Bundesgerichtshof Urteil, 18. Juli 2006 - X ZR 44/04
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
für Recht erkannt:
Von Rechts wegen
Tatbestand:
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- Die Eltern der 1991 geborenen Klägerin buchten bei der beklagten Reiseveranstalterin für die Familie im Sommer 1999 eine Pauschalflugreise in das Aparthotel "M. ". Im Prospekt der Beklagten war die kindgerechte Ausstattung der Anlage aufgeführt. Das Appartement, das der Klägerin mit ihren Eltern zunächst zugewiesen war, war von außen nur über die Terrasse durch eine nicht besonders gekennzeichnete, von einem Stahlrahmen von 10 bis 15 cm Breite eingefassten Glasschiebetür aus einfachem, nicht bruchfestem Glas zugänglich. Zum Öffnen wurde die Tür über ein gleich breites Fenster geschoben. Am Morgen des dritten Urlaubstags, dem 3. August 1999, prallte die Klägerin von innen gegen die geschlossene Glastür, wobei sie Verletzungen erlitt, von denen Beeinträchtigungen zurückblieben. Die Klägerin, die in der ungesicherten Glasschiebetür eine Verletzung der der Beklagten obliegenden Verkehrssicherungspflicht gesehen hat, hat diese auf angemessenes Schmerzensgeld , mindestens 76.693,78 EUR (150.000,-- DM), nebst Zinsen in Anspruch genommen. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Oberlandesgericht unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils die Beklagte zur Zahlung eines Schmerzensgelds von 25.000 EUR verzinslich verurteilt. Mit ihrer vom Senat zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag im Umfang der zweitinstanzlichen Verurteilung weiter.
Entscheidungsgründe:
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- Die zulässige Revision der Beklagten bleibt ohne Erfolg.
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- I. Das Berufungsgericht hat anders als die Vorinstanz angenommen, die Beklagte habe ihre Verkehrssicherungspflicht verletzt, weil die Glastür nicht so gekennzeichnet gewesen sei, dass sie auch für Kinder leicht zu erkennen gewesen wäre. Eine weitere Verletzung der Verkehrssicherungspflicht hat es darin gesehen, dass sich die Beklagte nicht darüber vergewissert habe, ob splitterfreies Glas verwendet worden sei. Ein Mitverschulden der Klägerin hat es verneint.
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- II. Die Revision sieht es als rechtsfehlerhaft an, dass das Berufungsgericht eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht bejaht hat. Die Sicherungspflicht , die der Senat (im Urteil vom 14.12.1999 - X ZR 122/97, WM 2000, 888, 890) im Anschluss an BGHZ 103, 298, 303 bejaht habe, werde nicht schon durch jede bloß theoretische Möglichkeit einer Gefährdung ausgelöst. Sie begrenze sich auf Maßnahmen, die nach den Gesamtumständen zumutbar seien und die ein verständiger und umsichtiger, in vernünftigen Grenzen vorsichtiger Mensch für notwendig und ausreichend halte, um andere vor Schaden zu bewahren. Auch die Pflicht, Kinder vor den Folgen ihres eigenen unvernünftigen Tuns zu schützen, habe ihre Grenzen. Die Glasschiebetür habe den örtlichen Bauvorschriften entsprochen und auch den Anforderungen des Baurechts in Nordrhein-Westfalen genügt. Die Tür habe nicht dem öffentlichen Verkehr gedient , sondern zum vertrauten Wohnbereich der Familie der Klägerin gehört. Hierfür hätten keine besonderen Sicherungsvorkehrungen getroffen werden müssen. Die Einfassung der Tür habe zudem dem Eindruck entgegengestanden , dass die Tür geöffnet sei, was das Landgericht zutreffend festgestellt habe. Glastürfertigelemente wie vorliegend verwendet seien in Hotels weitgehend üblich. Wenn überhaupt, habe nur ein verborgener Mangel vorgelegen, nach dem zu suchen die Beklagte nicht verpflichtet gewesen sei. Davon sei auch nicht wegen der Zusicherung der kindgerechten Ausstattung abzuweichen, da sich diese ersichtlich nicht auf die bauliche Beschaffenheit des Gebäudes bezogen habe.
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- III. Die Entscheidung des Berufungsgerichts hält den Angriffen der Revision stand.
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- 1. Das Berufungsgericht hat zutreffend erkannt, dass ein Reiseveranstalter , der mit der "kindgerechten Ausstattung" für eine Urlaubsunterkunft wirbt, auch Gefahren, die sich aus der baulichen Ausstattung für Kinder ergeben können , im Rahmen seiner Verkehrssicherungspflicht gering zu halten und nach Möglichkeit zu beseitigen hat, und dass die Beklagte als Reiseveranstalter der Klägerin für die Verletzung dieser Pflichten nach §§ 823, 847 BGB a.F. haftet, und zwar internationalprivatrechtlich nach Art. 40 Abs. 2 EGBGB (vgl. BGHZ 103, 298, 303 f.; OLG Düsseldorf NJW-RR 1997, 1483). Das gilt auch für Gefahren , die sich beim notwendigen Passieren von Glastüren, die - wie hier - den einzigen Zugang zum Wohnraum bilden und nicht aus splitterfreiem Glas hergestellt sind, auswirken können. Es kann dabei dahinstehen, ob die Beklagte, der als Reiseveranstalterin neben dem Beherbergungsbetrieb ebenfalls eine Verkehrssicherungspflicht bezüglich Auswahl und Kontrolle des Vertragshotels oblag (vgl. BGHZ aaO), schon generell Veranlassung hatte, gegen den nach dem unwiderlegt gebliebenen Vortrag der Beklagten nicht gegen öffentlichrechtliche Bauvorschriften verstoßenden Zustand der Unterkunft einzuschreiten. Auch wenn man eine dahingehende Verpflichtung der Beklagten verneint (vgl. hierzu BGH, Urt. v. 16.5.2006 - VI ZR 189/05, zur Veröffentlichung vorgesehen , zu Mietverhältnissen), ergibt sich ihre Haftung dem Grunde nach aber daraus, dass sie die Unterkunft als mit einer "kindgerechten Ausstattung" versehen beworben hat. Grundsätzlich sind bei Ausübung eines Gewerbes diejenigen Sicherungsvorkehrungen zu treffen, die ein verständiger, umsichtiger, vorsichtiger und gewissenhafter Angehöriger der jeweiligen Berufsgruppe für ausreichend halten darf, um andere Personen vor Schaden zu bewahren, und die ihm den Umständen nach zuzumuten sind. Danach ist für die deliktsrechtliche Haftung des Reiseveranstalters wegen Verletzung von Verkehrssicherungspflichten von Bedeutung, welche vertragsrechtlichen Verpflichtungen ihm nach dem Gesetz und den von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen typischerweise obliegen. Denn die gewerblichen Berufspflichten begründen und begrenzen zugleich auch Verkehrssicherungspflichten (BGHZ aaO). Im vorliegenden Fall werden die Pflichten maßgeblich von der Angabe der Ausstattung als "kindgerecht" mitbestimmt. Diese Angabe durfte nach dem Verständnis der Kunden der Beklagten dahin verstanden werden, dass sie sich nicht nur auf zusätzliche Ausstattungselemente, sondern auch auf die bauliche Beschaffenheit der Unterkunft selbst bezog. Insoweit vermag die Revision mit ihrer abweichenden Auffassung einen Verfahrensfehler des Berufungsgerichts nicht aufzu- zeigen. Ob damit auch bei der Ausstattung etwa von Gaststätteneinrichtungen oder Hoteleingangstüren entsprechende Sicherheitsmaßstäbe anzulegen sind, bedarf im vorliegenden Fall keiner Klärung, weil sich die Anpreisung nach dem maßgeblichen Kundenverständnis jedenfalls auf die eigentlichen Unterkunftsräume bezog. Dass die Beklagte die Ausstattung trotz der Umstände als "kindgerecht" bezeichnet hat, dass die nicht bruchsichere Glasschiebetür der einzige Zugang zu den Wohnräumen und zudem nicht gekennzeichnet war und ihr geschlossener Zustand jedenfalls von Kindern nicht sicher erkannt werden konnte , trägt den Vorwurf pflichtwidrigen und schuldhaften Verhaltens der Beklagten und damit auch deren Verurteilung und unterscheidet den Fall von dem vom Landgericht Frankfurt am Main (in RRa 2003, 73) entschiedenen.
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- 2. Gegen die Verneinung eines Mitverschuldens seitens der Klägerin sowie gegen die Bemessung des Schmerzensgelds erhebt die Revision keine Einwände. Rechtsfehler treten insoweit nicht hervor.
Ambrosius Kirchhoff
Vorinstanzen:
LG Köln, Entscheidung vom 02.07.2003 - 25 O 646/01 -
OLG Köln, Entscheidung vom 08.03.2004 - 16 U 70/03 -
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(1) Wer vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit, die Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines anderen widerrechtlich verletzt, ist dem anderen zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet.
(2) Die gleiche Verpflichtung trifft denjenigen, welcher gegen ein den Schutz eines anderen bezweckendes Gesetz verstößt. Ist nach dem Inhalt des Gesetzes ein Verstoß gegen dieses auch ohne Verschulden möglich, so tritt die Ersatzpflicht nur im Falle des Verschuldens ein.
(weggefallen)
(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat.
(2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vorbringens obsiegt, das sie in einem früheren Rechtszug geltend zu machen imstande war.
(3) (weggefallen)