Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern Urteil, 03. Apr. 2012 - 5 Sa 238/11

bei uns veröffentlicht am03.04.2012

Tenor

1. Die Berufung wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.

2. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten im Berufungsrechtszug nach dem angegriffenen Teilurteil allein um die Frage der tarifgerechten Eingruppierung des Klägers, die er für die Zeit ab Januar 2009 geltend macht.

2

Die Beklagte produziert und vertreibt in industriellem Rahmen Brote und andere Backwaren mit Betrieben an mehreren Standorten. Die Beklagte hat im Jahre 2006 einen Produktionsbetrieb in L. eröffnet, in dem viele Arbeitnehmer beschäftigt sind, die zuvor – wie der Kläger – an einem in diesem Zusammenhang geschlossenen Standort der Beklagten in der Nähe von A-Stadt tätig waren. Die Beklagte ist Mitglied im Verband der Deutschen Brot- und Backwarenindustrie e.V. mit Sitz in D.. Außerdem ist sie Mitglied in dem Arbeitgeberverband, durch den sie sich vor Gericht vertreten lässt.

3

Der 1952 geborene Kläger ist seit November 1999 bei der Beklagten oder einem ihrer Rechtsvorgänger beschäftigt. Er ist nicht Mitglied der Gewerkschaft, die den im Betrieb angewendeten Tarifvertrag abgeschlossen hat. Beide Parteien gehen gleichwohl übereinstimmend davon aus, dass sich die Eingruppierung des Klägers nach den tariflichen Merkmalen richtet. Die arbeitsgerichtliche Feststellung, dass der – nicht zur Akte gereichte – Arbeitsvertrag des Klägers auf den Tarifvertrag verweist, ist von keiner der Parteien angegriffen worden.

4

Maßgeblich für die Eingruppierung des Klägers ist damit der "Entgeltrahmentarifvertrag für alle Arbeitnehmerinnen/Arbeitnehmer und Auszubildenden der Brot- und Backwarenindustrie und Großbäckereien in den fünf neuen Bundesländern einschließlich Berlin-Ost", der am 26. Februar 1991 abgeschlossen wurde und seit März 1991 in Kraft ist (zukünftig hier mit ERTV bezeichnet). Der Tarifvertrag ist abgeschlossen zwischen der Gewerkschaft NGG (Hauptverwaltung) und dem bereits oben erwähnten Verband der Deutschen Brot- und Backwarenindustrie e.V., D..

5

In dem Tarifvertrag heißt es auszugsweise:

6

"§ 2— Eingruppierung und Umgruppierung

7

2.1 Maßgebend für die Ein- und/oder Umgruppierung der Arbeitnehmer sind die nachstehenden Grundsätze.

8

2.2. Dieser Tarifvertrag enthält die Merkmale der Tarifgruppen und darunter Beispiele für typische Tätigkeiten.

9

Die aufgeführten Beispiele sind kein Ausschließlichkeitskatalog, sondern sie stellen Richt-beispiele dar und dienen der Erläuterung zur Ein- und Umgruppierung der Arbeitnehmer.

10

2.3. Maßgebend für die Ein- und Umgruppierung sind an erster Stelle die „Oberbegriffe" (Gruppenmerkmale) der Tarifgruppen.

11

2.4. Bei der Einstufung oder Umgruppierung sind nicht berufliche oder betriebliche Bezeichnungen, sondern ausschließlich die Anforderungen/Tätigkeitsmerkmale des Arbeitsplatzes und die Art der verrichteten Arbeit maßgebend.

12

13

Entscheidend für die Einstufung und/oder Umgruppierung des Arbeitnehmers ist die von ihm überwiegend ausgeübte Tätigkeit."

14

§ 4 ERTV regelt sodann die einzelnen Tarifgruppen. Es beginnt mit der am schlechtesten vergüteten Gruppe A und endet mit der am besten vergüteten Gruppe M. Die Ecklohngruppe ("100 %") ist die Gruppe G, die sich durch Tätigkeiten, die eine abgeschlossene Berufsausbildung erfordern, auszeichnet. Der Kläger wird von der Beklagten der Gruppe C zugeordnet und er meint, er sei eingruppiert in die Gruppe D. Die Tätigkeitsmerkmale sind im Tarifvertrag wie folgt formuliert:

15

"Gruppe C ./. 80 %

16

Oberbegriff

17

Tätigkeiten nach Anweisung, die Kenntnisse und Fertigkeiten erfordern, die durch Einarbeitung erworben sind.

18

Tätigkeitsmerkmale, z.B.:

19

Pförtner;
Expeditionshelfer;
Warenbereitstellung;
Materialausgabe;
Bedienen einer Schneide- und Verpackungsmaschine;
Bedienen einer Waschmaschine; …

20

Gruppe D ./. 85 %

21

Oberbegriff:

22

Tätigkeiten einfacher Art nach Anweisung, deren Ausführung ein Anlernen erfordert.

23

Tätigkeitsmerkmale, z.B.:

24

Beifahrer;
Kommissionieren in Expedition;
Werkstatthelfer;
KfZ-Wäscher;
Tankwart;
Einlegen von Brot- und Kuchenteiglingen in Formen;
Transportarbeiten in der Herstellungs- und Verpackungsabteilung;
Auflegen von Stangenbrot und Kuchenplatten auf Schneidemaschinen; …

25

Gruppe E 90 %

26

Oberbegriff:

27

Angelernte Tätigkeiten mit möglicher Einflussnahme auf den Arbeitsablauf und Einsetzbarkeit auf verschiedenen Arbeitsplätzen;

28

Tätigkeiten, denen in Einzelbereichen eine Berufsausbildung zugrunde liegt.

29

Tätigkeitsmerkmale:

30

…"

31

Der Kläger wird von der Beklagten bereits seit Jahren auf demselben Arbeitsplatz in der Produktion eingesetzt. Dieser Arbeitsplatz gehört zur "Linie 3", einer Linie, mit deren Anlagen Brot produziert, verpackt und in Transportbehältern zusammengefasst wird. Die Linie besteht aus den eigentlichen Backöfen und den sich daran anschließenden Anlagen, mit deren Hilfe das Brot gegebenenfalls geschnitten werden kann, und mit deren Hilfe das geschnittene oder ungeschnittene Brot verpackt wird. Außerdem werden am Ende der Linie die verpackten Brote in Kisten zusammengefasst und diese wiederum auf Paletten gestapelt. In dieser Verpackungsform werden sie in der Produktionshalle auf einer dafür vorgesehenen Fläche abgestellt, von der aus das weitere im Betrieb tätige Unternehmen L.-K die Produkte nach den Kundenwünschen und zum Zwecke des Abtransports mit LKW weiter sortiert und zusammenstellt.

32

Der Arbeitsplatz des Klägers dient dazu, die auf einem Band ankommenden Kisten mit dem Brot auf den dafür vorgesehenen Paletten zu stapeln. Die Kisten wiegen alle ungefähr 10 Kilogramm und auf eine Palette passen 4 mal 14 Kisten. Auf dem Band kommen Kisten mit unterschiedlichen Brotsorten in nicht vorhersehbarer Reihenfolge an, die der Kläger sortenrein auf die Paletten zu verpacken hat. Im Regelfall hat er drei verschiedene Brotsorten gleichzeitig zu versorgen.

33

Sobald eine Palette voll ist, hat der Kläger diese weiter zu versorgen. Dazu scannt der Kläger die Markierung auf dem Brot ab. Er druckt dann den Palettenschein aus, der wiederum abgescannt wird. Der Palettenschein wird dann an der Palette befestigt und die Palette mit einer Haube geschlossen. Die so bearbeitete Palette muss der Kläger dann mit einem Hubwagen rund 10 Meter weiter in den oben erwähnten Übergabebereich für das Unternehmen L.-K ziehen.

34

Im Regelfall sind die Paletten voll zu stapeln. Zum Ende des Backprozesses einer Brotsorte kann es auch dazu kommen, dass die Palette nicht voll wird und sie trotzdem weiter bearbeitet werden muss.

35

Der Kläger arbeitet an seinem Platz alleine. Er erledigt die Aufgabe selbstständig und er wird geführt durch den Schichtführer.

36

Der Kläger hat mit Schreiben vom 24. November 2010 um eine Höhergruppierung in die Lohngruppe D gebeten. Das hat die Beklagte mit Schreiben vom 8. Dezember 2010 abgelehnt. Die Beklagte hat auch die Bitte des Klägervertreters, den Arbeitsplatz des Klägers besichtigen zu dürfen, unter Hinweis auf hygienische Bedenken abschlägig beschieden.

37

Mit einer Kombination aus Feststellungs- und Zahlungsanträgen verfolgt der Kläger mit der im Januar 2011 beim Arbeitsgericht Schwerin eingegangenen Klage sein Begehren weiter. Das Arbeitsgericht hat mit dem hier angegriffenen Teilurteil vom 23. Juni 2011 den auf die Feststellung der Eingruppierung und Zahlungspflicht gerichteten Klageantrag zu 2 als unbegründet abgewiesen, den Streitwert auf etwas über 4.000 Euro festgesetzt und die Berufung ausdrücklich zugelassen (3 Ca 164/11). Auf dieses Urteil wird wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes vor dem Arbeitsgericht Bezug genommen.

38

Das Arbeitsgericht hat angenommen eine Anlerntätigkeit im Sinne der Gruppe D zu § 4 ERTV erfordere eine Einarbeitungszeit von 4 Wochen oder mehr. Die Tätigkeit am Arbeitsplatz des Klägers könne jedoch in maximal 1 Woche erlernt werden, weshalb die Tätigkeit nicht der Gruppe D zugeordnet werden könne.

39

Mit der rechtzeitig eingelegten und rechtzeitig begründeten Berufung verfolgt der Kläger sein Feststellungsbegehren in vollem Umfang weiter.

40

Der Kläger hält die Voraussetzungen der Gruppe D aus § 4 ERTV für gegeben. Die klägerische Tätigkeit sei eine typische Anlerntätigkeit im tariflichen Sinne und hebe sich daher deutlich von den Einarbeitungstätigkeiten ab, die der Gruppe C zugeordnet seien. Zutreffend habe das Arbeitsgericht für die Unterscheidung der beiden ähnlichen Begriffe auf die Dauer des Lernprozesses abgestellt, den man durchlaufen müsse, um die geforderte Arbeit zu beherrschen. Falsch sei jedoch die Würdigung des Arbeitsgerichts, von einem Anlernen könne man erst sprechen, wenn die Einarbeitungszeit vier Wochen oder mehr betrage. Anlernen sei der bloße Gegenbegriff zur Berufsausbildung, weshalb jegliche Arbeit, die gelernt werden müsse, eine Anlerntätigkeit sei. Falsch sei auch die Würdigung des Gerichts, dass am Arbeitsplatz des Klägers nur eine Anlernzeit von 1 Woche benötigt werde. Tatsächlich sei eine Einarbeitungszeit von bis zu 4 Wochen erforderlich. Denn das Erlernen der korrekten Herstellung und Anbringung des Palettenscheins sei nicht mit bloßem einmaligem begleitenden Vollziehen erledigt. Dazu bedürfe es vielmehr eines Anlernens durch mehrwöchiges gemeinsames Arbeiten mit einem erfahrenen Mitarbeiter.

41

Im Übrigen erfülle die Tätigkeit des Klägers auch das Richtbeispiel "Kommissionieren in Expedition" aus der Gruppe D zu § 4 ERTV. Davon sei auch das Arbeitsgericht zutreffend ausgegangen, habe jedoch daraus nicht die rechtlich gebotene Folgerung gezogen, dass es dann nicht mehr auf das Vorliegen der allgemeinen Tätigkeitsmerkmale aus dem Oberbegriff ankomme.

42

Der Kläger beantragt,

43

unter Abänderung des Teilurteils des Arbeitsgerichts Schwerin vom 23. Juni 2011 festzustellen, dass der Kläger ab dem 01.01.2009 in die Gruppe D des Entgeltrahmentarifvertrages für die Brot- und Backwarenindustrie vom 01.03.1991 einzugruppieren und zu bezahlen ist.

44

Die Beklagte beantragt,

45

die Berufung zurückzuweisen.

46

Die Beklagte verteidigt das ergangene Teilurteil. Da sich die Arbeitsabläufe in relativ kurzen Zeitabständen wiederholen würden, sei die Einarbeitungszeit mit ein bis zwei Tagen maximal mit einer Arbeitswoche zu bewerten. Damit könne man nicht von einer Anlerntätigkeit sprechen. Allerdings sei der Kläger entgegen der Ausführungen des Arbeitsgerichts nicht als Kommissionierer tätig, sondern lediglich als Produktions- bzw. Verpackungshelfer und dabei mit einfachsten Aufgaben betraut, deren Erledigung keine weiteren Kenntnisse erfordere.

47

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die im Berufungsrechtszug gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

48

Die Berufung gegen das Teilurteil, die keinen formellen Bedenken begegnet, ist nicht begründet. Im Ergebnis zutreffend hat das Arbeitsgericht den Feststellungsantrag abgewiesen, weil die begehrte Feststellung zur Eingruppierung des Klägers nicht getroffen werden kann.

I.

49

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Kläger in die Gruppe D zu § 4 ERTV eingruppiert ist.

1.

50

Die Tätigkeit des Klägers kann nicht im Sinne des Richtbeispiels zu dieser Gruppe als "Kommissionieren in Expedition" angesehen werden.

51

Unter Kommissionieren versteht man die Zusammenstellung von Waren nach Aufträgen aus einem Lagerbestand (BAG 23. April 1997 - 10 AZR 903/95 – juris.de unter Berufung auf Gablers Wirtschaftslexikon Stichwort "Kommissionierung"). Die Ergänzung "in Expedition" hat keine eigenständige Bedeutung, sie weist lediglich auf die tatsächliche Durchführung der Warenzusammenstellung als Schwerpunkt der Tätigkeit hin.

52

Die Tätigkeit des Klägers kann nicht mit Kommissionieren bezeichnet werden. Das hat sich aus der Erörterung dieses Aspekts in der mündlichen Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht ergeben, die Feststellungen zulässt, die teilweise vom schriftlichen Parteivortrag abweichen.

53

Wenn man die Produktion von Waren schematisch von ihrer Distribution unterscheiden möchte, kann man dies bildhaft durch das Warenlager tun. Die Produktion endet mit der Verbringung der hergestellten Produkte in das Warenlager und die Distribution beginnt mit der Entnahme der Waren aus dem Warenlager zum Zwecke ihrer Auslieferung. Die Tätigkeit der Kommissionierung ist Teil der Distribution und sie vollzieht sich im Warenlager, in dem dort vorhandene Waren entnommen werden.

54

Im Sinne dieser Unterscheidung gehört die Tätigkeit des Klägers zur Produktion und nicht zur Distribution, denn sie endet mit der Verbringung der gepackten Paletten in die Zone der Produktionshalle, die man als Warenlager bezeichnen kann.

55

Der vorbereitende schriftliche Vortrag des Klägers, er packe an seinem Arbeitsplatz die Paletten nach Aufträgen, die er über den Monitor empfange, konnte im Rahmen der mündlichen Erörterung nicht bestätigt werden. Der Kläger erhält über den Monitor an seinem Arbeitsplatz keine Aufträge. Die Paletten werden sortenrein gepackt und damit ohne Rücksicht auf eine optimale Bedienung von Kundenaufträgen. Es konnte auch nicht festgestellt werden, dass der Kläger in sonstiger Weise Waren zusammenzustellen hat. Seine Tätigkeit wird allein von den ankommenden Brotkisten diktiert, die er ordnungsgemäß zu stapeln hat. Dieser Darstellung durch die Beklagte ist der Kläger in der mündlichen Verhandlung nicht mehr entgegen getreten. Die für das Kommissionieren typische Neuzusammenstellung der Waren nach Kundenwünschen und -aufträgen passiert im Betrieb der Beklagten erst in dem Bereich, der von dem Unternehmen L.-K verantwortet wird. Auch das ist im Rahmen der mündlichen Verhandlung unstreitig geworden. Dieser Bereich ist der Tätigkeit des Klägers nachgelagert.

56

Auch wenn man davon ausgehen mag, dass es in dem modernen Produktionsbetrieb der Beklagten kein Warenlager im herkömmlichen Sinne mehr gibt, können andere Feststellungen nicht getroffen werden. Es mag zwar durchaus sein, dass schon die Produktion an den Backöfen an konkreten Kundenaufträgen ausgerichtet ist, damit eine Lagerhaltung möglichst vermieden werden kann. In diesem Sinne könnte man dann auch die Verpackung der im Kundenauftrag hergestellten Waren als Kommissionierung im weiteren Sinne verstehen. Dadurch würde der Kläger aber noch nicht zum Kommissionierer, denn es fehlt an der Auswahl der vom Kunden bestellten Waren aus einer Masse an hergestellten Waren. Der Kläger hat keine Auswahl aus Waren zu treffen, er muss nur alle auf dem Band ankommenden Waren-Kisten stapeln und weiter verarbeiten.

57

Schließlich hat das Gericht geprüft, ob sich aus der vom Kläger vorgelegten Anlage K 41 (hier Blatt 187) Rückschlüsse auf eine Tätigkeit als Kommissionierer ziehen lassen. Bei dieser Anlage handelt es sich um eine "Aufgabenbeschreibung/Arbeitsplatzbeschreibung", die die Beklagte 2008 erstellt hat und die vom Kläger gegengezeichnet ist. Die Tätigkeit an dem Arbeitsplatz wird dort zwar mit den Worten "Kommissionierer/Packer" bezeichnet. Die betriebliche Bezeichnung einer Tätigkeit ist allerdings für die tarifliche Eingruppierung ohne Bedeutung. Das ist in § 2.4 ERTV nochmals ausdrücklich hervorgehoben. Auch die weitere Beschreibung des klägerischen Arbeitsplatzes in der Anlage K 41 erlaubt nicht den Schluss, er sei im tariflichen Sinne als Kommissionierer tätig, denn auch dort heißt es zu den klägerischen Kerntätigkeiten in Übereinstimmung mit der Darstellung hier, es gehe um das "Abstapeln der sterilisierten Brotkisten in den festgelegten Stückzahlen" und um das "Ausdrucken und Anbringen von Palettenscheinen".

2.

58

Der Kläger erfüllt auch nicht die allgemeinen Tätigkeitsmerkmale der Gruppe D zu § 4 ERTV.

a)

59

Der Gruppe D werden nach dem Tarifvertrag Tätigkeiten nach Anweisung einfacher Art zugeordnet, deren Ausführen ein Anlernen erfordert. Unter "Anlernen" im Tarifsinne ist das systematische Vermitteln von Grundfertigkeiten zu verstehen.

60

Das ergibt sich zwar nicht aus dem Wortlaut des Begriffs selbst, der in der deutschen Umgangssprache eher farblos und ohne klare Konturen verwendet wird. Der tarifliche Sinn des Begriffs ergibt sich jedoch aus dem tariflichen Gesamtzusammenhang unter Berücksichtigung vergleichbarer Begriffsbildungen in anderen Tarifwerken.

61

Die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrages, über die hier zwischen den Parteien Streit besteht, folgt nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Danach ist zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen, wobei der maßgebliche Sinn der Erklärung zu erforschen ist, ohne am Buchstaben zu haften. Soweit der Tarifwortlaut jedoch nicht eindeutig ist, ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien mitzuberücksichtigen, soweit er in den tariflichen Normen seinen Niederschlag gefunden hat. Abzustellen ist ferner auf den tariflichen Gesamtzusammenhang, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefert und nur so der Sinn und Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden kann. Lässt dies zweifelsfreie Auslegungsergebnisse nicht zu, dann können die Gerichte für Arbeitssachen ohne Bindung an eine Reihenfolge weitere Kriterien wie die Entstehungsgeschichte des Tarifvertrages, ggf. auch die praktische Tarifübung ergänzend hinzuziehen. Auch die Praktikabilität denkbarer Auslegungsergebnisse gilt es zu berücksichtigen; im Zweifel gebührt derjenigen Tarifauslegung der Vorzug, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führt (BAG 14. Dezember 1994 - 4 AZR 865/93 - BAGE 79, 21 = AP Nr. 121 zu § 1 TVG Tarifverträge Metallindustrie = DB 1995, 1669; BAG 23. September 1992 - 4 AZR 66/92 - AP Nr. 8 zu § 1 TVG Tarifverträge: Großhandel; BAG 21. Juli 1993 - 4 AZR 468/92 - AP Nr. 144 zu § 1 TVG Auslegung).

62

Mit dem Arbeitsgericht geht das Landesarbeitsgericht davon aus, dass der Tarifvertrag bei der Zuordnung von Tätigkeiten zu den Stufen der Eingruppierung unter anderem maßgebend auf die unterschiedlichen Lerninvestitionen der Arbeitnehmer abstellt. In den Gruppen A und B ist von Tätigkeiten, "die einer Einweisung bedürfen" die Rede. In Gruppe C ist von Tätigkeiten die Rede, "die durch Einarbeitung erworben werden". In Gruppe D ist dann von Tätigkeiten die Rede, "deren Ausführung ein Anlernen erfordert". In den Gruppen E und F ist von "angelernten Tätigkeiten" die Rede bzw. von Tätigkeiten, "denen in Einzelbereichen eine Berufsausbildung zu Grunde liegt". Und in Gruppe G geht es schließlich im Sinne der Regelungstechnik mit Ecklohngruppen um "Tätigkeiten, die eine abgeschlossene Berufsausbildung erfordern."

63

Aus der tariflichen Regelung kann gefolgert werden, dass die Eingruppierung umso höher erfolgt, je mehr Lerninvestition erforderlich ist. Außerdem kann gefolgert werden, dass der Tarifvertrag zwischen der bloßen "Einweisung" in einen Arbeitsplatz, der "Einarbeitung" und dem "Anlernen" unterscheidet und alle diese drei Begriffe gegenüber den Investitionen, die in eine Berufsausbildung von Nöten sind, geringere Anforderungen haben. Es ist daher sicher nicht verkehrt, wenn das Arbeitsgericht in der praktischen Anwendung der Begriffe auf die Zeit abstellen will, die man aufwenden muss, um auf dem jeweiligen Arbeitsplatz produktiv tätig werden zu können. Je mehr Lern-Zeit aufgewendet werden muss, desto eher kann man von einer Anlerntätigkeit sprechen. Diese Herangehensweise erlaubt jedoch nur relative Aussagen und ist daher im Kern nicht geeignet, den Kreis der Anlerntätigkeiten der Gruppe D zu § 4 ERTV abschließend zu bestimmen.

64

Mit Blick auf die Verwendung des Begriffs der Anlerntätigkeit in der Arbeitswelt, wie er sich in anderen Tarifverträgen widerspiegelt, ist unter Anlerntätigkeit eine Tätigkeit zu verstehen, die im Regelfall nur Arbeitnehmern übertragen wird, die dazu systematisch ausgebildet worden sind. Vor der Übertragung der Tätigkeit muss also eine formalisierte Lernphase erfolgen. Im Gegensatz dazu findet die "Einweisung" und auch die "Einarbeitung" am Arbeitsplatz selber statt, entweder durch routinemäßigen Erwerb der notwendigen Kenntnisse während der Arbeit ("learing by doing") oder durch ein Einarbeitungs- oder Patenprinzip. Umgekehrt formuliert werden beim Anlernen Grundkenntnisse vermittelt, die über die zum Ausfüllen eines konkreten Arbeitsplatzes erforderlichen Kenntnisse hinausgehen.

65

Wenn man das Ausmaß der Grundkenntnisse ermessen will, die der Tarifvertrag für eine Anlerntätigkeit in der Gruppe D voraussetzt, muss man sich an den Richtbeispielen dieser Gruppe ausrichten und den danach typischerweise erforderlichen Grundkenntnissen. So sind für das "Einlegen von Brot- und Kuchenteiglingen in Formen" und das "Auflegen von Stangenbrot und Kuchenplatten auf Schneidemaschinen" Grundkenntnisse der verarbeiteten Backwaren erforderlich. Für die mehr technisch ausgerichteten Richtbeispiele (Beifahrer, Werkstatthelfer, KfZ-Wäscher, Tankwart sowie die "Transportarbeiten in der Herstellungs- und Verpackungsabteilung“) kommt es auf technische oder verkehrstechnische Grundkenntnisse an. Und für das "Kommissionieren in Expedition" und für die Verkaufshilfe kommt es auf kaufmännische Grundkenntnisse und auf Grundkenntnisse der produzierten Waren an.

b)

66

Legt man diesen Maßstab zu Grunde, kann die Tätigkeit des Klägers nicht als Anlerntätigkeit bewertet werden.

67

Dabei ist nicht einmal maßgeblich, dass der Kläger keine formalisierte Lernphase für die Ertüchtigung für die übertragene Tätigkeit durchlaufen hat. Denn die dabei zu vermittelnden Kenntnisse könnten im Laufe der praktischen Tätigkeit des Klägers an seinem Arbeitsplatz erworben worden sein. Maßgeblich stellt das Gericht jedoch darauf ab, dass es nicht erkennbar geworden ist, welche konkreten Kenntnisse und Fähigkeiten für die Erledigung der Arbeit des Klägers erforderlich sind, die man typischerweise am besten in einer systematischen Anlernphase außerhalb der produktiven Arbeit am Arbeitsplatz vermittelt bekommt.

68

Die Kerntätigkeit des Klägers, Packen und Beschriften von Paletten, kann nicht als eine typische Anlerntätigkeit angesehen werden. Insoweit reicht eine gründliche Einarbeitung am Arbeitsplatz vollständig aus. Aber auch die Besonderheiten der konkreten Tätigkeit des Klägers rechtfertigen die Qualifizierung als Anlerntätigkeit nicht.

69

Im Rahmen der mündlichen Verhandlung hat das Gericht beide Parteien zu den notwendigen Kenntnissen des Klägers über die bei der Beklagten hergestellten Backwaren befragt. Dabei konnte lediglich festgestellt werden, dass der Kläger die verschiedenen Brotsorten unterscheiden können muss, wobei es sogar allein auf äußerliche Unterscheidungsmerkmale der Verpackung ankommt, da die Ware zu dem Zeitpunkt, zu dem sie beim Kläger ankommt, bereits verpackt ist. Daraus folgt nach der unwidersprochen gebliebenen Darstellung der Beklagten auch, dass der Kläger im Rahmen seiner Tätigkeit nicht verpflichtet ist, die Ware auf Qualitätsfehler zu kontrollieren. Die Qualität einer "Anlerntätigkeit" kann sich also nicht aus der notwendigen Kenntnis der verarbeiteten Waren ergeben.

70

Das Gericht hat auch erwogen, ob sich die Qualität einer "Anlerntätigkeit" gegebenenfalls aus dem Umstand ergeben könnte, dass der Kläger an seinem Arbeitsplatz mit technischem Gerät (Scanner, Drucker, Monitor) umgehen muss. Aber auch die Erörterung dieses Aspekts in der mündlichen Verhandlung lässt keine für den Kläger günstigen Feststellungen zu. Denn seine Arbeiten mit den technischen Geräten beschränken sich auf wenige Routinearbeiten, die kein vertieftes Verständnis der verwendeten Geräte erfordern. Der Kläger muss im Kern mit zwei Bildschirmmasken arbeiten, nämlich einmal mit der Maske, mit der die Brotsorte der Palette erfasst wird und dann noch mit der Maske, mit der die fertige Palette anhand der Angaben auf dem Palettenschein erfasst wird. Das Wechseln zwischen den Masken scheint so einfach zu sein, dass es vom Kläger nicht einmal erwähnt wurde. Und die Datenerfassung in den Masken ist durch das verwendete Scangerät ein rein mechanischer Routinevorgang. Nennenswerte Kontrolltätigkeiten, die dem Kläger dabei obliegen, konnten trotz Nachfrage des Gerichts nicht festgestellt werden.

71

Schließlich hat das Gericht geprüft, ob sich aus der vom Kläger vorgelegten Anlage K 41 (hier Blatt 187) Rückschlüsse auf eine Anlerntätigkeit des Klägers ziehen lassen. Diese bereits oben erwähnte Anlage fasst die Kerntätigkeiten am Arbeitsplatz des Klägers ("Abstapeln der … Brotkisten" und "… Anbringen von Palettenscheinen") zusammen, enthält darüber hinaus aber auch Hinweise auf die am Arbeitsplatz anfallenden weiteren Aufgaben und die dort zu beachtenden Verhaltensregeln und Nebenpflichten. Die dort aufgeführten weiteren Anforderungen lassen jedoch nicht den Schluss zu, dass es sich bei der vom Kläger verrichteten Tätigkeit um eine Anlerntätigkeit handelt. Verschiedene Anforderungen befassen sich mit dem Thema Ordnung, Sauberkeit (Reinigungspflichten) und Hygiene. Da am Arbeitsplatz des Klägers die produzierten Brote bereits verpackt sind, kann aber nicht davon ausgegangen werden, dass hier hygienische Probleme von bedeutendem Ausmaß stellen können. Demnach bedarf es keiner systematisch angelernten Kenntnisse der Lebensmittelhygiene, um den Arbeitsplatz ausfüllen zu können. – Im Weiteren ist dort erwähnt das "Selbständige Führen der geforderten Dokumentation." Damit ist aber lediglich die Erfassung der gepackten Paletten einschließlich der betroffenen Brotsorten gemeint, die mit Hilfe der beiden oben dargestellten erforderlichen Scan-Vorgänge bewerkstelligt wird. Dies erfordert keine besonderen Kenntnisse und kann daher die Qualität der Tätigkeit als Anlerntätigkeit ebenfalls nicht begründen.

72

Dass der Betriebsrat laut der Anlage BK 1 (hier Blatt 188) die klägerische Tätigkeit der Gruppe D zugeordnet hat, kann dem Kläger ebenfalls nicht zum Erfolg verhelfen, denn es kommt auf die dafür vorgetragenen Argumente an, und der Betriebsrat hat seine Zuordnung der Tätigkeit in der erwähnten Anlage nicht weiter begründet. Eine Vernehmung des Zeugen T. zu weiteren Einzelheiten der Tätigkeit des Klägers bzw. zu deren Bewertung kommt ebenfalls nicht in Betracht. Zu Recht ist das Arbeitsgericht insoweit davon ausgegangen, dass es sich um einen Ausforschungsbeweis handeln würde. Da sich der Kläger auch im Berufungsrechtszug nicht näher dazu geäußert hat, welche tatsächliche Einlassung des Klägers der Zeuge bestätigen könne, hat sich daran nichts geändert.

II.

73

Eine Kostenentscheidung enthält das Urteil nicht, da sich die Berufung gegen ein Teilurteil gerichtet hatte. Über die Kosten ist im Rahmen des Schlussurteils zu befinden.

74

Die gesetzlichen Voraussetzungen zur Zulassung der Revision aus § 72 ArbGG liegen nicht vor.

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Arbeitsgerichtsgesetz - ArbGG | § 72 Grundsatz


(1) Gegen das Endurteil eines Landesarbeitsgerichts findet die Revision an das Bundesarbeitsgericht statt, wenn sie in dem Urteil des Landesarbeitsgerichts oder in dem Beschluß des Bundesarbeitsgerichts nach § 72a Abs. 5 Satz 2 zugelassen worden ist.

Tarifvertragsgesetz - TVG | § 1 Inhalt und Form des Tarifvertrags


(1) Der Tarifvertrag regelt die Rechte und Pflichten der Tarifvertragsparteien und enthält Rechtsnormen, die den Inhalt, den Abschluß und die Beendigung von Arbeitsverhältnissen sowie betriebliche und betriebsverfassungsrechtliche Fragen ordnen könne

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Tenor 1. Die Berufung wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen. 2. Die Revision wird nicht zugelassen. Tatbestand 1 Die Parteien streiten im Rahmen einer Zahlungs- und Feststellungsklage um die zutreffende Eingruppierung des Klägers. 2

Referenzen

(1) Der Tarifvertrag regelt die Rechte und Pflichten der Tarifvertragsparteien und enthält Rechtsnormen, die den Inhalt, den Abschluß und die Beendigung von Arbeitsverhältnissen sowie betriebliche und betriebsverfassungsrechtliche Fragen ordnen können.

(2) Tarifverträge bedürfen der Schriftform.

(1) Gegen das Endurteil eines Landesarbeitsgerichts findet die Revision an das Bundesarbeitsgericht statt, wenn sie in dem Urteil des Landesarbeitsgerichts oder in dem Beschluß des Bundesarbeitsgerichts nach § 72a Abs. 5 Satz 2 zugelassen worden ist. § 64 Abs. 3a ist entsprechend anzuwenden.

(2) Die Revision ist zuzulassen, wenn

1.
eine entscheidungserhebliche Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, von einer Entscheidung des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes, von einer Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts oder, solange eine Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts in der Rechtsfrage nicht ergangen ist, von einer Entscheidung einer anderen Kammer desselben Landesarbeitsgerichts oder eines anderen Landesarbeitsgerichts abweicht und die Entscheidung auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein absoluter Revisionsgrund gemäß § 547 Nr. 1 bis 5 der Zivilprozessordnung oder eine entscheidungserhebliche Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör geltend gemacht wird und vorliegt.

(3) Das Bundesarbeitsgericht ist an die Zulassung der Revision durch das Landesarbeitsgericht gebunden.

(4) Gegen Urteile, durch die über die Anordnung, Abänderung oder Aufhebung eines Arrests oder einer einstweiligen Verfügung entschieden wird, ist die Revision nicht zulässig.

(5) Für das Verfahren vor dem Bundesarbeitsgericht gelten, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über die Revision mit Ausnahme des § 566 entsprechend.

(6) Die Vorschriften der §§ 46c bis 46g, 49 Abs. 1, der §§ 50, 52 und 53, des § 57 Abs. 2, des § 61 Abs. 2 und des § 63 dieses Gesetzes über den elektronischen Rechtsverkehr, Ablehnung von Gerichtspersonen, Zustellung, Öffentlichkeit, Befugnisse des Vorsitzenden und der ehrenamtlichen Richter, gütliche Erledigung des Rechtsstreits sowie Inhalt des Urteils und Übersendung von Urteilen in Tarifvertragssachen und des § 169 Absatz 3 und 4 des Gerichtsverfassungsgesetzes über die Ton- und Fernseh-Rundfunkaufnahmen sowie Ton- und Filmaufnahmen bei der Entscheidungsverkündung gelten entsprechend.