Verwaltungsgericht Gelsenkirchen Beschluss, 16. Okt. 2013 - 6z L 1139/13

Gericht
Tenor
1 Der Antrag wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
2 Der Streitwert wird auf 5.000,- Euro festgesetzt.
1
Gründe:
2Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat keinen Erfolg. Der Antragsteller hat nicht gemäß § 123 VwGO i. V. m. §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO glaubhaft gemacht, dass ihm ein Anspruch auf Zuteilung des begehrten Studienplatzes im Studiengang Humanmedizin nach den für das Wintersemester 2013/2014 maßgeblichen Regeln und tatsächlichen Verhältnissen zusteht.
3Studienplätze im Studiengang Humanmedizin werden gemäß § 1 Satz 2 Vergabeverordnung (VergabeVO) i. V. m. ihrer Anlage 1 in einem zentralen Vergabeverfahren nach Maßgabe der §§ 6 ff. VergabeVO vergeben. Dabei werden die Studienplätze für Zweitstudienbewerber nach § 17 VergabeVO in Verbindung mit deren Anlage 3 vergeben. Die Rangfolge wird durch eine Messzahl bestimmt, die aus dem Ergebnis der Abschlussprüfung des Erststudiums und dem Grad der Bedeutung der Gründe für das Zweitstudium ermittelt wird.
4Die Antragsgegnerin hat die für den Antragsteller maßgebliche Messzahl von vier Punkten zutreffend ermittelt. Sie hat dem Antragsteller zunächst in rechtlich nicht zu beanstandender Weise und wie in Absatz 2 der Anlage 3 zur VergabeVO vorgesehen drei Punkte für das von ihm erzielte Ergebnis der Abschlussprüfung seines Erststudiums „E-Health“ – „2,0“ – zuerkannt.
5Die nach dem Grad der Bedeutung der Gründe für das Zweitstudium gemäß Anlage 3 Abs. 3 zur VergabeVO vergebene Punktzahl ist ebenfalls nicht zu beanstanden. Die Antragsgegnerin hat die vom Antragsteller zur Begründung seines Zweitstudienbegehrens geltend gemachten Gründe zu Recht nicht als „besondere berufliche Gründe“ im Sinne der Fallgruppe 3 der Absatzes 3 der Anlage 3 zur VergabeVO anerkannt und mit sieben Punkten bewertet. „Besondere berufliche Gründe“ für ein Zweitstudium liegen vor, wenn die berufliche Situation dadurch erheblich verbessert wird, dass der Abschluss des Zweitstudiums das Erststudium sinnvoll ergänzt, also eine Doppelqualifikation, die vom Berufsbild vorgegeben ist, angestrebt wird. Eine solche Doppelqualifikation ergibt sich, wenn beide Studiengänge in vollem oder zumindest in erheblichem Umfang für die angestrebte berufliche Tätigkeit benötigt werden. Dies bedeutet, dass die Ausübung des konkret angestrebten Berufs den Abschluss beider Studiengänge faktisch notwendig macht.
6Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 27. November 2012 – 13 B 1223/12 –, www.nrwe.de, unter Verweis auf OVG NRW, Beschlüsse vom 30. Januar 2012 – 13 B 1396/11 –, NVwZ-RR 2012, 397, und vom 14. Juni 2012 – 13 A 720/12 –, NVwZ-RR 2012, 762.
7Dabei kommt es darauf an, welche berufliche Tätigkeit angestrebt wird und in welcher Weise beide Studienabschlüsse die Berufsausübung fördern. Entscheidend ist die konkrete individuelle Berufsplanung. Zwischen den Inhalten des Erststudiums und des angestrebten Zweitstudiums muss ein sachlicher Zusammenhang hergestellt werden. Der Bewerber muss darlegen, welche Voraussetzungen für das angestrebte Berufsziel durch den bisherigen beruflichen Werdegang (z. B. im Erststudium) erworben worden sind und welche Voraussetzungen durch das Zweitstudium für das angestrebte Berufsziel erbracht werden. Wird durch die Aufnahme des Zweitstudiums lediglich ein Berufswechsel angestrebt, können besondere berufliche Gründe nicht bejaht werden. Unerheblich ist hingegen, in welchem Studiengebiet der Schwerpunkt der späteren Berufsausübung liegt und in welcher Reihenfolge das Erst- und das Zweitstudium betrieben werden. Dabei ist aber zu berücksichtigen, dass die von einem Studienbewerber durch ein Zweitstudium angestrebte Verbesserung seiner beruflichen Situation kein hinreichend anerkennenswerter Beweggrund für ein Zweitstudium ist, wenn er sein Ziel ebenso durch eine geringere Inanspruchnahme hochschulischer Ausbildungsressourcen, z. B. im Wege eines Gaststudiums, erreichen kann.
8Vgl. nur OVG NRW, Beschlüsse vom 15. März 2000 – 13 B 76/00 –, vom 11. Januar 2011 – 13 B 1614/10 – vom 30. Januar 2012 – 13 B 1396/11 –, juris, vom 14. Juni 2012 – 13 A 720/12 –, NVwZ-RR 2012, 762 f., und vom 27. November 2012 – 13 B 1223/12 –, juris; VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 12. Oktober 2012 – 6z L 1169/12 –, www.nrwe.de.
9Diese Grundsätze berücksichtigt kommt den vom Antragsteller in der schriftlichen Begründung für sein Zweitstudienbegehren geltend gemachten – und angesichts der in § 3 Abs. 7 VergabeVO statuierten Ausschlussfrist allein maßgeblichen – beruflichen Gründen nicht die für die Anerkennung als „besondere berufliche Gründe“ im Sinne der Fallgruppe 3 des Absatzes 3 der Anlage 3 zur VergabeVO erforderliche Bedeutung zu. Es fehlt bereits an der Angabe eines hinreichend konkreten Berufsbildes, anhand dessen sich die Frage beantworten ließe, ob für die Berufsausübung der Abschluss sowohl eines Studiums der Humanmedizin als auch eines „E-Health“-Studiums faktisch erforderlich ist.
10Der Antragsteller hat zur Begründung seines Zweitstudienbegehrens im Wesentlichen angegeben, er strebe eine enge Verknüpfung von medizinischer Forschung und tätiger Praxis an. Durch den Abschluss beider Studiengänge – „E-Health“ und Humanmedizin – wolle er den Bedarf technischer Lösungen für eine erhöhte Behandlungsqualität beurteilen, entwickeln, planen und umsetzen können. Er könne maßgeblich dazu beitragen, dass in Projekte tatsächlich alle Stakeholder mit einbezogen würden, unter wirtschaftlichen, medizinischen und sozialen Aspekten. Aus dieser Begründung ergibt sich nicht, dass beide Studiengänge faktisch in vollem oder zumindest in erheblichem Umfang für die von ihm angestrebte berufliche Tätigkeit benötigt werden. Zwar werden in dem Motivationsschreiben mehrere Bereiche genannt, in denen der Mandant ein potentielles künftiges Tätigkeitsfeld für sich sieht. Welches Berufsbild der Antragsteller konkret anstrebt, geht aus seinem Motivationsschreiben jedoch nicht eindeutig hervor. Dies wäre indes – auch unter Berücksichtigung etwaiger mit der Neuartigkeit des von ihm absolvierten Erststudiums verbundener Schwierigkeiten – erforderlich gewesen. Denn die Frage, ob für eine bestimmte Tätigkeit der Abschluss zweier Studiengänge faktisch notwendig ist, lässt sich nur im Hinblick auf ein konkretes Berufsbild eindeutig beantworten.
11Soweit der Antragsteller beispielhaft eine mögliche Tätigkeit als ambulanter oder klinischer Arzt bzw. Oberarzt anführt, stimmt die Kammer dem Antragsteller insoweit zu, als Kenntnisse im Bereich „E-Health“ für die Abwicklung datenbasierter Vorgänge bei der ärztlichen Tätigkeit förderlich sein dürften. Die Kammer vermag jedoch nicht zu erkennen, aus welchen Gründen hierfür das Absolvieren eines vollständigen Studiums der Fachrichtung „E-Health“ neben dem Medizinstudium faktisch notwendig ist.
12Vielmehr dürfte davon auszugehen sein, dass sich ein Arzt die für ihn im Bereich der Datenerfassung, -verarbeitung und -auswertung erforderlichen Kenntnisse durch den Besuch entsprechender Fortbildungsveranstaltungen oder die Teilnahme an Weiterbildungsmaßnahmen verschaffen kann. Letzteres wird durch den Umstand bestätigt, dass die Weiterbildungsordnung für Ärzte (Musterweiterbildungsordnung 2003 der Bundesärztekammer in der Fassung vom 28. Juni 2013) entsprechende Weiterbildungsmöglichkeiten für Ärzte auch ohne die Absolvierung eines E-Health-Vollstudiums vorsieht. So bestehen namentlich Möglichkeiten der Weiterbildung in den Bereichen „Ärztliches Qualitätsmanagement“ und „Medizinische Informatik“. Erstere beinhaltet unter anderem die Vermittlung von Kenntnissen, Erfahrungen und Fertigkeiten der Methodik des Qualitätsmanagements im Gesundheitswesen sowie der Anwendung gesundheitsökonomischer Konzepte einschließlich Abschätzung von Kosten-Nutzen-Relationen (S. 144). Im Rahmen der Weiterbildung im Bereich „Medizinische Informatik“ werden unter anderem Kenntnisse, Erfahrungen und Fertigkeiten der angewandten Informatik, der medizinischen Information, der Informations- und Kommunikationssysteme im Gesundheitswesen sowie der Telemedizin und Telematik im Gesundheitswesen vermittelt (S. 175 f.). Eine andere rechtliche Bewertung ergibt sich auch nicht aus der vom Antragsteller im gerichtlichen Verfahren vorgelegten Stellenanzeige der Cerner Deutschland GmbH. Die darin angebotene Stellung „Arzt/Ärztin als Physician Executive“ setzt ausweislich des Angebots – und wie der Antragsteller in seinem Motivationsschreiben selbst anführt – lediglich ein abgeschlossenes Medizinstudium und Berufserfahrung als Arzt voraus. Der zusätzliche Abschluss eines vollständigen E-Health-Studiums wird darin nicht gefordert. Dies verdeutlicht der Umstand, dass weitere Kenntnisse im klinischen IT-Umfeld ausweislich der Stellenausschreibung lediglich als „idealerweise“ erworben angesehen werden.
13Der Antragsteller hat nicht dargelegt, welche zusätzlichen Qualifikationen durch ein „E-Health“-Studium vermittelt werden, die sich ein Arzt auf Grund seiner wissenschaftlichen Ausbildung und im Rahmen der ohnehin anstehenden Spezialisierung nicht eigenständig erschließen kann. Nach alledem fehlt es an einer hinreichenden Grundlage für die Annahme, dass es sich bei einer Tätigkeit als Arzt in den vom Antragsteller genannten Bereichen um ein interdisziplinäres Tätigkeitsfeld im Sinne einer Kombination zweier wissenschaftlicher Berufsfelder handelt. Vielmehr dürfte sich das angestrebte Zweitstudium insoweit als Berufswechsel darstellen.
14Mangels Nennung eines hinreichend konkreten Berufsbildes scheidet auch eine Anerkennung der vom Antragsteller geltend gemachten Gründe als „sonstige berufliche Gründe“ im Sinne der Fallgruppe 4 des Absatzes 3 der Anlage 3 zur Vergabeverordnung aus.
15Selbst wenn dem Antragsteller jedoch vier Punkte nach der Fallgruppe 4 zuzuerkennen wären, würde die Zuweisung des begehrten Zweitstudienplatzes der Humanmedizin an den Antragsteller mit der ihm dann zuzuerkennenden Punktzahl von sieben Punkten (drei Punkte für den Abschluss des Erststudiums, vier Punkte nach Fallgruppe 4) ausscheiden, nachdem der letzte ausgewählte Bewerber zum Wintersemester 2013/2014 eine Messzahl von 8 vorzuweisen hatte.
16Mit der demnach zutreffend vergebenen Messzahl 4 kann dem Antragsteller kein Studienplatz zugewiesen werden.
17Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
18Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 52 Abs. 2 i.V.m. § 53 Abs. 2 Nr. 1 des Gerichtskostengesetzes und entspricht der Praxis des erkennenden Gerichts in Verfahren der vorliegenden Art.

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(1) Auf Antrag kann das Gericht, auch schon vor Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung in bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, daß durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint.
(2) Für den Erlaß einstweiliger Anordnungen ist das Gericht der Hauptsache zuständig. Dies ist das Gericht des ersten Rechtszugs und, wenn die Hauptsache im Berufungsverfahren anhängig ist, das Berufungsgericht. § 80 Abs. 8 ist entsprechend anzuwenden.
(3) Für den Erlaß einstweiliger Anordnungen gelten §§ 920, 921, 923, 926, 928 bis 932, 938, 939, 941 und 945 der Zivilprozeßordnung entsprechend.
(4) Das Gericht entscheidet durch Beschluß.
(5) Die Vorschriften der Absätze 1 bis 3 gelten nicht für die Fälle der §§ 80 und 80a.
(1) Diese Verordnung trifft nähere Bestimmungen über das einzuhaltende Verfahren bei der dem Teil 4 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen unterliegenden Vergabe von öffentlichen Aufträgen und bei der Ausrichtung von Wettbewerben durch den öffentlichen Auftraggeber.
(2) Diese Verordnung ist nicht anzuwenden auf
(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.
(1) In folgenden Verfahren bestimmt sich der Wert nach § 3 der Zivilprozessordnung:
- 1.
über die Anordnung eines Arrests, zur Erwirkung eines Europäischen Beschlusses zur vorläufigen Kontenpfändung, wenn keine Festgebühren bestimmt sind, und auf Erlass einer einstweiligen Verfügung sowie im Verfahren über die Aufhebung, den Widerruf oder die Abänderung der genannten Entscheidungen, - 2.
über den Antrag auf Zulassung der Vollziehung einer vorläufigen oder sichernden Maßnahme des Schiedsgerichts, - 3.
auf Aufhebung oder Abänderung einer Entscheidung auf Zulassung der Vollziehung (§ 1041 der Zivilprozessordnung), - 4.
nach § 47 Absatz 5 des Energiewirtschaftsgesetzes über gerügte Rechtsverletzungen, der Wert beträgt höchstens 100 000 Euro, und - 5.
nach § 148 Absatz 1 und 2 des Aktiengesetzes; er darf jedoch ein Zehntel des Grundkapitals oder Stammkapitals des übertragenden oder formwechselnden Rechtsträgers oder, falls der übertragende oder formwechselnde Rechtsträger ein Grundkapital oder Stammkapital nicht hat, ein Zehntel des Vermögens dieses Rechtsträgers, höchstens jedoch 500 000 Euro, nur insoweit übersteigen, als die Bedeutung der Sache für die Parteien höher zu bewerten ist.
(2) In folgenden Verfahren bestimmt sich der Wert nach § 52 Absatz 1 und 2:
- 1.
über einen Antrag auf Erlass, Abänderung oder Aufhebung einer einstweiligen Anordnung nach § 123 der Verwaltungsgerichtsordnung oder § 114 der Finanzgerichtsordnung, - 2.
nach § 47 Absatz 6, § 80 Absatz 5 bis 8, § 80a Absatz 3 oder § 80b Absatz 2 und 3 der Verwaltungsgerichtsordnung, - 3.
nach § 69 Absatz 3, 5 der Finanzgerichtsordnung, - 4.
nach § 86b des Sozialgerichtsgesetzes und - 5.
nach § 50 Absatz 3 bis 5 des Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetzes.