Verwaltungsgericht Neustadt an der Weinstraße Urteil, 16. Sept. 2015 - 3 K 322/15

bei uns veröffentlicht am31.08.2023

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Gericht

Verwaltungsgericht Neustadt an der Weinstraße

Zusammenfassung des Autors

Ein Anwohner in einem reinen Wohngebiet hat keinen Anspruch darauf, dass ihm eine Baugenehmigung für einen Taubenschlag erteilt wird.

Rechtsanwalt für Immobilienrecht - Streifler & Kollegen Rechtsanwälte

VG Neustadt, Urteil vom 16.9.2015, (Az.: 3 K 322/15)


Tatbestand

Der Kläger begehrt die Erteilung einer Genehmigung für die Nutzungsänderung eines Hundezwingers in eine Vogelvoliere.

Die Mutter des Klägers ist Eigentümerin des mit einem Einfamilienhaus bebauten Grundstücks Flurstück-Nr. P. Straße Dieses Grundstück liegt im unbeplanten Innenbereich im Straßengeviert zwischen P. Straße und der Straße „Am H.“. In diesem Bereich stehen nahezu ausschließlich Wohngebäude. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf den Lageplan Bezug genommen.

Mit Bescheid vom 16. März 2000 erteilte der Beklagte der Mutter des Klägers eine Baugenehmigung zur Nutzungsänderung des Dachstuhls der Garage und dem Neubau eines Hundezwingers sowie eines Taubenschlages mit Voliere. Die Genehmigung enthielt den Zusatz, dass maximal 50 Tauben gehalten werden dürfen. Mit Bauvollendungsanzeige vom 20. August 2011 wurde von der Mutter des Klägers mitgeteilt, dass die Auflagen bzgl. der maximalen Tierzahl eingehalten werden.

Im August 2012 wurde dem Beklagten durch die Anzeige eines Nachbarn bekannt, dass der Kläger weit über 100 Tauben auf dem Grundstück Flurstück-Nr.... hält. Im Rahmen einer Ortsbesichtigung am 22. August 2012 stellte der Beklagte fest, dass die in der Baugenehmigung genannte maximal zulässige Anzahl der Tauben überschritten worden war. Der Beklagte zählte bereits in den Außenkäfigen 90-120 Tiere. Zudem stellte er fest, dass zwischenzeitlich auch der Hundezwinger als Voliere genutzt und am nordöstlichen Giebel der Garage auf Höhe des Dachgeschosses eine weitere Voliere angebaut wurde.

Daraufhin hörte der Beklagte den Kläger als Tierhalter sowie seine Mutter als Grundstückseigentümerin vor Erlass einer Nutzungsuntersagung der unzulässigen Tierhaltung an. Der Kläger äußerte sich dahingehend, dass nach seiner Auffassung weder für die Umnutzung des Hundezwingers noch für den Anbau der Voliere eine Baugenehmigung erforderlich sei. Er halte nunmehr seit mittlerweile 30 Jahren Brieftauben ohne die geringsten Beanstandungen von Nachbarn. Von der Brieftaubenhaltung gingen keine nennenswerten Störungen aus. Bezüglich der „zulässigen Anzahl der Tauben“ sei zu berücksichtigen, dass die Tiere von etwa Ende September bis ca. März/April sich nicht im Freien aufhielten, sondern im Schlag. In den Monaten April bis September befänden sie sich maximal 2 Stunden „außer Haus“ und zwar immer nur ein Teil der Tauben. Die Örtlichkeit sei im Übrigen als Mischgebiet einzustufen. In der näheren Umgebung befänden sich eine Schule, ein Kindergarten, ein Sportplatz, eine Kfz-Werkstatt, Landwirtschaftsbetriebe, ein Fensterbaubetrieb etc. Zudem befänden sich in dem nicht allzu großen Ort noch weitere Brieftaubenzüchter, von deren Tauben ebenfalls keine Beeinträchtigung ausgehe.

Am 18. November 2013 stellte der Kläger einen Antrag auf Erteilung einer Baugenehmigung für die Umnutzung des Hundezwingers in einen Taubenschlag. Die Ortsgemeinde M.. erteilte am 2. Dezember 2013 ihr Einverständnis zu dem Bauantrag unter der Voraussetzung, dass die bisher genehmigte maximale Anzahl der Taubenhaltung von 50 Tauben eingehalten bleibe. Mit Schreiben vom 7. Januar 2014 teilte der Kläger auf Nachfrage ergänzend mit, dass die Haltung von ca. 100 Tauben vorgesehen sei.

Mit Bescheid vom 13. Februar 2014 versagte der Beklagte die Baugenehmigung für die Nutzungsänderung des Hundezwingers in einen Taubenschlag mit der Begründung, aktuell sei die Nutzungsänderung mit Haltung von ca. 120 Tauben bereits vollzogen. Die nähere Umgebung des nicht überplanten Baugebiets sei überwiegend von Wohnbebauung geprägt und müsse daher als allgemeines Wohngebiet beurteilt werden. Die beabsichtigte Haltung von ca. 100 Tauben stelle keine wohnverträgliche Nebenanlage dar.

Mit weiterem Bescheid vom 17. Februar 2014 untersagte der Beklagte dem Kläger die Haltung von Tauben auf dem o. g. Grundstück, soweit die Anzahl der gehaltenen Tiere 50 übersteigt, und drohte dem Kläger für den Fall der Zuwiderhandlung ein Zwangsgeld in Höhe von 2.000 € an.

Gegen den Bescheid vom 13. Februar 2014 legte der Kläger am 10. März 2014 Widerspruch ein. Unter Vorlage einer Stellungnahme des Verbandes Deutscher Brieftaubenzüchter e.V. vom 9. April 2014 machte er geltend, von der Taubenhaltung gingen keine nennenswerten Beeinträchtigungen aus. Bei der näheren Umgebung handele es sich um ein Mischgebiet. Zum Zeitpunkt, als die Auflage von 50 Tauben erfolgt sei, hätten sich zudem noch ca. acht weitere Taubenhalter in der näheren Umgebung befunden. Nunmehr seien es mit ihm, dem Kläger, nur noch zwei, so dass sich die Störungen nicht erhöhten.

Mit Widerspruchsbescheid vom 4. März 2015 wies der Kreisrechtsausschuss des Beklagten den Widerspruch mit der Begründung zurück, der Kläger habe keinen Anspruch auf die begehrte Baugenehmigung. Die Umnutzung des Hundezwingers zur Taubenhaltung stelle eine genehmigungspflichtige Nutzungsänderung dar. Der zur näheren Umgebung des Baugrundstücks zählende Bereich umfasse die Bebauung südlich der Pirmasenser Straße, ab Höhe Fabrikstraße, bis zur Einmündung „Am H..“ sowie die Bebauung „Am H..“. In diesem Bereich befänden sich ausschließlich Wohnhäuser. Das nördlich gelegene Gewerbegebiet nehme bereits aufgrund seiner Entfernung an diesem Bebauungszusammenhang des Wohngebiets nicht teil. Bei der näheren Umgebung handele es sich daher um ein reines Wohngebiet.

Die Umnutzung des Hundezwingers in einen Taubenschlag zur Haltung von nunmehr 100 Tauben sei in einem reinen Wohngebiet unzulässig, weil nicht mehr wohngebietsverträglich. Dahinstehen könne, ob zum Zeitpunkt der Genehmigung der Taubenhaltung mit einer maximalen Anzahl von 50 Stück es noch weitere acht Taubenhalter gegeben habe. Die Taubenhaltung mit 100 Tieren sei für benachbarte Anwohner des reinen Wohngebiets mit Belästigungen verbunden, die nicht hingenommen werden müssten. Insbesondere zu nennen seien hierbei die Geräusche der Tauben beim Verlassen und der Rückkehr zum Taubenschlag, der durch die Tauben verursachte Kot sowie die Geräusche beim Flügelschlagen eines Schwarms fliegender Tauben.

Der Kläger hat am 15. April 2015 Klage erhoben. Er führt aus, entgegen der Auffassung des Beklagten könne die vorgesehene Taubenhaltung als gebietsverträglich eingestuft werden. Bei dem Ort M.. handele es sich um einen sehr kleinen Ort mit ca. 1000 Einwohnern. An den tatsächlichen Verhältnissen in den letzten mindestens 20 Jahren habe sich nichts Nennenswertes verändert. In M.. sei noch vor 15 Jahren die Haltung von mehreren hundert Tauben durch verschiedene Taubenzüchter als gebietsverträglich eingestuft worden. Seinerzeit habe es im Ort noch sechs aktive Taubenzüchter gegeben, deren Taubenhaltung gebietsverträglich gewesen sei. Bei diesem Hintergrund falle es ihm schwer, nach einer grundlegenden Veränderung der Verhältnisse in den vergangenen Jahrzehnten nachzuvollziehen, dass nunmehr die von ihm vorgesehene Taubenhaltung unzulässig sein solle, zumal die nähere Umgebung seiner Meinung nach ein Mischgebiet sei. Im Übrigen gebe es im Ort auch heute noch einen weiteren Taubenzüchter, der ca. 100 Tauben halte.

Der Kläger beantragt, den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids vom 13. Februar 2014 und des Widerspruchsbescheids des Kreisrechtsausschusses des Landkreises Südwestpfalz vom 4. März 2015 zu verpflichten, eine Baugenehmigung für die Umnutzung des Hundezwingers auf dem Grundstück Flurstück-Nr...., P. Straße, M., in einen Taubenschlag zur Haltung von 100 Tauben zu erteilen.

Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Er bezieht sich zur Begründung auf den ergangenen Widerspruchsbescheid.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze und der Verwaltungsakten des Beklagten verwiesen. Deren Inhalt war Gegenstand der mündlichen Verhandlung vom 16. September 2015.


Entscheidungsgründe

Die zulässige Verpflichtungsklage ist gemäß § 113 Abs. 5 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO - unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Erteilung einer Baugenehmigung für die bereits erfolgte Nutzungsänderung des Hundezwingers auf dem Grundstück Flurstück-Nr...., P. Straße, M.., in einen Taubenschlag zur Haltung von 100 Tauben. Der angefochtene Bescheid vom 13. Februar 2014 und der Widerspruchsbescheid des Kreisrechtsausschusses des Landkreises Südwestpfalz vom 4. März 2015 sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten.

Nach § 70 Abs. 1 Satz 1 Landesbauordnung - LBauO - ist dem Bauherrn eine Baugenehmigung zu erteilen, wenn dem Vorhaben keine baurechtlichen oder sonstigen öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegenstehen. Da vorliegend ein Bauvorhaben im Sinne von § 66 Abs. 1 Nr. 1 LBauO im Streit steht, gilt für den Prüfungsumfang der Baugenehmigung § 66 Abs. 3 LBauO, wonach sich die Prüfung auf die Zulässigkeit des Vorhabens nach den Bestimmungen des Baugesetzbuchs und der sonstigen öffentlich-rechtlichen Vorschriften beschränkt.

Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung, ob dem Kläger ein Anspruch auf die von ihm begehrte Baugenehmigung zusteht, ist der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung. Bei der Beurteilung der Begründetheit einer Verpflichtungs- bzw. Verbescheidungsklage, d. h. der Frage, ob die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsaktes rechtswidrig ist und dadurch Rechte des Klägers verletzt werden, muss das Gericht grundsätzlich darauf abstellen, ob im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung bzw. im Zeitpunkt der Entscheidung ein Rechtsanspruch auf Erlass des beantragten Verwaltungsaktes bzw. auf Bescheidung besteht.

Hiervon ausgehend widerspricht die vom Kläger bereits vorgenommene Nutzungsänderung den maßgeblichen bauplanungsrechtlichen Vorschriften, die im Baugenehmigungsverfahren zu prüfen sind.

Die Änderung der Nutzung des streitgegenständlichen Anwesens von einem Hundezwinger in einen Taubenschlag für die Haltung von 100 Tauben ist baugenehmigungspflichtig gemäß § 61 i. V. m. § 62 Abs. 2 Nr. 5a LBauO, da für die neue Nutzung andere öffentlich-rechtliche Anforderungen als für die bisherige Nutzung in Betracht kommen, insbesondere im Hinblick auf die bauplanungsrechtliche Frage der Gebietsverträglichkeit der Taubenhaltung.

Die Nutzungsänderung des Hundezwingers in einen Taubenschlag für die Haltung von 100 Tauben ist jedoch nicht genehmigungsfähig.

Da sich das Grundstück Flurstück-Nr.... nicht im Geltungsbereich eines qualifizierten Bebauungsplans, sondern im nicht beplanten Innenbereich der Gemeinde M.. befindet, richtet sich die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens nach § 34 Baugesetzbuch - BauGB -.

Nach § 34 Abs. 1 BauGB ist ein Vorhaben innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile zulässig, wenn es sich nach Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt und die Erschließung gesichert ist. Entspricht dagegen die Eigenart der näheren Umgebung einem der Baugebiete, die in der aufgrund des § 9a BauGB erlassenen Verordnung bezeichnet sind, so beurteilt sich die Zulässigkeit des Vorhabens gemäß § 34 Abs. 2 BauGB nach der Art seiner baulichen Nutzung allein danach, ob es nach der BauNVO in dem Baugebiet allgemein zulässig wäre.

Hier ist nach Auffassung der Kammer die Vorschrift des § 34 Abs. 2 BauGB i. V. m. § 3 Baunutzungsverordnung - BauNVO - einschlägig, da das streitgegenständliche Grundstück Flurstück-Nr. in einem faktischen reinen Wohngebiet liegt.

Als „nähere Umgebung“ im Sinne von § 34 Abs. 1 und 2 BauGB ist der Bereich zu berücksichtigen, auf den sich die Ausführung des Vorhabens auswirken kann und der seinerseits den bodenrechtlichen Charakter des Baugrundstücks prägt oder beeinflusst. Die Umgebung kann so beschaffen sein, dass die Grenze zwischen näherer und fernerer Umgebung dort zu ziehen ist, wo zwei jeweils einheitlich geprägte Bebauungskomplexe mit voneinander verschiedenen Bau- und Nutzungsstrukturen aneinanderstoßen. Der Grenzverlauf der näheren Umgebung ist nicht davon abhängig, dass die unterschiedliche Bebauung durch eine künstliche oder natürliche Trennlinie entkoppelt ist. Eine solche Linie hat bei einer beidseitig andersartigen Siedlungsstruktur nicht stets eine trennende Funktion; umgekehrt führt ihr Fehlen nicht dazu, dass benachbarte Bebauungen stets als miteinander verzahnt anzusehen sind und insgesamt die nähere Umgebung ausmachen. Die Betrachtung muss auf das Wesentliche zurückgeführt und alles außer Acht gelassen werden, was die Umgebung nicht prägt oder in ihr gar als Fremdkörper scheint. Ferner darf nicht nur diejenige Bebauung als erheblich angesehen werden, die gerade auf dem vorhandenen Baugrundstück oder nur auf ganz wenigen Grundstücken in der unmittelbaren Nachbarschaft des Baugrundstücks überwiegt, vielmehr ist die Bebauung auch in der weiteren Umgebung des Grundstückes insoweit zu berücksichtigen, als auch sie noch prägend auf dasselbe einwirkt. Die Grenzen der näheren Umgebung im Sinne des § 34 BauGB lassen sich demnach nicht schematisch festlegen, sondern sind nach der tatsächlichen städtebaulichen Situation zu bestimmen, in die das für die Bebauung vorgesehene Grundstück eingebettet ist.

Nach diesen Grundsätzen bestimmt die Kammer unter Heranziehung der in den Verwaltungsakten enthaltenen Lagepläne sowie Luftbildern den maßgeblichen Umgriff auf die gesamte Bebauung in dem Bereich westlich der P. Straße-zwischen der Einmündung in die F..-straße im Norden und die Straße „Am H..“ im Süden sowie westlich und östlich der im Südwesten parallel zur P. Straßeverlaufenden Straße „Am H..“. Der folgende Plan mag dies verdeutlichen.

In diesem Bereich stehen ausschließlich Wohngebäude, die den bodenrechtlichen Charakter des Baugrundstücks prägen bzw. beeinflussen. Demgegenüber zählen entgegen der Ansicht des Klägers die Gebäude westlich der F.-straße nicht mehr zur näheren Umgebung des Vorhabengrundstücks. Dort findet sich eine völlig andere Bebauungsstruktur mit der Grundschule, deren Parkplatz und dem Sportplatz im rückwärtigen Bereich sowie großen gewerblichen Betrieben wie die Firma U.

GmbH Bauteile in der F.-straße sowie der B. u. G. GmbH Baugesellschaft in der F.-straße. Der von dem Kläger weiter genannte Kindergarten befindet sich in der S.-straße und ist von vornherein ungeeignet, den bodenrechtlichen Charakter des Grundstücks zu prägen oder zu beeinflussen. Die F.-straße bildet daher die Zäsur. Ist der in der Skizze grün umrandete Bereich aber ausschließlich mit Wohngebäuden bebaut. Lediglich in dem Anwesen in der Straße „Am H..“ befindet sich in einem Wohngebäude zusätzlich eine Ernährungsberatung sowie ein „I.C.N.“, beides Gewerbe, die gemäß § 13 BauNVO auch in einem reinen Wohngebiet zulässig sind.

In einem faktischen reinen Wohngebiet können neben Wohngebäuden gemäß § 34 Abs. 2 BauGB i. V. m. § 3 Abs. 3 BauNVO ausnahmsweise 1. Läden und nicht störende Handwerksbetriebe, die zur Deckung des täglichen Bedarfs für die Bewohner des Gebiets dienen, sowie kleine Betriebe des Beherbergungsgewerbes, und 2. sonstige Anlagen für soziale Zwecke sowie den Bedürfnissen der Bewohner des Gebiets dienende Anlagen für kirchliche, kulturelle, gesundheitliche und sportliche Zwecke, zugelassen werden. Darunter fällt das Bauvorhaben nicht.

Der Kläger kann die Genehmigungsfähigkeit seines Bauvorhabens auch nicht aus der Vorschrift des § 14 Abs. 1 Satz 1 und 2 BauNVO herleiten. Danach sind außer den in den §§ 2 bis 13 genannten Anlagen auch untergeordnete Nebenanlagen und Einrichtungen zulässig, die dem Nutzungszweck der in dem Baugebiet gelegenen Grundstücke oder des Baugebiets selbst dienen und die seiner Eigenart nicht widersprechen. Soweit nicht bereits in den Baugebieten nach dieser Verordnung Einrichtungen und Anlagen für die Tierhaltung, einschließlich der Kleintierer-haltungszucht, zulässig sind, gehören zu den untergeordneten Nebenanlagen und Einrichtungen im Sinne des Satzes 1 auch solche für die Kleintierhaltung.

Zwar sind Tauben „Kleintiere“ im Sinne des § 14 Abs. 1 Satz 2 BauNVO. Gemeint sind nach dem städtebaulichen Zweck der Vorschrift Kleintiere allerdings nur insoweit, als deren Haltung in den Baugebieten als Annex zum Wohnen üblich und ungefährlich ist und den Rahmen der für eine Wohnnutzung typischen Freizeitbetätigung nicht sprengt. Ferner muss es sich bei Anlagen für Kleintiere um eine dem Hauptzweck untergeordnete Anlage handeln. Maßgebend ist, ob zwischen der Haupt- und der Nebenanlage ein Funktionszusammenhang gegeben ist. Der Hauptnutzung „Wohnen“ sind Nebenanlagen für Kleintierhaltung in dem Sinn dienend zu- und untergeordnet, als sich die konkrete Tierhaltung im Rahmen des für die Wohnnutzung Üblichen hält, und zwar sowohl nach der Art des Tieres als auch nach der Anzahl der Tiere. Nur dann ist es gerechtfertigt, die betreffende Tierhaltung in das städtebauliche Austauschverhältnis des „Duldens und Dürfens“ der Gebietsbewohner aufzunehmen. Für die Beurteilung der Üblichkeit kommt es auf die allgemeinen Wohn-, Lebens- und Freizeitgewohnheiten an. Der Eigenart des Gebiets widerspricht eine Nebenanlage, wenn die Kleintierhaltung nach den besonderen Verhältnissen des Einzelfalls, nach Art und Anzahl der Tiere sowie den Immissionsverhältnissen das in dem Baugebiet nach der Verkehrsanschauung übliche Maß überschreitet. Wegen des Immissionspotentials der Tierhaltung sind dafür vor allem die Lebensgewohnheiten und die Wohnerwartungen der Wohnbevölkerung im Baugebiet von Bedeutung.

Zu der Frage der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit der Haltung von Tauben gibt es eine umfassende Judikatur. Diese zeigt, dass unter Zugrundelegung der genannten Grundsätze nicht schematisch über eine Taubenhaltung in Form der Nutztierhaltung in dem Wohnen dienenden Baugebieten entschieden werden kann, sondern dass jeweils unter Zugrundelegung der jeweiligen Umstände des Einzelfalls über die Frage der Zulässigkeit als auch über die Art und die Anzahl der Tiere zu entscheiden ist. So hat das OVG Niedersachsen einen Taubenschlag für 39 Tauben in einem allgemeinen Wohngebiet als eine allgemein zulässige Nebenanlage betrachtet. Demgegenüber haben der VGH Baden-Württemberg ein Taubenhaus für 50 Reisebrieftauben, das OVG Nordrhein-Westfalen die Haltung von 95 Brieftauben und das BVerwG ein Taubenhauses für 50 Brieftauben jeweils in einem reinen Wohngebiet als unzulässig angesehen.

Unter Heranziehung der vorgenannten Maßstäbe und dieser umfangreichen Rechtsprechung wird deutlich, dass die auf dem Grundstück Flurstück-Nr..in M.. vorhandene Kleintierhaltung von über 100 Tauben nicht mehr als eine dem Wohnen als Hauptnutzung untergeordnete Freizeitbeschäftigung angesehen werden kann und der Eigenart des hier vorhandenen reinen Wohngebiets widerspricht.

Zwar ist das Nebengebäude, in dem die Tauben untergebracht sind, nach seiner Größe dem Wohnhaus auf dem Grundstück räumlich-gegenständlich untergeordnet. Die Taubenhaltung sprengt aber den Rahmen der für eine Wohnnutzung typischen Freizeitbeschäftigung. Ob dies für eine Taubenhaltung in einem reinen Wohngebiet anzunehmen ist, lässt sich nicht allgemein festlegen. Dieser Umstand ist auch von der Verkehrsüblichkeit abhängig, die lokal oder regional unterschiedlich sein kann. Danach ist hier festzustellen, dass die Taubenhaltung auf dem Grundstück des Klägers in M.. mit rund 100 Tauben nicht mehr als verkehrs- bzw. ortsüblich bezeichnet werden kann. Soweit der Kläger behauptet hat, in M.. habe es noch vor 15 Jahren sechs aktive Taubenzüchter gegeben, deren Haltung mit mehr als 100 Tauben gebietsverträglich gewesen sei, und er seine eigene Taubenhaltung als „kümmerlichen Rest einer Taubenhaltung relativ großen Umfangs“ bezeichnet hat, kann er daraus nichts herleiten. Wie oben ausgeführt, ist maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung, ob dem Kläger ein Anspruch auf die von ihm begehrte Baugenehmigung zusteht, der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung. Zu diesem Zeitpunkt gibt es in M.. neben dem Kläger aber nur noch einen - dem Beklagten nach eigenen Angaben im Übrigen nicht bekannten - weiteren Taubenzüchter namens Rochus Schwarz , der in der knapp 1 km nördlich des klägerischen Anwesens gelegenen Luitpoldstraße 4 b offenbar etwa 100 Brieftauben hält. Abgesehen davon, dass das Anwesen Luitpoldstraße 4 b nach den Luftbildaufnahmen von M.. nicht in einem Wohngebiet, sondern in einem Mischgebiet liegen dürfte, hat diese Brieftaubenhaltung keinerlei Ausstrahlungswirkung auf das 1 km südlich gelegene Wohngebiet, in dem der Kläger seine Tauben hält; von einer Verkehrsüblichkeit der Taubenhaltung in M.. kann keine Rede sein.

Der Kläger kann schließlich auch nicht damit gehört werden, er besitze lediglich 30 bis 50 Reisetauben, die weiteren Tauben seien Zuchttauben bzw. Jungtauben, die den Schlag nicht verlassen würden. Selbst wenn dies zuträfe - aus den sich in den Verwaltungsakten befindlichen Lichtbilder von den fliegenden Tauben des Klägers ergibt sich dagegen eine weit größere Zahl -, würde sich an der dargestellten Rechtslage nichts ändern. In der oben wiedergegebenen verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung wird vor dem Hintergrund, dass Kleintierhaltung nach § 14 BauNVO der Hauptnutzung „Wohnen“ untergeordnet sein muss und den Rahmen der für eine Wohnnutzung typischen Freizeitbetätigung nicht sprengen darf, in Bezug auf die Anzahl der Tauben nicht differenziert zwischen festsitzenden Zuchttauben und freifliegenden Brieftauben. Zwar hat in der zivilgerichtlichen Rechtsprechung das Oberlandesgericht Oldenburg in seinem Urteil vom 10. Juni 1999 in Bezug auf den Abwehranspruch des Nachbarn nach § 906 Bürgerliches Gesetzbuch - BGB - gegen eine Taubenhaltung auf dem Nachbargrundstück unterschieden zwischen fest sitzenden Tauben und frei fliegenden Brieftauben. Der Kläger kann aus diesem Urteil jedoch schon deshalb nichts zu seinen Gunsten herleiten, weil seine Taubenhaltung nicht vergleichbar ist mit dem vom Oberlandesgericht Oldenburg entschiedenen Fall, in dem die Tauben aufgrund der baulichen Situation auf dem Grundstück der beklagten Tau-benhalterin dieses nicht verlassen konnten und die Bauweise der Taubenställe ein Ausbreiten von Geräuschen verhinderten. Dies ist vorliegend indessen nicht der Fall. Ungeachtet dessen hat das Oberlandesgericht Oldenburg ausgeführt, eine Größenordnung von 60 fest sitzenden Tauben und 35 frei fliegenden Brieftauben stelle sicher die Obergrenze dar, die ein Nachbar in einem Wohngebiet hinzunehmen habe. Diese Zahlen werden von dem Kläger aber überschritten.

Soweit der Kläger ferner unter Bezugnahme auf eine von ihm im Vorverfahren vorgelegte Stellungnahme des Verbands Deutscher Brieftaubenzüchter vom 9. April 2014 geltend macht, der Brieftaubensport sei erst mit einer Mindestzahl von 70 - 120 Tauben sinnvoll zu betreiben, kann er damit ebenfalls nicht durchdringen. Denn hier geht es nicht um die Frage, wie viele Tauben ein Brieftaubenzüchter benötigt, um wettbewerbsfähig zu sein, sondern allein um die baupla-nungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens in einem reinen Wohngebiet.

Eine Taubenhaltung mit rund 100 Tieren, die mehrere Stunden pro Tag frei fliegen, ist mit Belästigungen verbunden, die angesichts der Zahl der gehaltenen Tiere von den benachbarten Anwohnern eines reinen Wohngebiets nicht hingenommen werden müssen. Es ist allgemeinkundig und bedarf deshalb keiner vorhergehenden Beweiserhebung, dass Tauben gurren und beim Verlassen des und bei der Rückkehr zum Taubenschlag Geräusche verursachen. Die Haltung einer Zahl von rund 100 Tauben führt danach offenkundig unvermeidbar dazu, dass die benachbarten Häuser und Grundstücke nicht nur geringfügig beeinträchtigt werden.

Daneben gehört auch der Kot der Brieftauben zu den die Nachbarschaft belästigenden Auswirkungen der Brieftaubenhaltung. Zwar hat ein Grundstückseigentümer von den Tauben ausgehende Verunreinigungen durch Kot grundsätzlich zumindest in dem Ausmaß hinzunehmen, wie er es auch bei wildlebenden Vögeln müsste. Dieses Ausmaß wird bei 100 Brieftauben auf einem Grundstück jedoch überschritten. Es mag sein, dass Verschmutzungen durch Tauben in der Regel in unmittelbarer Nähe des Schlages auftreten. Brieftauben verlassen im Gegensatz zu Wildtauben grundsätzlich sofort die Umgebung des Schlages, den sie nach ihrer Rückkehr umgehend wieder aufsuchen. Sie werden auch dadurch dressiert, dass sie den Schlag hungrig verlassen und die Fütterung erst nach dem Freiflug erfolgt. Tauben, die zu spät einspringen, bekommen weniger Futter und werden so daran gewöhnt, unmittelbar in den Schlag einzuspringen.

Nach der - vom OVG Nordrhein-Westfalen in seinem Beschluss vom 23. März 2007 - 7 E 116/07 -, juris und vom VG Braunschweig in seinem Urteil vom 7. Oktober 2005 - 2 A 265/04 -, juris wiedergegebenen - gutachterlichen Stellungnahme von Prof. Dr. med. vet. J. K.., O.., vom 28. Oktober 1999 verursachen Brieftauben aber auch im Flug Verunreinigungen. Zwar setzen gesunde Tauben ihren Kot zu 95% dann ab, wenn sie festen Boden unter den Füßen haben. In 5% der Fälle ist dies selbst bei gesunden Tauben nach der gutachterlichen Stellungnahme aber dann nicht der Fall, wenn sie ihren Darminhalt in Schrecksituationen absetzen. Zu den Schrecksituationen zählte der Gutachter in einem reinen Wohngebiet ganz gewöhnliche Gegebenheiten, nämlich unbekannte Objekte im Anflugbereich zum Schlag, wie z. B. wehende Wäschestücke auf einer Leine oder helle Tischtücher. Hinzu tritt, dass Tauben auch auf Nachbargrundstücken „Boden unter den Füßen“ erlangen können.

Im Ergebnis stellt sich die Taubenhaltung des Klägers mit rund 100 Tieren somit als nicht gebietstypisch für ein reines Wohngebiet dar und ist damit in der konkreten Ausgestaltung bauplanungsrechtlich unzulässig.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 1 und 2 VwGO i. V. m. § 708 Nr. 11, 711 Zivilprozessordnung - ZPO -.
 
 

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