Oberlandesgericht München Endurteil, 26. Feb. 2016 - 10 U 153/15

bei uns veröffentlicht am26.02.2016
vorgehend
Landgericht Ingolstadt, 33 O 101/14, 10.12.2014

Gericht

Oberlandesgericht München

Gründe

OBERLANDESGERICHT MÜNCHEN

Aktenzeichen: 10 U 153/15

Im Namen des Volkes

Verkündet am 26.02.2016

33 O 101/14 LG Ingolstadt

Die Urkundsbeamtin ...

In dem Rechtsstreit

...

- Kläger und Berufungskläger -

Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte ...

gegen

1) ...

- Beklagter und Berufungsbeklagter -

2) ...

- Beklagte und Berufungsbeklagte -

3) ...

- Beklagter und Berufungsbeklagter -

Prozessbevollmächtigte zu 1 - 3:

Rechtsanwälte ...

wegen Schadensersatzes

erlässt der 10. Zivilsenat des Oberlandesgerichts München durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ... und die Richter am Oberlandesgericht ... und ... im schriftlichen Verfahren mit Schriftsatzfrist bis zum 18.02.2016 folgendes

Endurteil

1. Auf die Berufung des Klägers vom 12.01.2015 wird das Endurteil des LG Ingolstadt vom 10.12.2014 (Az. 33 O 101/14) samt dem ihm zugrunde liegenden Verfahren aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LG Ingolstadt zurückverwiesen.

2. Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens bleibt dem LG Ingolstadt vorbehalten. Gerichtsgebühren für die Berufungsinstanz, sowie gerichtliche Gebühren und Auslagen, die durch das aufgehobene Urteil verursacht worden sind, werden nicht erhoben.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

A. Der Kläger macht gegen die Beklagten Ansprüche auf Schadensersatz aus einem Unfall im Straßenverkehr geltend, wobei er in der Hauptsache drei Viertel des verzinsten Sach- und Vermögensschadens, sowie ein ebenfalls verzinstes angemessenes Schmerzensgeld verlangt.

Zugrunde liegt ein Zusammenstoß am 16.10.2013 gegen 05.35 Uhr auf der BAB A 9 im Gemeindegebiet von S. bei Kilometer 3.600. Der Kläger war mit seinem Pkw BMW, amtliches Kennzeichen ...44, in Fahrtrichtung München verunfallt, indem er gegen die linke Leitplanke geprallt und danach zum Stillstand gekommen war. Der Beklagte zu 3) als Fahrer des bei der Beklagten zu 2) versicherten und vom Beklagten zu 1) gehaltenen Lkw Citroen Jumper, amtliches Kennzeichen ...20 fuhr heckseitig auf. Hinsichtlich des Parteivortrags und der tatsächlichen Feststellungen erster Instanz wird auf das angefochtene Urteil vom 10.12.2014 (Bl. 42/49 d. A.) Bezug genommen (§ 540 I 1 Nr. 1 ZPO).

Das Landgericht Ingolstadt hat nach Beweisaufnahme die Klage vollständig abgewiesen (EU 1 = Bl. 42 d. A.), weil der Kläger den Unfall (allein) selbst verschuldet habe. Hinsichtlich der Erwägungen des Landgerichts wird auf die Entscheidungsgründe (Bl. 45/48 d. A.) des angefochtenen Urteils verwiesen.

Gegen dieses ihm am 15.12.2014 zugestellte Urteil hat der Kläger mit beim Oberlandesgericht München am 12.01.2015 eingegangenen Schriftsatz vom gleichen Tag Berufung eingelegt (Bl. 60/61 d. A.) und diese mit Schriftsatz vom 26.02.2015, eingegangen am gleichen Tag, - nach Fristverlängerung durch Verfügung des Senatsvorsitzenden vom 13.02.2015 (Bl. 66 d. A.) fristgerecht - begründet (Bl. 67/73 d. A.).

Der Kläger beantragt,

unter Abänderung des angefochtenen Urteils nach den Anträgen erster Instanz zu erkennen (BB 2 = Bl. 68 d. A.; EU 2/3 = Bl. 43/44 d. A.).

Die Beklagten beantragen,

die Berufung zurückzuweisen (Bl. 74/75 d. A.).

Der Senat hat gemäß Beschluss vom 01.02.2016 mit Zustimmung der Parteien schriftlich entschieden, § 128 II ZPO; als Zeitpunkt, bis zu dem Schriftsätze eingereicht werden können, wurde der 18.02.2016 bestimmt (Bl. 101/102 d. A.). Der Kläger hat ergänzend beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückzuverweisen (Schriftsatz v. 29.01.2016, Bl. 100 d. A.), die Beklagten haben sich hierzu nicht geäußert.

Ergänzend wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze und die Hinweisverfügung des Senatsvorsitzenden vom 28.12.2015 (Bl. 83/95 d. A.) Bezug genommen. Von weiterer Darstellung der Einzelheiten der tatsächlichen Feststellungen wird abgesehen (§§ 540 II, 313 a I 1 ZPO i.V. m. § 26 Nr. 8 EGZPO).

B. Die statthafte, sowie form- und fristgerecht eingelegte und begründete, somit zulässige Berufung hat in der Sache jedenfalls vorläufig Erfolg.

I. Das Landgericht hat entschieden, dass Ansprüche des Klägers auf Schadensersatz einschließlich Schmerzensgeldes nicht bestehen, weil er den Unfall durch straßenverkehrsrechtliches Fehlverhalten alleine verschuldet habe, während der Unfall andererseits für den Fahrer des Beklagtenfahrzeugs unvermeidbar gewesen sei (EU 1, 4/6 = Bl. 42, 45/47 d. A.).

Diese Ergebnisse entbehren angesichts unvollständiger Beweiserhebung und unzulänglicher Beweiswürdigung einer überzeugenden Grundlage.

1. Die erstinstanzliche Feststellung der entscheidungserheblichen Tatsachen (Senat, Urt. v. 24.01.2014 - 10 U 1673/13 [juris, Rz. 16]) ist zu beanstanden, weil diese weder vollständig, noch uneingeschränkt zutreffend erarbeitet wurden. Deswegen ist der Senat wegen offensichtlicher Lücken, Widersprüche oder Unrichtigkeiten (BGH WM 2015, 1562; NJW 2005, 1583; r + s 2003, 522) nicht nach § 529 I Nr. 1 ZPO gebunden und eine erneute Sachprüfung eröffnet. Angesichts einzelner Angriffe der Berufung auch gegen die Tatsachenfeststellung des Erstgerichts (BB 5 = Bl. 71 d. A.), unterliegt eine Prüfung des Senats von Amts wegen keiner Bindung an das Berufungsvorbringen (BGH [V. ZS] NJW 2004, 1876; [VI. ZS] NJW 2014, 2797). Ergänzend wird auf den Hinweis des Senats (v. 28.12.2015, S. 2 = Bl. 84 d. A.) Bezug genommen.

a) Die tatbestandliche Darstellung des Ersturteils erlaubt wegen ihrer Lücken, Unklarheiten und Widersprüche keine zuverlässige Feststellung des unstreitigen Sachverhalts und der streitigen Parteibehauptungen.

- Einerseits sei der Kläger „nach Regenfällen“ mit der linken Leitplanke kollidiert (EU 2 = Bl. 43 d. A., unstreitiger Tatbestand), andererseits wird die Festlegung vermieden, ob während des Abkommens von der Fahrbahn Regen geherrscht habe. Dagegen scheinen die Entscheidungsgründe (EU 5/6 = Bl. 46/47 d. A.) nahezulegen, dass starker Regen ein durch Aquaplaning verursachtes Abkommen von der Fahrbahn bei überhöhter Geschwindigkeit ausgelöst habe, während dies offenbar gerade nicht unstreitig ist.

- Andererseits enthält der Tatbestand des Ersturteils die am Unfallort zum Unfallzeitpunkt geltende Höchstgeschwindigkeit ebenso wenig wie deren tatsächliche Grundlagen, wie ein Verkehrsleitsystem (EU 2 = Bl. 43 d. A.). Da die Entscheidungsgründe ersichtlich von einer durch das Verkehrsleitsystem vorgeschriebenen Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h ausgehen (EU 5 = Bl. 46 d. A.), hätte im Tatbestand dargelegt werden müssen, ob und von welcher Seite dies streitig geblieben ist.

- Das streitige Klägervorbringen ist widersprüchlich, denn einerseits wird dargestellt, dass der Kläger sich von „unvermittelt“ auf der Straße befindlichem Wasser überrascht gesehen habe (EU 2 = Bl. 43 d. A.), andererseits soll er in persönlicher Anhörung bekundet haben, dass es stark geregnet habe (EU 4 = Bl. 45 d. A.). Angaben einer Partei im Rahmen des § 141 I ZPO stellen nicht nur Parteivorbringen (BVerfG NJW 2001, 2531; BGH NJW 1960, 100), sondern gerade qualifizierten Parteivortrag dar (BGH NJW 2006, 2181; OLG Frankfurt, Urt. v. 27.03.2013 - 17 U 11/12 [juris, Rn. 56]), der grundsätzlich schriftsätzlichem Vorbringen sogar vorgeht (OLG Frankfurt, a. a. O., sowie Urt. v. 29.10.2012 - 1 U 1/12 [juris, Rn. 60]). Deswegen hätte das Erstgericht angesichts der sich gegenseitig ausschließenden Schilderungen festlegen müssen, was als streitiges Klägervorbringen zu gelten habe.

Ergänzend wird auf den Hinweis des Senats (v. 28.12.2015, S. 2/3 = Bl. 84/85 d. A.) verwiesen.

b) Die Beweiserhebung des Erstgerichts ist zu beanstanden, weil offensichtliche Verursachungsbeiträge und Verschuldensanteile des Beklagten zu 3) (EU 6 = Bl. 47 d. A.) am Zustandekommen des Unfalls, und Mitverursachungsbeiträge und Mitverschuldensanteile des Klägers nicht sachgerecht ermittelt und berücksichtigt wurden (EU 5 = Bl. 46 d. A.). Deswegen besteht Unklarheit, von welchen tatsächlichen Umständen sich das Erstgericht aus welchen Gründen überzeugt hat, und ob in die Abwägung nach § 17 I, II StVG alle, aber auch nur solche Faktoren, soweit unstreitig oder erwiesen, einbezogen wurden, die eingetreten sind, zur Entstehung des Schadens beigetragen haben und einem der Beteiligten zuzurechnen sind. Die Entscheidungsgründe des Erstgerichts lassen besorgen, dass eine Gewichtung der Mitverursachung oder des Mitverschuldens ohne umfassende Würdigung aller Umstände des Einzelfalls erfolgt ist (Senat, Urt. v. 31.07.2015 - 10 U 4377/14 [juris, Rn. 55, m. w. N.]). Ergänzend wird auf die Hinweise des Senats (v. 28.12.2015, S. 3/8 = Bl. 85/90 d. A.) Bezug genommen.

aa) Dies gilt einmal für die gefahrene Geschwindigkeit des Beklagten zu 3) von „ca. 110 km/h“ (EU 6 = Bl. 47 d. A.), die bisher nur auf einer Schätzung des Erstgerichts beruht. Im Übrigen geht das Landgericht nicht darauf ein, dass damit eine dem Verstoß des Klägers gleichartige Geschwindigkeitsüberschreitung und Missachtung der Anordnung des Verkehrsleitsystems offensichtlich wäre (EU 6 = Bl. 47 d. A.). Ebenso wäre eine Unvermeidbarkeit ausgehend von der zulässigen Höchstgeschwindigkeit des Beklagten zu 3) zu beurteilen gewesen.

bb) Gleiches gilt für den aufgrund ungeeigneter Berechnungen ermittelten Anhalteweg des Beklagten zu 3) von ca. 118 Metern. Übersichten und Rechenschablonen der Verkehrswacht Ingolstadt liefern Ungenauigkeiten, eine nicht nachvollziehbar niedrige Bremsverzögerung und folglich einen zu langen Anhalteweg (zugunsten des Beklagten zu 3), die auch nicht über einen zusammenhanglos erwähnten Reibungskoeffizienten auszugleichen sind.

cc) Weiterhin bleibt unklar, wie lange sich das Fahrzeug des Klägers nach dem Anstoß an die Leitplanke, welcher mindestens dem Zeitpunkt der Reaktionsaufforderung für den Beklagten zu 3) entspricht, noch bewegt und dabei welche Entfernung zurück gelegt hat. Wäre der Kläger mit einer Geschwindigkeit von 130 km/h von der Fahrbahn abgekommen, und durch Anstoß und Bremsung ein Geschwindigkeitsabbau bis fast zum Stillstand eingetreten, hätte sich unter Annahme für die Beklagten günstiger Umstände ein Bremsweg, gleichzeitig Anhalteweg, von 65,20 Metern ergeben. Daraus würde folgen, dass dem Beklagten zu 3), den angegebenen Sicherheitsabstand von 60 Metern hinzugerechnet, ein Anhalteweg von 125,20 Metern zur Verfügung gestanden hätte, innerhalb dessen er selbst nach den Erwägungen des Erstgerichts den Unfall ohne weiteres hätte vermeiden können.

dd) Eine Klärung der Frage, ob der Beklagte zu 3) unter den gegebenen Umständen überhaupt zum Überholen ausscheren durfte (EU 6 = Bl. 47 d. A.), unterblieb, obwohl der Unfall ohne weiteres vermieden worden wäre, wenn der Beklagten zu 3) auf ein Überholen des vorausfahrenden Fahrzeugs verzichtet hätte. Dabei durfte der Beklagte zu 3) auch auf Autobahnen durch das Überholen den Abstand zu dem vorausfahrenden Wagen nicht geringer und die Geschwindigkeit seines überholenden Fahrzeugs nicht höher werden lassen, als dass er unter Berücksichtigung seiner eigenen Reaktionsfähigkeit und der Bremsfähigkeit seines Fahrzeugs hinter dem (auf der Zielfahrbahn vorausfahrenden) Wagen hätte abstoppen und ein Auffahren hätte vermeiden können (BGH NJW 1960, 243). Selbst unter Anerkennung der Geschwindigkeits- und Abstandsangaben der Beklagten, nämlich 110 km/h und 60 Meter, hätte der Beklagte auf der Überholspur einen Anhalteweg von 79,32 Metern benötigt, so dass der angegebene Abstand schon zu Beginn des Überholvorgangs bei weitem nicht ausreichend war. Gleiches gilt für eine ähnlich zu errechnende Anhaltezeit (5,24 Sekunden), die deutlich über der von den Zeugen Rath und Gold geschätzten Zeitspanne von 2 bis 3 Sekunden zwischen den beiden Anstößen (EU 5 = Bl. 46 d. A.) liegt.

ee) Die Geschwindigkeit des klägerischen Fahrzeugs zum Unfallzeitpunkt von „bis zu 130 km/h“ (EU 5 = Bl. 46 d. A.) ist weder durch die Parteiangaben, noch durch die Zeugenvernehmungen, noch die polizeilichen Ermittlungen gerechtfertigt und somit nicht durch Fakten getragen (BGH NJW 2001, 2792).

ff) Das Erstgericht verzichtet entgegen dem Antrag beider Parteien (Klageschrift v. 17.01.2014, S. 5 = Bl. 5 d. A.; 18.02. Klageerwiderung v. 18.02.2014, S. 4 = Bl. 19 d. A.) auf eine sachverständige unfallanalytische Begutachtung des Unfalles, was unter Würdigung aller Gesamtumstände einen schweren Verfahrensfehler darstellt (Senat, Urt. v. 14.03.2014 - 10 U 2996/13 [juris, dort Rz. 5-7]; v. 11.04.2014 - 10 U 4757/13 [juris, dort Rz. 45, 60]), und bereits für sich allein aussschließt, dass die Beweiserhebung auf einer tragfähigen Tatsachengrundlage beruht (OLG München, Urt. v. 21.02.2014 - 25 U 2798/13 [juris]). Ein Fall, in welchem der Sachverständigenbeweis ein ungeeignetes Beweismittel darstellen könnte (BGH NJW-RR 2008, 1380; NStZ 2009, 48, dagegen umgekehrt: BGH NStZ 1995, 97), liegt ersichtlich nicht vor, zumal eine eigene Sachkunde des Erstgerichts weder dargelegt, noch ersichtlich wird (vgl. BGH NJW 2015, 1311; VersR 2011, 1432; NJW-RR 2009, 35; 2007, 357; MDR 1997, 779; OLG München, Urteil v. 05.02.2014 - 3 U 4256/13 [juris, Rz. 26-28, 33]). Im Übrigen ist ein Sachverständigengutachten bereits dann kein „völlig“ ungeeignetes Beweismittel, wenn der Sachverständige auch nur solche Erfahrungssätze und Schlussfolgerungen darzulegen vermag, die für sich allein die unter Beweis gestellte Behauptung lediglich wahrscheinlich machen, sie aber nicht unmittelbar erweisen können (BGH NStZ 1984, 564; NStZ 2012, 345). Das unbegründete Übergehen eines Beweisantrags stellt ebenso wie die Annahme eigener Sachkunde ohne richterlichen Hinweis (§ 139 I 2 ZPO) einen Verstoß gegen das Verfahrensgrundrecht rechtlichen Gehörs (Art. 103 I GG) dar (s. Senat, Urt. v. 20.02.2015 - 10 U 1722/14 [juris, Rn. 33]).

Derzeit kann keineswegs ausgeschlossen werden, dass mittels sachverständiger Begutachtung folgende entscheidungserhebliche Punkte aufgeklärt oder nachvollziehbar gemacht werden können: genauer Unfallort (Anstoßstelle), Endstellung der Fahrzeuge, Ausgangs- und Kollisionsgeschwindigkeiten beider Fahrzeuge, Abstände und - unter Annahme wirklichkeitsnaher Bremsverzögerungs- und Reaktionswerte - Geschwindigkeitsabbau und Anhaltewege.

Ebenso sind die Differenzgeschwindigkeit der unfallbeteiligten Fahrzeuge von ausschlaggebender Bedeutung, wobei das Erstgericht wiederum keinerlei Begründung liefert, warum ein Sachverständiger diese nicht wenigstens näherungsweise solle feststellen können: Aus den durch Lichtbilder dokumentierten Fahrzeugbeschädigungen lässt sich - mit gewissen Bandbreiten - anhand wissenschaftlicher Methoden und von Erfahrungswerten auf die vorgenannten Umstände schließen. Dabei kann auch festgestellt werden, ob sich das klägerische Fahrzeug im Stillstand oder nahezu im Stillstand befunden hat, und eines oder beide Fahrzeuge eingebremst waren.

c) Die Beweiswürdigung des Erstgerichts kann schon allein wegen der unvollständigen Beweiserhebung keine Bindungswirkung (§ 529 I Nr. 1 ZPO) für das weitere Verfahren entfalten, weil eine sachgerechte Prüfung und Bewertung eines vollständigen Beweisergebnisses notwendig fehlen müssen (OLG München, Urt. v. 21.02.2014 - 25 U 2798/13 [juris]), und die Verkehrsverstöße der unfallbeteiligten Fahrer und die Unvermeidbarkeit des Unfalls für den Beklagten zu 3) auf einen unzureichend ermittelten Sachverhalt gestützt werden. Zudem ist dem Erstgericht

aa) eine denkgesetzlich mögliche, widerspruchsfreie und nachvollziehbar begründete (BGH NJW 2012, 3439 [3442]; NJW-RR 2011, 270) Würdigung der Parteiangaben und Zeugenaussagen nicht gelungen, obwohl nach § 286 I 2 ZPO (nur!) die für die Überzeugungsbildung leitenden Gründe angegeben, nicht dagegen im Urteil jeder denkbaren Gesichtspunkt und jede Behauptung, sowie jede Zeugen- oder Sachverständigenaussage ausdrücklich oder gar ausführlich erörtert werden müssen (etwa BGH NJW 1987, 1557 [1558]; BAG NZA 2003, 483 [484]; Senat, Beschl. v. 25.11.2005 - 10 U 2378/05 und v. 23.10.2006 - 10 U 3590/06).

Die Begründung des Erstgerichts zeigt nicht, dass „wenigstens in groben Zügen ... die beachtlichen Tatsachen berücksichtigt und vertretbar gewertet worden sind“ (BAGE 5, 221 [224]; NZA 2003, 483 [484]; Senat, Beschl. v. 25.11.2005 - 10 U 2378/05 und v. 23.10.2006 - 10 U 3590/06). Die entscheidenden Folgerungen, dass „... der Kläger bei schwieriger Wetterlage ... eine Geschwindigkeit von bis zu 130 km/h innegehabt habe“ (EU 5 = Bl. 46 d. A.), und dass der Unfall „... in technischer Hinsicht ... für den beklagten Fahrer deshalb nicht vermeidbar gewesen (sei)“ (EU 6 = Bl. 47 d. A.) entbehren einer echten und nachvollziehbaren Grundlage.

bb) Die Hilfserwägungen des Ersturteils, die das aufgefundene Ergebnis als vermeintlich zutreffend bestätigen sollen (EU 6/7 = Bl. 47/48 d. A.), führen nicht weiter. Der Umstand, dass Ansprüche der Beklagten gegen den Kläger aus dem gleichen Verkehrsunfall befriedigt worden seien, ist bedeutungslos. Abgesehen davon, dass weder Leistungen der klägerischen Haftpflichtversicherung, noch die Tätigkeit versierter Sachbearbeiter prozessordnungsgemäß festgestellt sind, hätte die Auffassung des Erstgerichts - unvertretbar - zur Folge, dass die Regulierungspraxis der Versicherungen bestimmt, wer für Verkehrsunfälle in welchem Umfang zu haften habe.

Ebenso wenig kann entscheidungserheblich sein, dass ein polizeilicher Sachbearbeiter ebenfalls den jetzigen Kläger als Verantwortlichen ausgemacht habe. Denn dies hätte zur Folge, dass die Polizei das Haftungsverhältnis zu bestimmen hätte, obwohl dort die Feststellung straf- und ordnungswidrigkeitenrechtlicher Verstöße, nicht jedoch Fragen der Mitverursachung und des Mitverschuldens im Vordergrund stehen.

Zuletzt ist ohne Belang, dass der jetzige Kläger einen Bußgeldbescheid hingenommen hat. Im Ordnungswidrigkeitenverfahren wird eigenes Fehlverhalten geklärt, ohne dass Mitverursachung und Mitverschulden eine wesentliche Rolle spielen. Im Übrigen hat auch der Bußgeldrichter keinen Anlass für eine Klärung des Unfallhergangs gesehen.

cc) Zuletzt wäre ein gegen den Beklagten zu 3) als Auffahrenden wirkender Anscheinsbeweis wenigstens zu prüfen gewesen. Dieser stellt zwar keine Beweislastregel, sondern ein von Amts wegen zu berücksichtigendes Element der Beweiswürdigung dar (etwa Senat, Urt. v. 14.02.2014 - 10 U 2815/13 [juris]; v. 14.03.2014 - 10 U 4774/13 [juris]; v. 25.04.2014 - 10 U 1886/13 [juris]), ist aber nicht von einer Geltendmachung durch den Beweispflichtigen abhängig. Er gilt grundsätzlich nur bei „typischen Geschehensabläufen“ (BGH NZV 1996, 277; NJW 2001, 1140; Senat, Urt. v. 22.02.2008 - 10 U 4455/07 [juris]), also wenn sich unter Prüfung und Bewertung aller unstreitigen und festgestellten Einzelumstände und besonderen Merkmale des Sachverhalts nach der allgemeinen Lebenserfahrung der Schluss aufdrängt, dass ein Verkehrsteilnehmer seine Pflicht zur Beachtung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt verletzt habe (BGH VersR 2007, 557; VersR 2011, 234).

Unter Würdigung aller Umstände des Einzelfalls käme zunächst in Betracht, das Auffahren des Beklagten zu 3) auf das klägerische Fahrzeug als typisch für überhöhte Geschwindigkeit, zu geringen Abstand oder mangelnde Aufmerksamkeit anzusehen. Anschließend hätte ein den Beklagten obliegender Vollbeweis eines atypischen Geschehensablaufs geprüft werden müssen, also ob weitere Umstände des Unfallereignisses bekannt seien, die als Besonderheiten gegen die bei derartigen Fallgestaltungen gegebene „Typizität“ sprechen (BGH NJW-RR 1986, 383; NJW 1996, 1828; 2012, 608). Hierfür käme durchaus der vorausgehende Zusammenstoß des Klägers mit der Leitplanke in Betracht, jedoch nur, wenn hieraus tatsächlich eine Bremswegverkürzung hätte folgen können (BGH NJW 1987, 1075). Der Beklagte zu 3) hatte, wie jeder Autofahrer auf Autobahnen, den Abstand zu einem voraus-fahrenden Kraftfahrzeug in der Regel so zu wählen, dass er auch dann hinter ihm anhalten kann, wenn das vorausfahrende Fahrzeug plötzlich gebremst wird. Zwar ist nicht mit einem “ruckartigen” Stehenbleiben zu rechnen, jedoch muss der nachfolgende Fahrer, wenn keine besonderen Umstände dem entgegenstehen, den vollen Weg einer Notbremsung des Vorausfahrenden bei Bemessung seines Abstandes einkalkulieren.

Ergänzend wird wiederum auf die Hinweise des Senats (v. 28.12.2015, S. 8/11 = Bl. 90/93 d. A.) Bezug genommen.

2. Der Vollständigkeit halber ist darauf hinzuweisen, dass das Erstgericht auch sachlich-rechtliche Fragen der Haftungsverteilung nicht überzeugend beantwortet und begründet hat.

a) Die Entscheidungsgründe des Ersturteils lassen nicht erkennen, ob wenigstens die grundsätzliche Haftung der Beklagten für Schäden des bei einem Verkehrsunfall in seinem Eigentum und Vermögen geschädigten Klägers erkannt wurde. Diese ergibt sich für den Beklagten zu 1) aus Gefährdung des Fahrzeughalters (§ 7 I StVG), für den Beklagten zu 3) aus vermutetem Verschulden des Fahrzeugführers (§ 18 I StVG), sowie für die Beklagte zu 2) aus §§ 115 I 1 Nr. 1, 4 VVG, 1 PflVG. Grundsätzlich genügt der Kläger seiner Darlegungs- und Beweislast mit der - hier unstreitigen - Behauptung, sein Kraftfahrzeug sei im Straßenverkehr durch einen Zusammenstoß mit dem Fahrzeug der Beklagten beschädigt worden.

b) Dagegen obliegt den Beklagten jeweils Darlegung und Nachweis, dass entweder die Ersatzpflicht mangels ursächlichen Verschuldens ihres Fahrzeugführers ausgeschlossen sei (§ 18 I 2 StVG), oder ein Fall höherer Gewalt (§ 7 II StVG) oder eines für sie unabwendbaren Ereignisses (§ 17 III StVG) eine Haftung (ganz) entfallen lasse. Gleiches gilt für die Behauptung, der Unfall sei jedenfalls ganz überwiegend vom klägerischen Fahrzeug und dessen Fahrer verursacht oder mitverschuldet worden (§§ 17 I, II, 18 III, 9 StVG, 254 I BGB), so dass der eigene Verursachungsbeitrag und Verschuldensanteil vernachlässigt werden dürfe.

Die Ausführungen des Erstgerichts lassen besorgen, dass diese Grundsätze verkannt wurden: Zwar hält das Ersturteil einen schuldhaften Fahrfehler des Klägers für erwiesen, bietet aber keine Auseinandersetzung mit der Frage, ob und in welchem Umfang die - allein festgestellten - Geschwindigkeitsverstöße unfallursächlich seien. Straßenverkehrsrechtliche Sorgfaltsverstöße des Beklagten zu 3) werden nicht behandelt, die technische Unvermeidbarkeit lediglich behauptet. Fragen der Haftung werden jedoch nicht nur durch die technische Vermeidbarkeit bestimmt, vielmehr wäre zu klären und im Urteil darzulegen gewesen, ob aus Rechtsgründen ebenfalls ein unabwendbares Ereignis angenommen werden kann.

c) Vorsorglich wird daran erinnert, dass ein Anscheinsbeweis, soweit anzuwenden, von den Beklagten entkräftet („erschüttert“) werden könnte, durch Darlegung einer ernsthaften Möglichkeit eines anderen als des erfahrungsgemäßen Geschehensablaufs (BGH DAR 1985, 316). Die Tatsachen, aus denen diese ernsthafte und wirklichkeitsnahe Möglichkeit hergeleitet wird, müssen unstreitig oder bewiesen sein (BGHZ 8, 239 [240] = NJW 1953, 584), Zweifel gehen zulasten dessen, gegen den der Anscheinsbeweis streitet (BGH VersR 1959, 1034 [1036]; Senat NJW-RR 2014, 601 (602) = NZV 2014, 416).

II. Der Senat hat eine eigene Sachentscheidung nach § 538 I ZPO erwogen, sich aber aus folgenden Gründen dagegen entschieden:

1. Eine mangelhafte Beweiserhebung stellt ebenso sowie eine nicht sachgerechte Beweiswürdigung einen Zurückverweisungsgrund nach § 538 II 1 Nr. 1 ZPO dar (Senat, Urt. v. 31.07.2015 - 10 U 4733/14 [juris, dort Rz. 57, m. w. N.]). Als schwerwiegender Verfahrensfehler erweist sich, dass das Erstgericht die Pflicht zu umfassender Aufklärung des Unfallgeschehens verletzt hat.

Die erforderliche Beweisaufnahme wäre umfangreich und aufwändig (§ 538 II 1 Nr. 1, 2. Satzhälfte ZPO), weil der Senat nicht nur erstmals ein Sachverständigengutachten erholen, sondern zusätzlich die Parteien anhören und sämtliche Zeugen erneut vernehmen müsste. Eine Beurteilung sowohl der Glaubhaftigkeit der Sachdarstellungen, als auch der Glaubwürdigkeit der Zeugen oder Parteien wäre rechtsfehlerhaft, wenn der Senat auf einen eigenen persönlichen Eindruck verzichten wollte (s. etwa BGH r+s 1985, 200; NJW 1997, 466; NZV 1993, 266; VersR 2006, 949). Durch die gebotene Beweisaufnahme würde der Senat zu einer mit der Funktion eines Rechtsmittelgerichts unvereinbaren vollständigen Wiederholung des erstinstanzlichen Verfahrens (Senat VersR 2011, 549 ff.) gezwungen. Hinzu kommt, dass bei entsprechendem Ergebnis der Beweisaufnahme erstmalige Feststellungen zur Höhe des Schadens getroffen werden müssten (§ 538 II 1 Nr. 4 ZPO).

2. Der durch die Zurückverweisung entstehende grundsätzliche Nachteil einer Verzögerung und Verteuerung des Prozesses muss hingenommen werden, wenn ein ordnungsgemäßes Verfahren in erster Instanz nachzuholen ist und den Parteien die vom Gesetz zur Verfügung gestellten zwei Tatsachenrechtszüge erhalten bleiben sollen (Senat NJW 1972, 2048 [2049); eine schnellere Erledigung des Rechtsstreits durch den Senat ist im Übrigen angesichts seiner außerordentlich hohen Geschäftsbelastung vorliegend nicht zu erwarten.

III. Die Kostenentscheidung war dem Erstgericht vorzubehalten, da der endgültige Erfolg der Berufung erst nach der abschließenden Entscheidung beurteilt werden kann (OLG Köln NJW-RR 1987, 1032; Senat in st. Rspr., zuletzt VersR 2011, 549 ff.; NJW 2011, 3729).

Die Gerichtskosten waren gemäß § 21 I 1 GKG niederzuschlagen, weil ein wesentlicher Verfahrensmangel - nur ein solcher kann zur Aufhebung und Zurückverweisung führen (§ 538 II 1 Nr. 1 ZPO) - denknotwendig eine unrichtige Sachbehandlung i. S. des § 21 I 1 GKG darstellt.

§ 21 I 1 GKG erlaubt auch die Niederschlagung von Gebühren des erstinstanzlichen Verfahrens (etwa Senat, Urt. v. 27.01.2012 - 10 U 3065/11 [juris, dort Rz. 12]).

IV. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 10 S. 1 ZPO. Auch im Falle einer Aufhebung und Zurückverweisung ist im Hinblick auf §§ 775 Nr. 1, 776 ZPO ein Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit geboten (BGH JZ 1977, 232; Senat VersR 2011, 549; NJW 2011, 3729), allerdings ohne Abwendungsbefugnis. Letzteres gilt umso mehr, als das vorliegende Urteil nicht einmal hinsichtlich der Kosten einen vollstreckungsfähigen Inhalt aufweist.

V. Die Revision war nicht zuzulassen. Gründe, die die Zulassung der Revision gemäß § 543 II 1 ZPO rechtfertigen würden, sind nicht gegeben.

Weder eine grundsätzliche Bedeutung der Sache (BVerfG NJW 2014, 2417 [2419, Tz. 26-32]; BGH NJW-RR 2014, 505) noch die Fortbildung des Rechts (BVerfG a. a. O. Tz. 33) oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (BVerfG a. a. O. [2420, Tz. 34]; BGH NJW 2003, 1943) erfordern eine Entscheidung des Revisionsgerichts. Die Entscheidung weicht nicht von der höchst- oder obergerichtlichen Rechtsprechung ab und betrifft einen Einzelfall, der grundlegende Rechtsfragen nicht aufwirft.

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Oberlandesgericht München Endurteil, 26. Feb. 2016 - 10 U 153/15 zitiert 10 §§.

Zivilprozessordnung - ZPO | § 708 Vorläufige Vollstreckbarkeit ohne Sicherheitsleistung


Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:1.Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen;2.Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a;3.Urteile, dur

Gesetz über den Versicherungsvertrag


Versicherungsvertragsgesetz - VVG

Zivilprozessordnung - ZPO | § 775 Einstellung oder Beschränkung der Zwangsvollstreckung


Die Zwangsvollstreckung ist einzustellen oder zu beschränken:1.wenn die Ausfertigung einer vollstreckbaren Entscheidung vorgelegt wird, aus der sich ergibt, dass das zu vollstreckende Urteil oder seine vorläufige Vollstreckbarkeit aufgehoben oder das

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Oberlandesgericht München Endurteil, 26. Feb. 2016 - 10 U 153/15 zitiert oder wird zitiert von 8 Urteil(en).

Oberlandesgericht München Endurteil, 26. Feb. 2016 - 10 U 153/15 zitiert 3 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Oberlandesgericht München Endurteil, 26. Feb. 2016 - 10 U 153/15

bei uns veröffentlicht am 26.02.2016

Gründe OBERLANDESGERICHT MÜNCHEN Aktenzeichen: 10 U 153/15 Im Namen des Volkes Verkündet am 26.02.2016 33 O 101/14 LG Ingolstadt Die Urkundsbeamtin ... In dem Rechtsstreit ... - Kläger und Berufungskl

Oberlandesgericht München Endurteil, 31. Juli 2015 - 10 U 4733/14

bei uns veröffentlicht am 31.07.2015

Tenor Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 35.000,- € festgesetzt. Gründe A. Die Klägerin macht gegen die Beklagten Ansprüche auf Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall geltend, wobei sie nun

Oberlandesgericht München Urteil, 20. Feb. 2015 - 10 U 1722/14

bei uns veröffentlicht am 20.02.2015

Tenor 1. Auf die Berufung des Klägers vom 05.05.2014 wird das Endurteil des LG München I vom 17.04.2014 (Az. 23 O 10821/12) samt dem ihm zugrundeliegenden Verfahren aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung a
5 Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren Oberlandesgericht München Endurteil, 26. Feb. 2016 - 10 U 153/15.

Oberlandesgericht München Endurteil, 01. Dez. 2017 - 10 U 2627/17

bei uns veröffentlicht am 01.12.2017

Tenor 1. Auf die Berufung der Beklagten vom 02.08.2017 wird das Endurteil des LG Ingolstadt vom 09.06.2017 samt dem ihm zugrundeliegenden Verfahren aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LG In

Oberlandesgericht München Endurteil, 13. Mai 2016 - 10 U 4529/15

bei uns veröffentlicht am 13.05.2016

Tenor Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 11.262,47 € festgesetzt. 1. Auf die Berufung des Klägers vom 08.12.2015, eingegangen am 09.12.2015, wird das Endurteil des LG München II vom 20.11.2015 (Az. 10 O 4044/14) sam

Oberlandesgericht München Endurteil, 26. Feb. 2016 - 10 U 153/15

bei uns veröffentlicht am 26.02.2016

Gründe OBERLANDESGERICHT MÜNCHEN Aktenzeichen: 10 U 153/15 Im Namen des Volkes Verkündet am 26.02.2016 33 O 101/14 LG Ingolstadt Die Urkundsbeamtin ... In dem Rechtsstreit ... - Kläger und Berufungskl

Oberlandesgericht München Endurteil, 21. Okt. 2016 - 10 U 2372/16

bei uns veröffentlicht am 21.10.2016

Tenor 1. Auf die Berufung des Klägers vom 30.05.2016 wird das Endurteil des LG München I vom 12.05.2016 samt dem ihm zugrunde liegenden Verfahren aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LG Münc

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Tenor

1. Auf die Berufung des Klägers vom 05.05.2014 wird das Endurteil des LG München I vom 17.04.2014 (Az. 23 O 10821/12) samt dem ihm zugrundeliegenden Verfahren aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LG München I zurückverwiesen.

2. Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens bleibt dem LG München I vorbehalten.

Gerichtsgebühren für die Berufungsinstanz sowie gerichtliche Gebühren und Auslagen, die durch das aufgehobene Urteil verursacht worden sind, werden nicht erhoben.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

A. Der Kläger macht gegen die Beklagte Ansprüche aus einem Fahrzeugvollversicherungsvertrag wegen eines selbstverschuldeten Unfalls geltend.

Das klägerische Fahrzeug Ferrari 355 war bei der Beklagten kaskoversichert. Der Kläger schloss für die Finanzierung des Kaufvertrags einen Darlehensvertrag bei der F. Bank ab (Anlage HFB 1). Er war der Halter des Fahrzeugs. Der Kläger ist von der Bank zur Prozessstandschaft ermächtigt worden (Anlage K 9). Die tatsächliche Nutzung des Fahrzeugs erfolgte durch den Sohn des Klägers, den Zeugen E. Cü.

Entgegen anders lautender Angaben in einer Schadensanzeige vom 04.10.2011 gegenüber der Beklagten behauptet der Kläger nun im vorliegenden Verfahren, es habe sich am 20.08.2011 gegen 13.40 Uhr in P./M. ein Unfall ereignet. Der Zeuge Ca. sei mit dem klägerischen Pkw im Ortsbereich auf einer asphaltierten ansteigenden Fahrbahn mit einer Geschwindigkeit von 30-50 km/h gefahren. Nach einer Kuppe im Bereich des Endes der ansteigenden Fahrbahn habe sich eine Rechtskurve befunden mit einem Winkel von ca. 45°. In dieser Rechtskurve habe sich auf der Fahrbahn nicht einsehbarer Schmutz und Sand befunden. Hierdurch sei das Fahrzeug ausgebrochen und gegen eine am rechten Fahrbahnrand befindliche betonierte Seitenbegrenzung geprallt. Das Fahrzeug sei im Frontbereich sowie im Bereich des rechten Kotflügels erheblich beschädigt worden. Soweit die Schadensmeldung ursprünglich anderslautend abgegeben worden sei, beruhe dies auf Missverständnissen. Der Sohn des Klägers habe dem Zeugen Os. das Fahrzeug als Freundschaftsdienst geliehen. Der Zeuge Os., Beifahrer während des Unfalls, habe dem Fahrer Ca. das Fahrzeug überlassen.

Die Beklagte bestreitet sowohl den Unfallhergang als auch die klägerische Behauptung, bei dem vorgestellten Unfall seien die geltend gemachten Schäden entstanden.

Hinsichtlich des Parteivortrags und der tatsächlichen Feststellungen erster Instanz wird im Übrigen auf das angefochtene Urteil vom 17.04.2014 (Bl. 161/169 d. A.) Bezug genommen (§ 540 I 1 Nr. 1 ZPO).

Das LG München I hat nach Beweisaufnahme die Klage abgewiesen.

Hinsichtlich der Erwägungen des Landgerichts wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug genommen. Das Erstgericht war zwar davon überzeugt, dass am 20.08.2011 der vom Kläger zuletzt behauptete Verkehrsunfall in P./M. stattfand und der Zeuge Ca. Fahrer des Fahrzeugs war, der Kläger habe jedoch nicht nachgewiesen, dass die von ihm geltend gemachten Schäden bei dem von ihm behaupteten Unfallhergang erfolgt seien können.

Gegen dieses dem Kläger am 25.04.2014 zugestellte Urteil hat der Kläger mit einem beim Oberlandesgericht München am 06.05.2014 eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt (Bl. 179/180 d. A.) und diese nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist mit einem beim Oberlandesgericht München am 25.07.2014 eingegangenen Schriftsatz (Bl. 190/204 d. A.) begründet. Der Sachvortrag mit Beweisangeboten zur Kausalität zwischen Unfall und Schäden wurde ergänzt mit Schriftsatz vom 05.08.2014 (Bl. 208/210 d. A.).

Der Kläger beantragt,

unter Abänderung des angefochtenen Urteils nach dem Antrag erster Instanz zu erkennen (Bl. 191 d. A.).

Hilfsweise:

Auf die Berufung des Klägers und Berufungsklägers wird das Urteil des Landgerichts München I vom 17.04.2014, Az. 23 O 10821/12 aufgehoben. Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Berufungsverfahrens, an das Landgericht München I zurückverwiesen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Ergänzend wird auf die vorgenannte Berufungsbegründungsschrift, die Berufungserwiderung vom 12.09.2014 (Bl. 230/233 d. A.), die Replik vom 05.08.2014 (Bl. 208/210 d. A.), die weiteren im Berufungsverfahren eingereichten Schriftsätze des Klägers vom 29.08.2014 (Bl. 215/222 d. A.) und vom 08.12.2014 (Bl. 236/242 d. A.) sowie die Sitzungsniederschrift vom 12.12.2014 (Bl. 243/245 d. A.) Bezug genommen.

B. Die statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte und begründete, somit zulässige Berufung hat in der Sache jedenfalls vorläufig Erfolg.

I. Das Landgericht hat nach derzeitigem Verfahrensstand zu Unrecht einen Anspruch des Klägers auf Versicherungsleistung aus einer Fahrzeugvollversicherung verneint.

Der Senat ist nach § 529 I Nr. 1 ZPO an die Beweiswürdigung des Erstgerichts nur dann gebunden, wenn keine konkreten Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit der Beweiswürdigung vorgetragen werden.

Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit der Beweiswürdigung sind ein unrichtiges Beweismaß, Verstöße gegen Denk- und Naturgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze, Widersprüche zwischen einer protokollierten Aussage und den Urteilsgründen sowie Mängel der Darstellung des Meinungsbildungsprozesses wie Lückenhaftigkeit oder Widersprüche, vgl. zuletzt BGH VersR 2005, 945; Senat in st. Rspr., etwa Urt. v. 09.10.2009 - 10 U 2965/09 [juris] und zuletzt Urt. v. 21.06.2013 - 10 U 1206/13). Konkreter Anhaltspunkt in diesem Sinn ist jeder objektivierbare rechtliche oder tatsächliche Einwand gegen die erstinstanzlichen Feststellungen (BGHZ 159, 254 [258]; NJW 2006, 152 [153]; Senat a. a. O.); bloß subjektive Zweifel, lediglich abstrakte Erwägungen oder Vermutungen der Unrichtigkeit ohne greifbare Anhaltspunkte genügen nicht (BGH a. a. O.; Senat a. a. O.).

Ein solcher konkreter Anhaltspunkt für die Unrichtigkeit der erstinstanzlichen Beweiswürdigung ist von der Berufung aufgezeigt worden und liegt auch im Übrigen vor.

Unklar ist, welches Beweismaß das Erstgericht zugrunde gelegt hat.

Nach § 286 I 1 ZPO hat das Gericht unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlung und des Ergebnisses einer Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder nicht wahr zu erachten ist. Diese Überzeugung des Richters erfordert keine - ohnehin nicht erreichbare (vgl. RGZ 15, 339; Senat NZV 2006, 261; Urt. v. 28.07.2006 - 10 U 1684/06 [juris], st. Rspr., zuletzt Urt. v. 11.06.2010 - 10 U 2282/10 [juris = NJW-Spezial 2010, 489 f. m. zust. Anm. Heß/Burmann und Urt. v. 21.06.2013 - 10 U 1206/13) - absolute oder unumstößliche, gleichsam mathematische Gewissheit und auch keine „an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit“, sondern nur einen für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit, der Zweifeln Schweigen gebietet (grdl. BGHZ 53, 245 [256] = NJW 1970, 946, st. Rspr., insbesondere NJW 1992, 39 [40] und zuletzt VersR 2007, 1429 [1431 unter II 2]; Senat NZV 2003, 474 [475] [Revision vom BGH durch Beschl. v. 01.04.2003 - VI ZR 156/02 nicht angenommen]; NZV 2006, 261; Urt. v. 28.07.2006 - 10 U 1684/06 [juris], st. Rspr., zuletzt Urt. v. 11.06.2010 - 10 U 2282/10 [juris = NJW-Spezial 2010, 489 f. m. zust. Anm. Heß/Burmann] und Urt. v. 21.06.2013 - 10 U 1206/13).

Bei Zugrundelegung des hier einschlägigen Beweismaßes des § 286 I ZPO ist die Beweiswürdigung des Landgerichts, worauf der Berufungskläger zutreffend hingewiesen hat, rechtsfehlerhaft.

Wenn sich das Erstgericht nach der durchgeführten Beweisaufnahme davon überzeugt hat, dass der vom Kläger behauptete Verkehrsunfall am 20.08.2011 in P./M. stattfand und der Zeuge Ca. der Fahrer des beim Beklagten versicherten Ferrari war, die Angaben der Zeugen Ca. und O. zum Unfallhergang insoweit glaubhaft und die Zeugen glaubwürdig waren (so S. 6 des Ersturteils) und das Landgericht dem Sachverständigen folgt, dass bei Unterstellung dieser glaubhaften Aussagen (die Ungenauigkeit zur Geschwindigkeit und den Fahrbahnverhältnissen liegt tatsächlich nicht vor) die behaupteten Unfallschäden vorstellbar sind (so S. 7 des Ersturteils), ist die Schlussfolgerung, der Kläger hätte die erforderlichen Anknüpfungstatsachen für den behaupteten Unfall nicht nachgewiesen, nicht zutreffend.

Die Beweiswürdigung des Landgerichts ist fehlerbehaftet. Unterstellt man die Beweiswürdigung des Landgerichts, gibt es keine durchgreifenden Anhaltspunkte dafür, weswegen bei Anlegung des Beweismaßstabs des § 286 I ZPO keine für das praktische Leben brauchbare Gewissheit dafür bestehen soll, dass die behaupteten Schäden beim vorgetragenen Unfall verursacht worden sein sollen. Dies ergibt sich schon daraus, dass der Frage nicht nachgegangen wurde, weshalb trotz des geglaubten Unfallgeschehens die Schäden bei einem anderen Schadensereignis hervorgerufen worden sein sollen.

Unverständlich bleibt, weshalb das Erstgericht auf Seite 6 des Ersturteils die Angaben der Zeugen zum Unfallhergang als glaubhaft bezeichnet, die Angaben zu den Geschwindigkeiten und den Fahrbahnzustand dann aber als Vermutungen und unzureichend abtut. Dies ist mit den Zeugenaussagen, soweit sie protokolliert wurden, nicht vereinbar. Der Zeuge Ca. hat Angaben zum Fahrbahnzustand gemacht, wobei es sich insoweit nicht nur um Vermutungen handelte (…dann sind wir ins Schleudern gekommen wegen dem Kies…“). Der Berufungskläger hat zutreffend darauf hingewiesen, dass der Zeuge O. ausgeführt hat, man sei nicht schnell gefahren, so dass ohne weiteres die Annahme des Sachverständigen Unfug, der bei dem Unfall innerorts einen Geschwindigkeitsbereich von 30 - 50 km/h für plausibel gehalten hat (Bl. 130f. d. A.), herangezogen werden hätte können. Das Erstgericht hat auch unter Verstoß gegen § 139 I ZPO nicht darauf hingewiesen, dass es diese Frage für maßgeblich hält und somit dem Kläger die Möglichkeit genommen, eine ergänzende Befragung der Zeugen zu beantragen oder weitere Zeugen (zum Fahrbahnzustand) zu benennen (wie jetzt in der Berufungsinstanz erfolgt).

Bezüglich der Frage, ob die behaupteten Schäden bei dem vom Landgericht festgestellten Unfall hervorgerufen wurden, hat das Landgericht die Voraussetzungen des Nachweises überzogen, zumindest bei Unterstellung der Zweifel des Erstgerichts dann erforderliche Beweise nicht erholt, Beweisanträge übergangen bzw. mangels Hinweise mögliche Beweisanträge des Klägers vereitelt.

Hierbei ist von Bedeutung, dass die einvernommenen Zeugen O. und Ca. den Unfallverlauf geschildert und damit auch Aussagen getroffen haben, wo in etwa Schäden am Fahrzeug des Klägers zu erwarten sein würden. Weiter ist zu beachten, dass ein DEKRA-Gutachten hinsichtlich der behaupteten Schäden vorliegt (Anlage K 2), das von der Beklagten in Auftrag gegeben wurde, in dem die Schäden als plausibel dargestellt wurden.

Der Sachverständige Unfug hat in seinem Gutachten vom 11.11.2013 (dort auf S. 7 = Bl. 132 d. A.) ausgeführt: „Die Zeugenaussagen und das DEKRA-Gutachten deuten zumindest darauf hin, dass sich der Unfall so wie geschildert abgespielt hat. Aus technischer Sicht ist es auf jeden Fall möglich, dass sich der Unfall so zugetragen hat, wie vom Unterzeichner oben ausführlich beschrieben wurde.“ Diese Angaben sind zu beurteilen im Lichte der im Beschluss vom 05.06.2013 (Bl. 99/102 d. A.) getätigten Vorgaben gemäß § 404a ZPO. Da das Erstgericht den Zeugen den vom Kläger zuletzt behaupteten Unfallhergang geglaubt hat, ist angesichts der Ausführungen des Sachverständigen nur wenig überzeugend, eine Kausalität zwischen dem Unfall und den im DEKRA-Gutachten festgehaltenen Schäden zu verneinen. Einer mathematischen Gewissheit bedarf es bei § 286 I ZPO gerade nicht (s.o.). Da das Erstgericht dennoch Zweifel hatte, hätte es dann aber nicht sofort entscheiden dürfen, sondern musste die Zeugen dazu befragen, ob das Fahrzeug vor dem Unfall, von dem sich das Landgericht überzeugt, Schäden aufwies, sodann, welche Schäden nach Unfall vorhanden waren. Weiter hätte das Landgericht den vom Kläger zum Beweis für die Zuordenbarkeit und Plausibiltät der Schäden angebotenen sachverständigen Zeugen Franz M. (vgl. Bl. 4 d. A.) befragen müssen, da dieser das verunfallte Fahrzeug - im Gegensatz zum Sachverständigen Unfug (vgl. Bl. 129 d. A.) - noch untersuchen konnte.

Das Erstgericht hat, obwohl ausweislich des Ersturteils nur wenige Anknüpfungstatsachen vorhanden sind, die Parteien und Zeugen nicht in Gegenwart des Sachverständigen angehört bzw. vernommen, obwohl dies regelmäßig angezeigt ist (Senat, Beschl. v. 22.09.2014 - 10 W 1643/14; Balzer, Beweisaufnahme und Beweiswürdigung im Zivilprozess, 2. Aufl. 2005, Rz. 211; Bayerlein/Franzki, Praxis-Handbuch Sachverständigenrecht, 4. Aufl. 2008, § 52 Rz. 37, 40; Krumbholz, Juristische Fragestellungen, in: Buck/Krumbholz, Sachverständigenbeweis im Verkehrsrecht, 2. Aufl. 2013, § 2 Rz. 31; Hk-ZPO/Eichele, 5. Aufl. 2013, § 404 a Rz. 4). Damit hat es die möglicherweise nur eingeschränkten Aufklärungsmöglichkeiten noch weiter verkürzt.

Aus den vorstehenden Gründen ergibt sich, dass das Ersturteil keinen Bestand haben kann. Eine Abweisung der Klage mit der Begründung, der Kläger hätte den Beweis der Kausalität des Unfalls für die behaupteten Beschädigungen nicht erbracht, ist aufgrund der vom Landgericht festgestellten Tatsachen, nicht haltbar.

II. Der Senat hat eine eigene Sachentscheidung nach § 538 I ZPO erwogen, sich aber aus folgenden Gründen dagegen entschieden:

1. Ein unberechtigtes Übergehen eines Beweisantrags stellt einen Verstoß gegen die Pflicht zur Erschöpfung der Beweismittel als Ausfluss der Pflicht zur Gewährung rechtlichen Gehörs gemäß Art. 103 Abs. 1 GG dar (BVerfGE 50, 32 = NJW 1979, 413; BVerfGE 60, 247 [249]; 69, 145 = NJW 1985, 1150; BVerfG NJW 2003, 125 [127]; NJW 2005, 1487; BGH NJW-RR 2008, 414; Beschl. v. 28.04.2011 - V ZR 220/10 [juris, dort Rz. 11 ff.]; v. 21.07.2011 - IV ZR 216/09 [juris]; OLG München SchiedsVZ 2011, 230 ff.) und begründet, da es sich bei dem Gebot der Ausschöpfung der angebotenen Beweise um das Kernstück des Zivilprozesses handelt (Senat NJW 1972, 2048 [2049]), einen wesentlichen Verfahrensmangel im Sinne § 538 II 1 Nr.1 ZPO dar (BGH NJW 1951, 481 [482]; VersR 2011, 1392 [1394 unter Tz. 21]; Senat NJW 1972, 2048; Urt. v. 05.02.2008 - 30 U 563/07 [juris, dort Rz. 26]; v. 25.09.2009 - 10 U 5684/08 (juris, dort Rz. 21 mit zustimmender Anmerkung Krämer jurisPR-VerkR 2/2010 Anm. 5); v. 17.12.2010 - 10 U 1753/10 (juris, dort Rz. 25); v. 26.10.2011 - 3 U 1548/11 [juris, dort Rz. 26]; v. 18.11.2011 - 10 U 405/11 [juris, dort Rz. 33]; v. 10.02.2012 - 10 U 4147/11 [juris, dort Rz. 8]; OLG München, Urt. v. 25.04.2012 - 3 U 4323/11 [juris, dort Rz. 60]; OLG Frankfurt a. M., Urt. v. 28.04.2010 - 9 U 133/09 [juris, dort Rz. 29]; NJW-RR 2010, 1689; KG, Urt. v. 14.02.2010 - 12 U 67/10 [juris]; Beschl. v. 02.08.2010 - 12 U 49/10 [Juris, dort Rz. 52]; OLG Zweibrücken NJW-RR 2011, 496 [498]; NZV 2012, 295 [296 a. E.]; OLG Jena NJW 2012, 2357 f.; OLG Naumburg NJW-RR 2012, 1535 [1536]; Wieczorek/Schütze/Gerken, ZPO, 3. Aufl. 2004, § 538 Rz. 27; Zöller/Heßler, ZPO, 30. Aufl. 2014, § 538 Rz. 25).

Eine Beweisaufnahme in dem vorstehend beschriebenen Umfang wäre umfangreich i. S. d. § 538 II 1 Nr. 1 ZPO und würde den Senat zu einer mit der Funktion eines Rechtsmittelgerichts unvereinbaren vollständigen Wiederholung und Ergänzung des erstinstanzlichen Verfahrens (Senat VersR 2011, 549 ff.) zwingen. Hinzu kommt weiter, dass der Kläger nunmehr zu der Behauptung, dass das Fahrzeug unbeschädigt war und nach dem Unfall die im Schriftsatz vom 05.08.2014 (Bl. 209 d. A.) aufgeführten Schäden aufwies, 4 weitere Zeugen benannt hat.

2. Die erheblich fehlerhafte Beweiswürdigung stellt ebenfalls einen Verfahrensverstoß dar, welcher zur Zurückverweisung gem. § 538 II 1 Nr. 1 ZPO berechtigt (BGH NJW 1957, 714 = ZZP 71 [1957] 470; OLG Köln VersR 1977, 577; 1997, 712; Senat, Urt. v. 14.07.2006 - 10 U 5624/05 [juris]; v. 01.12.2006 - 10 U 4328/06; v. 04.09.2009 - 10 U 3291/09; v. 06.11.2009 - 10 U 3254/09; v. 19.03.2010 - 10 U 3870/09 [juris, dort Rz. 23]; v. 25.06.2010 - 10 U 1847/10 [juris, dort Rz. 13]; VersR 2011, 549 ff.; v. 22.07.2011 - 10 U 1481/11 [juris, dort Rz. 8]; OLG Bremen OLGR 2009, 352; Wieczorek/Rössler, ZPO, 2. Aufl. 1988, § 539 Anm. B III d; Zöller/Heßler, ZPO, 30. Aufl. 2014, § 538 Rz. 28).

3. Der durch die Zurückverweisung entstehende grundsätzliche Nachteil, dass eine gewisse Verzögerung und Verteuerung des Prozesses eintritt, muss hingenommen werden, wenn es darum geht, dass ein ordnungsgemäßes Verfahren in erster Instanz nachzuholen ist und dass den Parteien die vom Gesetz zur Verfügung gestellten zwei Tatsachenrechtszüge voll erhalten bleiben (Senat NJW 1972, 2048 [2049]; OLG Naumburg NJW-RR 2012, 1535 [1536]); eine schnellere Erledigung des Rechtsstreits durch den Senat ist im Übrigen angesichts seiner Geschäftsbelastung vorliegend nicht zu erwarten.

Die Frage der Zurückverweisung wurde auch in der mündlichen Verhandlung mit den Parteivertretern ausführlich erörtert (vgl. Bl. 244 d. A.). Beide Parteivertreter sind einer Zurückverweisung nicht entgegengetreten, der Kläger hat dies ausdrücklich beantragt.

4. Für das weitere Verfahren ist jedoch darauf hinzuweisen, dass die Beweiswürdigung des Landgerichts über die vom Kläger gerügten Punkte hinaus fehlerhaft erscheint. Derzeit kann nicht nachvollzogen werden, weshalb das Erstgericht bei der Frage der Beweiswürdigung der Aussagen der Zeugen Ca. und O. die Tatsache, dass die Zeugen zum Unfallhergang gerade nicht übereinstimmende, sondern sogar konträre Aussagen machten, und die im unstreitigen Tatbestand aufgeführten unstreitigen Auffälligkeiten der früheren Angaben gegenüber der Versicherung hinsichtlich des Unfallhergangs, des Unfallzeitpunkts, des Unfallorts und des Unfallfahrers bei der Frage der Würdigung der Zeugenaussagen völlig missachtet hat. Es fehlt jegliche Überprüfung, ob die vom Kläger dargelegten Gründe für die gegenüber der Versicherung fehlerhaft gemachten Angaben plausibel sind bzw. inwieweit dies die Glaubhaftigkeit der Aussagen und die Glaubwürdigkeit der Zeugen erschüttert. Das Landgericht ist weiter ausweislich des Urteils der naheliegenden Frage nicht nachgegangen, wonach sich eine Berechtigung des angeblichen Fahrers Ca., das Fahrzeug führen zu dürfen, selbst nach dem Vortrag des Klägers (vgl. S. 3 des Ersturteils) nicht erschließt. Danach hat der Kläger das Fahrzeug seinem Sohn und dieser dem Zeugen O. das Fahrzeug geliehen, nicht aber dem Zeugen Ca. Die nicht weiter erläuterte Erklärung des Landgerichts, es sei nicht erkennbar, welches Interesse die Zeugen haben sollten, falsche Angaben zum Unfallhergang zu machen, ist angesichts der aufgezeigten Umstände nicht überzeugend. Geradezu ins Auge springt der Aspekt, dass die Zeugen als Schadensverursacher bei einem angerichteten Schaden von 29.000,00 € ein erhebliches Interesse haben, dass die Beklagte den Schaden begleicht und nicht sie selbst als Fahrer oder Entleiher in die Haftung kommen. Die Negierung dieses wirtschaftlichen Interesses der Zeugen allein macht die Beweiswürdigung unverständlich.

Entsprechend den vorstehenden Ausführungen wird es deshalb für die Entscheidung wesentlich darauf ankommen, die Glaubwürdigkeit der Zeugen zu beurteilen. Ein Richterwechsel nach einer Beweisaufnahme erfordert zwar nicht grundsätzlich deren Wiederholung (BGHZ 53, 245 [257] = NJW 1970, 946; NJW 1991, 1180; OLG München NJW-RR 2008, 1523). Frühere Zeugenaussagen können im Wege des Urkundenbeweises durch Auswertung des Vernehmungsprotokolls verwertet werden. Das Gericht darf bei der Beweiswürdigung aber nur das berücksichtigen, was aktenkundig ist und wozu die Parteien sich erklären können. Eindrücke, die nicht in das Verhandlungsprotokoll aufgenommen seien, dürfen daher nach einem Richterwechsel bei der Entscheidung nicht verwertet werden (BGH NJW 1991, 1180; NJW 1997, 1586). In einem Fall wie dem Vorliegenden reicht es daher nicht aus, nur um sich die erneute Vernehmung der von der Referatsvorgängerin einvernommenen Zeugen zu ersparen, ohne fundierte Beweiswürdigung den Zeugen „einfach“ pauschal alles zu glauben. Es bedarf daher einer vollständigen Wiederholung und Ergänzung der Beweisaufnahme.

Das LG München I hat mit Beweisbeschluss vom 05.06.2013 (Bl. 99/101 d. A.), berichtigt durch Beschluss vom 01.07.2013 (Bl. 107/108 d. A.), aus nicht bekannten Gründen den „öffentlich bestellten und beeidigten Sachverständigen für das Kraftfahrzeugmechanikerhandwerk“ (vgl. http://www...de/...html) H. U. mit der Erstellung u. a. eines unfallanalytischen Gutachtens beauftragt und damit gegen § 404 II ZPO (vgl. dazu auch Senat SP 2012, 111) verstoßen. Ein Abweichen von dieser Vorschrift ist nur im Einzelfall und aus besonderen Umständen erlaubt, welche vom Gericht eingehend zu prüfen und im Urteil darzulegen sind (vgl. nur BGH NJW-RR 1998, 1117 [1118 unter II 1]; 2011, 649; MDR 2012, 916 und 2013, 1282); beides ist hier nicht geschehen. Es erscheint daher sachgerecht, einen auch für Unfallanalyse öffentlich bestellt und allgemein vereidigten Sachverständigen zu beauftragen.

III. Die Kostenentscheidung war dem Erstgericht vorzubehalten, da der endgültige Erfolg der Berufung erst nach der abschließenden Entscheidung beurteilt werden kann (OLG Köln NJW-RR 1987, 1032; Senat in st. Rspr., zuletzt VersR 2011, 549 ff. und NJW 2011, 3729).

Die Gerichtskosten waren gem. § 21 I 1 GKG niederzuschlagen, weil ein wesentlicher Verfahrensmangel, welcher allein gem. § 538 II 1 Nr. 1 ZPO zur Aufhebung und Zurückverweisung führen kann, denknotwendig eine unrichtige Sachbehandlung i. S. des § 21 I 1 GKG darstellt. Dies gilt insbesondere bei einem - hier gegebenen - offensichtlichen Versehen (BGH NJW 1962, 2107; BGHZ 98, 318 [320]; BGH, Beschl. v. 27.01.1994 - V ZR 7/92 [juris]; NJW-RR 2003, 1294; OLG Köln NJW 2004, 521; Senat in st. Rspr., zuletzt u. a. VersR 2011, 549 ff. und NJW 2011, 3729; ferner OLG München, Urt. v. 11.07.2013 - 23 U 695/13 [juris, dort Rz. 22 für unzulässiges Teilurteil und Übergehen von Beweisanträgen]).

IV. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Ersturteils und dieses Urteils folgt aus § 708 Nr. 10 ZPO. Auch im Falle einer Aufhebung und Zurückverweisung ist im Hinblick auf die §§ 775 Nr. 1, 776 ZPO ein Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit geboten (BGH JZ 1977, 232; Senat in st. Rspr., zuletzt u. a. VersR 2011, 549 ff. und NJW 2011, 3729), allerdings ohne Abwendungsbefugnis (Senat a. a. O.).

V. Die Revision war nicht zuzulassen. Gründe, die die Zulassung der Revision gem. § 543 II 1 ZPO rechtfertigen würden, sind nicht gegeben. Mit Rücksicht darauf, dass die Entscheidung einen Einzelfall betrifft, ohne von der höchst- oder obergerichtlichen Rechtsprechung abzuweichen, kommt der Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung zu noch erfordern die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts.

Tenor

Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 35.000,- € festgesetzt.

Gründe

A.

Die Klägerin macht gegen die Beklagten Ansprüche auf Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall geltend, wobei sie nun ein Mitverschulden von 30 Prozent einräumt. Sie verlangt ein verzinstes angemessenes Schmerzensgeld, beziffert mit mindestens 14.000,- €, sowie die Feststellung der Ersatzpflicht für jegliche künftige materielle Schäden zu 70 Prozent, für künftige immaterielle Schäden unter Berücksichtigung eines Mitverschuldens von 30 Prozent.

Zugrunde liegt ein Zusammenstoß am 23.05.2011 gegen 15.20 Uhr zwischen der damals elfjährigen Klägerin als Tretrollerfahrerin und dem bei der Beklagten zu 2) haftpflichtversicherten Pkw VW Polo, amtliches Kennzeichen EBE - …, zum Unfallzeitpunkt gefahren von der Beklagten zu 1). Der Unfall ereignete sich auf der A.-Straße in F., bei Kilometer 0.274 oder Abschnitt 740. Die Klägerin wurde vom Fahrzeug der Beklagten erfasst, als sie versuchte, vom in Fahrtrichtung der Beklagten zu 1) rechten Gehweg kommend auf Höhe einer Überquerungshilfe die Straße nach links zu überqueren. Sie wurde schwer verletzt und macht heute noch bestehende Beeinträchtigungen aufgrund der Unfallfolgen, insbesondere eine therapiebedürftige posttraumatische Depression, geltend. Hinsichtlich des Parteivortrags und der tatsächlichen Feststellungen erster Instanz wird auf das angefochtene Urteil vom 06.11.2014 (Bl. 71/78 d. A.) Bezug genommen (§ 540 I 1 Nr. 1 ZPO).

Das Landgericht München I hat nach Beweisaufnahme die Klage vollständig abgewiesen, weil die Beklagte zu 1) den Unfall nicht zu vertreten habe und selbst die Betriebsgefahr des Fahrzeugs hinter dem groben Mitverschulden der Klägerin zurücktrete. Hinsichtlich der Erwägungen des Landgerichts wird auf die Entscheidungsgründe (Bl. 75/78 d. A.) des angefochtenen Urteils verwiesen.

Gegen dieses ihr am 13.11.2014 zugestellte Urteil hat die Kläger mit beim Oberlandesgericht München am 15.12.2014 eingegangenen Schriftsatz vom gleichen Tag Berufung eingelegt (Bl. 88/89 d. A.) und diese mit Schriftsatz vom 13.01.2015, eingegangen am gleichen Tag, begründet (Bl. 93/99 d. A.).

Die Klägerin beantragt, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils,

- die Beklagten samtverbindlich zu verurteilen, an die Klägerin ein angemessenes Schmerzensgeld, mindestens jedoch 14.000,- €, zu bezahlen, nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 12.03.2012,

- die Beklagten samtverbindlich zu verurteilen, an die Klägerin vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.698,13 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 08.03.2012 zu bezahlen,

- festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin jeden weiteren materiellen Schaden aus dem Unfallereignis vom 23.05.2011 in Feldkirchen zu 70 Prozent zu ersetzen, jeden weiteren immateriellen Schaden unter Berücksichtigung ihres Mitverschuldens von 30 Prozent, jeweils soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergehen oder übergegangen sind.

Die Beklagten beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Senat hat gemäß Beschluss vom 18.06.2015 mit Zustimmung der Parteien schriftlich entschieden, § 128 II ZPO (Bl. 118/119); als Zeitpunkt, bis zu dem Schriftsätze eingereicht werden können, wurde zuletzt mit Beschluss vom 10.07.2015 der 24.07.2015 bestimmt (Bl. 121/122 d. A.). Die Klägerin hat ergänzend hilfsweise beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückzuverweisen (Schriftsatz v. 15.06.2015, Bl. 117 d. A.), die Beklagten haben sich dem angeschlossen (Schriftsatz v. 15.06.2015, Bl. 112/116 d. A.).

Ergänzend wird auf die vorgenannte Berufungsbegründungsschrift, die Berufungserwiderung vom 15.06.2015 (Bl. 112/116 d. A.) und die Hinweisverfügung des Senatsvorsitzenden vom 12.05.2015 (Bl. 100/110 d. A.) Bezug genommen.

B.

Die statthafte, sowie form- und fristgerecht eingelegte und begründete, somit zulässige Berufung hat in der Sache vorläufig Erfolg.

I.

Das Landgericht hat entschieden, dass grundsätzlich bestehende Schadensersatzansprüche der Klägerin aus straßenverkehrsrechtlicher Verschuldenshaftung (§ 18 I StVG) der bei der Beklagten zu 2) kraftfahrzeughaftpflichtversicherten Beklagten zu 1) mangels Verschuldens entfallen (EU 5, 7 = Bl. 75, 77 d. A.), und selbst die Betriebsgefahr des Fahrzeugs wegen des weit überwiegenden Mitverschuldens der Klägerin zurückzutreten habe (EU 5, 7/8 = Bl. 75, 77/78 d. A.). Das Erstgericht hat sich davon überzeugt, dass die Klägerin den Unfall und damit ihren Schaden fast ausschließlich selbst verursacht und allein verschuldet habe, weil sie als Fußgängerin unaufmerksam, überraschend und ohne nachvollziehbaren Grund die Fahrbahn der Straße überquert und dabei den dortigen Vorrang des Kraftfahrzeugverkehrs missachtet habe (EU 5/8 = Bl. 75/78 d. A.).

Diese Ergebnisse entbehren nach dem bisherigen Sach- und Streitstand angesichts einerseits lückenhafter Beweiserhebung und unzulänglicher Beweiswürdigung, andererseits fehlerhafter Rechtsanwendung einer überzeugenden oder auch nur ausreichenden Grundlage.

1. Das Ersturteil hat die für den Streitgegenstand entscheidungserheblichen Tatsachen (unstreitiger Tatbestand einerseits, BGH NJW 2011, 3299 [3300]; WM 2011, 309; OLG Rostock, MDR 2011, 217, Beweisaufnahme und Beweiswürdigung andererseits, Senat, Urt. v. 24.01.2014 - 10 U 1673/13 [juris, Rz. 16]) verfahrensfehlerhaft nicht vollständig festgestellt. Deswegen weist die Tatsachenfeststellung offensichtliche Lücken, Widersprüche oder Unrichtigkeiten auf, so dass der Senat nicht nach § 529 I Nr. 1 ZPO gebunden (BGH NJW 2005, 1583 [1585]), und eine erneute Sachprüfung eröffnet ist. Die Klägerin liefert - wenigsten zum Teil - konkrete Anhaltspunkte (BB 4/6 = Bl. 96/98 d. A.), die Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der Beweiserhebung und -würdigung wecken (BGH r + s 2003, 522), im Übrigen offenbaren sich Mängel aufgrund der vom Senat von Amts wegen vorzunehmenden (so etwa BGH [V. ZS] NJW 2004, 1876; [VI. ZS] NJW 2014, 2797 ohne nähere Begründung) Überprüfung.

a) Die Beweiserhebung des Erstgerichts zu beanstanden, weil eine umfassende und sachgerechte Aufklärung des Unfallgeschehens (BGH NJW-RR 2011, 428, [429, Rn. 9]; NZV 2000, 504; NJW 2004, 1871; NJW 2009, 2604 [2605 ]; Senat, Urt. v. 14.03.2014 - 10 U 2996/13 [juris]; v. 27.01.2012 - 10 U 3065/11 [juris]; v. 10.02.2012 - 10 U 4147/11 [juris]) unterblieben ist, und somit gegen die Verpflichtung verstoßen wurde, den zur Entscheidung unterbreiteten Sachverhalt auszuschöpfen und sämtlichen Unklarheiten, Zweifeln oder Widersprüchen von Amts wegen nachzugehen (BGH NJW 2009, 2604; NJW-RR 2011, 428).

aa) Das Erstgericht hat zum Haftungsgrund Beweis erhoben durch Erholung eines unfallanalytischen Gutachten (Beweisbeschluss v. 04.07.2013, Bl. 32 d. A.), sowie durch Vernehmung der Zeugen Marlene E. und Josef L. (Protokoll d. mdl. Verhandlung v. 06.02.2014, S. 3-5 = Bl. 47/49 d. A.; EU 4 = Bl. 74 d. A.). Darüber hinaus wurde, durchaus sachgerecht, die persönliche Anhörung der Klägerin und der Beklagten zu 1) gemäß § 141 I, II ZPO durchgeführt (Protokoll d. mdl. Verhandlung v. 06.02.2014, S. 2/3 = Bl. 46/47 d. A.). Angesichts der grundsätzlichen Bedeutung der Parteianhörung in Schadensersatzfällen (BGH NJW 2015, 74), insbesondere wenn der Ablauf eines Verkehrsunfalls streitig ist (BGH NJW 2013, 2601 [2602 [10, 11]]), sind die Befragungen jedoch zu kursorisch geraten und klären entscheidende Umstände des Unfalls nicht.

- Hinsichtlich der Klägerin wäre die gesamte Annäherung an die Unfallstelle vom Ort des Fahrtbeginns, das beabsichtigte Fahrtziel und das Fahrverhalten, insbesondere auf dem Gehweg ab dem Kreisverkehr, zu erfragen, und mit den Angaben der Beklagten zu 1) und der Zeugin Marlene E. abzugleichen gewesen. Zudem wäre durch Vorhalte zu klären gewesen, wie die Klägerin angehalten und die Fahrbahn beobachtet, und dennoch geglaubt haben will, die Fahrbahn ohne Gefahr überschreiten zu können. Zuletzt wären Größe und Gewicht zum Unfallzeitpunkt zu ermitteln gewesen (die in Rücksicht auf die mündliche Verhandlung „heutigen“ Daten (Bl. 47 d. A.) sind weniger wichtig), weil diese entscheidende Anknüpfungspunkte für die Berechnungen des Sachverständigen bildeten.

- Die Angaben der Beklagten zu 1) enthalten einen nicht aufgelösten Widerspruch, soweit sie „ca. 30 bis 50 Meter vor der späteren Unfallstelle … zum ersten Mal bewusst die Kinder … gesehen habe“, andererseits erklärt hatte, „… zu dem Zeitpunkt, als ich die Kinder zum ersten Mal gesehen habe, waren sie ca. 10 Meter vor meinem Fahrzeug“. Auch insoweit wäre eine vollständige Beschreibung der Annäherung sowohl der Kinder, als auch der Beklagten zu 1) selbst an die spätere Unfallstelle ab dem Zeitpunkt des Verlassens des Kreisverkehrs notwendig gewesen, zumal, wie aus den Lichtbildern ersichtlich, Fahrbahn und Gehweg übersichtlich sind und wegen des Gefälles höhere Geschwindigkeiten und verlängerte Bremswege entstehen können. Dies gilt umso mehr, als sich die Beklagte zu 1) in der gegen die Klägerin geführten Unfallanzeige durchaus als Zeugin geäußert und eine Vorgangsschilderung abgegeben hat, die hinsichtlich der Einzelheiten noch ungenauer als die gerichtliche Darstellung ist, und mangelnde Beobachtung und Aufmerksamkeit nicht ausgeschlossen erscheinen lässt (Ermittlungsakten, Bl. 24 d. A.). Zuletzt wäre klärungsbedürftig gewesen, welche Vorstellungen sich die Beklagte zu 1) hinsichtlich der für jeden Verkehrsteilnehmer klar erkennbaren Verkehrsinsel mit Überquerungshilfe gemacht hat, und anhand welcher Umstände sie die die Annahme getroffen hat, die Klägerin werde diesen Weg nicht wählen. Nach vorläufiger Einschätzung des Senats sprach jedenfalls keine höhere Wahrscheinlichkeit dafür, dass die Klägerin auf dem Gehweg geradeaus weiterfahren werde, als dass sie die Straßenseite werde wechseln wollen.

- Damit wurde dem Gutachter und dem Gericht die Möglichkeit genommen, die jeweilige unmittelbare Unfalldarstellung zu erweitern und zu präzisieren, die Parteien ergänzend zu befragen und weitere Anknüpfungspunkte zu gewinnen. Weiterhin wurde die Verpflichtung eingeschränkt, das Gutachten von Amts wegen auf seine Vollständigkeit und Richtigkeit zu überprüfen, und mit den Schilderungen der Parteien abzugleichen.

bb) Das Erstgericht hat die Ermittlungsakten (455 Js 165967/11 d. Staatsanwaltschaft München I) beigezogen (EU 4 = Bl. 74 d. A.), jedoch nur unzulässig summarisch (BGH LM § 295 ZPO Nr. 9 = BeckRS 1954, 31397883) darauf Bezug genommen. Deswegen ist nicht erkennbar, ob eine Partei sich auf welche bestimmte Urkunden bezogen hat, und welche Aktenbestandteile wie verwertet wurden. Dies wäre jedoch schon deswegen klärungsbedürftig gewesen, weil eine Unfallschilderung der Beklagten zu 1) vorliegt (Bl. 24 d. A. 455 Js 165967/11), die vorzuhalten gewesen wäre.

cc) Das in erster Instanz erstellte unfallanalytische Sachverständigengutachten (Bl. 56 d. A.) berücksichtigt die für die Klägerin und gegen die Beklagten wirkende Anscheinsbeweislage nicht und klärt deswegen entscheidungserhebliche Fragen nicht sachgerecht.

Zum Ersten hätte der Sachverständige zunächst jegliche für die Klägerin günstigsten Daten und Werte zugrunde legen müssen, denn mit dem Sachvortrag einer Unfallschädigung eines Kindes im Straßenverkehr hat die Klägerin ausreichende, sowie vorliegend unstreitige Tatsachen vorgetragen, die eine Anscheinsbeweislage begründen. Diese wäre als Element der Beweiswürdigung von Amts wegen zu berücksichtigen (etwa Senat, Urt. v. 14.02.2014 - 10 U 2815/13 [juris]; v. 14.03.2014 - 10 U 4774/13 [juris]; v. 25.04.2014 - 10 U 1886/13 [juris]), so dass die Beklagten damit belastet gewesen wären, diesen Anscheinsbeweis zu entkräften oder zu „erschüttern“ durch Darlegung einer ernsthaften Möglichkeit eines anderen als des erfahrungsgemäßen Geschehensablaufs (BGH DAR 1985, 316), dessen Tatsachen unstreitig oder bewiesen sein müssten (BGH NJW 1953, 584).

Zum Zweiten errechnet der Sachverständige die höchstmögliche Ausgangsgeschwindigkeit der Beklagten zu 1) von 43 km/h mittels einer Reaktionsverzögerung von 0,8 Sekunden aufgrund der Annahme, die Beklagte zu 1) habe erst zum Zeitpunkt des Anstoßes reagiert. Eine derartige Annahme wirkt zugunsten der Beklagten und zulasten der Klägerin, was nach den Anscheinsbeweisregeln nicht statthaft ist. Im Übrigen ist kaum vorstellbar und erklärlich, dass die Beklagte zu 1) die Annäherung der Klägerin überhaupt nicht wahrgenommen habe, es sei denn, sie hätte auf Kinder auf dem Gehweg überhaupt nicht mehr geachtet. Rechnet man beispielsweise mit einer um 0,4 Sekunden früheren Reaktion der Beklagten zu 1), kann unter sonst gleichen Umständen eine Ausgangsgeschwindigkeit von 52 km/h nicht ausgeschlossen werden.

Zum Dritten hat der Sachverständige zur Errechnung der Kollisionsgeschwindigkeit der Klägerin Werte geschätzt, die nicht belegt sind und keine Erläuterung unter der erforderlichen Berücksichtigung günstigster Annahmen enthalten. Deswegen hätte allenfalls mit einer Annäherungsgeschwindigkeit der Klägerin von 12 km/h gerechnet werden und die Annäherungsentfernung von 3 Metern unter Beachtung einer Bogenfahrt begründet werden müssen.

Zum Vierten hätte bei der Reaktionszeit der Beklagten zu 1) von 0,8 Sekunden bedacht werden müssen, dass die angesichts der Verkehrsverhältnisse und § 3 IIa StVO zu fordernde Bremsbereitschaft zu einer deutlichen Verkürzung der Reaktionszeit führt.

Zuletzt ist weder nachvollziehbar dargelegt, wie sich die Entfernung der Beklagten zu 1) - unter Zugrundelegung für die Klägerin günstiger Werte - zum Zeitpunkt der Reaktionsaufforderung errechnet, noch warum sich ein Anhalteweg von 10,81 Metern bei einer Bremsverzögerung von 9 m/s², sowie Reaktions- und Bremsschwellzeiten von 0,8 und 0,2 Sekunden nicht aus einer Ausgangsgeschwindigkeit von 29 km/h, sowie bei einer Reaktionszeit von 0,5 Sekunden nicht aus einer Ausgangsgeschwindigkeit von 34 km/h ergibt (s. OLG Hamm NZV 2006, 151: ggfs. auch 35 km/h nicht ausreichend langsam; r+s 2001, 60: 20 - 25 km/h).

Deswegen ist unter Würdigung aller Gesamtumstände das Absehen von einem umfassenden, auf alle zivilrechtlichen Fragestellungen - insbesondere die Anscheinsbeweislage des § 3 IIa StVO - bezogenen unfallanalytischen Sachverständigengutachten (Senat, Urt. v. 14.03.2014 - 10 U 2996/13 [juris, dort Rz. 5-7]; v. 11.04.2014 - 10 U 4757/13 [juris, dort Rz. 45, 60]) verfahrensfehlerhaft, und schließt aus, dass die Beweiserhebung des Erstgerichts auf einer tragfähigen Tatsachengrundlage beruht (OLG München, Urt. v. 21.02.2014 - 25 U 2798/13 [juris]).

Somit ist die gesamte Beweisaufnahme unter Erholung eines unfallanalytischen Gutachtens eines anderen Sachverständigen zu wiederholen, § 538 II 1 Nr. 1 ZPO, und hierbei zu klären, ob die Beklagte zu 1) sich von dem zu vermutendem Verschulden als Fahrzeugführerin (§ 18 I 2 StVG) und von anscheinsbeweislich belegten Verstößen gegen das Gebot des Fahrens auf Sicht, das allgemeine Rücksichtnahmegebot und die besonderen Sorgfaltspflichten gegenüber Kindern entlasten kann.

b) Auch die Beweiswürdigung des Erstgerichts ist nach Auffassung des Senats nicht beanstandungsfrei.

aa) Das Ersturteil ist schon wegen der lückenhaften Beweiserhebung verfahrensfehlerhaft mit der Folge, dass eine vollständige Prüfung und Bewertung des Beweisergebnisses fehlt, und deswegen das Ersturteil nicht auf einer ordnungsgemäßen Tatsachenfeststellung fußen kann.

bb) Auch im Übrigen ist die Beweiswürdigung des Erstgerichts unzureichend, denn der Tatrichter muss erkennen lassen, dass der Parteivortrag erfasst und in Betracht gezogen wurde und eine Auseinandersetzung mit dem Beweiswert der Beweismittel erfolgt ist (Zöller/Greger a. a. O. § 286 Rz. 21). Diese Auseinandersetzung muss auch individuell und argumentativ sein (BGH NJW 1988, 566; OLG Oldenburg OLGR 1997, 206 [207 für die Würdigung eines Sachverständigengutachtens]), und „… wenigstens in groben Zügen sichtbar machen, dass die beachtlichen Tatsachen berücksichtigt und vertretbar gewertet worden sind“ (insoweit in BGHZ 126, 217, 219 nicht abgedruckt]; BAGE 5, 221 [224]; NZA 2003, 483 [484]; Senat, Beschl. v. 25.11.2005 - 10 U 2378/05 und v. 23.10.2006 - 10 U 3590/06; KG zfs 2007, 202 [204]).

- Das Ersturteil versagt sich eine vollständige Auseinandersetzung mit den widersprüchlichen Angaben der Beklagten zu 1) und den Gutachtensergebnissen (BGH NJW 2015, 411: „entsprechend dem Gebot des § ZPO § 286 ZPO mit dem Prozessstoff und den Beweisergebnissen umfassend und widerspruchsfrei auseinandergesetzt hat, die Beweiswürdigung also vollständig und rechtlich möglich ist und nicht gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze verstößt“; MDR 1982, 212), indem die Annahmen des Sachverständigen ungeprüft übernommen und floskelhaft für zutreffend erklärt werden (EU 6 = Bl. 76 d. A.), ohne die erleichterte Beweisführung nach dem Anscheinsbeweis und die gebotene Anwendung der für die Klägerin günstigsten Anknüpfungstatsachen zu beachten.

- Deswegen und darüber hinaus wird übersehen (EU 7 = Bl. 77 d. A.), dass zum Ersten die Beklagte zu 1) schon nach eigenen Angaben die Klägerin und ihre Schwester auf dem Gehweg nicht sorgfältig und durchgängig beobachtet hat.

Zum Zweiten geht das Ersturteil nicht darauf ein, dass bereits die als Überquerungshilfe gedachte Verkehrsinsel, in Verbindung mit der abgesenkten Bordsteinkante, deutliche Hinweise auf einen beabsichtigten Wechsel der Straßenseite schafft, insbesondere wenn über das vorangegangene Fahrverhalten der Klägerin und ihrer Schwester keinerlei Feststellungen getroffen werden.

Zuletzt fehlt eine Auseinandersetzung mit der von der Beklagten zu 1) zu fordernden Bremsbereitschaft und dem gegenseitigen Annäherungsverhalten der Parteien: Wenn die Beklagte zu 1) eine Reaktionsaufforderung erhalten hat, als sie - zugunsten der Klägerin nicht ausschließbar - noch 10,8 Meter von der Unfallstelle entfernt war (EU 6 = Bl. 76 d. A.; Gutachten v. 04.07.2014, S. 13, Bl. 56 ff. d. A.), kann sie die Kinder nicht etwa 10 Meter vor ihrem Fahrzeug wahrgenommen haben, und bewusst ohne zu bremsen weitergefahren sein (Protokoll d. mdl. Verhandlung v. 06.02.2014, S. 3 = Bl. 47 d. A.). Dies gilt umso mehr, als unstreitig hinter der Klägerin deren Schwester fuhr (EU 2 = Bl. 72 d. A.), somit die Wahrnehmungsentfernung zu beiden Kindern unterschiedlich gewesen sein muss.

2. Im Übrigen hat das Landgericht auch entscheidende sachlich-rechtliche Fragen, nämlich die verkehrsrechtlichen Sorgfaltspflichten eines Kraftfahrzeugführers gegenüber Fußgängern und Kindern, nicht frei von Rechtsfehlern (§§ 513 I 1. Alt., 546 ZPO) beurteilt und voreilig jegliches Verschulden der Beklagten zu 1), sowie jegliche mögliche Mitverursachungsanteile der Beklagten einschließlich der Betriebsgefahr ihres Fahrzeugs, ausgeschlossen.

a) Nach den bisherigen Feststellungen sind Körper und Gesundheit der Klägerin verletzt und deren Vermögen beeinträchtigt worden. Diese Rechtsgüterverletzung geschah unstreitig beim Betrieb eines Kraftfahrzeugs, so dass ein Anspruch aus §§ 18 I, 7 StVG, 115 I 1 Nr. 1, 4 VVG, 823 BGB grundsätzlich in Betracht kommt, wie das Erstgericht zutreffend erkannt hat. Einen jegliche Haftung der Beklagten ausschließenden Fall höherer Gewalt gemäß § 7 II StVG hat das Erstgericht ebenso zutreffend ausgeschlossen.

Klarzustellen ist, dass ein Fall der Gefährdungshaftung (§ 7 I StVG) ausscheidet, weil der Fahrzeughalter nicht verklagt worden ist, und aus 18 I 2 StVG eine Beweislastumkehr zum Nachteil des Fahrzeugführers folgt.

b) Nicht zu beanstanden ist weiterhin die Annahme, dass diese Haftung anspruchsmindernd durch ein Mitverschulden der Klägerin verringert werde (EU 5, 8 = 75, 78 d. A.), das unter Würdigung aller Gesamtumstände als erheblich einzustufen sei. Die Klägerin räumt eine gewichtige Missachtung wesentlicher Verkehrsvorschriften ein (BB 2 = Bl. 94 d. A.), wer als Fußgängerin (oder Tretrollerfahrerin) Fahrbahnen ohne Beachtung des Straßenverkehrs überquert (§ 25 III 1 StVO), handelt in erheblichem, nicht mehr nachvollziehbarem Umfang unsorgfältig und verantwortungslos (BGH NJW 2000, 3069: „besondere Vorsicht“; NJW 1984, 50), weil das Achten auf bevorrechtigte Fahrzeuge eine elementare Grundregel des Straßenverkehrs darstellt, die jedem Fußgänger, der eine Straße überschreiten will, einleuchten muss (OLG Hamm NZV 1993, 314; NZV 2001, 41; OLG Koblenz NZV 2012, 177; KG VersR 1981, 332; NZV 2004 579; OLG Celle MDR 2004, 994; OLG Bremen VersR 66, 962; OLG Düsseldorf VRS 56, 2). Dies gilt auch für Kinder unter der Voraussetzung ihrer - im Streitfall nicht zweifelhaften - zur Erkenntnis der Verantwortung erforderlichen Reife (OLG Hamm NZV 1990, 473; NZV 1991, 69; NZV 2006, 151; OLG Hamburg NJOZ 2008, 2792; OLG Karlsruhe NZV 2012, 596). Ein Fußgänger müsste sich sogar auf einem Fußgängerüberweg (§ 26 StVO) oder bei Grünlicht einer für ihn geschalteten Lichtzeichenanlage vergewissern, dass er die Fahrbahn gefahrlos überschreiten kann, ein Erzwingen des Vorrechts kann zu einem Mitverschulden führen (BGH VersR 1983, 667; NJW 1966, 1211).

c) Unzutreffend sind dagegen die Annahmen des Erstgerichts, erstens treffe die Beklagte zu 1) lediglich die Pflicht, die zulässige Höchstgeschwindigkeit zu beachten (EU 6/7 = Bl. 76/77 d. A.), zweitens könnten Sorgfaltspflichtverletzung und Verschulden der Beklagten zu 1) ausgeschlossen oder als nicht erweislich angesehen werden (EU 7 = Bl. 77 d. A.), weil sie Vorfahrt gehabt habe und keinerlei äußerlich sichtbaren Umstände darauf hingedeutet haben, dass die Klägerin die Fahrbahn überqueren wolle oder als Kind wegen drohenden verkehrswidrigen Verhaltens besonders schutzwürdig gewesen sei. Überdies kann ein selbst die Betriebsgefahr vollständig aufzehrendes Mitverschulden der Klägerin nicht ohne Würdigung aller Gesamtumstände, insbesondere der genauen Klärung des Unfallhergangs (BGH NJW 2014, 217, [8]: „Mangels ausreichender Feststellungen zum Unfallhergang ergibt sich ein derart überwiegendes Mitverschulden der Klägerin am Zustandekommen des Unfalls nicht bereits daraus, dass diese … unter Verstoß gegen … § 25 … § 25 III StVO die Straße überquerte, ohne auf den Fahrzeugverkehr zu achten“) und des Verhaltens der Fahrzeugführerin, begründet und bewertet werden (EU 7/8 = Bl. 77/78 d. A.).

aa) Vielmehr bestimmen sich die straßenverkehrsrechtlichen Sorgfaltspflichten eines Kraftfahrers gegenüber Fußgängern, die die Fahrbahn überqueren wollen, nach folgenden Grundsätzen, hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die Hinweise des Senatsvorsitzenden (v. 12.05.2015, S. 1/5 = Bl. 100/105 d. A.) verwiesen:

- Der Kraftfahrzeugverkehr ist gegenüber Fußgängern bevorrechtigt (§ 25 III StVO), sofern nicht ein Fußgängerüberweg (§§ 25 III 1, 41 I StVO, Anlage 2, Zeichen 293) vorliegt (§ 26 I StVO). Eine in der Straßenverkehrsordnung nicht geregelte Überquerungs- oder Querungshilfe (BGH NZV 1998, 369), wie die unstreitig von der Klägerin genutzte Verkehrsinsel in der A.-Straße in F., stellt keinen Fußgängerüberweg im Rechtssinne dar und beeinflusst das Vorrangverhältnis nicht (König, NZV 2008, 492 ff, [494 unter IV.]; Hentschel/König, Straßenverkehrsrecht, 42. Aufl. 2013, § 26, Rn. 10).

- Dennoch hat der Kraftfahrer die allgemeinen Verkehrsregeln zu beachten, insbesondere Geschwindigkeitsvorschriften (§§ 3 III, I StVO; BGH NJW 1992, 1459; OLG Düsseldorf NZV 1994, 70), aber auch das Sichtfahrgebot (BGH NJW 1984, 50 ff. [51 unter 2. c)]), und das Rücksichtnahmegebot (§ 1 II StVO). In diesem Rahmen hat er den gesamten Verkehrsraum, auch bezüglich auf den Gehwegen gehender oder stehender Fußgänger, sorgfältig zu beobachten (OLG Hamm NZV 2000, 371 ff. [372 unter 3. a)]; KG VRS 100, 269 = BeckRS 2001, 00140; BGH VersR 66, 736; OLG Düsseldorf, NZV 2002, 90; OLG Karlsruhe, Urt. v. 23.06.2009 - 1 U 79/09 [juris]), sowie rechtzeitig und richtig auf etwaige Fehler anderer Verkehrsteilnehmer zu reagieren (BGH NJW-RR 1991, 347; OLG Hamm NZV 1993, 314; KG VRS 100, 269). Bei unachtsamem Verhalten eines Fußgängers bestehen Brems- und Ausweichpflicht (OLG Koblenz NZV 2012, 177; OLG Hamm r+s 1989, 396 = VRS 78, 5), sowie die Notwendigkeit, die Geschwindigkeit herabsetzen, sobald der Fahrer sieht, dass ein Fußgänger die Straße betritt (OLG Düsseldorf VRS 56, 2). Letztere Verpflichtung besteht sogar bei witterungsbedingten Sichtbeeinträchtigungen (OLG Saarbrücken r+s 2010, 479; OLG Hamm r+s 1989, 396).

- Diese Verpflichtungen bestehen uneingeschränkt auch bei schweren Sorgfaltsverstößen eines Fußgänger, etwa wenn dieser die Fahrbahn trotz für ihn Rotlicht zeigender Lichtzeichenanlage in oder an der Ampelfurt überschreiten will (BGH Urt. v. 29.04.1975 - VI ZR 225/73 [juris] = VersR 1975, 858; NJW 1992, 1459; VersR 1967, 608). Angesichts dieser Verpflichtungen kommt eine Bewertung des Mitverschuldens des Fußgängers, die jegliche Haftung des Kraftfahrers ausschließt, lediglich in besonderen Ausnahmefällen und nur dann in Betracht, wenn dieser keinerlei Verkehrsverstöße begangen hat (OLG Köln NZV 2002, 369; OLG Karlsruhe, Urt. v. 23.06.2009 - 1 U 79/09 [juris]; OLG Frankfurt, Urt. v. 28.09.2010 - 10 U 1/10 [juris]; OLG Saarbrücken, Urt. v. 08.02.2011 - 4 U 200/10 - 60 [juris]; OLG Köln, Beschl. v. 19.03.2012 - I-16 U 169/11, 16 U 169/11 [juris]).

- Eine abweichende Bewertung ist im Streitfall schon deswegen nicht veranlasst, weil Sonderfälle, wie etwa ein Abwarten der Klägerin auf einer Verkehrsinsel, ein Hervortreten hinter einem Verkehrsstau (OLG Hamm NZV 2000, 371) oder eine Vernachlässigung eines naheliegenden Fußgängerüberwegs (BGH NJW 1958, 1630; NZV 1990, 150; KG VRS 100, 269; KG VM 1992, 27; i. Ü auch dort nur hälftige Haftung; OLG Hamm NZV 2000, 371; OLG Dresden NZV 2001, 378), unstreitig nicht vorliegen. Selbst wenn jedoch ein derartiger Vertrauensschutz angenommen würde, beseitigt dieser einerseits nicht die Verpflichtung, die gesamte Fahrbahn zu beobachten, um rechtzeitig auch wegen der in solchen Fällen gegebenen Abstandsverkürzung reagieren zu können (OLG Hamm, a. a. O.; BGH VersR 1966, 736; BGH VersR 1968, 897; OLG Köln VersR 1987, 513; OLG Karlsruhe NJW-RR 1987, 1249; KG VersR 1993, 201), und zwar zu dem Zeitpunkt, zu welchem der Fußgänger die Fahrbahn betritt (OLG Bremen VersR 66, 962; OLG Düsseldorf VersR 1979, 649). Andererseits setzt der genannte Vertrauensgrundsatz jedenfalls ein merkliches Verhalten des Fußgängers voraus, das die Erwartung des Kraftfahrers, ihm werde die Vorbeifahrt gestattet, stützen kann (KG VersR 1968, 259: „Blickkontakt“; OLG Karlsruhe VersR 1971, 1177; OLG Hamm r+s, 2002, 192; BGH VersR 1961, 592).

- Darüber hinaus bestehen besondere Sorgfaltspflichten gegenüber Kindern (§ 3 IIa StVO), diesen gegenüber muss sich ein Kraftfahrer, insbesondere durch Verminderung der Fahrgeschwindigkeit und durch Bremsbereitschaft, so verhalten, dass eine Gefährdung ausgeschlossen ist (BGH NJW 1994, 2829: gegenüber alten Menschen). Diese Fassung des Gesetzestextes begründet zusätzlich eine Anscheinsbeweislage, die für Kinder und gegen den Kraftfahrer streitet. Nach dem unstreitigen Tatbestand des Ersturteils (EU 2 = Bl. 72 d. A.) fuhr die zum Unfallzeitpunkt elfjährige Klägerin, mit einem Tretroller und gefolgt von ihrer achtjährigen Schwester, fahrbahnparallel auf dem Gehweg, um diesen nach links zu verlassen und die Straße an einer als Überquerungshilfe dienenden Verkehrsinsel zu überfahren. Die Klägerin ist somit wegen ihres erheblich unter dem 14. Lebensjahr liegenden Alters (OLG Hamburg NZV 1990, 71) ersichtlich in den Schutzbereich der Verkehrsvorschrift einbezogen, dagegen finden Erwägungen des Erstgerichts zur Unzumutbarkeit dieser besonderen Vorsicht (EU 8 = Bl. 78 d. A.) eine Stütze weder im Gesetz, noch in der höchstrichterlichen Rechtsprechung. Die Meinung, erhebliche, verkehrsbedingte Geschwindigkeitsverringerungen eines Kraftfahrers zum Schutz von Kindern auf dem fahrbahnnahen Gehweg könnten den Stadtverkehr beeinträchtigen und ein erhöhtes Unfallrisiko herbeiführen, ist nicht nur durch keinerlei tatsächliche Feststellungen belegt, sondern auch nicht zu begründen.

Nach dem bisherigen Sach- und Streitstand liegt nahe, dass die Beklagte zu 1) den sie treffenden Sorgfaltsanforderungen nicht gerecht geworden ist. Allein die Anwesenheit von Schulkindern auf dem rechten Bürgersteig und die Nähe einer als Überquerungshilfe gedachten Verkehrsinsel zwingen zu besonderer Aufmerksamkeit und Geschwindigkeitsverringerung (OLG Hamm r+s 2001, 60; NZV 1990, 473; NZV 1991, 69; NZV 2006, 151), zumal eine gegenseitige Beeinflussung der Klägerin und ihrer noch jüngeren Schwester (BGH NJW 1991, NJW Jahr 1990 Seite 292; KG NZV 1999, 329; OLG Hamburg NZV 1990, 71) nicht auszuschließen ist und sogar nahe liegt.

- Aus dem grundsätzlichen Vorrang des Kraftfahrzeugverkehrs folgt schon allgemein keineswegs ein geschütztes Vertrauen darauf, dass Fußgänger sich immer verkehrsgerecht, vorsichtig und der StVO entsprechend verhalten, sondern nur unter besonderen Umständen (BGH VersR 1955, 156; BayObLG VRS 58, 85 = S. 221; BGH NJW 1966, 1211; BayObLG NJW 1978, 1491; OLG Karlsruhe VersR 1982, 450; OLG Hamm r+s 1988, 102; BGH NJW 2000, 3069). Dies gilt verstärkt gegenüber Kindern (OLG Hamburg NJOZ 2008, 2792; OLG Karlsruhe NZV 2012, 596).

- Hieraus folgt, dass eine Bewertung des klägerischen Mitverschuldens als so gewichtig, dass jegliche Haftung der Beklagten entfalle, kaum vertretbar ist (OLG Karlsruhe NZV 2012, 596, OLG Hamm NZV 1991, 69: Haftung des Kraftfahrers zu 1/3 bei leichtem Verschulden oder bloßer Betriebsgefahr; OLG Hamm NZV 2006, 151: zu 40% wegen groben Verschuldens des Kindes; OLG Hamm r+s 2001, 60: Haftung des Kraftfahrers zu 2/3).

bb) Darlegungs- und beweisbelastet für eine schuldhafte Unfallverursachung durch die Klägerin und ein dieser anspruchsmindernd zuzurechnendes Mitverschulden, aber auch für deren Ausmaß, sind die Beklagten. Dies hat zur Folge, dass Sachverständiger und Gericht zu allen Bewegungen der Klägerin in die und auf der Fahrbahn bei nicht eindeutig feststellbaren Umständen die für die Klägerin (nicht die Beklagten) günstigsten technisch möglichen Werte anzusetzen haben. Gleiches gilt für den Nachweis der Einhaltung der an einen Idealfahrer zu stellenden Anforderungen (unabwendbares Ereignis i. S. d. § 17 III StVG), was eine vollständige und genaue Prüfung und Darlegung des Fahrverhaltens, insbesondere der Wahrnehmung und Beurteilung des Verhaltens der Klägerin erfordert. Soweit grundsätzlich die Klägerin die Beweisführungs- und Feststellungslast für Sorgfaltspflichtverstöße und Verursachungsbeiträge der Beklagten trifft, ist die aus dem Gesetzeswortlaut (§ 3 IIa StVO) abgeleitete Beweiserleichterung durch den Anscheinsbeweis zu beachten.

Bei dieser Sachlage ist bisher nicht vertretbar, Sorgfaltspflichtverletzung und Verschulden der Beklagten zu 1) für ausgeschlossen oder nicht erwiesen zu halten, vielmehr wird das Erstgericht hierfür maßgebliche und geeignete Umstände erst noch verfahrensfehlerfrei zu ermitteln und sachgerecht zu würdigen haben. Sollte das Erstgericht wiederum zu dem Ergebnis gelangen, dass das Mitverschulden der Klägerin jegliche Haftung der Beklagten, selbst diejenige für Betriebsgefahr, aufzehre, wäre folgendes zu berücksichtigen: In die Abwägung sind alle Faktoren, soweit unstreitig oder erwiesen, einzubeziehen, die eingetreten sind, zur Entstehung des Schadens beigetragen haben und einem der Beteiligten zuzurechnen sind (BGH NJW 1995, 1029; 2007, 506 [207]; NJW-RR 1988, 1177; OLG Düsseldorf, Urt. v. 26.08.2014 - 1 U 151/13 [juris, Rz. 64]), insbesondere auch Fahrverhalten und festgestellte Sorgfaltsverstöße des Unfallgegners (BGH NJW-RR 1993, 480: Mitverschulden im Verhältnis zur Betriebsgefahr bei der Bahn). Eine Gewichtung der Mitverursachung oder des Mitverschuldens kann nur aufgrund einer umfassenden Würdigung aller Umstände des Einzelfalls erfolgen, insbesondere der genauen Klärung des Unfallhergangs (BGH NJW 2014, 217, [8]: „Mangels ausreichender Feststellungen zum Unfallhergang ergibt sich ein derart überwiegendes Mitverschulden der Klägerin am Zustandekommen des Unfalls nicht bereits daraus, dass diese … unter Verstoß gegen § 25 § 25 III StVO die Straße überquerte, ohne auf den Fahrzeugverkehr zu achten“).

II.

Der Senat hat eine eigene Sachentscheidung nach § 538 I ZPO erwogen, sich aber - entgegen seiner sonstigen Praxis - aus folgenden Gründen dagegen entschieden:

1. Eine derartig mangelhafte Beweiserhebung stellt einen Zurückverweisungsgrund nach § 538 II 1 Nr. 1 ZPO dar (Senat, Urt. v. 09.10.2009 - 10 U 2309/09 [juris, dort Rz. 23]; v. 25.06.2010 - 10 U 1847/10 [juris, dort Rz. 13]; VersR 2011, 549 ff.; NJW 2011, 3729 und v. 22.07.2011 - 10 U 1481/11). Als schwerwiegender Verfahrensfehler erweist sich, dass das Erstgericht die Pflicht zu umfassender Sachverhaltsaufklärung, insbesondere durch vollständige Parteianhörungen und geeignete sachverständige Begutachtung, verletzt hat. Die erforderliche Beweisaufnahme wäre umfangreich und aufwändig (§ 538 II 1 Nr. 1, 2. Satzhälfte ZPO), weil der Senat sich nicht darauf beschränken dürfte, ein vollständiges Sachverständigengutachten zu erholen. Vielmehr wären zusätzlich beide Parteien anzuhören und auch die aus der polizeilichen Verkehrsunfallanzeige ersichtlichen Zeugen zu vernehmen, sobald sich eine Partei darauf bezieht (§§ 525 S. 1, 273 II Nr. 4 ZPO). Denn eine Beurteilung sowohl der Glaubhaftigkeit der Sachdarstellung, als auch der Glaubwürdigkeit der Zeugen und Parteien anhand früherer Aussagen wäre rechtsfehlerhaft, wenn der Senat auf einen eigenen persönlichen Eindruck verzichten wollte (s. etwa BGH r + s 1985, 200; NJW 1997, 466; NZV 1993, 266; VersR 2006, 949). Durch die gebotene Beweisaufnahme würde der Senat zu einer mit der Funktion eines Rechtsmittelgerichts unvereinbaren vollständigen Wiederholung des erstinstanzlichen Verfahrens einschließlich der gesamten Beweisaufnahme (Senat VersR 2011, 549 ff.) gezwungen. Hinzu kommt, dass je nach dem Ergebnis der durchzuführenden Beweiserhebung über den genauen Hergang des Unfalls auch zur Höhe des Schmerzensgelds erstmals entschieden werden müsste (§ 538 II 1 Nr. 4, 2. Alt. ZPO, Senat NJW 1972, 2048 [2049]; OLG Köln NJW 2004, 521).

2. Auch die aus unzureichender Beweiserhebung und fehlerhafter Rechtsauffassung folgende, erheblich fehlerhafte Beweiswürdigung stellt einen Verfahrensverstoß dar, welcher zur Zurückverweisung gemäß § 538 II 1 Nr. 1 ZPO berechtigt (Senat, Urt. v. 14.07.2006 - 10 U 5624/05 [juris]; v. 01.12.2006 - 10 U 4328/06; v. 04.09.2009 - 10 U 3291/09; v. 06.11.2009 - 10 U 3254/09; v. 19.03.2010 - 10 U 3870/09 [juris, dort Rz. 23]; v. 25.06.2010 - 10 U 1847/10 [juris, dort Rz. 13]; VersR 2011, 549 ff.; v. 22.07.2011 - 10 U 1481/11 [juris, dort Rz. 8]).

3. Der durch die Zurückverweisung entstehende grundsätzliche Nachteil einer Verzögerung und Verteuerung des Prozesses muss hingenommen werden, wenn ein ordnungsgemäßes Verfahren in erster Instanz nachzuholen ist und den Parteien die vom Gesetz zur Verfügung gestellten zwei Tatsachenrechtszüge erhalten bleiben sollen (Senat NJW 1972, 2048 [2049]; OLG Naumburg NJW-RR 2012, 1535 [1536]); eine schnellere Erledigung des Rechtsstreits durch den Senat ist im Übrigen angesichts seiner außerordentlich hohen Geschäftsbelastung vorliegend nicht zu erwarten.

III.

Die Kostenentscheidung war dem Erstgericht vorzubehalten, da der endgültige Erfolg der Berufung erst nach der abschließenden Entscheidung beurteilt werden kann (OLG Köln NJW-RR 1987, 1032; Senat in st. Rspr., zuletzt VersR 2011, 549 ff.; NJW 2011, 3729).

Die Gerichtskosten waren gemäß § 21 I 1 GKG niederzuschlagen, weil ein wesentlicher Verfahrensmangel - nur ein solcher kann zur Aufhebung und Zurückverweisung führen (§ 538 II 1 Nr. 1 ZPO) -, denknotwendig eine unrichtige Sachbehandlung i. S. des § 21 I 1 GKG darstellt.

§ 21 I 1 GKG erlaubt auch die Niederschlagung von Gebühren des erstinstanzlichen Verfahrens (vgl. OLG Brandenburg OLGR 2004, 277; OLG Düsseldorf NJW-RR 2007, 1151; Senat, Beschl. v. 17.09.2008 - 10 U 2272/08, st. Rspr., zuletzt Urt. v. 19.03.2010 - 10 U 3870/09 [juris, dort Rz. 93] und v. 27.01.2012 - 10 U 3065/11 [juris, dort Rz. 12]).

IV.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 10 S. 1 ZPO. Auch im Falle einer Aufhebung und Zurückverweisung ist im Hinblick auf §§ 775 Nr. 1, 776 ZPO ein Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit geboten (BGH JZ 1977, 232; Senat in st. Rspr., zuletzt u. a. VersR 2011, 549 ff. und NJW 2011, 3729), allerdings ohne Abwendungsbefugnis (Senat a. a. O.). Letzteres gilt umso mehr, als das vorliegende Urteil nicht einmal hinsichtlich der Kosten einen vollstreckungsfähigen Inhalt aufweist.

V.

Die Revision war nicht zuzulassen. Gründe, die die Zulassung der Revision gemäß § 543 II 1 ZPO rechtfertigen würden, sind nicht gegeben.

Weder eine grundsätzliche Bedeutung der Sache (BVerfG NJW 2014, 2417 [2419, Tz. 26-32]; BGH NJW-RR 2014, 505) noch die Fortbildung des Rechts (BVerfG a. a. O. [2418/2420, Tz. 33]) oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (BVerfG a. a. O. [2420, Tz. 34]; BGH NJW 2003, 1943) erfordern eine Entscheidung des Revisionsgerichts. Die Entscheidung weicht nicht von der höchst- oder obergerichtlichen Rechtsprechung ab und betrifft einen Einzelfall, der grundlegende Rechtsfragen nicht aufwirft.

Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:

1.
Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen;
2.
Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a;
3.
Urteile, durch die gemäß § 341 der Einspruch als unzulässig verworfen wird;
4.
Urteile, die im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen werden;
5.
Urteile, die ein Vorbehaltsurteil, das im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen wurde, für vorbehaltlos erklären;
6.
Urteile, durch die Arreste oder einstweilige Verfügungen abgelehnt oder aufgehoben werden;
7.
Urteile in Streitigkeiten zwischen dem Vermieter und dem Mieter oder Untermieter von Wohnräumen oder anderen Räumen oder zwischen dem Mieter und dem Untermieter solcher Räume wegen Überlassung, Benutzung oder Räumung, wegen Fortsetzung des Mietverhältnisses über Wohnraum auf Grund der §§ 574 bis 574b des Bürgerlichen Gesetzbuchs sowie wegen Zurückhaltung der von dem Mieter oder dem Untermieter in die Mieträume eingebrachten Sachen;
8.
Urteile, die die Verpflichtung aussprechen, Unterhalt, Renten wegen Entziehung einer Unterhaltsforderung oder Renten wegen einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit zu entrichten, soweit sich die Verpflichtung auf die Zeit nach der Klageerhebung und auf das ihr vorausgehende letzte Vierteljahr bezieht;
9.
Urteile nach §§ 861, 862 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf Wiedereinräumung des Besitzes oder auf Beseitigung oder Unterlassung einer Besitzstörung;
10.
Berufungsurteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten. Wird die Berufung durch Urteil oder Beschluss gemäß § 522 Absatz 2 zurückgewiesen, ist auszusprechen, dass das angefochtene Urteil ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar ist;
11.
andere Urteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten, wenn der Gegenstand der Verurteilung in der Hauptsache 1.250 Euro nicht übersteigt oder wenn nur die Entscheidung über die Kosten vollstreckbar ist und eine Vollstreckung im Wert von nicht mehr als 1.500 Euro ermöglicht.

Die Zwangsvollstreckung ist einzustellen oder zu beschränken:

1.
wenn die Ausfertigung einer vollstreckbaren Entscheidung vorgelegt wird, aus der sich ergibt, dass das zu vollstreckende Urteil oder seine vorläufige Vollstreckbarkeit aufgehoben oder dass die Zwangsvollstreckung für unzulässig erklärt oder ihre Einstellung angeordnet ist;
2.
wenn die Ausfertigung einer gerichtlichen Entscheidung vorgelegt wird, aus der sich ergibt, dass die einstweilige Einstellung der Vollstreckung oder einer Vollstreckungsmaßregel angeordnet ist oder dass die Vollstreckung nur gegen Sicherheitsleistung fortgesetzt werden darf;
3.
wenn eine öffentliche Urkunde vorgelegt wird, aus der sich ergibt, dass die zur Abwendung der Vollstreckung erforderliche Sicherheitsleistung oder Hinterlegung erfolgt ist;
4.
wenn eine öffentliche Urkunde oder eine von dem Gläubiger ausgestellte Privaturkunde vorgelegt wird, aus der sich ergibt, dass der Gläubiger nach Erlass des zu vollstreckenden Urteils befriedigt ist oder Stundung bewilligt hat;
5.
wenn der Einzahlungs- oder Überweisungsnachweis einer Bank oder Sparkasse vorgelegt wird, aus dem sich ergibt, dass der zur Befriedigung des Gläubigers erforderliche Betrag zur Auszahlung an den Gläubiger oder auf dessen Konto eingezahlt oder überwiesen worden ist.