Verwaltungsgericht Bayreuth Urteil, 03. Dez. 2014 - B 4 K 12.338

Gericht
Tenor
1. Der Bescheid der Beklagten vom 06.09.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids des Landratsamts ... vom 13.03.2012 wird aufgehoben.
2. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch die Klägerin durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des zu vollstreckenden Betrages leistet.
Tatbestand
Die Klägerin wendet sich gegen ihre Heranziehung zu einem (weiteren) Herstellungsbeitrag für die Entwässerungseinrichtung der Beklagten.
Die Klägerin ist Eigentümerin des bebauten Grundstücks Flnr. ... Gemarkung ...(...-straße ...) mit einer Grundstücksfläche von 801 qm und einer Geschossfläche von 560,75 qm. Es ist an die öffentliche Entwässerungseinrichtung der Beklagten angeschlossen. Das Grundstück wurde mit Bescheid vom 26.05.1977 erstmals zu einem Herstellungsbeitrag in Höhe von 8.191,30 DM (= 4.188,15 EUR) herangezogen.
Die Beklagte ist Mitglied des „Abwasser- und Gewässerunterhaltungsverbandes ...“ (AGV). In den Jahren 2003 bis 2007 führte der AGV folgende Verbesserungsmaßnahmen durch: Bau eines Regenüberlaufs in H. (Stadt B.), Bau eines Regenüberlaufbeckens, eines Faulturms und eines Vorklär- und Belüftungsbeckens jeweils an der Kläranlage, Bau eines Regenrückhaltebeckens samt Grunderwerb in B.(Gemeinde L.), Umrüstung der Messstellen, Planungskosten und Gutachten. Von dem dafür anfallenden Gesamtaufwand von 2.614 049,86 EUR entfällt auf die Beklagte ein Anteil von 21,27%, d. h. 556.008,41 EUR. Außerdem ließ die Beklagte in eigenem Auftrag und auf eigene Rechnung Regenwasserkanäle in der ...-gasse, am L. und am Z... bauen. Dafür fiel ein Aufwand von 473.046,39 EUR an. Die verbesserte Einrichtung war im Jahr 2007 betriebsfertig.
Am 16.06.2010 erließ die Beklagte eine neue Entwässerungssatzung (EWS 2010) und eine neue Beitrags- und Gebührensatzung (BGS/EWS 2010), die jeweils am 01.07.2010 in Kraft traten. In § 6 Abs. 1 BGS/EWS 2010 ist ein Herstellungsbeitrag von 1,85 EUR pro qm Grundstücksfläche und 11,32 EUR pro qm Geschossfläche festgesetzt. Die Übergangsregelung in § 16 Abs. 1 BGS/EWS 2010 sieht vor, dass für Grundstücke, die bereits nach den BGS/EWS bis einschließlich 17.11.2003 bestandskräftig veranlagt wurden, der Herstellungsbeitrag auf 0,38 EUR pro qm Grundstücksfläche bzw. 1,01 EUR pro qm Geschossfläche begrenzt wird.
Mit dem streitgegenständlichen Bescheid vom 06.09.2010 setzte die Beklagte für das klägerische Grundstück einen Beitrag von 870,74 EUR fest. Er setzt sich zusammen aus einem Beitrag nach der Grundstücksfläche in Höhe von 801 qm x 0,38 EUR/qm = 304,38 EUR und einem Beitrag nach der (tatsächlich vorhandenen) Geschossfläche in Höhe von 560,75 qm x 1,01 EUR/qm = 566,36 EUR. In der Begründung des Bescheides führt die Beklagte aus, der Erlass einer Verbesserungsbeitragssatzung sei nicht mehr möglich, weil der Zeitpunkt der Inbetriebnahme der Verbesserungsmaßnahmen bereits über ein Jahr zurück liege. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof habe mit Beschluss vom 23.04.2007 - Az. 23 CS 07.389 - in diesen Fällen die endgültige Beitragserhebung durch eine Übergangsregelung in der BGS/EWS zugelassen, wovon die Beklagte in § 16 BGS/EWS Gebrauch gemacht habe.
Mit Widerspruchsbescheid vom 13.03.2012 wies das Landratsamt ...den von der Klägerin am 04.10.2010 eingelegten Widerspruch zurück.
Mit Schriftsatz vom 06.04.2012, der beim Bayerischen Verwaltungsgericht Bayreuth
den Bescheid der Beklagten vom 06.09.2010 in der Fassung des Widerspruchsbescheides des Landratsamtes ... vom 13.03.2012 aufzuheben.
Zur Begründung trägt sie u. a. vor, der Beklagte habe keine Herstellungsbeiträge mit einer Übergangsvorschrift für Altanschließer erheben dürfen, sondern hätte die Maßnahmen über Verbesserungsbeiträge abrechnen müssen.
Die Beklagte hat beantragen lassen,
die Klage abzuweisen.
Sie macht u. a. geltend, wenn man die Rechtsauffassung vertrete, dass keine Verbesserungsbeiträge mehr festgesetzt werden könnten, dürfe dies wegen des Erhebungsgebotes (Art. 5 KAG, Art. 61, 62 GO) nicht dazu führen, dass die Beklagte ihren Aufwand nicht refinanzieren könne. Deshalb müsse es zulässig sein, nach dem technischen Abschluss der Verbesserungsmaßnahmen Herstellungsbeiträge mit einer Beschränkung auf den fiktiven Verbesserungsaufwand für Altanschließer wie die Klägerin zu erheben. Folge man dieser Rechtsauffassung nicht, müsse die Beklagte jetzt noch eine Verbesserungsbeitragssatzung erlassen können.
Für die weiteren Einzelheiten wird auf die vorgelegten Behördenakten und die Niederschrift über die mündliche Verhandlung am 03.12.2014 verwiesen.
Gründe
Die Klage ist zulässig und begründet. Denn der Bescheid der Beklagten vom 06.09.2010 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Gem. Art. 5 Abs. 1 Satz 1 KAG können Gemeinden zur Deckung des Aufwandes u. a. für die Verbesserung ihrer öffentlichen Einrichtungen Beiträge von den Grundstückseigentümern erheben, denen die Möglichkeit der Inanspruchnahme dieser Einrichtungen besondere Vorteile bietet. Unter einer Verbesserung sind Maßnahmen zur Hebung der Qualität und Leistungsfähigkeit, insbesondere der Wirkungskraft einer schon vorhandenen Einrichtung verstanden, die über den bloßen Unterhalt oder Reparaturen hinausgehen. Dazu gehören auch Erneuerungsmaßnahmen an bereits vorhandene Anlagen, die sich nach der Verkehrsauffassung positiv auf die Gesamtanlage auswirken (BayVGH, U. v. 27.02.2003 - 23 B 02.1032 - BayVBl 2003, 373).
Bei den Baumaßnahmen an der Kläranlage, der Errichtung der Kanäle zur Regenentlastung und dem nachträglichen Einbau eines Regenrückhalte- und eines Regenüberlaufbeckens handelt es sich jeweils um Verbesserungsmaßnahmen (Thimet, Kommunalabgaben- und Ortsrecht in Bayern, Stand Juni 2014, Teil IV Art. 5 Frage 5 Ziff. 2.2.1, 2.2.5., 2.2.6). Deshalb ist der dabei entstandene Aufwand als Verbesserungsaufwand abzurechnen.
Die Beitragspflicht für einen Verbesserungsaufwand setzt voraus, dass der Einrichtungsträger über eine Herstellungsbeitragssatzung mit neu kalkulierten Beitragsätzen für Neuanschließer und über eine wirksame Verbesserungsbeitragssatzung für Altanschließer verfügt.
Eine Verbesserungsbeitragssatzung hat die Beklagte jedoch nicht erlassen, obwohl sie auch nachdem die verbesserte Einrichtung nach Beendigung der Verbesserungsmaßnahme benutzbar geworden ist, nicht daran gehindert war. Denn gem. Art. 5 Abs. 8 KAG kann ein Beitrag auch für öffentliche Einrichtungen erhoben werden, die vor Inkrafttreten der Abgabesatzung verbessert wurden. Die Beklagte hätte deshalb, um die Klägerin zu einem Beitrag heranziehen zu können, zusätzlich zu der Herstellungsbeitragssatzung mit den erhöhten Beiträgen eine Verbesserungsbeitragsatzung erlassen müssen (Thimet, Teil IV Art. 5 Frage 24 Ziff. 6.1.1 unter Verweis auf BayVGH, B. v. 26.07.2005 - 23 CS 05.1332 - unveröffentlicht - zum vergleichbaren Fall einer nichtigen Verbesserungsbeitragssatzung).
Der Weg, den die Beklagte stattdessen gewählt hat, war demgegenüber nicht rechtmäßig. Alt- und Neuanschließer dürfen nur dann, wie es die Beklagte getan hat, zu erhöhten (Neuanschließer) bzw. eingeschränkten (Altanschließer) Herstellungsbeiträgen herangezogen werden, wenn eine gültige Herstellungsbeitragssatzung (alt) fehlt (BayVGH, U. v. 26.10.2006 - 23 B 06.1672 - BayVBl 2007, 246). Die Beklagte verfügt jedoch über eine BGS/EWS vom 17.11.2003, gegen deren Wirksamkeit durchgreifende Einwendungen weder vorgetragen wurden noch sonst ersichtlich sind.
Liegt somit die Fallkonstellation, dass ein Anlagenbetreiber noch nie über wirksames Satzungsrechtrecht verfügt hat, nicht vor, ist die BGS/EWS 2010 keine wirksame Rechtsgrundlage für einen Beitragsbescheid, mit welchem dem Grunde nach ein Verbesserungsbeitrag erhoben wird.
Als unterliegender Teil trägt die Beklagte gem. § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten des Verfahrens. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO, § 708 Nr.11, § 711 ZPO.

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(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.
(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.
(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.
(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.
(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.
(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.
(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.
(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.
Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:
- 1.
Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen; - 2.
Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a; - 3.
Urteile, durch die gemäß § 341 der Einspruch als unzulässig verworfen wird; - 4.
Urteile, die im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen werden; - 5.
Urteile, die ein Vorbehaltsurteil, das im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen wurde, für vorbehaltlos erklären; - 6.
Urteile, durch die Arreste oder einstweilige Verfügungen abgelehnt oder aufgehoben werden; - 7.
Urteile in Streitigkeiten zwischen dem Vermieter und dem Mieter oder Untermieter von Wohnräumen oder anderen Räumen oder zwischen dem Mieter und dem Untermieter solcher Räume wegen Überlassung, Benutzung oder Räumung, wegen Fortsetzung des Mietverhältnisses über Wohnraum auf Grund der §§ 574 bis 574b des Bürgerlichen Gesetzbuchs sowie wegen Zurückhaltung der von dem Mieter oder dem Untermieter in die Mieträume eingebrachten Sachen; - 8.
Urteile, die die Verpflichtung aussprechen, Unterhalt, Renten wegen Entziehung einer Unterhaltsforderung oder Renten wegen einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit zu entrichten, soweit sich die Verpflichtung auf die Zeit nach der Klageerhebung und auf das ihr vorausgehende letzte Vierteljahr bezieht; - 9.
Urteile nach §§ 861, 862 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf Wiedereinräumung des Besitzes oder auf Beseitigung oder Unterlassung einer Besitzstörung; - 10.
Berufungsurteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten. Wird die Berufung durch Urteil oder Beschluss gemäß § 522 Absatz 2 zurückgewiesen, ist auszusprechen, dass das angefochtene Urteil ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar ist; - 11.
andere Urteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten, wenn der Gegenstand der Verurteilung in der Hauptsache 1.250 Euro nicht übersteigt oder wenn nur die Entscheidung über die Kosten vollstreckbar ist und eine Vollstreckung im Wert von nicht mehr als 1.500 Euro ermöglicht.
In den Fällen des § 708 Nr. 4 bis 11 hat das Gericht auszusprechen, dass der Schuldner die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung abwenden darf, wenn nicht der Gläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit leistet. § 709 Satz 2 gilt entsprechend, für den Schuldner jedoch mit der Maßgabe, dass Sicherheit in einem bestimmten Verhältnis zur Höhe des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages zu leisten ist. Für den Gläubiger gilt § 710 entsprechend.