Sozialgericht Würzburg Urteil, 15. Jan. 2015 - S 8 R 687/14

bei uns veröffentlicht am15.01.2015

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Gewährung einer Witwenrente.

Die 1961 geborene Klägerin heiratete am 18.12.2013 den 1959 geborenen Versicherten. Sie kannte den Versicherten seit ca. 10 Jahren und führte mit ihm seit 2007 einen gemeinsamen Haushalt. Die Klägerin ist langjährig als Personalsachbearbeiterin berufstätig.

Anfang Dezember 2013 wurde bei dem Versicherten ein Lungenkarzinom mit ausgedehnter Metastasierung diagnostiziert. Am 19.02.2014 verstarb der Versicherte.

Am 11.03.2014 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Gewährung von Witwenrente. Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 18.03.2014 ab, weil die Ehe nicht mindestens ein Jahr gedauert habe und die gesetzliche Vermutung einer Versorgungsehe nicht durch besondere Umstände widerlegt worden seien. Das anschließende Widerspruchsverfahren blieb ebenfalls erfolglos. Mit Bescheid vom 08.07.2014 wurde der Widerspruch als unbegründet zurückgewiesen.

Dagegen richtet sich die Klage vom 21.07.2014. Die Klägerin trägt im Wesentlichen vor, Zweck der Heirat sei nicht die Begründung eines Anspruches auf Hinterbliebenenversorgung gewesen. Es hätten von finanziellen Erwägungen unabhängige Gründe vorgelegen, die aus der langjährigen inneren Verbundenheit resultiert hätten und von dem Wunsch nach Beistand und Unterstützung des Ehemannes in dessen schwieriger Lebenslage getragen waren. Der Versicherte habe schon immer heiraten wollen und ab dem Zeitpunkt der Erkrankung im Dezember 2013 sei es der größte Wunsch des Versicherten gewesen, zu heiraten. Mit dem sehr schnellen Ableben des Versicherten habe niemand gerechnet, die Ärzte hätten eine Prognose von ca. einem bis eineinhalb Jahren gegeben. Als Zeugin wird die Tochter der Klägerin angegeben.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 18.03.2014 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 08.07.2014 zu verurteilen, der Klägerin eine Hinterbliebenenrente nach dem Versicherten Christian Meller zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Akten der Beklagten sowie auf die Sitzungsniederschriften Bezug genommen.

Gründe

Die form- und fristgerecht zum örtlich und sachlich zuständigen Sozialgericht Würzburg erhobene Klage ist zulässig (vgl. §§ 51, 57, 78, 87, 90 Sozialgerichtsgesetz - SGG -). Die Klage ist jedoch nicht begründet. Der Klägerin steht ein Anspruch auf Hinterbliebenenrente nicht zu.

Das Vorliegen der allgemeinen Voraussetzungen für eine Hinterbliebenenrente (vgl. § 46 Abs. 1 und 2 Sozialgesetzbuch, Sechstes Buch - SGB VI -) ist zwischen den Beteiligten unstreitig. Die Beklagte hat den Rentenanspruch im Hinblick auf die gesetzliche Bestimmung des § 46 Abs. 2 a SGB VI abgelehnt, wonach Witwen oder Witwer keinen Anspruch auf Hinterbliebenenrente haben, wenn die Ehe nicht mindestens ein Jahr gedauert hat, es sei denn, dass nach den besonderen Umständen des Falles die Annahme nicht gerechtfertigt ist, dass es der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat war, einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung zu begründen. Diese Norm enthält mithin für alle seit ihrem Inkrafttreten geschlossenen Ehe die gesetzliche Vermutung, dass bei Tod der Versicherten innerhalb eines Jahres nach der Eheschließung die Erlangung einer Versorgung Ziel der Eheschließung war. Die Ehe zwischen der Klägerin und dem Versicherten hat weniger als ein Jahr gedauert und die gesetzliche Vermutung des § 46 Abs. 2 a SGB VI greift vorliegend somit ein.

Diese Vermutung ist allerdings widerlegbar. Sie ist widerlegt, wenn besondere Umstände vorliegen, aufgrund derer trotz kurzer Ehedauer die Annahme nicht gerechtfertigt ist, dass es der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat war, einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung zu begründen. Die Widerlegung der Vermutung erfordert nach § 202 SGG i. V. m. § 292 Zivilprozessordnung (ZPO) den vollen Beweis des Gegenteils. Der Vollbeweis erfordert zumindest einen der Gewissheit nahekommenden Grad der Wahrscheinlichkeit. Eine Tatsache ist danach bewiesen, wenn alle Umstände des Falles nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung hiervon oder einen so hohen Grad an Wahrscheinlichkeit zu begründen, dass kein vernünftiger Mensch noch zweifelt (vgl. BSG, SozR 3-3900, § 15 Nr. 3 m. w. N.).

Mit der Beklagten ist das Gericht der Auffassung, dass die Klägerin die gesetzliche Vermutung nicht widerlegen kann. Dabei legt das Gericht die tatsächlichen Angaben der Klägerin seiner Entscheidung zugrunde. Auch die Einvernahme einer Zeugin ist deshalb nicht erforderlich.

Das Bundessozialgericht hat in einer Entscheidung vom 5. Mai 2009 (B 13 R 55/08 R) klargestellt, dass dem Gesundheitszustand des Versicherten zum Zeitpunkt der Eheschließung eine besonders gewichtige Bedeutung zukommt. Ein gegen die gesetzliche Annahme einer Versorgungsehe sprechender besonderer äußerer Umstand ist insbesondere dann anzunehmen, wenn der Tod des Versicherten, hinsichtlich dessen bisher kein gesundheitliches Risiko eines bevorstehenden Ablebens bekannt war, unvermittelt eingetreten ist. Hingegen ist bei Heirat eines zum Zeitpunkt der Eheschließung offenkundig bereits an einer lebensbedrohlichen Krankheit leidenden Versicherten in der Regel der Ausnahmetatbestand des § 46 Abs. 2 a SGB VI nicht erfüllt. Zwar ist bei einer schweren Erkrankung mit einer ungünstigen Verlaufsprognose und entsprechender Kenntnis der Nachweis nicht ausgeschlossen, dass dessen ungeachtet zumindest gleichwertig aus anderen als aus Versorgungsgründen geheiratet worden ist. Mit dem Grad der Lebensbedrohlichkeit einer Krankheit und dem Grad der Offenkundigkeit steigt jedoch der Grad des Zweifels an dem Vorliegen solcher vom hinterbliebenen Ehegatten zu beweisenden besonderen Umstände, die zu einer Widerlegung der gesetzlichen Vermutung führen (BSG, a. a. O.).

Der Versicherte wurde nach dem Entlassungsbericht des Universitätsklinikums Würzburg vom 11.12.2013 am 04.12.2013 notfallmäßig in der Klinik stationär aufgenommen. Es wurde ein fortgeschrittenes Karzinomleiden mit Lungen-, Hirn-, Leber-, Knochen-, Milz- und Nebennierenbefall festgestellt. Kurative Therapieoptionen bestanden nicht. Dem Versicherten und der Klägerin war damit zum Zeitpunkt der Eheschließung kurze Zeit später bekannt, dass der Versicherte an einer lebensbedrohlichen Krankheit leidet, die ein erhebliches Risiko für ein baldiges Ableben in sich führt. Das Vorliegen dieser schweren, offenkundig lebensbedrohlichen Erkrankung des Versicherten zum Zeitpunkt der Eheschließung spricht entscheidend für das Vorliegen einer Versorgungsehe. Nach den Ausführungen des beratenden Arztes der Beklagten Dr. S. vom 06.11.2014 war eine Überlebenszeit von einem Jahr aus medizinischer Sicht unwahrscheinlich. Unbeachtlich ist dabei, dass die Klägerin und der Versicherte auf eine Lebensdauer von mehr als einem Jahr gehofften haben mögen und dies auch von behandelnden Ärzten geäußert worden sein mag.

Angesichts der tatsächlichen Gegebenheiten ist die Kammer davon überzeugt, dass die Eheschließung am 18.12.2013 maßgeblich von der Kenntnis um die schwere Erkrankung und die Befürchtung des baldigen Ablebens des Versicherten bestimmt war. Die Klägerin hat selbst vorgetragen, dass ab dem Zeitpunkt der Erkrankung der größte Wunsch des Versicherten die Heirat gewesen sei. Vor Bekanntwerden der lebensbedrohlichen Erkrankung haben konkrete Hochzeitspläne gerade nicht bestanden, auch wenn nach den Ausführungen der Klägerin der verstorbene Ehemann schon immer habe heiraten wollen.

Auch aus dem mehrjährigen eheähnlichem Zusammenleben der Klägerin mit dem Versicherten ergibt sich keine andere Auffassung. Das langjährige Bestehen einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft ist kein überzeugend gegen eine Versorgungsehe sprechender Umstand. (vgl. Bayer. Landessozialgericht vom 20.02.2013 - L 1 R 304/11). Einem Zusammenleben „ohne Trauschein“ liegt nämlich in der Regel die bewusste, freie Entscheidung zugrunde, nicht zu heiraten und damit nicht den vielfältigen gesetzlichen Regelungen zu unterliegen, die für Eheleute gelten. Langjährige Heiratsabsichten können deshalb nur dann die Vermutung der Versorgungsehe widerlegen, wenn sie hinreichend konkret sind und sich als die konsequente Verwirklichung einer schon vor Bekanntwerden der Erkrankung gefassten Heiratsabsicht darstellt.

Zusammenfassend ist die Entscheidung der Beklagten damit nicht zu beanstanden.

Die Klage ist als unbegründet abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

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Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 193


(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen ha

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 202


Soweit dieses Gesetz keine Bestimmungen über das Verfahren enthält, sind das Gerichtsverfassungsgesetz und die Zivilprozeßordnung einschließlich § 278 Absatz 5 und § 278a entsprechend anzuwenden, wenn die grundsätzlichen Unterschiede der beiden Verfa

Zivilprozessordnung - ZPO | § 292 Gesetzliche Vermutungen


Stellt das Gesetz für das Vorhandensein einer Tatsache eine Vermutung auf, so ist der Beweis des Gegenteils zulässig, sofern nicht das Gesetz ein anderes vorschreibt. Dieser Beweis kann auch durch den Antrag auf Parteivernehmung nach § 445 geführt we

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Soweit dieses Gesetz keine Bestimmungen über das Verfahren enthält, sind das Gerichtsverfassungsgesetz und die Zivilprozeßordnung einschließlich § 278 Absatz 5 und § 278a entsprechend anzuwenden, wenn die grundsätzlichen Unterschiede der beiden Verfahrensarten dies nicht ausschließen; Buch 6 der Zivilprozessordnung ist nicht anzuwenden. Die Vorschriften des Siebzehnten Titels des Gerichtsverfassungsgesetzes sind mit der Maßgabe entsprechend anzuwenden, dass an die Stelle des Oberlandesgerichts das Landessozialgericht, an die Stelle des Bundesgerichtshofs das Bundessozialgericht und an die Stelle der Zivilprozessordnung das Sozialgerichtsgesetz tritt. In Streitigkeiten über Entscheidungen des Bundeskartellamts, die die freiwillige Vereinigung von Krankenkassen nach § 172a des Fünften Buches Sozialgesetzbuch betreffen, sind die §§ 63 bis 80 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen mit der Maßgabe entsprechend anzuwenden, dass an die Stelle des Oberlandesgerichts das Landessozialgericht, an die Stelle des Bundesgerichtshofs das Bundessozialgericht und an die Stelle der Zivilprozessordnung das Sozialgerichtsgesetz tritt.

Stellt das Gesetz für das Vorhandensein einer Tatsache eine Vermutung auf, so ist der Beweis des Gegenteils zulässig, sofern nicht das Gesetz ein anderes vorschreibt. Dieser Beweis kann auch durch den Antrag auf Parteivernehmung nach § 445 geführt werden.

(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.

(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.

(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.

(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.