Oberlandesgericht München Hinweisbeschluss, 25. Apr. 2017 - 10 U 304/17

bei uns veröffentlicht am25.04.2017

Gericht

Oberlandesgericht München

Tenor

1. Der Senat beabsichtigt,

a) die Berufung der Beklagten zu 2) und Widerklägerin vom 27.01.2017 gegen das Endurteil des LG München II vom 14.10.2016 durch einstimmigen Beschluss gemäß § 522 II 1 ZPO wegen offensichtlich fehlender Erfolgsaussicht zurückzuweisen und b) die Berufung des Klägers und Widerbeklagten vom 27.01.2017 in gleicher Weise (zum Teil) zurückzuweisen, soweit sich die Berufung gegen die Abweisung der Klage gegen die Beklagte zu 1) richtet.

In diesem Umfang erfordern weder eine grundsätzliche Bedeutung der Sache noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Senats aufgrund mündlicher Verhandlung (§ 522 II 1 Nr. 1–3 ZPO); eine solche ist auch nicht aus sonstigen Gründen geboten (§ 522 II 1 Nr. 4 ZPO).

2. Es wird hiermit jeweils Gelegenheit zur Stellungnahme zu der beabsichtigten Entscheidung binnen einem Monat nach Zustellung dieses Beschlusses gegeben (§ 522 II 2 ZPO).

Der Hinweis nach § 522 II 2 ZPO dient nicht der Verlängerung der gesetzlichen Berufungsbegründungsfrist (OLG Koblenz NJOZ 2007, 698); neuer Sachvortrag ist nur in den Grenzen der §§ 530, 531 II 1 ZPO zulässig (BGHZ 163, 124), wobei die Voraussetzungen des § 531 II 1 ZPO glaubhaft zu machen sind (§ 531 II 2 ZPO).

3. Nach derzeitiger Sachlage empfiehlt es sich, die Rücknahme bzw. teilweise Rücknahme der Berufung binnen dieser Frist zu prüfen.

4. Der Beklagten zu 2) und Widerklägerin wird gemäß § 521 II 1 ZPO eine Frist zur Berufungserwiderung binnen einem Monat nach Zustellung dieses Beschlusses gesetzt.

Die Beklagte zu 2) und Widerklägerin wird gemäß §§ 521 II 2, 277 ZPO darauf hingewiesen, dass bei Versäumung der vorgenannten Frist eine Zurückweisung der Angriffs- und Verteidigungsmittel gemäß §§ 530, 296 I, IV ZPO erfolgen kann. Im Übrigen wird darauf hingewiesen, dass eine Berufungserwiderung der Beklagten zu 2) und Widerklägerin bereits vorliegt (Schriftsatz vom 27.02.2017 = Bl. 185/193 d.A.).

5. Zum PKH-Antrag der Beklagten zu 1):

a) Dem Kläger wird gem. § 118 I 1 ZPO Frist zur Stellungnahme zum PKH-Antrag (bereits formlos übersandter Schriftsatz von Rechtsanwältin S. vom 08.02.2017) von einem Monat nach Zustellung dieses Beschlusses gesetzt.

b) Der Beklagten zu 1) wird gem. §§ 117 II, 118 II ZPO Frist zur Vorlage einer Erklärung über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse von 3 Wochen ab Zustellung dieses Beschlusses gesetzt.

6. Der Kläger und Widerbeklagte wird aufgefordert, binnen einem Monat nach Zustellung dieses Beschlusses

a) ein Vorerkrankungsverzeichnis vorzulegen und

b) vorzutragen, aus welchen einzelnen Beträgen in welcher jeweiligen Höhe sich der von ihm auf S. 3 der Klageschrift errechnete Betrag von 975,00 € zusammensetzt (Auflösung der Saldobildung; vgl. auch unten IV.).

7. Der Senat beabsichtigt, den Streitwert für das Berufungsverfahren auf 14.502,38 € festzusetzen (Berufung des Klägers: 5.975,00 €; Berufung der Widerklägerin: 8.527,38 €).

Gründe

I.

Eine mündliche Verhandlung ist im Umfang der beabsichtigten Zurückweisung nicht gem. § 522 II 1 Nr. 4 ZPO geboten.

Eine „existentielle Bedeutung“ des Rechtsstreits für die Berufungsführer aufgrund der Natur des Rechtsstreits ist vorliegend nicht gegeben: Der Rechtsstreit betrifft Ansprüche auf Ersatz materiellen und immateriellen Schadens bzw. Rückzahlung im Zusammenhang mit einem Verkehrsunfall.

Sie scheidet im Übrigen deshalb aus, da der Berufungsstreitwert unter dem Betrag liegt, für welchen eine Anfechtbarkeit nach § 522 III ZPO i. Verb. m. § 26 Nr. 8 S. 1 EGZPO gegeben ist, woraus zu folgern ist, dass der Rechtsstreit keine die Existenz der Berufungsführer berührende Bedeutung hat (vgl. zum Zusammenhang von „existentieller Bedeutung“ des Rechtsstreits für die beschwerte Partei und Wert des Beschwerdegegenstands vgl. Holch, Die Rechtsmittelpraxis aus der Sicht der Landesjustizverwaltung, in: Gilles/Röhl/Schuster/Strempel [Hrsg.], Rechtsmittel im Zivilprozeß, 1985, S. 93 ff.).

II.

Die Berufung ist im Umfang der beabsichtigten Zurückweisung auch offensichtlich unbegründet (§ 522 II 1 Nr. 1 ZPO).

1. Eine offensichtliche Unbegründetheit ist gegeben, wenn für jeden Sachkundigen ohne längere Nachprüfung erkennbar ist, dass die vorgebrachten Berufungsgründe (solche sind nur eine Rechtsverletzung [§ 513 I Var. 1 i. Verb. m. § 546 ZPO], eine unrichtige Tatsachenfeststellung [§ 513 I Var. 2 i. Verb. m. § 529 I Nr. 1 ZPO] oder das Vorbringen neuer berücksichtigungsfähiger Angriffs- und Verteidigungsmittel [§ 513 I Var. 2 i. Verb. m. §§ 529 I Nr. 2, 531 II ZPO]) das angefochtene Urteil nicht zu Fall bringen können (vgl. BVerfG NJW 2002, 814 [815]). Offensichtlichkeit setzt aber nicht voraus, dass die Aussichtslosigkeit gewissermaßen auf der Hand liegt, also nur dann bejaht werden dürfte, wenn die Unbegründetheit der Berufung anhand von paratem Wissen festgestellt werden kann (BVerfG EuGRZ 1984, 442 f.); sie kann vielmehr auch das Ergebnis vorgängiger gründlicher Prüfung sein (vgl. BVerfGE 82, 316 [319 f.]).

2. Dem Senat ist es nicht verwehrt, auf der Grundlage der erstinstanzlichen tatsächlichen Feststellungen ergänzende, das angefochtene Urteil weiter rechtfertigende oder berichtigende Erwägungen anzustellen (OLG Stuttgart VRS 122 [2012] 340; OLG Düsseldorf v. 10.4.2012 – 2 U 3/10 [juris]; OLG Köln v. 20.4.2012 – 5 U 139/11 [juris]; KG RdE 2013, 95; OLG Koblenz VersR 2013, 708; OLG Hamm VersR 2013, 604).

3. Dies zugrunde gelegt, nimmt der Senat zunächst zur Vermeidung von Wiederholungen auf die angefochtene Entscheidung des LG München II Bezug.

Im Hinblick auf das jeweilige Berufungsvorbringen ist zu bemerken:

a) Zur Berufung der Beklagten zu 2) und Widerklägerin:

Das Erstgericht hat zu Recht die Widerklage abgewiesen. Denn es ist nicht zu beanstanden, dass sich das Landgericht nicht davon überzeugt hat, dass der streitgegenständliche Verkehrsunfall mit dem Kläger abgesprochen war. Die Widerklägerin trägt insoweit die Beweislast.

Soweit die Berufungsführerin die Beweiswürdigung des Ersturteils als zu knapp bzw. oberflächlich und deshalb als unzureichend beanstandet, ist auf Folgendes hinzuweisen:

Nach § 286 I 2 ZPO muss der Tatrichter die für seine Überzeugungsbildung leitenden Gründe angeben. Es muss einerseits erkennbar werden, dass der Parteivortrag erfasst und in Betracht gezogen wurde und eine Auseinandersetzung mit dem Beweiswert eines Beweismittels erfolgt ist. Diese Auseinandersetzung muss auch individuell und argumentativ sein (BGH NJW 1988, 566; OLG Oldenburg OLGR 1997, 206 [207 für die Würdigung eines Sachverständigengutachtens]; Schneider MDR 1998, 997 [1000 f.]; Pukall/Kießling, Der Zivilprozess in der Praxis, 7. Aufl. 2013, Rz. 1268, 1273). Der Tatrichter muss sich aber im Urteil nicht mit jedem denkbaren Gesichtspunkt, jeder Behauptung und jeder Zeugenaussage ausdrücklich oder gar ausführlich auseinandersetzen (RGZ 156, 314 [315]; BGHZ 3, 162 [175]; BGH NJW 1987, 1557 [1558]; BAG NZA 2003, 483 [484]; Senat, Beschluss vom 25.11.2005 – 10 U 2378/05 und v. 23.10.2006 – 10 U 3590/06; KG zfs 2007, 202 [204]; VRS 112 [2007] 328 [330]; NZV 2009, 390, 391), erforderlich ist nur, dass sich aus den Gründen ergibt, dass eine sachgerechte Beurteilung i. S. v. § 286 I 1 ZPO überhaupt stattgefunden hat (RG JW 1911, 946; 1912, 754; BGH a. a. O.; ferner BGH NJW 1994, 3295 [3297 zu § 287 ZPO: Es muss eine Begründung vorhanden sein, „die wenigstens in groben Zügen sichtbar macht, dass die beachtlichen Tatsachen berücksichtigt und vertretbar gewertet worden sind“]; BAGE 5, 221 [224]; NZA 2003, 483 [484]; Senat, Beschluss vom 25.11.2005 – 10 U 2378/05 und v. 23.10.2006 – 10 U 3590/06; KG zfs 2007, 202 [204]).

Nach § 313 III ZPO sollen die Entscheidungsgründe im Übrigen nur eine „kurze Zusammenfassung“ der Erwägungen enthalten, auf denen die Entscheidung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht beruht. Ein Gericht braucht deshalb nicht jedes Parteivorbringen in den Entscheidungsgründen ausdrücklich zu behandeln (BVerfG RdL 2004, 68 [unter II 1 a]; BGHZ 3, 162 [175]; 154, 288 [300 unter II 3 b bb (3) ]; NJOZ 2005, 3387 [3388]; NJW 2011, 1442 [1446, Tz. 50]; BAG NZA 2005, 652 [653]; Senat, Beschluss vom 25.11.2005 – 10 U 2378/05). Allein der Umstand, dass sich die Gründe einer Entscheidung mit einem bestimmten Gesichtspunkt nicht ausdrücklich auseinander setzen, rechtfertigt daher nicht die Annahme, das Gericht habe diesen Gesichtspunkt bei seiner Entscheidung nicht erwogen. Vielmehr bedarf es hierzu besonderer Umstände (vgl. BVerfG, a. a. O.; BGH, a. a. O.; BAG, a. a. O.; Senat, Beschluss vom 25.11.2005 – 10 U 2378/05 und v. 23.10.2006 – 10 U 3590/06 sowie Urt. v. 06.10.2006 – 10 U 1963/06).

Der Senat ist nach § 529 I Nr. 1 ZPO an die Beweiswürdigung des Erstgerichts gebunden, weil keine konkreten Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit der Beweiswürdigung vorgetragen werden.

Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit der Beweiswürdigung sind ein unrichtiges Beweismaß, Verstöße gegen Denk- und Naturgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze, Widersprüche zwischen einer protokollierten Aussage und den Urteilsgründen sowie Mängel der Darstellung des Meinungsbildungsprozesses wie Lückenhaftigkeit oder Widersprüche (vgl. z.B. BGH VersR 2005, 945; Senat in st. Rspr., u. a. Urt. v. 09.10.2009, Az.: 10 U 2965/09, juris). Konkreter Anhaltspunkt in diesem Sinn ist jeder objektivierbare rechtliche oder tatsächliche Einwand gegen die erstinstanzlichen Feststellungen (vgl. z.B. BGHZ 159, 254 [258]; NJW 2006, 152 [153]). Bloß subjektive Zweifel, lediglich abstrakte Erwägungen oder Vermutungen der Unrichtigkeit ohne greifbare Anhaltspunkte genügen nicht (BGH, a. a. O.).

Was die einzelnen, von der Widerklägerin in der Berufungsbegründung genannten Gesichtspunkte betrifft, kann zunächst auf die insoweit zutreffenden Ausführungen in der Berufungserwiderung des Klägers und Widerbeklagten Bezug genommen werden (Schriftsatz vom 20.03.2017, dort S. 3/5 = Bl. 196/198 d.A.).

Ergänzend ist auf Folgendes hinzuweisen:

Es erschließt sich nicht, inwiefern der Sachverhalt gem. der klägerischen Schilderung „technisch und zeitlich nicht schaffbar“ (vgl. S. 8 der Berufungsbegründung der Widerklägerin = Bl. 192 d.A.) sein sollte.

Letztlich stellt die Widerklägerin ihre eigene Beweiswürdigung schlicht an die Stelle derjenigen des Erstgerichts, was per se der Berufung nicht zum Erfolg verhelfen kann. Darüber hinaus blendet sie wesentliche Gesichtspunkte, welche das Ergebnis eines non liquet durchaus stützen, aus:

– Soweit die Widerklägerin die Auffassung vertritt, es seien „überhaupt keine Gründe ersichtlich, weshalb die Beklagte zu 1) das Fingieren des Unfalls erfinden sollte“ (vgl. S. 4 der Berufungsbegründung der Widerklägerin = Bl. 188 d.A.), setzt sie sich nicht mit der zutreffenden Erwägung des Erstgerichts auseinander, wonach Folgendes gilt: „Dass die Beklagte zu 1) möglicherweise in einem widerstreitenden Beziehungsgeflecht zwischen den Zeugen V. und C. gestanden hat, kann sowohl die Beteiligung an einem gestellten Unfall und das nachträgliche Abrücken von dieser Beteiligung erklären, wie auch möglicherweise eine Falschaussage“ (vgl. S. 5 des Ersturteils = Bl. 150 d.A.). Diesen Gesichtspunkt hat im Übrigen auch der Zeuge M. erwähnt (vgl. S. 3 des Protokolls der erstinstanzlichen Sitzung vom 07.11.2014 = Bl. 95 d.A.: „Ich hatte den Eindruck, dass zwischen diesen Personen persönlich etwas mehr im Spiel war. Ich habe mir das als Beziehungsgeschichte für mich gedeutet.“)

– Soweit die Widerklägerin die Zeugin G. als „unparteiisch“ einstuft (vgl. S. 7 der Berufungsbegründung = Bl. 101 d.A.), setzt sie sich nicht mit dem Umstand auseinander, dass es sich bei dieser Zeugin, deren eigenen Angaben zur Folge (vgl. S. 9/10 des o.g. Sitzungsprotokolls = Bl. 101/102 d.A.), nicht nur um eine ehemalige Arbeitskollegin der Beklagten zu 1) handelt, sondern dass sie auch nach wie vor in Kontakt stehen, telefonieren und sich SMS schreiben.

– Wie auch vom Erstgericht zutreffend ausgeführt, widerspricht die Behauptung der Zeugin G., der Kläger, die Beklagte zu 1) und der Zeuge C. hätten sich an demselben Tag vor dem Unfall im Kasino getroffen, den Angaben sowohl des Klägers als auch der Beklagten zu 1).

– Die Aussage des Zeugen V. schließlich, wonach die Beklagte zu 1) ihn „vorher“ angerufen habe, damit er an diesem Gespräch teilnimmt (vgl. S. 12 des o.g. Sitzungsprotokolls = Bl. 104 d.A.), steht im Widerspruch zur von den Beklagten als Anlage B2 vorgelegten schriftlichen Aussage der Beklagten zu 2), wonach der Kläger und dessen Ehefrau „unangekündigt“ bei ihr erschienen seien und der Zeuge V. an diesem Tag „zufällig“ bei ihr in der Wohnung gewesen sei.

b) Zur Berufung des Klägers und Widerbeklagten:

Zu Recht hat das Erstgericht auch die Klage gegen die Beklagte zu 1) abgewiesen. Denn ebenso wenig, wie die Beweiswürdigung des Erstgerichts hinsichtlich der Frage einer Verabredung des Unfalls zu beanstanden ist (s.o.), ist es zu beanstanden, dass sich das Erstgericht nicht davon überzeugt hat, dass die – vom Kläger als Fahrzeugführerin i.S.d. § 18 StVG, und nicht als Fahrzeughalterin i.S.d. § 7 StVG, in Anspruch genommene - Beklagte zu 1) die Führerin des Beklagten-Pkws war. Hier muss gesehen werden, dass beide Fragen (Verabredung des Verkehrsunfalls und Person des Fahrzeugführers) nicht getrennt voneinander betrachtet werden können. Vielmehr stehen sich als Alternativen gegenüber: Keine Unfallverabredung und Beklagte zu 1) als Führerin des Beklagten Pkws (klägerische Version) oder Unfallverabredung und Zeuge C. als Führer des Beklagten-Pkws (Version der Beklagten).

Soweit der Kläger beanstandet, das Erstgericht hätte es unterlassen, die Ermittlungsakte der Polizeiinspektion D. (genauer: Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft München II, Az.: 34 Js 37450/12) beizuziehen, ist dies unzutreffend. Tatsächlich hat das Landgericht die Akte beigezogen; Auszüge aus der Akte liegen auch, in kopierter Form, als Sonderheft vor. Darüber hinaus wurden Teile dieser Akte vom Erstgericht auch in das Verfahren eingeführt, nämlich die Protokolle der polizeilichen Beschuldigtenvernehmungen der Beklagten zu 1) (Bl. 14-16 der Ermittlungsakte) und des Zeugen C. (Bl. 19-22 der Ermittlungsakte), und zwar mittels Vorhalts gegenüber dem Zeugen M. (vgl. S. 2/4 des o.g. Sitzungsprotokolls = Bl. 94/96 d.A.).

Entgegen der Ansicht des Klägers war das Erstgericht nicht dazu verpflichtet, das o.g. polizeiliche Vernehmungsprotokoll des Zeugen C. im Wege des Urkundenbeweises in das Verfahren einzuführen und zu verwerten. Denn das Gericht hat mit der Verfügung der Ladung des Zeugen C. zur Verhandlung (Bl. 76 d.A.) sowie später der Aufforderung zur Mitteilung einer ladungsfähigen Anschrift dieses Zeugen (Bl. 86 d.A.) implizit zum Ausdruck gebracht, dass eine Verwertung des Protokolls der o.g. polizeilichen Beschuldigtenvernehmung im Wege des Urkundenbeweises nicht geeignet ist, zu einer Überzeugungsbildung i.S.d. § 286 ZPO zu führen. Angesichts der Bedeutung dieser Aussage vor dem Hintergrund gegenseitiger strafrechtlich relevanter Vorwürfe (Unfallmanipulation auch seitens des Zeugen versus falsche Verdächtigung seitens der Beklagten zu 1)) teilt der Senat auch diese Auffassung des Erstgerichts. Im Übrigen hatte der Kläger zwar die Beiziehung der Verkehrsunfallakte beantragt, allerdings zu keinem Zeitpunkt an Stelle der Vernehmung des Zeugen C. die Verwertung des Protokolls jener polizeilichen Beschuldigtenvernehmung, auch nicht, nachdem das Gericht darauf hingewiesen hatte, dass der Zeuge unter der angegebenen Anschrift nicht geladen werden konnte (vgl. Bl. 86 d.A.).

Entgegen der auf S. 10 der Berufungsbegründung (= Bl. 203 d.A.) geäußerten Ansicht des Klägers war das Erstgericht schließlich nicht verpflichtet, „sich klar zu positionieren, ob nun ein fingierter Unfall vorliegt oder nicht“. Vielmehr ist das Gericht in seiner Beweiswürdigung frei. Dazu gehört selbstverständlich auch, dass sich das Gericht eine Überzeugung weder in die eine noch in die andere Richtung bilden muss und in der Folge gem. Beweislast entschieden wird (non liquet).

III.

Da, wie aus dem Vorstehenden erhellt, auch die Voraussetzungen des § 522 II 1 Nr. 2 und 3 ZPO vorliegen, beabsichtigt der Senat, die Berufungen (teilweise) gem. § 522 II 1 ZPO durch Beschluss zurückzuweisen.

IV.

Soweit sich die Berufung des Klägers und Widerbeklagten gegen die Abweisung der Klage gegen die Beklagte zu 2) richtet, wird gem. § 139 ZPO auf Folgendes hingewiesen:

1. Das Erstgericht hätte die Klage insoweit nicht mit dem Argument abweisen dürfen, dass sich das Erstgericht nicht davon überzeugen konnte, ob es sich um eine einverständliche Schädigung des Klägers durch den Zeugen C. gehandelt hat oder eine von der Beklagten zu 1) verursachte schuldhafte Schädigung.

Denn zum einen haftet die Beklagte zu 2) gem. § 115 I VVG als Haftpflichtversicherung des Fahrzeughalters; es kommt also in diesem rechtlichen Verhältnis nicht darauf an, wer der Führer des Beklagten-Pkws war.

Zum anderen trifft die Beweislast für ihre Behauptung, der Unfall sei verabredet gewesen, die Beklagten (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BGH, Urteil vom 13.12.1977, Az.: VI ZR 206/75, NJW 1978, 2154; OLG Köln, Urteil vom 19.07.2011, Az.: 4 U 25/10, BeckRS 2011, 19429). Der Kläger hingegen muss gem. § 7 I StVG zunächst lediglich darlegen und beweisen, dass er beim Betrieb eines Kraftfahrzeugs geschädigt worden ist. Die Kollision als solche ist hier unstreitig.

2. Weiterhin hätte das Erstgericht hätte die Klage auch nicht mit dem Argument abweisen dürfen, es habe nicht festgestellt werden können, dass der Kläger bei dem Unfall verletzt wurde.

Denn zum einen geht es hier ohnehin nicht nur um verletzungsbedingte Ansprüche (hier: Schmerzensgeld und Feststellungsantrag), sondern auch um Schadensersatzansprüche aufgrund Sachschadens.

Zum anderen hätte sich das Erstgericht nicht allein auf die unfallanalytisch-biomechanische Begutachtung stützen dürfen, sondern hätte in jedem Fall noch die letztlich entscheidende medizinische (orthopädisch-unfallchirurgische) Begutachtung veranlassen müssen. Die biomechanische Beurteilung baut nämlich nur die Brücke zwischen den vom Unfallanalytiker berechneten Fahrzeugwerten und der medizinischen Begutachtung, die die ärztlich dokumentierten subjektiven Beschwerden und objektiven Befunde (klinische und bildgebende Untersuchungen usw.) zum Gegenstand hat (vgl. z.B. Senat, Urteil vom 28.07.2006, Az.: 10 U 1684/06, juris). Der medizinischen Begutachtung kommt rechtlich die sachverständige Letztentscheidung zu (BGH VersR 2003, 474 = NJW 2003, 1116 = DAR 2003, 217, wonach eine ordnungsgemäß medizinisch festgestellte HWS-Beeinträchtigung nicht durch ein biomechanisches Gutachten widerlegt werden kann; ausdrücklich nun BGH VersR 2008, 1126 und 1133; KG VersR 2006, 1233 f.; ferner NZV 1993, 346 unter II 3 zur Notwendigkeit eines orthopädischen Sachverständigengutachtens bei widersprüchlichen Privatgutachten).

Was wiederum die biomechanische Begutachtung betrifft, sind dem Protokoll der erstinstanzlichen Sitzung vom 07.11.2014 (vgl. dort S. 8/9 = Bl. 100/101 d.A.) keine konkrete Angaben des Sachverständigen zu der Belastung, welcher der Kläger bei der streitgegenständlichen Kollision ausgesetzt war, zu entnehmen.

3. Hinsichtlich eines Teils der Klage, nämlich i.H.v. 975,00 €, liegt eine unzulässige Saldobildung vor: Soweit auf S. 3 der Klageschrift (= Bl. 3 d.A.) fünf Positionen addiert werden und von der Summe (9.502,38 €) die Zahlung von 8.527,38 € abgezogen wird, ist unklar, welche einzelnen Forderungen in welcher jeweiligen Höhe überhaupt streitgegenständlich sind.

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Referenzen - Gesetze

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Zivilprozessordnung - ZPO | § 287 Schadensermittlung; Höhe der Forderung


(1) Ist unter den Parteien streitig, ob ein Schaden entstanden sei und wie hoch sich der Schaden oder ein zu ersetzendes Interesse belaufe, so entscheidet hierüber das Gericht unter Würdigung aller Umstände nach freier Überzeugung. Ob und inwieweit e

Zivilprozessordnung - ZPO | § 286 Freie Beweiswürdigung


(1) Das Gericht hat unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder für nicht wahr zu erachten sei.

Gesetz über den Versicherungsvertrag


Versicherungsvertragsgesetz - VVG

Zivilprozessordnung - ZPO | § 139 Materielle Prozessleitung


(1) Das Gericht hat das Sach- und Streitverhältnis, soweit erforderlich, mit den Parteien nach der tatsächlichen und rechtlichen Seite zu erörtern und Fragen zu stellen. Es hat dahin zu wirken, dass die Parteien sich rechtzeitig und vollständig über

Straßenverkehrsgesetz - StVG | § 7 Haftung des Halters, Schwarzfahrt


(1) Wird bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs ein Mensch getötet, der Körper oder die Gesundheit eines Menschen verletzt oder eine Sache beschädigt, so ist der Halter verpflichtet, dem Verletzten den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen. (2) D

Zivilprozessordnung - ZPO | § 546 Begriff der Rechtsverletzung


Das Recht ist verletzt, wenn eine Rechtsnorm nicht oder nicht richtig angewendet worden ist.

Straßenverkehrsgesetz - StVG | § 18 Ersatzpflicht des Fahrzeugführers


(1) In den Fällen des § 7 Abs. 1 ist auch der Führer des Kraftfahrzeugs zum Ersatz des Schadens nach den Vorschriften der §§ 8 bis 15 verpflichtet. Die Ersatzpflicht ist ausgeschlossen, wenn der Schaden nicht durch ein Verschulden des Führers verursa

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Das Recht ist verletzt, wenn eine Rechtsnorm nicht oder nicht richtig angewendet worden ist.

(1) Ist unter den Parteien streitig, ob ein Schaden entstanden sei und wie hoch sich der Schaden oder ein zu ersetzendes Interesse belaufe, so entscheidet hierüber das Gericht unter Würdigung aller Umstände nach freier Überzeugung. Ob und inwieweit eine beantragte Beweisaufnahme oder von Amts wegen die Begutachtung durch Sachverständige anzuordnen sei, bleibt dem Ermessen des Gerichts überlassen. Das Gericht kann den Beweisführer über den Schaden oder das Interesse vernehmen; die Vorschriften des § 452 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 bis 4 gelten entsprechend.

(2) Die Vorschriften des Absatzes 1 Satz 1, 2 sind bei vermögensrechtlichen Streitigkeiten auch in anderen Fällen entsprechend anzuwenden, soweit unter den Parteien die Höhe einer Forderung streitig ist und die vollständige Aufklärung aller hierfür maßgebenden Umstände mit Schwierigkeiten verbunden ist, die zu der Bedeutung des streitigen Teiles der Forderung in keinem Verhältnis stehen.

(1) In den Fällen des § 7 Abs. 1 ist auch der Führer des Kraftfahrzeugs zum Ersatz des Schadens nach den Vorschriften der §§ 8 bis 15 verpflichtet. Die Ersatzpflicht ist ausgeschlossen, wenn der Schaden nicht durch ein Verschulden des Führers verursacht ist.

(2) Die Vorschrift des § 16 findet entsprechende Anwendung.

(3) Ist in den Fällen des § 17 auch der Führer eines Kraftfahrzeugs zum Ersatz des Schadens verpflichtet, so sind auf diese Verpflichtung in seinem Verhältnis zu den Haltern und Führern der anderen beteiligten Kraftfahrzeuge, zu dem Tierhalter oder Eisenbahnunternehmer die Vorschriften des § 17 entsprechend anzuwenden.

(1) Wird bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs ein Mensch getötet, der Körper oder die Gesundheit eines Menschen verletzt oder eine Sache beschädigt, so ist der Halter verpflichtet, dem Verletzten den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen.

(2) Die Ersatzpflicht ist ausgeschlossen, wenn der Unfall durch höhere Gewalt verursacht wird.

(3) Benutzt jemand das Kraftfahrzeug ohne Wissen und Willen des Fahrzeughalters, so ist er anstelle des Halters zum Ersatz des Schadens verpflichtet; daneben bleibt der Halter zum Ersatz des Schadens verpflichtet, wenn die Benutzung des Kraftfahrzeugs durch sein Verschulden ermöglicht worden ist. Satz 1 findet keine Anwendung, wenn der Benutzer vom Fahrzeughalter für den Betrieb des Kraftfahrzeugs angestellt ist oder wenn ihm das Kraftfahrzeug vom Halter überlassen worden ist.

(1) Das Gericht hat unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder für nicht wahr zu erachten sei. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.

(2) An gesetzliche Beweisregeln ist das Gericht nur in den durch dieses Gesetz bezeichneten Fällen gebunden.

(1) Das Gericht hat das Sach- und Streitverhältnis, soweit erforderlich, mit den Parteien nach der tatsächlichen und rechtlichen Seite zu erörtern und Fragen zu stellen. Es hat dahin zu wirken, dass die Parteien sich rechtzeitig und vollständig über alle erheblichen Tatsachen erklären, insbesondere ungenügende Angaben zu den geltend gemachten Tatsachen ergänzen, die Beweismittel bezeichnen und die sachdienlichen Anträge stellen. Das Gericht kann durch Maßnahmen der Prozessleitung das Verfahren strukturieren und den Streitstoff abschichten.

(2) Auf einen Gesichtspunkt, den eine Partei erkennbar übersehen oder für unerheblich gehalten hat, darf das Gericht, soweit nicht nur eine Nebenforderung betroffen ist, seine Entscheidung nur stützen, wenn es darauf hingewiesen und Gelegenheit zur Äußerung dazu gegeben hat. Dasselbe gilt für einen Gesichtspunkt, den das Gericht anders beurteilt als beide Parteien.

(3) Das Gericht hat auf die Bedenken aufmerksam zu machen, die hinsichtlich der von Amts wegen zu berücksichtigenden Punkte bestehen.

(4) Hinweise nach dieser Vorschrift sind so früh wie möglich zu erteilen und aktenkundig zu machen. Ihre Erteilung kann nur durch den Inhalt der Akten bewiesen werden. Gegen den Inhalt der Akten ist nur der Nachweis der Fälschung zulässig.

(5) Ist einer Partei eine sofortige Erklärung zu einem gerichtlichen Hinweis nicht möglich, so soll auf ihren Antrag das Gericht eine Frist bestimmen, in der sie die Erklärung in einem Schriftsatz nachbringen kann.