Landgericht Kempten (Allgäu) Endurteil, 24. Juni 2015 - 12 O 409/14

bei uns veröffentlicht am24.06.2015

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages.

Tatbestand

Der Kläger begehrt Schmerzensgeld sowie Schadensersatz in Folge einer behaupteten, fehlerhaften Verschreibung einer Thromboseprophylaxe von Clexane 20 mg.

Der Kläger wurde am 13.03.2012 ambulant im MVZ Immenstadt am Knie operiert. Es wurde am rechten Knie eine Kniegelenksarthroskopie mit Innenmeniskusteilresektion und Mikrofrakturierung des Patellagleitlagers bei ausgestanztem Knorpelschaden durchgeführt. Nach der Operation erhielt der Kläger eine Mecron-Schiene zur Ruhigstellung des Kniegelenks; laut OP-Bericht sollte für die Dauer von vier Wochen lediglich eine Teilbelastung und eine Ruhigstellung in der Mecron-Schiene erfolgen, danach physiotherapeutische Mobilisation des Kniegelenks. Die Ruhigstellung ist laut OP-Bericht erforderlich, um keine Druckerhöhung im mikrofrakturierten Bereich zuzulassen. Auf die Anlage K1 (Operationsbericht vom 21.03.2012) wird verwiesen. Der Kläger erhielt vom Operateur ein Rezept über zehn Fertigspritzen Clexane 40 mg. Ab dem 21.03.2012 begab sich der Kläger zur Weiterbehandlung zu seinem Hausarzt Dr. ... dem Beklagten. Dieser verordnete zur weiteren Thromboseprophylaxe Clexane in der Dosierung 20 mg. Am 15.04.2012 musste sich der Kläger wegen einer Lungenembolie in die Notaufnahme des Klinikums Kempten begeben; Ursache war eine tiefe Bein-/Venenthrombose rechts oberhalb des Kniegelenksspaltes.

Der Kläger trägt vor, er habe sowohl bei der ersten Vorstellung nach der Opteration beim Beklagten, als auch beim zweiten Termin den Beklagten daraufhin angesprochen, weshalb er nicht Clexane 40 mg, sondern nur Clexane 20 mg verschreibe. Außerdem sei der Beklagte umfassend informiert gewesen, da er sowohl den Operationsbericht vom 21.03.2012, als auch das Arztbegleitschreiben des MVZ vom 16.03.2012 per Telefax erhalten habe.

Der Kläger trägt in rechtlicher Hinsicht vor, dass der Beklagte einen groben ärztlichen Behandlungsfehler begangen habe, weil er ohne eigene diagnostische Maßnahmen die Thromboseprophylaxe von Clexane 40 mg auf Clexane 20 mg reduziert habe. Dies habe nicht dem individuellen Thromboserisiko des Klägers entsprochen.

Der Kläger beantragt:

1. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger ein angemessenes Schmerzensgeld zu bezahlen, mindestens jedoch 17.000,00 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 11.07.2012.

2. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger einen Betrag in Höhe von 3.607,48 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 11.07.2012 zu bezahlen.

3. Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger sämtlichen weiteren materiellen und immateriellen Schäden der ihn aufgrund der Fehlbehandlung im April 2012 entstanden ist zu ersetzen, soweit ein solcher nicht auf Sozialversicherungsträger oder andere Dritte übergegangen ist.

4. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger als Nebenforderung 2.968,81 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Klageerhebung zu bezahlen.

Der Beklagte beantragt:

Die Klage wird abgewiesen.

Der Beklagte trägt vor, die Arztbriefe des MVZ seien ausschließlich an den überweisenden Orthopäden Dr. ... gesandt worden.

Der Beklagte führt in rechtlicher Hinsicht aus, die Verordnung von Clexane 20 mg sei richtig gewesen, zumindest aber vertretbar. Jedenfalls sei eine Kausalität nicht nachzuweisen, da auch die Verabreichung entsprechender Spritzen mit 40 mg ein Thromboserisiko nicht gänzlich ausgeschlossen hätten.

Es wurde Beweis erhoben durch Einvernahme der Zeugen ... und ... Außerdem wurde Beweis erhoben durch Einholung einer schriftlichen Sachverständigengutachtens gemäß Beweisbeschluss vom 16.07.2014, welches der Sachverständige am 28.10.2014 erstattet hat und im Termin am 27.05.2015 mündlich erläutert hat.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird verwiesen auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen sowie sonstige Aktenbestandteile.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.

Dem Kläger steht weder aus dem mit ihm abgeschlossenen Behandlungsvertrag gemäß §§ 280 Abs. 1, 281 Abs. 1, 611, 249 Abs. 1, 253 Abs. 2 BGB, noch aus unerlaubter Handlung gemäß §§ 823 Abs. 1, 249 Abs. 1, Abs. 2 BGB ein Anspruch auf Ersatz materieller oder immaterieller Schäden zu. Der für einen objektiven Behandlungsfehler beweisbelastete Kläger (OLG Hamburg, Urteil vom 22.02.2002, AZ: 1 U 35/00; Geiß/Greiner Arzthaftpflichtrecht 5. Auflage 2006, B200) konnte den Nachweis eines Behandlungsfehlers nicht führen.

I.

Ein Behandlungsfehler kann dem Beklagten nicht nachgewiesen werden.

1. Das Gericht hat für seine Überzeugungsbildung sowohl das schriftliche und mündliche Gutachten des gerichtlich bestellten Sachverständigen Dr. ... als auch die vorgelegten Privatgutachten der Frau Prof. Dr. ... sowie Frau Dr. med. ... und sich insbesondere auch mit diesen beiden Privatgutachten kritisch auseinandergesetzt. Das Gericht verweist insoweit zur Bedeutung von Privatgutachten im Rahmen einer Beweiswürdigung auf die ständige Rechtsprechung des BGH (vergleiche z. B. BGH NJW 1992, 1459; NJW-RR 1998, 1117 [1118 unter II 2]). Das Gericht hat sich auch mit der für die medizinische Beurteilung des vorliegenden Falles entscheidende S3-Leitlinien befasst und die Ausführungen der Sachverständigen hieran gemessen.

Das Gericht hat sich hierdurch eine eigene Sachkunde verschafft, um die gegenteiligen Auffassungen der beiden Privatgutachterrinnen und die wechselhaften Beurteilungen des gerichtlich beauftragten Sachverständigen Dr. ... bewerten zu können. Die Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens nach § 412 ZPO („Obergutachten“) war daher nicht veranlasst.

Im Ergebnis ist das Gericht im Wesentlichen den überzeugenden Ausführungen der Sachverständigen Prof. Dr. ... der sich nach kritischer Befragung auch der Gerichtssachverständige Dr. ... unter Aufgabe seiner Beurteilung im schriftlichen Gutachten angeschlossen hat, aus den nachfolgend dargestellten Überlegungen gefolgt.

Das Gericht hat hierbei nicht unbeachtet gelassen, dass das Gutachten der Sachverständigen Prof. Dr. ... im Auftrag des Beklagten erstellt worden ist und deswegen eine Parteilichkeit der Sachverständigen nicht von vorneherein ausgeschlossen werden konnte. Die eingehende Prüfung ihrer medizinischen Ausführungen und Bewertungen hat die Bedenken des Gerichts jedoch beseitigt. Gleiches gilt im Übrigen auch für das klägerseits vorgelegte Gutachten Dr. .... Auch insoweit bestehen keine Bedenken gegen die Unparteilichkeit der Sachverständigen. Die unterschiedlichen Gutachtensergebnisse sind unterschiedlichen medizinischen Auffassungen und Gutachtensansätzen geschuldet.

2. Das Gericht ist nach der erfolgten Beweisaufnahme überzeugt, dass die Verschreibung von Clexane 20 mg im vorliegenden Fall vertretbar war. Das Gericht hält insoweit die gutachterlichen Ausführungen der Frau Dr. ... in Zusammenschau mit den mündlichen Ausführungen des gerichtlich bestellten Sachverständigen Herr Dr. ... für überzeugend und ausreichend für eine Beurteilung des vorliegenden Falles.

Frau Prof. Dr. ... kommt in ihrem Gutachten zum Ergebnis, dass die Entscheidung des Beklagten, die vom MVZ für zehn Tage rezeptierte Hochrisiko-Prophylaxe (Clexane 40 mg) durch weitere Verschreibungen einer Mittelrisiko-Prohpylaxe mit Clexane 20 mg fortzuführen, entsprechend der dafür zuständigen S3-Leitlinie als richtig bezeichnet und aus dieser gewählten Vorgehensweise deshalb kein Behandlungsfehler abgeleitet werden kann. Frau Prof. Dr. ... hat in ihrem schriftlichen Gutachten nachvollziehbar dargestellt, dass sich die Gutachterin des MDK ... Frau Dr. ... sowie der gerichtlich bestellte Sachverständige Dr. ... in seinem schriftlichen Gutachten sich in ihrer Argumentation fälschlicherweise ausschließlich auf diejenigen Teile der S3-Leitlinie beziehen, die den Primärverordner (Operateur) betreffen. Die für den Beklagten als nachverordneten Arzt zutreffenden Ausführungen in der Leitlinie wurden nicht berücksichtigt. Nach den Ausführungen von Frau Prof. Dr. ... wurde in den Leitlinien gerade wegen unzureichender Evidenz der Hochrisiko-Prophylaxe von der Empfehlung jeglicher Dosierung Abstand genommen. Die dem Kapitel vorangestellten Kernaussagen, welche von allen Mitgliedern der Leitliniengruppe evidenzbasiert konsentiert wurden, heißt es nur: „Patienten mit operativ versorgten Verletzungen der Knochen und/oder mit fixierenden Verbänden an der unteren Extremität sollten neben Basismaßnahmen eine medikamentöse VTE-Prophylaxe erhalten. Die medikamentöse Prophylaxe soll mit niedermolekularen Heparinen (NMH) erfolgen“. Es erscheint nachvollziehbar, dass der Teil der Leitlinie, der den Operateur bzw. erstbehandelnden Arzt betrifft, im vorliegenden Fall nur nachrangig relevant ist, weil der Kläger vom Erstverordner bereits für die hinsichtlich venöser Thromboembolien gefährlichste Zeit nach der Operation (7 bis 10 Tage) bereits zehn Fertigspritzen Clexane 40 mg verordnet bekommen hatte. Somit ist für die Risikoabschätzung des Beklagten als Nachbehandler das Kapitel 3.7 der S3-Leitlinie „Besonderheiten der VTE-Prophylaxe in der ambulanten Medizin“ einschlägig.

Das gegenteilige Gutachten der Frau Dr. med. ... überzeugt deshalb nicht, weil sie zwar eine Dosierung in Höhe von 40 mg über den gesamten Zeitraum der Prophylaxe fordert, aber auch nicht aufzeigen kann, woraus sich die gleichbleibende Dosierung über den gesamten Behandlungszeitraum aus der Leitlinie selber ergeben soll. Ihre Ausführungen in der nachgereichten Stellungnahme vom 10.06.2015 bestätigen dies. In dieser Stellungnahme weist sie selbst darauf hin, dass von einer unklaren Risikosituation auszugehen sei bei der „mangels Literatur die Risikoeinschätzung durch den Operateur erfolgen sollte“. Sie weist weiter darauf hin, dass speziell für den hier relevanten Zustand nach Microfracturing gerade keine speziellen Studien über das spezielle Thromboserisiko dieses operativen Eingriffs vorliegen. Ihre Forderung nach einer Dosierung in Höhe von 40 mg über den gesamten Zeitraum der Prophylaxe lässt sich deshalb gerade nicht nach wissenschaftlichen Erkenntnissen und Leitlinien rechtfertigen. Konsequenterweise fordert die Sachverständige deshalb auch nur noch eine Dosierung nach Einschätzung des Operateurs. Die Dosierung nach Einschätzung des Operateurs ist vorliegend für die Dauer der stationären Aufenthalts mit einer Dosis von 40 mg auch tatsächlich erfolgt und hat damit für diesen Zeitraum auch die Anforderungen der Sachverständigen Dr. med. ... erfüllt. Für den Zeitraum nach der Entlassung wurde laut Entlassgericht von diesem jedoch keine Vorgabe zur weiteren Prophylaxe gemacht, weshalb der Beklagte eine eigene Bewertung des Thromboserisikos vorzunehmen hatte und sich die entscheidende Frage vorliegend dahingehend stellt, inwieweit die eigene Risikobewertung und Dosierung des Beklagten behandlungsfehlerhaft war. Der Beantwortung dieser Frage weicht die Sachverständige Dr. ... aus, wenn sie bedauert, dass eine weitergehende Risikoeinschätzung des Operateurs während des Prozesses nicht geklärt worden sei.

Frau Prof. Dr. ... hat dagegen das zu berücksichtigende Thromboserisiko und die hieraus resultierende Dosierung des Medikaments zutreffend unter Berücksichtigung der für die Beurteilung des Risikos maßgebenden Parameter beurteilt. Sie hat das eingriffsbedingte Thromboserisiko als „Mittel“ eingestuft. Dies hat sie nachvollziehbar damit begründet, dass es sich bei einer Meniskusoperation im Gegensatz zu einer Kreuzbandplastik, auf welche sich die MDK-Gutachterin Frau Dr. ... bezogen hat, nicht verwechselt oder hinsichtlich des Thromboserisikos gleichgestellt werden darf. Im Fall des Klägers ist auch festzuhalten, dass das Sprunggelenk als wesentlicher Motor für den venösen Blutstrom trotz Immobilisation des Kniegelenks frei bewegt werden konnte. Wenn die MDK-Gutachterin Frau Dr. ... hingegen anführt, die Aussagen der Leitlinien zur Meniskuschirurgie seien deshalb nicht einschlägig, weil beim Kläger eben nicht nur eine Meniskusoperation erfolgte, sondern zusätzlich eine Mikrofrakturierung erfolgt ist, so überzeugt dies nicht. Denn auch nach den Aussagen der Frau Dr. ... führt im Zusammenhang mit der Mikrofrakturierung das operationsbedingte Trauma zu einer stärkeren Aktivierung der Blutgerinnung in der ersten Woche nach dem Eingriff, als wenn die Operation ohne Mikrofrakturierung durchgeführt worden wäre. Dagegen wendet sich auch Frau Dr. med. ... nicht. Hier sind sich beide Privatgutachterinnen einig, dass durch die Mikrofrakturierung gerade in der ersten Woche das Risiko für den Patienten erhöht ist. Gerade diese ersten Tage sind jedoch bereits durch eine Thromboseprophyläxe Clexane 40 mg abgedeckt, so dass es nachvollziehbar scheint, nach Abklingen dieses erhöhten Risikos unmitttelbar nach der Operation die Dosierung der Thromboseprophylaxe zu reduzieren. Insofern überzeugt das Gutachten der Frau Dr. ... nicht, wenn diese gerade mit „derselben Konstellation ohne irgendwelche Änderungen“ argumentiert, und somit den Übergang von 40 mg auf 20 mg aus medizinischer Sicht für nicht nachvollziehbar erachtet. Abgesehen von der stärkeren Aktivierung der Blutgerinnung durch die Mikrofrakturierung erscheint es auch insgesamt verständlich, dass unmittelbar nach der Operation das Thromboserisiko am höchsten ist, und dann nach und nach absinkt, da trotz immobilisierender Mecron-Schiene über mehrere Wochen die Auswirkungen der Operation abklingen und auch aufgrund des mobilen Sprunggelenks nach und nach mehr Belastung und Bewegung möglich ist als unmittelbar nach der Operation.

Auch das patienteneigene Thromboserisiko wurde von Frau Prof. Dr. ... als niedrig eingestuft, da der BMI bei einer Größe des Patienten von 197 cm bei einem Gewicht von 115 kg, 29,6 kg/m² beträgt, was unter der in der S3-Leitlinie genannten Marke von 30 kg/m² liegt. Selbst wenn man von einem BMI von 30,5 kg/m² ausgeht, unter Zugrundelegung einer Größe des Klägers von 196 cm, wie Frau Dr. ..., welche sich auf ein Schreiben der Kardiologie mit diesen Angaben bezieht, so führt auch dies noch nicht zu einem mittleren Thromboserisiko, da in der S3-Leitlinie zum BMI über 30 kg/m² mit einer Fußnote angemerkt ist, dass es sich bei diesem Risikofaktor um eine stetige Wirkungsbeziehung handelt, das heißt ab einem BMI 30 kg/m² überhaupt erst von einem Risikofaktor gesprochen werden kann, der in seiner Gewichtigkeit mit weiterer Zunahme des BMI weiter ansteigt. Somit wäre auch bei einem BMI knapp über 30 kg/m² das patienteneigene Thromboserisiko noch als niedrig einzustufen.

Bei der Kombination von mittleren eingriffsbedingten und niedrigem patienteneigenen Thromboserisiko ist das individuelle Gesamtrisiko von Herrn ... als Mittel zu bezeichnen.

Schließlich hat sich der gerichtlich bestellte Sachverständige Dr. ... im Termin am 24.06.2015 den Ausführungen der Frau Prof. Dr. ... angeschlossen, nachdem er vom Gericht darauf hingewiesen worden war, dass er für seine Beurteilung auf den Facharztstandard eines Allgemeinmediziners abstellen und sich an den S3-Leitlinien orientieren soll. Nach Maßgabe dieser unterschiedlichen Bewertungsansätze, die der Sachverständige in seiner schriftlichen Begutachtung vernachlässigt hat, war die Abweichung vom schriftlichen Gutachten nachvollziehbar und das Ergebnis seiner mündlichen Bewertung trotz der Widersprüche zu seinem schriftlichen Vortrag verwertbar. Auch er bestätigte nunmehr im wesentlichen die Richtigkeit der medizinischen Ausführungen der Sachverständigen Prof. Dr. ....

3. Eine Rücksprache des Beklagten mit dem behandelnden Operateur war nicht erforderlich. Es ist medizinisch auch nicht üblich, dass bei ambulanter Weiterbehandlung nach Entlassung aus einer stationären Behandlung eine direkte Kontaktaufnahme zwischen Operateur und ambulanten Arzt erfolgt. Dies gilt vorliegend umso mehr, als weder aus dem OP-Bericht vom 21.03.2012, Anlage K 1, noch aus dem Begleitschreiben vom 16.03.2012 sich irgendein Hinweis auf eine Thromboseprophylaxe, schon gar nicht auf eine exakte Vorgabe einer Dosierung ergibt. Eine Nachfrage des Beklagten im Krankenhaus hätte damit keine Vorgaben an den Beklagten ergeben. Es kann deshalb auch dahingestellt bleiben, ob der Beklagte diese Unterlagen erhalten hat.

Der Beklagte war daher gemäß Seite 37 der Leitlinie lediglich gehalten dafür zu sorgen, dass beim Übergang von der stationären auf die poststationäre Behandlung keine Prophylaxelücke entsteht. Dem ist der Beklagte auch unstreitig nachgekommen. Die von ihm durchgeführte Prophylaxe war auch hinsichtlich der von ihm noch zu beachtenden Thromboserisikenin der Höhe der Dosierung zumindest vertretbar.

4. Ein Behandlungsfehler folgt auch nicht daraus, dass der Kläger behauptet, er habe den Beklagten bereits bei der ersten Vorstellung am 21.03.2012 darauf angesprochen, warum er nicht Clexane 40 mg, sondern Clexane 20 mg verschreibe. Diese bestrittene Behauptung konnte der Kläger nicht nachweisen. Zwar hat der Kläger diese Behauptung in seiner persönlichen Anhörung bestätigt. Der Beklagte hat dies in seiner persönlichen Anhörung verneint und zumindest nachvollziehbar darauf hingewiesen, dass er sich sicher sei, dass er vom Kläger nicht auf die Dosis von 40 mg hingewiesen worden sei, weil er sonst keine Veranlassung gehabt hätte, eine abweichende Dosis von 20 mg zu verordnen. Eine überwiegende Glaubwürdigkeit des Klägers oder des Beklagten konnte das Gericht im Zusammenhang mit diesen Angaben nicht feststellen. Auch die Zeugin ... konnte zu einer weiteren Aufklärung nicht beitragen. Sie bestätigte sogar in ihrer Aussage, dass sie jedenfalls nicht beim ersten Termin beim Beklagten entsprechend an gesprochen habe, weil sie den Unterschied 20 mg/40 mg erst zu Hause bemerkt hätten. Wann genau danach der Beklagte darauf angesprochen worden sein soll, wusste die Zeugin nicht mehr. Somit konnte sich das Gericht nicht die nach § 286 ZPO erforderliche Überzeugung über die Richtigkeit des klägerseits behaupteten Hinweises an den Beklagten bilden.

5. Es ist auch keine unterlassene Befunderhebung ersichtlich. Als Hausarzt lagen dem Beklagten Blutwerte und Maße des Klägers vor. Nach Aussage des gerichtlich bestellten Sachverständigen gibt es keine Vorschrift, die die Überprüfung der Blutgerinnung während einer vierwöchigen Behandlung mit Clexane vorschreibt.

6. Selbst wenn man von einem Behandlungsfehler des Beklagten ausginge, würde ein Anspruch des Klägers am fehlenden Nachweis der haftungsbegründenden Kausalität für die erlittene Lungenembolie aufgrund der Bein-/Venenthrombose scheitern. Für den Nachweis der Ursächlichkeit des behaupteten Behandlungsfehlers für die Rechtsgutverletzung als solche, also für den Primärschaden des Patienten im Sinne einer Belastung seiner gesundheitlichen Befindlichkeit, gilt das strenge Beweismaß des § 286 ZPO, das einen für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit verlangt, der vernünftigen zweifeln schweigen gebietet. Nur die Feststellung der haftungsausfüllunden Kausalität und damit der Ursächlichkeit der Rechtsgutverletzung für alle weiteren (Folge-)Schäden richtet sich hingegen nach § 287 ZPO (BGH in NJW-RR 2014, 1147).

Ein grober Behandlungsfehler im Sinne von § 630 h Abs. 5 BGB, welcher zu einer Beweislastumkehr führen würde, liegt nicht vor. Denn grob ist ein Fehler dann, wenn der Behandelnde eindeutig gegen bewährte medizinische Behandlungsregeln oder gesicherte medizinische Erkenntnisse verstoßen und einen Fehler begangen hat, der aus objektiver Sicht, nicht nach dem Grad subjektiver Vorwurfbarkeit, nicht mehr verständlich erscheint, weil er einem Behandelnden schlechterdings nicht unterlaufen darf (Palandt, BGB 74. Auflage 2015, § 630 h Rn. 9). Dies ist vorliegend ausgeschlossen, da die zu berücksichtigende Leitlinie keine konkrete Empfehlung zur Dosierung enthält und die angehörten Sachverständigen in der Beurteilung der notwendigen Dosierung uneinig sind. Somit kann eine Beweislastumkehr nicht angenommen werden.

Einig sind sich sämtliche Gutachter allerdings insoweit, als auch bei einer Dosierung von 40 mg eine Thrombose nicht ausgeschlossen werden kann. Allein die damit verbleibende Möglichkeit einer Risikoerhöhung durch eine geringere Dosis genügt deshalb nicht für einen Anscheinsbeweis (OLG Koblenz, Urteil vom 15.02.2012, AZ: 5 O 320/11). Das OLG München hat im Urteil vom 19.09.2013, AZ: 1 O 2071/12, die Kausalität sogar bei gänzlich unterbliebener Thromboseprophylaxe verneint, da nicht hinreichend zuverlässig ausgeschlossen werden konnte, dass die Thrombose bei Gabe von Clexane nicht doch aufgetreten wäre. Somit könnte auch bei unterstellten Behandlungsfehler die Kausalität für den vom Kläger zu beweisenden Primärschaden nicht mit der erforderlichen Sicherheit im Sinne von § 286 ZPO nachgewiesen werden.

II.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 709 ZPO.

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Referenzen - Gesetze

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Zivilprozessordnung - ZPO | § 91 Grundsatz und Umfang der Kostenpflicht


(1) Die unterliegende Partei hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, insbesondere die dem Gegner erwachsenen Kosten zu erstatten, soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig waren. Die Kostenerstattung um

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 280 Schadensersatz wegen Pflichtverletzung


(1) Verletzt der Schuldner eine Pflicht aus dem Schuldverhältnis, so kann der Gläubiger Ersatz des hierdurch entstehenden Schadens verlangen. Dies gilt nicht, wenn der Schuldner die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat. (2) Schadensersatz weg

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 823 Schadensersatzpflicht


(1) Wer vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit, die Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines anderen widerrechtlich verletzt, ist dem anderen zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet. (2) Di

Zivilprozessordnung - ZPO | § 709 Vorläufige Vollstreckbarkeit gegen Sicherheitsleistung


Andere Urteile sind gegen eine der Höhe nach zu bestimmende Sicherheit für vorläufig vollstreckbar zu erklären. Soweit wegen einer Geldforderung zu vollstrecken ist, genügt es, wenn die Höhe der Sicherheitsleistung in einem bestimmten Verhältnis zur

Zivilprozessordnung - ZPO | § 287 Schadensermittlung; Höhe der Forderung


(1) Ist unter den Parteien streitig, ob ein Schaden entstanden sei und wie hoch sich der Schaden oder ein zu ersetzendes Interesse belaufe, so entscheidet hierüber das Gericht unter Würdigung aller Umstände nach freier Überzeugung. Ob und inwieweit e

Zivilprozessordnung - ZPO | § 286 Freie Beweiswürdigung


(1) Das Gericht hat unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder für nicht wahr zu erachten sei.

Zivilprozessordnung - ZPO | § 412 Neues Gutachten


(1) Das Gericht kann eine neue Begutachtung durch dieselben oder durch andere Sachverständige anordnen, wenn es das Gutachten für ungenügend erachtet. (2) Das Gericht kann die Begutachtung durch einen anderen Sachverständigen anordnen, wenn ein S

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(1) Verletzt der Schuldner eine Pflicht aus dem Schuldverhältnis, so kann der Gläubiger Ersatz des hierdurch entstehenden Schadens verlangen. Dies gilt nicht, wenn der Schuldner die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat.

(2) Schadensersatz wegen Verzögerung der Leistung kann der Gläubiger nur unter der zusätzlichen Voraussetzung des § 286 verlangen.

(3) Schadensersatz statt der Leistung kann der Gläubiger nur unter den zusätzlichen Voraussetzungen des § 281, des § 282 oder des § 283 verlangen.

(1) Wer vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit, die Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines anderen widerrechtlich verletzt, ist dem anderen zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet.

(2) Die gleiche Verpflichtung trifft denjenigen, welcher gegen ein den Schutz eines anderen bezweckendes Gesetz verstößt. Ist nach dem Inhalt des Gesetzes ein Verstoß gegen dieses auch ohne Verschulden möglich, so tritt die Ersatzpflicht nur im Falle des Verschuldens ein.

(1) Das Gericht kann eine neue Begutachtung durch dieselben oder durch andere Sachverständige anordnen, wenn es das Gutachten für ungenügend erachtet.

(2) Das Gericht kann die Begutachtung durch einen anderen Sachverständigen anordnen, wenn ein Sachverständiger nach Erstattung des Gutachtens mit Erfolg abgelehnt ist.

(1) Das Gericht hat unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder für nicht wahr zu erachten sei. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.

(2) An gesetzliche Beweisregeln ist das Gericht nur in den durch dieses Gesetz bezeichneten Fällen gebunden.

(1) Ist unter den Parteien streitig, ob ein Schaden entstanden sei und wie hoch sich der Schaden oder ein zu ersetzendes Interesse belaufe, so entscheidet hierüber das Gericht unter Würdigung aller Umstände nach freier Überzeugung. Ob und inwieweit eine beantragte Beweisaufnahme oder von Amts wegen die Begutachtung durch Sachverständige anzuordnen sei, bleibt dem Ermessen des Gerichts überlassen. Das Gericht kann den Beweisführer über den Schaden oder das Interesse vernehmen; die Vorschriften des § 452 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 bis 4 gelten entsprechend.

(2) Die Vorschriften des Absatzes 1 Satz 1, 2 sind bei vermögensrechtlichen Streitigkeiten auch in anderen Fällen entsprechend anzuwenden, soweit unter den Parteien die Höhe einer Forderung streitig ist und die vollständige Aufklärung aller hierfür maßgebenden Umstände mit Schwierigkeiten verbunden ist, die zu der Bedeutung des streitigen Teiles der Forderung in keinem Verhältnis stehen.

(1) Das Gericht hat unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder für nicht wahr zu erachten sei. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.

(2) An gesetzliche Beweisregeln ist das Gericht nur in den durch dieses Gesetz bezeichneten Fällen gebunden.

(1) Die unterliegende Partei hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, insbesondere die dem Gegner erwachsenen Kosten zu erstatten, soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig waren. Die Kostenerstattung umfasst auch die Entschädigung des Gegners für die durch notwendige Reisen oder durch die notwendige Wahrnehmung von Terminen entstandene Zeitversäumnis; die für die Entschädigung von Zeugen geltenden Vorschriften sind entsprechend anzuwenden.

(2) Die gesetzlichen Gebühren und Auslagen des Rechtsanwalts der obsiegenden Partei sind in allen Prozessen zu erstatten, Reisekosten eines Rechtsanwalts, der nicht in dem Bezirk des Prozessgerichts niedergelassen ist und am Ort des Prozessgerichts auch nicht wohnt, jedoch nur insoweit, als die Zuziehung zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig war. Die Kosten mehrerer Rechtsanwälte sind nur insoweit zu erstatten, als sie die Kosten eines Rechtsanwalts nicht übersteigen oder als in der Person des Rechtsanwalts ein Wechsel eintreten musste. In eigener Sache sind dem Rechtsanwalt die Gebühren und Auslagen zu erstatten, die er als Gebühren und Auslagen eines bevollmächtigten Rechtsanwalts erstattet verlangen könnte.

(3) Zu den Kosten des Rechtsstreits im Sinne der Absätze 1, 2 gehören auch die Gebühren, die durch ein Güteverfahren vor einer durch die Landesjustizverwaltung eingerichteten oder anerkannten Gütestelle entstanden sind; dies gilt nicht, wenn zwischen der Beendigung des Güteverfahrens und der Klageerhebung mehr als ein Jahr verstrichen ist.

(4) Zu den Kosten des Rechtsstreits im Sinne von Absatz 1 gehören auch Kosten, die die obsiegende Partei der unterlegenen Partei im Verlaufe des Rechtsstreits gezahlt hat.

(5) Wurde in einem Rechtsstreit über einen Anspruch nach Absatz 1 Satz 1 entschieden, so ist die Verjährung des Anspruchs gehemmt, bis die Entscheidung rechtskräftig geworden ist oder der Rechtsstreit auf andere Weise beendet wird.

Andere Urteile sind gegen eine der Höhe nach zu bestimmende Sicherheit für vorläufig vollstreckbar zu erklären. Soweit wegen einer Geldforderung zu vollstrecken ist, genügt es, wenn die Höhe der Sicherheitsleistung in einem bestimmten Verhältnis zur Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages angegeben wird. Handelt es sich um ein Urteil, das ein Versäumnisurteil aufrechterhält, so ist auszusprechen, dass die Vollstreckung aus dem Versäumnisurteil nur gegen Leistung der Sicherheit fortgesetzt werden darf.