Sozialgericht Nürnberg Beschluss, 05. Jan. 2017 - S 6 AL 468/16 ER

bei uns veröffentlicht am05.01.2017

Tenor

I. Der Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutz wird abgelehnt.

II. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Gründe

I.

Die 1957 geborene Antragstellerin war vom 01.07.2011 bis 30.06.2016 als Verkäuferin bei der Firma A. GmbH & Co KG R. beschäftigt. Sie meldete sich am 16.08.2016 beim Antragsgegner arbeitslos und beantragte Arbeitslosengeld I (Alg I).

Der Antrag wurde unter Hinweis auf ihre fehlende Erreichbarkeit durch Bescheid vom 30.11.2016 vom Antragsgegner abgelehnt.

Wie aus einem Aktenvermerk des Antragsgegners hervorgeht, wurde der Ablehnungsbescheid anlässlich einer persönlichen Vorsprache der Antragstellerin am 01.12.2016 nochmals aus der eAkte ausgedruckt und ihr ausgehändigt, nachdem sie zuvor angegeben hatte, sich nicht in ihrer Wohnung aufzuhalten und deshalb den Bescheid nicht bekommen zu haben.

Am 21.12.2016 ging beim Sozialgericht Nürnberg ein mit „Eilantrag“ betiteltes Schreiben der Antragstellerin ein, in dem sie u. a. angab, dass ihr vom Arbeitsamt A. - eine Behörde des Antragsgegners - die Auszahlung der erbrachten Versicherungsleistung verweigern werde.

Die Antragstellerin beantragt sinngemäß,

der Ablehnungsbescheid vom 30.11.2016 wird aufgehoben und der Antragsgegner verpflichtet, Arbeitslosengeld I in gesetzlicher Höhe ab 16.08.2016 an die Antragstellerin zu zahlen.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag abzuweisen.

In der Antragserwiderungsschrift vom 02.01.2017 beruft sie sich auf die mittlerweile eingetretene Bestandskraft des Ablehnungsbescheides vom 30.11.2016, gegen den bislang kein Widerspruch erhoben worden sei.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhaltes wird auf die beigezogene Verwaltungsakte des Antragsgegners sowie die Gerichtsakte Bezug genommen.

II.

Der vorliegende Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist unzulässig.

Die Erklärung der Antragstellerin in ihrem Schreiben vom 21.12.2016 war in entsprechender Anwendung von § 133 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) in ihrem Sinne dahin gehend auszulegen, dass sie sich damit gegen die Ablehnung des von ihr am 16.08.2016 beantragten Alg I durch Bescheid der Antragsgegnerin vom 30.11.2016 wendet.

Rechtsgrundlage für die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes ist für den vorliegenden Eilantrag, mit dem die Antragstellerin sich zwar gegen den Ablehnungsbescheid wendet, letztlich aber die Erweiterung ihrer Rechtsposition durch die Verpflichtung des Antragsgegners zur Gewährung von Alg I begehrt, die Vorschrift des § 86b Abs. 2 S. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Hiernach kann das Gericht durch Erlass einer so genannten „Regelungsanordnung“ eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis erlassen, wenn diese zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint.

Allerdings ist - ausgehend von dem Streitgegenstand eines Anordnungsverfahrens, im Eilverfahren zu prüfen, inwieweit der Antragstellerin für einen Zwischenraum bis zur Hauptsacheentscheidung eine bestimmte Rechtsposition zusteht - ein derartiger Antrag bei Vorliegen einer bindenden Hauptsacheentscheidung unzulässig (s. BayLSG v. 23.09.2010 - L 7 AS 651/10 B ER; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Komm. zum SGG, 11. Auflage 2014, § 86 B Rn. 26 d). Denn es gibt in diesem Fall keine Rechtsposition, die bis zur Entscheidung in einem noch offenen Hauptsacheverfahren gesichert werden könnte.

Der Bescheid vom 30.11.2016, mit dem die Antragsgegnerin den Alg I-Antrag abgelehnt hat, wurde der Antragstellerin spätestens am 01.12.2016 im Rahmen einer persönlichen Vorsprache durch Übergabe bekannt gegeben. Er enthielt eine ordnungsgemäße Rechtsbehelfsbelehrung:, in der sie über die Möglichkeit informiert wurde, hiergegen innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe Widerspruch erheben zu können, § 84 Abs. 1 SGG.

Diese Monatsfrist ist mittlerweile verstrichen, ohne dass erkennbar ein Widerspruch der Antragstellerin eingegangen wäre.

Damit ist der Ablehnungsbescheid vom 30.11.2016 somit nach § 77 SGG für die Beteiligten bindend geworden und folglich einer einstweiligen Regelung nicht mehr zugänglich (s. LSG Sachsen-Anhalt v. 06.07.2011 - L 5 AS 226/11 B ER). Dies gilt jedenfalls solange, bis die Antragstellerin einen Überprüfungsantrag nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) beim Antragsgegner gestellt und ihm unter Darlegung und Glaubhaftmachung der Dringlichkeit der Überprüfung eine ausreichende Bearbeitungsfrist eingeräumt hat (BayLSGv. 23.09.2010 - L 7 AS 651/10 B ER u.v. 22.09.2009 - L 11 AS 419/09 B ER).

Im Ergebnis war der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung mithin abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

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Referenzen - Gesetze

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Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 193


(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen ha

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 133 Auslegung einer Willenserklärung


Bei der Auslegung einer Willenserklärung ist der wirkliche Wille zu erforschen und nicht an dem buchstäblichen Sinne des Ausdrucks zu haften.

Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - - SGB 10 | § 44 Rücknahme eines rechtswidrigen nicht begünstigenden Verwaltungsaktes


(1) Soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbrach

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 77


Wird der gegen einen Verwaltungsakt gegebene Rechtsbehelf nicht oder erfolglos eingelegt, so ist der Verwaltungsakt für die Beteiligten in der Sache bindend, soweit durch Gesetz nichts anderes bestimmt ist.

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 84


(1) Der Widerspruch ist binnen eines Monats, nachdem der Verwaltungsakt dem Beschwerten bekanntgegeben worden ist, schriftlich, in elektronischer Form nach § 36a Absatz 2 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch oder zur Niederschrift bei der Stelle einzur

Referenzen

Bei der Auslegung einer Willenserklärung ist der wirkliche Wille zu erforschen und nicht an dem buchstäblichen Sinne des Ausdrucks zu haften.

(1) Der Widerspruch ist binnen eines Monats, nachdem der Verwaltungsakt dem Beschwerten bekanntgegeben worden ist, schriftlich, in elektronischer Form nach § 36a Absatz 2 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch oder zur Niederschrift bei der Stelle einzureichen, die den Verwaltungsakt erlassen hat. Die Frist beträgt bei Bekanntgabe im Ausland drei Monate.

(2) Die Frist zur Erhebung des Widerspruchs gilt auch dann als gewahrt, wenn die Widerspruchsschrift bei einer anderen inländischen Behörde oder bei einem Versicherungsträger oder bei einer deutschen Konsularbehörde oder, soweit es sich um die Versicherung von Seeleuten handelt, auch bei einem deutschen Seemannsamt eingegangen ist. Die Widerspruchsschrift ist unverzüglich der zuständigen Behörde oder dem zuständigen Versicherungsträger zuzuleiten, der sie der für die Entscheidung zuständigen Stelle vorzulegen hat. Im übrigen gelten die §§ 66 und 67 entsprechend.

Wird der gegen einen Verwaltungsakt gegebene Rechtsbehelf nicht oder erfolglos eingelegt, so ist der Verwaltungsakt für die Beteiligten in der Sache bindend, soweit durch Gesetz nichts anderes bestimmt ist.

(1) Soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, ist der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. Dies gilt nicht, wenn der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Betroffene vorsätzlich in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat.

(2) Im Übrigen ist ein rechtswidriger nicht begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft zurückzunehmen. Er kann auch für die Vergangenheit zurückgenommen werden.

(3) Über die Rücknahme entscheidet nach Unanfechtbarkeit des Verwaltungsaktes die zuständige Behörde; dies gilt auch dann, wenn der zurückzunehmende Verwaltungsakt von einer anderen Behörde erlassen worden ist.

(4) Ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen worden, werden Sozialleistungen nach den Vorschriften der besonderen Teile dieses Gesetzbuches längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren vor der Rücknahme erbracht. Dabei wird der Zeitpunkt der Rücknahme von Beginn des Jahres an gerechnet, in dem der Verwaltungsakt zurückgenommen wird. Erfolgt die Rücknahme auf Antrag, tritt bei der Berechnung des Zeitraumes, für den rückwirkend Leistungen zu erbringen sind, anstelle der Rücknahme der Antrag.

(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.

(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.

(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.

(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.