Bundesgerichtshof Urteil, 12. Dez. 2000 - X ZR 121/97

published on 12/12/2000 00:00
Bundesgerichtshof Urteil, 12. Dez. 2000 - X ZR 121/97
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Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
X ZR 121/97 Verkündet am:
12. Dezember 2000
Fritz
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in der Patentnichtigkeitssache
Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 12. Dezember 2000 durch den Vorsitzenden Richter Rogge und
die Richter Dr. Jestaedt, Dr. Melullis, Scharen und Keukenschrijver

für Recht erkannt:
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des 2. Senats (Nichtigkeitssenats) des Bundespatentgerichts vom 29. April 1997 abgeändert: Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Von Rechts wegen

Tatbestand:


Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des unter Inanspruchnahme der Priorität einer Voranmeldung in den Vereinigten Staaten von Amerika vom 15. August 1975 am 16. August 1976 angemeldeten deutschen Patents 26 36 816 (Streitpatents), das 1994 durch Ablauf der Schutzdauer erloschen ist. Das Streitpatent umfaßt 5 Patentansprüche; die allein angegriffenen Patentansprüche 1 bis 3 und 5 lauten:
"1. Kniegelenk-Endoprothese mit zwei in die Knochen einsetzbaren, mit Dornen versehenen oberen und unteren Anschlußstücken, die durch einen rechtwinkelig zu den Dornen verlaufenden Gelenkbolzen über ein auf dem unteren Anschlußstück abgestütztes Zwischengelenkstück gelenkig miteinander verbunden sind, und mit einer durch einen zu dem Gelenkbolzen rechtwinkeligen Zapfen und eine hülsenförmige Aufnahme für diese gebildete gelenkige Verbindung zwischen dem Gelenkzwischenstück und dem unteren Anschlußstück, dadurch gekennzeichnet, daß das Gelenkzwischenstück (23) auf dem unteren Anschlußstück (26) durch zu dem Dorn (44) des unteren Anschlußstücks (26) etwa rechtwinkelige Lagerfläche (40, 52) des Gelenkzwischenstücks (23) und des unteren Anschlußstücks (26) breitflächig abgestützt ist und daß der Zapfen (38) und die hülsenförmige Aufnahme (42) etwa parallel zu dem Dorn (44) des unteren Anschlußstücks (26) verlaufen.
2. Kniegelenk-Endoprothese nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet , daß die Lagerflächen (40, 52) zur Begrenzung des Verdrehwinkels mit Anschlägen (54) und Gegenanschlägen (94) versehen sind.
3. Kniegelenk-Endoprothese nach Anspruch 1 oder 2, dadurch gekennzeichnet , daß die Anschläge (54) und Gegenanschläge (94) einen relativen Verdrehwinkel der oberen und unteren Anschlußstücke (12, 26) von etwa 20° z ulassen.
5. Kniegelenk-Endoprothese nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet , daß die hülsenförmige Aufnahme (42) aus ultrahochmolekularem Polyäthylen besteht."

Die wegen Patentverletzung gerichtlich in Anspruch genommene Klägerin hat geltend gemacht, der Gegenstand des Patentanspruchs 1 wie der abhängigen Patentansprüche 2, 3 und 5 des Streitpatents sei gegenüber dem Stand der Technik, wie ihn insbesondere die deutsche Offenlegungsschrift 23 34 265 ("Thull"), die US-Patentschrift 3 813 700 ("Tavernetti") und die Veröffentlichung von Walker u.a. in Clinical Orthopedics and Related Research Nr. 94 (Juli/August 1973), S. 222-233 ("Walker") bildeten, nicht patentfähig. Die Beklagte hat das Patent verteidigt. Das Bundespatentgericht hat es im angegriffenen Umfang für nichtig erklärt. Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten, die in erster Linie ihren Antrag auf Klageabweisung weiterverfolgt. Die Klägerin verteidigt das angegriffene Urteil.
Professor Dr. med. habil. Dr.-Ing. W. P., Leiter des Labors für Biomechanik und Experimentelle Orthopädie an der Orthopädischen Klinik ... in M., hat als gerichtlicher Sachverständiger ein schriftliches Gutachten erstattet, das er in der mündlichen Verhandlung erläutert und ergänzt hat.

Entscheidungsgründe:


Die zulässige Berufung der Beklagten führt zur Abänderung des angefochtenen Urteils und zur Abweisung der wegen der gerichtlichen Inanspruchnahme der Klägerin aus dem Streitpatent auch nach dessen Erlöschen infolge Ablaufs der Schutzdauer zulässigen Nichtigkeitsklage. Der Senat konnte nicht feststellen, daß der Gegenstand des Streitpatents insoweit nach den auf Grund seines Anmeldetags anzuwendenden Bestimmungen der §§ 1, 2 in Verbindung mit § 13 Abs. 1 Nr. 1 des Patentgesetzes in der Fassung vom 2. Januar 1968
nicht patentfähig ist; dies geht zu Lasten der (materiell) beweisbelasteten Klägerin.
I. 1. Das Streitpatent betrifft eine Kniegelenk-Endoprothese. Solche Prothesen werden, wie der gerichtliche Sachverständige ausgeführt hat, seit etwa 1960 klinisch systematisch mit Erfolg eingesetzt. Zunächst wurden Modelle verwendet, die einem einfachen Scharniergelenk entsprachen, obwohl (z.B. schon aus der im Streitpatent als im Prüfungsverfahren entgegengehalten genannten deutschen Auslegeschrift 21 22 390) bekannt war, daß einfache achsgeführte Konstruktionen dieser Art der sogenannten Polyzentrik des natürlichen (menschlichen) Kniegelenks zuwiderlaufen, bei der ein festes Drehzentrum nicht gegeben ist. Durch die starre Kopplung bei derartigen Scharniergelenken , die nur eine Rotation im Sinn einer Kniebeugung zulassen, wurden - wie bekannt war - erhebliche Zwangskräfte ausgelöst, die entsprechend massive Verankerungskomponenten (Anschlußstücke) im Oberschenkelknochen (Femur) und im Unterschenkelknochen (Tibia) erforderlich machten, die über entsprechende lange Stiele oder Dorne erfolgen. Zum Prioritätszeitpunkt des Streitpatents waren demgegenüber bereits Endoprothesen, insbesondere aus der in der Beschreibung des Streitpatents genannten deutschen Offenlegungsschrift 23 34 265 ("Thull"), bekannt, bei denen ein Gelenkzwischenstück als drittes Konstruktionselement neben der Oberschenkelkomponente und der Unterschenkelkomponente mit der Oberschenkelkomponente gekoppelt ist, das in der Unterschenkelkomponente in axialer Richtung (begrenzt) drehbar gelagert ist. Dies sieht auch die Beklagte nicht anders.
In der Beschreibung des Streitpatents wird an dieser bekannten Ausbildung von Kniegelenk-Endoprothesen bemängelt, daß der Zapfen des unteren Anschlußstücks, der in eine Lagerbohrung des Gelenkzwischenstücks eingreift,
mit dem zur Verankerung dieses Anschlußstücks im Unterschenkelknochen vorgesehene Dorn einen spitzen Winkel einschließt. Diese zum Dorn geneigte Anordnung habe zur Folge, daß in der Streckstellung der Anschlußstücke deren Drehung relativ zueinander nicht möglich sei. Diese Streckstellung entspreche aber der Hauptbelastungsstellung der Prothese, in der die Übertragung der Kraft hauptsächlich über den oben liegenden Bereich des Zapfens erfolge, so daß dieser erhöhtem Verschleiß ausgesetzt sei. Das sei schon deshalb unerwünscht, weil derartige Prothesen möglichst nicht ausgetauscht werden sollten.
2. Durch das Streitpatent soll eine dem natürlichen Bewegungsablauf möglichst nahekommende Kniegelenk-Endoprothese zur Verfügung gestellt werden, die nur in geringem Maß verschleißanfällig ist und deren Funktion deshalb über längere Zeit gewährleistet ist (vgl. die von Lösungsansätzen nicht ganz freie Angabe zur "Aufgabe" in der Beschreibung Sp. 2 Z. 8-13).
3. Hierzu lehrt das Streitpatent in seinem Patentanspruch 1 eine Kniegelenk -Endoprothese, bei der der Zapfen und die hülsenförmige Aufnahme der gelenkigen Verbindung etwa parallel zum Dorn des unteren Anschlußstücks verlaufen; dies hat, wie die Beschreibung des Streitpatents weiter ausführt, zur Folge, daß bei der höchsten auftretenden Belastung in der Streckstellung der Prothese der Zapfen nicht belastet wird und sich die Prothesenteile breitflächig auf den Stützflächen zwischen dem Gelenkzwischenstück und dem unteren Anschlußstück abstützen können. Weiter wird dadurch erreicht, daß auch in Streckstellung eine Rotationsbewegung um die Tibialängsachse erfolgen kann.
Im wesentlichen in Übereinstimmung mit dem Bundespatentgericht und den Parteien läßt sich die Kniegelenk-Endoprothese nach Patentanspruch 1
des Streitpatents entsprechend ihrer gegenständlichen Ausbildung in folgende Merkmale gliedern:
1. Sie weist ein oberes Anschlußstück auf, 1.1 das in den (Oberschenkel-)Knochen einsetzbar 1.2 und mit einem Dorn versehen ist,
2. ein unteres Anschlußstück, 2.1 das in den (Unterschenkel-)Knochen einsetzbar 2.2 und mit einem Dorn versehen ist,
3. sowie ein Gelenkzwischenstück (Zwischengelenkstück), 3.1 über das die beiden Anschlußstücke gelenkig miteinander verbunden sind, 3.2 das auf dem unteren Anschlußstück abgestützt ist 3.2.1 breitflächig 3.2.2 durch (eine) Lagerfläche(n), 3.2.2.1 die zu dem Dorn des unteren Anschlußstücks etwa rechtwinklig angeordnet ist/sind,
4. die Gelenkverbindung zwischen dem oberen Anschlußstück und dem Gelenkzwischenstück erfolgt durch einen Gelenkbolzen, 4.1 der rechtwinklig zu den Dornen verläuft,
5. die Gelenkverbindung des Gelenkzwischenstücks mit dem unteren Anschlußstück erfolgt 5.1 durch einen Zapfen, 5.1.1 der rechtwinklig zu dem Gelenkbolzen angeordnet ist
5.1.2 und etwa parallel zu dem Dorn des unteren Anschlußstücks verläuft, 5.2 sowie eine hülsenförmige Aufnahme, 5.2.1 die ebenfalls etwa parallel zu dem Dorn des unteren Anschlußstücks verläuft.
Die nachfolgend wiedergegebenen Figuren 2 und 3 der Zeichnungen des Streitpatents zeigen eine Vorderansicht und eine Seitenansicht einer Ausführungsform der Endoprothese in eingesetztem Zustand:
II. Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 des Streitpatents ist neu. Keine der Entgegenhaltungen zeigt eine Kniegelenk-Endoprothese, die alle Merkmale des Patentanspruchs 1 des Streitpatents aufweist.
1. So zeigt die deutsche Offenlegungsschrift 23 34 265 in einer hier in erster Linie interessierenden zweiten Ausführungsform (Figuren 6-9) eine Kniegelenk-Endoprothese mit einem oberen und einem unteren Anschlußstück und einem Gelenkzwischenstück (Lagerkörper 34) und einem notwendigen, wenngleich nicht explizit beschriebenen verbindenden Gelenkbolzen, jedoch sind jedenfalls die Merkmale, daß die Lagerfläche(n) des Gelenkzwischenstücks zu dem Dorn des unteren Anschlußstücks etwa rechtwinklig angeordnet sind (3.2.2.1), und daß der Zapfen und die hülsenförmige Aufnahme ebenfalls etwa parallel zu dem Dorn des unteren Anschlußstücks verlaufen (5.1.2 und 5.2.1), nicht verwirklicht. Der Zapfen (30) ist hier vielmehr gegenüber dem Dorn (Schaft) (9) des unteren Anschlußteils um einen Winkel ß, der nach der Beschreibung (S. 16) in der Größenordnung von 50° bis 70° liegt, nach den Zeichnungen aber bei ca. 25° liegt, abgewinkelt (vgl. Figur 7); die Wertabweichung läßt sich - wie dies auch die Parteien sehen - dadurch erklären, daß in der Beschreibung das Komplement des zeichnerisch dargestellten Winkels angegeben ist. Hierdurch soll eine Verdrehsicherung im gestreckten Zustand erfolgen (Beschreibung S. 16 i.V.m. Beschreibung S. 7 f.; S. 18); der gerichtliche Sachverständige hat hierzu überzeugend erklärt, daß eine solche aus Sicherheitsgründen erfolgende Verriegelung in der Streckstellung bereits von Exoprothesen bekannt war. Die mündliche Verhandlung hat weiter ergeben, daß die Abwinklung auch aus Platzgründen und aus Gründen der Funktionalität als zweckmäßig angesehen werden kann; dies findet seine Stütze etwa in der in der Beschreibung (S. 8 oben) zum Ausdruck kommenden Vorstellung, daß die Drehachse an der Stelle des natürlichen Gelenkdrehpunkts liege. Die
Lehre, hier eine Parallelanordnung vorzusehen, enthält die Entgegenhaltung nicht.
Die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung geltend gemacht, daß sich aus der Beschreibung S. 4 Abs. 2 und 3 in Verbindung mit den Patentansprüchen 8 und 9 der Offenlegungsschrift ein weiterer Offenbarungsgehalt im Sinn einer zweiten Erfindung ergebe, die von der Schrägstellung abstrahiere und darauf ausgerichtet sei, eine isolierte Rotationsbeweglichkeit der Prothese zu schaffen; sie leitet dies daraus ab, daß Patentanspruch 8 nur "insbesondere" auf die Patentansprüche 1 bis 7 rückbezogen und damit zugleich außerhalb dieser Rückbeziehungen Nebenanspruch zu Patentanspruch 1 sei. Dies ist zwar vom gedanklichen Ansatz zutreffend, kann aber eine für den Durchschnittsfachmann , einen mit der Entwicklung von Endoprothesen befaßten Ingenieur , der eng mit einem diese Entwicklungen anwendenden Arzt zusammenarbeitet , als zur Erfindung gehörend offenbarte Lehre, auch bei nicht abgewinkelten Ausgestaltungen eine zusätzliche Rotationsmöglichkeit zu schaffen , nicht ersetzen. Ein derart weitgehender Offenbarungsgehalt setzte nämlich voraus, daß die Offenlegungsschrift selbst dem Fachmann offenbarte, im Sinn der beschriebenen Erfindung auch auf nicht abgewinkelte Endoprothesen zurückzugreifen. Davon kann jedoch entgegen der Auffassung der Klägerin keine Rede sein. Nicht abgewinkelte Endoprothesen sind als solche in der Offenlegungsschrift weder beschrieben noch sonst dargestellt; der Fachmann hatte schon von daher keinen Anlaß, sich Gedanken darüber zu machen, ob sie unter den Wortlaut einzelner Schutzansprüche fallen könnten. Zudem hat der gerichtliche Sachverständige zur Überzeugung des Senats ausgeführt, daß der fachkundige Leser die Vorstellung gewinne, die Abwinklung gehöre notwendig zur offenbarten Erfindung. Dies wird dadurch gestützt, daß der Fachmann An-
laß hatte anzunehmen, die Abwinklung sei notwendig, um den mit der Lehre der Entgegenhaltung angestrebten Erfolg zu erreichen.
2. Die Veröffentlichung von Walker u.a. in Clinical Orthopedics and Related Research Nr. 94 (1973) beschreibt u.a. eine im Tierversuch verwendete stabilisierende Endoprothese, die innerhalb der interkondylären Kerbe angeordnet ist, und die in Abb. 3 der Veröffentlichung wiedergegeben wird:

Die Veröffentlichung berichtet über negative klinische Ergebnisse bei derartigen Prothesen im Tierversuch, die sie näher analysiert (Übersetzung S. 8 ff.), stellt aber als positiv heraus, daß die Bewegungsmuster sehr genau die normalen Bewegungsabläufe nachbildeten (S. 12). Die teilweise negative Beurteilung steht indessen einer Zurechnung zum Stand der Technik nicht entgegen. Dieser umfaßt auch nach dem hier anzuwendenden Recht nicht nur vollendete Vorrichtungen, sondern auch solche Veröffentlichungen, die mit Nachteilen behaftet sein mögen (vgl. z.B. Reimer/Neumar, PatG 3. Aufl. § 2 Rdn. 6 S. 171 erster Abs.), jedenfalls solange dem Fachmann die offenbarte Lehre nicht als unausführbar erschien (vgl. Sen.Urt. v. 30.6.1964 - Ia ZR 109/63, GRUR 1964, 612, 615 - Bierabfüllung).

Bei dieser bei Hunden und Schafen verwendeten Prothese ist die distale Femurkomponente zur Aufnahme der Tibialagerkomponente gegabelt und die beiden Teile sind durch eine Achse verbunden (Übersetzung S. 7). Die Tibialagerkomponente ist in ein elliptisches Loch in dem in die Tibia einzementierten Kunststoffteil eingepaßt, wodurch eine gewisse Rotationsfreiheit erreicht wird. Die Prothese weist, wie die Abbildung zeigt, ein oberes und ein unteres Anschlußstück entsprechend Patentanspruch 1 des Streitpatents sowie - wie der gerichtliche Sachverständige in der mündlichen Verhandlung überzeugend ausgeführt hat - ein Gelenkzwischenstück auf, über das die beiden Anschlußstücke gelenkig miteinander verbunden sind. Dieses Gelenkzwischenstück stützt sich, wie der gerichtliche Sachverständige überzeugend angegeben hat, auf dem Boden des elliptischen Lochs des unteren Anschlußstücks ab; eine diskrete Lagerfläche ist dort allerdings nicht ausgebildet. Wie die Abb. 3 zeigt, ist auch ein Gelenkbolzen vorhanden, der wie nach der Lehre des Streitpatents ausgebildet ist. Schließlich sind, wie die Abbildung zeigt, auch die Merkmale der Merkmalsgruppe 5 verwirklicht; dem steht es nicht entgegen, daß der Zapfen des Gelenkzwischenstücks nur in seinem unteren Teil etwa parallel zu dem Dorn des unteren Anschlußstücks verläuft; denn dem Streitpatent ist nicht zu entnehmen, daß dieses nur solche Fälle erfassen soll, in denen diese Bedingung über die gesamte Länge des Zapfens eingehalten ist. Es kann jedoch keine Rede von einer breitflächig ausgebildeten Lagerfläche sein; der Auffassung der Klägerin, daß die Angabe "breitflächig" im Streitpatent eine reine Funktionsangabe dahin sei, die Lagerfläche so groß auszubilden, daß sie den über die Einsatzzeit zu erwartenden Belastungen gewachsen sei, vermag der Senat nicht beizutreten. Der gerichtliche Sachverständige hat hierzu überzeugend ausgeführt, daß zum Prioritätszeitpunkt des Streitpatents genaues Wissen über die Belastbarkeit von Flächen aus Polyethylen in der Fachwelt nicht
vorhanden gewesen sei; daß man vielmehr mehr intuitiv und unter Rückgriff auf ingenieurmäßiges Grundwissen dahin vorgegangen sei, viel Fläche vorzusehen , wo viel Last vorhanden sei und diese Flächen eher zu groß als zu klein auszulegen. Von daher konnte der Fachmann der Veröffentlichung nicht die Anweisung entnehmen, die Lagerfläche(n) breitflächig auszubilden. Damit ist jedenfalls Merkmal 3.2.1 nicht verwirklicht. Dies genügt zur Begründung der Neuheit gegenüber dieser Veröffentlichung.
3. Das US-Patent 3 813 700 ("Tavernetti") betrifft in erster Linie Kniegelenk -Endoprothesen mit einer Rotation in lediglich einer Achse. Nach einer bevorzugten Ausführungsform, die in den Figuren 1-5 dargestellt ist, wird eine Endoprothese mit einem ersten (Bezugszeichen 19) und einem zweiten (Bezugszeichen 11) Anschlußstück beschrieben, wobei der Kopfteil (12) des zweiten Anschlußstücks lösbar an Teilen des Kopfteils (20) des ersten Anschlußstücks befestigt ist. Bei dieser Entgegenhaltung entsprechen das obere und das untere Anschlußstück der Lehre des Patentanspruchs 1 des Streitpatents. Ein Gelenkzwischenstück als weiteres Bauteil ist, wie der gerichtliche Sachverständige überzeugend angegeben hat, nicht vorgesehen, vielmehr wird die gelenkige Verbindung unmittelbar über Elemente (27) des Kopfteils (20) bewirkt. Damit ist die Merkmalsgruppe 3 nicht übereinstimmend verwirklicht. Dagegen ist ein rechtwinklig zu den Dornen verlaufender Bolzen (Welle 35; Übersetzung S. 6; Figur 5) vorhanden. Zudem fehlt es an einer Verbindung des Gelenks durch einen Zapfen und eine hülsenförmige Aufnahme im Sinn der Merkmalsgruppe 5. In Übereinstimmung mit dem Streitpatent - was bei diesem in den Merkmalen des Patentanspruchs 1 allerdings nicht zum Ausdruck kommt - verlaufen auch bei dieser Entgegenhaltung die Achsen der Dornen in einer senkrechten Ebene im wesentlichen parallel. Nach einer weiteren Ausführungsform (Figuren 6-8), die auf der ersten aufbaut und insoweit dieser ent-
spricht, ist zusätzlich über einen Bolzen (12d) eine axiale Rotationsmöglichkeit des Tibiakopfteils (12) erreicht, die durch Widerlager der Seitenflächen (12a) begrenzt ist (Übersetzung S. 7 letzter Abs./S. 8). Damit nimmt keine der beschriebenen Ausführungsformen den Gegenstand des Patentanspruchs 1 des Streitpatents vorweg; dies sieht die Klägerin nicht anders. Die vom gerichtlichen Sachverständigen in seinem schriftlichen Gutachten vertretene gegenteilige Auffassung beruht auf einer im Rahmen der Neuheitsprüfung patentrechtlich unzulässigen funktionalen Betrachtungsweise unter Außerachtlassen der unterschiedlichen Lösungselemente.
III. Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 des Streitpatents verwirklicht gegenüber jeder der genannten Entgegenhaltungen einen technischen Fortschritt. Gegenüber der Offenlegungsschrift von Thull ermöglicht er eine Rotationsbewegung des Unterschenkels auch in Streckstellung und nicht nur entlang einem Kegelmantel; dies hat auch die Klägerin hervorgehoben. Gegenüber der Veröffentlichung von Walker wird eine Endoprothese zur Verfügung gestellt, die nicht nur bei Versuchstieren, sondern auch beim Menschen eingesetzt werden kann. Gegenüber der US-Patentschrift liegt der Fortschritt jedenfalls darin, daß eine weitere funktionstaugliche Alternative zur Verfügung gestellt wird, für die, wie der nachfolgende Markterfolg der dem Streitpatent entsprechenden Konstruktion zeigt, auch ein Bedürfnis bestand (vgl. Benkard, PatG GebrMG, 9. Aufl., § 1 PatG Rdn. 74; Busse, PatG, 5. Aufl., Anh. § 3 PatG Rdn. 3, je m.w.N.).
IV. Der Senat konnte nicht feststellen, daß es dem Gegenstand des Patentanspruchs 1 des Streitpatents an der erforderlichen Erfindungshöhe fehlt.
So hatte der Durchschnittsfachmann zunächst keinen Anlaß, sich Gedanken darüber zu machen, ob er die Lehre der deutschen Offenlegungsschrift 23 34 265 ("Thull") in der Weise verändern konnte, daß er die dort abgewinkelte Ausbildung in eine gestreckte veränderte. Der Fachmann erkannte aus der Offenbarung dieser Entgegenhaltung, daß die Abwinklung unter verschiedenen Gesichtspunkten (Verriegelung in Streckstellung; vermeintliche Angleichung an den "natürlichen Gelenkdrehpunkt") sinnvoll war. Er mußte, sofern er sich darüber Gedanken machte, die Abwinklung aufzugeben, ohne weiteres erkennen, daß er diese Vorteile dadurch aufgab oder zumindest gefährdete. Zudem stand ihm mit der Lösung der US-Patentschrift 3 813 700 ("Tavernetti") bereits jedenfalls im Grundsatz ein Weg zur Verfügung, eine Rotationsbeweglichkeit auch bei Streckstellung der Endoprothese zu erreichen. Von daher hatte er keinen Anlaß, sich Gedanken darüber zu machen, die Lösung von Thull weiterzubilden, wenn er diese Rotationsmöglichkeit erreichen wollte, sondern allenfalls die Lösung von Tavernetti. Eine Weiterbildung von Tavernetti mußte den Fachmann zwar auch zu einer gestreckten und womöglich mit der Lösung des Streitpatents funktionsgleichen, in der gegenständlichen Ausbildung aber schon deshalb abweichenden Lösung führen, weil Tavernetti ein Gelenkzwischenstück nicht vorsah. Der Senat sieht es deshalb als erwiesen an, daß eine Kombination der Lehren von Thull und Tavernetti auch unter Berücksichtigung des einschlägigen Fachwissens und Fachkönnens den Durchschnittsfachmann nicht zur Lösung des Streitpatents führen konnte.
Der Senat ist aber auch nicht überzeugt davon, daß der Durchschnittsfachmann ausgehend von der Veröffentlichung von Walker ohne erfinderisches Zutun die Lehre des Streitpatents auffinden konnte. Die dort in der Abb. 3 gezeigte und beschriebene, bei Schafen und Hunden eingesetzte Endoprothese kommt allerdings dem Gegenstand des Streitpatents recht nahe. Auch ist das
Streitpatent nicht auf Endoprothesen für den Einsatz beim Menschen beschränkt , wenngleich ein solcher Einsatz in der Praxis jedenfalls ganz im Vordergrund stehen wird. Um zum Gegenstand des Streitpatents zu gelangen, bedurfte es jedoch noch eines nicht unerheblichen konstruktiven Aufwands, was die Ausbildung, Anordnung und Dimensionierung der Lagerflächen betraf. Dies hat auch der gerichtliche Sachverständige bestätigt, der sich allerdings zu der Frage, ob dies das Fachkönnen des Durchschnittsfachmanns überstieg, nicht eindeutig geäußert hat. Von daher ist zunächst offen geblieben, ob die Weiterbildung der von Walker beschriebenen Prothese das Fachkönnen des Durchschnittsfachmanns überstieg. Dies geht bereits zu Lasten der Klägerin. Ergänzend spricht hier weiter gegen ein Naheliegen der Lehre des Streitpatents aber, daß sich aus der Veröffentlichung von Walker keine Anregungen dahin ergeben konnten, die in Abb. 3 seiner Veröffentlichung gezeigte Prothese in Richtung auf das Streitpatent weiterzuentwickeln, insbesondere in einer Weise, die diese auch beim Menschen einsetzbar und damit erst sinnvoll wirtschaftlich verwertbar gemacht hätte. Zudem stellten die in bestimmten Bereichen negativen Erfahrungen in der klinischen Erprobung, über die Walker berichtet hat, ein zusätzliches Hemmnis dar, auf diese Prothese zurückzugreifen. Weiter stand mit der von Tavernetti vorgeschlagenen Prothese eine Lösung zur Verfügung, von der sich der Durchschnittsfachmann erhoffen konnte, das zu erreichen, was sich auch das Streitpatent zum Ziel gesetzt hat. Schließlich kann zugunsten der Patentinhaberin auch nicht ganz unberücksichtigt bleiben, daß Walker selbst seine Entwicklung nicht weiterverfolgt, sondern zunächst, wie sich aus seiner Veröffentlichung ergibt, einen anderen Weg eingeschlagen und später nach dem unwidersprochen gebliebenen Vortrag der Beklagten eine Lizenz am Streitpatent genommen hat (vgl. zur Berücksichtigung der tatsächlichen technischen Entwicklung z.B. Sen.Urt. v. 20.4.1971 - X ZR 27/68, Mitt. 1972, 18 = Liedl 1971/73, 48 - Trockenrasierer).

V. Die angegriffenen nachgeordneten Patentansprüche werden durch ihre Rückbeziehung auf Patentanspruch 1 mitgetragen.
VI. Die Kostenentscheidung beruht nach dem übergangsrechtlich (Art. 29 2. PatGÄ ndG) weiterhin anzuwendenden § 110 Abs. 3 PatG i.d.F. der Bekanntmachung vom 16. Dezember 1980 i.V.m. § 91 ZPO.
Rogge Jestaedt Melullis
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(1) Die unterliegende Partei hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, insbesondere die dem Gegner erwachsenen Kosten zu erstatten, soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig waren. Die Kostenerstattung um

(1) Gegen die Urteile der Nichtigkeitssenate des Patentgerichts (§ 84) findet die Berufung an den Bundesgerichtshof statt. (2) Die Berufung wird durch Einreichung der Berufungsschrift beim Bundesgerichtshof eingelegt. (3) Die Berufungsfrist b

Annotations

(1) Die Wirkung des Patents tritt insoweit nicht ein, als die Bundesregierung anordnet, daß die Erfindung im Interesse der öffentlichen Wohlfahrt benutzt werden soll. Sie erstreckt sich ferner nicht auf eine Benutzung der Erfindung, die im Interesse der Sicherheit des Bundes von der zuständigen obersten Bundesbehörde oder in deren Auftrag von einer nachgeordneten Stelle angeordnet wird.

(2) Für die Anfechtung einer Anordnung nach Absatz 1 ist das Bundesverwaltungsgericht zuständig, wenn sie von der Bundesregierung oder der zuständigen obersten Bundesbehörde getroffen ist.

(3) Der Patentinhaber hat in den Fällen des Absatzes 1 gegen den Bund Anspruch auf angemessene Vergütung. Wegen deren Höhe steht im Streitfall der Rechtsweg vor den ordentlichen Gerichten offen. Eine Anordnung der Bundesregierung nach Absatz 1 Satz 1 ist dem im Register (§ 30 Abs. 1) als Patentinhaber Eingetragenen vor Benutzung der Erfindung mitzuteilen. Erlangt die oberste Bundesbehörde, von der eine Anordnung oder ein Auftrag nach Absatz 1 Satz 2 ausgeht, Kenntnis von der Entstehung eines Vergütungsanspruchs nach Satz 1, so hat sie dem als Patentinhaber Eingetragenen davon Mitteilung zu machen.

(1) Gegen die Urteile der Nichtigkeitssenate des Patentgerichts (§ 84) findet die Berufung an den Bundesgerichtshof statt.

(2) Die Berufung wird durch Einreichung der Berufungsschrift beim Bundesgerichtshof eingelegt.

(3) Die Berufungsfrist beträgt einen Monat. Sie beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefaßten Urteils, spätestens aber mit dem Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung.

(4) Die Berufungsschrift muß enthalten:

1.
die Bezeichnung des Urteils, gegen das die Berufung gerichtet wird;
2.
die Erklärung, daß gegen dieses Urteil Berufung eingelegt werde.

(5) Die allgemeinen Vorschriften der Zivilprozessordnung über die vorbereitenden Schriftsätze sind auch auf die Berufungsschrift anzuwenden.

(6) Mit der Berufungsschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des angefochtenen Urteils vorgelegt werden.

(7) Beschlüsse der Nichtigkeitssenate sind nur zusammen mit ihren Urteilen (§ 84) anfechtbar; § 71 Abs. 3 der Zivilprozeßordnung ist nicht anzuwenden.

(8) Die §§ 515, 516 und 521 Abs. 1 und 2 Satz 1 der Zivilprozessordnung gelten entsprechend.

(1) Die unterliegende Partei hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, insbesondere die dem Gegner erwachsenen Kosten zu erstatten, soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig waren. Die Kostenerstattung umfasst auch die Entschädigung des Gegners für die durch notwendige Reisen oder durch die notwendige Wahrnehmung von Terminen entstandene Zeitversäumnis; die für die Entschädigung von Zeugen geltenden Vorschriften sind entsprechend anzuwenden.

(2) Die gesetzlichen Gebühren und Auslagen des Rechtsanwalts der obsiegenden Partei sind in allen Prozessen zu erstatten, Reisekosten eines Rechtsanwalts, der nicht in dem Bezirk des Prozessgerichts niedergelassen ist und am Ort des Prozessgerichts auch nicht wohnt, jedoch nur insoweit, als die Zuziehung zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig war. Die Kosten mehrerer Rechtsanwälte sind nur insoweit zu erstatten, als sie die Kosten eines Rechtsanwalts nicht übersteigen oder als in der Person des Rechtsanwalts ein Wechsel eintreten musste. In eigener Sache sind dem Rechtsanwalt die Gebühren und Auslagen zu erstatten, die er als Gebühren und Auslagen eines bevollmächtigten Rechtsanwalts erstattet verlangen könnte.

(3) Zu den Kosten des Rechtsstreits im Sinne der Absätze 1, 2 gehören auch die Gebühren, die durch ein Güteverfahren vor einer durch die Landesjustizverwaltung eingerichteten oder anerkannten Gütestelle entstanden sind; dies gilt nicht, wenn zwischen der Beendigung des Güteverfahrens und der Klageerhebung mehr als ein Jahr verstrichen ist.

(4) Zu den Kosten des Rechtsstreits im Sinne von Absatz 1 gehören auch Kosten, die die obsiegende Partei der unterlegenen Partei im Verlaufe des Rechtsstreits gezahlt hat.

(5) Wurde in einem Rechtsstreit über einen Anspruch nach Absatz 1 Satz 1 entschieden, so ist die Verjährung des Anspruchs gehemmt, bis die Entscheidung rechtskräftig geworden ist oder der Rechtsstreit auf andere Weise beendet wird.