Sozialgericht München Urteil, 20. Okt. 2015 - S 5 SB 895/14

bei uns veröffentlicht am20.10.2015
nachgehend
Bayerisches Landessozialgericht, L 3 SB 221/15, 23.05.2017

Gericht

Sozialgericht München

Tenor

I. Der Beklagte wird verurteilt, ab 31.07.2015 bei einem Gesamt-GdB von 30 als Behinderungen festzustellen:

Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, degenerative Veränderungen, Bandscheibenschäden, Nervenwurzelreizerscheinungen (Einzel-GdB 20).

Funktionsbehinderung beider Kniegelenke, Knorpelschäden beider Kniegelenke, Funktionsbehinderung des Hüftgelenks rechts, Metatarsalgie (Einzel-GdB 20).

Funktionsbehinderung des Schultergelenks rechts (Einzel GdB 10).

II. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

III. Der Beklagte erstattet die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers zu 3/10.

Tatbestand

Streitig ist die Höhe des Grades der Behinderung (GdB) nach § 69 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch - SGB IX - sowie die Zuerkennung des Merkzeichens „G“.

Der am XX.XX.1955 geborene Kläger beantragte erstmalig am 02.12.2013 die Feststellung eines GdB von 50. Mit streitgegenständlichem Bescheid vom 23.01.2014 lehnte der Beklagte eine Feststellung bei einem Gesamt-GdB von unter 20 ab. Nach Widerspruch mit dem Begehren eines GdB von 50 und den Merkzeichen „G“ und „aG“ und nach Untersuchung durch die Bundesagentur für Arbeit half der Beklagte im Widerspruchsbescheid vom 09.07.2014 teilweise ab, indem er bei einem Gesamt-GdB von 20 nunmehr als Behinderungen feststellte:

1. Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, degenerative Veränderungen, Bandscheibenschäden, Nervenwurzelreizerscheinungen (Einzel-GdB: 20)

2. Funktionsbehinderung beider Kniegelenke, Metatarsalgie (Einzel-GdB: 10)

Mit der am 11.08.2014 beim Beklagten erhobenen und am 20.08.2014 an das Sozialgericht München weitergeleiteten Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter.

Das Gericht holte Befundberichte von Dr. E., Nervenarzt, Dr. D., Chirotherapeut, und Dr. F., Allgemeinmediziner, ein und ernannte Dr. C. zum gerichtlichen Sachverständigen auf orthopädischem Fachgebiet. Dieser kam in seinem Gutachten vom 31.07.2015 im Wesentlichen zu dem Ergebnis, dass die vom Kläger angegebenen Beschwerden nur bedingt mit den erhobenen Befunden korrelieren. Beim Kläger sei im Wesentlichen die Lendenwirbelsäule betroffen, wobei jedoch motorische Defizite nicht nachweisbar seien. Die Bemessung mit einem Einzel-GdB von 20 sei nach wie vor zutreffend, auch wenn die Tendenz zu 30 gehe. Bei beiden Kniegelenken mit Betonung der linken Seite seien lediglich geringe Reizzustände nachweisbar. Ein Einzel-GdB von 20 sei zutreffend, auch unter Berücksichtigung der geringen Funktionsbeeinträchtigungen des rechten Hüftgelenks. Hinzu kämen Gesundheitsstörungen am rechten Schultergelenk mit einem Einzel-GdB von 10. Die vom Kläger angegebenen Beschwerden und Funktionsbeeinträchtigungen am rechten Ellenbogengelenk sowie an den Füßen hätten bei der Untersuchung kein klinisches Korrelat in dem Ausmaß gezeigt, dass hierfür ein messbarer Einzel-GdB angesetzt werden könne. Insgesamt sei nunmehr ein Gesamt-GdB von 30 ab Zeitpunkt der gutachterlichen Untersuchung angemessen. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens „G“ lägen nicht vor.

Mit Vergleichsangebot vom 04.09.2015 entsprach der Beklagte den Feststellungen des gerichtlichen Sachverständigen. Dies nahm der Kläger jedoch nicht an, sondern führte aus, dass ein Teil seiner gesundheitlichen Einschränkungen erst unter Belastung zu Tage treten würde. Sie würden von den neurologischen Schäden her stammen. Es werde daher beantragt, ein Gutachten auf neurologischem Fachgebiet von Amts wegen einzuholen.

In der mündlichen Verhandlung vom 20.10.2015 beantragt der Kläger, den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 23.01.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.07.2014 zu verurteilen, einen GdB von 50 und das Merkzeichen „G“ anzuerkennen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung sowie der Beratung waren die Akten des Beklagten. Zur Ergänzung des Sachverhalts wird hierauf sowie auf die Gerichtsakten Bezug genommen.

Gründe

Die zulässige Klage erweist sich als nur zum Teil begründet.

Gemäß § 69 SGB IX stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes zuständigen Behörden auf Antrag des behinderten Menschen das Vorliegen einer Behinderung und den Grad der Behinderung fest. Die Auswirkungen auf die Teilnahme am Leben in der Gesellschaft werden als Behinderungen nach Zehnergraden abgestuft festgestellt. Liegen mehrere Beeinträchtigungen der Teilnahme am Leben in der Gesellschaft vor, so wird der Grad der Behinderung nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen zueinander festgestellt.

Für die Beurteilung ist in der Regel von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Einzel-GdB bedingt, und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit das Ausmaß der Behinderungen größer wird. Bei der GdB-Bewertung sollen Funktionssysteme zusammengefasst werden. In der Regel führen dabei zusätzliche leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdB von 10 bedingen, nicht zu einer wesentlichen Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung, die bei dem Gesamt-GdB berücksichtigt werden könnte, auch dann nicht, wenn mehrere derartige leichte Gesundheitsstörungen nebeneinander bestehen. Selbst bei einer leichten Behinderung mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbehinderung zu schließen. Andererseits ist auch zu berücksichtigen, ob sich die Auswirkungen der einzelnen Behinderungen gegenseitig verstärken können. Maßgebend sind daher die Auswirkungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen zueinander.

Zur Überzeugung des Gerichts waren die Bescheide des Beklagten nicht zu beanstanden. Erst im Laufe des Gerichtsverfahrens hat sich Behinderungsleiden Nr. 2 verstärkt und es ist eine Funktionsbehinderung des Schultergelenkes als drittes Behinderungsleiden hinzugetreten. Dabei stützt es sich im Wesentlichen auf die in sich schlüssigen überzeugenden Ausführungen des Dr. C., wie er sie in seinem Gutachten vom 31.07.2015 niedergelegt hat. Er berücksichtigt dabei die Röntgen- und Kernspintomografieaufnahmen sowie die Sonografien und weitere Unterlagen, die bereits vorlagen. Er testete die Senso-Motorik und berücksichtigte Nerven- und Muskelreizerscheinungen. Unter Beachtung des neurologischen Befundberichts von Dr. E. kam er zu Recht zu dem Ergebnis, dass kein weiteres Gutachten, also auch nicht auf neurologischem Fachgebiet, erforderlich sei. Dieser Einschätzung schließt sich das Gericht an. Demnach ist für die Wirbelsäulenbeschwerden noch ein Einzel-GdB von 20 anzusetzen, für die Beschwerden an den unteren Extremitäten ebenfalls ein Einzel-GdB von 20 sowie ein Einzel-GdB von 10 für die Beschwerden am Schultergelenk. Hieraus ergibt sich ein Gesamt-GdB von 30.

Nach Auffassung des Gerichts liegt kein Anspruch des Klägers auf Zuerkennung des Merkzeichens „G“ nach § 145 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch – SGB IX – vor, den diejenigen Schwerbehinderten haben, die infolge ihrer Behinderungen in ihrer Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt sind. Der Kläger ist nicht schwerbehindert, denn ein Gesamt-GdB von 50 ist nicht festzustellen. Auch die weiteren Voraussetzungen des § 146 Abs. 1 SGB IX sind nicht erfüllt.

Die Klage war daher im Wesentlichen abzuweisen. Die Entscheidung über die außergerichtlichen Kosten richtet sich nach § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG) sowie dem Vergleichsangebot des Beklagten.

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Neuntes Buch Sozialgesetzbuch - SGB 9 2018 | § 69 Kontinuität der Bemessungsgrundlage


Haben Leistungsempfänger Krankengeld, Verletztengeld, Versorgungskrankengeld oder Übergangsgeld bezogen und wird im Anschluss daran eine Leistung zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben ausgeführt, so wird bei der Berechnun

Neuntes Buch Sozialgesetzbuch - SGB 9 2018 | § 146 Periodizität und Berichtszeitraum


Die Erhebungen erfolgen jährlich für das abgelaufene Kalenderjahr.

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Haben Leistungsempfänger Krankengeld, Verletztengeld, Versorgungskrankengeld oder Übergangsgeld bezogen und wird im Anschluss daran eine Leistung zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben ausgeführt, so wird bei der Berechnung der diese Leistungen ergänzenden Leistung zum Lebensunterhalt von dem bisher zugrunde gelegten Arbeitsentgelt ausgegangen; es gilt die für den Rehabilitationsträger jeweils geltende Beitragsbemessungsgrenze.

Die Erhebungen erfolgen jährlich für das abgelaufene Kalenderjahr.