Landgericht Magdeburg Beschluss, 22. Nov. 2017 - Reh 87/16

ECLI:ECLI:DE:LGMAGDE:2017:1122.REH.87.16.00
bei uns veröffentlicht am22.11.2017

Gericht

Landgericht Magdeburg

Tenor

1.

Auf den Antrag des Betroffenen wird die durch Beschluss des Rates der Stadt Magdeburg – Jugendhilfeausschuss V – vom 30.04.1969, Beschluss-Register-Nr. 29/69, sowie die zuvor verfügte vorläufige Einweisung durch Verfügung des Rates der Stadt Magdeburg vom 28.03.1969, Verfahrens-Register-Nr. 31/69, angeordnete Unterbringung des Betroffenen zur Heimerziehung für rechtsstaatswidrig erklärt und aufgehoben.

2.

Der Betroffene hat in der Zeit vom 28.03.1969 bis 20.12.1974 und vom 17.11.1975 bis zum 31.08.1986 zu Unrecht Freiheitsentziehung erlitten.

3.

Entschädigungsansprüche nach Ziffer 1. und 2. des Tenors sind bei dem

      Landesverwaltungsamt Halle      
Versorgungsamt
Soziales Entschädigungsrecht
Olvenstedter Str. 1 – 2
39108 Magdeburg

geltend zu machen.

4.

Kosten des Rehabilitierungsverfahrens werden nicht erhoben. Die notwendigen Auslagen des Betroffenen im Rehabilitierungsverfahren hat die Landeskasse zu tragen.

Gründe

I.

1

Durch vorläufige Verfügung des Rates der Stadt Magdeburg, Abt. Volksbildung, Referat Jugendhilfe, Außenstelle Mitte, vom 28.03.1969 wurde gemäß § 50 des FamGB der Deutschen Demokratischen Republik in Verbindung mit § 22 der Verordnung über die Aufgaben und die Arbeitsweisen der Organe der Jugendhilfe vom 03.03.1966 die Heimerziehung vorläufig angeordnet. Durch Beschluss des Rates der Stadt Magdeburg, Jugendhilfeausschuss V, vom 30.04.1969 wurde gemäß § 50 des FamGB der Deutschen Demokratischen Republik in Verbindung mit § 25 der Verordnung über die Aufgaben und die Arbeitsweisen der Organe der Jugendhilfe vom 03.03.1966 die Heimerziehung angeordnet. Der Betroffene befand sich aufgrund der Anordnung der Heimerziehung ausweislich der Auskunft des Oberbürgermeisters der Landeshauptstadt Magdeburg vom 11.04.2014 im Zeitraum vom 28.03.1969 bis 02.12.1969 im Säuglingsheim H, vom 02.12.1969 bis zum 27.01.1972 im Säuglingsheim H, vom 27.01.1972 bis 20.12.1974 im Kinderheim K. Danach erfolgte eine Entlassung in eine Pflegefamilie bis zum 17.11.1975. Ab dem 17.11.1975 war der Antragsteller wieder im Kinderheim K. Dort war er bis zum 11.08.1976 untergebracht. Vom 11.08.1976 bis August 1984 war er im Kinderheim A, vom 01.09.1984 bis Oktober 1985 im Jugendwohnheim S und von Oktober 1985 bis August 1986 im Jugendwohnheim S. Dabei ergibt sich aus den Unterlagen, dass er am 31.08.1986 infolge Auflösung des Jugendwohnheims S zum 01.09.1986 aus der Heimunterbringung entlassen wurde.

2

Die Heimeinweisung erfolgte ausweislich der eingesehenen Unterlagen aufgrund behaupteter Vernachlässigung des Kindes. Eine Prüfung, ob eine Aufnahme bei aufnahmebereiten Verwandten, insbesondere der Großmutter des Betroffenen erfolgen könnte, hat nicht stattgefunden. Die Mutter des Betroffenen war bereits vor seiner Geburt ausweislich der vom Gericht eingesehenen Akten ausschließlich zur Durchsetzung einer Arbeitspflicht verurteilt worden. Es bestehen nach Aktenlage Anhaltspunkte dafür, dass sie wegen ihrer Herkunft aus dem Westen durch die Staatssicherheit unter besonderer Beobachtung stand. Eine Würdigung der gesamten Umstände und des Verlaufs der Heimunterbringung des Betroffenen lässt den Rückschluss zu, dass die Unterbringung des Betroffenen in einem Heim zur Disziplinierung der Mutter und zur ausschließlichen Durchsetzung einer Arbeitspflicht erfolgte.

3

Die Staatsanwaltschaft hat der Rehabilitierung zugestimmt. Von einer weiteren Begründung der Rehabilitierung wird daher gemäß §§ 12 Abs. 3, 13 Abs. 2 Ziffer 1 StrRehaG abgesehen.

II.

4

Diese Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei, § 14 Abs. 1 StrRehaG. Die Auslagenentscheidung folgt aus § 14 Abs. 2 Satz 1 StrRehaG.


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Referenzen - Gesetze

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Strafrechtliches Rehabilitierungsgesetz - StrRehaG | § 14 Kosten des Verfahrens und notwendige Auslagen


(1) Kosten des Verfahrens werden nicht erhoben. (2) Wird dem Antrag ganz oder teilweise stattgegeben, fallen die notwendigen Auslagen des Antragstellers der Staatskasse zur Last. Im Übrigen kann das Gericht die notwendigen Auslagen des Antragsteller

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(1) Kosten des Verfahrens werden nicht erhoben.

(2) Wird dem Antrag ganz oder teilweise stattgegeben, fallen die notwendigen Auslagen des Antragstellers der Staatskasse zur Last. Im Übrigen kann das Gericht die notwendigen Auslagen des Antragstellers ganz oder teilweise der Staatskasse auferlegen, wenn es unbillig wäre, den Antragsteller damit zu belasten.

(3) Die Entscheidung nach Absatz 2 Satz 2 ist unanfechtbar.

(4) Für die notwendigen Auslagen des Antragstellers im Beschwerdeverfahren gilt § 473 Abs. 1 bis 4 der Strafprozessordnung entsprechend.