Bundesgerichtshof Urteil, 31. Okt. 2001 - XII ZR 48/00
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
für Recht erkannt:
Tatbestand:
Die Klägerin verlangt von der Beklagten rückständigen Mietzins sowie Räumung und Herausgabe einer Teilfläche des Grundstücks Gemarkung L. Flur ... Flurstück .... Die Beklagte hatte diese Teilfläche mit Mietvertrag vom 14. Dezember 1993 von der Deutschen Reichsbahn gemietet. Sie hat nach Vorlage eines unbeglaubigten Grundbuchauszuges durch die Klägerin nicht mehr bestritten, daß das Grundstück im Grundbuch als Eigentum des Volkes (Rechtsträger: Deutsche Reichsbahn) eingetragen war. Seit dem 26. März 1998 ist die Bun-desrepublik Deutschland - Bundeseisenbahnvermögen - als Eigentümerin eingetragen. Die Klägerin, die sich hinsichtlich des Mietobjekts als Rechtsnachfolgerin der Deutschen Reichsbahn bezeichnet, macht geltend, das Mietverhältnis mit Schreiben vom 6. Oktober 1997 wegen Zahlungsverzuges wirksam gekündigt zu haben. Sie beruft sich unter anderem darauf, gemäß Art. 1 § 22 Abs. 1 des Eisenbahnneuordnungsgesetzes (ENeuOG) hierzu befugt gewesen und berechtigt zu sein, die den Gegenstand ihrer Klage bildenden Ansprüche aus dem Mietvertrag im eigenen Namen geltend zu machen. Das Landgericht wies die Klage mit der Begründung ab, die Klägerin habe ihre Sachbefugnis nicht nachgewiesen. Die dagegen eingelegte Berufung wies das Oberlandesgericht mit im wesentlichen gleicher Begründung zurück: Die Klägerin habe weder bewiesen, daß sie Rechtsnachfolgerin der Deutschen Reichsbahn sei, noch daß ihr das streitbefangene Grundstück zu Eigentum übertragen worden sei und sie dadurch in den Mietvertrag eingetreten sei. Aus Art. 1 § 22 Abs. 1 ENeuOG könne sie ihre Befugnis zur Geltendmachung von Mietzins- und Rückgabeansprüchen nicht herleiten, da diese Vorschrift lediglich die dingliche Verfügungsbefugnis regele. Dagegen richtet sich die Revision der Klägerin, die der Senat angenommen hat.
Entscheidungsgründe:
I.
Aufgrund der Säumnis der Beklagten ist durch Versäumnisurteil zu erkennen , obwohl die Entscheidung inhaltlich nicht auf einer Säumnisfolge beruht (vgl. BGHZ 37, 79, 82).II.
Mit der gegebenen Begründung läût sich die angefochtene Entscheidung nicht aufrecht erhalten. Zutreffend weist die Revision darauf hin, daû der Senat bereits mit begründetem Nichtannahmebeschluû vom 15. Dezember 1999 (XII ZR 181/97BGHR ENeuOG Art. 1 § 22 Abs. 1 Verfügungsbefugnis 1) entschieden hat, daû die Klägerin unabhängig von der Frage, ob und ggf. wann das Eigentum an dem vermieteten Grundstück auf sie übergegangen ist, gemäû Art. 1 § 22 Abs. 1 ENeuOG befugt ist, Forderungen aus der Vermietung von Grundstücken des Bundeseisenbahnvermögens im eigenen Namen geltend zu machen. Wie sich aus der Begründung des Gesetzes (BT-Drucks. 12/4609 [neu] S. 72) ergibt, stellt Art. 1 § 22 Abs. 1 Satz 2 ENeuOG nämlich klar, daû die nach dieser Vorschrift eingeräumte Verfügungsbefugnis nicht nur Verfügungen im rechtstechnischen Sinne des Wortes betrifft, sondern auch Vermietungen und Verpachtungen einschlieût. Diese Verfügungsbefugnis tritt als Handlungs-ermächtigung neben die Rechte des Eigentümers, der weiterhin verfügungsberechtigt bleibt; im Konfliktfall ist maûgeblich, wer als erster verfügt hat. Dieser weite Begriff der Verfügungsberechtigung entspricht dem des § 8 Abs. 1 VZOG , wie sich auch aus dem ausdrücklichen Hinweis auf die Vorschriften des VZOG in der Begründung zu Art. 1 § 23 ENeuOG (BT-Drucks. aaO S. 73) ergibt. Diese Verfügungsberechtigung kommt einer gesetzlichen Vollmacht gleich und schlieût das Recht ein, bestehende Mietverträge zu kündigen und den Anspruch auf Räumung und Herausgabe geltend zu machen (vgl. BGH, Urteil vom 17. Mai 1995 - XII ZR 235/93 – ZIP 1995, 1220, 1222). Sie schlieût daher auch die Befugnis ein, rückständigen Mietzins aus einem noch bestehenden Mietverhältnis einzuziehen. Soweit es für den Räumungsanspruch auf die Wirksamkeit der ausgesprochenen Kündigung ankommt, stand der Befugnis der Klägerin, den Mietvertrag zu kündigen, auch nicht der Umstand entgegen, daû das Bundeseisenbahnvermögen im Zeitpunkt der Kündigung noch nicht als Eigentümer im Grundbuch eingetragen war. Denn Art. 1 § 22 Abs. 1 Satz 1 ENeuOG räumt der Klägerin die Verfügungsbefugnis auch über solche Grundstücke im Beitrittsgebiet ein, die - wie hier bis zum 26. März 1998 - im Grundbuch als Eigentum des Volkes in Rechtsträgerschaft der Deutschen Reichsbahn eingetragen sind.
III.
Das Berufungsgericht hat - aus seiner Sicht folgerichtig - keine Feststellungen zur Höhe des Mietrückstands, zur Wirksamkeit der ausgesprochenen Kündigung sowie zu der mit dem Räumungsantrag auch geltend gemachten
Verpflichtung zur Entfernung der auf dem Mietgrundstück vorhandenen Gebäude und Ablagerungen getroffen. Die angefochtene Entscheidung war daher aufzuheben und die Sache zur Nachholung der erforderlichen Feststellungen an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
Blumenröhr Sprick Weber-Monecke Fuchs Ahlt
Annotations
(1) Zur Verfügung über Grundstücke und Gebäude, die im Grundbuch oder Bestandsblatt noch als Eigentum des Volkes eingetragen sind, sind unabhängig von der Richtigkeit dieser Eintragung befugt:
- a)
die Gemeinden, Städte und Landkreise, wenn sie selbst oder ihre Organe oder die ehemaligen volkseigenen Betriebe der Wohnungswirtschaft im Zeitpunkt der Verfügung als Rechtsträger des betroffenen Grundstücks oder Gebäudes eingetragen sind oder wenn ein dingliches Nutzungsrecht ohne Eintragung oder bei Löschung eines Rechtsträgers eingetragen worden ist, - b)
die Länder, wenn die Bezirke, aus denen sie nach dem Ländereinführungsgesetz vom 22. Juli 1990 (GBl. I Nr. 51 S. 955), das nach Anlage II Kapitel II Sachgebiet A Abschnitt II des Einigungsvertrages vom 31. August 1990 in Verbindung mit Artikel 1 des Gesetzes vom 23. September 1990 (BGBl. 1990 II S. 885, 1150) fortgilt, gebildet worden sind, oder deren Organe als Rechtsträger des betroffenen Grundstücks eingetragen sind, - c)
die Treuhandanstalt, wenn als Rechtsträger eine landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft, ein ehemals volkseigenes Gut, ein ehemaliger staatlicher Forstwirtschaftsbetrieb oder ein ehemaliges Forsteinrichtungsamt, ein ehemals volkseigenes Gestüt, eine ehemalige Pferdezuchtdirektion oder ein ehemals volkseigener Rennbetrieb, ein Betrieb des ehemaligen Kombinats Industrielle Tierproduktion, das Ministerium für Staatssicherheit oder das Amt für Nationale Sicherheit eingetragen ist, - d)
der Bund in allen übrigen Fällen.
(1a) Verfügungen nach Absatz 1 unterliegen nicht den Vorschriften in bezug auf Verfügungen über eigenes Vermögen der verfügungsbefugten Stelle. Im Rahmen der Verfügungsbefugnis dürfen Verpflichtungen vorbehaltlich der Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs über die Vertretung nur im eigenen Namen eingegangen werden. Wird im Rahmen der Verfügungsbefugnis Besitz an einem Grundstück oder Gebäude vertraglich überlassen, so gilt § 566 des Bürgerlichen Gesetzbuchs entsprechend.
(2) Die Verfügungsbefugnis des Eigentümers oder treuhänderischen Verwalters des betroffenen Grundstücks oder Gebäudes sowie die Rechte Dritter bleiben unberührt. Auf Grund der Verfügungsermächtigung nach Absatz 1 vorgenommene Rechtsgeschäfte gelten als Verfügungen eines Berechtigten.
(3) Die Verfügungsbefugnis nach Absatz 1 endet, wenn
- a)
in Ansehung des Grundstücks oder Gebäudes ein Bescheid nach § 2, 4 oder 7 unanfechtbar geworden und - b)
eine öffentliche oder öffentlich beglaubigte Urkunde hierüber dem Grundbuchamt vorgelegt worden ist; der Bescheid oder die Urkunde ist unbeschadet einer noch vorzunehmenden Vermessung zu den Grundakten zu nehmen.
(4) Die auf Grund von Verfügungen nach Absatz 1 Satz 1 veräußerten Grundstücke oder Gebäude sowie das Entgelt sind dem Innenministerium des betreffenden Landes mitzuteilen und von diesem in einer Liste zu erfassen. Die nach Absatz 1 verfügende Stelle ist verpflichtet, zeitgleich zu der Verfügung einen Zuordnungsantrag nach § 1 Abs. 6 zu stellen und den Erlös, mindestens aber den Wert des Vermögensgegenstandes dem aus einem unanfechtbaren Bescheid über die Zuordnung nach den §§ 1 und 2 hervorgehenden Berechtigten auszukehren.
(5) Die verfügende Stelle kann im Falle des Absatzes 4 Satz 2 anstelle der Auskehrung des Erlöses oder des Wertes das Eigentum an dem Grundstück, Grundstücksteil oder Gebäude oder an einem Ersatzgrundstück verschaffen. Beabsichtigt die verfügende Stelle nach Satz 1 vorzugehen, wird auf Antrag der verfügenden Stelle das Eigentum durch Zuordnungsbescheid (§ 2) der zuständigen Behörde (§ 1) auf den Berechtigten (Absatz 4 Satz 2) übertragen. Sätze 1 und 2 finden keine Anwendung auf den in § 1 Abs. 6 des Wohnungsgenossenschafts-Vermögensgesetzes bezeichneten Grund und Boden; insoweit gilt das in jener Vorschrift vorgesehene Verfahren.