, wenn sie dem Grunde nach notwendig und soweit sie der Höhe nach angemessen sind. Über die Notwendigkeit und die Angemessenheit entscheidet die Beihilfestelle. Sie kann hierzu begründete medizinische Gutachten (§ 18 Abs. 5 BVO) einholen, im Einzelfall auch ohne Einverständnis des Betroffenen (§ 5 Abs. 1 S. 3 BVO). |
|
| Im vorliegenden Fall bestand für das Landesamt für Besoldung und Versorgung Anlass, ein amtsärztliches Gutachten zur Notwendigkeit der vorgesehenen Behandlung einzuholen, denn es bestanden ersichtlich Zweifel daran, ob es sich bei der sogenannten Neurokognitiven Therapie nach Dr. W. um eine wissenschaftlich allgemein anerkannte Behandlungsmethode handelt. Im Falle einer wissenschaftlich nicht allgemein anerkannten Heilmethode kann die Notwendigkeit der geltend gemachten Aufwendungen i.S.d. § 5 Abs. 1 BVO von der Beihilfestelle verneint werden. Die Gewährung von Beihilfen, die aus allgemeinen Steuergeldern finanziert werden, gründet nämlich auf der Erwartung, dass die Heilbehandlung zweckmäßig ist und hinreichende Gewähr für eine möglichst rasche und sichere Therapie bietet. Aus der Sicht des Dienstherrn ist es deshalb nicht ohne Belang, ob die von ihm (mit-)finanzierte Behandlung Erfolg verspricht oder nicht (vgl. BVerwG, Urt. v. 29.06.1995 - 2 C 15/94 -, NJW 1996, 801). § 6 Abs. 2 BVO ermächtigt das Finanzministerium dazu, Aufwendungen für wissenschaftlich nicht allgemein anerkannte Untersuchungs- oder Behandlungsmethoden sowie Materialien, Arznei- und Verbandmittel ganz oder teilweise von einer vorherigen Anerkennung abhängig zu machen, zu begrenzen oder auszuschließen. Nach § 6 Abs. 2 Nr. 1 BVO i.V.m. Nr. 1.5 und Nr. 1.5.1 der Anlage zur BVO sind Aufwendungen für die vom Bundesministerium des Inneren im Hinweis 1 und 2 zu § 6 Abs. 2 BhV genannten Untersuchungs- und Behandlungsmethoden mit den dort genannten Maßgaben von der Beihilfefähigkeit ausgeschlossen. |
|
| Allerdings ist die Neurokognitive Therapie nach Dr. W. nicht bereits nach § 6 Abs. 2 Nr. 1 BVO i.V.m. Nr. 1.5 und Nr. 1.5.1 der Anlage zur Beihilfeverordnung von der Beihilfefähigkeit ausgeschlossen. Die Neurokognitive Therapie findet sich nicht unter denen vom Bundesministerium des Innern im Hinweis 1 und 2 zu § 6 Abs. 2 BhV genannten Untersuchungs- und Behandlungsmethoden. Aus diesem fehlenden Ausschluss - sowie aus dem Nichtvorliegen einer Ausschlussentscheidung des Finanzministeriums Baden-Württemberg nach § 6 Abs. 2 BVO - kann allerdings nicht gefolgert werden, dass Aufwendungen für die Neurokognitive Therapie beihilfefähig wären. Denn der fehlende Ausschluss bedeutet nicht, dass Beihilfe zu Aufwendungen für ärztliche Behandlungen - oder für Behandlungen von Heilpraktikern - mit Methoden welcher Art auch immer zu gewähren sei, wenn diese nur nicht vom Bundesministerium des Innern - bzw. vom Finanzministerium Baden-Württemberg - als wissenschaftlich nicht allgemein anerkannte Untersuchungs- und Behandlungsmethoden von der Beihilfefähigkeit ausgeschlossen sind. Vielmehr ist in diese Fällen § 5 Abs. 1 Sätze 1 bis 3 BVO anzuwenden mit der Folge, dass die Festsetzungsstelle nach Einholung eines amtsärztlichen Gutachtens die medizinische Notwendigkeit der Aufwendungen für eine ärztliche oder Heilpraktikerbehandlung durch eigene Entscheidung verneinen kann (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 14.01.1999 - 4 S 1086/96 -, unter Hinweis auf Schröder/Beckmann/Keufer/Hellstern, Beihilfevorschriften für Baden-Württemberg, FS 20 (2.2 ff.) zu BVO § 6 Abs. 2). |
|
| Dementsprechend ist das Landesamt für Besoldung und Versorgung Baden-Württemberg im vorliegenden Falle vorgegangen. Es hat nach Einholung zweier amtsärztlicher Stellungnahmen (des Referats für Gesundheit und Umwelt der Landeshauptstadt München sowie des Gesundheitsamtes des Landratsamtes ...) die medizinische Notwendigkeit der Aufwendungen für eine beim Sohn es Klägers geplante - bzw. zum Teil bereits durchgeführte - Neurokognitive Therapie nach Dr. W. verneint. |
|
| Allerdings haben die genannten Gesundheitsämter in ihren Stellungnahmen über die bloße Feststellung hinaus, dass es sich bei der sogenannten Neurokognitiven Therapie nach Dr. phil. W. um eine wissenschaftlich nicht allgemein anerkannte Methode handele, keine näheren Ausführungen gemacht, so dass insofern die Beurteilung nicht ohne Weiteres nachvollziehbar ist. Es bedarf dennoch weder der Anhörung der begutachtenden Amtsärzte noch der Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Frage der wissenschaftlich allgemeinen Ankerkennung der Neurokognitiven Therapie nach Dr. W.. Denn aus den vom Kläger im Behördenverfahren und im Gerichtsverfahren vorgelegten Unterlagen ergibt sich bereits hinreichend, dass es sich bei der Neurokognitiven Therapie nach Dr. W. nicht um eine wissenschaftlich allgemein anerkannte Behandlungsmethode zur Behandlung der Krankheit Morbus Bechterew handelt. |
|
| Eine Behandlungsmethode ist wissenschaftlich anerkannt, wenn sie von der herrschenden oder doch überwiegenden Meinung der medizinischen Wissenschaft für eine Behandlung der Krankheit als wirksam und geeignet angesehen wird (vgl., auch zum Folgenden, BVerwG, Urt. v. 29.06.1995, a.a.O., sowie BVerwG, Urt. v. 18.06.1998 - BVerwG 2 C 24.97 -, ZBR 1999, 25, m.w.N.). Um „anerkannt“ zu sein, muss einer Behandlungsmethode von dritter Seite - also von anderen als dem/den Urhebern - attestiert werden, zur Heilung einer Krankheit oder zur Linderung von Leiden geeignet zu sein und wirksam eingesetzt werden zu können. Um „wissenschaftlich“ anerkannt zu sein, müssten Beurteilungen von solchen Personen vorliegen, die an Hochschulen und anderen Forschungseinrichtungen als Wissenschaftler in der jeweiligen medizinischen Fachrichtung tätig sind. Um „allgemein“ anerkannt zu sein, muss die Therapieform zwar nicht ausnahmslos, aber doch überwiegend in den fachlichen Beurteilungen als geeignet und wirksam eingeschätzt werden. Somit ist eine Behandlungsmethode dann „wissenschaftlich nicht allgemein anerkannt“, wenn eine Einschätzung ihre Wirksamkeit und Geeignetheit durch die in der jeweiligen medizinischen Fachrichtung tätigen Wissenschaftler nicht vorliegt oder wenn die überwiegende Mehrheit der mit der Methode befassten Wissenschaftler die Erfolgsaussichten als ausgeschlossen oder jedenfalls gering beurteilt (vgl. BVerwG, Urt. v. 29.06.1995, a.a.O.). Im Hinblick auf die Neurokognitive Therapie nach Dr. W. kann nicht die Rede davon sein, dass diese von der herrschenden oder doch überwiegenden Meinung in der medizinischen Wissenschaft - auch wenn man sich insofern auf die Rheumatologie beschränkt - für eine Behandlung der Krankheit Morbus Bechterew als wirksam und geeignet angesehen wird. Aus den vom Kläger vorgelegten ärztlichen Stellungnahmen von mit dem hier einschlägigen Fachgebiet der Rheumatologie befassten Ärzten geht deutlich hervor, dass diese sich des Umstands der fehlenden (fach-)wissenschaftlichen Anerkennung der Neurokognitiven Therapie nach Dr. W. durchaus bewusst sind. So führt Prof. Dr. med. K. in dem als Anlage K 3 zur Klageschrift vorgelegten Gutachten vom 25.09.1999, das in einem Verfahren vor dem Landgericht Frankfurt erstellt wurde, aus, dass ihm hinsichtlich der wissenschaftlichen Verifizierung der Behandlungsmethoden des Herrn Dr. phil. W. keine Publikationen vorlägen. Es handele sich nach seiner Einschätzung um eine „bisher schulmedizinisch nicht anerkannte Therapieform“. Im - ebenfalls im Rahmen des Rechtsstreites vor dem Landgericht Frankfurt erstellten - fachorthopädischen Zusatzgutachten“ vom 17.01.2000 stellt derselbe Gutachter fest, dass er mit der Behandlungsmethode, welche der Klage zugrunde liege, keine Erfahrung habe, er es jedoch nicht ausschließen könne, dass die Behandlung von chronisch kranken Patienten durch diese Behandlungsmethode positiv beeinflusst werde (vgl. Anlage K 3 a zur Klageschrift). Diese Einschätzung wird auch durch die übrigen im Verfahren vorgelegten Gutachten bestätigt. Bei der Neurokognitiven Therapie handelt es sich um eine im Bundesgebiet nur von einem einzigen Therapeuten (nämlich Dr. W. in München) angewandte Therapie, deren wissenschaftliche Evaluierung bisher aussteht (vgl. das als Anlage K 24 zum Schreiben des Klägervertreters vom 21.03.2005 vorgelegte Interview des Bayrischen Rundfunks mit Prof. Dr. med. Klaus Krüger aus dem Jahre 1998, /62 der Beihilfeakten). Es fehlt sonach erkennbar an einer wissenschaftlichen Anerkennung der Neurokognitiven Therapie nach Dr. W. und insbesondere an einer allgemeinen wissenschaftlichen Anerkennung. Dass die Neurokognitive Therapie von einigen Fachleuten - darunter auch der genannte Gutachter Prof. Dr. med. K. - als in geeigneten Fällen medizinisch indiziert angesehen wird, und dass ihr Erfolge durchaus bestätigt werden, ändert an dieser Einschätzung nichts. Eine wissenschaftliche Anerkennung ergibt sich auch nicht aus dem als Anlage K 5 zur Klageschrift vorgelegten Artikel „Neurokognitive Therapie der Spondylitis ankylosans: Beurteilung der Ergebnisse nach zwei Jahren“, veröffentlicht in Bechterew Brief Nr. 55 (Dezember 1993), bzw. aus dem an derselben Stelle veröffentlichten Aufsatz „Neurokognitive Therapie, eine neue Morbus Bechterew-Therapie?“ Denn hierbei handelt es sich im Wesentlichen um die Auswertung von Erfahrungsberichten von Patienten, die mit der Neurokognitiven Therapie behandelt worden sind. Es handelt sich nicht um die Ergebnisse kontrollierter wissenschaftlicher bzw. klinischer Studien. |
|
| Entsprechendes gilt für die als Anlage K 6 zur Klageschrift vorgelegten „Ergebnisse eines wissenschaftlichen Symposiums über die Neurokognitive Therapie des Morbus Bechterew“. |
|
| Allerdings kann die Fürsorgepflicht (§ 79 BGB) dem Dienstherrn gebieten, in Ausnahmefällen auch die Kosten einer wissenschaftlich nicht allgemein anerkannten Methode zu erstatten. Diese Verpflichtung besteht dann, wenn sich eine wissenschaftlich allgemein anerkannte Methode für die Behandlung einer bestimmten Krankheit noch nicht herausgebildet hat, das anerkannte Heilverfahren nicht angewendet werden darf, oder wenn ein solches bereits ohne Erfolg eingesetzt worden ist. Weitere Voraussetzung der Beihilfefähigkeit ist, dass die wissenschaftlich noch nicht allgemein anerkannte Behandlungsmethode nach einer medizinischen Erprobungsphase entsprechend dem gegenwärtigen Stand der Wissenschaft noch wissenschaftlich allgemein anerkannt werden kann (vgl. BVerwG, Urt. v. 29.06.1995, a.a.O., BVerwG, Urt. v. 18.06.1998, a.a.O.). |
|
| Zwar dürfte im Hinblick auf die Krankheit Morbus Bechterew die erste Voraussetzung, dass sich eine wissenschaftlich allgemein anerkannte Methode für die Behandlung einer bestimmten Krankheit noch nicht herausgebildet hat, nach den vorliegenden Unterlagen gegeben sein; jedoch fehlt es an der vom Bundesverwaltungsgericht aufgestellten weiteren Voraussetzung für die Beihilfefähigkeit. |
|
| Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Urteil vom 18.06.1998, a.a.O.) genügt für die Beihilfefähigkeit einer wissenschaftlich nicht allgemein anerkannten Behandlungsmethode nicht, dass die Methode wissenschaftlich nicht endgültig verworfen worden ist und eine Anerkennung in Zukunft noch in Betracht kommen könnte. Voraussetzung ist vielmehr, dass nach dem Stand der Wissenschaft die Aussicht, d. h. die begründete Erwartung, auf wissenschaftliche Anerkennung besteht. Für eine solche Annahme ist zumindest erforderlich, dass bereits wissenschaftliche, nicht auf Einzelfälle beschränkte Erkenntnisse vorliegen, die attestieren, dass die Behandlungsmethode zur Heilung der Krankheit oder zur Linderung von Leidensfolgen geeignet ist und wirksam eingesetzt werden kann. Die Neurokognitive Therapie nach Dr. W. erfüllt nach den vorliegenden Unterlagen diese Voraussetzung nicht. Wie ausgeführt, wird die Behandlungsmethode bisher nur von einem einzigen Therapeuten, Dr. W., angeboten und fehlt es hierzu an wissenschaftlichen Publikationen bzw. kontrollierten klinischen Studien. Es kann daher nach den vorliegenden Unterlagen nicht davon ausgegangen werden, dass die Behandlungsmethode nach einer medizinischen Erprobungsphase entsprechend dem gegenwärtigen Stand der Wissenschaft noch wissenschaftlich allgemein anerkannt werden kann. |
|
|
|
| Die Voraussetzungen für die Zulassung der Berufung durch das Verwaltungsgericht gemäß §§ 124 a Abs. 1 Satz 1, 124 Abs. 2 Nr. 3 oder Nr. 4 VwGO liegen nicht vor. |
|