Verwaltungsgericht München Beschluss, 14. Juli 2015 - M 5 S7 15.50571
Gericht
Tenor
I.
Der Beschluss vom ... April 2015 wird in Ziffer I. aufgehoben und die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid des Bundesamtes vom 23. Februar 2015 angeordnet.
II.
Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Abänderungsverfahrens zu tragen.
Gründe
I.
Der am ... 1967 geborene Antragsteller ist syrischer Staatsangehöriger. Am 26. November 2014 stellte er beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) einen Asylantrag. Am selben Tag erfolgte durch das Bundesamt ein persönliches Gespräch mit dem Antragsteller zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats zur Durchführung des Asylverfahrens. Der Antragsteller gab dort unter anderem an, er habe am 11. September 2014 sein Herkunftsland verlassen und sei über die Türkei nach Italien eingereist. Von dort sei er mit dem Zug in die Bundesrepublik Deutschland gelangt. Bei einer Recherche des Bundesamtes ergab sich bezüglich des Antragstellers ein „EURODAC-Treffer international“ für Italien. Ein Aufnahmegesuch des Bundesamtes an die zuständige italienische Stelle vom 22. Januar 2015 ist unbearbeitet geblieben.
Mit Bescheid vom ... Februar 2015, zugesellt mit Postzustellungsurkunde am 5. März 2015 lehnte das Bundesamt den Asylantrag als unzulässig ab (Nr. 1 des Bescheids) und ordnete die Abschiebung nach Italien an (Nr. 2 des Bescheids).
Am 11. März 2015 erhob der seinerzeitige Bevollmächtigte des Antragstellers Klage (M 5 K 15.50248) gegen den Bescheid des Bundesamtes vom ... Februar 2015 und beantragte zudem, die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen (M 5 S 15.50249). Mit Beschluss vom 30. April 2015 hat das Gericht diesen Antrag abgelehnt.
Mit Schriftsatz vom 18. Juni 2015 hat die Bevollmächtigte des Antragstellers gem. § 80 Abs. 7 VwGO beantragt,
in Abänderung des Beschlusses vom 30. April 2015 die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid des Bundesamtes vom ... Februar 2015 anzuordnen.
Der Antragsteller befinde sich zwischenzeitlich in psychotherapeutischer Behandlung bei Fr. Dr. W. Nach deren Begutachtung sei der Antragsteller reiseunfähig. Es werde Bezug genommen auf den vorgelegten psychoanalytischen Befundbericht der Psychotherapeutin Dr. W. vom ... Juni 2015. Demnach befinde sich der Antragsteller bei ihr in psychotherapeutischer Behandlung wegen der Folgen der im Herkunftsland Syrien erlittenen Traumata. Beim Antragsteller bestehe latente Suizidalität. Eine Abschiebung reaktualisiere die Traumatas. Eine Reisefähigkeit des Klägers sei zu verneinen.
Wegen der Einzelheiten wird auf die Gerichtakte und auf die vorgelegte Akte des Bundesamtes Bezug genommen.
II.
Der Antrag ist zulässig und begründet.
Nach § 80 Abs. 7 Satz 1 und Satz 2 VwGO kann das Gericht in der Hauptsache Beschlüsse über Anträge nach § 80 Abs. 5 VwGO jederzeit ändern oder aufheben; jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen. Das Abänderungsverfahren nach § 80 Abs. 7 VwGO dient der Möglichkeit, einer nachträglichen Änderung der Sach- und Rechtslage Rechnung zu tragen. Prüfungsmaßstab für die Entscheidung ist, ob nach der jetzigen Sach- und Rechtslage die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage geboten ist (vgl. BVerwG, B.v. 25.8.2008 - 2 VR 1/08 - juris; VGH BW, B.v. 16.12.2001 - 13 S 1824/01 - juris; OVG NRW, B.v. 7.2.2012 - 18 B 14/12 - juris).
Das Vorbringen des Antragstellers ist geeignet, die Rechtmäßigkeit der Entscheidung des Bundesamtes, den Antragsteller im Rahmen des Dublin-Verfahrens nach Italien zu überstellen, in Zweifel zu ziehen und eine Änderung des Beschlusses vom 30. April 2015 zu rechtfertigen, denn es steht nicht mit hinreichender Sicherheit im Sinne des § 34 a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG fest, dass die Abschiebung des Antragstellers durchgeführt werden kann.
Der Abschiebung stehen möglicherweise inlandsbezogene Abschiebungshindernisse gem. § 60 a Abs. 2 Satz 1 AufenthG entgegen (zur Prüfungspflicht des Bundesamtes vgl. BayVGH, B.v. 12.3.2014 - 10 CE 14.427). Danach ist die Abschiebung auszusetzen, solange die Abschiebung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist und keine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird.
Ein Anspruch auf Aussetzung der Abschiebung nach § 60 a Abs. 2 Satz 1 AufenthG ist unter anderem gegeben, wenn die konkrete Gefahr besteht, dass sich der Gesundheitszustand des Ausländers durch die Abschiebung voraussichtlich wesentlich oder gar lebensbedrohlich verschlechtern würde (BayVGH, B.v.28.10.2013 - 10 CE 13.2257 - BeckRS 2013, 58911) und wenn diese Gefahr nicht durch bestimmte Vorkehrungen ausgeschlossen oder gemindert werden kann.
Im vorliegenden Fall erläutert die den Antragsteller behandelnde Psychotherapeutin W. in ihrem ärztlich psychoanalytischen Befundbericht vom ... Juni 2015 unter Angabe entsprechender Diagnosen nach der internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten und Verwandter Gesundheitsprobleme (ICD-10), dass, da beim Antragsteller eine latente Suizidalität vorliege, eine Abschiebung eine Gefahr für Leib und Leben des Antragstellers bedeuten würde und eine Reisefähigkeit deshalb verneint werden müsse. Aufgrund dieser Einschätzung ist zwar nicht von der Transportunfähigkeit (Reiseunfähigkeit im engeren Sinne) des Antragstellers auszugehen, wohl aber davon, dass die Abschiebung als solche eine erhebliche konkrete Gesundheitsgefahr für den Ausländer bewirkt (Reiseunfähigkeit im weiteren Sinne; vgl. BayVGH, B.v. 28.10.2013 - 10 CE 13.1890 und 10 CE 13.1891 - juris, m. w. N.).
Dem Antrag war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben. Die mit diesem Beschluss neu getroffene Kostenentscheidung bezieht sich lediglich auf das Abänderungsverfahren nach § 80 Abs. 7 VwGO. Die Kostenentscheidung des Beschlusses vom 30. April 2015 bleibt von der Aufhebung unberührt, da die Anordnung der aufschiebenden Wirkung mit diesem Beschluss aufgrund veränderter Umstände ex nunc erfolgt. Gerichtskosten werden nach § 83 b AsylVfG nicht erhoben.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 80 AsylVfG.
Annotations
(1) Widerspruch und Anfechtungsklage haben aufschiebende Wirkung. Das gilt auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten sowie bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung (§ 80a).
(2) Die aufschiebende Wirkung entfällt nur
- 1.
bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten, - 2.
bei unaufschiebbaren Anordnungen und Maßnahmen von Polizeivollzugsbeamten, - 3.
in anderen durch Bundesgesetz oder für Landesrecht durch Landesgesetz vorgeschriebenen Fällen, insbesondere für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die Investitionen oder die Schaffung von Arbeitsplätzen betreffen, - 3a.
für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die die Zulassung von Vorhaben betreffend Bundesverkehrswege und Mobilfunknetze zum Gegenstand haben und die nicht unter Nummer 3 fallen, - 4.
in den Fällen, in denen die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten von der Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, besonders angeordnet wird.
(3) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ist das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts schriftlich zu begründen. Einer besonderen Begründung bedarf es nicht, wenn die Behörde bei Gefahr im Verzug, insbesondere bei drohenden Nachteilen für Leben, Gesundheit oder Eigentum vorsorglich eine als solche bezeichnete Notstandsmaßnahme im öffentlichen Interesse trifft.
(4) Die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, kann in den Fällen des Absatzes 2 die Vollziehung aussetzen, soweit nicht bundesgesetzlich etwas anderes bestimmt ist. Bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten kann sie die Vollziehung auch gegen Sicherheit aussetzen. Die Aussetzung soll bei öffentlichen Abgaben und Kosten erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.
(5) Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung in den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 bis 3a ganz oder teilweise anordnen, im Falle des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ganz oder teilweise wiederherstellen. Der Antrag ist schon vor Erhebung der Anfechtungsklage zulässig. Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen, so kann das Gericht die Aufhebung der Vollziehung anordnen. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung kann von der Leistung einer Sicherheit oder von anderen Auflagen abhängig gemacht werden. Sie kann auch befristet werden.
(6) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 ist der Antrag nach Absatz 5 nur zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Das gilt nicht, wenn
- 1.
die Behörde über den Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat oder - 2.
eine Vollstreckung droht.
(7) Das Gericht der Hauptsache kann Beschlüsse über Anträge nach Absatz 5 jederzeit ändern oder aufheben. Jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen.
(8) In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.
(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.
(1) Widerspruch und Anfechtungsklage haben aufschiebende Wirkung. Das gilt auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten sowie bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung (§ 80a).
(2) Die aufschiebende Wirkung entfällt nur
- 1.
bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten, - 2.
bei unaufschiebbaren Anordnungen und Maßnahmen von Polizeivollzugsbeamten, - 3.
in anderen durch Bundesgesetz oder für Landesrecht durch Landesgesetz vorgeschriebenen Fällen, insbesondere für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die Investitionen oder die Schaffung von Arbeitsplätzen betreffen, - 3a.
für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die die Zulassung von Vorhaben betreffend Bundesverkehrswege und Mobilfunknetze zum Gegenstand haben und die nicht unter Nummer 3 fallen, - 4.
in den Fällen, in denen die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten von der Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, besonders angeordnet wird.
(3) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ist das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts schriftlich zu begründen. Einer besonderen Begründung bedarf es nicht, wenn die Behörde bei Gefahr im Verzug, insbesondere bei drohenden Nachteilen für Leben, Gesundheit oder Eigentum vorsorglich eine als solche bezeichnete Notstandsmaßnahme im öffentlichen Interesse trifft.
(4) Die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, kann in den Fällen des Absatzes 2 die Vollziehung aussetzen, soweit nicht bundesgesetzlich etwas anderes bestimmt ist. Bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten kann sie die Vollziehung auch gegen Sicherheit aussetzen. Die Aussetzung soll bei öffentlichen Abgaben und Kosten erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.
(5) Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung in den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 bis 3a ganz oder teilweise anordnen, im Falle des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ganz oder teilweise wiederherstellen. Der Antrag ist schon vor Erhebung der Anfechtungsklage zulässig. Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen, so kann das Gericht die Aufhebung der Vollziehung anordnen. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung kann von der Leistung einer Sicherheit oder von anderen Auflagen abhängig gemacht werden. Sie kann auch befristet werden.
(6) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 ist der Antrag nach Absatz 5 nur zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Das gilt nicht, wenn
- 1.
die Behörde über den Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat oder - 2.
eine Vollstreckung droht.
(7) Das Gericht der Hauptsache kann Beschlüsse über Anträge nach Absatz 5 jederzeit ändern oder aufheben. Jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen.
(8) In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.