Sozialgericht München Beschluss, 11. Dez. 2014 - S 51 SO 708/14 ER

11.12.2014

Gericht

Sozialgericht München

Tenor

I.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.

II.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe

Zwischen den Beteiligten ist die Übernahme der Kosten für einen Flug des Antragstellers nach Brasilien streitig.

Der 1944 geborene Antragsteller ist italienischer Staatsangehöriger. Er bezieht seit April 2009 laufend Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) vom Beklagten. Zunächst erhielt auch sein 2002 geborener Sohn Leistungen vom Antragsgegner. Der Sohn ist italienischer und brasilianischer Staatsangehöriger. Er reiste im Januar 2014 zu seiner Großmutter nach Brasilien, entsprechend wurden die Leistungen für ihn ab März 2014 eingestellt.

Am 20.11.2014 beantragte der Antragsteller die Übernahme der Kosten für einen Flug nach Brasilien in Höhe von 3.000 € bis 4.000 €. Er habe das alleinige Sorgerecht. Der Pass des Sohnes sei abgelaufen. Ohne das persönlichen Erscheinen des Antragstellers könne der Sohn nicht mehr aus Brasilien ausreisen.

Mit Bescheid vom 01.12.2014 lehnte der Antragsgegner den Antrag auf Gewährung einer einmaligen Beihilfe für den Flug nach Brasilien in Höhe von ca. 3.000 € ab. Nach Auskunft des italienischen Konsulats in München sei es sehr wohl möglich, von München aus mit Hilfe des Konsulats einen neuen Pass für das Kind zu beantragen.

Bei einer erneuten Vorsprache des Antragstellers erwähnte dieser gegenüber dem Antragsgegner, dass der Pass des Sohnes noch bis 2017 gültig sei.

Der Antragsteller hat am 05.12.2014 beim Sozialgericht einstweiligen Rechtsschutz beantragt. Er müsse für seinen Sohn einen brasilianischen Pass beantragen. Dafür sei eine Genehmigung des Jugendgerichts in Brasilien einzuholen, was nur vor Ort möglich sei. Für den Sohn sei bereits ein Rückflug nach München am 14.12.2014 gebucht, dieser Flug sei ohne den Pass nicht möglich.

Der Antragsteller beantragt,

den Antragsgegner im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes zu verpflichten, die Kosten für den Flug des Antragstellers nach Brasilien zu übernehmen.

Der Antragsgegner beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Es sei nicht geklärt, warum die notwendigen Papiere für den Sohn nicht über das italienische Konsulat in München beschafft werden können. Eine entsprechende Nachfrage des Antragsgegners beim Konsulat habe ergeben, dass dies sehr wohl möglich sei. Damit sei eine Notwendigkeit, dass der Antragsteller nach Brasilien fliege, nicht erkennbar.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Akte des Gerichts Bezug genommen.

II.

Der zulässige Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist nicht begründet. Der Antragsteller hat weder einen Anordnungsanspruch noch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht.

Der Antragsteller strebt eine Erweiterung seiner Rechtsposition an; daher ist eine einstweilige Anordnung in Form einer Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 S. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft. Nach § 86b Abs. 2 S. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt somit voraus, dass ein materieller Anspruch besteht, für den vorläufiger Rechtsschutz begehrt wird (sog. Anordnungsanspruch) und dass der Erlass einer gerichtlichen Entscheidung besonders eilbedürftig ist (sog. Anordnungsgrund). Drohen ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, dann dürfen sich die Gerichte nur an den Erfolgsaussichten orientieren, wenn die Sach- und Rechtslage abschließend geklärt ist. Ist dem Gericht dagegen eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, so ist anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden (BVerfG, Beschluss v. 12.05.2005, 1 BvR 596/05).

Bei Nichtgewährung von einstweiligem Rechtsschutz im Sinne des oben bezeichneten Antragsinhalts drohen weder dem Antragsteller noch seinem Sohn offensichtliche schwere Rechtsverletzungen im Sinne der zur Existenzsicherung im Bereich der Grundsicherung für Arbeitssuchende entwickelten Rechtsprechung des BVerfG (BVerfG vom 12.05.2005, 1 BvR 569/05). Vorliegend bestehen daher gegen die Zugrundelegung der einfachgesetzlichen, aus § 86b Abs. 2 Satz 2, 4 SGG, § 920 II ZPO abgeleiteten Maßnahmen im Sinne eines Anordnungsanspruchs und eines Anordnungsgrunds keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Zwar ist das Elternrecht des Antragstellers durch Art. 6 Grundgesetz verfassungsrechtliche geschützt. Damit wird deutlich, dass es sich bei seinem Recht auf Umgang mit seinem Sohn um einen wesentlichen Anspruch handelt; dieser gehört jedoch nicht uneingeschränkt zum sogenannten soziokulturellen Existenzminimum.

Nach der somit im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gebotenen summarischen Prüfung der Erfolgsaussichten einer Klage in der Hauptsache ist ein Anordnungsanspruch nicht gegeben. In der Sache macht der Antragsteller Kosten geltend, die im Rahmen der Ausübung seines Sorgerechts für seinen Sohn entstehen. Diese Kosten sind der Hilfe zum Lebensunterhalt zuzuordnen (vgl. Schlette in Hauck/Noftz, SGB XII Stand 08/11, § 73 Rn 13). Damit käme allenfalls die Gewährung eines Darlehens nach § 37 Abs. 1 SGB XII in Betracht. Danach sollen die notwendigen Leistungen als Darlehen erbracht werden, wenn im Einzelfall ein von den Regelbedarfen umfasster und nach den Umständen unabweisbar gebotener Bedarf auf keine andere Weise gedeckt werden kann.

Der Antragsteller hat einen Anspruch auf die Gewährung eines Darlehens nach § 37 Abs. 1 SGB XII nicht glaubhaft gemacht. Es ist nicht glaubhaft, dass seine persönliche Anwesenheit in Brasilien die einzige Möglichkeit ist, dem Sohn die notwendigen Reisedokumente zu beschaffen. Sowohl der Antragsteller als auch sein Sohn sind italienische Staatsangehörige. Der Antragsteller hat bisher nicht dargelegt, dass er erfolglos versucht hätte, von Deutschland aus einen Pass zu beantragen. Er hat lediglich gegenüber dem Antragsgegner angegeben, dass es keinen Sinn machen würde, mit den italienischen oder brasilianischen Behörden in München zu sprechen. Eine Passbeschaffung von Deutschland aus wäre wesentlich günstiger als ein Flug nach Brasilien. Es handelt sich damit nicht um einen unabweisbar gebotenen Bedarf.

Darüber hinaus fehlt auch ein Anordnungsgrund i.S. der besonderen Eilbedürftigkeit der Entscheidung des Gerichts. Zwar hat der Antragsteller glaubhaft gemacht, dass der Rückflug des Sohnes für den 14.12.2014 gebucht ist. Allerdings wird es dem Antragsteller, auch wenn er noch heute ein Flugzeug besteigen sollte, nicht mehr möglich sein, bis zum 14.12.2014 einen Pass für den Sohn zu beantragen und diesen auch zu erhalten. Darüber hinaus hält sich der Sohn bereits seit Januar in Brasilien - nach Angaben des Antragstellers bei seiner Großmutter - auf. Es wurde nicht vorgetragen und ist auch nicht ersichtlich, dass sein Wohl jetzt plötzlich gefährdet wäre, wenn er noch länger dort bleiben müsste.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG und folgt dem Ergebnis in der Sache.

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Sozialgericht München Beschluss, 11. Dez. 2014 - S 51 SO 708/14 ER zitiert 6 §§.

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 193


(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen ha

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 86b


(1) Das Gericht der Hauptsache kann auf Antrag 1. in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage aufschiebende Wirkung haben, die sofortige Vollziehung ganz oder teilweise anordnen,2. in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungskla

Sozialgesetzbuch (SGB) Zwölftes Buch (XII) - Sozialhilfe - (Artikel 1 des Gesetzes vom 27. Dezember 2003, BGBl. I S. 3022) - SGB 12 | § 37 Ergänzende Darlehen


(1) Kann im Einzelfall ein von den Regelbedarfen umfasster und nach den Umständen unabweisbar gebotener Bedarf auf keine andere Weise gedeckt werden, sollen auf Antrag hierfür notwendige Leistungen als Darlehen erbracht werden. (2) Der Träger der

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(1) Das Gericht der Hauptsache kann auf Antrag

1.
in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage aufschiebende Wirkung haben, die sofortige Vollziehung ganz oder teilweise anordnen,
2.
in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen,
3.
in den Fällen des § 86a Abs. 3 die sofortige Vollziehung ganz oder teilweise wiederherstellen.
Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen oder befolgt worden, kann das Gericht die Aufhebung der Vollziehung anordnen. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung oder die Anordnung der sofortigen Vollziehung kann mit Auflagen versehen oder befristet werden. Das Gericht der Hauptsache kann auf Antrag die Maßnahmen jederzeit ändern oder aufheben.

(2) Soweit ein Fall des Absatzes 1 nicht vorliegt, kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Das Gericht der Hauptsache ist das Gericht des ersten Rechtszugs und, wenn die Hauptsache im Berufungsverfahren anhängig ist, das Berufungsgericht. Die §§ 920, 921, 923, 926, 928, 929 Absatz 1 und 3, die §§ 930 bis 932, 938, 939 und 945 der Zivilprozessordnung gelten entsprechend.

(3) Die Anträge nach den Absätzen 1 und 2 sind schon vor Klageerhebung zulässig.

(4) Das Gericht entscheidet durch Beschluss.

(1) Kann im Einzelfall ein von den Regelbedarfen umfasster und nach den Umständen unabweisbar gebotener Bedarf auf keine andere Weise gedeckt werden, sollen auf Antrag hierfür notwendige Leistungen als Darlehen erbracht werden.

(2) Der Träger der Sozialhilfe übernimmt für Leistungsberechtigte, die einen Barbetrag nach § 27b Absatz 3 Satz 2 Nummer 1 erhalten, die jeweils von ihnen bis zur Belastungsgrenze (§ 62 des Fünften Buches) zu leistenden Zuzahlungen in Form eines ergänzenden Darlehens, sofern der Leistungsberechtigte nicht widerspricht. Die Auszahlung der für das gesamte Kalenderjahr zu leistenden Zuzahlungen erfolgt unmittelbar an die zuständige Krankenkasse zum 1. Januar oder bei Aufnahme in eine stationäre Einrichtung. Der Träger der Sozialhilfe teilt der zuständigen Krankenkasse spätestens bis zum 1. November des Vorjahres die Leistungsberechtigten nach § 27b Absatz 3 Satz 2 Nummer 1 mit, soweit diese der Darlehensgewährung nach Satz 1 für das laufende oder ein vorangegangenes Kalenderjahr nicht widersprochen haben.

(3) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 3 erteilt die Krankenkasse über den Träger der Sozialhilfe die in § 62 Absatz 1 Satz 1 des Fünften Buches genannte Bescheinigung jeweils bis zum 1. Januar oder bei Aufnahme in eine stationäre Einrichtung und teilt dem Träger der Sozialhilfe die Höhe der der leistungsberechtigten Person zu leistenden Zuzahlungen mit; Veränderungen im Laufe eines Kalenderjahres sind unverzüglich mitzuteilen.

(4) Für die Rückzahlung von Darlehen Absatz 1 können von den monatlichen Regelsätzen Teilbeträge bis zur Höhe von jeweils 5 vom Hundert der Regelbedarfsstufe 1 nach der Anlage zu § 28 einbehalten werden. Die Rückzahlung von Darlehen nach Absatz 2 erfolgt in gleichen Teilbeträgen über das ganze Kalenderjahr.

(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.

(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.

(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.

(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.