Oberlandesgericht Köln Beschluss, 03. Aug. 2015 - 2 Ws 462/15
Gericht
Tenor
Die Beschwerde wird auf Kosten der Staatskasse, die auch die den Angeklagten im Beschwerdeverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen hat, als unbegründet verworfen.
1
Gründe:
2I.
3Die Generalstaatsanwaltschaft hat den Stand des Verfahrens mit Vorlageverfügung vom 17.07.2015 wie folgt zusammengefasst:
4„Die 15. große Strafkammer des Landgerichts Köln hat die Angeklagten H, T und E mit Urteil vom 06.07.2015 - 115 KLs 37/14 - jeweils wegen Bandendiebstahls in 11 Fällen, versuchten Bandendiebstahls, Wohnungseinbruchsdiebstahls, versuchten Wohnungseinbruchsdiebstahls und Computerbetruges verurteilt, und zwar die Angeklagte H zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 3 Jahren und 9 Monaten, die Angeklagte T zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 3 Jahren und 6 Monaten und die Angeklagte E zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 3 Jahren. Das Urteil ist nicht rechtskräftig, die Staatsanwaltschaft Köln hat Revision eingelegt.
5Jeweils mit Beschluss vom selben Tag hat die 15. große Strafkammer des Landgerichts Köln die gegen die Angeklagten bestehenden Haftbefehle gegen Auflagen außer Vollzug gesetzt.Gegen diese Beschlüsse hat die Staatsanwaltschaft am 06.07.2015 Beschwerde eingelegt und zugleich beantragt, gemäß § 307 Abs. 2 StPO anzuordnen, dass die Vollziehung der angefochtenen Entscheidung bis zu einer Entscheidung über die Beschwerde ausgesetzt wird. Die Anträge gemäß § 307 Abs. 2 StPO hat die Kammer jeweils mit Beschluss vom 06.07.2015 zurückgewiesen.
6Der Beschwerde der Staatsanwaltschaft hat die Kammer jeweils mit Beschluss vom selben Tag nicht abgeholfen.
7Die Zurückweisungsentscheidung im Zusammenhang mit § 307 Abs. 2 StPO ist von der Staatsanwaltschaft nicht weiter angefochten worden, so dass nur noch über die Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen die Haftverschonungsbeschlüsse zu entscheiden ist.“
8Hierauf nimmt der Senat Bezug.
9Zu der Beschwerde der Staatsanwaltschaft haben jeweils über ihre Verteidiger die Angeklagte E mit Schriftsatz vom 22.07.2015, die Angeklagte H mit Schriftsätzen vom 23.07.und 24.07.2015 und die Angeklagte T mit Schriftsatz vom 24.07.2015 Stellung genommen. Die Generalstaatsanwaltschaft hat dazu Gelegenheit zur Äußerung erhalten und mit Verfügung vom 29.07.2015 mitgeteilt, dass an dem Antrag vom 17.07.2015 festgehalten werde.
10II.
11Die gemäß § 304 StPO zulässige Beschwerde der Staatsanwaltschaft ist nicht begründet.
12Die Entscheidung der Strafkammer, die wegen Fluchtgefahr aufrechterhaltenen Haftbefehle nach Durchführung der Hauptverhandlung und nach Erlass des Urteils gemäß § 116 StPO außer Vollzug zu setzen, ist nicht zu beanstanden. Der Senat sieht auch unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens keine ausreichenden Gründe, die angefochtene Entscheidung abzuändern und die Haftbefehle wieder in Vollzug zu setzen. Verstöße gegen die Verschonungsauflagen seit der mittlerweile vier Wochen zurückliegenden Entlassung aus der Untersuchungshaft sind nicht bekannt geworden.
13Alle drei Angeklagten haben sich erstmals in Haft befunden, so dass angenommen werden kann, dass die Untersuchungshaft von annähernd einem Jahr bei ihnen Eindruck hinterlassen hat. Gegen das Urteil hat im übrigen nur die Staatsanwaltschaft Rechtsmittel eingelegt, während die Angeklagten die gegen sie verhängten Strafen offenbar hinzunehmen scheinen.
14Darüber hinaus ist von folgenden, von der Staatsanwaltschaft nicht in Abrede gestellten Umständen auszugehen, die die Angeklagten der Beschwerde entgegengehalten haben:
15Die Angeklagte E ist niederländische Staatsangehörige und hat ein nachvollziehbares Interesse daran, die Strafe nach Eintritt der Rechtskraft in den Niederlanden verbüßen zu können. Außerdem befindet sie sich nach dem Vorbringen im Schriftsatz vom 22.07.2015 seit der Haftentlassung wegen einer posttraumatischen Belastungsstörung – verursacht durch einen schweren Unfall im Jahre 2003 – in psychiatrischer Behandlung, die sie durch einen Verstoß gegen die Verschonungsauflagen nicht gefährden will. Gegen das Bestehen von Wiederholungsgefahr hat sie nachvollziehbar eingewandt, dass sie nach der Haftentlassung entsprechend der ihr erteilten Auflage in die Niederlande zurückgekehrt ist und damit von den übrigen Mitangeklagten räumlich weit entfernt lebt. Das steht jedenfalls der Gefahr der Begehung erneuter Bandendiebstähle entgegen. Das gilt in gleichsam umgekehrter Weise ebenso für die Angeklagten H und T.
16Die Angeklagte H hat sich aufgrund irriger Information durch ihren Verteidiger Rechtsanwalt E2 in der Annahme, der Haftbefehl sei wieder in Vollzug gesetzt worden, am 17.07.2015 in dessen Büro eingefunden, um sich den Strafverfolgungsbehörden zu stellen. Das deutet daraufhin, dass die Verschonungsauflagen auch bei ihr ausreichen, um der vom Landgericht weiterhin bejahten Fluchtgefahr ausreichend zu begegnen. Der von der Staatsanwaltschaft hervorgehobene Umstand, dass die Angeklagte H mit dem Widerruf einer Bewährungsstrafe von 16 Monaten zu rechnen hat – worüber sie sich nach den Angaben ihres Verteidigers im klaren ist – verliert vor diesem Hintergrund an Gewicht.
17Außerdem verfügt die Angeklagte H entgegen dem Beschwerdevorbringen über einen Arbeitsvertrag mit Rechtsanwältin B in L vom 10.07.2015, der mit Schriftsatz vom 23.07.2015 vorgelegt worden ist. Dafür, dass sie die Haftverschonung nicht zur Flucht ausnutzen wird, spricht des weiteren die durch ärztliches Attest vom 24.07.2015 belegte Betreuungs- und Pflegebedürftigkeit ihrer halbseitig gelähmten Mutter, neben der sie auch noch ihre 7-jährigen Zwillinge zu versorgen hat. Dass die Angeklagte diese familiären Verpflichtungen im Tatzeitraum zeitweilig auch anderen Personen überlassen hat, rechtfertigt nicht die Annahme, dass sie dies nun gänzlich tut und Mutter und Kinder sich selbst überlässt.
18Die Angeklagte T hat ebenfalls zwei Kinder zu betreuen und ihren Lebensmittelpunkt seit jeher in L. Im Falle einer nicht gänzlich unrealistisch erscheinenden 2/3-Aussetzung besteht für sie eine auf 16 Monate begrenzten Straferwartung. Davon geht zwar immer noch eine Fluchtgefahr aus, der aber mit den Verschonungsauflagen ausreichend begegnet werden kann.
19Abschließend bemerkt der Senat, dass auch dem persönlichen Eindruck, den die Strafkammer aufgrund der ab dem 27.04.2015 durchgeführten Hauptverhandlung von den geständigen Angeklagten gewonnen hat, ein hohes Gewicht zukommt. Dieser - aufgrund der besseren Erkenntnismöglichkeiten - getroffenen und bisher nicht widerlegten Einschätzung der Kammer zur Person der Angeklagten und ihren persönlichen Lebensumständen schließt sich der Senat an.
20Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 und 2 StPO.
Annotations
(1) Durch Einlegung der Beschwerde wird der Vollzug der angefochtenen Entscheidung nicht gehemmt.
(2) Jedoch kann das Gericht, der Vorsitzende oder der Richter, dessen Entscheidung angefochten wird, sowie auch das Beschwerdegericht anordnen, daß die Vollziehung der angefochtenen Entscheidung auszusetzen ist.
(1) Die Beschwerde ist gegen alle von den Gerichten im ersten Rechtszug oder im Berufungsverfahren erlassenen Beschlüsse und gegen die Verfügungen des Vorsitzenden, des Richters im Vorverfahren und eines beauftragten oder ersuchten Richters zulässig, soweit das Gesetz sie nicht ausdrücklich einer Anfechtung entzieht.
(2) Auch Zeugen, Sachverständige und andere Personen können gegen Beschlüsse und Verfügungen, durch die sie betroffen werden, Beschwerde erheben.
(3) Gegen Entscheidungen über Kosten oder notwendige Auslagen ist die Beschwerde nur zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands 200 Euro übersteigt.
(4) Gegen Beschlüsse und Verfügungen des Bundesgerichtshofes ist keine Beschwerde zulässig. Dasselbe gilt für Beschlüsse und Verfügungen der Oberlandesgerichte; in Sachen, in denen die Oberlandesgerichte im ersten Rechtszug zuständig sind, ist jedoch die Beschwerde zulässig gegen Beschlüsse und Verfügungen, welche
- 1.
die Verhaftung, einstweilige Unterbringung, Unterbringung zur Beobachtung, Bestellung eines Pflichtverteidigers oder deren Aufhebung, Beschlagnahme, Durchsuchung oder die in § 101 Abs. 1 oder § 101a Absatz 1 bezeichneten Maßnahmen betreffen, - 2.
die Eröffnung des Hauptverfahrens ablehnen oder das Verfahren wegen eines Verfahrenshindernisses einstellen, - 3.
die Hauptverhandlung in Abwesenheit des Angeklagten (§ 231a) anordnen oder die Verweisung an ein Gericht niederer Ordnung aussprechen, - 4.
die Akteneinsicht betreffen oder - 5.
den Widerruf der Strafaussetzung, den Widerruf des Straferlasses und die Verurteilung zu der vorbehaltenen Strafe (§ 453 Abs. 2 Satz 3), die Anordnung vorläufiger Maßnahmen zur Sicherung des Widerrufs (§ 453c), die Aussetzung des Strafrestes und deren Widerruf (§ 454 Abs. 3 und 4), die Wiederaufnahme des Verfahrens (§ 372 Satz 1) oder die Einziehung oder die Unbrauchbarmachung nach den §§ 435, 436 Absatz 2 in Verbindung mit § 434 Absatz 2 und § 439 betreffen;
(5) Gegen Verfügungen des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofes und des Oberlandesgerichts (§ 169 Abs. 1) ist die Beschwerde nur zulässig, wenn sie die Verhaftung, einstweilige Unterbringung, Bestellung eines Pflichtverteidigers oder deren Aufhebung, Beschlagnahme, Durchsuchung oder die in § 101 Abs. 1 bezeichneten Maßnahmen betreffen.
(1) Der Richter setzt den Vollzug eines Haftbefehls, der lediglich wegen Fluchtgefahr gerechtfertigt ist, aus, wenn weniger einschneidende Maßnahmen die Erwartung hinreichend begründen, daß der Zweck der Untersuchungshaft auch durch sie erreicht werden kann. In Betracht kommen namentlich
- 1.
die Anweisung, sich zu bestimmten Zeiten bei dem Richter, der Strafverfolgungsbehörde oder einer von ihnen bestimmten Dienststelle zu melden, - 2.
die Anweisung, den Wohn- oder Aufenthaltsort oder einen bestimmten Bereich nicht ohne Erlaubnis des Richters oder der Strafverfolgungsbehörde zu verlassen, - 3.
die Anweisung, die Wohnung nur unter Aufsicht einer bestimmten Person zu verlassen, - 4.
die Leistung einer angemessenen Sicherheit durch den Beschuldigten oder einen anderen.
(2) Der Richter kann auch den Vollzug eines Haftbefehls, der wegen Verdunkelungsgefahr gerechtfertigt ist, aussetzen, wenn weniger einschneidende Maßnahmen die Erwartung hinreichend begründen, daß sie die Verdunkelungsgefahr erheblich vermindern werden. In Betracht kommt namentlich die Anweisung, mit Mitbeschuldigten, Zeugen oder Sachverständigen keine Verbindung aufzunehmen.
(3) Der Richter kann den Vollzug eines Haftbefehls, der nach § 112a erlassen worden ist, aussetzen, wenn die Erwartung hinreichend begründet ist, daß der Beschuldigte bestimmte Anweisungen befolgen und daß dadurch der Zweck der Haft erreicht wird.
(4) Der Richter ordnet in den Fällen der Absätze 1 bis 3 den Vollzug des Haftbefehls an, wenn
- 1.
der Beschuldigte den ihm auferlegten Pflichten oder Beschränkungen gröblich zuwiderhandelt, - 2.
der Beschuldigte Anstalten zur Flucht trifft, auf ordnungsgemäße Ladung ohne genügende Entschuldigung ausbleibt oder sich auf andere Weise zeigt, daß das in ihn gesetzte Vertrauen nicht gerechtfertigt war, oder - 3.
neu hervorgetretene Umstände die Verhaftung erforderlich machen.
(1) Die Kosten eines zurückgenommenen oder erfolglos eingelegten Rechtsmittels treffen den, der es eingelegt hat. Hat der Beschuldigte das Rechtsmittel erfolglos eingelegt oder zurückgenommen, so sind ihm die dadurch dem Nebenkläger oder dem zum Anschluß als Nebenkläger Berechtigten in Wahrnehmung seiner Befugnisse nach § 406h erwachsenen notwendigen Auslagen aufzuerlegen. Hat im Falle des Satzes 1 allein der Nebenkläger ein Rechtsmittel eingelegt oder durchgeführt, so sind ihm die dadurch erwachsenen notwendigen Auslagen des Beschuldigten aufzuerlegen. Für die Kosten des Rechtsmittels und die notwendigen Auslagen der Beteiligten gilt § 472a Abs. 2 entsprechend, wenn eine zulässig erhobene sofortige Beschwerde nach § 406a Abs. 1 Satz 1 durch eine den Rechtszug abschließende Entscheidung unzulässig geworden ist.
(2) Hat im Falle des Absatzes 1 die Staatsanwaltschaft das Rechtsmittel zuungunsten des Beschuldigten oder eines Nebenbeteiligten (§ 424 Absatz 1, §§ 439, 444 Abs. 1 Satz 1) eingelegt, so sind die ihm erwachsenen notwendigen Auslagen der Staatskasse aufzuerlegen. Dasselbe gilt, wenn das von der Staatsanwaltschaft zugunsten des Beschuldigten oder eines Nebenbeteiligten eingelegte Rechtsmittel Erfolg hat.
(3) Hat der Beschuldigte oder ein anderer Beteiligter das Rechtsmittel auf bestimmte Beschwerdepunkte beschränkt und hat ein solches Rechtsmittel Erfolg, so sind die notwendigen Auslagen des Beteiligten der Staatskasse aufzuerlegen.
(4) Hat das Rechtsmittel teilweise Erfolg, so hat das Gericht die Gebühr zu ermäßigen und die entstandenen Auslagen teilweise oder auch ganz der Staatskasse aufzuerlegen, soweit es unbillig wäre, die Beteiligten damit zu belasten. Dies gilt entsprechend für die notwendigen Auslagen der Beteiligten.
(5) Ein Rechtsmittel gilt als erfolglos, soweit eine Anordnung nach § 69 Abs. 1 oder § 69b Abs. 1 des Strafgesetzbuches nur deshalb nicht aufrechterhalten wird, weil ihre Voraussetzungen wegen der Dauer einer vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 111a Abs. 1) oder einer Verwahrung, Sicherstellung oder Beschlagnahme des Führerscheins (§ 69a Abs. 6 des Strafgesetzbuches) nicht mehr vorliegen.
(6) Die Absätze 1 bis 4 gelten entsprechend für die Kosten und die notwendigen Auslagen, die durch einen Antrag
- 1.
auf Wiederaufnahme des durch ein rechtskräftiges Urteil abgeschlossenen Verfahrens oder - 2.
auf ein Nachverfahren (§ 433)
(7) Die Kosten der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand fallen dem Antragsteller zur Last, soweit sie nicht durch einen unbegründeten Widerspruch des Gegners entstanden sind.