Oberlandesgericht Bamberg Beschluss, 29. Apr. 2016 - 2 Ss OWi 5/16

bei uns veröffentlicht am29.04.2016

Gericht

Oberlandesgericht Bamberg

Tatbestand

Das AG hat den Betr. am 22.06.2015 wegen einer am 19.05.2014 fahrlässig außerorts begangenen Geschwindigkeitsüberschreitung um 35 km/h zu einer Geldbuße von 240 € verurteilt und gegen ihn wegen des aufgrund seiner Vorahndungen angenommenen beharrlichen Pflichtenverstoßes außerhalb eines Regelfalls i. S. v. § 4 II 2 BKatV ein einmonatiges Fahrverbot angeordnet. Die hiergegen gerichtete Rechtsbeschwerde des Betr. erwies sich auf die Sachrüge im Rechtsfolgenausspruch als überwiegend erfolgreich und führte zum Wegfall des Fahrverbots.

Gründe

I. Die gemäß § 79 I 1 Nr. 2 OWiG statthafte und auch sonst zulässige Rechtsbeschwerde hat auf die Sachrüge des Betr. insoweit Erfolg, als der Rechtsfolgenausspruch des Urteils keinen Bestand hat. Im Übrigen ist die Rechtsbeschwerde jedoch unbegründet (§ 349 II StPO i. V. m. § 79 III 1 OWiG).

1. Soweit sich die Rechtsbeschwerde gegen den Schuldspruch richtet, war sie als unbegründet zu verwerfen. Auch ein Verfahrenshindernis besteht nicht. [...]

2. Das angefochtene Urteil hält jedoch in Bezug auf den Rechtsfolgenausspruch einer sachlich-rechtlichen Prüfung nicht stand. [...]

a) Die Rechtsfolgenentscheidung beruht sowohl hinsichtlich der Bemessung der Geldbuße als auch hinsichtlich der Verhängung des Fahrverbotes maßgeblich auf der Verwertung der im Urteil näher mitgeteilten Vorahndungen. Dies erweist sich als rechtsfehlerhaft, weil [...] mit Ausnahme der letzten Eintragung alle übrigen 6 angeführten Eintragungen am Tag des Erlasses des tatrichterlichen Urteils [...] am 22.06.2015 bereits tilgungsreif waren.

aa) Die Rechtskraft der vom AG bei der Bemessung der Rechtsfolgen als Vorahndungen berücksichtigten Bußgeldentscheidungen Nr. 1 bis 6 datiert vom 13.10.2012, 10.11.2012, 02.02.2013, 15.02.2013, 12.03.2013 und 26.04.2013. Dies hat zur Folge, dass sich nach § 65 III Nr. 2 StVG n. F. die Tilgung dieser Eintragungen nach den Bestimmungen des § 29 StVG in der bis zum 30.04.2014 anwendbaren Fassung richtet.

bb) Grundsätzlich beträgt die Tilgungsfrist bei Entscheidungen wegen einer Ordnungswidrigkeit nach § 29 I 2 Nr. 1 StVG a. F. 2 Jahre. Gemäß § 29 IV Nr. 3 StVG a. F. beginnt bei Bußgeldentscheidungen die Tilgungsfrist mit dem Tag der Rechtskraft oder Unanfechtbarkeit der beschwerenden Entscheidung. Für diese vom Tatrichter berücksichtigten Vorahndungen wäre die Tilgungsfrist somit bereits mit Ablauf des 25.04.2015 verstrichen. Sind im Fahreignungsregister jedoch - wie hier - mehrere Entscheidungen nach § 28 III Nrn. 1 bis 9 a. F. StVG über eine Person eingetragen, so ist nach § 29 VI 1 StVG a. F. die Tilgung einer Eintragung vorbehaltlich der Regelung in § 29 VI S. 2 bis 6 StVG a. F. erst zulässig, wenn für alle betreffenden Eintragungen die Voraussetzungen der Tilgung vorliegen. Dies war hier zum Entscheidungszeitpunkt am 22.06.2015 allerdings nicht der Fall, da für die seit dem 06.02.2015 rechtskräftige (letzte) Bußgeldentscheidung vom 20.01.2015 noch keine sog. Tilgungsreife eingetreten war.

cc) Jedoch kommt eine Tilgungshemmung durch die unter Nr. 7 erfasste (letzte) Bußgeldentscheidung vom 20.01.2015 vorliegend deshalb nicht in Betracht, weil § 29 VI 2 StVG a. F. lediglich auf vor dem 01.05.2014 erfolgte Eintragungen anwendbar ist (§ 65 III Nr. 2 1 StVG n. F.). Eine Eintragung der erst nach Inkrafttreten der Reform begangenen Tat vom 17.11.2014 konnte den Ablauf der Tilgungsfrist für die vom AG festgestellten Bußgeldentscheidungen Nrn. 1 bis 6 daher nach richtiger Ansicht nicht mehr hemmen (vgl. Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke/Janker StVR 24. Aufl. § 4 StVG Rn. 11 i. V. m. § 29 StVG a. F. Rn. 1 i. V. m. § 29 StVG n. F. Rn. 3; Gübner VRR 2014, 89).

b) Die Einfügung des § 65 III Nr. 2 StVG durch das Änderungsgesetz vom 28.08.2013 zielt nämlich ausweislich der Gesetzesmaterialien darauf ab, die Weiterführung der Tilgungshemmung auf den bei Inkrafttreten der Reform vorhandenen Registerbestand und die bereits ausgelösten Ablaufhemmungen zu beschränken. Eintragungen nach Inkrafttreten der Reform sollen unabhängig von Tattag und Entscheidungsdatum keine Tilgungshemmung mehr auslösen können. Die abzuschaffende Tilgungshemmung soll damit bereits in der Übergangszeit so weit wie möglich reduziert werden (BTDrucks. 17/13452 S. 7; VkBl. 2013, 1155).

aa) Nach dem Wortlaut des § 65 III Nr. 2 StVG kann die Ablaufhemmung des § 29 VI 2 StVG a. F. nicht durch Entscheidungen ausgelöst werden, die ab Inkrafttreten des Änderungsgesetzes am 01.05.2014 im Fahreignungsregister (FAER) gespeichert werden. Allerdings fehlt eine ausdrückliche Bezugnahme auch auf die Ablaufhemmung nach § 29 VI 1 StVG a. F. Ob hierfür aber für den Gesetzgeber überhaupt Anlass bestand, nachdem § 29 VI 1 StVG a. F. nur nach altem Recht eingetragene Entscheidungen betrifft, wohingegen § 29 VI 2 StVG a. F. von einer „neuen“ Tat spricht, ist umstritten (bejahend und allein auf den Wortlaut abstellend jedenfalls Hentschel/König/Dauer StVR 43. Aufl. § 29 StVG Rn. 43). Nach Auffassung des Senats erweist sich indes für die Auslegung der Vorschrift der in den Gesetzesmaterialien niedergelegte Wille des Gesetzgebers als ausschlaggebend.

bb) Die Auslegung nach dem Willen des Gesetzgebers, wie er sich vorliegend eindeutig aus den Gesetzesmaterialien ergibt, ist als eine gegenüber den weiteren Methoden gleichrangige Auslegungsmethode auch dann anwendbar, wenn der Gesetzeswortlaut selbst keinen entsprechenden Hinweis auf den Willen des Gesetzgebers enthält. Dem gesetzgeberischen Willen ist insoweit im Rahmen der Auslegung umso größeres Gewicht beizumessen, wenn es sich - wie hier - um eine noch junge Norm handelt, da dies umso eher die Unterstellung ermöglicht, dass der Wille des Gesetzgebers bei deren Erlass auch zum Entscheidungszeitpunkt noch fortgelten soll (st.Rspr.; vgl. u. a. BGH, Urteil v. 28.08.2007 - 1 StR 268/07 = BGHSt 52, 31 = NJW 2008, 240 = StV 2008, 77 = JR 2008, 207 und Beschl. v. 02.04.2008 - 1 ARs 3/08 = JR 2008, 255 mit Anm. Kudlich; vgl. auch BGH, Urt. v. 18.01.2007 - 4 StR 394/06 = StV 2007, 186 = StraFo 2007, 167 = NStZ 2007, 332 = JR 2007, 379 m. Anm. Kudlich JR 2007, 381). Der BGH hat es jedenfalls dann für ohne weiteres zulässig gehalten, selbst bei abweichendem Wortlaut die Vorstellung des Gesetzgebers der Gesetzesauslegung zugrunde zu legen, wenn sich dies - wie im vorliegenden Fall - ausschließlich zugunsten des von einer Sanktion Betr. auswirkt. Der mögliche Wortsinn des Gesetzes markiert die äußerste Grenze zulässiger richterlicher Auslegung einer strafrechtlichen Bestimmung danach nur zum Nachteil des von dieser Betr. (BGH a. a. O.; vgl. auch BGHSt 43, 237/238; Meyer-Goßner/Schmitt StPO 59. Aufl. Einl. Rn. 194). Ein Grund dafür, bei der Auslegung bußgeldrechtlicher Vorschriften insoweit von anderen Maßstäben auszugehen, ist nicht ersichtlich.

c) Nach alledem war das AG an der Verwertung der im Urteil festgestellten Vorahndungen Nrn. 1 bis 6 nach § 29 VIII i. V. m. VII StVG a. F. gehindert, weil diese Voreintragungen tilgungsreif waren. Tilgung und Tilgungsreife sind wesensgleich; in beiden Fällen darf eine Voreintragung zum Nachteil des Betr. nicht verwertet werden (Hentschel/König/Dauer § 29 StVG [42. Aufl.] Rn. 12).

II. Aufgrund des aufgezeigten sachlich-rechtlichen Mangels, auf dem sowohl die Bemessung der Geldbuße als auch die Verhängung des Fahrverbotes beruht, war das angefochtene Urteil im Rechtsfolgenausspruch abzuändern. Eine Zurückverweisung an das AG war insoweit entbehrlich. Der Senat kann gemäß § 79 VI OWiG in der Sache selbst [...] entscheiden, weil weitere für den Rechtsfolgenausspruch erhebliche Feststellungen nicht mehr zu erwarten sind. Nachdem die der Bußgeldentscheidung Nr. 7 zugrundeliegende Tat erst am 17.11.2014 und damit zeitlich nach der verfahrensgegenständlichen Tat begangen wurde, ist ein Anlass, gegen den als nicht vorgeahndet geltenden Betr. eine andere als die vorgesehene Regelgeldbuße von 120 Euro ohne Verhängung eines Fahrverbots (§ 1 I 1, II BKatV, Nr. 11.3.6 Tab. 1c zum BKat) festzusetzen, nicht erkennbar. [...]

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Straßenverkehrsgesetz - StVG | § 29 Tilgung der Eintragungen


(1) Die im Register gespeicherten Eintragungen werden nach Ablauf der in Satz 2 bestimmten Fristen getilgt. Die Tilgungsfristen betragen 1. zwei Jahre und sechs Monate bei Entscheidungen über eine Ordnungswidrigkeit, a) die in der Rechtsverordnung na

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Referenzen

(1) Die im Register gespeicherten Eintragungen werden nach Ablauf der in Satz 2 bestimmten Fristen getilgt. Die Tilgungsfristen betragen

1.
zwei Jahre und sechs Monatebei Entscheidungen über eine Ordnungswidrigkeit,
a)
die in der Rechtsverordnung nach § 6 Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 Buchstabe b als verkehrssicherheitsbeeinträchtigende oder gleichgestellte Ordnungswidrigkeit mit einem Punkt bewertet ist oder
b)
soweit weder ein Fall des Buchstaben a noch der Nummer 2 Buchstabe b vorliegt und in der Entscheidung ein Fahrverbot angeordnet worden ist,
2.
fünf Jahre
a)
bei Entscheidungen über eine Straftat, vorbehaltlich der Nummer 3 Buchstabe a,
b)
bei Entscheidungen über eine Ordnungswidrigkeit, die in der Rechtsverordnung nach § 6 Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 Buchstabe b als besonders verkehrssicherheitsbeeinträchtigende oder gleichgestellte Ordnungswidrigkeit mit zwei Punkten bewertet ist,
c)
bei von der nach Landesrecht zuständigen Behörde verhängten Verboten oder Beschränkungen, ein fahrerlaubnisfreies Fahrzeug zu führen,
d)
bei Mitteilungen über die Teilnahme an einem Fahreignungsseminar, einem Aufbauseminar, einem besonderen Aufbauseminar oder einer verkehrspsychologischen Beratung,
3.
zehn Jahre
a)
bei Entscheidungen über eine Straftat, in denen die Fahrerlaubnis entzogen oder eine isolierte Sperre angeordnet worden ist,
b)
bei Entscheidungen über Maßnahmen oder Verzichte nach § 28 Absatz 3 Nummer 5 bis 8.
Eintragungen über Maßnahmen der nach Landesrecht zuständigen Behörde nach § 2a Absatz 2 Satz 1 Nummer 1 und 2 und § 4 Absatz 5 Satz 1 Nummer 1 und 2 werden getilgt, wenn dem Inhaber einer Fahrerlaubnis die Fahrerlaubnis entzogen wird. Sonst erfolgt eine Tilgung bei den Maßnahmen nach § 2a Absatz 2 Satz 1 Nummer 1 und 2 ein Jahr nach Ablauf der Probezeit und bei Maßnahmen nach § 4 Absatz 5 Satz 1 Nummer 1 und 2 dann, wenn die letzte Eintragung wegen einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit getilgt ist.Verkürzungen der Tilgungsfristen nach Absatz 1 können durch Rechtsverordnung gemäß § 30c Abs. 1 Nr. 2 zugelassen werden, wenn die eingetragene Entscheidung auf körperlichen oder geistigen Mängeln oder fehlender Befähigung beruht.

(2) Die Tilgungsfristen gelten nicht, wenn die Erteilung einer Fahrerlaubnis oder die Erteilung des Rechts, von einer ausländischen Fahrerlaubnis wieder Gebrauch zu machen, für immer untersagt ist.

(3) Ohne Rücksicht auf den Lauf der Fristen nach Absatz 1 und das Tilgungsverbot nach Absatz 2 werden getilgt

1.
Eintragungen über Entscheidungen, wenn ihre Tilgung im Bundeszentralregister angeordnet oder wenn die Entscheidung im Wiederaufnahmeverfahren oder nach den §§ 86, 102 Abs. 2 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten rechtskräftig aufgehoben wird,
2.
Eintragungen, die in das Bundeszentralregister nicht aufzunehmen sind, wenn ihre Tilgung durch die nach Landesrecht zuständige Behörde angeordnet wird, wobei die Anordnung nur ergehen darf, wenn dies zur Vermeidung ungerechtfertigter Härten erforderlich ist und öffentliche Interessen nicht gefährdet werden,
3.
Eintragungen, bei denen die zugrundeliegende Entscheidung aufgehoben wird oder bei denen nach näherer Bestimmung durch Rechtsverordnung gemäß § 30c Abs. 1 Nr. 2 eine Änderung der zugrundeliegenden Entscheidung Anlass gibt,
4.
sämtliche Eintragungen, wenn eine amtliche Mitteilung über den Tod der betroffenen Person eingeht.

(4) Die Tilgungsfrist (Absatz 1) beginnt

1.
bei strafgerichtlichen Verurteilungen und bei Strafbefehlen mit dem Tag der Rechtskraft, wobei dieser Tag auch dann maßgebend bleibt, wenn eine Gesamtstrafe oder eine einheitliche Jugendstrafe gebildet oder nach § 30 Abs. 1 des Jugendgerichtsgesetzes auf Jugendstrafe erkannt wird oder eine Entscheidung im Wiederaufnahmeverfahren ergeht, die eine registerpflichtige Verurteilung enthält,
2.
bei Entscheidungen der Gerichte nach den §§ 59, 60 des Strafgesetzbuchs und § 27 des Jugendgerichtsgesetzes mit dem Tag der Rechtskraft,
3.
bei gerichtlichen und verwaltungsbehördlichen Bußgeldentscheidungen sowie bei anderen Verwaltungsentscheidungen mit dem Tag der Rechtskraft oder Unanfechtbarkeit der beschwerenden Entscheidung,
4.
bei Aufbauseminaren nach § 2a Absatz 2 Satz 1 Nummer 1, verkehrspsychologischen Beratungen nach § 2a Absatz 2 Satz 1 Nummer 2 und Fahreignungsseminaren nach § 4 Absatz 7 mit dem Tag der Ausstellung der Teilnahmebescheinigung.

(5) Bei der Versagung oder Entziehung der Fahrerlaubnis wegen mangelnder Eignung, der Anordnung einer Sperre nach § 69a Abs. 1 Satz 3 des Strafgesetzbuchs oder bei einem Verzicht auf die Fahrerlaubnis beginnt die Tilgungsfrist erst mit der Erteilung oder Neuerteilung der Fahrerlaubnis, spätestens jedoch fünf Jahre nach der Rechtskraft der beschwerenden Entscheidung oder dem Tag des Zugangs der Verzichtserklärung bei der zuständigen Behörde. Bei von der nach Landesrecht zuständigen Behörde verhängten Verboten oder Beschränkungen, ein fahrerlaubnisfreies Fahrzeug zu führen, beginnt die Tilgungsfrist fünf Jahre nach Ablauf oder Aufhebung des Verbots oder der Beschränkung.

(6) Nach Eintritt der Tilgungsreife wird eine Eintragung vorbehaltlich der Sätze 2 und 4 gelöscht. Eine Eintragung nach § 28 Absatz 3 Nummer 1 oder 3 Buchstabe a oder c wird nach Eintritt der Tilgungsreife erst nach einer Überliegefrist von einem Jahr gelöscht. Während dieser Überliegefrist darf der Inhalt dieser Eintragung nur noch zu folgenden Zwecken übermittelt, verwendet oder über ihn eine Auskunft erteilt werden:

1.
zur Übermittlung an die nach Landesrecht zuständige Behörde zur dortigen Verwendung zur Anordnung von Maßnahmen im Rahmen der Fahrerlaubnis auf Probe nach § 2a,
2.
zur Übermittlung an die nach Landesrecht zuständige Behörde zur dortigen Verwendung zum Ergreifen von Maßnahmen nach dem Fahreignungs-Bewertungssystem nach § 4 Absatz 5,
3.
zur Auskunftserteilung an die betroffene Person nach § 30 Absatz 8,
4.
zur Verwendung für die Durchführung anderer als der in den Nummern 1 oder 2 genannten Verfahren zur Erteilung oder Entziehung einer Fahrerlaubnis, wenn die Tat als Grundlage in einer noch gespeicherten Maßnahme nach § 28 Absatz 3 Nummer 5, 6 oder 8 genannt ist.
Die Löschung einer Eintragung nach § 28 Absatz 3 Nummer 3 Buchstabe a oder c unterbleibt in jedem Fall so lange, wie die betroffene Person im Zentralen Fahrerlaubnisregister als Inhaber einer Fahrerlaubnis auf Probe gespeichert ist; während dieser Zeit gilt Satz 3 Nummer 1, 3 und 4 nach Ablauf der Überliegefrist entsprechend.

(7) Ist eine Eintragung im Fahreignungsregister gelöscht, dürfen die Tat und die Entscheidung der betroffenen Person für die Zwecke des § 28 Absatz 2 nicht mehr vorgehalten und nicht zu ihrem Nachteil verwertet werden. Abweichend von Satz 1 darf eine Tat und die hierauf bezogene Entscheidung trotz ihrer Löschung aus dem Fahreignungsregister für die Durchführung anderer als der in Absatz 6 Satz 3 Nummer 4 genannten Verfahren zur Erteilung oder Entziehung einer Fahrerlaubnis verwendet werden, solange die Tat als Grundlage in einer noch gespeicherten Maßnahme nach § 28 Absatz 3 Nummer 5, 6 oder 8 genannt ist. Unterliegt eine Eintragung im Fahreignungsregister über eine gerichtliche Entscheidung nach Absatz 1 Satz 2 Nummer 3 Buchstabe a einer zehnjährigen Tilgungsfrist, darf sie nach Ablauf eines Zeitraums, der einer fünfjährigen Tilgungsfrist nach den vorstehenden Vorschriften entspricht, nur noch für folgende Zwecke an die nach Landesrecht zuständige Behörde übermittelt und dort verwendet werden:

1.
zur Durchführung von Verfahren, die eine Erteilung oder Entziehung einer Fahrerlaubnis zum Gegenstand haben,
2.
zum Ergreifen von Maßnahmen nach dem Fahreignungs-Bewertungssystem nach § 4 Absatz 5.
Außerdem dürfen für die Prüfung der Berechtigung zum Führen von Kraftfahrzeugen Entscheidungen der Gerichte nach den §§ 69 bis 69b des Strafgesetzbuches an die nach Landesrecht zuständige Behörde übermittelt und dort verwendet werden. Die Sätze 1 bis 3 gelten nicht für Eintragungen wegen strafgerichtlicher Entscheidungen, die für die Ahndung von Straftaten herangezogen werden. Insoweit gelten die Regelungen des Bundeszentralregistergesetzes.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 268/07
vom
28. August 2007
BGHSt: ja
BGHR: ja
Veröffentlichung: ja
________________________
Wird die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus für erledigt erklärt
(§ 67d Abs. 6 StGB), so kann dies regelmäßig nur dann Grundlage nachträglicher
Sicherungsverwahrung (§ 66b Abs. 3 StGB) sein, wenn der Betroffene
andernfalls in die Freiheit zu entlassen wäre. Hat er dagegen im Anschluss
an die Erledigung noch Freiheitsstrafe zu verbüßen, auf die zugleich mit der Unterbringung
erkannt worden war, kann nachträgliche Sicherungsverwahrung regelmäßig
nur unter den Voraussetzungen von § 66b Abs. 1 StGB oder § 66b
Abs. 2 StGB angeordnet werden.
BGH, Urteil vom 28. August 2007 - 1 StR 268/07 - LG Augsburg
in der Strafsache
gegen
wegen nachträglicher Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 28. August
2007, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Nack
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl,
Dr. Kolz,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Elf,
der Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Graf,
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Augsburg vom 22. Januar 2007 wird verworfen. 2. Die Kosten der Revision der Staatsanwaltschaft und die dem Betroffenen hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse zur Last.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat es abgelehnt, gegen den Betroffenen gemäß § 66b Abs. 3 StGB nachträglich Sicherungsverwahrung anzuordnen. Die hiergegen gerichtete auf die Sachrüge gestützte Revision der Staatsanwaltschaft bleibt erfolglos.

I.

2
1. Folgender Verfahrensgang war vorausgegangen:
3
Der wiederholt und auch einschlägig vorbestrafte Betroffene war am 3. Juli 1997 wegen näher geschilderten sexuellen Missbrauchs eines acht Jahre alten Jungen in 13 Fällen - Gewalt hatte hierbei nie eine Rolle gespielt - zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und acht Monaten (Einzelstrafen je sechs Monate) verurteilt worden; zugleich war er gemäß § 63 StGB in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht worden. Sachverständig beraten hatte das Gericht erheblich verminderte Schuldfähigkeit (§ 21 StGB) wegen "einer hirnorganischen Leistungsbeeinträchtigung bzw. einer organischen Persönlichkeitsstörung" und wegen Pädophilie bejaht.
4
Der Betroffene befand sich - mit einer Unterbrechung - im psychiatrischen Maßregelvollzug, bis die Strafvollstreckungskammer am 21. Dezember 2005 die Maßregel "in entsprechender Anwendung von § 67c Abs. 2 Satz 5 StGB" für erledigt erklärte, da ein die Unterbringung gemäß § 63 StGB rechtfertigender Zustand gemäß §§ 20, 21 StGB nicht gegeben sei. Sachverständig beraten hat sie festgestellt, dass zwar eine Pädophilie vorliege, die im Erkenntnisverfahren gestellte Diagnose im Übrigen aber eine "Fehlbeurteilung" gewesen sei. Der Betroffene habe "die Angaben, auf die die Diagnose gestützt wurde, lediglich aus Angst gemacht, um statt ins Gefängnis in die Psychiatrie zu kommen". Zugleich wurde die Vollstreckung des noch nicht erledigten Teils der zugleich mit der Unterbringung ausgesprochenen Freiheitsstrafe (letztlich 311 Tage) angeordnet, die er dann bis Februar 2007 vollständig verbüßt hat.
5
2. Nach sachverständiger Beratung hat die Jugendkammer beim Betroffenen eine Störung der Sexualpräferenz vom Prägnanztyp der Pädophilie (ICD 10 F 65.4) im Sinne einer homosexuell ausgerichteten Pädophilie mit einer Orientierung auf pubertierende Jungen und jugendliche Männer festgestellt. Seine Persönlichkeit sei darüber hinaus von infantilen und dependenten Persönlichkeitszügen geprägt. Ein chronisches organisches Psychosyndrom vom Prägnanztyp der organischen Wesensänderung infolge frühkindlicher Hirnschädigung bzw. cerebraler Dysfunktion liege dagegen nicht vor. Ein Hang zu Taten wie den abgeurteilten sei zu bejahen. Es bestehe auch die hohe Wahrscheinlichkeit , dass er weiterhin derartige Taten begehen werde.
6
3. Die Ablehnung von nachträglicher Sicherungsverwahrung hat die Jugendkammer wie folgt begründet:
7
a) § 66b Abs. 3 StGB setze voraus, dass die Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 67d Abs. 6 StGB für erledigt erklärt worden sei. Die Strafvollstreckungskammer habe ihrer Entscheidung demgegenüber auf eine entsprechende Anwendung von § 67c Abs. 2 Satz 5 StGB gestützt. Daher sei § 66b Abs. 3 StGB hier schon aus formalen Gründen nicht anwendbar.
8
b) Es sei auch nicht sicher, dass die Opfer der zu erwartenden Taten hierdurch seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden würden. Der Betroffene habe bei seinen früheren Taten nie Gewalt angewendet; "eine Progredienz der Sexualdelinquenz mit zunehmender Gewaltanwendung" sei bei ihm "wenig wahrscheinlich". Wende er aber keine Gewalt an, sei "mit schweren posttraumatischen Belastungsstörungen" bei den Opfern seiner künftigen Taten "kaum zu rechnen". Obwohl "größere" seelische Schäden bei ihnen nicht sicher auszuschließen seien, fehle es an der gemäß § 66b Abs. 3 StGB erforderlichen erhöhten Wahrscheinlichkeit ihres Eintritts.
9
c) Außerdem führt die Jugendkammer, der Sache nach hilfsweise, weitere Gesichtspunkte an, die die Anordnung nachträglicher Sicherungsverwahrung hier unverhältnismäßig erscheinen ließen: (1) die Fehldiagnose im Erkenntnisverfahren hätte bei gehöriger Sorgfalt vermieden werden können; (2) es falle ins Gewicht, dass der Betroffene nach seiner Entlassung unter Führungsaufsicht stünde, wodurch die Gefahr künftiger Straftaten "minimiert" würde; (3) schließlich sei noch Freiheitsstrafe zu vollstrecken, nachdem die Unterbringung für erledigt erklärt worden sei; in derartigen Fällen sei nach dem Willen des Gesetzgebers § 66b Abs. 1 bzw. § 66b Abs. 2 StGB vor § 66b Abs. 3 StGB vorrangig.

II.

10
Das Urteil hat im Ergebnis Bestand.
11
Allerdings liegen die formalen Voraussetzungen von § 66b Abs. 3 StGB vor. Die fehlerhafte Bezeichnung der Rechtsgrundlage für die Erledigung der Unterbringung durch die Strafvollstreckungskammer ist unschädlich (1.). Ebenso wenig kommt es darauf an, dass die für erledigt erklärte Unterbringung von vorneherein hätte vermieden werden können (2.). Der abstrakte Hinweis auf die Möglichkeiten der Führungsaufsicht könnte die Notwendigkeit nachträglicher Sicherungsverwahrung hier nicht in Frage stellen (3.). Auch die Erwägungen zu den Unklarheiten über die seelischen Schäden, die durch die zu befürchtenden künftigen Straftaten bei deren Opfern eintreten werden, sind nicht tragfähig (4.).
12
Jedoch weist die Jugendkammer zu Recht darauf hin, dass der Betroffene nach der Erledigung der Unterbringung nicht in die Freiheit zu entlassen war; vielmehr hatte er zugleich mit der Unterbringungsanordnung verhängte Freiheitsstrafe zu verbüßen. Dies begründet nach Auffassung des Senats regelmäßig eine Sperrwirkung von § 66b Abs. 1 und Abs. 2 StGB gegenüber § 66b Abs. 3 StGB (5.).
13
1. Zwar weist die Jugendkammer zu Recht darauf hin, dass die Strafvollstreckungskammer in ihrem Beschluss vom 21. Dezember 2005 die Unterbringung in entsprechender Anwendung von § 67c Abs. 2 Satz 5 StGB für erledigt erklärt hat. § 66b Abs. 3 StGB verlangt dagegen, dass die Unterbringung ge- mäß § 67d Abs. 6 StGB für erledigt erklärt worden ist. Die Auffassung der Jugendkammer , hieraus folge aus zwingenden rechtlichen Gründen ohne weiteres , dass § 66b Abs. 3 StGB unanwendbar sei, geht jedoch fehl.
14
Die Entscheidung der Strafvollstreckungskammer entsprach, wie auch die Jugendkammer nicht verkennt, der früheren ganz überwiegenden Rechtsprechung der Strafvollstreckungsgerichte. Diese hatten in richterrechtlicher Rechtsfortbildung die Maßregel in analoger Anwendung von § 67c Abs. 2 Satz 5 StGB für erledigt erklärt, wenn zum Zeitpunkt ihrer Entscheidung die Maßregelvoraussetzungen nicht vorlagen, sei es, dass sie von Anfang an gefehlt hatten, sei es, dass sie nachträglich weggefallen waren (vgl. Berg/Wiedner StV 2007, 434 ff. mit umfangreichen Nachw. aus der Rspr.). Diese Rechtsprechung sollte nach dem Willen des Gesetzgebers durch den durch das Gesetz zur nachträglichen Sicherungsverwahrung vom 23. Juli 2004 (BGBl I 1838) neu geschaffenen § 67d Abs. 6 StGB festgeschrieben werden (BTDrucks. 15/2887 S. 10, 13 f.); die materiellen Voraussetzungen einer solchen Erledigterklärung sollten sich also gerade nicht ändern. Dies verkennt die Jugendkammer, wenn sie hervorhebt, dass es an der erforderlichen "qualifizierten" Erledigterklärung - gemeint: gemäß § 67d Abs. 6 StGB - fehle. Für solche Erwägungen wäre, ebenso wie für die Überlegungen der Jugendkammer zu planwidriger Regelungslücke und Analogieverbot nur Raum, wenn sich die materiellen Voraussetzungen einer Erledigterklärung gemäß § 67d Abs. 6 StGB wegen Fehlens der Unterbringungsvoraussetzungen im Vergleich zur früheren Rechtslage in hier relevanter Weise geändert hätten. Dies ist jedoch gerade nicht der Fall.
15
Die Strafvollstreckungskammer hat der Sache nach, wie dies § 66b Abs. 3 StGB erfordert, die Maßregel für erledigt erklärt, weil der die Schuldfähigkeit vermindernde Zustand, auf dem die Unterbringung beruhte, im Zeitpunkt der Erledigungsentscheidung nicht bestanden hat. Sie hat lediglich übersehen, dass sich die paragraphenmäßige Bezeichnung der sachlich unverändert gebliebenen rechtlichen Voraussetzungen für diese Entscheidung geändert hat.
16
Dieser Mangel führt unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zur Unanwendbarkeit von § 66b Abs. 3 StGB. Entscheidend ist nicht, ob die - ohnehin nicht in Rechtskraft erwachsenden - Gründe des Beschlusses der Strafvollstreckungskammer die Worte "§ 67d Abs. 6 StGB" enthalten oder ob sie gar keine Rechtsgrundlage ausdrücklich nennen oder ob sie, wie hier, eine veraltete Rechtsgrundlage nennen; entscheidend ist vielmehr, ob die Unterbringung aus den in § 66b Abs. 3 StGB genannten Gründen der ersten Alternative von § 67d Abs. 6 StGB - fehlende Unterbringungsvoraussetzungen zum Zeitpunkt der Beschlussfassung - für erledigt erklärt worden ist. Da dies der Fall ist, ist § 66b Abs. 3 StGB hier anwendbar.
17
2. Die Jugendkammer und zuvor auch die Strafvollstreckungskammer gehen übereinstimmend davon aus, dass die Voraussetzungen für eine Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus bei deren Anordnung nicht vorgelegen haben und dass dies auch im Erkenntnisverfahren hätte bemerkt werden können. Der Senat teilt die Auffassung der Jugendkammer nicht, dass diese - im Einzelfall schwierige und oft nicht klar mögliche (vgl. Berg/Wiedner StV 2007, 434, 440) - Unterscheidung die Frage der Verhältnismäßigkeit der nachträglichen Sicherungsverwahrung beträfe.
18
a) Für die von § 66b Abs. 3 StGB vorausgesetzte Erledigterklärung gemäß § 67d Abs. 6 StGB ist nach der Konzeption des Gesetzgebers der Zustand bei der vollstreckungsgerichtlichen Entscheidung maßgebend (BTDrucks. 15/2887 S. 14). Anderes ergibt sich auch nicht aus dem Wortlaut des Gesetzes. Die unterschiedlich beurteilte Frage, ob von diesem Grundsatz Ausnahmen in Fällen zu machen sind, in denen eine - von Anfang an vorliegende - "Fehlein- weisung" auf bloßer rechtsfehlerhafter Wertung der zutreffend festgestellten Tatsachen durch das erkennende Gericht beruhte (vgl. einerseits OLG Frankfurt StV 2007, 430; hierzu auch BVerfG NStZ-RR 2007, 29; andererseits KG StV 2007, 432; Berg/Wiedner aaO 433), braucht der Senat hier nicht zu entscheiden.
19
b) Mit der von ihr vorgenommenen Differenzierung überträgt die Jugendkammer letztlich für die Anwendung von § 66b Abs. 1 und 2 StGB maßgebliche Gesichtspunkte auf § 66b Abs. 3 StGB. Hierfür ist jedoch in diesem Zusammenhang kein Raum. (1) Allerdings kann nachträgliche Sicherungsverwahrung gemäß § 66b Abs. 1 oder 2 StGB nicht auf Tatsachen gestützt werden, die im Erkenntnisverfahren schon bekannt waren oder bei entsprechender Sorgfalt (§ 244 Abs. 2 StPO) hätten bekannt sein können (BGHSt 50, 121, 126; 50, 275, 278). Die Nachholung einer schon früher möglichen , aber fehlerhaft unterbliebenen Entscheidung ist nicht zulässig. (2) Nach der gesetzlichen Konzeption - Entscheidung gemäß § 67d Abs. 6 StGB auch bei Fehlern im Erkenntnisverfahren; diese Entscheidung kann (soweit hier von Interesse) stets Grundlage einer Entscheidung gemäß § 66b Abs. 3 StGB sein - verhält es sich bei § 66b Abs. 3 StGB anders. Hier sind - anders als bei § 66b Abs. 1 oder Abs. 2 StGB - keine "Nova" erforderlich. Gegebenenfalls kann also nachträgliche Sicherungsverwahrung auch auf der Grundlage von solchen Erkenntnissen angeordnet werden, welche schon im Erkenntnisverfahren vorlagen oder hätten gewonnen werden können. (3) Die Jugendkammer nimmt nicht ausreichend darauf Bedacht, dass in den Fällen von § 66b Abs. 1 und Abs. 2 StGB eine im Erkenntnisverfahren nicht angeordnete freiheitsentziehende Maßregel von unbe- stimmter Dauer nachträglich hinzugefügt wird. Demgegenüber geht es in § 66b Abs. 3 StGB im Kern darum, bei einem nach wie vor hochgefährlichen Täter eine bereits angeordnete, dann aber erledigte freiheitsentziehende Maßregel von unbestimmter Dauer (§ 63 StGB) durch eine andere freiheitsentziehende Maßregel von unbestimmter Dauer zu ersetzen (Koller R & P 2007, 57, 65). Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus, die ebenso wie die Sicherungsverwahrung den Schutz der Allgemeinheit vor gefährlichen Straftätern bezweckt, ist gegenüber dieser im Grundsatz auch kein geringeres Übel (BGH NStZ 2002, 533, 534 m.w.N.). Der Schutz vor Verurteilten, von denen mit hoher Wahrscheinlichkeit schwere Straftaten gegen bedeutende Individualrechtsgüter zu erwarten sind, ist ein überragendes Gemeinwohlinteresse (BVerfGE 109, 190, 236; BVerfG NJW 2006, 3483, 3484). Daher stünden namentlich Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkte auch bei einer ursprünglich fehlerhaften Entscheidung im Erkenntnisverfahren der Anordnung nachträglicher Sicherungsverwahrung hier nicht im Wege.
20
3. Die im Zusammenhang mit Führungsaufsicht angestellten Erwägungen der Jugendkammer sind nicht rechtsfehlerfrei. Bei einer Erledigterklärung gemäß § 67d Abs. 6 Satz 1 StGB tritt regelmäßig Führungsaufsicht ein, § 67d Abs. 6 Satz 2 StGB. Gleichwohl ist bei entsprechend gefährlichen Verurteilten nach einer solchen Erledigterklärung die Möglichkeit nachträglicher Sicherungsverwahrung vorgesehen. Die Annahme der Jugendkammer, allein der Umstand, dass Führungsaufsicht eingetreten sei, spreche schon im Ansatz gegen die Notwendigkeit nachträglicher Sicherungsverwahrung, entfernt sich daher von der gesetzlichen Wertung. Soweit im Einzelfall konkret prognostizierbar ist, dass vom Verurteilten im Hinblick auf die Führungsaufsicht keine erheblichen Straftaten zu erwarten sind, wirkt sich dies auf die Beurteilung seiner Gefährlichkeit aus. Hierfür enthält das Urteil keine Anhaltspunkte. Die Erwägungen , die Wahrscheinlichkeit weiterer Straftaten sei einerseits sehr hoch, jedoch andererseits allein wegen des Eintritts von Führungsaufsicht sehr gering, sind ohne nähere Darlegungen unvereinbar.
21
4. Schließlich bestehen auch rechtliche Bedenken gegen die Erwägungen der Jugendkammer, soweit sie eine erhöhte Wahrscheinlichkeit des Eintritts schwerer seelischer Schäden bei den künftigen Opfern (§ 66b Abs. 3 Nr. 2 StGB) verneint.
22
Die Jugendkammer geht letztlich davon aus, dass der Betroffene Taten gemäß § 176 StGB mit hoher Wahrscheinlichkeit wieder begehen werde; schwere Schäden bei den nicht individualisierbaren Opfern seien zwar nicht ausgeschlossen, aber nicht in dem erforderlichen Maße wahrscheinlich. Begründet ist dies im Kern damit, dass mit Gewalttätigkeiten auch künftig nicht zu rechnen sei.
23
Sind schon konkrete seelische Schäden durch sexuellen Missbrauch bei dessen kindlichen Opfern im Einzelfall nicht immer leicht festzustellen (vgl. hierzu zuletzt BGH, Urt. vom 14. August 2007 - 1 StR 201/07 - Rdn. 35 f.), so gilt dies um so mehr für die Ermittlung und Gewichtung der Schwere von möglichen seelischen Schäden bei naturgemäß unbekannten Opfern künftiger, in ihrem Ablauf jedenfalls nicht in allen Einzelheiten feststehender Straftaten. Die Schwere seelischer Schäden hängt von einer Vielzahl einzelfallbezogener Umstände ab, deren vorausschauende konkrete Gewichtung praktisch kaum möglich ist (vgl. Hörnle NStZ 2000, 310 m.w.N.). Dementsprechend ist die erforderliche Wahrscheinlichkeitsprognose gemäß § 66b Abs. 3 StGB nicht im empiri- schen Sinne zu verstehen (BTDrucks. 15/2887 S. 13; kritisch hierzu Tröndle/Fischer , StGB 54. Aufl. § 66b Rdn. 22), sondern sie hat in wertender Abwägung zu erfolgen (BTDrucks. aaO). Diese Grundsätze gelten nicht nur für die Frage, ob künftige Taten überhaupt zu erwarten sind, sondern auch für die Wahrscheinlichkeit schwerer Tatfolgen. Anhaltspunkte für eine derartige Differenzierung ergeben sich weder aus dem Gesetzeswortlaut noch aus den Gesetzesmaterialien. Eine Anordnung gemäß § 66b Abs. 3 StGB verlangt daher bei zu befürchtenden Fällen von sexuellem Missbrauch von Kindern nicht - auch kaum zu treffende - Feststellungen dazu, inwieweit die statistische Häufigkeit empirisch gesichert ist, mit der diese Taten bei den (potentiellen) Opfern schwerwiegende psychische Schäden auslösen.
24
Bei der genannten wertenden Abwägung ist vielmehr von den Grundentscheidungen des Gesetzes auszugehen. § 176 StGB wurde geschaffen und mehrfach (z.B. durch § 176a StGB) erweitert, weil durch derartige Taten eine schwerwiegende Beeinträchtigung der sexuellen Entwicklung von Kindern zu besorgen ist (vgl. BGHSt 45, 131, 132; Tröndle/Fischer aaO § 176 Rdn. 2, 36 m.w.N.). Sie weisen, so auch die Einschätzung des Gesetzgebers, einen erheblichen ("besonderen") Unrechts- und Schuldgehalt auf (vgl. BTDrucks. 15/350 S. 1, 17). Dementsprechend ist die Vorschrift in den Katalog des § 66 Abs. 3 StGB aufgenommen, auf den § 66b Abs. 3 Nr. 1 StGB verweist. Die Annahme, gleichwohl seien im Einzelfall schwere seelische Schäden wenig wahrscheinlich , bedarf daher konkreter Anhaltspunkte im Einzelfall (vgl. hierzu Hanack in LK 11. Aufl. § 66 Rdn. 139). Die in diesem Zusammenhang - allein - angestellte Erwägung der Strafkammer, es seien (auch) künftig keine Gewalttätigkeiten zu erwarten, würde letztlich bedeuten, dass bei Taten, die allein gegen § 176 StGB verstoßen, keine schweren Schäden im Sinne des § 66b Abs. 3 Nr. 2 StGB wahrscheinlich sind, sondern nur dann, wenn durch diese Taten zugleich § 177 StGB erfüllt wäre. Dieser Maßstab ist mit der aufgezeigten gesetzlichen Wer- tung unvereinbar (vgl. auch BGH NStZ 2007, 464, 465; Urt. vom 14. August 2007 - 1 StR 201/07 - Rdn. 33).
25
5. Gleichwohl hat das Urteil letztlich Bestand. Nach Auffassung des Senats ist § 66b Abs. 3 StGB regelmäßig dann nicht anwendbar, wenn, wie hier, nach der Entscheidung gemäß § 67d Abs. 6 StGB noch eine mit der Unterbringung gemäß § 63 StGB zugleich verhängte Freiheitsstrafe zu vollstrecken ist. Der Wortlaut des Gesetzes bietet für diese Auffassung allerdings keine Anhaltspunkte. § 66b Abs. 3 spricht vielmehr auch von Fällen, in denen der die Schuldfähigkeit vermindernde Zustand nicht bestanden hat. In Fällen, in denen die Schuldfähigkeit aber nur (erheblich) vermindert war, ist aber, wie auch hier, eine - gegebenenfalls gemilderte - Strafe verhängt worden. Über den Stand der Strafvollstreckung ist nichts gesagt. Das bedeutet, dass § 66b Abs. 3 StGB auch anwendbar zu sein scheint, wenn die Unterbringung zwar erledigt, aber mit ihr zugleich verhängte Strafe noch zu vollstrecken ist.
26
Die Gesetzesmaterialien zu § 66b Abs. 3 StGB weisen demgegenüber eindeutig darauf hin, dass § 66b Abs. 1 und § 66b Abs. 2 StGB in derartigen Fällen eine Sperrwirkung gegenüber § 66b Abs. 3 StGB entfalten. Der - insoweit im weiteren Gesetzgebungsverfahren auch nicht in Frage gestellte - Gesetzesentwurf der Bundesregierung enthält in diesem Zusammenhang folgende Ausführungen (BTDrucks. 15/2887 S. 14): "Anwendung soll die Vorschrift (§ 66b Abs. 3 StGB) vor allem in denjenigen Fällen finden, in denen der Untergebrachte von dem erkennenden Gericht für schuldunfähig gehalten und deshalb nur die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet wurde, ohne dass parallel eine Freiheitsstrafe verhängt werden konnte. Erfasst werden von der Vorschrift daneben aber auch die Fälle, in denen das Gericht unter Anwendung des § 21 StGB neben der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus eine Freiheitsstrafe verhängt hatte, in denen die Freiheitsstrafe aber in Umkehrung der regelmäßigen Vollstreckungsreihenfolge (§ 67 Abs. 1 und 2 StGB) bereits vor dem Vollzug der Maßregel vollständig vollstreckt wurde und somit der Untergebrachte nunmehr aus der Maßregel in die Freiheit zu entlassen wäre. In Fällen, in denen nach Erledigung der Maßregel noch eine parallel verhängte Freiheitsstrafe zu vollstrecken ist, ergibt sich demgegenüber zunächst kein Bedürfnis für die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 66b Abs. 3 StGB - neu -. Hier kommt ggf. vor Ende des Vollzugs der Freiheitsstrafe die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 66b Abs. 1 und 2 StGB - neu - in Betracht."
27
Nach dem Willen des Gesetzgebers steht also in Fällen, in denen nach der Erledigung der Unterbringung noch zugleich mit ihrer Anordnung verhängte Freiheitsstrafe zu vollstrecken ist, nachträgliche Sicherungsverwahrung "zunächst" ohnehin nicht in Frage. Notwendigem Schutz der Allgemeinheit ist dann nämlich dadurch Rechnung getragen, dass sich der Betroffene auch nach Erledigung der Unterbringung in Haft befindet. Deswegen besteht für die Anwendbarkeit von § 66b Abs. 3 StGB kein Bedürfnis. Später - in Anbetracht der Entlassung aus dem Strafvollzug - sollen allein die gesetzlichen Voraussetzungen von § 66b Abs. 1 und 2 StGB maßgebend sein. Dem entspricht, dass als Anwendungsbereich von § 66b Abs. 3 StGB im Zusammenhang mit ursprünglich neben der Unterbringung zugleich verhängter Strafe ausdrücklich die - nach forensischer Erfahrung praktisch eher seltenen (vgl. § 67 Abs. 4 StGB) - Fälle genannt sind, in denen diese Strafe bei Erledigung der Unterbringung bereits vollständig verbüßt ist. Dementsprechend weisen die Gesetzesmaterialien auch noch an anderer Stelle ausdrücklich darauf hin, dass § 66b Abs. 3 StGB verhindern soll, dass hochgefährliche Straftäter infolge der Erledigterklärung "ohne die Möglichkeit einer nachträglichen Anordnung … der Sicherungsverwahrung … in die Freiheit entlassen werden müssten" (aaO S. 13).
28
Der Senat hält es für zulässig, Vorstellungen des Gesetzgebers der Gesetzesauslegung auch dann zu Grunde zu legen, wenn diese Vorstellungen im Gesetzeswortlaut keinen Niederschlag gefunden haben, sich aber ausschließlich zu Gunsten des von der strafrechtlichen Bestimmung Betroffenen auswirken (vgl. auch Eser in Schönke/Schröder, StGB 27. Aufl. § 1 Rdn. 31 f. zu Fällen von Analogie ausschließlich zu Gunsten des Angeklagten). Der mögliche Wortsinn des Gesetzes markiert die äußerste Grenze zulässiger richterlicher Auslegung strafrechtlicher Bestimmungen nur zum Nachteil des Betroffenen (vgl. BGHSt 43, 237, 238; BGH NJW 2007, 524, 525 jew. m.w.N.). Eine Einschränkung des Anwendungsbereichs einer Bestimmung anhand der Vorstellungen des Gesetzgebers, die sich im Wortlaut der Bestimmung nicht oder jedenfalls nicht eindeutig widerspiegeln, kommt um so eher in Betracht, je schwerer die Sanktion ist, die die in Rede stehende Norm androht (in vergleichbarem Sinne zu § 239a Abs. 1, § 239b Abs. 1 StGB BGHSt 40, 350, 356 f.; Träger/Schluckebier in LK 11. Aufl. § 239a Rdn. 16; zu § 316a StGB BGHSt 49, 8, 11). Hier folgt der Senat schon deshalb der Gesetzesbegründung (vgl. auch Koller R & P 2007, 57, 66 f.), weil es sich bei der Sicherungsverwahrung schon generell um eine den Betroffenen außerordentlich beschwerende Maßregel handelt (vgl. BGHSt 50, 275, 278) und der hier in Rede stehende § 66b StGB als Vorschrift über deren nachträgliche Anordnung insgesamt restriktiv zu handhaben ist. Hierdurch bewahrt die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung ihren Charakter einer auf seltene Einzelfälle beschränkten Maßnahme (vgl. BGHSt 50, 284, 296; 51, 25, 27; BGH NJW 2007, 1074, 1076), wie dies von Verfassungs wegen geboten (BVerfGE 109, 190, 236, 242; BVerfG NJW 2006, 3483, 3485) und dementsprechend vom Gesetzgeber beabsichtigt ist (BTDrucks. aaO S. 10, 12 f.).
29
Inwieweit von dem aufgezeigten Grundsatz - keine Anwendbarkeit von § 66b Abs. 3 StGB, wenn nach Erledigung der Unterbringung zugleich mit der Unterbringung verhängte Freiheitsstrafe vollstreckt wird - etwa dann Ausnahmen denkbar sein könnten, wenn nach der Erledigterklärung nur noch sehr kurze Zeit Strafe zu vollstrecken wäre, braucht der Senat hier schon deshalb nicht zu entscheiden, weil gegen den Betroffenen noch mehr als zehn Monate Freiheitsstrafe zu vollstrecken waren. Nack Wahl Kolz Elf Graf

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 ARs 3/08
vom
2. April 2008
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen nachträglicher Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung
hier: Anfragebeschluss vom 5. Februar 2008 - 4 StR 314/07 und 4 StR
391/07
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 2. April 2008 gemäß § 132
Abs. 3 GVG beschlossen:
Der Senat hält an seiner bisherigen Rechtsprechung fest. Danach findet § 66b Abs. 3 StGB in den Fällen grundsätzlich keine Anwendung, in denen nach Erledigung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus noch eine zugleich mit deren Anordnung verhängte Freiheitsstrafe weiter zu vollstrecken ist.

Gründe:

1
Der 4. Strafsenat beabsichtigt zu entscheiden: "Der Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung gemäß § 66b Abs. 3 StGB steht nicht entgegen, dass der Betroffene nach Erklärung der Erledigung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 67d Abs. 6 StGB) noch Freiheitsstrafe zu verbüßen hat, auf die zugleich mit der Unterbringung erkannt worden ist."
2
Da dies dem Senatsurteil vom 28. August 2007 - 1 StR 268/07 (= NJW 2008, 240) widerspricht, hat er gemäß § 132 Abs. 3 GVG angefragt, ob hieran festgehalten wird (Beschl. vom 5. Februar 2008 - 4 StR 314/07 und 4 StR 391/07).
3
Der Senat hält trotz der im Anfragebeschluss aufgeführten gewichtigen Argumente an seiner Rechtsauffassung fest. Zusammenfassend und ergänzend bemerkt er:
4
Der Senat teilt im Grundsatz die Ansicht des 4. Strafsenats, dass die in den Gesetzesmaterialien zu § 66b Abs. 3 StGB niedergelegten Vorstellungen im Gesetzeswortlaut keinen - eindeutig erkennbaren - Niederschlag gefunden haben; allerdings dürfte die Wendung "und ergänzend seiner Entwicklung während des Vollzugs der Maßregel" in § 66b Abs. 3 Nr. 2 StGB als Hinweis auf diese Vorstellungen zu verstehen sein (nachfolgend 1). Der Senat erachtet die Materialien im Hinblick auf die zu beurteilende Rechtsfrage weiterhin als eindeutig (nachfolgend 2) und als hier für die Auslegung ausschlaggebend (nachfolgend 3). Er stimmt der Auffassung zu, dass die Sperrwirkung der Absätze 1 und 2 von § 66b StGB gegenüber Absatz 3 zu Lücken im System der nachträglichen Sicherungsverwahrung führen kann. Diese sind jedoch vom Gesetzgeber in Kauf genommen worden (nachfolgend 4) und aufgrund der fragmentarischen Natur des Strafrechts und des Ultima-ratio-Charakters der - zumal nachträglichen - Sicherungsverwahrung hinzunehmen (nachfolgend 5).
5
1. Im Gesetzeswortlaut finden sich keine zweifelsfreien unmittelbaren Anhaltspunkte dafür, dass § 66b Abs. 3 StGB dann nicht gelten soll, wenn nach der Erledigung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus noch eine zugleich mit deren Anordnung verhängte Freiheitsstrafe zu vollstrecken ist. Im Hinblick auf die Erwägungen im Anfragebeschluss zu der bei einer Entscheidung nach § 66b Abs. 3 StGB gebotenen Berücksichtigung von Erkenntnissen , die im Anschluss an den Maßregelvollzug im Strafvollzug angefallen sind (Rdn. 20), bemerkt der Senat in diesem Zusammenhang:
6
§ 66b Abs. 3 Nr. 2 StGB, wonach im Rahmen der für die Gefährlichkeitsprognose erforderlichen Gesamtwürdigung "ergänzend … (die) Entwicklung (des Verurteilten) während des Vollzugs der Maßregel" heranzuziehen ist, dürfte auf den gesetzgeberischen Willen hinweisen. Dieser ist dahin zu verstehen, dass § 66b Abs. 3 StGB nur dann Anwendung findet, wenn nach Erledigung der Maßregel (§ 67d Abs. 6 Satz 1 StGB) keine - zugleich mit deren Anordnung ver- hängte - Restfreiheitsstrafe mehr zu vollstrecken ist und somit der Verurteilte andernfalls in dieser Sache in die Freiheit entlassen werden müsste. § 66b Abs. 3 Nr. 2 StGB nimmt im Rahmen der Gefährlichkeitsprognose Bezug auf die Entwicklung während des Maßregelvollzugs, nicht dagegen auf eine mögliche anschließende Entwicklung während des Strafvollzugs. Es liegt aber nicht nahe, dass der Gesetzgeber einerseits zwar meint, eine Strafverbüßung nach Erledigung der Maßregel stehe der Anwendbarkeit von § 66b Abs. 3 StGB nicht entgegen, dass er andererseits jedoch Erkenntnisse, die im Anschluss an den Maßregelvollzug im Strafvollzug anfallen, nicht als - weitere - Grundlage der gebotenen Gesamtwürdigung für erwähnenswert hält. Dies gilt umso mehr, als § 66b Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 StGB im Hinblick auf die zu prognostizierende Gefährlichkeit des Verurteilten bestimmt, dass "ergänzend seine(…) Entwicklung während des Strafvollzugs" zu würdigen ist.
7
2. Der Senat hält die im Senatsurteil vom 28. August 2007 – 1 StR 268/07 zitierte Passage in der Begründung des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung (BTDrucks. 15/2887 S. 14) nicht für "unklar und damit ihrerseits auslegungsbedürftig" (Anfragebeschl. Rdn 16). Insbesondere ergibt sich dies nicht aus den Worten "zunächst" und "gegebenenfalls". Denn diese lassen sich nach Auffassung des Senats nur dahin verstehen, dass sie ein abgestuftes Entscheidungsprogramm beschreiben: Ein Bedürfnis für nachträgliche Sicherungsverwahrung - hier nach § 66b Abs. 3 StGB - besteht daher "zunächst" nicht, wenn die Sicherung der Allgemeinheit dadurch gewährleistet ist, dass der Verurteilte nach der Erledigung der Maßregel nicht in die Freiheit, sondern in den Strafvollzug kommt. Erst wenn diese Fallgestaltung vorliegt, kann "gegebenenfalls", nämlich wenn der Betroffene weiterhin in besonderem Maße gefährlich ist, vor Ende des Vollzugs - jetzt nach Maßgabe von § 66b Abs. 1 oder § 66b Abs. 2 StGB - nachträglich Sicherungsverwahrung angeordnet werden. Wollten die Gesetzesmaterialien dagegen zum Ausdruck bringen, dass die drei dort be- zeichneten Fallgruppen (Schuldunfähigkeit sowie erheblich verminderte Schuldfähigkeit mit und ohne anschließende Reststrafenvollstreckung) unterschiedslos von § 66b Abs. 3 StGB erfasst sein sollten, hätten die zugleich gemachten differenzierten Ausführungen zu unterschiedlichen Vollstreckungskonstellationen keinen erkennbaren Sinn. Hinzu kommt, dass es auch schon zu Beginn der Ausführungen zu § 66b Abs. 3 StGB heißt, die Bestimmung sei für Fälle konzipiert , in denen besonders gefährliche Personen ohne die Möglichkeit einer nachträglichen Sicherungsverwahrung - infolge der Erledigung - "in die Freiheit entlassen" werden müssten (aaO S. 13 f.).
8
Die in Rede stehenden Gesetzesmaterialien beziehen sich auf sämtliche Absätze des - nicht nach und nach, sondern einheitlich - neu geschaffenen § 66b StGB. Deshalb teilt der Senat auch nicht die Sorge, bei den Ausführungen zu § 66b Abs. 3 StGB könnten die in derselben Drucksache kurz zuvor (aaO S. 11 ff.) eingehend behandelten - im Vergleich mit § 66b Abs. 3 StGB teilweise strengeren - Voraussetzungen von § 66b Abs. 1 und 2 StGB "nicht im Blick" (Anfragebeschl. Rdn. 16) gewesen sein.
9
3. Der Senat hält daran fest, dass es für die Auslegung des § 66b Abs. 3 StGB im Hinblick auf die zu beurteilende Rechtsfrage entscheidend auf die Gesetzesmaterialien ankommt.
10
Die Auslegung nach dem Willen des Gesetzgebers, wie er sich aus der im weiteren Gesetzgebungsverfahren im Ergebnis nicht in Frage gestellten Begründung des Regierungsentwurfs ergibt, ist eine mit anderen gleichrangige Auslegungsmethode (vgl. hierzu Vogel, Juristische Methodik S. 129; Wank, Die Auslegung von Gesetzen 3. Aufl. S. 49 f.). Ein Auslegungskanon mit einer feststehenden Rangfolge der Auslegungsmethoden wird in der juristischen Methodenlehre heute ganz überwiegend nicht mehr vertreten (vgl. Christensen /Kudlich, Theorie richterlichen Begründens S. 375 ff.; Looschelders/Roth, Juristische Methodik im Prozeß der Rechtsanwendung S. 192 ff.). Vielmehr sind die Auslegungsmethoden für jede auszulegende Gesetzesnorm einerseits nach ihrer Nähe zum Normtext, andererseits nach der Stichhaltigkeit der konkreten einzelnen Argumente zu gewichten (vgl. Christensen/Kudlich aaO S. 377 ff.).
11
Die Auslegung anhand des aus der Entstehungsgeschichte eines Gesetzes zu erschließenden Willens des Gesetzgebers ist der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht fremd (vgl. BGHZ 46, 74, 80 m. Nachw.; ferner Simon , Gesetzesauslegung im Strafrecht S. 258 ff. m. weit. Nachw. aus der Rspr.). Diese Auslegungsmethode könnte auch angewendet werden, wenn der Gesetzeswortlaut keinen Hinweis auf den Willen des Gesetzgebers enthält. Insoweit verweist der Senat auf die - ähnlich wie das in Rede stehende Senatsurteil mit der Schwere der Rechtsfolge begründete - Rechtsprechung zur einschränkenden Auslegung von § 250 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b StGB in der Fassung des Sechsten Gesetzes zur Reform des Strafrechts (6. StrRG) vom 26. Januar 1998 (BGBl I 164) im Hinblick auf nach dem äußeren Erscheinungsbild offensichtlich ungefährliche Scheinwaffen (vgl. BGH, Urt. vom 18. Januar 2007 - 4 StR 394/06 = JR 2007, 379 m. insoweit zust. Anm. Kudlich). Diese Entscheidung ist auf einen "Auslegungshinweis" in den Gesetzesmaterialien gestützt, obwohl - wie in jenem Urteil im Einzelnen dargelegt - der aus diesem Hinweis ersichtliche Wille des Gesetzgebers keinen deutlichen Niederschlag im Gesetzeswortlaut gefunden hat und er auch mit dem gesetzlichen System "nur schwervereinbar" ist (BGH aaO).
12
Im Rahmen der Auslegung ist dem Willen des Gesetzgebers ein umso größeres Gewicht beizumessen, je jünger die auszulegende Norm ist (vgl. Wank aaO S. 49 f.; im Ergebnis ebenso Eser in Schönke/Schröder, StGB 27. Aufl. § 1 Rdn. 41 ff.; a.A. - ohne Berücksichtigung der Bedeutung eines größeren oder geringeren Zeitablaufs - Zschieschack/Rau in ihrer Anmerkung zum Senatsurt. vom 28. August 2007 - 1 StR 268/07, zur Veröffentlichung in Heft 4/2008 der JR vorgesehen).
13
Bei dem Gesetz zur Einführung der nachträglichen Sicherungsverwahrung vom 23. Juli 2004 (BGBl I 1838) handelt es sich um ein vergleichsweise junges Gesetz, das - auch im Hinblick auf § 67d Abs. 6 und § 66b Abs. 3 StGB - den (vorläufigen) Schlusspunkt einer jahrelang kontrovers geführten rechtspolitischen Diskussion markierte (vgl. Ullenbruch in MünchKomm-StGB § 66b Rdn. 9 ff.). Dementsprechend umfangreich und detailliert ist bereits der Gesetzesentwurf der Bundesregierung (BTDrucks. 15/2887) begründet. Auch die Einschränkung formaler Voraussetzungen für die nachträgliche Sicherungsverwahrung ist dabei im Gesetzgebungsverfahren bewusst gewählt worden, um - wie es von Verfassungs wegen geboten ist - sicher zu stellen, dass sie auf seltene Einzelfälle begrenzt bleibt (vgl. BGHSt 51, 25, 27 m.w.N.).
14
Nach alledem hält der Senat auch nach nochmaliger Überprüfung daran fest, dass die Auslegung nach dem Willen des Gesetzgebers hier ausschlaggebend ist. Hiernach kommt die Fassung, die § 66b Abs. 3 StGB erhalten hat, fast schon einem gesetzgeberischen Redaktionsversehen gleich, das nach Auffassung des Senats nicht Grundlage für eine derart beschwerende Maßnahme wie nachträgliche Sicherungsverwahrung sein kann.
15
4. Allerdings kann es dann, wenn die Anwendung von § 66b Abs. 3 StGB wegen im Anschluss an die Erledigung zu vollstreckender Restfreiheitsstrafe ausgeschlossen ist (Sperrwirkung von § 66b Abs. 1 und 2 StGB gegenüber § 66b Abs. 3 StGB), zu Lücken im System der nachträglichen Sicherungsverwahrung kommen. In den Fällen, in denen die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus auf einen Zustand im Sinne von § 21 StGB gestützt war, ist eine Anordnung nach § 66b Abs. 3 StGB zumeist ausgeschlossen (Anfragebeschl. Rdn. 18); dessen Anwendbarkeit könnte von bloßen "Zufälligkeiten" im Vollstreckungsverfahren, etwa Änderungen der Vollstreckungsreihenfolge, abhängig sein (aaO Rdn. 19).
16
Es versteht sich aber schon nicht von selbst, dass der Ablauf des Vollstreckungsverfahrens von "Zufälligkeiten" abhängt, da es seinerseits gesetzlichen Regeln folgt. Dem braucht hier aber nicht näher nachgegangen zu werden. Jedenfalls waren die aufgezeigten Lücken dem Gesetzgeber bei der Verabschiedung des Gesetzes bekannt.
17
Er war sich nämlich bewusst, dass in den Fällen, in denen die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus auf einen Zustand im Sinne von § 21 StGB gestützt war, § 66b Abs. 3 StGB - in aller Regel - nur bei "Umkehrung der regelmäßigen Vollstreckungsreihenfolge (§ 67 Abs. 1 und 2 StGB)" anwendbar ist (BTDrucks. 15/2887 S. 14; Unterstreichung hier vorgenommen). Außerdem hatte der Bundesrat im Gesetzgebungsverfahren ausdrücklich auf die mögliche Bedeutung von "Zufälligkeiten des Vollstreckungsverfahrens" für § 66b Abs. 3 StGB hingewiesen (BRDrucks. 202/04 [Beschluss] S. 4). Das aufgezeigte Bedenken blieb im Ergebnis ohne Einfluss, nachdem die Bundesregierung auch dieses als durch den dann in Kraft getretenen Gesetzesentwurf - "auf der Basis der vorgeschlagenen Vorschrift nebst ihrer Begründung" - "schlüssig beantwortet" bezeichnet hat (BTDrucks. 15/2945 S. 5; Unterstreichung hier vorgenommen).
18
Schließlich mag auch dahinstehen, ob der Auffassung zu folgen ist, ein Wertungswiderspruch bestehe darin, dass Verurteilte, die bei der Anlasstat ohne Schuld gehandelt hätten, schlechter gestellt seien als Verurteilte, die durch die Tat (große) Schuld auf sich geladen hätten (Anfragebeschl. Rdn. 19). Hiergegen könnte sprechen, dass die Voraussetzungen von § 66b Abs. 1 und 2 StGB gegenüber denjenigen des § 66b Abs. 3 StGB nicht durchgehend strenger sind; so ermöglicht Absatz 2 - anders als Absatz 3 - die nachträgliche Si- cherungsverwahrung auch dann, wenn der Verurteilte nur eine Anlasstat begangen hatte.
19
5. Soweit in den in Rede stehenden Fallgestaltungen nachträgliche Sicherungsverwahrung nicht in Betracht kommt, ist dies nämlich aufgrund der fragmentarischen Natur des Strafrechts (vgl. Roxin, Strafrecht AT I 4. Aufl. S. 45) und insbesondere des Ultima-ratio-Charakters der - zumal nachträglichen - Sicherungsverwahrung (vgl. nur BGH NStZ 2005, 88, 89) hinzunehmen. Die fragmentarische Natur des Strafrechts betrifft nach Auffassung des Senats nicht nur die in den Straftatbeständen kodifizierten Verhaltensnormen, sondern ebenso - an zusätzliche "tatbestandliche" Voraussetzungen anknüpfende - Sanktionsnormen.
20
Es entspricht der fragmentarischen Natur des Strafrechts, dass die nachträgliche Sicherungsverwahrung nicht nur von einer qualifizierten Gefährlichkeitsprognose allein, sondern darüber hinaus - wie auch in § 66b StGB detailliert geregelt - von vertypten formalen Kriterien abhängig ist. Sind diese vom Gesetzgeber zu bestimmenden - und gegebenenfalls von ihm zu ändernden - Kriterien nicht erfüllt, fehlt die erforderliche gesetzliche Grundlage, um Sicherungsverwahrung nachträglich anzuordnen. Nack Wahl Kolz Elf Graf

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
4 StR 394/06
vom
18. Januar 2007
in der Strafsache
gegen
wegen schweren Raubes u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 18. Januar
2007, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Tepperwien,
Richter am Bundesgerichtshof
Maatz,
Prof. Dr. Kuckein,
Richterin am Bundesgerichtshof
Solin-Stojanović,
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Ernemann
als beisitzende Richter,
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Essen vom 31. Mai 2006 im Ausspruch über den Wertersatzverfall aufgehoben.
2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
3. Der Angeklagte hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Außerdem hat es gegen ihn den Verfall von Wertersatz in Höhe eines Betrages von 5.000 € angeordnet. Die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten führt lediglich zur Aufhebung der Anordnung des Wertersatzverfalls. Im Übrigen erweist sich das Rechtsmittel als unbegründet.
2
1. Die Nachprüfung des Urteils hat zum Schuldspruch keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Näherer Erörterung bedarf lediglich die Verurteilung des Angeklagten wegen schweren Raubes (§ 250 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b StGB).
3
a) Nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen drang der Angeklagte mit vier weiteren unbekannt gebliebenen Mittätern auf Grund eines gemeinsam gefassten Tatplanes in eine Spielhalle mit Internetcafé ein, um sich dort – unter anderem unter Einsatz von Gewalt gegen die in den Räumen anwesenden Personen – stehlenswerte Gegenstände zu verschaffen. Im Verlauf des Überfalls drückte einer der Täter dem an einem Spielautomaten stehenden Jasmin D. von hinten einen zu diesem Zweck mitgeführten Metallgegenstand an den Hals, um ihn einzuschüchtern und von jeder Gegenwehr abzuhalten. D. hatte den Eindruck, er werde mit einer (Schuss-) Waffe bedroht, so dass er sich aus Angst weder umdrehte noch Widerstand leistete. Anschließend schoben die Täter ihn in einen Toilettenraum und nahmen ihm die Geldbörse, in der sich 30 € befanden, und ein Mobiltelefon weg. In ähnlicher Weise verfuhren die Täter mit dem die Aufsicht in der Spielhalle führenden Kemal K. . K. wurde zunächst geschlagen und zu Boden gestoßen. Dort fixierten die Täter ihn und zogen ihm sein T-Shirt so vor das Gesicht, dass er nichts mehr sehen konnte. Sodann hielt ihm einer der Täter wiederum einen metallischen Gegenstand an den Kopf, wobei die Drohung fiel, man werde „ihm das Licht ausknipsen“. Im Anschluss brachen die Täter unter anderem die Kasse des Internetcafés auf, aus der sie 900 € entnahmen. Der Wert der Gesamtbeute belief sich auf mindestens 5.000 €. Vor Verlassen des Tatortes fesselte der Angeklagte den Geschädigten K. an den Beinen und Unterarmen mit Paketklebeband von ca. 4 bis 5 cm Breite, das einer der Täter zuvor in einem Regal des Internetcafés vorgefunden hatte.
4
b) Das Landgericht hat die Voraussetzungen des Qualifikationstatbestandes des § 250 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b StGB für erfüllt angesehen und dies damit begründet, dass es sich bei dem von den Tätern mitgeführten metallischen Gegenstand um ein Werkzeug im Sinne dieser Bestimmung gehandelt habe, von dem schließlich entsprechend dem zuvor gefassten Tatplan auch Gebrauch gemacht worden sei. Es könne dahinstehen, ob dieser Gegenstand objektiv gefährlich war, da auch so genannte Scheinwaffen dem Tatbestand des § 250 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b StGB unterfielen. Voraussetzung sei lediglich, dass das Werkzeug bei seiner Verwendung für das Opfer eine erhebliche Bedrohungswirkung entfaltet. Dies sei hier der Fall gewesen, da die Tatopfer den metallisch kalten Gegenstand, dessen Beschaffenheit sie nicht hatten erkennen können, für eine (Schuss-) Waffe gehalten und die von ihm ausgehende Bedrohung ernst genommen hatten.
5
c) Die rechtliche Bewertung des Tatgeschehens als schwerer Raub nach § 250 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b StGB hält, wenn auch nicht in der Begründung, so doch im Ergebnis, rechtlicher Nachprüfung stand.
6
aa) Der Qualifikationstatbestand des § 250 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b StGB setzt nach der Neuregelung durch das 6. Strafrechtsreformgesetz im Jahre 1998 voraus, dass der Täter oder ein anderer Beteiligter am Raub „sonst ein Werkzeug oder Mittel“ bei sich führt, um den Widerstand einer anderen Person durch Gewalt oder Drohung mit Gewalt zu verhindern oder zu überwinden. Sowohl aus dem klaren Wortlaut der Vorschrift als auch aus dem systematischen Zusammenhang zu der unmittelbar vorausgehenden Regelung in der Nr. 1 Buchst. a der Bestimmung, in der – ohne das Erfordernis einer Verwendungsabsicht – das Mitführen einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs als Qualifikationsmerkmal dient, folgt, dass von § 250 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b StGB grundsätzlich alle Gegenstände erfasst werden, die als Mittel zur Überwindung des Widerstands des Tatopfers mittels Gewalt oder Drohung geeignet sind, also auch so genannte Scheinwaffen, das heißt Gegenstände, die objektiv ungefährlich sind und deren Verletzungstauglichkeit lediglich vorge- täuscht wird (h.M., vgl. nur Tröndle/Fischer, StGB 54. Aufl. § 250 Rdn. 10 und § 244 Rdn. 11 mit zahlr. Nachw.; in diesem Sinne auch die Gesetzesmaterialien , vgl. Bericht des Rechtsausschusses BTDrucks. 13/9064 S. 18). Soweit im Schrifttum zur Rechtslage vor dem Inkrafttreten des 6. Strafrechtsreformgesetzes zur Vorgängervorschrift des § 250 Abs. 1 Nr. 2 StGB a.F. überwiegend eine Gegenauffassung vertreten worden ist (vgl. die Nachweise bei Günther in SKStGB § 250 Rdn. 19 und 23), wird diese daher weitgehend nicht mehr aufrechterhalten (vgl. hierzu Günther aaO Rdn. 20 und 24; Eser in Schönke/Schröder, StGB 27. Aufl. § 250 Rdn. 15 und § 244 Rdn. 12 ff).
7
bb) Allerdings findet sich in den Gesetzesmaterialien zur Neuregelung des § 250 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b StGB durch das 6. Strafrechtsreformgesetz der Hinweis, es werde davon ausgegangen, dass die einschränkende neuere Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGHSt 38, 116, 117 bis 119 [„Plastikrohr“ ] und BGH NStZ 1997, 184 [„Labello“]) „auch bei der Auslegung von § 250 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe b Beachtung finden wird“ (BTDrucks. aaO). In der zuerst genannten Entscheidung BGHSt 38, 116 hat der Bundesgerichtshof zunächst seine bereits zu § 250 Abs. 1 Nr. 2 StGB a.F. bestehende Rechtsprechung , nach der auch Scheinwaffen von dieser Bestimmung erfasst wurden, nochmals bestätigt. Namentlich vor dem Hintergrund der damaligen hohen Mindeststrafe des § 250 Abs. 1 StGB a.F. von fünf Jahren Freiheitsstrafe hat er jedoch im Anschluss die Einschränkung vorgenommen, dass nur solche Gegenstände erfasst werden, die unter den konkreten Umständen ihrer geplanten Anwendung aus der Sicht des Täters ohne weiteres geeignet sind, bei dem Opfer den Eindruck hervorzurufen, der Gegenstand könne zur Gewaltanwendung verwendet werden und deshalb gefährlich sein. Er hat dies bei einem kurzen gebogenen Plastikrohr von ca. 3 cm Durchmesser verneint, das der Täter dergestalt unter der Jacke trug, dass diese ausbeulte und so der von ihm gewollte Eindruck entstand, es handle sich um eine Schusswaffe. Das Plastikrohr habe einer Waffe nicht ähnlich gesehen. Erst der zusätzliche Hinweis „bin bewaffnet“ habe dem Tatopfer den Eindruck vermittelt, dass ihm von einer Waffe Gefahr drohe. Dessen Einschüchterung sei daher maßgeblich durch Täuschung und nicht durch das mitgeführte Werkzeug oder Mittel bewirkt worden. In der weiteren angeführten Entscheidung hatte der erkennende Senat darüber zu befinden , ob ein Lippenpflegestift („Labello“), den der Täter dem Opfer mit einem der Enden gegen den Rücken gedrückt hatte und den dieses für die Spitze eines Messers, einer Schere oder eines sonstigen gefährlichen Gegenstandes hielt, ein taugliches Tatmittel im Sinne des § 250 Abs. 1 Nr. 2 StGB a.F. darstellt. Er hat dies im Anschluss an die tragenden Gründe der Entscheidung BGHSt 38, 116 verneint und in Fortführung der dort entwickelten Grundsätze ausgesprochen , dass jedenfalls dann, wenn der Gegenstand schon nach seinem äußeren Erscheinungsbild offensichtlich ungefährlich ist und deshalb nicht geeignet ist, mit ihm – etwa durch Schlagen, Stoßen, Stechen oder ihn ähnlicher Weise – auf den Körper eines anderen in erheblicher Weise einzuwirken, eine Anwendung des § 250 Abs. 1 Nr. 2 StGB a.F. nicht in Betracht kommt. Bediene sich der Täter eines solchen Gegenstandes bei der Tat zur ausdrücklichen oder konkludenten Drohung, so stehe die Täuschung so sehr im Vordergrund seiner Anwendung, dass die Qualifizierung als Werkzeug oder Mittel im Sinne dieser Bestimmung verfehlt wäre. Diese Grundsätze hat der Senat in der Folge in weiteren Entscheidungen zur Anwendung gebracht (vgl. Senatsbeschlüsse vom 20. Juni 1996 – 4 StR 175/96, NStZ-RR 1996, 356 [„Holzstück“], vom 22. Oktober 1996 – 4 StR 506/96, NStZ-RR 1997, 129, 130 [„Bombenattrappe“] und vom 9. September 1997 – 4 StR 423/97, NStZ 1998, 38 [„Schrotpatrone“]).
8
cc) Der Senat folgt – ungeachtet der Frage einer Bindung - dem „Auslegungshinweis“ in den Gesetzesmaterialien (so bereits Senatsbeschluss vom 12.
Januar 1999 - 4 StR 705/98, NStZ 1999, 188). Er verkennt nicht, dass die genannte Einschränkung mit der Systematik des § 250 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a und Nr. 1 Buchst. b StGB schwer vereinbar ist, da sie nicht - wie es der Wortlaut des § 250 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b StGB nahe legt - ausschließlich auf die vom Täter vorgestellte, beim Opfer herbeizuführende Zwangswirkung abstellt. Andererseits erscheint eine restriktive Auslegung von § 250 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b StGB auch angesichts der gegenüber dem alten Rechtszustand abgesenkten Mindeststrafe von drei Jahren Freiheitsstrafe - im Vergleich zu dem Strafrahmen des Grundtatbestandes in § 249 StGB (ein Jahr bis fünfzehn Jahre Freiheitsstrafe ) - nach wie vor sachgerecht, wenn die Zwangswirkung beim Opfer zwar mittels eines Gegenstandes, maßgeblich jedoch durch Täuschung hervorgerufen werden soll. In welchem Verhältnis diese beiden Elemente wirksam werden, kann im Einzelfall schwierig zu beurteilen sein. Grenzfälle sind unvermeidbar , so dass sich allgemeine Abgrenzungsmaßstäbe, die allen denkbaren Fallgestaltungen voll gerecht werden, kaum finden lassen. Jedenfalls wird aber regelmäßig davon auszugehen sein, dass bei Verwendung eines objektiv ersichtlich ungefährlichen Gegenstandes, den das Opfer nicht oder nur unzureichend sinnlich wahrnehmen kann (und soll), das Täuschungselement im Vordergrund steht. Entsprechend dem gesetzgeberischen Willen erscheint es daher weiterhin gerechtfertigt, solche Gegenstände, die bereits nach ihrem äußeren Erscheinungsbild offensichtlich ungefährlich sind, vom Anwendungsbereich des Qualifikationstatbestandes des § 250 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b StGB auszunehmen (im Ergebnis ebenso Eser aaO § 244 Rdn. 13; Günther aaO § 250 Rdn. 24; Sander in MünchKomm, StGB § 250 Rdn. 45; Schroth NJW 1998, 2861, 2865; Kudlich JR 1998, 357, 359). Die teilweise im Schrifttum hiergegen angeführten Abgrenzungsschwierigkeiten (vgl. hierzu die Darstellung bei Tröndle /Fischer aaO § 250 Rdn. 11) rechtfertigen keine andere Sichtweise. Es ist nicht ersichtlich, dass die Beurteilung des äußeren Erscheinungsbildes eines
Gegenstandes, die hier aus der Sicht eines objektiven Betrachters und nicht etwa aus der des Tatopfers zu erfolgen hat (zutreffend Sander aaO § 250 Rdn. 44 a.E., vgl. auch Senat, StV 1990, 546, 547), die Tatrichter vor größeren Schwierigkeiten stellen wird.
9
dd) Nach Maßgabe der vom Senat in der Entscheidung NStZ 1997, 184 („Labello“) und den oben genannten Nachfolgeentscheidungen aufgestellten Grundsätzen stellt der vom Angeklagten und seinen Mittätern mitgeführte Metallgegenstand kein taugliches Werkzeug oder Mittel im Sinne des § 250 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b StGB dar. Nachdem das Landgericht zu dessen näheren Beschaffenheit keine Feststellungen treffen konnte, ist zu Gunsten des Angeklagten davon auszugehen, dass es sich um einen Gegenstand, etwa um ein dünnes Metallrohr oder einen Metallstift, handelte, der bei objektiver Betrachtung nach seinem äußeren Erscheinungsbild offensichtlich ungefährlich war. Soweit in der Entscheidung BGHSt 38, 116 zum Ausdruck gebracht worden ist, dass das Setzen eines metallischen Gegenstandes in das Genick des Tatopfers, durch das der Eindruck einer Schusswaffe erweckt werden soll, geeignet sein kann, den Qualifikationstatbestand des § 250 Abs. 1 Nr. 2 StGB a.F. zu erfüllen, handelte es sich ersichtlich um eine nicht tragende Erwägung, der eine Bindungswirkung nicht zukam.
10
ee) Die Verurteilung wegen schweren Raubes hat jedoch im Ergebnis Bestand. Der Angeklagte war nach den Feststellungen bei dem Raub, nämlich jedenfalls vor dessen Beendigung (vgl. BGHSt 20, 194; Tröndle/Fischer aaO § 244 Rdnr. 13 m.w.N.), im Besitz von zur Fesselung bestimmten Paketklebebands und hat dieses schließlich auch zur Fesselung des Kemal K. eingesetzt. Damit hat er als Täter eines Raubes ein sonstiges Mittel im Sinne des § 250 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b StGB (vgl. BGH NStZ 1993, 79; NStZ-RR 2003, 328 [zu § 177 Abs. 3 Nr. 2 StGB]) bei sich geführt, um den Widerstand einer anderen Person durch Gewalt zu verhindern oder zu unterbinden. Dass dies erst nach den eigentlichen Wegnahmehandlungen der Fa ll war, ist unschädlich (st. Rspr., vgl. nur BGHSt 20, 194, 197; BGH NStZ 1998, 354 m.w.N.). § 265 StPO steht einer Bestätigung des Schuldspruchs durch den Senat nicht entgegen, da ausgeschlossen werden kann, dass sich der Angeklagte bei einem entsprechenden Hinweis anders verteidigt hätte, als geschehen.
11
2. Auch der Strafausspruch weist keinen, den Beschwerdeführer belastenden Rechtsfehler auf. Angesichts der gegen den erheblich, teilweise einschlägig vorbelasteten Angeklagten verhängten maßvollen Freiheitsstrafe schließt der Senat aus, dass das Landgericht bei rechtlich zutreffender Einordnung des Tatgeschehens unter den Tatbestand des § 250 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b StGB auf eine niedrigere Strafe erkannt hätte.
12
3. Keinen Bestand kann jedoch der Ausspruch über den Wertersatzverfall haben. Das Landgericht hat verkannt, dass diesem die Regelung des § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB entgegensteht. Er ist daher aufzuheben.
13
4. Der nur geringfügige Teilerfolg des Rechtsmittels rechtfertigt es nicht, den Angeklagten auch nur teilweise von den Kosten und Auslagen des Revisionsverfahrens freizustellen.
Tepperwien Maatz Kuckein
Solin-Stojanović Ernemann

(1) Die im Register gespeicherten Eintragungen werden nach Ablauf der in Satz 2 bestimmten Fristen getilgt. Die Tilgungsfristen betragen

1.
zwei Jahre und sechs Monatebei Entscheidungen über eine Ordnungswidrigkeit,
a)
die in der Rechtsverordnung nach § 6 Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 Buchstabe b als verkehrssicherheitsbeeinträchtigende oder gleichgestellte Ordnungswidrigkeit mit einem Punkt bewertet ist oder
b)
soweit weder ein Fall des Buchstaben a noch der Nummer 2 Buchstabe b vorliegt und in der Entscheidung ein Fahrverbot angeordnet worden ist,
2.
fünf Jahre
a)
bei Entscheidungen über eine Straftat, vorbehaltlich der Nummer 3 Buchstabe a,
b)
bei Entscheidungen über eine Ordnungswidrigkeit, die in der Rechtsverordnung nach § 6 Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 Buchstabe b als besonders verkehrssicherheitsbeeinträchtigende oder gleichgestellte Ordnungswidrigkeit mit zwei Punkten bewertet ist,
c)
bei von der nach Landesrecht zuständigen Behörde verhängten Verboten oder Beschränkungen, ein fahrerlaubnisfreies Fahrzeug zu führen,
d)
bei Mitteilungen über die Teilnahme an einem Fahreignungsseminar, einem Aufbauseminar, einem besonderen Aufbauseminar oder einer verkehrspsychologischen Beratung,
3.
zehn Jahre
a)
bei Entscheidungen über eine Straftat, in denen die Fahrerlaubnis entzogen oder eine isolierte Sperre angeordnet worden ist,
b)
bei Entscheidungen über Maßnahmen oder Verzichte nach § 28 Absatz 3 Nummer 5 bis 8.
Eintragungen über Maßnahmen der nach Landesrecht zuständigen Behörde nach § 2a Absatz 2 Satz 1 Nummer 1 und 2 und § 4 Absatz 5 Satz 1 Nummer 1 und 2 werden getilgt, wenn dem Inhaber einer Fahrerlaubnis die Fahrerlaubnis entzogen wird. Sonst erfolgt eine Tilgung bei den Maßnahmen nach § 2a Absatz 2 Satz 1 Nummer 1 und 2 ein Jahr nach Ablauf der Probezeit und bei Maßnahmen nach § 4 Absatz 5 Satz 1 Nummer 1 und 2 dann, wenn die letzte Eintragung wegen einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit getilgt ist.Verkürzungen der Tilgungsfristen nach Absatz 1 können durch Rechtsverordnung gemäß § 30c Abs. 1 Nr. 2 zugelassen werden, wenn die eingetragene Entscheidung auf körperlichen oder geistigen Mängeln oder fehlender Befähigung beruht.

(2) Die Tilgungsfristen gelten nicht, wenn die Erteilung einer Fahrerlaubnis oder die Erteilung des Rechts, von einer ausländischen Fahrerlaubnis wieder Gebrauch zu machen, für immer untersagt ist.

(3) Ohne Rücksicht auf den Lauf der Fristen nach Absatz 1 und das Tilgungsverbot nach Absatz 2 werden getilgt

1.
Eintragungen über Entscheidungen, wenn ihre Tilgung im Bundeszentralregister angeordnet oder wenn die Entscheidung im Wiederaufnahmeverfahren oder nach den §§ 86, 102 Abs. 2 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten rechtskräftig aufgehoben wird,
2.
Eintragungen, die in das Bundeszentralregister nicht aufzunehmen sind, wenn ihre Tilgung durch die nach Landesrecht zuständige Behörde angeordnet wird, wobei die Anordnung nur ergehen darf, wenn dies zur Vermeidung ungerechtfertigter Härten erforderlich ist und öffentliche Interessen nicht gefährdet werden,
3.
Eintragungen, bei denen die zugrundeliegende Entscheidung aufgehoben wird oder bei denen nach näherer Bestimmung durch Rechtsverordnung gemäß § 30c Abs. 1 Nr. 2 eine Änderung der zugrundeliegenden Entscheidung Anlass gibt,
4.
sämtliche Eintragungen, wenn eine amtliche Mitteilung über den Tod der betroffenen Person eingeht.

(4) Die Tilgungsfrist (Absatz 1) beginnt

1.
bei strafgerichtlichen Verurteilungen und bei Strafbefehlen mit dem Tag der Rechtskraft, wobei dieser Tag auch dann maßgebend bleibt, wenn eine Gesamtstrafe oder eine einheitliche Jugendstrafe gebildet oder nach § 30 Abs. 1 des Jugendgerichtsgesetzes auf Jugendstrafe erkannt wird oder eine Entscheidung im Wiederaufnahmeverfahren ergeht, die eine registerpflichtige Verurteilung enthält,
2.
bei Entscheidungen der Gerichte nach den §§ 59, 60 des Strafgesetzbuchs und § 27 des Jugendgerichtsgesetzes mit dem Tag der Rechtskraft,
3.
bei gerichtlichen und verwaltungsbehördlichen Bußgeldentscheidungen sowie bei anderen Verwaltungsentscheidungen mit dem Tag der Rechtskraft oder Unanfechtbarkeit der beschwerenden Entscheidung,
4.
bei Aufbauseminaren nach § 2a Absatz 2 Satz 1 Nummer 1, verkehrspsychologischen Beratungen nach § 2a Absatz 2 Satz 1 Nummer 2 und Fahreignungsseminaren nach § 4 Absatz 7 mit dem Tag der Ausstellung der Teilnahmebescheinigung.

(5) Bei der Versagung oder Entziehung der Fahrerlaubnis wegen mangelnder Eignung, der Anordnung einer Sperre nach § 69a Abs. 1 Satz 3 des Strafgesetzbuchs oder bei einem Verzicht auf die Fahrerlaubnis beginnt die Tilgungsfrist erst mit der Erteilung oder Neuerteilung der Fahrerlaubnis, spätestens jedoch fünf Jahre nach der Rechtskraft der beschwerenden Entscheidung oder dem Tag des Zugangs der Verzichtserklärung bei der zuständigen Behörde. Bei von der nach Landesrecht zuständigen Behörde verhängten Verboten oder Beschränkungen, ein fahrerlaubnisfreies Fahrzeug zu führen, beginnt die Tilgungsfrist fünf Jahre nach Ablauf oder Aufhebung des Verbots oder der Beschränkung.

(6) Nach Eintritt der Tilgungsreife wird eine Eintragung vorbehaltlich der Sätze 2 und 4 gelöscht. Eine Eintragung nach § 28 Absatz 3 Nummer 1 oder 3 Buchstabe a oder c wird nach Eintritt der Tilgungsreife erst nach einer Überliegefrist von einem Jahr gelöscht. Während dieser Überliegefrist darf der Inhalt dieser Eintragung nur noch zu folgenden Zwecken übermittelt, verwendet oder über ihn eine Auskunft erteilt werden:

1.
zur Übermittlung an die nach Landesrecht zuständige Behörde zur dortigen Verwendung zur Anordnung von Maßnahmen im Rahmen der Fahrerlaubnis auf Probe nach § 2a,
2.
zur Übermittlung an die nach Landesrecht zuständige Behörde zur dortigen Verwendung zum Ergreifen von Maßnahmen nach dem Fahreignungs-Bewertungssystem nach § 4 Absatz 5,
3.
zur Auskunftserteilung an die betroffene Person nach § 30 Absatz 8,
4.
zur Verwendung für die Durchführung anderer als der in den Nummern 1 oder 2 genannten Verfahren zur Erteilung oder Entziehung einer Fahrerlaubnis, wenn die Tat als Grundlage in einer noch gespeicherten Maßnahme nach § 28 Absatz 3 Nummer 5, 6 oder 8 genannt ist.
Die Löschung einer Eintragung nach § 28 Absatz 3 Nummer 3 Buchstabe a oder c unterbleibt in jedem Fall so lange, wie die betroffene Person im Zentralen Fahrerlaubnisregister als Inhaber einer Fahrerlaubnis auf Probe gespeichert ist; während dieser Zeit gilt Satz 3 Nummer 1, 3 und 4 nach Ablauf der Überliegefrist entsprechend.

(7) Ist eine Eintragung im Fahreignungsregister gelöscht, dürfen die Tat und die Entscheidung der betroffenen Person für die Zwecke des § 28 Absatz 2 nicht mehr vorgehalten und nicht zu ihrem Nachteil verwertet werden. Abweichend von Satz 1 darf eine Tat und die hierauf bezogene Entscheidung trotz ihrer Löschung aus dem Fahreignungsregister für die Durchführung anderer als der in Absatz 6 Satz 3 Nummer 4 genannten Verfahren zur Erteilung oder Entziehung einer Fahrerlaubnis verwendet werden, solange die Tat als Grundlage in einer noch gespeicherten Maßnahme nach § 28 Absatz 3 Nummer 5, 6 oder 8 genannt ist. Unterliegt eine Eintragung im Fahreignungsregister über eine gerichtliche Entscheidung nach Absatz 1 Satz 2 Nummer 3 Buchstabe a einer zehnjährigen Tilgungsfrist, darf sie nach Ablauf eines Zeitraums, der einer fünfjährigen Tilgungsfrist nach den vorstehenden Vorschriften entspricht, nur noch für folgende Zwecke an die nach Landesrecht zuständige Behörde übermittelt und dort verwendet werden:

1.
zur Durchführung von Verfahren, die eine Erteilung oder Entziehung einer Fahrerlaubnis zum Gegenstand haben,
2.
zum Ergreifen von Maßnahmen nach dem Fahreignungs-Bewertungssystem nach § 4 Absatz 5.
Außerdem dürfen für die Prüfung der Berechtigung zum Führen von Kraftfahrzeugen Entscheidungen der Gerichte nach den §§ 69 bis 69b des Strafgesetzbuches an die nach Landesrecht zuständige Behörde übermittelt und dort verwendet werden. Die Sätze 1 bis 3 gelten nicht für Eintragungen wegen strafgerichtlicher Entscheidungen, die für die Ahndung von Straftaten herangezogen werden. Insoweit gelten die Regelungen des Bundeszentralregistergesetzes.