Landgericht Neubrandenburg Beschluss, 09. Nov. 2009 - 8 Qs 190/09

bei uns veröffentlicht am09.11.2009

Tenor

Auf die Beschwerde der Betroffenen wird der Beschluss des Amtsgerichts Neubrandenburg vom 21.07.2009 (Az.: 11 Gs 417/09) aufgehoben.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Landeskasse einschließlich der notwendigen Auslagen der Betroffenen.

Gründe

1

Gegen die Beschuldigte Antje M. wird wegen diverser Steuerdelikte (Einkommens-, Umsatz- und Gewerbesteuerhinterziehung sowie Verdacht auf Eigenheimzulagebetrug) ermittelt. Auf Antrag des Finanzamtes Neubrandenburg erließ das Amtsgericht Neubrandenburg eine Reihe von Durchsuchungsbeschlüssen, von denen einer die Beschwerdeführerin betraf. Am 21.07.2009 ordnete das Amtsgericht im angefochtenen Beschluss an, dass gemäß §§ 103, 105 StPO die Durchsuchung der Geschäfts-, Büro- und sonstigen Betriebsräume einschließlich sonstiger, außerhalb dieser Räume genutzten Räumlichkeiten und Nebengelassen wie Keller und Dachboden, die Außenanlagen und Garagen, der Datenträger und der Kraftfahrzeuge der Betroffenen als Insolvenzverwalterin über das Vermögen der Beschuldigten durchzuführen sei, weil Tatsachen vorlägen, aus denen auf die Auffindung von diversen, im einzelnen aufgeführten Unterlagen geschlossen werden könne. Der Beschluss enthielt keine Abwendungsbefugnis.

2

Am 14.09.2009 wurden die Geschäftsräume der Beschwerdeführerin in Neubrandenburg aufgesucht. Nach Mitteilung des Durchsuchungsbeschlusses wurden die von der Steuerfahndung benötigten Unterlagen von der Betroffenen herausgesucht und an die Einsatzkräfte übergeben. Von einer Durchsuchung der Räumlichkeiten wurde daraufhin abgesehen.

3

Die Betroffene hat am 01.10.2009 Beschwerde gegen den Durchsuchungsbeschluss des Amtsgerichts eingelegt. Sie meint, die Maßnahme sei unzulässig und unverhältnismäßig und geeignet, ohne sachlichen Grund das Ansehen ihrer Anwaltskanzlei schwer zu schädigen. Die Sicherstellung der Geschäftsunterlagen schade zudem der ordnungsgemäßen Insolvenzabwicklung und den Interessen der Insolvenzgläubiger. Sie hätte jederzeit der Steuerfahndung Einsicht in die Geschäftsunterlagen der Beschuldigten gewährt bzw. Kopien zur Verfügung gestellt. Deshalb sei die Durchsuchungsanordnung gänzlich unverständlich und unverhältnismäßig. Außerdem unterliege eine Durchsuchung von Räumen einer Anwaltskanzlei besonders strengen Einschränkungen, weil die Gefahr des Bruches von Berufsgeheimnissen drohe.

4

Das Finanzamt ist der Auffassung, die Durchsuchungsanordnung sei rechtmäßig, insbesondere verhältnismäßig. Eine Durchsuchung der Kanzleiräume habe zudem nicht stattgefunden, da die Betroffene die Geschäftsunterlagen der Beschuldigten herausgesucht und übergeben habe.

II.

5

Die statthafte und zulässige Beschwerde ist begründet. Die Durchsuchung der Kanzlei- und Geschäftsräume des Beschwerdeführerin war rechtswidrig. Die Durchsuchung dauert auch noch an, weil eine Beschlagnahme der Unterlagen wegen deren Beweisbedeutung noch nicht erfolgt ist.

6

Zwar ist die Anordnung der Durchsuchung im vorliegenden Fall nicht bereits deshalb rechtswidrig, weil die Geschäftsräume einer Insolvenzverwalterin zu durchsuchen waren. Dies ist vielmehr schon deswegen generell zulässig, weil nach § 103 StPO auch bei einem Unverdächtigen die Durchsuchung angeordnet werden kann, wenn – wie hier durch das Amtsgericht zutreffend angenommen – aufgrund bestimmter Tatsachen zu vermuten ist, dass bestimmte, als Beweismittel dienende Gegenstände sich in dessen Räumen befinden (so auch LG Ulm, NJW 2007, 2056).

7

Jedoch ist bei der Anordnung der Durchsuchung und Beschlagnahme bei einer unverdächtigen Insolvenzverwalterin äußerste Zurückhaltung geboten (vgl. LG Berlin, Entscheidung vom 09.04.2008, Az.: 523 Qs 35/08; LG Potsdam, Entscheidung vom 08.01.2007, Az.: 25 Qs 60/06). Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebietet, in jedem Verfahrensstadium das jeweils schonenste Mittel anzuwenden. Die Ermittlungsbehörden hätten hier die Möglichkeit gehabt, von der Insolvenzverwalterin Einblick in die Geschäftsunterlagen zu verlangen und entsprechende Kopien anzufordern. Der Insolvenzverwalter als unabhängige Rechtsperson, die Amtspflichten trifft, ist ohnehin verpflichtet, mit den Ermittlungsbehörden zu kooperieren. Zudem ist zu bedenken, dass der Insolvenzverwalter sein für den ungestörten Rechts- und Geschäftsverkehr wichtiges Amt ohne die beschlagnahmten Unterlagen nicht weiter durchführen kann, was der ordnungsgemäßen Abwicklung des insolventen Gewerbebetriebes widerspricht und zudem den Interessen der Gläubiger Schaden zufügen kann. Eine Durchsuchung beim Insolvenzverwalter ist erst dann möglich, wenn gewichtige Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass Beweismittel ohne Durchsuchung verloren gehen könnten und dadurch die Ermittlungen beeinträchtigt werden. Das ist im hier vorliegenden Einzelfall nicht ersichtlich und auch von den Ermittlungsbehörden nicht vorgebracht worden.

8

Hinzu kommt, dass der beanstandete Durchsuchungsbeschluss nicht mit einer Abwendungsbefugnis erlassen worden ist, so dass durch eine freiwillige Herausgabe der gesuchten Beweismittel an die Ermittlungsbehörden – wenngleich auch unter dem Druck der Durchsuchungsandrohung - eine Durchsuchung der Räumlichkeiten nicht hätte abgewendet werden können.

9

Da die Durchsuchungsanordnung unverhältnismäßig und deshalb rechtswidrig war, werden die sichergestellten Unterlagen der Beschwerdeführerin zeitnah wieder auszuhändigen sein.

III.

10

Die Kostenentscheidung und die Entscheidung über die notwendigen Auslagen der Beschwerdeführerin folgt aus § 473 Abs. 3 StPO.

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Strafprozeßordnung - StPO | § 473 Kosten bei zurückgenommenem oder erfolglosem Rechtsmittel; Kosten der Wiedereinsetzung


(1) Die Kosten eines zurückgenommenen oder erfolglos eingelegten Rechtsmittels treffen den, der es eingelegt hat. Hat der Beschuldigte das Rechtsmittel erfolglos eingelegt oder zurückgenommen, so sind ihm die dadurch dem Nebenkläger oder dem zum Ansc

Strafprozeßordnung - StPO | § 105 Verfahren bei der Durchsuchung


(1) Durchsuchungen dürfen nur durch den Richter, bei Gefahr im Verzug auch durch die Staatsanwaltschaft und ihre Ermittlungspersonen (§ 152 des Gerichtsverfassungsgesetzes) angeordnet werden. Durchsuchungen nach § 103 Abs. 1 Satz 2 ordnet der Richter

Strafprozeßordnung - StPO | § 103 Durchsuchung bei anderen Personen


(1) Bei anderen Personen sind Durchsuchungen nur zur Ergreifung des Beschuldigten oder zur Verfolgung von Spuren einer Straftat oder zur Beschlagnahme bestimmter Gegenstände und nur dann zulässig, wenn Tatsachen vorliegen, aus denen zu schließen ist,

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(1) Bei anderen Personen sind Durchsuchungen nur zur Ergreifung des Beschuldigten oder zur Verfolgung von Spuren einer Straftat oder zur Beschlagnahme bestimmter Gegenstände und nur dann zulässig, wenn Tatsachen vorliegen, aus denen zu schließen ist, daß die gesuchte Person, Spur oder Sache sich in den zu durchsuchenden Räumen befindet. Zum Zwecke der Ergreifung eines Beschuldigten, der dringend verdächtig ist, eine Straftat nach § 89a oder § 89c Absatz 1 bis 4 des Strafgesetzbuchs oder nach § 129a, auch in Verbindung mit § 129b Abs. 1, des Strafgesetzbuches oder eine der in dieser Vorschrift bezeichneten Straftaten begangen zu haben, ist eine Durchsuchung von Wohnungen und anderen Räumen auch zulässig, wenn diese sich in einem Gebäude befinden, von dem auf Grund von Tatsachen anzunehmen ist, daß sich der Beschuldigte in ihm aufhält.

(2) Die Beschränkungen des Absatzes 1 Satz 1 gelten nicht für Räume, in denen der Beschuldigte ergriffen worden ist oder die er während der Verfolgung betreten hat.

(1) Durchsuchungen dürfen nur durch den Richter, bei Gefahr im Verzug auch durch die Staatsanwaltschaft und ihre Ermittlungspersonen (§ 152 des Gerichtsverfassungsgesetzes) angeordnet werden. Durchsuchungen nach § 103 Abs. 1 Satz 2 ordnet der Richter an; die Staatsanwaltschaft ist hierzu befugt, wenn Gefahr im Verzug ist.

(2) Wenn eine Durchsuchung der Wohnung, der Geschäftsräume oder des befriedeten Besitztums ohne Beisein des Richters oder des Staatsanwalts stattfindet, so sind, wenn möglich, ein Gemeindebeamter oder zwei Mitglieder der Gemeinde, in deren Bezirk die Durchsuchung erfolgt, zuzuziehen. Die als Gemeindemitglieder zugezogenen Personen dürfen nicht Polizeibeamte oder Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft sein.

(3) Wird eine Durchsuchung in einem Dienstgebäude oder einer nicht allgemein zugänglichen Einrichtung oder Anlage der Bundeswehr erforderlich, so wird die vorgesetzte Dienststelle der Bundeswehr um ihre Durchführung ersucht. Die ersuchende Stelle ist zur Mitwirkung berechtigt. Des Ersuchens bedarf es nicht, wenn die Durchsuchung von Räumen vorzunehmen ist, die ausschließlich von anderen Personen als Soldaten bewohnt werden.

(1) Bei anderen Personen sind Durchsuchungen nur zur Ergreifung des Beschuldigten oder zur Verfolgung von Spuren einer Straftat oder zur Beschlagnahme bestimmter Gegenstände und nur dann zulässig, wenn Tatsachen vorliegen, aus denen zu schließen ist, daß die gesuchte Person, Spur oder Sache sich in den zu durchsuchenden Räumen befindet. Zum Zwecke der Ergreifung eines Beschuldigten, der dringend verdächtig ist, eine Straftat nach § 89a oder § 89c Absatz 1 bis 4 des Strafgesetzbuchs oder nach § 129a, auch in Verbindung mit § 129b Abs. 1, des Strafgesetzbuches oder eine der in dieser Vorschrift bezeichneten Straftaten begangen zu haben, ist eine Durchsuchung von Wohnungen und anderen Räumen auch zulässig, wenn diese sich in einem Gebäude befinden, von dem auf Grund von Tatsachen anzunehmen ist, daß sich der Beschuldigte in ihm aufhält.

(2) Die Beschränkungen des Absatzes 1 Satz 1 gelten nicht für Räume, in denen der Beschuldigte ergriffen worden ist oder die er während der Verfolgung betreten hat.

(1) Die Kosten eines zurückgenommenen oder erfolglos eingelegten Rechtsmittels treffen den, der es eingelegt hat. Hat der Beschuldigte das Rechtsmittel erfolglos eingelegt oder zurückgenommen, so sind ihm die dadurch dem Nebenkläger oder dem zum Anschluß als Nebenkläger Berechtigten in Wahrnehmung seiner Befugnisse nach § 406h erwachsenen notwendigen Auslagen aufzuerlegen. Hat im Falle des Satzes 1 allein der Nebenkläger ein Rechtsmittel eingelegt oder durchgeführt, so sind ihm die dadurch erwachsenen notwendigen Auslagen des Beschuldigten aufzuerlegen. Für die Kosten des Rechtsmittels und die notwendigen Auslagen der Beteiligten gilt § 472a Abs. 2 entsprechend, wenn eine zulässig erhobene sofortige Beschwerde nach § 406a Abs. 1 Satz 1 durch eine den Rechtszug abschließende Entscheidung unzulässig geworden ist.

(2) Hat im Falle des Absatzes 1 die Staatsanwaltschaft das Rechtsmittel zuungunsten des Beschuldigten oder eines Nebenbeteiligten (§ 424 Absatz 1, §§ 439, 444 Abs. 1 Satz 1) eingelegt, so sind die ihm erwachsenen notwendigen Auslagen der Staatskasse aufzuerlegen. Dasselbe gilt, wenn das von der Staatsanwaltschaft zugunsten des Beschuldigten oder eines Nebenbeteiligten eingelegte Rechtsmittel Erfolg hat.

(3) Hat der Beschuldigte oder ein anderer Beteiligter das Rechtsmittel auf bestimmte Beschwerdepunkte beschränkt und hat ein solches Rechtsmittel Erfolg, so sind die notwendigen Auslagen des Beteiligten der Staatskasse aufzuerlegen.

(4) Hat das Rechtsmittel teilweise Erfolg, so hat das Gericht die Gebühr zu ermäßigen und die entstandenen Auslagen teilweise oder auch ganz der Staatskasse aufzuerlegen, soweit es unbillig wäre, die Beteiligten damit zu belasten. Dies gilt entsprechend für die notwendigen Auslagen der Beteiligten.

(5) Ein Rechtsmittel gilt als erfolglos, soweit eine Anordnung nach § 69 Abs. 1 oder § 69b Abs. 1 des Strafgesetzbuches nur deshalb nicht aufrechterhalten wird, weil ihre Voraussetzungen wegen der Dauer einer vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 111a Abs. 1) oder einer Verwahrung, Sicherstellung oder Beschlagnahme des Führerscheins (§ 69a Abs. 6 des Strafgesetzbuches) nicht mehr vorliegen.

(6) Die Absätze 1 bis 4 gelten entsprechend für die Kosten und die notwendigen Auslagen, die durch einen Antrag

1.
auf Wiederaufnahme des durch ein rechtskräftiges Urteil abgeschlossenen Verfahrens oder
2.
auf ein Nachverfahren (§ 433)
verursacht worden sind.

(7) Die Kosten der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand fallen dem Antragsteller zur Last, soweit sie nicht durch einen unbegründeten Widerspruch des Gegners entstanden sind.