Oberverwaltungsgericht des Saarlandes Urteil, 28. Sept. 2005 - 2 R 2/05

published on 28/09/2005 00:00
Oberverwaltungsgericht des Saarlandes Urteil, 28. Sept. 2005 - 2 R 2/05
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Gericht

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Tenor

Das Berufungsverfahren wird eingestellt, soweit die Kläger ihren Antrag auf Verpflichtung der Beklagten, sie als Asylberechtigte anzuerkennen, in der mündlichen Verhandlung zurückgenommen haben.

Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Die Kläger tragen die Kosten des Berufungsverfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die 1973 geborene Klägerin zu 1) – nachfolgend: Klägerin - und ihre Kinder, die Kläger zu 2) bis 5), sind türkische Staatsangehörige kurdischer Volks- und alevitischer Religionszugehörigkeit. Am 6.9.2002 verließen sie ihr Heimatland und beantragten am 24.9.2002 ihre Anerkennung als Asylberechtigte. Diesen Antrag begründeten sie mit Schriftsatz ihrer Prozessbevollmächtigten vom 12.9.2002. Da ihr Ehemann – der Kläger des Verfahrens 2 R 1/05 – und sein persönliches Umfeld politisch oppositionell engagiert gewesen seien, sei auch die Klägerin politisiert worden und habe sich im Jahre 1998 der HADEP angeschlossen. Sie habe sich fortan an Newrozfesten und an propagandistischen Aktivitäten beteiligt. Sie sei einmal und zwar im Zusammenhang mit dem Newrozfest 2002 in Mersin festgenommen worden zusammen mit einer sehr großen Anzahl von Personen, darunter auch ihrem Ehemann. Während sie schon nach drei Tagen, in denen sie allerdings körperlich misshandelt worden sei, freigelassen worden sei, befinde sich ihr Ehemann noch immer in Haft. Dieser sei schon 1999 für die Dauer von drei Tagen inhaftiert gewesen. Damals sei gegen ihn ein Verfahren vor dem Staatssicherheitsgericht Adana anhängig gewesen, in dem sowohl er selbst als auch sein Bruder S - wie sich aus dem beigefügten Beschluss dieses Gerichtes ergebe - Beschuldigte gewesen seien. S sei inzwischen als politischer Flüchtling gemäß § 51 I AuslG anerkannt worden. Nach ihrer Freilassung habe sich die Klägerin entschlossen, aus ihrer Heimat zu fliehen, da sie sich nach wie vor durch die staatlichen Sicherheitskräfte bedroht gefühlt habe. Mittels Schlepper seien sie auf dem Luftweg von Istanbul nach Düsseldorf ausgereist.

Bei ihrer Anhörung im Rahmen der Vorprüfung ihres Asylbegehrens am 25.9.2002 begründeten die Kläger ihren Asylantrag im Wesentlichen wie folgt: In der Türkei habe die Klägerin sich politisch engagiert, sei aber nicht Mitglied einer Partei gewesen. Allerdings sei ihr Mann Mitglied der HADEP. Sie selbst habe ihn ab und zu, wenn es ihre Zeit erlaubt habe, begleitet. Außerdem hätten auch manchmal Versammlungen bei ihnen zu Hause stattgefunden. Die Letzte sei etwa 10 oder 15 Tage vor den Newrozfeiern in diesem Jahr gewesen. Sie hätten über die Feierlichkeiten gesprochen und befürchtet, dass die Feier verboten würde, dass sie aber dennoch Newroz feiern wollten. Ausgereist sei sie mit ihren Kindern wegen der Vorfälle beim Newrozfest 2002. An der Newrozfeier habe die ganze kurdische Bevölkerung ihres Stadtteils und auch noch von anderen Stadtteilen teilgenommen, bestimmt 1.000 Leute. Als sie dabei gewesen seien, Newroz zu feiern, hätten die Polizisten ihren Mann und sie mitgenommen. Sie sei vier Nächte und drei Tage in Haft gewesen. Zusammen mit ihnen seien viele Leute mitgenommen worden. Die Polizisten hätten mit Stöcken auf sie eingeschlagen. Sie hätten sie auch auf die Beine geschlagen und sie, als sie bei ihnen in Haft gewesen sei, misshandelt; sie hätten sie an den Haaren gezogen und in einem kalten Raum auf Beton schlafen lassen. Obwohl die Newrozfeiern offiziell erlaubt seien, wolle die Regierung nicht, dass diese gefeiert würden. Während ihrer Festnahme sei sie gefragt worden, warum die Kurden die Leute störten, indem sie Newroz feierten. Man habe auch zu ihr gesagt, dass ihr Mann bei der HADEP sei. Ihr Sohn M und ihre Tochter Z seien aus der Schule geworfen worden. Als ihr Mann und sie festgenommen worden seien während des Newrozfestes, seien die Polizisten in die Schule gegangen und hätten ihre Kinder dort herausgeholt und gesagt, dass sie die Schule nicht mehr besuchen dürften. Nach ihrer Freilassung sei sie so krank gewesen, dass sie einen Monat lang im Bett habe bleiben müssen. Dann sei sie noch einen Monat zu Hause geblieben und habe die Situation abgewartet. Als sie festgestellt habe, dass andere Leute, die mit ihrem Mann und ihr zusammen beim Newrozfest verhaftet worden und wieder freigelassen worden seien, erneut verhaftet worden seien, habe sie Angst gehabt, dass ihr das auch passieren könne. Sie sei dann zu ihrem Onkel nach Istanbul gegangen, habe sich aber auch dort nicht frei bewegen können. Sie habe aber auch schon einen Monat vor dem Newrozfest Schwierigkeiten mit staatlichen Sicherheitskräften gehabt. Drei Polizisten seien nämlich eines Abends zu ihr gekommen und hätten nach ihrem Mann gefragt und gesagt, dass sie ruhig zugeben könne, dass ihr Mann eine Versammlung durchführe. Sie habe gesagt, dass sie nicht wisse, wo er sich aufhalte. Sie hätten dann weiter gesagt, dass, wenn er nicht da sei, sie sie, die Klägerin, mitnehmen müssten. Im Bus hätten sie die Adresse ihres Schwagers wissen wollen. Sie habe ihnen aber gesagt, dass sie die nicht wisse, weil sie nicht lesen und nicht schreiben könne. Im Bus sei sie schlimm behandelt und dann wieder freigelassen worden. Mit „schlimm behandelt“ meine sie, dass sie alles mit ihr gemacht hätten, sie hätten sie sogar vergewaltigt. Am gleichen Abend hätten sie ihren Mann im Café verhaftet. Sie hätten ihn eine Nacht lang bis zum nächsten Mittag festgehalten und nach seinem Bruder gefragt. Sie hätten von ihm verlangt, dass er von den Newrozfeierlichkeiten fernbleiben solle, was er ihnen auch zugesagt habe. Deshalb sei er am nächsten Mittag freigelassen worden. Von der Vergewaltigung habe sie dreimal in einem Monat Blutungen gehabt und es habe auch eine schlimme Entzündung gegeben. Sie habe sich nicht behandeln lassen, weil sie sich so geschämt habe, und habe es auch niemandem erzählt. Wenn sie ins Krankenhaus gegangen wäre, hätte die Polizei bestimmt davon erfahren und dann weiter gemacht. An dem Tag, an dem ihr Mann und sie bei den Newrozfeierlichkeiten verhaftet worden seien, seien die Polizisten auch zu ihnen nach Hause gekommen, hätten ihren Schwiegervater geschlagen, das Auto ihres Mannes kaputt gemacht und ihre Fensterscheiben eingeschlagen. Die Newrozfeierlichkeiten hätten ganz in der Nähe ihres Hauses stattgefunden. Die Sicherheitskräfte hätten das ganze Viertel durchsucht und viel zerstört. Die Klägerin legte verschiedene Dokumente, darunter einen Haftbefehl von 1999 betreffend ihren Ehemann vor.

Mit Bescheid vom 18.10.2002 lehnte die Beklagte die Anträge auf Anerkennung als Asylberechtigte ab und stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 51 I AuslG und Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht vorlägen. Unter Abschiebungsandrohung wurden die Kläger aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland einen Monat nach unanfechtbarem Abschluss des Asylverfahrens zu verlassen. Einen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigte hätten die Kläger nicht, da eine Einreise auf dem Luftweg nicht glaubhaft sei, weil die diesbezüglichen Angaben pauschal und unsubstantiiert gewesen seien. Es bestehe auch kein Abschiebungsverbot, da die Kläger nicht hätten glaubhaft machen können, in der Türkei einer asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt gewesen zu seien und auch keine solche bei ihrer Rückkehr zu befürchten hätten. Selbst wenn gegen den Ehemann der Klägerin ein Strafverfahren in der Türkei anhängig sein sollte, wäre nicht beachtlich wahrscheinlich, dass die Sicherheitskräfte ein Interesse an ihr haben könnten. Eine Sippenhaft im rechtlichen Sinne gebe es in der Türkei nicht. Der Umstand allein, aus einer Familie zu stammen, in der Mitglieder „politisch-oppositionell“ tätig seien, führe deshalb zu keiner Strafverfolgung, sofern nicht für eigene Aktivitäten Anhaltspunkte vorlägen. Belästigungen der Klägerin durch örtliche Sicherheitskräfte könne diese sich jedenfalls durch eine Wohnsitznahme im Westen der Türkei entziehen. Gleiches gelte für ihre Berufung auf die behauptete kurdische Volkszugehörigkeit. Sie hätten grundsätzlich in anderen Teilen als im Südosten und Osten der Türkei eine inländische Fluchtalternative. Auch Abschiebungshindernisse gemäß § 53 AuslG lägen nicht vor. Eine konkrete Gefahr, der Folter oder einer anderen menschenrechtswidrigen Behandlung durch die türkischen Behörden im Falle einer Rückkehr unterzogen zu werden, sei für die Kläger nicht ersichtlich.

Die gegen diesen Bescheid gerichtete Klage begründeten die Kläger im Wesentlichen wie folgt: Ihrem Asylbegehren stehe die sog. Drittstaatenregelung nicht entgegen. Zwar könnten sie nicht anhand von Dokumenten beweisen, hätten jedoch im Rahmen ihrer persönlichen Anhörung glaubhaft geschildert, unter welchen Umständen sie ins Bundesgebiet eingereist seien. Die Klägerin sei nur in sehr geringem Maße politisch aktiv gewesen. Wie sie bei der Anhörung berichtet habe, sei sie selbst jedoch kurz vor ihrer Ausreise zweimal in asylerheblicher Weise von Sicherheitskräften in Anspruch genommen worden. Die mit ihrer Vergewaltigung einhergehende kurzfristige Festnahme im Februar 2002 sei erfolgt, weil man ihren Ehemann zu Hause nicht angetroffen habe. Zur zweiten Festnahme, die vom 21. bis 25.3.2002 gedauert habe, sei es bei den Newrozfeierlichkeiten in Mersin gekommen, wo die Klägerin gemeinsam mit einer dreistelligen Zahl anderer Kurden von den Sicherheitskräften ergriffen worden sei. Es sei aber richtig zu stellen, dass ihr Ehemann entgegen ihrer Darstellung in der Asylantragschrift anlässlich der Newrozfeierlichkeiten nicht festgenommen worden sei. Die Klägerin habe damals erlebt, dass Polizisten sich auf ihren Mann gestürzt hätten, offenbar um ihn festzunehmen. Da sie selbst in dieser Situation weggezerrt worden sei, habe sie nicht mehr mitbekommen, dass ihr Mann den Polizisten habe entkommen können. Sie habe daher geglaubt, auch er sei festgenommen. Da sie seitdem keinen Kontakt mehr zu ihrem Mann gehabt und nichts mehr von seinem Schicksal erfahren habe, sei sie davon ausgegangen, dass er sich nach wie vor in Haft befinde. Tatsächlich habe sich der Ehemann unmittelbar nach den Newrozereignissen 2002 nach Adiyaman abgesetzt, wo er rund ein halbes Jahr lang bis zu seiner eigenen Flucht aus der Türkei versteckt geblieben sei. Die Sicherheitskräfte hätten zumindest zu jenem Zeitpunkt durchaus ein Interesse gehabt, seiner habhaft zu werden. Dies erkläre auch den von der Klägerin bei ihrer Anhörung erwähnten Besuch der Polizisten am Tat des Newrozfestes bei ihnen zu Hause und ihre Übergriffe. Nach der obergerichtlichen Rechtsprechung bestehe in der Türkei die Gefahr einer sippenhaftähnlichen Inanspruchnahme durch staatliche Stellen bei enger Verwandtschaft zum politisch Verfolgten, wenn dieser aktuell gesucht werde und zwar wegen seiner Mitgliedschaft in oder Unterstützung einer militant staatsfeindlichen Organisation. Diese Voraussetzungen seien vorliegend erfüllt mit Ausnahme der Tatsache, dass es sich bei der HADEP nicht um eine militante Organisation handele. Allerdings werde die HADEP, der der Ehemann der Klägerin und Vater der übrigen Kläger angehöre und für die sich auch die Klägerin gelegentlich engagiert habe, von den türkischen Strafverfolgungsbehörden in die Nähe der PKK gerückt. Außerdem seien ihnen die eigenständigen Aktivitäten dieser Partei, die unter dem Verdacht separatistischer Bestrebungen stehe, ein Dorn im Auge. Das zeige, auch wenn die HADEP wiederholt an Wahlen teilgenommen habe, das massive Vorgehen der Sicherheitskräfte etwa gegen Parteibüros, Versammlungen und einzelne Mitglieder. Einzelne ihrer Mitglieder stünden oft im Verdacht der PKK-Nähe. Es sei deshalb nicht nachvollziehbar, weshalb die türkischen Behörden zu sippenhaftähnlichen Maßnahmen nur bei Angehörigen von PKK-Mitgliedern und nicht auch bei solchen von HADEP-Mitgliedern greifen sollten, zumal die Übergänge aus der Sicht türkischer Behörden fließend seien. Die Klägerin könne auch nicht mit Blick auf die Individualverfolgung – sei es aus Gründen eigener oppositioneller Betätigung oder wegen der Suche nach ihrem Ehemann – auf eine inländische Fluchtalternative verwiesen werden. Es sei vielmehr davon auszugehen, dass der türkische Staat seinen Verfolgungsanspruch gegenüber einer von ihm als staatsfeindlich eingestuften Person überall auf dem Staatsgebiet durchsetzen wolle. Hinzu komme, dass ein jüngerer Bruder der Klägerin während seiner Militärzeit von türkischen Sicherheitskräften umgebracht worden sei. Auch wegen dieses Vorfalls, der damals für starkes Aufsehen gesorgt habe, seien die Klägerin und ihre Familie schon lange im Blickfeld der türkischen Sicherheitskräfte, was die Gefahr, aus aktuellem Anlass, nämlich der Suche nach dem Ehemann verfolgt zu werden, noch erhöhe.

Die Kläger haben beantragt,

die Beklagte unter entsprechender Aufhebung des Bescheides vom 18.10.2002 zu verpflichten, sie als Asylberechtigte anzuerkennen und festzustellen, dass hinsichtlich einer Abschiebung in die Türkei die Voraussetzungen des § 51 I AuslG vorliegen,

hilfsweise,

festzustellen, dass einer Abschiebung in die Türkei Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG entgegenstehen.

Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten und hat schriftsätzlich Klageabweisung beantragt.

Der Beteiligte hat sich zu der Klage nicht geäußert.

Mit Urteil vom 17.6.2004 hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen. In den Entscheidungsgründen heißt es im Wesentlichen, einer Anerkennung der Kläger als Asylberechtigte stünden bereits die Regelungen des Art. 16a II GG, § 26a AsylVfG entgegen. Sie hätten eine Einreise auf dem Luftweg nicht glaubhaft machen können. Ihnen stehe auch kein Anspruch nach § 51 I AuslG zu. Sie hätten weder glaubhaft machen können, im Zeitpunkt ihrer Ausreise aus der Türkei einer asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt gewesen zu sein noch befürchten zu müssen, im Falle einer Rückkehr politisch verfolgt zu werden. Denn die Kläger hätten sich im Wesentlichen auf das Asylvorbringen ihres Ehemannes und Vaters berufen und sich nach eigenen Angaben nicht engagiert politisch betätigt. Dessen Asylbegehren sei jedoch ohne Erfolg geblieben. Soweit sich die Klägerin in der mündlichen Verhandlung ergänzend darauf berufen habe, sie sei am 20.2.2002 von Polizisten festgenommen und vergewaltigt worden, sei ein asylrelevanter Hintergrund nicht ersichtlich. Dies werde nachdrücklich durch den Umstand belegt, dass sie sich nach ihrer Freilassung noch zwei Monate in ihrem Haus im Heimatdorf aufgehalten habe, ohne von den Sicherheitskräften in dieser Zeit behelligt worden zu sein. Angesichts der Bewertungen im Verfahren ihres Ehemannes bzw. Vaters könnten die Kläger sich auch nicht mit Erfolg auf eine ihnen drohende politische Verfolgung im Falle der Rückkehr unter dem Gesichtspunkt der Sippen- oder Geiselhaft berufen. Einer erfolgreichen Berufung auf ihre kurdische Volkszugehörigkeit und die Situation der Kurden in der Türkei stehe entgegen, dass Kurden zumindest keiner landesweiten Gruppenverfolgung unterlägen, weil ihnen jedenfalls in den westlichen Teilen der Türkei, insbesondere in den dortigen Großstädten grundsätzlich ein Leben ohne Verfolgung möglich sei und sie dort auch regelmäßig eine – wenngleich bescheidene – Existenzgrundlage finden könnten. Es sei auch nicht beachtlich wahrscheinlich, dass Kurden bei der Wiedereinreise in die Türkei wegen ihrer Volkszugehörigkeit oder einer Asylantragstellung asylerheblichen Maßnahmen unterworfen würden. Besondere Umstände in der Person der Kläger, die eine andere Beurteilung geböten, seien nicht ersichtlich. Auch der Antrag auf Feststellung von Abschiebungshindernissen gemäß § 53 AuslG bleibe ohne Erfolg.

Mit der Berufung machen die Kläger geltend, das Verwaltungsgericht habe verkannt, dass sich die Klägerin in der mündlichen Verhandlung nicht „ergänzend“ darauf berufen habe, dass sie von Polizisten vergewaltigt worden sei. Vielmehr habe sie diesen Vorfall schon bei der Anhörung durch die Beklagte vorgetragen. Auch der asylrelevante Hintergrund der Vergewaltigung ergebe sich aus ihren Angaben bei der Anhörung. Sie habe nämlich darauf hingewiesen, dass die Polizisten, die zu ihr nach Hause gekommen seien, ihr vorgehalten hätten, ihr Mann würde eine Versammlung durchführen, weil er Newroz feiern wolle; wenn er nicht zu Hause sei, müssten sie sie mitnehmen. Die Klägerin mache auch gegen sie selbst gerichtete Verfolgung geltend, nämlich die erlittene Vergewaltigung und die einen Monat später erlittene mehrtägige Inhaftierung. Sie sei entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts in seiner Prozesskostenhilfeentscheidung kein Opfer eines Amtswalterexzesses geworden. Es sei allgemeinkundig, dass oppositionell Eingestellte, vor allem auch kurdische Frauen nach polizeilichen Festnahmen in der Türkei häufig sexuell beleidigt oder vergewaltigt würden. Deshalb sei es grundsätzlich falsch, „vereinzelten Exzesstaten“ von Amtswaltern die staatliche Zurechenbarkeit abzusprechen. Gerade in der Türkei sei zumindest in der Vergangenheit von staatlicher Seite nichts gegen Polizeibeamte und Gefängniswärter unternommen worden, die politische Gefangene sexuell misshandelten. Zwar würde vielfach behauptet, seit der Machtübernahme durch die AKP-Regierung und insbesondere seit dem Amtsantritt des Ministerpräsidenten Erdogan sei eine gewisse Liberalisierung mit der Folge eingetreten, dass jetzt besserer Schutz vor derartigen „Amtswalterexzessen“ bestehe. Die Übergriffe gegen die Klägerin hätten sich jedoch vor dieser Zeit ereignet. Das Argument des Gerichts, dass die Klägerin sich nach ihrer Freilassung noch zwei Monate unbehelligt in ihrem Haus aufgehalten habe, belege die fehlende Asylrelevanz der vorangegangenen Vergewaltigung, sei nicht nachvollziehbar; es sei auch mit Blick auf § 60 I 3 AufenthG überholt.

Die Kläger beantragen,

das Urteil des Verwaltungsgerichts des Saarlandes vom 17.6.2004 – 6 K 4/04.A – und den Bescheid der Beklagten vom 18.10.2002 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten,

festzustellen, dass bezüglich der Kläger die Voraussetzungen des § 60 I AufenthG vorliegen und festzustellen, dass Abschiebungsverbote gemäß § 60 AufenthG vorliegen.

Die Beklagte ist der Berufung entgegengetreten und hat ihre Zurückweisung beantragt.

Der Beteiligte hat sich zu der Berufung nicht geäußert.

Der Senat hat die Klägerin zu ihrem Verfolgungsschicksal informatorisch angehört.

Wegen der Einzelheiten des Sachverhaltes wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsunterlagen sowie der in der Liste – Stand: 26.9. 2005 - benannten Teile der Dokumentation Türkei, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung war.

Entscheidungsgründe

Das Ausbleiben der Beklagten und des Beteiligten im Termin standen einer Verhandlung und Entscheidung in der Sache nicht entgegen, da sie ordnungsgemäß und unter Hinweis auf § 102 II VwGO geladen worden waren.

Soweit die Kläger in der mündlichen Verhandlung ihre Berufung – hinsichtlich des Asylanerkennungsbegehrens - gemäß § 126 I VwGO zurückgenommen haben, war das Berufungsverfahren einzustellen und waren ihnen die Kosten des Rechtsmittelverfahrens gemäß §§ 155 II, 159 VwGO, 100 ZPO aufzuerlegen.

Die Berufung im aufrecht erhaltenen Umfang ist zulässig, jedoch nicht begründet. Die erhobene Verpflichtungsklage hat keinen Erfolg. Den Klägern steht zunächst kein Anspruch auf Verpflichtung der Beklagten auf Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen nach § 60 I AufenthG, der zum 1.1.2005 § 51 I AuslG ersetzt hat, zu.

Die Voraussetzungen für die Bejahung von Abschiebungsschutz im Sinne von § 60 I AufenthG sind deckungsgleich mit denjenigen des Anspruchs auf Anerkennung als Asylberechtigte nach Art. 16a I GG, soweit es die Verfolgungshandlung, das geschützte Rechtsgut und den politischen Charakter der Verfolgung betrifft – vorbehaltlich der Neuregelung in den Sätzen 3 (Anknüpfungspunkt „Geschlecht“ für Verfolgung wegen Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe) und 4 lit. c (nichtstaatliche Akteure) des § 60 I AufenthG.

Nach Art. 16a I GG genießen politisch Verfolgte Asylrecht. Politisch Verfolgter ist, wer sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung außerhalb seines Herkunftslandes befindet und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Befürchtung nicht in Anspruch nehmen will. Art und Umfang des politischen Asyls sind wesentlich bestimmt von der Unverletzlichkeit der menschlichen Würde. Soweit nicht eine unmittelbare Gefahr für Leib, Leben oder persönliche Freiheit besteht, können politische Repressalien ein Asylrecht nur begründen, wenn sie nach ihrer Intensität und Schwere die Menschenwürde verletzen und über das hinausgehen, was die Bewohner des Herkunftsstaates aufgrund des dort herrschenden Systems allgemein hinzunehmen haben.

Politische Verfolgung ist grundsätzlich und typischerweise Verfolgung durch staatliche Organe und demnach dem jeweiligen Verfolgerstaat unmittelbar zuzurechnen. Der Herkunftsstaat hat indes auch politisch motivierte Übergriffe Dritter bei fehlender Schutzbereitschaft zu verantworten.

Als politisch verfolgt ist jeder Ausländer zu verstehen, der in eigener Person aus politischen Gründen im dargestellten Sinne Verfolgungsmaßnahmen mit Gefahr für Leib oder Leben oder Beschränkungen der persönlichen Freiheit ausgesetzt ist oder solche Verfolgungsmaßnahmen begründet befürchtet und daher in aussichtsloser Lage gezwungen ist, sein Herkunftsland zu verlassen, um Schutz und Zuflucht im Ausland zu suchen.

Vom Vorliegen begründet befürchteter unmittelbar drohender Gefahr eigener politischer Verfolgung ist dann auszugehen, wenn der Betroffene von gegen ihn gerichteten asylrelevanten Maßnahmen im Herkunftsland bisher verschont geblieben ist, ihn derartige Maßnahmen aber - weil der Verfolger ihn bereits im Blick hat - demnächst zu ereilen drohen. Eine drohende Gefahr in diesem Sinne muss also konkret und gegenwärtig zum Zeitpunkt der Flucht - d.h. als unmittelbar oder in allernächster Zeit bevorstehend - zu erwarten sein.

Für die Beurteilung des Vorliegens politischer Verfolgung gelten unterschiedliche Maßstäbe, je nachdem, ob der asylsuchende Ausländer sein Herkunftsland auf der Flucht vor eingetretener oder konkret drohender politischer Verfolgung verlassen hat oder ob er unverfolgt ausgereist ist. Bei festzustellender Vorverfolgung oder Ausreise wegen konkret drohender politischer Verfolgung ohne die zumutbare Möglichkeit der Inanspruchnahme einer inländischen Fluchtalternative im Herkunftsstaat erfordert die Anerkennung als Asylberechtigter, dass die fluchtbegründenden Umstände im Entscheidungszeitpunkt ohne wesentliche Änderungen fortbestehen oder mit ihrem Wiederaufleben zu rechnen ist. Besteht hingegen hinreichende Sicherheit vor erneuter Verfolgung, scheidet eine Anerkennung als Asylberechtigter aus. Das Fehlen hinreichender Sicherheit vor Verfolgung liegt bei vorverfolgt ausgereisten Asylsuchenden vor, wenn über die bloße Möglichkeit hinaus, Opfer eines erneuten Übergriffs zu werden, objektive Anhaltspunkte eine Wiederholung der ursprünglichen oder aber das erhöhte Risiko einer gleichartigen Verfolgung als nicht ganz entfernte, d.h. reale Möglichkeit erscheinen lassen. Dazu genügt nicht jede, noch so geringe Möglichkeit des abermaligen Verfolgungseintritts. Andererseits muss die Gefahr erneuter Übergriffe nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen sein.

Bei der Prognose, ob dem Ausländer bei seiner Rückkehr in den Heimatstaat politische Verfolgung droht, ist das Staatsgebiet in seiner Gesamtheit in den Blick zu nehmen. Droht dem Ausländer in einem Teil seines Heimatstaates regionale politische Verfolgung, so kann er auf andere Landesteile nur verwiesen werden, wenn diese den Anforderungen an eine inländische Fluchtalternative entsprechen.

Politische Verfolgung vor der Ausreise ist rückschauend bezogen auf den letzten Wohn- und Aufenthaltsort des Asylsuchenden zu beurteilen. Die Frage einer drohenden politischen Verfolgung erfordert eine Prognose, die das jeweilige Staatsgebiet in seiner Gesamtheit in den Blick nimmt und auf die absehbare Zukunft ausgerichtet ist. Besteht die Gefahr nur in einem Teil des Herkunftslandes, kann der Betroffene auf Gebiete verwiesen werden, in denen er vor politischer Verfolgung hinreichend sicher ist, wenn ihm dort keine anderen nicht zumutbaren existenziellen Gefahren drohen.

Die Klägerin hat ihre Berufung ausdrücklich zum einen mit ihrer erlittenen Vergewaltigung und zum anderen mit der 3-tägigen Haft, bei der sie gefoltert worden sei, im Anschluss an die Festnahme beim Newrozfest begründet.

Die Vergewaltigung habe einen politischen Hintergrund. An jenem Abend seien drei Polizisten abends gegen 10 – 11 Uhr zu ihr nach Hause gekommen und hätten gesagt, sie wüssten, dass ihr Mann eine Versammlung durchführe, weil er Newroz feiern wolle. Nachdem sie gesagt habe, sie wisse nicht, wo er sei, hätten sie erklärt, wenn er nicht da sei, müssten sie sie mitnehmen. In der Folge sei sie mit einem Bus mitgenommen, wegen Newroz beschimpft und nach dem Aufenthaltsort ihres Mannes und dem ihres Schwagers gefragt worden. Dann sei sie vergewaltigt worden. In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat sich die Klägerin darauf berufen, dass die erlittene Vergewaltigung eine geschlechtsspezifische Verfolgung im Sinne des § 60 I AufenthG darstelle.

Ferner hat die Klägerin bei ihrer Anhörung zu den Geschehnissen nach ihrer Festnahme beim Newrozfest 2002 ausgeführt, dass sie während der vier Nächte und drei Tage andauernden Haft misshandelt worden sei. Sie sei in der Haft auf die Beine und mit Stöcken geschlagen und an den Haaren gezogen worden; sie hätten sie in einem kalten Raum auf Beton schlafen lassen. Nach ihrer Freilassung sei sie so krank gewesen, dass sie einen Monat lang im Bett habe bleiben müssen. Ausgereist sei sie mit ihren Kindern, als sie habe feststellen müssen, dass Personen, die mit ihr am Newrozfest verhaftet und wieder freigelassen worden seien, erneut verhaftet - nach Aussage beim Verwaltungsgericht indes: „erneut vorgeladen“ - worden seien; sie habe Angst gehabt, dass es auch ihr so ergehen könne.

Ob die Klägerin tatsächlich politische Verfolgung erlitten hat, kann durchaus fraglich sein. Es bestehen einige Ungereimtheiten in ihrem Vortrag und Widersprüche zu dem Vortrag ihres Ehemannes, die an dieser Stelle jedoch nicht im Einzelnen dargestellt zu werden brauchen. Auch stellen die behaupteten politischen Aktivitäten ihres Ehemannes den Hintergrund für das vorgetragene Verfolgungsschicksal der Klägerin hinsichtlich der Vergewaltigung dar; indes konnte sich der Senat von der Wahrheit des Vortrags ihres Ehemannes zu seiner politischen Tätigkeit, seiner erlittenen politischen Verfolgung und seiner Ausreise aus begründeter Furcht vor unmittelbar drohender weiterer politischer Verfolgung in dessen Verwaltungsrechtsstreit 2 R 1/05 nicht überzeugen; dies muss jedoch nicht vertieft werden. Denn auch wenn zu ihren Gunsten davon ausgegangen wird, dass sie ihr Heimatland vorverfolgt verlassen hat, ist ihre Berufung unbegründet, da eine erneute Verfolgung im Sinne des § 60 I AufenthG mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden kann.

Dies gilt zunächst für ihre Einreise in ihr Heimatland.

Nach den Erkenntnissen des Gerichts werden zurückkehrende Asylbewerber nicht routinemäßig - das heißt ohne Vorliegen von Besonderheiten, allein aufgrund eines längeren Auslandsaufenthaltes - bei der Wiedereinreise in die Türkei inhaftiert und asylerheblichen Misshandlungen bis hin zur Folter ausgesetzt. Kurdischen Volkszugehörigen türkischer Staatsangehörigkeit, bei denen festzustellen ist, dass sie landesweit gesucht werden oder sich exilpolitisch exponiert haben, droht jedoch nach der ständigen Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts des Saarlandes bei ihrer Rückkehr in die Türkei politische asylrelevante Verfolgung in Gestalt von Misshandlung in Polizeigewahrsam.

Aus dem Vortrag der Klägerin ergeben sich keine Hinweise darauf, dass sie sich in Deutschland exilpolitisch exponiert hat. Auch bieten ihre Ausführungen keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass nach ihr - gar landesweit - gesucht wird. Die Klägerin hat im Heimatland nach Überzeugung des Senats keine eigenen politischen Aktivitäten – abgesehen von der Teilnahme am Newrozfest - entfaltet. Zunächst hatte sie mit Schriftsatz ihres Rechtsanwaltes vom 12.9.2002 im Rahmen der Asylantragstellung vortragen lassen, dass sie, da ihr Ehemann und sein persönliches Umfeld politisch engagiert gewesen seien, auch politisiert worden sei und sich 1998 der HADEP angeschlossen sowie fortan an Newrozfesten und an propagandistischen Aktivitäten beteiligt habe. Bei ihrer Anhörung hat sie auf Befragen erklärt, sie habe sich politisch engagiert, sei aber nicht Mitglied der HADEP gewesen. Ihr Mann, der Mitglied in dieser Partei gewesen sei, sei dort ein und aus gegangen und sie habe ihn ab und zu mal, wenn es ihre Zeit erlaubt habe, begleitet; dies sei aber nicht sehr oft der Fall gewesen, da sie vier Kinder habe und außerdem ihre sehr alten Schwiegereltern versorgt habe. Außerdem hätten manchmal Versammlungen bei ihnen zu Hause stattgefunden, wie diejenige etwa 10 oder 15 Tage vor den Newrozfeiern in diesem Jahr, bei der sie darüber gesprochen hätten, was sie machen wollten, dass sie Angst vor einem Verbot der Feier gehabt hätten und dennoch hätten feiern wollen. Vor dem Verwaltungsgericht hat sie ausweislich der Sitzungsniederschrift auf Frage, ob sie sich politisch betätigt habe, dargelegt, dass sie durchweg Hausfrau und Mutter gewesen sei, hin und wieder mit ihrem Ehemann zu Veranstaltungen oder in Häuser gegangen sei, wo ihr Mann mit den Männern politische Gespräche geführt und sie sich dann immer mit den Frauen unterhalten habe. Die Klägerin hat somit ihre politischen Aktivitäten in ihren Ausführungen im Laufe ihres Asylverfahrens ständig reduziert und letztlich klargestellt, dass sie nicht als politisch engagiert angesehen werden kann. Aufgefallen und damit in den Blick der Sicherheitskräfte geraten – ihren Vortrag insofern als richtig unterstellt - ist sie selbst – auch wenn die Familie durch den Tod ihres Bruders während der Militärzeit in das Blickfeld der Sicherheitskräfte geraten sein sollte - nur dadurch, dass sie beim Newrozfest 2002 teilgenommen hat, verhaftet wurde und (vier Nächte bzw. ) drei Tage in Haft geblieben ist, wo sie misshandelt wurde. Die Teilnahme an diesem Fest, das nach der Erklärung der Klägerin etwa 1000 Kurden - nämlich die ganze kurdische Bevölkerung des Stadtviertels, darunter auch viele Frauen und Kinder - besucht haben, ist jedoch aus der maßgeblichen Sicht der Sicherheitsbehörden, die die missliebige Veranstaltung mit Gewalt auflösten, jedenfalls in Bezug auf ansonsten nicht erkennbar politisch engagierte Frauen zweifellos weniger als politische Meinungsäußerung, denn als Teilnahme an einem kulturellen Ereignis, dem kurdischen Neujahrsfest, anzusehen. Diese Teilnahme hat für die Klägerin in den folgenden zwei Monaten nach ihrer Freilassung, in denen sie noch in ihrem Haus gelebt hat, keine weiteren Folgen gehabt. Es ist auch weder vorgetragen noch ansonsten ersichtlich, dass in der Folgezeit, als sie mit den Klägern zu 2) bis 5) bis zu ihrer Ausreise bei ihrem Onkel in Istanbul lebte, nach ihr gesucht worden wäre; auch ihr Ehemann, der mit einem befreundeten Nachbarn und – z.T. über diesen – mit seinen Eltern in Verbindung stand und steht, hat in seinem Verfahren nicht erwähnt, dass nach der Klägerin gesucht werde bzw. worden sei.

Die Klägerin hat wegen politischer Aktivitäten ihres Ehemannes – unabhängig von der Frage, inwieweit es diese tatsächlich gegeben hat - bei der Einreise und danach jedenfalls mit hinreichender Wahrscheinlichkeit keine Übergriffe zu befürchten. Denn es ist davon auszugehen, dass eine Rückkehr ins Heimatland im Familienverbund erfolgen und ihr Ehemann dann den Sicherheitsbehörden selbst für eine – ggf. auch strenge – Befragung zur Verfügung stehen würde. Dass diese in dieser Situation von einer politisch nicht erkennbar engagierten Frau weitere Informationen sollten gewinnen wollen, ist deshalb äußerst unwahrscheinlich.

Gleiches gilt in Bezug auf ihren in Deutschland lebenden abschiebungsschutzberechtigten Schwager. Zwar ist anzunehmen, dass bei der Einreisekontrolle der Familie auf EDV zurückgegriffen werden kann und dass eine familiäre Zuordnung ihres Ehemannes und seines Bruders zu einer Familie bei der Einreise ohne weiteres bei Kenntnis des Namens der Eltern und des Geburtsortes möglich ist; dies setzte jedoch voraus, dass Letzterer in das EDV-gestützte Fahndungsregister eingetragen ist und sein Namen auch den Dienststellen an den Grenzübergängen mitgeteilt wurde. Dies ist dann der Fall, wenn er per Haft- und Festnahmebefehl gesucht wird. Hierfür bietet der Vortrag der Klägerin und ihres Ehemannes indes keinerlei Anhaltspunkte und dies ist auch ansonsten nicht konkret ersichtlich. Der Umstand, dass die Klägerin von den Sicherheitsbehörden nach ihrem Schwager gefragt worden sein will, spricht jedenfalls nicht dafür, da ein Grund für eine Suche nicht mitgeteilt wurde und schon sein Verschwinden Anlass zu Nachfragen bietet. Für den Fall, dass die Verwandtschaft ihres Ehemannes mit seinem Bruder bei der Einreise der Familie erkennbar würde, kann davon ausgegangen werden, dass der Ehemann als naher männlicher Verwandter einer – möglicherweise auch strengen – Befragung diesen betreffend, nicht aber einer Folter unterzogen wird; dass die Klägerin als Schwägerin in dieser Situation überhaupt befragt würde, erscheint fernliegend. Da der Schwager Abschiebungsschutz genießt, könnte außerdem, ohne diesen zu gefährden, gegebenenfalls bei der Einreisebefragung über ihn Auskunft erteilt werden. Im Übrigen ist zu sehen, dass nach Auskunft des Auswärtigen Amtes seit Oktober 2000 kein Fall bekannt geworden ist, in dem Folter oder Misshandlung eines aus Deutschland in die Türkei Abgeschobenen nachgewiesen werden konnte, und seit zwei Jahren auch kein Fall mehr an das Auswärtige Amt zur Überprüfung mit der Behauptung herangetragen wurde, dass ein abgelehnter Asylbewerber nach Rückkehr misshandelt worden sei.

Ob die Klägerin im Falle einer Rückkehr nach Mersin, wo ihre Schwiegereltern zumindest zeitweise noch leben, Gefahr liefe, den Polizisten, die für die Vergewaltigung verantwortlich waren, erneut zu begegnen und – etwa um ihr Schweigen und damit die Vertuschung der von ihnen begangenen Straftat zu erreichen – asylerheblichen Repressionen ausgesetzt zu werden, ist unwahrscheinlich, da sie auch in den rund drei Monaten, die zwischen der Vergewaltigung und ihrer Abreise nach Istanbul lagen, deswegen nicht belästigt wurde und zwischenzeitlich mehr als dreieinhalb Jahre vergangen sind. Diese Frage kann aber letztlich offen bleiben, denn die türkisch sprechende Klägerin hat jedenfalls die Möglichkeit, derartigen Problemen mit der örtlichen Polizei dadurch aus dem Weg zu gehen, dass sie mit ihrer Familie auf eine inländische Fluchtalternative in einem anderen Teil der Türkei zurückgreift, z.B. Istanbul, wo sie bis zu ihrer Ausreise bereits drei Monate mit den anderen Klägern bei ihrem Onkel gelebt hat. Für diesen Teil ist die Klägerin bei Fortführung ihres bisherigen allem Anschein nach unpolitischen Lebens hinreichend sicher vor einer erneuten Verfolgung; ggf. ist ihr zumutbar, bei der Teilnahme an Veranstaltungen, die erfahrungsgemäß häufig von der Polizei aufgelöst werden, Zurückhaltung zu üben.

Kurden unterliegen nach der ständigen Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts des Saarlandes zwar möglicherweise in den - ehemaligen - Notstandsprovinzen einer unmittelbaren staatlichen Gruppenverfolgung. Kurden steht jedoch, wenn sie politisch nicht auffällig geworden sind, im Westen der Türkei, insbesondere in den Großstädten dieses Landesteils, eine ihre Anerkennung als Asyl- und Abschiebungsschutzberechtigte unter diesem Aspekt ausschließende Fluchtalternative offen. Auch das in der Folge der Inhaftierung und Verurteilung des PKK-Chefs Abdullah Öcalan in der Türkei festzustellende härtere Vorgehen der türkischen Sicherheitskräfte gegen kurdische Volkszugehörige auch im Westen der Türkei - verbunden mit der Duldung von Übergriffen Dritter gegenüber Kurden - hat sich danach erkennbar auf Demonstranten und sonstige Aktivisten für die kurdische Sache bezogen und nicht ohne Unterschied alle Kurden allein in Anknüpfung an ihre kurdische Volkszugehörigkeit ergriffen. So hat das Auswärtige Amt in seinem im Zeitpunkt der Ausreise der Kläger aktuellen Lagebericht ausgeführt, dass Kurdischstämmige wie andere türkische Staatsangehörige grundsätzlich die gleichen Lebensverhältnisse in der jeweiligen Region teilten. In den Siedlungen, die Türken kurdischer Volkszugehörigkeit, die zunächst wegen des wirtschaftlichen Gefälles, in den letzten Jahren aber hauptsächlich in der Folge von PKK-Terror und staatlicher Repression ihre Dörfer im Südosten verlassen hätten, in einigen Großstädten der Türkei (z.B. Adana, Mersin, auch Istanbul) gebildet hätten, komme es zwar überdurchschnittlich häufig zu Polizeirazzien mit zahlreichen vorläufigen Festnahmen, die Teil der Suche der Sicherheitskräfte nach PKK-Mitgliedern und Sympathisanten seien und immer wieder zu Übergriffen der beteiligten Sicherheitskräften führten. Diese Vorgänge seien Teil der - landesweit und ohne Unterschied der ethnischen Verhältnisse - menschenrechtlich bedenklichen Praktiken türkischer Sicherheitskräfte. Es gebe zahlreiche Beispiele von aus dem Notstandsgebiet ausgewichenen Kurden, die sich nicht in den Kurdenvierteln diverser Städte, sondern in anderen, weniger von Terror und Terrorbekämpfung betroffenen Regionen niedergelassen hätten. Zur wirtschaftlichen Situation von Kurden in west- und südtürkischen Städten könnten keine generalisierenden Aussagen gemacht werden. Manche Kurden hätten es dort zu beträchtlichem Wohlstand gebracht, andere lebten hingegen in den Armutsquartieren an der Peripherie der Großstädte. Unterschiedlicher Bildungsstand, persönliche Beweglichkeit sowie Einbindung in soziale Strukturen wie Familie oder ehemalige Dorfgemeinschaft spielten dabei eine wichtige Rolle.

Rumpf geht bei der Prüfung einer inländischen Fluchtalternative davon aus, dass es für die Folterproblematik schwierig sei, Alternativen zu bestimmen. Istanbul gehöre zwar zu den Provinzen, in denen – abgesehen vom Südosten – die meisten Vorfälle in dieser Hinsicht registriert würden. Allerdings sei Istanbul nicht nur mit zwischen 12 und 15 Millionen Einwohnern die größte, sondern auch in ihrer sozialen und ethnischen Vielfalt lebendigste Provinz, in der zudem die besten Möglichkeiten bestünden, sich weitgehend unerkannt und unbehelligt niederzulassen.

Auch die neueren Erkenntnisse geben keinen Anlass, das Vorliegen einer inländischen Fluchtalternative im Falle der Rückkehr der Klägerin und ihrer Familie durchgreifend in Frage zu stellen. Noch im vorletzten Lagebericht des Auswärtigen Amtes wird die in dem früheren Lagebericht wiedergegebene Lage bestätigt. Demgegenüber geht das Auswärtige Amt im neuesten Lagebericht unter dem Aspekt „Ausweichmöglichkeiten“ davon aus, dass asylrelevante staatliche Repressionsmaßnahmen nur noch in Form von Übergriffen vereinzelt vorkommen können und nirgends in der Türkei bestandskräftig durchgesetzt werden können sowie kurdischstämmige Türken mit allen anderen türkischen Staatsangehörigen die gleichen Lebensverhältnisse in der jeweiligen Region teilen. Auch amnesty international hat keine Informationen, dass die jüngsten politischen Entwicklungen – nach Aufkündigung des einseitigen Waffenstillstands durch Öcalan - sich auf die Situation der kurdischen Bevölkerung in der Westtürkei allgemein negativ ausgewirkt hätten, allerdings sei die soziale Situation sehr schwierig.

Dass es der Klägerin nicht möglich sein sollte, sich in Istanbul oder in einem anderen Bereich der westlichen Türkei mit ihrer Familie niederzulassen, ist nicht ersichtlich. Umstände, die in Frage stellen könnten, dass sie gegebenenfalls in der West-Türkei wirtschaftlich ein Leben oberhalb des Existenzminimums führen könnten, sind weder substantiiert vorgetragen noch angesichts der persönlichen Verhältnisse der Familie – die Schwiegereltern sind nach Aussage der Klägerin sehr reich, so dass sie sie ggf. wohl unterstützen könnten, und die gesamte Großfamilie außer dem Schwager lebt nach Erklärung ihres Ehemannes noch in der Türkei - ersichtlich.

Die Klägerin hat nach allem keinen Anspruch auf Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung der Voraussetzungen nach § 60 I AufenthG; gleiches gilt für die Kläger zu 2) bis 5), die keine eigenen Asylgründe vorgetragen und ersichtlich die Türkei nicht vorverfolgt oder wegen einer unmittelbar bevorstehenden politischen Verfolgung verlassen, sondern sich in ihrem Vortrag der Klägerin angeschlossen haben.

Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf die – offensichtlich hilfsweise begehrte – Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 60 II ff AufenthG, dessen Regelungen dem bis 31.12.2004 geltenden § 53 AuslG insgesamt betrachtet entsprechen. Insbesondere hat sie mit Blick auf die durch die fachärztlichen Atteste vom 25.4.2005 – betreffend rezidivierende Unterbauchschmerzen und vaginales Missempfinden - und vom 29.8.2005 - betreffend depressive Störung, eine posttraumatische Belastungsstörung (nachfolgend: PTBS) sei nicht auszuschließen - bzw. die psychologische Bescheinigung vom 26.8.2005 – betreffend dringender Verdacht auf PTBS - belegten Beschwerden keinen Anspruch gemäß § 60 VII AufenthG – zuvor § 53 VI AuslG -. Denn weder aus dem Vortrag der Klägerin noch aus den Attesten bzw. der Bescheinigung ergibt sich eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit im Sinne dieser Vorschrift für den Fall der Abschiebung der Klägerin in die Türkei, so dass zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse nicht vor liegen.

Im Übrigen ist eine medizinische Versorgung der Klägerin in der Türkei möglich. Psychisch kranke Menschen können in allen Krankenhäusern behandelt werden, die über eine Abteilung für Psychiatrie verfügen. Allerdings ist die Situation psychisch Kranker in der Türkei gekennzeichnet durch eine Dominanz krankenhausorientierter Betreuung bei gleichzeitigem Fehlen differenzierter ambulanter und komplementärer Versorgungsangebote. Psychiatrische Kliniken des Gesundheitsministeriums und Einrichtungen der Sozialversicherungsanstalt SSK verfügen – unter Einbeziehung der psychiatrischen Stationen in allgemeinen Krankenhäusern aller öffentlichen türkischen Institutionen – über mehr als 10.000 Betten für psychisch Kranke. Die Verweildauer der Patienten ist aufgrund der verfügbaren Kapazitäten (Psychiater/Betten) in der Regel auf drei Monate beschränkt. Weiterführende Therapien können aus fachlichen und finanziellen Gründen nicht immer angeboten werden. Für die Behandlung der PTBS werden die international anerkannten Klassifikationssysteme angewandt. Zu den Behandlungskonzepten zählen wie in Westeuropa üblich u.a. Psychotherapie mit Relaxationtraining, Atemtraining, Förderung des positiven Denkens und Selbstgespräche, kognitive Therapie, Spieltherapie sowie Medikationen wie Antidepressiva und Benzodiazepine. In welchem Umfang für die Betroffenen auch tatsächlich eine therapeutische Weiterbehandlung und eine adäquate Betreuung einer PTBS möglich sind, kann oft nur im Einzelfall geklärt werden. Die Versorgung psychisch kranker Menschen ist dagegen im Privatsektor vergleichsweise günstig, so wurden in Istanbul in den letzten Jahren mehrere moderne psychiatrische Krankenhäuser mit differenziertem Behandlungsangebot und ambulanter Betreuungsmöglichkeit eingerichtet. Eine Behandlung bei einem der vielen niedergelassenen Ärzte oder der umfassend ausgebildeten Psychologen, Psychiater, psychotherapeutisch tätigen Ärzten oder Neurologen ist aber nur als Privatpatient möglich. Bei der Behandlung psychisch kranker Menschen ist ein ständig steigender Standard festzustellen.

Ausgehend von der Erklärung der Klägerin bei ihrer Anhörung, wonach ihr Schwiegervater sehr reich sei und sie im Dorf noch Land hätten, dürfte daher der Zugang zur medizinischen Versorgung für die Klägerin gesichert sein. Ansonsten könnte sie, sofern sie mittellos ist, auf die „yesil kart“ zurückgreifen, die von der Gesundheitsverwaltung ausgestellt wird und zu kostenloser medizinischer Versorgung im staatlichen Gesundheitssystem berechtigt; seit 1.5.2005 werden – neben den Kosten für stationäre Behandlung - auch bei ambulanter Behandlung die Kosten der Medikamente übernommen.

Für die Kläger zu 2) bis 5) ist nichts vorgetragen, was einen Anspruch nach §§ 60 II ff. AufenthG begründen könnte.

Die Berufung der Kläger war daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 II, 159 VwGO, 100 ZPO, 83b AsylVfG. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus den §§ 167 VwGO, 708 Nr. 10 ZPO.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision nach § 132 II VwGO liegen nicht vor.

Gründe

Das Ausbleiben der Beklagten und des Beteiligten im Termin standen einer Verhandlung und Entscheidung in der Sache nicht entgegen, da sie ordnungsgemäß und unter Hinweis auf § 102 II VwGO geladen worden waren.

Soweit die Kläger in der mündlichen Verhandlung ihre Berufung – hinsichtlich des Asylanerkennungsbegehrens - gemäß § 126 I VwGO zurückgenommen haben, war das Berufungsverfahren einzustellen und waren ihnen die Kosten des Rechtsmittelverfahrens gemäß §§ 155 II, 159 VwGO, 100 ZPO aufzuerlegen.

Die Berufung im aufrecht erhaltenen Umfang ist zulässig, jedoch nicht begründet. Die erhobene Verpflichtungsklage hat keinen Erfolg. Den Klägern steht zunächst kein Anspruch auf Verpflichtung der Beklagten auf Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen nach § 60 I AufenthG, der zum 1.1.2005 § 51 I AuslG ersetzt hat, zu.

Die Voraussetzungen für die Bejahung von Abschiebungsschutz im Sinne von § 60 I AufenthG sind deckungsgleich mit denjenigen des Anspruchs auf Anerkennung als Asylberechtigte nach Art. 16a I GG, soweit es die Verfolgungshandlung, das geschützte Rechtsgut und den politischen Charakter der Verfolgung betrifft – vorbehaltlich der Neuregelung in den Sätzen 3 (Anknüpfungspunkt „Geschlecht“ für Verfolgung wegen Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe) und 4 lit. c (nichtstaatliche Akteure) des § 60 I AufenthG.

Nach Art. 16a I GG genießen politisch Verfolgte Asylrecht. Politisch Verfolgter ist, wer sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung außerhalb seines Herkunftslandes befindet und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Befürchtung nicht in Anspruch nehmen will. Art und Umfang des politischen Asyls sind wesentlich bestimmt von der Unverletzlichkeit der menschlichen Würde. Soweit nicht eine unmittelbare Gefahr für Leib, Leben oder persönliche Freiheit besteht, können politische Repressalien ein Asylrecht nur begründen, wenn sie nach ihrer Intensität und Schwere die Menschenwürde verletzen und über das hinausgehen, was die Bewohner des Herkunftsstaates aufgrund des dort herrschenden Systems allgemein hinzunehmen haben.

Politische Verfolgung ist grundsätzlich und typischerweise Verfolgung durch staatliche Organe und demnach dem jeweiligen Verfolgerstaat unmittelbar zuzurechnen. Der Herkunftsstaat hat indes auch politisch motivierte Übergriffe Dritter bei fehlender Schutzbereitschaft zu verantworten.

Als politisch verfolgt ist jeder Ausländer zu verstehen, der in eigener Person aus politischen Gründen im dargestellten Sinne Verfolgungsmaßnahmen mit Gefahr für Leib oder Leben oder Beschränkungen der persönlichen Freiheit ausgesetzt ist oder solche Verfolgungsmaßnahmen begründet befürchtet und daher in aussichtsloser Lage gezwungen ist, sein Herkunftsland zu verlassen, um Schutz und Zuflucht im Ausland zu suchen.

Vom Vorliegen begründet befürchteter unmittelbar drohender Gefahr eigener politischer Verfolgung ist dann auszugehen, wenn der Betroffene von gegen ihn gerichteten asylrelevanten Maßnahmen im Herkunftsland bisher verschont geblieben ist, ihn derartige Maßnahmen aber - weil der Verfolger ihn bereits im Blick hat - demnächst zu ereilen drohen. Eine drohende Gefahr in diesem Sinne muss also konkret und gegenwärtig zum Zeitpunkt der Flucht - d.h. als unmittelbar oder in allernächster Zeit bevorstehend - zu erwarten sein.

Für die Beurteilung des Vorliegens politischer Verfolgung gelten unterschiedliche Maßstäbe, je nachdem, ob der asylsuchende Ausländer sein Herkunftsland auf der Flucht vor eingetretener oder konkret drohender politischer Verfolgung verlassen hat oder ob er unverfolgt ausgereist ist. Bei festzustellender Vorverfolgung oder Ausreise wegen konkret drohender politischer Verfolgung ohne die zumutbare Möglichkeit der Inanspruchnahme einer inländischen Fluchtalternative im Herkunftsstaat erfordert die Anerkennung als Asylberechtigter, dass die fluchtbegründenden Umstände im Entscheidungszeitpunkt ohne wesentliche Änderungen fortbestehen oder mit ihrem Wiederaufleben zu rechnen ist. Besteht hingegen hinreichende Sicherheit vor erneuter Verfolgung, scheidet eine Anerkennung als Asylberechtigter aus. Das Fehlen hinreichender Sicherheit vor Verfolgung liegt bei vorverfolgt ausgereisten Asylsuchenden vor, wenn über die bloße Möglichkeit hinaus, Opfer eines erneuten Übergriffs zu werden, objektive Anhaltspunkte eine Wiederholung der ursprünglichen oder aber das erhöhte Risiko einer gleichartigen Verfolgung als nicht ganz entfernte, d.h. reale Möglichkeit erscheinen lassen. Dazu genügt nicht jede, noch so geringe Möglichkeit des abermaligen Verfolgungseintritts. Andererseits muss die Gefahr erneuter Übergriffe nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen sein.

Bei der Prognose, ob dem Ausländer bei seiner Rückkehr in den Heimatstaat politische Verfolgung droht, ist das Staatsgebiet in seiner Gesamtheit in den Blick zu nehmen. Droht dem Ausländer in einem Teil seines Heimatstaates regionale politische Verfolgung, so kann er auf andere Landesteile nur verwiesen werden, wenn diese den Anforderungen an eine inländische Fluchtalternative entsprechen.

Politische Verfolgung vor der Ausreise ist rückschauend bezogen auf den letzten Wohn- und Aufenthaltsort des Asylsuchenden zu beurteilen. Die Frage einer drohenden politischen Verfolgung erfordert eine Prognose, die das jeweilige Staatsgebiet in seiner Gesamtheit in den Blick nimmt und auf die absehbare Zukunft ausgerichtet ist. Besteht die Gefahr nur in einem Teil des Herkunftslandes, kann der Betroffene auf Gebiete verwiesen werden, in denen er vor politischer Verfolgung hinreichend sicher ist, wenn ihm dort keine anderen nicht zumutbaren existenziellen Gefahren drohen.

Die Klägerin hat ihre Berufung ausdrücklich zum einen mit ihrer erlittenen Vergewaltigung und zum anderen mit der 3-tägigen Haft, bei der sie gefoltert worden sei, im Anschluss an die Festnahme beim Newrozfest begründet.

Die Vergewaltigung habe einen politischen Hintergrund. An jenem Abend seien drei Polizisten abends gegen 10 – 11 Uhr zu ihr nach Hause gekommen und hätten gesagt, sie wüssten, dass ihr Mann eine Versammlung durchführe, weil er Newroz feiern wolle. Nachdem sie gesagt habe, sie wisse nicht, wo er sei, hätten sie erklärt, wenn er nicht da sei, müssten sie sie mitnehmen. In der Folge sei sie mit einem Bus mitgenommen, wegen Newroz beschimpft und nach dem Aufenthaltsort ihres Mannes und dem ihres Schwagers gefragt worden. Dann sei sie vergewaltigt worden. In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat sich die Klägerin darauf berufen, dass die erlittene Vergewaltigung eine geschlechtsspezifische Verfolgung im Sinne des § 60 I AufenthG darstelle.

Ferner hat die Klägerin bei ihrer Anhörung zu den Geschehnissen nach ihrer Festnahme beim Newrozfest 2002 ausgeführt, dass sie während der vier Nächte und drei Tage andauernden Haft misshandelt worden sei. Sie sei in der Haft auf die Beine und mit Stöcken geschlagen und an den Haaren gezogen worden; sie hätten sie in einem kalten Raum auf Beton schlafen lassen. Nach ihrer Freilassung sei sie so krank gewesen, dass sie einen Monat lang im Bett habe bleiben müssen. Ausgereist sei sie mit ihren Kindern, als sie habe feststellen müssen, dass Personen, die mit ihr am Newrozfest verhaftet und wieder freigelassen worden seien, erneut verhaftet - nach Aussage beim Verwaltungsgericht indes: „erneut vorgeladen“ - worden seien; sie habe Angst gehabt, dass es auch ihr so ergehen könne.

Ob die Klägerin tatsächlich politische Verfolgung erlitten hat, kann durchaus fraglich sein. Es bestehen einige Ungereimtheiten in ihrem Vortrag und Widersprüche zu dem Vortrag ihres Ehemannes, die an dieser Stelle jedoch nicht im Einzelnen dargestellt zu werden brauchen. Auch stellen die behaupteten politischen Aktivitäten ihres Ehemannes den Hintergrund für das vorgetragene Verfolgungsschicksal der Klägerin hinsichtlich der Vergewaltigung dar; indes konnte sich der Senat von der Wahrheit des Vortrags ihres Ehemannes zu seiner politischen Tätigkeit, seiner erlittenen politischen Verfolgung und seiner Ausreise aus begründeter Furcht vor unmittelbar drohender weiterer politischer Verfolgung in dessen Verwaltungsrechtsstreit 2 R 1/05 nicht überzeugen; dies muss jedoch nicht vertieft werden. Denn auch wenn zu ihren Gunsten davon ausgegangen wird, dass sie ihr Heimatland vorverfolgt verlassen hat, ist ihre Berufung unbegründet, da eine erneute Verfolgung im Sinne des § 60 I AufenthG mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden kann.

Dies gilt zunächst für ihre Einreise in ihr Heimatland.

Nach den Erkenntnissen des Gerichts werden zurückkehrende Asylbewerber nicht routinemäßig - das heißt ohne Vorliegen von Besonderheiten, allein aufgrund eines längeren Auslandsaufenthaltes - bei der Wiedereinreise in die Türkei inhaftiert und asylerheblichen Misshandlungen bis hin zur Folter ausgesetzt. Kurdischen Volkszugehörigen türkischer Staatsangehörigkeit, bei denen festzustellen ist, dass sie landesweit gesucht werden oder sich exilpolitisch exponiert haben, droht jedoch nach der ständigen Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts des Saarlandes bei ihrer Rückkehr in die Türkei politische asylrelevante Verfolgung in Gestalt von Misshandlung in Polizeigewahrsam.

Aus dem Vortrag der Klägerin ergeben sich keine Hinweise darauf, dass sie sich in Deutschland exilpolitisch exponiert hat. Auch bieten ihre Ausführungen keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass nach ihr - gar landesweit - gesucht wird. Die Klägerin hat im Heimatland nach Überzeugung des Senats keine eigenen politischen Aktivitäten – abgesehen von der Teilnahme am Newrozfest - entfaltet. Zunächst hatte sie mit Schriftsatz ihres Rechtsanwaltes vom 12.9.2002 im Rahmen der Asylantragstellung vortragen lassen, dass sie, da ihr Ehemann und sein persönliches Umfeld politisch engagiert gewesen seien, auch politisiert worden sei und sich 1998 der HADEP angeschlossen sowie fortan an Newrozfesten und an propagandistischen Aktivitäten beteiligt habe. Bei ihrer Anhörung hat sie auf Befragen erklärt, sie habe sich politisch engagiert, sei aber nicht Mitglied der HADEP gewesen. Ihr Mann, der Mitglied in dieser Partei gewesen sei, sei dort ein und aus gegangen und sie habe ihn ab und zu mal, wenn es ihre Zeit erlaubt habe, begleitet; dies sei aber nicht sehr oft der Fall gewesen, da sie vier Kinder habe und außerdem ihre sehr alten Schwiegereltern versorgt habe. Außerdem hätten manchmal Versammlungen bei ihnen zu Hause stattgefunden, wie diejenige etwa 10 oder 15 Tage vor den Newrozfeiern in diesem Jahr, bei der sie darüber gesprochen hätten, was sie machen wollten, dass sie Angst vor einem Verbot der Feier gehabt hätten und dennoch hätten feiern wollen. Vor dem Verwaltungsgericht hat sie ausweislich der Sitzungsniederschrift auf Frage, ob sie sich politisch betätigt habe, dargelegt, dass sie durchweg Hausfrau und Mutter gewesen sei, hin und wieder mit ihrem Ehemann zu Veranstaltungen oder in Häuser gegangen sei, wo ihr Mann mit den Männern politische Gespräche geführt und sie sich dann immer mit den Frauen unterhalten habe. Die Klägerin hat somit ihre politischen Aktivitäten in ihren Ausführungen im Laufe ihres Asylverfahrens ständig reduziert und letztlich klargestellt, dass sie nicht als politisch engagiert angesehen werden kann. Aufgefallen und damit in den Blick der Sicherheitskräfte geraten – ihren Vortrag insofern als richtig unterstellt - ist sie selbst – auch wenn die Familie durch den Tod ihres Bruders während der Militärzeit in das Blickfeld der Sicherheitskräfte geraten sein sollte - nur dadurch, dass sie beim Newrozfest 2002 teilgenommen hat, verhaftet wurde und (vier Nächte bzw. ) drei Tage in Haft geblieben ist, wo sie misshandelt wurde. Die Teilnahme an diesem Fest, das nach der Erklärung der Klägerin etwa 1000 Kurden - nämlich die ganze kurdische Bevölkerung des Stadtviertels, darunter auch viele Frauen und Kinder - besucht haben, ist jedoch aus der maßgeblichen Sicht der Sicherheitsbehörden, die die missliebige Veranstaltung mit Gewalt auflösten, jedenfalls in Bezug auf ansonsten nicht erkennbar politisch engagierte Frauen zweifellos weniger als politische Meinungsäußerung, denn als Teilnahme an einem kulturellen Ereignis, dem kurdischen Neujahrsfest, anzusehen. Diese Teilnahme hat für die Klägerin in den folgenden zwei Monaten nach ihrer Freilassung, in denen sie noch in ihrem Haus gelebt hat, keine weiteren Folgen gehabt. Es ist auch weder vorgetragen noch ansonsten ersichtlich, dass in der Folgezeit, als sie mit den Klägern zu 2) bis 5) bis zu ihrer Ausreise bei ihrem Onkel in Istanbul lebte, nach ihr gesucht worden wäre; auch ihr Ehemann, der mit einem befreundeten Nachbarn und – z.T. über diesen – mit seinen Eltern in Verbindung stand und steht, hat in seinem Verfahren nicht erwähnt, dass nach der Klägerin gesucht werde bzw. worden sei.

Die Klägerin hat wegen politischer Aktivitäten ihres Ehemannes – unabhängig von der Frage, inwieweit es diese tatsächlich gegeben hat - bei der Einreise und danach jedenfalls mit hinreichender Wahrscheinlichkeit keine Übergriffe zu befürchten. Denn es ist davon auszugehen, dass eine Rückkehr ins Heimatland im Familienverbund erfolgen und ihr Ehemann dann den Sicherheitsbehörden selbst für eine – ggf. auch strenge – Befragung zur Verfügung stehen würde. Dass diese in dieser Situation von einer politisch nicht erkennbar engagierten Frau weitere Informationen sollten gewinnen wollen, ist deshalb äußerst unwahrscheinlich.

Gleiches gilt in Bezug auf ihren in Deutschland lebenden abschiebungsschutzberechtigten Schwager. Zwar ist anzunehmen, dass bei der Einreisekontrolle der Familie auf EDV zurückgegriffen werden kann und dass eine familiäre Zuordnung ihres Ehemannes und seines Bruders zu einer Familie bei der Einreise ohne weiteres bei Kenntnis des Namens der Eltern und des Geburtsortes möglich ist; dies setzte jedoch voraus, dass Letzterer in das EDV-gestützte Fahndungsregister eingetragen ist und sein Namen auch den Dienststellen an den Grenzübergängen mitgeteilt wurde. Dies ist dann der Fall, wenn er per Haft- und Festnahmebefehl gesucht wird. Hierfür bietet der Vortrag der Klägerin und ihres Ehemannes indes keinerlei Anhaltspunkte und dies ist auch ansonsten nicht konkret ersichtlich. Der Umstand, dass die Klägerin von den Sicherheitsbehörden nach ihrem Schwager gefragt worden sein will, spricht jedenfalls nicht dafür, da ein Grund für eine Suche nicht mitgeteilt wurde und schon sein Verschwinden Anlass zu Nachfragen bietet. Für den Fall, dass die Verwandtschaft ihres Ehemannes mit seinem Bruder bei der Einreise der Familie erkennbar würde, kann davon ausgegangen werden, dass der Ehemann als naher männlicher Verwandter einer – möglicherweise auch strengen – Befragung diesen betreffend, nicht aber einer Folter unterzogen wird; dass die Klägerin als Schwägerin in dieser Situation überhaupt befragt würde, erscheint fernliegend. Da der Schwager Abschiebungsschutz genießt, könnte außerdem, ohne diesen zu gefährden, gegebenenfalls bei der Einreisebefragung über ihn Auskunft erteilt werden. Im Übrigen ist zu sehen, dass nach Auskunft des Auswärtigen Amtes seit Oktober 2000 kein Fall bekannt geworden ist, in dem Folter oder Misshandlung eines aus Deutschland in die Türkei Abgeschobenen nachgewiesen werden konnte, und seit zwei Jahren auch kein Fall mehr an das Auswärtige Amt zur Überprüfung mit der Behauptung herangetragen wurde, dass ein abgelehnter Asylbewerber nach Rückkehr misshandelt worden sei.

Ob die Klägerin im Falle einer Rückkehr nach Mersin, wo ihre Schwiegereltern zumindest zeitweise noch leben, Gefahr liefe, den Polizisten, die für die Vergewaltigung verantwortlich waren, erneut zu begegnen und – etwa um ihr Schweigen und damit die Vertuschung der von ihnen begangenen Straftat zu erreichen – asylerheblichen Repressionen ausgesetzt zu werden, ist unwahrscheinlich, da sie auch in den rund drei Monaten, die zwischen der Vergewaltigung und ihrer Abreise nach Istanbul lagen, deswegen nicht belästigt wurde und zwischenzeitlich mehr als dreieinhalb Jahre vergangen sind. Diese Frage kann aber letztlich offen bleiben, denn die türkisch sprechende Klägerin hat jedenfalls die Möglichkeit, derartigen Problemen mit der örtlichen Polizei dadurch aus dem Weg zu gehen, dass sie mit ihrer Familie auf eine inländische Fluchtalternative in einem anderen Teil der Türkei zurückgreift, z.B. Istanbul, wo sie bis zu ihrer Ausreise bereits drei Monate mit den anderen Klägern bei ihrem Onkel gelebt hat. Für diesen Teil ist die Klägerin bei Fortführung ihres bisherigen allem Anschein nach unpolitischen Lebens hinreichend sicher vor einer erneuten Verfolgung; ggf. ist ihr zumutbar, bei der Teilnahme an Veranstaltungen, die erfahrungsgemäß häufig von der Polizei aufgelöst werden, Zurückhaltung zu üben.

Kurden unterliegen nach der ständigen Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts des Saarlandes zwar möglicherweise in den - ehemaligen - Notstandsprovinzen einer unmittelbaren staatlichen Gruppenverfolgung. Kurden steht jedoch, wenn sie politisch nicht auffällig geworden sind, im Westen der Türkei, insbesondere in den Großstädten dieses Landesteils, eine ihre Anerkennung als Asyl- und Abschiebungsschutzberechtigte unter diesem Aspekt ausschließende Fluchtalternative offen. Auch das in der Folge der Inhaftierung und Verurteilung des PKK-Chefs Abdullah Öcalan in der Türkei festzustellende härtere Vorgehen der türkischen Sicherheitskräfte gegen kurdische Volkszugehörige auch im Westen der Türkei - verbunden mit der Duldung von Übergriffen Dritter gegenüber Kurden - hat sich danach erkennbar auf Demonstranten und sonstige Aktivisten für die kurdische Sache bezogen und nicht ohne Unterschied alle Kurden allein in Anknüpfung an ihre kurdische Volkszugehörigkeit ergriffen. So hat das Auswärtige Amt in seinem im Zeitpunkt der Ausreise der Kläger aktuellen Lagebericht ausgeführt, dass Kurdischstämmige wie andere türkische Staatsangehörige grundsätzlich die gleichen Lebensverhältnisse in der jeweiligen Region teilten. In den Siedlungen, die Türken kurdischer Volkszugehörigkeit, die zunächst wegen des wirtschaftlichen Gefälles, in den letzten Jahren aber hauptsächlich in der Folge von PKK-Terror und staatlicher Repression ihre Dörfer im Südosten verlassen hätten, in einigen Großstädten der Türkei (z.B. Adana, Mersin, auch Istanbul) gebildet hätten, komme es zwar überdurchschnittlich häufig zu Polizeirazzien mit zahlreichen vorläufigen Festnahmen, die Teil der Suche der Sicherheitskräfte nach PKK-Mitgliedern und Sympathisanten seien und immer wieder zu Übergriffen der beteiligten Sicherheitskräften führten. Diese Vorgänge seien Teil der - landesweit und ohne Unterschied der ethnischen Verhältnisse - menschenrechtlich bedenklichen Praktiken türkischer Sicherheitskräfte. Es gebe zahlreiche Beispiele von aus dem Notstandsgebiet ausgewichenen Kurden, die sich nicht in den Kurdenvierteln diverser Städte, sondern in anderen, weniger von Terror und Terrorbekämpfung betroffenen Regionen niedergelassen hätten. Zur wirtschaftlichen Situation von Kurden in west- und südtürkischen Städten könnten keine generalisierenden Aussagen gemacht werden. Manche Kurden hätten es dort zu beträchtlichem Wohlstand gebracht, andere lebten hingegen in den Armutsquartieren an der Peripherie der Großstädte. Unterschiedlicher Bildungsstand, persönliche Beweglichkeit sowie Einbindung in soziale Strukturen wie Familie oder ehemalige Dorfgemeinschaft spielten dabei eine wichtige Rolle.

Rumpf geht bei der Prüfung einer inländischen Fluchtalternative davon aus, dass es für die Folterproblematik schwierig sei, Alternativen zu bestimmen. Istanbul gehöre zwar zu den Provinzen, in denen – abgesehen vom Südosten – die meisten Vorfälle in dieser Hinsicht registriert würden. Allerdings sei Istanbul nicht nur mit zwischen 12 und 15 Millionen Einwohnern die größte, sondern auch in ihrer sozialen und ethnischen Vielfalt lebendigste Provinz, in der zudem die besten Möglichkeiten bestünden, sich weitgehend unerkannt und unbehelligt niederzulassen.

Auch die neueren Erkenntnisse geben keinen Anlass, das Vorliegen einer inländischen Fluchtalternative im Falle der Rückkehr der Klägerin und ihrer Familie durchgreifend in Frage zu stellen. Noch im vorletzten Lagebericht des Auswärtigen Amtes wird die in dem früheren Lagebericht wiedergegebene Lage bestätigt. Demgegenüber geht das Auswärtige Amt im neuesten Lagebericht unter dem Aspekt „Ausweichmöglichkeiten“ davon aus, dass asylrelevante staatliche Repressionsmaßnahmen nur noch in Form von Übergriffen vereinzelt vorkommen können und nirgends in der Türkei bestandskräftig durchgesetzt werden können sowie kurdischstämmige Türken mit allen anderen türkischen Staatsangehörigen die gleichen Lebensverhältnisse in der jeweiligen Region teilen. Auch amnesty international hat keine Informationen, dass die jüngsten politischen Entwicklungen – nach Aufkündigung des einseitigen Waffenstillstands durch Öcalan - sich auf die Situation der kurdischen Bevölkerung in der Westtürkei allgemein negativ ausgewirkt hätten, allerdings sei die soziale Situation sehr schwierig.

Dass es der Klägerin nicht möglich sein sollte, sich in Istanbul oder in einem anderen Bereich der westlichen Türkei mit ihrer Familie niederzulassen, ist nicht ersichtlich. Umstände, die in Frage stellen könnten, dass sie gegebenenfalls in der West-Türkei wirtschaftlich ein Leben oberhalb des Existenzminimums führen könnten, sind weder substantiiert vorgetragen noch angesichts der persönlichen Verhältnisse der Familie – die Schwiegereltern sind nach Aussage der Klägerin sehr reich, so dass sie sie ggf. wohl unterstützen könnten, und die gesamte Großfamilie außer dem Schwager lebt nach Erklärung ihres Ehemannes noch in der Türkei - ersichtlich.

Die Klägerin hat nach allem keinen Anspruch auf Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung der Voraussetzungen nach § 60 I AufenthG; gleiches gilt für die Kläger zu 2) bis 5), die keine eigenen Asylgründe vorgetragen und ersichtlich die Türkei nicht vorverfolgt oder wegen einer unmittelbar bevorstehenden politischen Verfolgung verlassen, sondern sich in ihrem Vortrag der Klägerin angeschlossen haben.

Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf die – offensichtlich hilfsweise begehrte – Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 60 II ff AufenthG, dessen Regelungen dem bis 31.12.2004 geltenden § 53 AuslG insgesamt betrachtet entsprechen. Insbesondere hat sie mit Blick auf die durch die fachärztlichen Atteste vom 25.4.2005 – betreffend rezidivierende Unterbauchschmerzen und vaginales Missempfinden - und vom 29.8.2005 - betreffend depressive Störung, eine posttraumatische Belastungsstörung (nachfolgend: PTBS) sei nicht auszuschließen - bzw. die psychologische Bescheinigung vom 26.8.2005 – betreffend dringender Verdacht auf PTBS - belegten Beschwerden keinen Anspruch gemäß § 60 VII AufenthG – zuvor § 53 VI AuslG -. Denn weder aus dem Vortrag der Klägerin noch aus den Attesten bzw. der Bescheinigung ergibt sich eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit im Sinne dieser Vorschrift für den Fall der Abschiebung der Klägerin in die Türkei, so dass zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse nicht vor liegen.

Im Übrigen ist eine medizinische Versorgung der Klägerin in der Türkei möglich. Psychisch kranke Menschen können in allen Krankenhäusern behandelt werden, die über eine Abteilung für Psychiatrie verfügen. Allerdings ist die Situation psychisch Kranker in der Türkei gekennzeichnet durch eine Dominanz krankenhausorientierter Betreuung bei gleichzeitigem Fehlen differenzierter ambulanter und komplementärer Versorgungsangebote. Psychiatrische Kliniken des Gesundheitsministeriums und Einrichtungen der Sozialversicherungsanstalt SSK verfügen – unter Einbeziehung der psychiatrischen Stationen in allgemeinen Krankenhäusern aller öffentlichen türkischen Institutionen – über mehr als 10.000 Betten für psychisch Kranke. Die Verweildauer der Patienten ist aufgrund der verfügbaren Kapazitäten (Psychiater/Betten) in der Regel auf drei Monate beschränkt. Weiterführende Therapien können aus fachlichen und finanziellen Gründen nicht immer angeboten werden. Für die Behandlung der PTBS werden die international anerkannten Klassifikationssysteme angewandt. Zu den Behandlungskonzepten zählen wie in Westeuropa üblich u.a. Psychotherapie mit Relaxationtraining, Atemtraining, Förderung des positiven Denkens und Selbstgespräche, kognitive Therapie, Spieltherapie sowie Medikationen wie Antidepressiva und Benzodiazepine. In welchem Umfang für die Betroffenen auch tatsächlich eine therapeutische Weiterbehandlung und eine adäquate Betreuung einer PTBS möglich sind, kann oft nur im Einzelfall geklärt werden. Die Versorgung psychisch kranker Menschen ist dagegen im Privatsektor vergleichsweise günstig, so wurden in Istanbul in den letzten Jahren mehrere moderne psychiatrische Krankenhäuser mit differenziertem Behandlungsangebot und ambulanter Betreuungsmöglichkeit eingerichtet. Eine Behandlung bei einem der vielen niedergelassenen Ärzte oder der umfassend ausgebildeten Psychologen, Psychiater, psychotherapeutisch tätigen Ärzten oder Neurologen ist aber nur als Privatpatient möglich. Bei der Behandlung psychisch kranker Menschen ist ein ständig steigender Standard festzustellen.

Ausgehend von der Erklärung der Klägerin bei ihrer Anhörung, wonach ihr Schwiegervater sehr reich sei und sie im Dorf noch Land hätten, dürfte daher der Zugang zur medizinischen Versorgung für die Klägerin gesichert sein. Ansonsten könnte sie, sofern sie mittellos ist, auf die „yesil kart“ zurückgreifen, die von der Gesundheitsverwaltung ausgestellt wird und zu kostenloser medizinischer Versorgung im staatlichen Gesundheitssystem berechtigt; seit 1.5.2005 werden – neben den Kosten für stationäre Behandlung - auch bei ambulanter Behandlung die Kosten der Medikamente übernommen.

Für die Kläger zu 2) bis 5) ist nichts vorgetragen, was einen Anspruch nach §§ 60 II ff. AufenthG begründen könnte.

Die Berufung der Kläger war daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 II, 159 VwGO, 100 ZPO, 83b AsylVfG. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus den §§ 167 VwGO, 708 Nr. 10 ZPO.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision nach § 132 II VwGO liegen nicht vor.

Sonstige Literatur

Rechtsmittelbelehrung

Die Nichtzulassung der Revision kann durch Beschwerde zum Bundesverwaltungsgericht angefochten werden.

Die Beschwerde ist innerhalb eines Monats nach Zustellung dieses Urteils bei dem Oberverwaltungsgericht des Saarlandes (Hausadresse: Kaiser- Wilhelm-Straße 15, A-Stadt/Postanschrift: 66724 A-Stadt) einzulegen. Sie muss das angefochtene Urteil bezeichnen.

Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des Urteils zu begründen. Die Begründung ist ebenfalls bei dem Oberverwaltungsgericht des Saarlandes (Hausadresse: Kaiser- Wilhelm-Straße 15, A-Stadt/Postanschrift: 66724 A-Stadt) einzureichen. In der Begründung muss die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt oder die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senates der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts, von der das Urteil abweicht, oder ein Verfahrensmangel, auf dem das Urteil beruhen kann, bezeichnet werden.

Die Einlegung und die Begründung der Beschwerde müssen durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer deutschen Hochschule im Sinne des Hochschulrahmengesetzes mit Befähigung zum Richteramt als Prozessbevollmächtigten erfolgen. Juristische Personen des öffentlichen Rechts und Behörden können sich auch durch Beamte oder Angestellte mit Befähigung zum Richteramt sowie Diplomjuristen im höheren Dienst, Gebietskörperschaften auch durch Beamte oder Angestellte mit Befähigung zum Richteramt der zuständigen Aufsichtsbehörde oder des jeweiligen kommunalen Spitzenverbandes des Landes, dem sie als Mitglied zugehören, vertreten lassen.

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(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs. (2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungskl
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published on 28/09/2005 00:00

Tenor Das Berufungsverfahren wird eingestellt, soweit der Kläger seinen Antrag auf Verpflichtung der Beklagten, ihn als Asylberechtigten anzuerkennen, in der mündlichen Verhandlung zurückgenommen hat. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
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published on 26/09/2011 00:00

Tenor Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 28. Juli 2011 ergangene Urteil des Verwaltungsgerichts des Saarlandes - 6 K 49/09 - wird zurückgewiesen.Die außergerichtlichen Kosten des geric
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Annotations

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.

(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.