Sächsisches Oberverwaltungsgericht Beschluss, 24. Feb. 2016 - 2 M 159/15
Gericht
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Das OVG Magdeburg hat in seinem Beschluss vom 24.02.2016 (Az.: 2 M 159/15) folgendes entschieden:
Die einseitige Errichtung einer grenzständigen Balkonanlage im rückwärtigen Bereich eines Doppelhauses zerstört die Doppelhauseigenschaft der Gebäude nicht, solange diese noch zu einem wesentlichen Teil aneinandergebaut sind.
Im unbeplanten Innenbereich strahlt die Geschlossenheit nicht auf die unbebauten Flächen vor und hinter den Gebäudefronten aus. Dort steuern auch die Kriterien über das Maß der baulichen Nutzung und die überbaubaren Grundstücksflächen den Bereich, der einer grenzständigen Bebauung offensteht; dies gilt auch für Doppelhäuser.
Einen Schutz vor fremder Einsichtnahme auf das eigene Grundstück vermittelt das öffentliche Baunachbarrecht, insbesondere das Gebot der Rücksichtnahme, in der Regel nicht.
Die Antragsteller wenden sich gegen eine dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung zum Ausbau eines Dachgeschosses mit Errichtung von Dachgauben und Balkon.
Die Antragsteller sind Eigentümer des Grundstücks A-Straße in A-Stadt. Der Beigeladene ist Eigentümer des südlich angrenzenden Nachbargrundstücks S-Straße. Auf diesen Grundstücken wurde ein Doppelhaus errichtet. Die Doppelhaushälften verfügen jeweils über zwei Geschosse sowie ein Dachgeschoss mit Dachgauben. Die Grundstücke liegen im unbeplanten Innenbereich der Stadt A. Die Umgebung wird durch eine straßenbegleitende Bebauung geprägt. Im Gebiet befinden sich überwiegend zweigeschossige Wohngebäude, entlang der S-Straße mehrere Doppelhäuser, mit teilweise ausgebauten Dachgeschossen. Im rückwärtigen Bereich der an der S-Straße liegenden Häuser befinden sich zum Teil bis in den zweiten Stock Balkone, im Bereich der angrenzenden Bodestraße sind Balkone auch bis zur dritten Etage vorhanden.
Mit Baugenehmigung vom 30.06.2015 genehmigte die Antragsgegnerin dem Beigeladenen den Ausbau des Dachgeschosses auf dem Grundstück S-Straße. Insbesondere wurde die Errichtung von vier Dachgauben genehmigt, straßenseitig zwei zurückgesetzte Dachgauben mit einer Breite von 2,50 m, zum südlichen Nachbarn eine zurückgesetzte Dachgaube mit einer Breite von 2,50 m und hofseitig eine Dachgaube, die bis zur vorhandenen Traufe reicht, mit eine Breite von 6,17 m und einen hieran anschließenden, 2,00 m tiefen und 6,17 m breiten grenzständigen Balkon.
Mit Beschluss vom 12.10.2015 - 2 B 180/15 HAL - hat das Verwaltungsgericht die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragsteller gegen die dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung der Antragsgegnerin vom 30.06.2015 angeordnet und zur Begründung ausgeführt, der geplante Umbau des rückseitigen Bereichs des Doppelhauses verstoße hinsichtlich der nördlichen Grenze des Baugrundstücks des Beigeladenen gegen einzuhaltende Abstandsvorschriften des § 6 BauO LSA. Die geplante Balkonanlage, die grenzständig zur seitlichen Grundstücksgrenze zur nördlichen Doppelhaushälfte der Antragsteller errichtet werden solle, bleibe nicht gemäß § 6 Abs. 6 Nr. 2 BauO LSA als hervortretender Vorbau außer Betracht. Auch § 6 Abs. 6 Nr. 3 BauO LSA sei nicht einschlägig, da die Vorschrift nur für die nach § 6 Abs. 6 Nr. 1 und 2 BauO LSA privilegierten Vorbauten gelte, da andernfalls die Regelungen über Abstandsflächen und deren Privilegierung leer liefen. Vorbauten lösten demnach, wenn sie die festgelegten Obergrenzen überschritten, als unselbstständige Bauteile der Außenwand Abstandsflächen aus. So liege es hier, da die geplante Balkonanlage 2,00 m tief sei, also mehr als 1,50 m von der rückwärtigen Außenwand hervorspringe, und eine Breite von 6,20 m habe, während die Außenwand 10,23 m breit sei. Die Balkonanlage dürfe auch nicht aus planungsrechtlichen Gründen gemäß § 6 Abs. 1 Satz 3 BauO LSA grenzständig errichtet werden. Die hier in Rede stehende Balkonanlage des Beigeladenen überschreite den von der näheren Umgebung vorgegebenen Rahmen und löse bodenrechtliche Spannungen aus. Eine Balkonanlage in dem in Rede stehenden Ausmaß würde die bisherige Situation deutlich verdichten und durch die Offenheit des Balkons Unruhe in die rückwärtigen Wohnbereiche bringen. Die Erweiterung von rückwärtiger, grenzständiger Hauptwohnnutzung würde ungebremst fortschreiten. Die von Doppel- und Reihenhäusern geprägte Umgebung würde mithin in Bewegung gesetzt. Aus dem Umstand, dass Balkone wohntypisch seien, folge nicht, dass sie sich in jeglicher Breite und Tiefe ohne Einhaltung von Grenzabständen stets in die nähere Umgebung einfügten. Zwar seien kleine Balkonanlagen vorhanden. Diese dürften hinsichtlich ihres Ausmaßes unter die Privilegierung von § 6 Abs. 6 BauO LSA fallen, mithin insoweit einen Rahmen i. S. d. § 34 BauGB bilden. Dass die Balkone der S-Straße hinsichtlich ihrer Ausmaße nicht unter die oben genannte Privilegierung des § 6 Abs. 6 BauO LSA fielen, sei nicht ersichtlich. Zudem sei nicht erkennbar, ob sie überhaupt grenzständig errichtet seien.
Gründe
Die Beschwerden der Antragsgegnerin und des Beigeladenen haben Erfolg. Die innerhalb der Begründungsfrist des § 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, gebieten die Änderung der erstinstanzlichen Entscheidung.
Das Verwaltungsgericht ist zu Unrecht davon ausgegangen, dass die dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung der Antragsgegnerin vom 30.06.2015 nachbarschützende Vorschriften über die Abstandsflächen verletzt. Die Baugenehmigung ist mit den bauordnungsrechtlichen Vorschriften über Abstandsflächen vereinbar. Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts muss die genehmigte Balkonanlage keinen seitlichen Abstand zu dem nördlich angrenzenden Grundstück der Antragsteller einhalten.
Gemäß § 6 Abs. 6 Nr. 3 der Bauordnung des Landes Sachsen-Anhalt in der Fassung der Bekanntmachung vom 10.09.2013 bleiben bei der Bemessung der Abstandsflächen bei Gebäuden an der Grundstücksgrenze die Seitenwände von Vorbauten und Dachaufbauten außer Betracht, auch wenn sie nicht an der Grundstücksgrenze errichtet werden. Nach dieser Vorschrift müssen Vorbauten und Dachaufbauten von an der Grundstücksgrenze errichteten Gebäuden seitlich keine eigenen Abstandsflächen einhalten. Vorbauten im Sinne dieser Vorschrift sind auch Balkone. Ein Balkon ist ein nach drei Seiten offener Vorbau. Die Vorschrift ist auch auf Balkone anzuwenden, die nicht aus der Wand vorkragen, sondern auf Stützen/Stelzen vor die Gebäudewand gestellt werden.
Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts besteht kein Anlass, die Regelung des § 6 Abs. 6 Nr. 2 BauO LSA auf die nach § 6 Abs. 6 Nr. 3 BauO LSA privilegierten Vorbauten entsprechend anzuwenden. § 6 Abs. 6 Nr. 2 BauO LSA erfasst Vorbauten, wenn sie
insgesamt nicht mehr als ein Drittel der Breite der jeweiligen Außenwand in Anspruch nehmen,
nicht mehr als 1,50 m vor diese Außenwand vortreten und
mindestens 2 m von der gegenüberliegenden Nachbargrenze entfernt bleiben.
Wie der Senat bereits entschieden hat, wollte der Gesetzgeber mit dem Merkmal des „Gegenüberliegens“ i. S. d. § 6 Abs. 6 Nr. 2 Buchst. c BauO LSA zum Ausdruck bringen, dass nicht nur die Grundstücksgrenze zur Straße hin, sondern auch die seitlichen Nachbargrenzen von dem Erfordernis eines Mindestabstandes von 2 m ausgenommen sein sollen. Das Merkmal des „Gegenüberliegens“ im Sinne des § 6 Abs. 6 Nr. 2 Buchst. c BauO LSA bezieht sich nicht auf die Seitenwände des Vorbaus, sondern auf die dem Vorbau zugehörige Gebäudeaußenwand, so dass die Vorbauten selbst seitlich keine Abstandfläche einhalten müssen. Die Anforderungen des § 6 Abs. 6 Nr. 2 BauO LSA gelten demzufolge nur für Vorbauten, die in Richtung des Nachbargrundstücks weisen. Für die nach § 6 Abs. 6 Nr. 3 BauO LSA privilegierten Vorbauten gelten sie nicht.
Auch nach Sinn und Zweck des § 6 Abs. 6 Nr. 2 BauO LSA ist es nicht gerechtfertigt, diese Bestimmungen im Rahmen des § 6 Abs. 6 Nr. 3 BauO LSA entsprechend auf Balkone anzuwenden, die nicht in Richtung des Nachbargrundstücks ausgerichtet sind, sondern im 90°-Winkel dazu in den eigenen Gartenbereich weisen. Der Sinn des § 6 Abs. 6 Nr. 2 BauO LSA besteht darin, den Nachbarn vor übergroßer Belastung durch untergeordnete, in Richtung seiner entsprechenden Hausflanke vortretende Gebäudeteile zu schützen. Soweit der Gebäudeteil nicht zur gemeinsamen Grenze hin aus dem Bauwerk ragt, spielt insbesondere die Beschränkung des § 6 Abs. 6 Nr. 2 Buchst. a BauO LSA auf ein Drittel der Gebäudewand keine Rolle. § 6 Abs. 6 Nr. 2 BauO LSA ist allein auf die Frontalstellung der mit einer Balkonanlage versehenen Gebäudeseite zur seitlichen Grundstücksgrenze zugeschnitten, d. h. den Fall, dass beide Nachbarn in diesem Bereich zur gemeinsamen Grundstücksgrenze hin ausreichend Licht, Sonne und Luft erhalten sollen. Für die geschlossene Bauweise - auch zwischen Doppelhaushälften - ergibt sich, dass für die Etagenwohnungen die Möglichkeiten, sich einen „Austritt in freie Luft und Besonnung“ zu verschaffen, reduziert sind. Es besteht kein Anlass, die verbliebenen Möglichkeiten an die Einschränkungen des § 6 Abs. 6 Nr. 2 BauO LSA zu binden. Im Austauschverhältnis der Grundstücksnachbarn von Doppelhaushälften liegt es vielmehr, die durch § 6 Abs. 6 Nr. 3 BauO LSA privilegierten Balkone als Gebäudeteile, von denen aus frische Luft und Besonnung genossen werden können, in auskömmlichem Umfang unterbringen zu können, ohne Einwendungen des Nachbarn ausgesetzt zu sein. Die Balkonlänge kann von dessen Grundstück nicht bzw. nur dann überblickt werden, wenn er seinerseits von dem Privileg des § 6 Abs. 6 Nr. 3 BauO LSA Gebrauch gemacht hat. Im erstgenannten Fall werden seine Interessen an Belüftung und Besonnung nicht/allenfalls ganz untergeordnet zurückgestellt. Im zweiten stehen die konkurrierenden Nutzungsbelange selbst dann im Gleichgewicht, wenn die Abstände von der Grundstücksgrenze einander nicht vollständig entsprechen und der Balkon größer ist, als dies nach § 6 Abs. 6 Nr. 2 BauO LSA bei „Frontalstellung“ reglementiert wird.
Die Balkontiefe bildet ebenfalls keinen durchgreifenden Grund, § 6 Abs. 6 Nr. 2 BauO LSA entsprechend heranzuziehen. Es mag zwar sein, dass die Tiefe der Balkonwange nachbarliche Interessen tangiert. Insoweit wird der Nachbar aber durch das Gebot der Rücksichtnahme ausreichend geschützt.
Nach diesen Grundsätzen ist von der genehmigten - grenzständigen - Balkonanlage kein seitlicher Abstand zu dem Grundstück der Antragsteller einzuhalten, da dessen Seitenwände gemäß § 6 Abs. 6 Nr. 3 BauO LSA bei der Bemessung der Abstandsflächen außer Betracht bleiben.
Die Baugenehmigung verletzt auch keine nachbarschützenden Vorschriften des Bauplanungsrechts. Die Errichtung des Balkons ist mit § 34 Abs. 1 BauGB vereinbar.
Ein Nachbar, der sich auf der Grundlage des § 34 Abs. 1 BauGB gegen ein Vorhaben im unbeplanten Innenbereich wendet, kann mit seiner Klage nur durchdringen, wenn eine angefochtene Baugenehmigung gegen das im Tatbestandsmerkmal des Einfügens enthaltene Gebot der Rücksichtnahme verstößt. Ein Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme setzt dabei einen Verstoß gegen das objektive Recht voraus. Er kann vorliegen, wenn sich ein Vorhaben objektiv-rechtlich nach seinem Maß der baulichen Nutzung, seiner Bauweise oder seiner überbauten Grundstücksfläche nicht in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt. Ein Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot kann auch vorliegen, wenn ein Vorhaben zwar in jeder Hinsicht den aus seiner Umgebung hervorgehenden Rahmen wahrt, sich aber gleichwohl in seine Umgebung nicht einfügt, weil das Vorhaben es an der gebotenen Rücksicht auf die sonstige, also vor allem auf die in seiner unmittelbaren Nähe vorhandene Bebauung fehlen lässt. Das Rücksichtnahmegebot ist dabei zumindest aus tatsächlichen Gründen im Regelfall nicht verletzt, wenn die Abstandsvorschriften eingehalten sind. So liegt es hier. Die bauordnungsrechtlichen Vorschriften des § 6 BauO LSA über die Abstandsflächen sind - wie oben ausgeführt - nicht verletzt. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass das Vorhaben des Beigeladenen gleichwohl mit dem Gebot der Rücksichtnahme nicht vereinbar ist.
Eine Verletzung das Rücksichtnahmegebot lässt sich hier nicht damit begründen, dass durch die Errichtung der Balkonanlage die Doppelhauseigenschaft des auf den Grundstücken der Antragsteller und des Beigeladenen vorhandenen Baukörpers verloren ginge. Zwar fügt sich ein Vorhaben im Sinne des § 34 Abs. 1 BauGB, das unter Beseitigung eines bestehenden Doppelhauses grenzständig errichtet wird, ohne mit dem verbleibenden Gebäude ein Doppelhaus zu bilden, grundsätzlich nicht nach der Bauweise in die Eigenart der näheren Umgebung ein, soweit ein unbeplanter Innenbereich in offener Bauweise bebaut ist, weil dort nur Einzelhäuser, Doppelhäuser und Hausgruppen im Sinne von § 22 Abs. 2 BauNVO den maßgeblichen Rahmen bilden. Ein solches Vorhaben verstößt gegenüber dem Eigentümer der bisher bestehenden Doppelhaushälfte grundsätzlich gegen das drittschützende Gebot der Rücksichtnahme. Ein Vorhaben, dessen Verwirklichung nicht zu einem Doppelhaus, sondern zu einer einseitig grenzständigen Bebauung führt, für das es in der Umgebung an Vorbildern fehlt, fügt sich in den Rahmen der Umgebungsbebauung nicht ein. Für die Frage, ob grenzständige Gebäude ein Doppelhaus bilden, kommt es auf die wechselseitige Verträglichkeit dieser Gebäude an. Es geht um eine spezifische Gestaltung des Orts- und Straßenbildes, die darin liegt, dass das Doppelhaus den Gesamteindruck einer offenen, aufgelockerten Bebauung nicht stört, eben weil es als ein Gebäude erscheint. Die einseitige Errichtung einer grenzständigen Balkonanlage im rückwärtigen Bereich eines Doppelhauses zerstört die Doppelhauseigenschaft der Gebäude nicht, solange diese noch zu einem wesentlichen Teil aneinandergebaut sind. Hiernach wird die Doppelhaueigenschaft des auf den Grundstücken der Antragsteller und des Beigeladenen vorhandenen Baukörpers durch die Errichtung der Balkonanlage nicht zerstört. Die Doppelhaushälften bleiben auch hiernach noch im Wesentlichen wechselseitig verträglich aneinandergebaut und erscheinen weiterhin als ein Gebäude.
Die Balkonanlage fügt sich auch im Übrigen sowohl nach der Bauweise als auch nach dem Maß der baulichen Nutzung und der überbaubaren Grundstücksfläche in die Eigenart der näheren Umgebung ein.
Die geplante grenzständige Balkonanlage fügt sich hinsichtlich der Bauweise in die nähere Umgebung ein, da sie auf der Grenze zwischen zwei Doppelhaushälften errichtet werden soll. Im unbeplanten Innenbereich dürfen nach Planungsrecht Gebäude ohne Grenzabstand errichtet werden, wenn sich die Grenzbebauung gemäß § 34 Abs. 1 BauGB insbesondere hinsichtlich der Bauweise in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt. Die Eigenart der näheren Umgebung des Baugrundstücks ist hier durch eine Bebauung mit Doppelhäusern sowie Häusergruppen entlang der Spree- sowie der Bodestraße geprägt. Dies lässt sich auf dem von der Antragsgegnerin vorgelegten Luftbild aus „Bing-Maps“ gut erkennen. Derartige Doppelhäuser oder Hausgruppen prägen die planungsrechtlich typisierte Bauform der offenen Bauweise. Planungsrechtlich ist maßgebend, dass die offene Bauweise unter Doppelhäusern und Hausgruppen die bauliche Einheit „Doppelhaus“ und „Hausgruppe“ versteht, auf die sich in der offenen Bauweise der seitliche Grenzabstand bezieht, während innerhalb der Einheiten in der geschlossenen Bauweise zu bauen ist. Die Grundstücksgrenze, an der die streitige Balkonanlage errichtet werden soll, verläuft zwischen den auf den Grundstücken der Antragsteller und des Beigeladenen vorhandenen Doppelhaushälften und damit im Bereich der geschlossenen Bauweise. Im unbeplanten Innenbereich strahlt die Geschlossenheit allerdings nicht auf die unbebauten Flächen vor und hinter den Gebäudefronten aus. Dort steuern auch die Kriterien über das Maß der baulichen Nutzung und die überbaubaren Grundstücksflächen den Bereich, der einer grenzständigen Bebauung offensteht; dies gilt auch für Doppelhäuser. Für die Zulässigkeit eines Anbaus an ein grenzständig errichtetes Wohngebäude kommt es daher - in bauplanungsrechtlicher Hinsicht - maßgeblich darauf an, ob der Anbau in Bezug auf das Maß der baulichen Nutzung und die überbaubare Grundstücksfläche den Rahmen nicht überschreitet, den die Umgebungsbebauung vorgibt. Im vorliegenden Fall ergeben sich im Hinblick auf das Maß der baulichen Nutzung und die überbaubare Grundstücksfläche keine rechtlichen Bedenken.
Für die Ermittlung des zulässigen Maßes der baulichen Nutzung im unbeplanten Innenbereich ist eine konkrete, am tatsächlich Vorhandenen ausgerichtete Betrachtung maßgeblich. In erster Linie ist auf solche Maße abzustellen, die nach außen wahrnehmbar in Erscheinung treten und anhand derer sich die vorhandenen Gebäude in der näheren Umgebung leicht in Beziehung setzen lassen. Ihre Größe nach Grundfläche, Geschosszahl und Höhe, bei offener Bebauung zusätzlich auch ihr Verhältnis zur umgebenden Freifläche, prägen das Bild der maßgebenden Umgebung und bieten sich deshalb vorrangig als Bezugsgrößen an. Hiernach ist nichts dafür ersichtlich, dass sich die Balkonanlage hinsichtlich ihres Maßes der baulichen Nutzung nicht in die nähere Umgebung einfügt. Diese wird, wie auf dem Luftbild aus „Bing-Maps“ gut zu erkennen ist, durch zwei- bis dreistöckige Balkonanlagen im rückwärtigen Bereich der entlang der S.- und Bodestraße errichteten Gebäude geprägt. Die geplante dreistöckige Balkonanlage bewegt sich innerhalb dieses Rahmens.
Bei dem Merkmal der überbaubaren Grundstücksfläche handelt es sich um die räumliche Lage des Vorhabens innerhalb der vorhandenen Bebauung. Es geht um den Standort des Vorhabens im Sinne von § 23 BauNVO. Bei der Frage, ob eine rückwärtige Bebauung eines Grundstücks nach der überbaubaren Grundstücksfläche zulässig ist, kommt es regelmäßig darauf an, in welchem Umfang die den Maßstab bildenden umliegenden Grundstücke eine rückwärtige Bebauung aufweisen. Auch hiernach unterliegt die geplante Balkonanlage keinen rechtlichen Bedenken. Auf dem genannten Luftbild ist zu erkennen, dass die umliegenden Grundstücke regelmäßig eine rückwärtige Bebauung mit Balkonanlagen aufweisen. Dieser Rahmen wird von dem hier streitigen Vorhaben nicht überschritten.
Der auf dem Grundstück des Beigeladenen geplante Balkon verstößt auch sonst nicht gegen das Gebot nachbarlicher Rücksichtnahme. Eine objektiv unzumutbare Beeinträchtigung der Antragsteller ist nicht erkennbar. Insbesondere mindert der Balkon des Beigeladenen nicht die ausreichende Belichtung von Aufenthaltsräumen der Antragsteller. Auch wird keine Einsichtsmöglichkeit geschaffen, die die Antragsteller nicht mehr hinzunehmen hätte. Denn die erhöhte Nutzbarkeit des Grundstücks der Antragsteller und des Beigeladenen durch die Bebauung mit einem Doppelhaus wird durch den Verzicht auf seitliche Grenzabstände und damit auf Freiflächen, die dem Wohnfrieden dienen, „erkauft“. Einen Schutz vor fremder Einsichtnahme auf das eigene Grundstück vermittelt das öffentliche Baunachbarrecht, insbesondere das Gebot der Rücksichtnahme, in der Regel nicht. Etwas anderes kann nur dann gelten, wenn durch die von dem streitgegenständlichen Bauvorhaben ausgelöste Einsichtnahmemöglichkeit ein letzter intimer, der privaten Lebensgestaltung des Nachbarn zugeordneter Raum zerstört wird. Davon kann hier aber keine Rede sein.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47, 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG i. V. m. Nr. 9.7.1 und Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Fassung der am 31.05./01.06.2012 und am 18.07.2013 beschlossenen Änderungen.